Beiträge von Nikolaos Kerykes

    Mit langen, dünnen Messern durchschnitten die Opferhelfer das Fleisch des Tieres, dort, wo die großen Blutströme verliefen, die vom Herzen in die Peripherie führten. Hellrot rann es hinab in das Becken um den Altar. Als die Ströme versiegten, schnitten die Opferhelfer große Fleischbrocken aus dem Leib des Stieres.
    Der Hierophant stieg ins Becken. Das Blut kroch sein weißes Gewand hinauf. Er kniete nieder und tauchte die Hände ein. Das Tympanion wurde wurde geschlagen, langsam und leise. Die Einzuweihenden traten nun an den Rand des Beckens. Die Eingeweihten wiederholten leise und langsam den Hymnus. Nikolaos war der erste, der vor den Hierophanten trat. Nikodemos zog seine Hände aus dem Blut. Er sah Nikolaos lange schweigend an. Nikolaos kniete nieder. Nikodemos strich mit seinen blutigen Händen über das Gesicht des jungen Mannes und über seine Arme und über seine Brust. Warm war das Blut noch. Doch zugleich schien eine andere Hitze Nikolaos Haut zu versengen. Er schrie auf.
    "Iakche, reinige mich, reinige mich, oh Herr der Freuden und der Unterwelt!", brüllte Nikolaos, die Augen weit aufgerissen. Ruckartig ließ er sich nach vorne fallen und landete der Länge nach im Bluttümpel.
    "Iakche, reinige ihn, nimm ihn auf in deine Jüngerschaft!", murmelte der Chor im Hintergrund. Nikolaos' Oberkörper schnellte, wie automatisch, wieder nach oben. Er erhob sich mit bebenden Knien und pochenden Schläfen. Er drehte sich, er sprang, er schrie, er lachte. Er wirbelte herum und drang ein in die Menge der Eingeweihten.

    Nach der Anrufung durch den Chor der Versammelten, der sich zum Schluss zu einem wilden Geschrei gesteigert hatte, vergoß der Hierophant erneut Wein auf das Haupt des Stieres.


    "Reinige auch uns, Gott, der du Mauern einstürzen läßt und Gesichter einzustürzen läßt in Verzückung! Reinige uns! Schenke uns deinen Samen, auf dass der Sommer komme! Reinige uns, oh König der Freude, mit der Lust und dem Rausch!"


    Der Opferhelfer holte mit dem Hammer aus. Die Betäubung des Stieres ließ nach. Das Tier bäumte sich auf und blökte, die Augen irr und verdreht. Das Tympanon verstummte, auf den Auloi wurde ein einziger, langer Ton gespielt.


    "Schenke uns deinen blutigen Samensegenregen, oh Herr der Unterwelt, der du heute hinaufsteigst und Frühling werden läßt und die Geister des Winters vertreibst und dich mit deiner Gemahlin vereinst!"


    Der Hammer sauste auf den Kopf des Stieres nieder. Der Schädel zersprang, Blut spritze durch das Gewölbe und besudelte die Wände und die Leiber und die Gesichter der Versammelten. Hirn ergoß sich im Blutstrom über den Altar, und der Strom riss die Blüten mit sich. Noch einmal bäumte sich des Stieres Körper auf, dann sank er, mächtig und schwer, zu Boden.


