Beiträge von Nikolaos Kerykes

    "Chaire, Herbal.", antwortete Nikolaos. "Das habe ich in der Tat. Bitte, setze dich doch." Er deutete auf einen Klismos. Er selbst blieb stehen. "Wie ich gesehen habe, bist du noch nicht als Schüler in das Gymnasion aufgenommen worden. Doch ich vermute, dass es dir durchaus ein Anliegen ist, dies zu werden."
    Er blickte Herbal fragend an. "Da ich nun selbst dieses Amt ausfülle, dürfte es in Bezug auf deine Herkunft gar keine Schwierigkeiten geben. Ich kann dich sofort in die Ephebenschar aufnehmen."
    Er lächelte, ein wenig kühl, doch wohlwollend. Seine Lippen formten sich zu einem Ausdruck von Stolz. Nikolaos war nicht mehr jung. Zwar taten seine Diener täglich ihr Bestes, doch keine Kosmetik der Welt konnte verbergen, dass Nikolaos alterte. Seine zarten Züge wurden zunehmend kantiger, in seine Haut gruben sich Falten. Das Haar war, wenn es ungefärbt war, stumpf und glanzlos. Noch konnte er mit einigem Aufwand seine entschwindene Jugend aufhalten, doch lange würde es nicht mehr dauern, bis seine einstige Schönheit verblüht war. Dann wäre dieser etwas hochmütige Ausdruck der Lippen nur noch wie ein Teil einer Maske in einer schlechten Komödie, oder zumindest in einer, bei deren Aufführung die Schauspieler Masken trugen, die kein kunstfertiger Mann bemalt hatte.
    "Außerdem würde ich dich gerne in den Tagen nach dem Fest der Tyche und des Alexanders auf mein Landgut einladen. Es werden einige -" Er legte eine kurze Pause ein, wie, um nachzudenken. "-Freunde kommen. Du könntest, falls du nach deiner Ephebie der Stadt als Beamter dienen möchtest, einige wichtige Bekanntschaften machen."
    Sein Blick wurde durchdringend, sein Lächeln schwandt.
    "Ich habe derzeit einige ernste Schwierigkeiten zu bewältigen. Dazu brauche ich Menschen, auf die ich mich vollkommen verlassen kann." Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. "Es liegt Verrat in der Luft, ich kann es deutlich riechen. Gewisse Ureinwohner -" Er sprach dieses Wort aus, wie er Barbaren auszusprechen pflegte. "-dieser Polis versuchen die Stimmung gegen gewisse Männer zu richten, die ihnen zu einflussreich werden, ungeachtet ihrer Verdienste um das Wohl der Stadt." Ein feiner Zug von Bitterkeit lag in seiner Stimme. Bitterkeit und Verachtung.
    "Sage mir, werter Herbal, kennst du jene Hunde, die fern im Süden hausen, an den Grenzen Afrikas? Die ein Gebiss haben, das ein Bein nicht mehr losläßt, bis es abgenagt ist?"
    Er lächelte kalt.




    Edit: Rechtschreibfehler korrigiert.

