Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Ich möchte mich bei allen, die dieses schöne Forum so lange und mit so viel Einsatz, Zeit, Herzblut und Fairness bewahrt und gepflegt haben ganz herzlich bedanken! =)


    Und auch ein ganz großes Dankeschön an alle, die jetzt in die Bresche gesprungen sind, um es weiterzuführen! Ich bin froh, dass es weiter Bestand haben und Raum für schöne Geschichten bieten wird. :]

    Ein ungutes Kribbeln lief über meinen Nacken, als ich gleichbleibend Schritte hinter mir vernahm. Das war vielleicht unsinnig (ich muss zugeben, dass ich seit der heimtückischen Attacke des Sciurus, möge sein Kadaver am Grunde des Mare Nostrum die Fische fett machen, ein wenig schreckhaft geworden war), vielleicht aber auch nicht. War es doch eine Falle des Tantasius gewesen... doch warum sollte er dann so verspätet zuschlagen? Ich ging aufrecht in der Mitte der Gasse weiter, ließ mir nichts anmerken, hielt jedoch die Augen offen nach einer geeigneten Abzweigung, wo ich abbiegen und mich verbergen oder auch selbst aus dem Hinterhalt zuschlagen könnte...
    Doch was ich dann erblickte, war noch viel besser: es war ein Wirtshausschild, mit einem schnauzbärtigen Gesellen, der sich ein schäumendes Getränk in den Rachen goss. Zwei Zecher traten gerade, sich gegenseitig stützend, aus der Türe. Durch deren Öffnung fiel ein einladendes Lichtviereck auf das ranzige Pflaster, Stimmen und Musik wehten hinaus.
    Erleichtert über diesen Ausweg bog ich schnurstracks in die Caupona ein. Dabei warf ich einen Blick zurück, sah aber niemanden. Vielleicht waren es nur meine überspannten Nerven gewesen, oder vielleicht war ich gerade einer Messerstecherei entronnen. Doch wenn ich daran zurückdachte, wie viele Leichen wir hier in meiner Urbanerzeit immer aus der Gosse gefischt hatten – deprimierend war das gewesen damals, war mir auf die Dauer richtig an die Nieren gegangen – dann hielt ich es doch für das Klügste, hier ein wenig zu verweilen und mir dann irgendeinen Hausknecht mit Stecken und Laterne für den restlichen Heimweg zu mieten.


    Wider Erwarten war die Kneipe keine Kaschemme. Die Luft war zwar rauchig vom billigen Öl der Lampen und das Publikum "urig", doch es roch ganz gut nach Fleisch, Gebackenem und Gewürzen, vom Tresen her, wo eine vierschrötige Frau gerade mit einem Schöpflöffel zugange war. Über ihr hingen eine Menge Würste und Schinken von der Decke. Ich besorgte mir bei ihr einen Becher verdünnten Landwein und setzte mich in eine freie Ecke auf eine gemauerte Bank, gab mir den Anschein mich entspannt zu fläzen, hatte aber den Rücken zur Wand und dem Raum im Blick. Ein verhutzelter Pfeifer spielte auf einer Knochenflöte, und das gar nicht schlecht, und ein dürres Mädchen sang dazu in einer fremden Sprache.

    [Blockierte Grafik: http://fs5.directupload.net/images/151204/wbrzt324.jpg|Decimianus Icarion


    Da er erfuhr, dass der Hausherr ausgegangen war und die Domina soeben nicht empfing, übergab Icarion mit freundlichem Lächeln und den besten Empfehlungen die Mitbringsel auf der Schwelle: den versiegelten Brief für den Herrn, die Blumen für die Dame, und zuletzt ebenfalls für die Dame das Rosenholzkästchen. Eine kleine Amorette mit Pfeil und Bogen war darauf abgebildet, und in ihm befanden sich kunstvoll gestaltete kleine Süßigkeiten.
    Icarion bewunderte noch einen Augenblick die Harmonie von Säulen und Fensterumrahmungen an der Fassade des Hauses, dann kehrte er dem Domus den Rücken, nicht ahnend welches Verhängnis schon allzu bald darüber hineinbrechen würde.


    Simoff: Angepasst ans plötzliche Massaker.