    "Dionyse! Stifter des Weins und der Freuden!
    Dionyse! Reines Ziegenkalb, edler, kraftvoller Stier!
    Dionyse! Sohn des Zeus!
    Dionyse! Sohn der Persephone,
    Dionyse! die als Mädchen mohnbekränzt
    Dionyse! sitzt im dunklen Haus ihres Gemahls!
    Dionyse! Zweimalig Geborener!
    Dionyse! Zerrissender und Verschlungener!
    Dionyse! Besamer der Erde mit deinem Blut!
    Dionyse! Dein Blut
    Dionyse! das den letzten Schnee
    Dionyse! rot färbt wie die Morgenröte!
    Dionyse! Herr der Weinreben!
    Dionyse! Herr der Schlangen!
    Dionyse! Vater des Priapos,
    Dionyse! der die Knaben Männer
    Dionyse! werden läßt!
    Dionyse! Vater des Hymenaios,
    Dionyse! der der Ehe Segen schenkt!
    Dionyse! Vater der Thalia!
    Dionyse! Vater des Phthonos!
    Dionyse! Vater des Weingesichtigen!
    Dionyse! Vater der Aglaia!
    Dionyse! Vater der Euphrosyne!
    Dionyse! Gemahl und Bruder der Isis,
    Dionyse! die ist die Herrin der Nacht
    Dionyse! und die Herrin des Meeres
    Dionyse! und die weise Heilerin
    Dionyse! und die weise Zauberin!
    Dionyse! Herr der Unterwelt!
    Dionyse! Sinkende Sonne!
    Dionyse! Rufender!
    Dionyse! Lärmender!
    Dionyse! König!
    Dionyse! Retter!
    Dionyse! Beschützer!
    Dionyse! Reinigender!"
    , wiederholte der Chor die Anrufung, dieses Mal verzückt und gleichzeitig wild tanzend. Gelächter und Geschrei hallte an den felsenen Wänden wieder.


    "Reinige uns, Reinige uns!"

    "Dionyse! Stifter des Weins und der Freuden!
    Dionyse! Reines Ziegenkalb, edler, kraftvoller Stier!
    Dionyse! Sohn des Zeus!
    Dionyse! Sohn der Persephone,
    Dionyse! die als Mädchen mohnbekränzt
    Dionyse! sitzt im dunklen Haus ihres Gemahls!
    Dionyse! Zweimalig Geborener!
    Dionyse! Zerrissender und Verschlungener!
    Dionyse! Besamer der Erde mit deinem Blut!
    Dionyse! Dein Blut
    Dionyse! das den letzten Schnee
    Dionyse! rot färbt wie die Morgenröte!
    Dionyse! Herr der Weinreben!
    Dionyse! Herr der Schlangen!
    Dionyse! Vater des Priapos,
    Dionyse! der die Knaben Männer
    Dionyse! werden läßt!
    Dionyse! Vater des Hymenaios,
    Dionyse! der der Ehe Segen schenkt!
    Dionyse! Vater der Thalia!
    Dionyse! Vater des Phthonos!
    Dionyse! Vater des Weingesichtigen!
    Dionyse! Vater der Aglaia!
    Dionyse! Vater der Euphrosyne!
    Dionyse! Gemahl und Bruder der Isis,
    Dionyse! die ist die Herrin der Nacht
    Dionyse! und die Herrin des Meeres
    Dionyse! und die weise Heilerin
    Dionyse! und die weise Zauberin!
    Dionyse! Herr der Unterwelt!
    Dionyse! Sinkende Sonne!
    Dionyse! Rufender!
    Dionyse! Lärmender!
    Dionyse! König!
    Dionyse! Retter!
    Dionyse! Beschützer!
    Dionyse! Reinigender!"

    Der Eparchos ließ schon recht lange auf sich warten. Nikolaos wurde ungeduldig, ließ sich die Ungeduld jedoch nicht anmerken. Fragend blickte er in die Reihen seiner Kollegen und dann den Soldaten an.
    "Kommen wir ungelegen?", fragte er höflich.

    Wohlwollend hörte Nikolaos seinem -älteren- Schüler zu. Schließlich nickte er. "Das ist zunächst ausreichend viel über Perikles. Wir können im Anschluss noch weiter über ihn sprechen und auch über die Vorwürfe der Tyrannis, die ihm viele Neider gemacht haben und die ihm immer noch gemacht werden, nun da, so traurig es mich stimmt, die ruhmreichsten Zeiten Athens vorrüber sind. Aber wir wollen nicht zu weit von der Rede abschweifen. Weiß jemand, zu welchem Anlass Perikles sie gehalten hat?" Er blickte sich in der Runde um, doch schielte etwas zu Marcus hinüber. Dieser würde es sicher wissen, glaubte Nikolaos. "Dies sollten wir gewissermaßen im Hinterzimmer des Geistes behalten, wenn wir gleich fortfahren."