    Nikolaos hatte in der Frühe das Museion aufgesucht. Er setzte sich ins Gras, den Rücken an den Stamm einer mächtigen, wohl einige hundert Jahre alten Zeder gelehnt. Noch war die Luft wohltuend kühl. Der Staub der Straße kam nicht in die Gärten des Museions. Auch der Lärm blieb draußen. Auch seine Geschäfte und Pflichten verfolgten ihn nicht bis hierhin. Er schloss die Augen. Über ihm raschelten die Blätter und kreischten oder sangen, je nach ihrer Beschaffenheit, die Vögel. Die Vögel mit dem farbenprächtigsten Gefieder haben oft die Stimme von herrischen, alten Weibern. Die grauen, unscheinbaren Vögel haben die Stimmen von sanftmütigen Mädchen... . Es schmückt sich, wer nicht blüht, wer blüht, der schmückt sich nicht. Die Schminke verdirbt das zarte Gesicht, die Schminke macht das grobe Gesicht nicht zart. Im Schatten wachsen oft die schönsten Blumen, die nicht von der Sonne wolllüstig und hochmütig gemacht werden... . Nikolaos erschauderte. Bei den Göttern! Er wollte nicht enden, wie Nikodemos, der kein Licht mehr ertrug und keine Stimmen. Der in seinem Haus Stunde um Stunde am Brunnen lehnte und sich nicht rührte. Der kaum noch sprach. Der seine Katzen sein Essen vorkosten ließ... . Oh Isis! Oh gute Herrin des Meeres! Oh Herrin der Nacht! Oh Heilerin... .
    Ein Windstoß fuhr durch Nikolaos Haar und seine Kleidung. Ein Blatt fiel auf seine Stirn hinab. Es kitzelte ihn sanft. Er würde eine Reise machen, nach dieser Pyrtanie vielleicht oder später. Ferne Gestade lockten ihn mit unhörbaren Klängen, mit unsichtbaren Farben und Gerüchen, die er spüren konnte aber nicht schmecken oder riechen.
    Wehe dem, der die Götter erzürnt! Wehe dem, der den Olymp besteigen möchte. Er kommt dabei um, er kommt dabei um... . Die Blätter raschelten wie zur Bestätigung. Er kommt dabei um... .
    Seth hatte ihm gelegentlich seine Kunstwerke gezeigt. Tote, die schöner waren, als die Menschen es gewesen waren, die sie gewesen waren. Die Haut konnte man, nachdem sie Pergament geworden war, wie Buchseiten bemalen. Aus alten Männern hatte Seth erstarrte Jünglinge in den grellen Farben von Marmorstatuen gemacht.
    Der anmutigste Vogel hat ein graues Gefieder... .
    Nikolaos sah sich selbst auf dem groben Holztisch des Seths liegen, in Leinen gebettet und in Balsam und Duftöl getränkt. Auf seinem Gesicht lag eine Maske, die das Gesicht eines Jünglings zeigte, eines Jünglings mit edlen Zügen. Seth beugte sich zufrieden über sein Werk und richtete die Mohnblüten, die in einem Kranz um das Haupt der Mumie gelegt waren. Mohnblüten, blaurot leuchtend im Licht der Lampen in der finsteren Werkstatt des Seths, dort, wo die immer Nacht war, dort, wo die Schatten wuchsen und zu Gespenstern wurden... .

    Der Sklave beteuerte, er würde dies natürlich tun. Dann verabschiedete er sich von Herbal, wünschte ihm eine gute Nacht und nahm dessen Schmutzwäsche mit. Die Badewanne hatten zuvor andere Diener aus dem Zimmer entfernt. Der Sklave schob die Tür hinter sich zu, sodass Herbal ungestört schlafen konnte. Der Lärm der Gaststube drang nur sehr leise in das obere Geschoss des Hauses. Herbals Zimmer lag über dem Flügel des Hauses, in dem Lyros seine Schreibstube hatte und in dem auch das Bad und einige Vorratsräume lagen, sodass es hier besonders ruhig war. Nur von der Straße drangen gelegentlich das Klappern von Pferdehufen und Wagenräder, die Flüche der Fuhrleute, das Gelächter Betrunkener, die Geräusche von Streitigkeiten und von lautstarken Bruderschwüren, das vertraute Gemurmel von Menschen auf dem Heimweg, das Bellen von Hunden, das Schreien von Katzen durch die schmale, von hölzernen Läden verschlossene Fensteröffnung. Da die Wände sehr dick waren und über diesem Raum noch weitere lagen, war es angenehm kühl in Herbals Zimmer. Feine Vorhänge vor Fenster und Tür sperrten Ungeziefer aus. Dennoch schwirrten an der Decke die unvermeidlichen Stechmücken. Doch über Herbals Bett hing ein feinmaschiges Netz, sodass er nicht zur Beute würde in dieser Nacht. Die Mücken würden sich ein anderes Opfer suchen.