    Die Informantin war ausgesprochen scheu. Aus diesem Grund traf ich sie allein, und zwar im Hinterzimmer eines Perückenmachers in der Subura (lange Geschichte, das). Zwischen Holzköpfen, Haarzöpfen, Knüpfbrettern und hochaufgetürmten Kreationen – meisten rotgefärbt, das war wohl der neueste Subura-Schick – erfuhr ich ganz erstaunliche Dinge über die Spielschulden, die mein werter Mit-Tribun Tantasius angehäuft hatte: ausgerechnet der palmyrensische Gesandte war ihm, wenn auch um zwei Ecken bei der Tilgung behilflich gewesen. Ebenjener Gesandte, den wir schon lange verdächtigten, des verfluchten Shah-in-Shah Augen und Ohren hier zu sein! War Tantasius der Maulwurf? Es passte alles zusammen... fast schon zu gut. Die Informantin wollte kein Geld, gab vor aus Rache zu handeln, stets ein unzuverlässiges Motiv.
    Mir schwirrte der Kopf, als ich, in einigem Abstand zu ihr, die Werkstatt verließ. Ich erwog, Tantasius einige Informationen zuzuspielen, über ein nicht all zu wichtiges Vorhaben... vielleicht einen Geldtransport zur Unterstützung romfreundlicher Kräfte in einer der Grenzstädte... um somit zu überprüfen ob diese durch ihn an den Feind durchsickern würden... doch natürlich opferte ich ungern Agenten. Ihn jedoch zu beschuldigen ohne Beweise zu haben, das könnte wiederum mich selbst den Kopf kosten.


    Entschlossen verschob ich diese Gedanken auf den morgigen Tag, und achtete lieber auf meine unmittelbare Umgebung, denn so ganz ohne war es nicht, alleine hier unterwegs zu sein.
    Andererseits auch... befreiend, endlich mal wieder ohne Leibwächter im Schleptau. Ich war inkognito, einfach gekleidet, mit einem ungefärbten Pallium, unter dem ich den Pugio umgeschnallt trug, dazu (wie immer) verborgen unter der Tunika das Stilett. Narcissus hatte mir die Haare in der Art der Straßengockel nach hinten geölt, und den Schmiss auf meiner Wange gekonnt überschminkt. Kurzum, ich war ein sich nahtlos in das Straßenbild einfügender Passant und genoss es, auf den Spuren der Vergangenheit ein wenig durch das Viertel zu schlendern. Ich machte auch einen kleinen Abstecher in die Wassergasse, aber die Insula in der ich damals gehaust hatte war abgerissen und eine neue, die ebenso Bruchbudig aussah, an ihre Stelle gesetzt. Mit einem Anflug von Nostalgie spazierte ich an der Kneipe vorüber, wo ich damals, vor Ewigkeiten, mit Hannibal und Scintilla das skandalöse kleine Stück geschrieben hatte... keine Schlachtfeldrede hatte mich je so euphorisch gemacht wie unser unverfrorener Auftritt damals.
    Dann verweilte ich längere Zeit am Argiletum, bei den Antiquariaten, und stöberte in den Kisten mit deren Schätzen, barg daraus eine zerfledderte Schriftrolle mit Anakreonischen Versen, und ein Fragment eines Reiseberichtes ins ferne Land der Serer. Die gönnte ich mir.
    Über dem Stöbern war die Zeit vergangen, und es wurde schon dunkel, als ich mich, die Schriftrollen in der Hand, zügig auf dem Heimweg machte. Ich kam in der Nähe des Platzes vorbei, wo wir damals beim großen Rattenbeißen eine gelungene Verhaftung durchgeführt hatten, umging eine schleimige Pfütze, und erinnerte mich an den wackeren kleinen Kämpfer Ultor. Bestimmt war er längst zu seinen Ahnen gegangen.
    Oder? Wie alt wurden eigentlich Frettchen?