    Nikolaos lächelte. Das Lächeln wurde unheimlich, gleich dem Lachen der Sardinier. Lautlos jedoch. Über die Augen des Nikolaos ging ein fast fiebriger Glanz.
    "Du weißt nach mir am besten, wie häufig und angestrengt ich denke.", meinte Nikolaos ruhig und fast gleichförmig im Ton. Das Lächeln verschwandt und wich einem ernsten Gesichtsausdruck.
    "Die Geier", begann er. "werden über mich nicht herfallen, wenn ich im hintersten Indien bin." Er blickte Antigonos durchdringend an. "Außerdem habe ich doch gerade das höchste Amt erreicht, das man in diesem Staat erreichen kann. Ich werde noch dafür sorgen, dass man mir eine hübsche Statue aus Marmor in die Stoa stellt, und dass sich immer jemand finden wird, sie neu zu bemalen. Meine Amtszeit hat gerade begonnen. Findest du nicht, dass die Zahl drei eine überaus schöne Zahl ist?" Wieder ein Grinsen wie das eines Totgeweihtens. Doch schnell kehrte wieder der alte Nikolaos zurück mit seinem scharfen, kühlen Verstand. "Ich hoffe, ich kann mich auf dich verlassen.", sagte er. "Meine Gesundheit ist nicht mehr die Beste, da ist es gut einen Arzt in der Nähe zu wissen. Außerdem -" Sein Blick trübte sich etwas, fast wehleidig sah er sein Gegenüber an. "ist es schön, einen Menschen als Gefährten zu wissen, den man noch nie belogen hat und der einen wohl auch noch nie belogen hat und den man aus den Augen lassen kann, da er kein Messer hinterrücks ziehen wird." Er fing sich wieder. Er schwieg eine Weile nachdenklich. "Wir werden in nächster Zeit die Reise planen.", beschloss er und ließ dabei deutlich werden, dass er keinen Widerspruch erwartete.

    Was blieb der Mann stehen? Seltsame Sitten waren es, die Marcus aus dem fernen Morgenland mitgebracht hatte. Jedoch unterließ Nikolaos es, ihn ein zweites Mal dazu aufzufordern, sich in die Runde zu setzen. Als einige der Schüler zu tuscheln und leise zu lachen anfingen, fuhr Nikolaos mit einem Zischlaut dazwischen.
    "Ruhe jetzt, ihr drei", sagte er. Dann wandte er sich wieder Marcus zu.
    "Ganz Recht, Markos. Da du Athener bist, wirst du sicher auch erzählen können, welche Taten dieser Perikles vollbracht hat. Aufgezeichnet hat die Rede übrigens Thukydides, wohlgemerkt der Schrifsteller Thukydides, nicht der Staatsmann. Doch jetzt wieder zu Perikles."
    Nikolaos sah Marcus abwartend an. Dieser schien sich als Musterschüler zu entpuppen. Ein Windhauch fuhr durch das Geäst und die Blätter der Zedernkrone über ihnen. Vögel kreischten, sangen, quietschten, gurrten, schmatzten, röchelten. Was war die Vielfalt der menschlichen Stimmen gegen die Vielfalt der Tierstimmen? Allerdings waren die Vögel wiederum nicht dazu begabt, Reden zu halten oder Gedichte vorzutragen. Oder aber es gab eine Vogelsprache? Man sagte den Tieren zwar nach, sie seien nicht bedacht mit der Gabe zu denken, sie dachten nur den Moment weit, in dem sie gerade lebten, das hatte schon Cicero gesagt, der es allerdings geschickt gestohlen hatte. Wie eine Elster über einen Schmuckkasten, der offen am Fenster steht, war der Römer über die Werke von berühmten und weniger berühmten Autoren hergefallen. Dabei konnten die Römer zu Ciceros Zeiten noch nicht einmal etwas schreiben, was über Bestellungen und Listen hinausging, diese Barbaren. Nikolaos musste grinsen. Dann kehrte er gedanklich wieder zu Perikles zurück und zu Marcus' Antwort, auf die er wartete.