    Kurz nach der Volksversammlung hatte Nikolaos die Arbeitsräume an der Agora räumen lassen und die Stapel an Papyri, Urkunden, Notizen, Listen in das Gymnasion bringen lassen.
    Hier standen ihm einige sehr prachtvolle Räume zur Verfügung. Von dem größten dieser Räume aus konnte er die Freifläche im Inneren des Gymnasions überblicken, auf der geübt wurde. Der hohe Raum lag hinter einer Säulenhalle, die aus dem Säulenumgang des Sportplatzes herausragte, sowohl in ihrer Tiefe als auch in ihrer Höhe als auch in der Mächtigkeit der Säulen und des Tympanons, das die Fassade zur Sportplatzseite nach oben hin abschloss. Das Innere war mit Wandgemälden geschmückt, die Knaben beim Ringen, beim Laufen, beim Diskusswerfen und bei anderen Arten der körperlichen Ertüchtigung zeigten. Der Maler hatte sich offenbar sehr an die Form seiner Modelle gehalten, denn von idealen Proportionen abgesehen wiesen die Gemälde-Knaben eine gewisse Natürlichkeit auf, die vor allem durch übertrieben dargestellte individuelle Merkmale wie Kinn- und Nasenformen und die Formen gewisser anderer Körperteile erzielt wurde. In dieser Halle würde auch der neue Gymnasiarchos Unterricht abhalten.
    Für Epheben würde dieser Raum immer offen stehen, sofern der Gymnasiarchos im Hause war. Besucher hingegen würde Nikolaos in einem benachbarten Raum empfangen, dem ein langer Saal vorangestellt war, in dem genug Platz war für Schreiber.

    Prachtvoll gewandet waren sie von der Agora zum Eingang des Königsviertels gegangen. Der Gymnasiarchos selbst war hintenan gegangen. Er wollte ein wenig Bescheidenheit zeigen. Zum Tor jedoch schickte er einen seiner eigenen Epheben.


    Ephebe des Nikolaos:


    "Chaire", sagte der junge Mann zum Wachposten. "Eine Abordnung von Pyrtanen würde gerne mit dem hochverehrten Stellvertreter des göttlichen Basileus und Beschützer und Wohltäter unserer Stadt sprechen. Ist es möglich, zu ihm vorgelassen zu werden?", fragte der Ephebe höflich.