    [Blockierte Grafik: http://fs5.directupload.net/images/151204/wbrzt324.jpg|Decimianus Icarion


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    Der junge Mann, der an diesem schönen Sommertag in Begleitung eines Leibwächters vor dem Haus der Iulier erschien, war von zedernholzfarbenem Teint, geschmackvoll gekleidet, trug sich mit unaufdringlicher Eleganz. Eine Umhängetasche barg die Botschaft seines Patrons und ein Kästchen mit erlesenem Naschwerk, in der linken Hand hielt er ein üppiges Blumenbouquet, in dem feuerrote Lilien mit schneeweißen Königshyazinthen kontrastierten, und mit der rechten Hand griff er nach dem Türklopfer und pochte vernehmlich an die schwere Pforte.
    Sobald diese sich öffnete grüßte er höflich und sprach mit wohlklingender Stimme:
    "Salve! Ich bin der Libertus Decimianus Icarion. Ich komme im Auftrag meines Patrones, des Tribunus Decimus Serapio, mit einer Botschaft für den Hausherrn und einer kleinen Aufmerksamkeit für die edle Dame Iulia Graecina."



    An den Vigintivir G. Iulius Caesonius




    Gardetribun F. Decimus Serapio grüßt den Vigintivir G. Iulius Caesonius.


    Die Schönheit der Damen Deiner Gens ist sprichwörtlich.
    Und so wird es Dich wohl kaum verwundern, dass Dein Mündel, welches ich vor kurzem die Freude hatte kennenzulernen, einen starken Eindruck hinterlassen hat. Ihr Liebreiz und ihr angenehmes Wesen finden nicht ihresgleichen, und haben in mir den Wunsch erweckt, sie als die Meinige heimzuführen.
    Ich möchte in aller Form um die Hand der holden Iulia Graecina anhalten, und bitte Dich um ein Treffen, um gegebenenfalls die Konditionen der Ehe zu besprechen.


    Vale bene




    Im Schweiße meines Angesichtes saß ich über dem Papyrus. Die Worte flossen mit der Zähigkeit von kaltem Pech aus meinem Stylus.
    Gardetribun F. Decimus Serapio grüßt den Vigintivir G. Iulius Caesonius.
    Leidig stützte ich den Kopf in die Hand und seufzte. Seit meinem Rendez-vous mit der jungen Iulia war nun schon einige Zeit verstrichen. Erst einmal hatte ich mich davon erholen müssen - was mir in den Armen des herrlichen Marsyas ja auch ganz gut gelungen war. Dann hatte ich meine jüngste Sinnkrise im Serapistempel auskuriert. Danach hatte ich einfach generell mein bestes getan, um immerzu so beschäftigt zu sein (Torsionsgeschütze, Nabataeaangelegenheiten, Dreck sammeln über meine Kollegen, Biga-Training...), dass ich partout keine Zeit gehabt hatte, die Brautwerbung anzupacken.
    Doch heute war ein schöner Sommertag, ich hatte dienstfrei, und jegliche Ausflüchte waren mir ausgegangen. Die Sonne malte muntere Lichtkringel auf das Bodenmosaik, im Hortus zwitscherten die Vögel, und nebenan spielte Icarion auf seiner Harfe linde Klänge, so als wollten sie mich allesamt in meinem Gram verspotten.


    Bleischwer wog der Stylus, als ich ihn wieder in die Tinte tunkte.
    Die Schönheit der Damen Deiner Gens ist sprichwörtlich.
    Ach, schweiften meine Gedanken schon wieder ab, aber wie hinreißend erst der junge Dives gewesen war, damals, als er noch unverdorben und unverhärmt von der politischen Schlangengrube gewesen war. Viel lieber hätte ich ihm einen Brief geschrieben... aber er grollte mir wohl noch immer. Vielleicht wenn ich einfach mit der Biga nach Bovillae führe und ihn überraschte.... aber am Ende würde er sich bedrängt fühlen, und mir noch hartnäckiger grollen... - Halt, zurück in die Realität:
    Und so wird es Dich wohl kaum verwundern, dass Dein Mündel, welches ich vor kurzem die Freude hatte kennenzulernen, einen starken Eindruck hinterlassen hat. Ihr Liebreiz und ihr angenehmes Wesen finden nicht ihresgleichen, und haben in mir den Wunsch erweckt, sie als die Meinige heimzuführen.
    Ich möchte in aller Form um die Hand der holden Iulia Graecina anhalten, und bitte Dich um ein Treffen, um gegebenenfalls die Konditionen der Ehe zu besprechen.