    Wenn du damit leben kannst, nicht unbedingt die römische Oberschicht sondern vielmehr die Alexandrinische sittlich und geistig zu erbauen, kannst du auch nach Alexandria kommen. Am Gymnasion wirst du sicher Gelegenheit dazu bekommen. Zuvor müsstest du natürlich alle, die Vorurteile ob deiner barbarischen Herkunft haben, Lügen strafen ;).

    Nikolaos saß in einem Sessel im Schatten der großen Säulenhalle vor seinen Räumen und wartete auf die Schüler. Zum Erscheinen verpflichet waren alle Epheben, wer ansonsten noch kommen würde, war völlig offen. Und kein Gymnasiarchos hatte etwas dagegen, wenn seine Gespräche auch von Fremden besucht wurden.
    Heute stünden, wieder einmal, die hellenischen Grundwerte und -Tugenden sowie Sitten und Gebräuche auf dem Plan. Überhaupt nahm derartiges einen Großteil des Lehrplans ein, den Nikolaos täglich erstellte. In nächster Zeit würde er selbst viel lehren müssen, da es zur Zeit an anderen Lehrern mangelte. Und der Kosmetes war gänzlich mit den Leibesübungen beschäftigt, im übrigen hätte Nikolaos ihm, einem Krateiden, nicht die so empfindliche Angelegenheit der moralischen Erbauung überlassen.
    Im Anschluss an diese Stunde (die wohl einige Tagesstunden der rhomäischen Zählung in Anspruch nehmen würde) wollte Nikolaos das Heiligtum des Hermes und das des Herakles aufsuchen, um zu opfern. Dies stellte sozusagen eine praktische Übung dessen dar, was er heute predigen würde, ein Pflichtgefühl gegenüber den Himmlischen.



    Sim-Off:

    Wer mag, ist herzlich eingeladen.

    Nun nahm er das Papyrus auf und las.
    "Die meisten Redner, die früher hier gesprochen haben, loben denjenigen, der durch das Gesetz diese Rede der Beerdigung beigefügt hat; denn ein solcher Nachruf zieme sich an dem Grab der im Krieg Gefallenen. Mir dagegen schiene es ausreichend zu scheinen, wenn Männer, die sich durch die Tat bewährt haben, die ehrenvolle Anerkennung gleichfalls durch die Tat gewährt würde, wie es in der Tat hier durch dieses öffentliche Begräbnis geschehen ist, und wenn man nicht die Verdienste vieler in die Hand eines einzelnen legen wollte, so dass sie danach glauben finden, je nachdem er gut oder minder gut gesprochen hat."
    Nikolaos hatte die Rede geschickt betont. Durch seine Erfahrung in öffentlichen Dingen hatte er auch eine gewisse Erfahrung in der Redekunst.
    "Kommt jemandem dies bekannt vor?", fragte er in die Runde. "Dies ist natürlich nur der erste Teil, es folgen noch viele weitere. Doch zunächst wollen wir uns hiermit beschäftigen. Also: Zunächst einmal: Wer ist der Redner?"

    Während Marcus den Gegenstand seines Frevels fortbrachte, lachte Nikolaos leise über die Erinnerung an seine eigenen Untaten, so wie die, dass er einmal einen Gast des Museions, der ihn beleidigt hatte, fast verhaftet hätte. Sein Lehrer, der gute Theodoros, hatte, zurecht zugegeben, gewütet wie ein blitzschleuderner Zeus.
    Dann hatten sich einige Schüler zu ihm gesellt und Nikolaos musste, um eine gewisse Aura der Würde zu bewahren, das Gelächter eindämmen und in die geordneten Bahnen eines würdevollen Lächelns lenken. Nikolaos wartete mit dem Unterricht, bis sein persönlicher Gast zurückgekehrt wäre.
    "Setze dich doch.", meinte er nun. "Mache es dir bequem. Wir beginnen gleich mit dem Gespräch über eine berühmte Rede-" Er wühlte in den Blättern, die auf seinem Schoß und um ihn herum lagen. Als er gefunden hatte, was er brauchte, legte er das Papyrus umgedreht oben auf den Stapel. "Hier werde ich vor allem verfeinerte Redekunst, die Sprache der Rhomäer, und andere freier Männer würdiger Künste lehren, sowie etwas Ideenlehre und Naturphilosophie. Wenn du deine Kenntnisse über unsere Sitten und Gebräuche gewissermaßen erneuern möchtest, solltest du meine Unterrichtsstunden im Gymnasion aufsuchen" Nikolaos lächelte freundlich. Sein Ärger war längst verraucht. Dann wandte er sich wieder an die gesamte Runde der Schüler, die im Gras vor ihm saßen.