    Nikolaos hörte sich die Geschichte des Mannes an. Reichlich wild war sie, doch Nikolaos beschloss, ihm zunächst einmal Glauben zu schenken. Er machte keine Anstalten, die Schriften Nikolaos zu zeigen, was diesen verärgerte. Davon ließ er sich freilich nichts anmerken. Gerne hätte er den genauen Verlauf der Intrige erfahren, hatte er doch selbst fast täglich mit Intrigen zu tun... .
    Aber die Worte des Fremden waren eindeutig. Er wollte Geld haben, der alte Sophist (wobei Nikolaos die Sophisten durchaus schätzte und ihnen nicht übel nahm, dass sie für ihre hochwertigen Dienste Geld genommen hatten. Neben dem bezahlten Unterricht in Rhetorik hatten sie auch ihre Scharfsinnigkeit benutzt, um gewissermaßen den hoffärtigen Gelehrten und Staatsmännern und Priestern die Nichtigkeit ihrer Absoluta vorzuhalten, viele Jahrhunderte später sollte man die Sophisten gar in den Kreis der Erkenntnisphilosophen einordnen, wovon Nikolaos jedoch nicht einmal etwas ahnen konnte).
    "Wenn du aus den Schätzen des Museions Geld haben willst, musst du Tempeldienst verrichten und auch dazu befugt sein.", entgegnete Nikolaos scharf. "Und in dieser Sache kann dir nur Theodoros weiterhelfen oder Sosimos." Er blickte den Fremden durchdringend an. "Verpflegung und Unterkunft bekommst du freilich auch ohne derartiges. Es ist die heilige Pflicht der Gastfreundschaft, die uns hier Gelehrte aus allen Teilen der Welt aufnehmen läßt. Unser Haus ist groß, es gibt hier viele Gästezimmer.", meinte Nikolaos nun wohlwollend und lächelnd. Er dachte nach. Er könnte natürlich den Mann selbst unterhalten, auf eigene Kosten gewissermaßen. Davonjagen konnte er ihn später auch noch. Außerdem war die Befriedigung seiner Neugier dem Nikolaos einiges wert. Also noch ein Mann, den er durchzufüttern hätte? Nikolaos rechnete aus, was er wohl kosten würde und ihm wurde schwindelig. Das Amt des Gymnasiarchos war schon sehr kostspielig, dann noch seine Klientenschar und die Schreiber und die Dienstboten... .
    "Du könntest freilich, neben dem Gast der Priesterschaft der Musen, auch mein persönlicher Gast sein. Allerdings erwarte ich in diesem Fall eine gewisse Bereitschaft deinerseits, die Früchte deiner Arbeit mir nicht vorzuenthalten."

    Dankbar nahm Nikolaos die Stärkung an, die ihm sein fürsorglicher Gehilfe gebracht hatte. Allerdings bestand er darauf, dass Antigonos selbst die Hälfte davon verzerrte.
    Sein Gesicht gewann wieder etwas Farbe, auch wenn Nikolaos natürlicherweise etwas bleich war. Als er zuende gekaut hatte, sah er Antigonos an.
    "Vielleicht ist dir bekannt, dass ich der Stadt als Beamter diene.", begann er. "Bald tue ich dies schon sehr lange und langsam merke ich, dass meine Kräfte nicht mehr ausreichen, um den Anfeindungen meiner Gegner und meinen täglichen Pflichten standzuhalten. Ich werde mich in der nächsten Pyrtanie* aus den öffentlichen Angelegenheiten etwas zurückziehen. Vielleicht lasse ich mich zum Eponminatographen wählen. Dieser hat lediglich die Verehrung des göttlichen Basileus zu überwachen und die Einhaltung der Feiertage."
    Er legte eine Pause ein und griff nach einer Olive. Lange betrachtete er sie mit Wohlgefallen. Sie war schön geformt und glänzte nass und saftig. Er biss hinein und beschaute dann den Kern und das Innere. Schließlich schluckte er auch dieses Stück hinunter und ließ den Kern in eine Schale fallen, die den Essensresten als Behältnis diente.
    "Ich will offen dir gegenüber sein. Ich habe Feinde , und sobald ich mich selbst gewissermaßen auf einen ruhigen, etwas abseits stehenden Posten geschoben habe, werden sie, Geiern gleich oder Schakalen, über die Stadt herfallen und sie rupfen und ausweiden. Das will ich verhindern. Daher will ich sichergehen, dass auch in Zukunft sich Diener der Stadt finden werden-" Er machte eine Pause und sah Antigonos tief in die Augen. "-, auf die ich mich verlassen kann." Eine weitere Olive nahm er sich und verspeiste sie. Sein Blick wanderte auf die Säulenhalle und in den Garten, bis er sich wieder Antigonos zuwandte.
    "Vielleicht siehst du dich berufen, die Geschicke der Stadt zu ihrem Wohl zu führen?", fragte er intonativ.
    "Ich werde die Tage nach dem Fest der Tyche und des Alexanders auf meinem kleinen Landgut eine Zusammenkunft veranstalten. Fühle dich dazu eingeladen als einer meiner liebsten Gäste."



