Marschieren. Einen Schritt vor den anderen. Schritt um Schritt. Viele tausend Male. Eine eintönige Angelegenheit war es. Aber vielleicht auch eine meditative. Es konnte den Geist klären, wenn man sich darauf einlies.
So war es auch bei Licinus an diesem Tag. Nach der sehr unruhigen Nacht und dem Zwischenfall beim Morgenappell war er stur geradeaus gestapft und hatte nur dann und wann mal das Marschtempo ausgerufen. Wer das Gefühl hatte, dass er nicht so ganz bei der Sache wäre, lag damit verdammt richtig.
Seine Gedanken setzten sich dort fort, wo sie in der vergangenen Nacht geendet hatten, bei dem Brief des Decimus Serapio.
Die Punkte, die Serapio angeführt hatte, kannte er auswenig.
Erstens die Aussage des Küchensklaven. Schritt, Schritt, Schritt. Unter Folter. Schritt. Er hatte in Parthia selbst einer Folterung beiwohnen müssen. Schritt, Schritt, Schritt. Befehl des legatus. Schritt. Man bekam Antworten. Schritt. Genau auf die Fragen. Schritt. Die man hören wollte. Schritt. Würde der Mann gegen den Vescularier aussagen? Schritt. Wenn er annehmen musste, dass die Praetis zu diesem standen? Schritt, Schritt, Schritt. Nein, offensichtlich nicht. Schritt. Aber das war nur ein Punkt. Schritt. Was war mit den anderen? Schritt.
Tiberius hatte zuvor schon Kontakt mit dem legatus in Syria. Schritt, Schritt, Schritt. Das war eine harte Nuss. Schritt. Was für Gründe konnte es geben? Schritt. Warum fuhr ein Senator nach Syria? Schritt. In dieser Situation? Schritt. Landgüter besuchen? Schritt. Fiel eindeutig aus. Schritt. Was noch? Schritt. Urlaub? Schritt. Schwachsinn! Schritt. Was konnte es noch geben. Schritt, Schritt, Schritt. Es folgten eine Menge weitere Schritte, aber Licinus konnte keine Antwort finden.
Von vorne. Schritt. Tiberius war in Rom. Schritt. Er war ein bedeutender Mann da, irgendwas im cultus. Schritt, Schritt, Schritt. Er hatte Kontakte. Schritt. War es möglich...? Schritt. War es wirklich eine Verschwörung? Schritt, Schritt, Schritt. Hatte der Tiberier etwas mitbekommen? Schritt. Von dem Plan den Kaiser zu töten? Schritt, Schritt. Warum hatte er nicht gewarnt? Schritt. Aus Angst? Schritt. Und dann nach Syria? Schritt. Zur Sicherheit? Schritt. Dort Verbündete finden? Schritt. Warum zurück? Schritt. Klar! Schritt. Mit Rückendeckung fühlte man sich sicherer. Schritt.
Und der Selbstmord. Schritt. Macht Sinn. Schritt. Die Praetorianer vor der Tür, er gegen den Vescularier. Schritt. Er hatte Angst. Schritt. Vor der Folter. Schritt. Da war es besser zu sterben. Schritt.
Blieb die Frage: Warum zurück? Schritt, Schritt, Schritt. Was war wenn...? Schritt. Mit Rückendeckung? Schritt. Eine Opposition aufbauen? Schritt. Und zu langsam gewesen? Schritt. Möglich? Schritt. Sicherlich! Schritt. Wahrscheinlich? Schritt. Zumindest logisch. Schritt. Verdammt logisch. Schritt. So musste es also gewesen sein. Schritt.
Ja, das war es. Schritt. Sein alter Freund. Schritt. Er tat ihm Leid. Schritt. Alles lag klar, und doch hatte er es falsch interpretiert. Schritt, Schritt, Schritt. Die Stadt. Schritt. Die Politik. Schritt. Sie mussten seinen Blick getrübt haben. Schritt, Schritt, Schritt.
Ein Stein, nein, ein ganzes Gebirge, fiel Licinus vom Herzen. Das war die Lösung. Das war sie, das musste sie sein. Er tat das richtige hier. Sie waren auf der richtigen Seite, gegen den Kaisermörder. Aber auch sein alter Freund wollte ihn nicht täuschen. Sondern war selbst getäuscht worden. Das war bitter, aber besser als Vorsatz.
Vielleicht bemerkten die Soldaten in seinem Rücken, dass er nun lockerer ging. Weniger grüblerisch. Und erst jetzt bemerkte er, wie nah sie schon ihrem Ziel waren, er konnte schon die Stadt Verona und die Feldlager ausmachen.