    Nikolaos war nicht entgangen, dass Antigonos das Thema der öffentlichen Angelegenheiten umging. Im Nachhinein war ihm das sogar recht. Der Junge war ihm zu kostbar, als dass er es fertigbrächte, ihn zu verderben. Nikolaos selbst war ausreichend verdorben und grämte sich darüber in zunehmendem Maße. Je mehr er an Macht gewann, desto schneller verblühte er. Diese Stadt war wahrlich keine gute Erde für zarte Pflanzen.
    Als Antigonos vom Reisen sprach, ging ein Schauer der Erregung durch Nikolaos, keine Wolllust freilich, sondern vielmehr eine seligmachende Sehnsucht, die zugleich jede frühere Seligkeit vernichtete. (Jahrhunder später sollte man dies Enthymesis nennen.) Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht. Dieses Lächeln war für Nikolaos' Verhältnisse ungewöhnlich warm und echt. Seine Augen glänzten und das Lächeln schwandt nicht sogleich, sondern blieb eine Weile.
    "Ich habe ein Schiff", murmelte er, wie für sich, doch deutlich genug, dass es sein Gegenüber hören konnte. Dann sah er Antigonos wieder an. "Ich werde mich nicht zum Eponminatographen wählen lassen, glaube ich.", sagte er trocken und ohne jeglichen Pathos in der Stimme. "Ich wohne schon seit Jahren an diesem Ort. Zuvor war ich in Rom-" Die Erinnerung an seine dortigen Frevel gegen die Himmlischen ließ ihn erschaudern. Er war jung gewesen und hatte sich verführen lassen von Wahrsagern und dem seltsamen Gemurmel von Wolllustpropheten. Er hatte die Isis und die Aphrodite in einer Gestalt verehrt, die ihn heute noch mit einem Gefühl der Scham verfolgte. "-und davor in Athen." Er sah den Jüngeren nachdenklich an. "Ich habe eine Pyrtanie noch Zeit, meine Geschäfte hier zu ordnen.", sagte er schließlich. "Beim Gastmahl werde ich dafür sorgen, dass in Alexandria nach meiner Abreise nicht alles den Bach hinunter geht." Plötzlich schien Nikolaos dazu überzugehen, den von Antigonos geäußerten und von ihm selbst lange gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen. In seinem Gesicht zeichnete sich nun eine Entschlossenheit ab, die manchen Menschen geängstigt hätte. "Wir könnten den Teil der Welt bereisen, an dem die Sonne abendlich hinabsinkt und dann an die Ufer des Teils der Welt fahren, wo sie morgendlich aufsteigt. Soweit ich weiß, haben die Rhomäer ihren Krieg gegen die kriegerischen und hinterhältigen Parther zunächst beendet." Er sah sein Gegenüber fragend an.

    Da niemand Einspruch erhob, nickte Nikolaos dem Schreiber zu, der den Verlauf der Sitzung festhielt für die Schriftensammlungen im Tempel der Tyche.
    "Wenn es keine weiteren Anträge gibt, so können wir nun nach Hause gehen, denn es ist alles beschlossen, das in Form von Anträgen vorlag."
    Er suchte die Sitzreihen nach Bürgern ab, die sich erhoben, doch niemand tat dies.
    "Bürger! Ich wünsche euch allen einen guten Heimweg! Mögen die Götter euch gewogen sein! Kommt in sieben Tagen* zahlreich zum Fest der Tyche und des Alexanders."