    Sim-Off:

    *Ich gehe hier einfach davon aus, dass der Thread nach der Ekklesia spielt. Ich hoffe, dass ist dir genehm.


    edit: SimOff eingefügt.

    Die Stimmenzählung dauerte bei dieser Angelegenheit nicht allzu lange. Es hatte keine direkten Gegenstimmen gegeben, jedoch hatten sich die meisten Bürger enthalten.
    Als er die Tafel mit dem Ergebnis erhalten hatte, begann Nikolaos sogleich, es vorzutragen.
    "Zwei fünftel aller Bürger haben in der freien Wahl dafür gestimmt, dem Judäer Iosua, Sohn des Dabids, das Bürgerrecht zu verleihen, wenn er sich als dafür geeignet zeigt. Niemand hat dagegen gestimmt, drei fünftel aller Bürger haben ihre Stimme enthalten. Damit ist, nach uraltem Gesetz und uralter Sitte der Antrag des Iosuas angenommen. Sollte jedoch einer Zweifel haben, so möge er dies jetzt äußern."

    Dem Exegetes und Archipyrtanes Nikolaos Kerykes, der mit einem ausgeprägten Sinn für das richtige Maß und Geschick die Versammlungen der Pyrtanen geleitet hat, der nie müde war, sich die Sorgen und Anliegen der Bürger anzuhören und dafür mit dem Hintergrund langjähriger Erfahrung Lösungen zu suchen und der dem Apollon ein überaus vortreffliches Fest bereitet und mit seiner dichterischen Kraft bereichert hat.

    Für den Strategos Cleonymus, dem es zu verdanken ist, dass die von seinem Vorgänger Nikolaos Kerykes begonnenden Verbesserungen der Stadtwache weitergeführt wurden und der sich um die Sicherheit in der Stadt in besonderer Weise verdient gemacht hat.




    edit: falschen Code korrigiert.

    Wieder einmal werkelte ein Bildhauer an der Rückwand der Stoa.


    Zur Anerkennung des großartigen Einsatzes des Agoranomos Mithridates Castor, Sohn des Nikanders, der schützend seine Hände über den Handel in der Stadt gehalten hat und der das Vermögen der Stadt aufs Vortrefflichste verwaltet hat.

    "Sehr gut.", meinte Nikolaos. Er versuchte in den Gesichtern seiner Kollegen zu lesen. Ihn beschlich das Gefühl, dass er bei einigen Unmut erregt hatte mit seinen gewissermaßen Alleingängen. Er musste sich vorsehen, dass er nicht in den Ruf kam, sich Macht anzumaßen, die ihm nicht zustand. In diesem Moment entschied er, dass dies die letzte Pyrtanie sein würde, in der er die Leitung der Pyrtanenversammlung übernähme. Beim nächsten Mal würde er dafür sorgen, dass ein geeigneter Exegetes ins Amt kam, und er wusste auch schon, wer das sein würde. Diese Pyrtanie jedoch würde er es nicht vermeiden können, dass er gewissermaßen mitten auf dem freien Acker stand, auf dem der Agoranomos an Pfeilen und Schleudern übte.
    "Ich würde vorschlagen, dass wir nun zusammen den Eparchos aufsuchen, um ihm das Wahlergebnis mitzuteilen und ihn zum Fest der Tyche und des Alexanders einzuladen.", meinte Nikolaos und begann, seine Sachen zusammenzupacken. Natürlich erst, nachdem er eine Weile stehen geblieben war und die Sitzung offen gehalten hatte für weitere Anliegen. Bevor er sich von seinem Platz entfernte, der in der untersten Reihe des eckigen Pis war, das die Sitzreihen der Halle bildeten und das verdächtig ähnlich der Anordnung der Sitzreihen im leerstehenden Ratssaal war, gewissermaßen ein verkleinertes Abbild davon, bevor er sich von seinem Platz entfernte, drehte er sich nach Cleonymus und Urgulania um.
    "Kommt die Tage nach dem Fest auf mein kleines Landgut. Ich denke, wir müssen so einiges besprechen. Für eure Bewirtung ist reichlich gesorgt, und Gästezimmer werdet ihr auch finden, wenn ihr nicht den langen Weg zurück in eure Häuser antreten wollt.", flüsterte er den beiden jeweils einzeln zu, sodass der Agoranomos, auch wenn er noch so begierig nach nicht für ihn bestimmten Wissen die Ohren spitzte, es nicht hören konnte. Dann wandte er sich wieder der Versammlung zu.
    "Möchte noch jemand etwas sagen?", fragte er, obgleich sein Zögern vor dem Zusammenpacken seiner Sachen diese Frage bereits beinhaltet hatte. Er hatte sich vorgenommen, den Schein der Gleichheit und der Freiheit im besonderen Maße aufrecht zu erhalten, um Mithridates möglichst kleine Fläche zu bieten für dessen Zielübungen.

