Während die Sonne sich Tag ein und Tag aus bemühte die ersten Blüten in bunten Farben erleuchten zu lassen, lief es am Arbeitsplatz recht ruhig. Bis an einem Tag ein Schiff aus Ostia den Hafen von Tarraco anlief, um neue Post einzuschiffen.
Herius saß in seinem Officium. Nur wenig war derzeit zu tun und so freute er sich über jedes Gesicht, das sein Officium aufsuchte. Diesmal war es der Postbegleiter aus Ostia. Dessen Gesicht war von der See rau und borstig. Die Augen lagen in tiefen Höhlen. Er trat an den Praefecten heran und reichte ihm eine Schatulle. Post aus Rom.
Der Praefectus nickte und reichte dem Mann einen Becher stark verdünnten Weines. Er hatte es sich verdient. Konnte aber nicht lange rasten, denn schon bald waren die Waren des Handelsschiff gelöscht. Der Bauch mit Hispanischen Gütern beladen und die Taue gezupft, um zurück aufs Meer zu kommen.
So war Herius bald schon wieder allein in seinem Büro und begann die neue Post dahin zu sortieren, wo sie später von einem Boten gesammelt wurde, um ausgetragen zu werden. Bei einem der Schreiben stutzte er. Überprüfte die Listen ein zweites und drittes Mal. Kratzte sich am Kopf und versuchte es ein letztes Mal. Dann war klar, dieser Brief würde hier bei ihm bleiben. Der Cursus Publicus kannte weder eine gültige Adresse am angegebenen Ort, noch war der Empfänger berechtigt Post zu empfangen.
Gerüchte hatten sich in der ganzen Stadt breit gemacht, das jener Gabor gegen Rom intrigierte. Der Brief würde also hier bei Herius bleiben. Bis die Sache geklärt war, bis Schuld oder Unschuld fest standen. War es bis dahin zu spät, hatte dieser Helvetier eben Pech gehabt.
Mit einem Ruck zog Herius die Schublade neben seinem linken Knie heraus und legte das Schreiben hinein. Eine kleine Notiz zierte wenig später seine Gedankentafel.
, Tarraco, Hispania Tarraconensis, Provincia Hispania
Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Tito Helvetio Gabori s.d.
Tiefes Mitgefühl über den Verlust deines Bruders Gnaeus Helvetius Tranquillus sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat dein Bruder gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Nach den gesetzlichen Richtlinien kommt dir als Bruder des Verstorbenen ein Anteil von 59.98 Sesterzen zu, welchen es dir gestattet ist, abzulehnen.
Ich bitte dich, mir bis zum Tag vor den Kalenden des Aprilis DCCCLVII A.U.C. (31.3.2007/104 n.Chr.) mitzuteilen, ob du gewillt bist, dieses Erbe anzutreten, welches gleichsam keinerlei weitere Verpflichtungen nach sich zieht. Solltest du diesen Termin versäumen, so wird dein Anteil dem zu verteilenden Erbe hinzugefügt werden, ebenso wie sich der deinige Anteil durch den Verzeicht eines der anderen Erben erhöhen kann.
Zum Trost über den erlittenen Verlust bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Uebel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«
M.F.G.