    Sim-Off:

    *SimOn spielt die Volksversammlung am 13. Phaopi, das Fest ist am 20. . Rl wird der 20. Phaopi wahrscheinlich eher in den nächsten Tagen sein.

    Ein Stoiker, dachte Nikolaos, als der Mann von einer kosmischen Ordnung sprach. Dass er dabei auf eine ganz andere Lehre anspielte, wusste Nikolaos natürlich nicht, denn er kannte diese Lehre nicht.
    "Es wäre mir eine Freude", antwortete Nikolaos auf das Angebot des Mannes. Als dieser jedoch von 6000 Zeichen sprach, staunte Nikolaos. Es schien eine ganz andere Sprache zu sein, als die, die er kannte, dass sie soviele Zeichen zur Niederschrift brauchte. Andererseits benötigte seine Muttersprache nur etwa zweiundzwanzig bis vierundzwanzig Zeichen, abgesehen von Zusätzen, und sie war immerhin seiner Meinung nach die vollendete Sprache der Welt... .
    "Wenn du dich ausgiebig reinigen möchtest, so kannst du auch die Thermen im Gymnasion besuchen.", sagte Nikolaos. "Allerdings wird sich auch hier ein Sklave finden, der dir einen Bottich mit heißem Wasser füllt."

    Luft wurde in der Nähe von Nikolaos Kopf bewegt, es summte und zischte. Er schlug die Augen auf und erschrak. Als er sich wieder gefasst hatte, richtete er sich auf. Sein Blick war zornig, sein Mund war wie zu einem Grinsen jener hundsartigen Wesen verzerrt, deren Gebiss ein Bein nicht mehr loslassen, bis es abgenagt ist.
    "WAS FÄLLT DIR-", stieß er hervor. Doch im nächsten Moment unterdrückte er den Fluch, den er hatte aussprechen (besser ausspeihen) wollen. Er erhob sich und ging auf den Mann zu, den er soeben als den neuen Gast, seinen Gast erkannt hatte. Zwar schnaubte er nicht vor Wut und ballte auch die Fäuste nicht, solche Zeichen hätte er seiner als nicht würdig empfunden, doch der Zorn war dem kleinen, jungen Mann deutlich anzusehen. Seine Augen schienen, wenn man es einmal so ausdrücken wollte, Gift zu speihen.
    Habe ich mich gar in der Morgendämmerung in eine Gladiatorenschule verirrt?", zischte Nikolaos ätzend. Das lateinische Fremdwort sprach er in einem Ton aus, der vor Verachtung triefte."Ich hatte mich im Garten des Heiligtums der Musen und des Apollons gewähnt... .", fügte er noch leise hinzu. Seine Stimme hatte etwas lauerndes, ebenso sein Blick. Nun blickte er Marcus Achilleos direkt in die Augen. Zwar war der Jüngere der beiden Exil-Athener deutlich kleiner, jedoch hatte er jetzt den Habitus des Hausherrens. Sein Blick wanderte von den Augen seines Gegenübers zu dessen Händen und dem eigenartig geformten Schwert, das diese hielten. Nikolaos blickte Marcus nun wieder in die Augen, durchdringend. Er schwieg. Er hatte seinen Zorn inzwischen gebändigt. Schließlich wollte er den Gast nicht gleich vergraulen. So kostbar war das Wissen, dass Marcus Achilleos in sich trug... .
    "Also gut.", meinte Nikolaos, streng, jedoch gemäßigt im Ton. "Schaffe das da-" Er deutete mit einem etwas angewiderten Ausdruck auf das Schwert. "-fort. Dann komme zurück und ich werde dir Unterricht erteilen." Nikolaos hatte sich nun wieder beruhigt. Ruhig wartete er darauf, dass der Gast seiner Anweisung folgen würde. Die erste Unterichtseinheit, die er dem anderen Athener geben würde, würde sich mit einigen Verhaltensregeln beschäftigen... . Etwas beschämt musste Nikolaos jedoch sich eingestehen, dass er selbst schon Dinge getan hatte, die an Frevel grenzten. Der Gast konnte es vielleicht nicht einmal besser wissen... .
    "Dieses eine Mal sei dir verziehen.", fügte er so beschwichtigend hinzu und zwang sich sogar zu einem milden Lächeln. Der Gast wurde ihm bei längerem Nachdenken zunehmend wertvoller, und wertvolle Haustiere erschlägt man nicht, auch wenn sie auf das Bett koten... .
    "Aber merke dir für die Zukunft: In diesen Gärten werden keine Waffen geschwungen. Dies ist ein Heiligtum, vergiss das nicht.", fügte er streng hinzu. "Und beeile dich, ich möchte sogleich mit dem Unterricht beginnen." Nikolaos ließ sich wieder im Schatten der Zeder nieder. Doch er blieb aufrecht sitzen und ließ seinen Blick auf Marcus ruhen.