    Nikolaos musterte den Fremden von seinem geschwungenen Klismos (eigentlich ein Frauensessel, doch Nikolaos schätzte die Form, die das Sitzen auch über längere Zeit erträglich bleiben ließ für den Rücken und die Gliedmaßen) aus, als dieser eintrat.
    Der Mann trug eine Kleidung, die Nikolaos vom Schnitt her wie Barbarenkleidung anmutete, wäre sie nicht aus einem edlen Stoff gefertigt gewesen. Ein Barbarenfürst, dachte Nikolaos. Ihn wunderte, dass der Mann nicht den Hitzetod starb in diesem Aufzug. In der Glut des mittäglichen Alexandrias war diese Kleidung sicher nicht die beste.
    Das Attisch* des Mannes war zwar sehr unschön und etwas holprig, also im Grunde doch recht barbarisch, doch die Tatsache, dass er überhaupt Attisch sprach, zeichnete ihn in gewisser Weise aus.
    "Chaire", antwortete Nikolaos mit einer gewissen Höflichkeit. Indien? Das Reich Han? Nikolaos hörte dem Mann genau zu. Als dieser versprach, dem Museion Bücher schenken zu wollen, leuchteten Nikolaos Augen. Attische Übersetzungen von Schriften aus Indien und dem geheimnisvollen Land dahinter waren am Museion sehr selten, obgleich Nikolaos bereits einige in den Händen hatte. Keine Frage, wenn der Mann nicht log, war er Gold wert. Zeig her!, hätte Nikolaos ihm am liebsten sofort gesagt. Doch dann kam der Mann mit Anstellung. Ganz ohne Gegenleistung sollte sein edler Dienst an den Musen also nicht sein.
    "Das Museion lebt davon, ständig mit neuen Schriften und neuem Wissen versorgt zu werden.", antwortete Nikolaos. "Natürlich stehen dir die heiligen Hallen für deinen Dienst an den Musen offen. Wenn du jedoch in die Priesterschaft der Musen -" Und damit in eine Stellung, die dich mit einer hübschen Rente versorgt, fügte Nikolaos in Gedanken hinzu. "-aufgenommen werden möchtest, so bin ich nicht befugt, darüber zu entscheiden. Du solltest dich in dieser Angelegenheit an Theodoros wenden. Er ist der Stellvertreter unseres Bibliothekars." Dass der Bibliothekar selbst wohl inzwischen von Maden und Gewürm zerfressen war, erwähnte Nikolaos nicht. "Falls du diesen nicht antreffen solltest, gehe zu Sosimos. Er ist einer der Ältesten von uns und wird dir sicher weiter helfen können, als ich es kann." Nikolaos hatte den Beutel des Mannes bemerkt. "Du kannst in der Zwischenzeit deine Schriften bei mir unterbringen.", meinte er höflich, aber nicht frei von Hintergedanken. Gierig dachte Nikolaos an die Schätze aus dem Osten der Welt. Was wohl darunter sein mochte? Für seinen Geschmack konnte der Mann ihm gar nicht schnell genug eine Übersetzung liefern. "Möchtest du mir vielleicht die lange Geschichte erzählen, die du ansprachst?"



