Paulina hatte einen Scriba ihres Cousins zu sich rufen lassen. Er sollte für sie einen Brief aufsetzen. Seit ihr Cousin mit dem Kaiser in den Osten aufgebrochen war, hatte der Mann sowieso kaum noch etwas zu tun und faulenzte den ganzen Tag herum, wie ihr schon aufgefallen war.
Also trieb sie ihn gebührend an und diktierte schnell. Immer wenn er sich beklagte, oder wissen wollte, ob sie eine Formulierung tatsächlich wortwörtlich so im Brief haben wollte, wies sie ihn angemessen zurecht.
“Natürlich will ich das. Würde ich das sonst so sagen? Natürlich würde ich es nicht!“, sagte sie dann. Allem Anschein nach meinte er wohl, dass man mit einem Statthalter und Senator nicht in dieser Art umspringen könne. Aber was wusste ein Sklave schon davon? Gerade mit diesen Männern musste man sehr direkt reden. Paulina wusste das genau.
“Bist du jetzt endlich fertig? Wie kann man sich nur ungestraft einen Schreiber nennen, wenn man so langsam schreibt? Unfähigkeit nenne ich das! Du hast dir diesen Posten nur erschlichen, nicht wahr?“
An
Marcus Vinicius Lucianus
Regia Legati Augusti pro Praetore
Mogontiacum, Germania Superior
Salve Marcus Vinicius!
Ich hoffe Dir geht es gut.
Bestimmt hast Du sehr viel zu tun. So eine Provinz macht viel Arbeit und Du bist der wichtigste Mann dort, dass sehe ich ein. Aber was weiß eine ahnungslose Frau schon von diesen Dingen.
Einen Brief hätte ich allerdings schon erwartet. Sollten Dich deine Amtsgeschäfte so sehr in Beschlag genommen haben, dass Du mich ganz vergessen hast? Ich bin Deine Verlobte, vielleicht erinnerst Du dich.
Oder haben Dich andere Dinge abgelenkt? Wie ist denn Germanien so? Ich habe gehört, die germanischen Mädchen sind allesamt blond, groß und üppig. Stimmt das?
Rom ist seit einiger Zeit eine einzige Enttäuschung. Der Kaiser ist abgereist, weil er mit irgendwelchen Barbaren Krieg führen will. Seit dem ist es im Palast todlangweilig. Mir ist vollkommen schleierhaft, weshalb sich der Kaiser dafür selbst bemühen muss, wozu hat er schließlich seine Generäle? Aber er ist der Kaiser und wird schon am besten wissen, was gut für uns alle ist. Vollkommen lächerlich ist jedoch, dass auch mein Cousin Aelius Quarto meint, unbedingt mit ihm gehen zu müssen. Als ob er das bei seiner Stellung und in seinem Alter noch nötig hätte.
Außerdem sind vor einiger Zeit sein Adoptivsohn und dessen Tochter hier eingezogen. Gebürtige Claudier, die sich natürlich wie alle Patrizier für etwas Besseres halten. Dabei wissen sie überhaupt nicht was sich gehört und sie nehmen die Sklaven über Gebühr in Beschlag. Es ist eine Zumutung. Manchmal lässt man mich sogar warten und zwar länger als akzeptabel ist.
Wie heißt die Stadt noch gleich, in der Du residieren musst? Mogontiacum? Ich weiß sehr wohl, dass ich mir über diesen Ort keine Illusionen machen darf. Es ist bestimmt ein kümmerliches, rückständiges und schmutziges Dorf. Aber besser die Frau des Statthalters in so einem Provinznest, als eine alleinstehende, wehrlose Frau hier in Rom.
Wann holst Du mich endlich zu Dir? Wann heiraten wir endlich? Du musst mich dringend erlösen.
Deine Aelia Paulina
ROMA - ANTE DIEM VI ID IUL DCCCLVII A.U.C. (10.7.2007/104 n.Chr.)
Endlich war der störrische Kerl fertig.
Paulina unterzeichnete den Brief und ließ nach Nakhti schicken, der ihn zur Post bringen sollte.