    Als Herbal ihm zusagte, seiner Einladung zu folgen, zog sich für einen kurzen Moment ein Lächeln über Nikolaos' Gesicht. Dann wurde es wieder ernst und streng.
    "Scheußlich. Du sagst es.", sagte er trocken und fast tonlos. Es folgte eine längere Pause, während der Nikolaos schwieg.
    Danach war er wie verändert. Er hatte seine alte höfliche Freundlichkeit (oder freundliche Höflichkeit) wiedergewonnen.
    "Du kannst dich sogleich in die Liste der Epheben eintragen. Wenn du fertig bist, gib mir das Schrifststück zum Siegeln.*", sagte Nikolaos mit einer wohlwollenden Miene. "Unterricht werde ich selbst jeden Tag in der Säulenhalle abhalten. Komme einfach hinzu, wenn du mich dort siehst. Außerdem werde ich Ausschau halten nach Athleten, die euch zu Übungen anleiten können, sowie nach anderen Lehrern. Wenn du Unterricht hast, bist du von deinem Dienst in der Schreibstube befreit. Verteile deine Aufgaben zuvor einfach an die anderen Schreiber *². Da ich dich mir selbst einteilen würde, da es sich mit deiner Tätigkeit als mein Sekretär am besten so vereinbaren läßt, wirst du mich in Zukunft auch bei meinen Pflichten außerhalb dieser Räume begleiten. Ich bin mir sicher, du wirst dabei einige interessante Einblicke in das öffentliche Leben dieser Stadt gewinnen." Er blickte Herbal an. "Hast du dazu noch Fragen?"



    Sim-Off:

    *Gemeint ist: Schreibe eine Ernennungsurkunde, poste sie hier, ich kopiere den Text und setzte meine Signatur darunter und poste sie bei den Aushängen ;).


    *² Diese anderen Schreiber sind NSC, die du bespielen kannst. Namensgebung und sonstiges ist dir überlassen ;).


    edit: SimOff mit Brief verwechselt...


    edit II: Fehlendes Anführungszeichen eingefügt.