    Sim-Off:

    *Da dein Charakter gebürtig in Athen ist, gehe ich mal davon aus, dass du mit "Griechisch" das Attische meinst ;).


    edit: SimOff-Fußnote


    edit II: zweideutiges Demonstrativpronomen durch eindeutiges Nomen ersetzt.

    "Diese Dinge würden mir meine Arbeit auf jeden Fall sehr erleichtern und ich wäre überaus dankbar, wenn du sie übernehmen könntest.", stimmte Nikolaos seinem einstigen Mitschüler zu. "Allerdings habe ich auch Aufgaben für dich, die deiner, einem schon sehr gelehrten jungen Mann, würdiger sind. So wäre ich dir dankbar, wenn du meine Schriften zu Heilmitteln und dergleichen vor dem Hintergrund deiner bereits erworbenen Kenntnisse durchsehen könntest. Ich würde dich, sollte einmal das Werk fertiggestellt sein oder zumindest in einem Zustand, der angemessen wäre für eine Aufstellung in der Bibliothekt, im Titel miterwähnen. Das wäre deinem Ruf zuträglich, sodass du auf eine Aufnahme in die Priesterschaft des Apollons und der Musen hoffen könntest.", meinte Nikolaos wohlwollend aber gänzlich ohne die ihm sonst eigene Hoffart. "Außerdem hast du noch deine Aufgaben als Schüler zu verrichten: Mir gut zuzuhören, mitzuschreiben, mir zu antworten, wenn ich dich frage.", fügte er noch hinzu, in einem gespielt strengen Ton, jedoch nicht ohne ein Augenzwinkern. "Komme zu mir, sooft du Zeit hast; ich werde demnächst gelegentlich draußen unter der großen Zeder sprechen, du bist herzlich eingeladen, zu kommen.", meinte Nikolaos.

    "Herein", antwortete Nikolaos mit tonloser Stimme. Er hatte wieder einmal bis zur Erschöpfung gearbeitet und wollte eigentlich gerade den Wohnraum im Museion aufsuchen, der ihm als noch aus den Schätzen der Besseren der Ptolomäierkönige alimentierter Gelehrte zustand. Jedoch erhoffte er sich in dem Besucher einen neuen Schüler. Diese waren nämlich sehr dünn gesäat, es schien, als gingen die großen Zeiten der Gelehrsamkeit nun langsam ihrem Ende zu. Wenn schon der größte Kultverein der Musen und des Apollons der ganzen Welt allmählich ausstarb, wie mochte es denn mit den vielen, weitaus Kleineren aussehen?*



    Sim-Off:

    *Das ist keine historisch sondern eine spieltechnische Tatsache ;).


    Der Einfachheit halber spielen wir dies mal auf einer ganz anderen Zeitebene als der mit Antigonos, in Ordnung?