    Mit glänzenden Augen und einem fast lüsternen Lächeln hörte Nikolaos den Ausführungen des Weitgereisten zu. Als dieser zuende vorgetragen hatte, griff er vorsichtig nach den Blättern. Er betrachtete die eigenartigen Zeichen, die ihm wie Bilder vorkamen, ähnlich der heiligen Schrift, die vor Jahrhunderten die Ägypter benutzt hatten (oder zumindest die wenigen, die sie benutzen konnten) und die jetzt noch bei einigen Priestern weiter im Süden angeblich im Gebrauch war. Doch diese Bilder waren Nikolaos fremdartig, er konnte keine Dinge erkennen. Er befühlt behutsam und andächtig das Material, auf das die Zeichen geschrieben (oder besser gemalt) waren.
    "Was ist das für ein eigenartiger Stoff?", fragte Nikolaos den Besucher. Er legte die Blätter vor sich auf eine freie Stelle seines überladenen Arbeitstisches. Auch die zusammengebundenen Holzstücken, die beschrieben waren mit andersartigen Zeichen, betrachtete Nikolaos eingehend. Langsam schenkte er dem Mann Glauben.
    "Aus Indien also... ." Nachdenklich fuhr Nikolaos über die Blätter. Zeichen, die er nicht deuten konnte, versetzten ihn in Unruhe.
    "Du sollst genug Zeit haben, dies alles in das Attische zu bringen. Eine Unterkunft kann dir jeder beliebige Bedienstete dieses Kultes zuweisen, empfehle dich ihnen als Gast der Priesterschaft und grüße sie von Nikolaos Kerykes." Er sah dem Mann tief in die Augen. Er versuchte, wie oft, darin zu lesen. "Für Verpflegung ist auch gesorgt, es ist Brauch bei uns, dass alle Lehrer und ihre Schüler gemeinsam speisen. Im Gebäude der Bibliothek gibt es einen Speisesaal." Wieder tauchte er in die Augen des Mannes ein. Gerne hätte er gesehen, was diese gesehen haben mochten. Nikolaos stellte sich fremdartige Gegenden vor, Wüsten, noch größer als die große Wüste Afrikas, feuchte Wälder mit riesigen Bäumen, bewohnt von allerhand seltsamer Wesen, Kopffüßlern, dreiköpfigen Menschen (gleich dem Kerberos), Schlangen, wie Hydren, doch nicht das Meer bewohnend, sondern die Luft wie Wasser durchschwimmend, Städte aus Elfenbein... .
    "In deiner Unterkunft wird auch Platz für dich zum Arbeiten sein. Allerdings liegen die Gästezimmer oft in Nebengebäuden, die Bibliothek ist also ein Stück weit entfernt. Du kannst dir daher eine Ecke in der Bibliothek einrichten, sie ist riesig, sie besteht aus unzähligen Hallen und Räumen, irgendwo wirst du schon einen Platz finden, an dem du ungestört bist, oder aber du läßt dich in dem Nebenraum -" Er deutete auf die angrenzende Türöffnung, die ein Vorhang verschloss. "-bei mir nieder. Achte nur darauf, dass du mit meinem Gehilfen nicht in die Quere kommst. Die Bibliothek ist von hier aus nicht weit. Wenn du irgendwelche Bücher einsehen möchtest, sage mir bescheid. Die Priesterschaft ist in Bezug auf ihre Bücher sehr eigen.", fügte er lächelnd hinzu. "Es sollte immer ein Priester oder zumindest ein Bibliothekssklave bei dir sein, wenn du Bücher suchst. Fremde und Schüler dürfen Bücher auch nur innerhalb der Bibliothek benutzen. Bücher, das ist eben-" Wieder ein Lächeln. "-unser Tempelschatz." Andächtig blätterte Nikolaos in den Schriften aus den fernen Gegenden.
    "Was den Unterricht angeht, so sollst du ihn selbstverständlich erhalten. Ich bin jeden zweiten Tag da draußen im Garten unter den Bäumen zu finden. Jeder ist eingeladen zu kommen, doch meine persönlichen Schüler und Gäste natürlich in besonderer Weise."

    "Das freut mich sehr.", antwortete Nikolaos höflich, bevor er sich wieder an die ganze Runde wandte.
    "Also dann auf zum Eingang der Basilea", sagte er, beinahe fröhlich und erhob sich.



    Sim-Off:

    Da heute eigentlich schon der 20. ist, schlage ich vor, den 20. Phaopi SimOn auf morgen oder übermorgen zu verschieben und für den Besuch beim Präfekten einfach den 14. Phaopi anzunehmen (also den Tag nach der Ekklesia).

    "Salvete scribae", meinte Nikolaos, als er den Vorraum der Schreiber betrat. "Der Soldat hat bereits alles gesagt.", sagte er höflich. Nun wartete er darauf, dass einer der Schreiber sich rührte und Anstalten machte, dem Eparchos die Anwesenheit der Pyrtanen zu melden.

    Zumindest bei Nikolaos und seinen Epheben sollten sie keine Waffen oder als Waffen zu gebrauchenden Gegenstände finden. Der Gymnasiarchos fand die Untersuchung lästig, ließ sie aber, mit einem angewiderten Gesicht, still über sich ergehen.
    Als der Soldat ankündigte, sie würden zur Regia gebracht werden, nickte Nikolaos nur und folgte dem Wächter.