    Der Einwand des jungen Mannes, den Nikolaos zwar nicht vom Aussehen her als seinen alten Schulfreund erkannte (dafür saß er zu weit von der orchestra entfernt), jedoch an der Stimme, war durchaus berechtigt. Nikolaos selbst hatte derartiges über die Judäer gehört.
    "Ich werde sein Ehrenwort zur Bedingung machen. Um Gewissheit zu erlangen, kann ich ihn natürlich unter meiner Aufsicht dazu bringen, der Tyche oder der Isis zu opfern oder dem Hermes oder einem anderen unserer Götter. Zuvor jedoch wird er eine gründliche Befragung der städtischen Priesterschaft über sich ergehen lassen. Ich glaube nicht, dass Iosua ein Mann ist, der seinem Judengott gegenüber sehr fromm ist. Sollte er sich aber als ein solcher herausstellen, wird er das Bürgerrecht nicht erlangen, dafür werde ich sorgen. Sollten wir heute zu dem Entschluss kommen, ihm das Bürgerrecht zuzugestehen, ist das selbstverständlich mit diesen Vorbehalten behaftet. Wenn er weiterhin nur seinem Judengott opfert und nur seinen Judengott ehrt, so kann er selbstverständlich kein Bürger werden. Ich hoffe, ich konnte hiermit deine Bedenken zerstreuen. Heute geht es nicht darum, ihm das Bürgerrecht zu verleihen, sondern lediglich darum, zu entscheiden, ob es überhaupt möglich sein sollte, dies zu tun." , antwortete Nikolaos. Er selbst hatte beschlossen, sich in dieser Sache zurückzuhalten. Einem Judäer das Bürgerrecht zuzugestehen, war eine heikle Sache, sodass Nikolaos die Entscheidung nicht beeinflussen wollte. Die Prüfung hingegen würde er übernehmen.

    Nikolaos erblaßte, als Antigonos ihm die Geschichte des jungen Mannes erzählte. Bei den Göttern! Dieser Mann hätte auch Nikolaos selbst sein können... . Er erinnerte sich der Gelage, mit denen er seinen Magen und seinen Kopf strapaziert hatte, als er noch Zeit hatte, er erinnerte sich der unzähligen, immer fetter werdenden Opiumbrocken, die er geschluckt hatte, zuletzt am vorigen Tag. Er erinnerte sich der Nächte, die er im augenverderbenden Lampenlicht mit Arbeit verbracht hatte, in denen ihm sein Ehrgeiz keine Ruhe gelassen hatte, eher er vor Erschöpfung den Kopf nicht mehr aufrecht halten konnte. Er erinnerte sich der unzähligen Gastmähler, die er nur besucht hatte, um mit den einflussreichen Gastgebern in Kontakt zu kommen, um ihnen aufs widerlichste zu schmeicheln, um sie auszusaugen wie es sonst nur Schröpfköpfe oder Blutegel tun, doch natürlich nicht heilsam auszusaugen. Er erinnerte sich der nächtlichen Mysterien, bei denen er sich berauscht in Richtung der Himmlischen getanzt hatte, um sich noch Tage später zu fühlen, als sei zumindest ein Teil von ihm in der Unterwelt. Seine Kinnlade klappte, für einen kurzen Moment, ein Stück weit nach unten.
    Dann kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
    "Über deine Hilfe wäre ich sehr froh, denn ich fürchte, die Aufgabe, die ich mir vorgenommen habe, ist zu groß für ein Menschenleben.", er lächelte zart, jedoch stand ihm das Entsetzen immer noch im Gesicht geschrieben. Er stützte die zitterne rechte Hand auf der Lehne eines Sessels aus Schilfrohr ab. "Wenn du magst, kann ich dir auch Unterricht in der Sprache der Rhomäer oder aber in den großen Werken von Männern unseres Stammes geben, oder in der Geschichte, oder in der Lehre von den Ideen." Er sah Antigonos mit leuchtenden Augen an. Die Möglichkeit, vielleicht einen Schüler zu bekommen, erfreute ihn und ließ ihn seine Furcht etwas vergessen. "Die Philosophie ist durchaus auch einem Arzt nützlich." Er lächelte. "Wenn du magst, kann ich dich zu meinem Gehilfen ernennen. Dies kann dir sehr nützlich sein, denn den Gehilfen eines Mitgelehrten behandeln auch sehr grobe Gelehrte in der Regel mit einer gewissen Achtung, die sie bei Schülern vermissen lassen." Nikolaos eigenen, leidvollen Erfahrungen des Schülerdaseins waren noch nicht so lange her, dass er sie vergessen hätte.