    Puuh... das reichte. Unterschrift, Siegel, fertig.
    "Icarion!"


    Die Harfe verstummte, und sein leichter Schritt näherte sich. Er trat von hinten an mich heran, legte mir die Hand auf den Rücken und beugte sich interessiert über den Schreibtisch.
    "Geschafft?"
    "Ja..... Bringst du den Brief bitte zum Haus der Iulier? Und für Iulia selbst, besorg Blumen und Konfekt... aber von Gustus."
    "Natürlich."
    "Und bring mir auch was mit... etwas mit Pistazien... oder Pinienkernfüllung..."
    Das hatte ich mir nun wirklich verdient.


    "Neptun sei Dank, dass du sicher angekommen bist!" erwiderte ich und klopfte ihm fröhlich auf die Schulter, lachte als er von den Widrigkeiten der Überfahrt erzählte. So freimütig wäre mein Bruder nie gewesen, der war immer darauf aus gewesen sich im allerbesten Lichte darzustellen.
    "Das sind wir Decimer wohl alle nicht..." Bis auf eine Ausnahme: "...außer Cousin Massa aus Piraeus, der hat das Flagschiff der Misenensischen Flotte kommandiert. - Aber sag, Falcula, wie geht es deiner Mutter und deinen Schwestern? Verdreht Carmelita noch immer ganz Tarraco den Kopf?"
    Meine kleine Nichte Camelia-Carmelita, unser aller Augenstern, war ja so ungeheuer begabt! Ich erinnerte mich gerne an die Zeit, die sie bei uns in Rom verbracht und uns mit ihrem meisterhaften Kitharaspiel erfreut hatte. Und auch ihre Schwester Milonia war eine wahre Künstlerin. Neugierig fragte ich mich, ob Falcula wohl ebenfalls das mütterliche Talent geerbt hatte – wobei ihm wohl eher zu wünschen war, dass dies nicht der Fall war, so abschätzig wie unsere Gesellschaft auf die Künste schaute, beziehungsweise diese an Sklaven delegierte. Ich spielte meine Syrinx ja auch nur heimlich.

    Valentinas Rat ließ mich etwas betreten zurück. Ich hatte immer gedacht, dass ich unsere Sklaven respektvoll, ja die langjährigen Mitglieder der Hausgemeinschaft oft vielleicht sogar etwas zu nachgiebig behandelte. Gerade erst hatte ich unserer Vilica für treue Dienste die Freiheit geschenkt... Aber vielleicht hatte der raue Ton der Castra doch so sehr auf mich abgefärbt, dass ich ihn nicht mal mehr bemerkte? Nachdenklich rieb ich mir den Nacken. Ich hielt große Stücke auf Valentinas sanfte Klugheit, schätzte es auch, dass sie zwar diplomatisch aber ehrlich war, und beschloss ihren Rat zu beherzigen.
    "Hmmm. Ich werde das mal ausprobieren." meinte ich, ihr liebes Lächeln erwidernd. "Ein Versuch kann ja nicht schaden."


    Dass ich meine herrliche Junggesellenbude im Grunde absolut nicht hergeben wollte, schien sie mir an der Nasenspitze abgelesen zu haben...
    Ich legte den Kopf schief, als sie so vorsichtig von ihrem neuen Zuhause sprach und meinte ehrlich: "Ich freue mich darauf, mit dir bald unter einem Dach zu wohnen."
    Valentina hatte einfach so was an sich... so was.... ungreifbares und lichtes, das sich wie eine Naturkraft um sie herum ausbreitete und eine Atmosphäre von Harmonie entstehen ließ.
    "Und wie stehen die Dinge auf deinem Gut in Ardea?" fragte ich weiter. "Auf unseren hispanischen Latifundien ist die letzte Olivenernte sehr gut ausgefallen."


    Tatsächlich erkundigte sie sich selbst nach meinen Heiratsplänen. Kurz zögerte ich, doch dann überwog der Wunsch, meiner mitfühlenden Amica mein Herz auszuschütten.
    "Ach!" Leidig fuhr ich mir durchs Haar, raufte es mir, während ich erzählte:
    "Ach, Valentina. Das ist alles so mühselig. Weißt du, ich habe Großtante Drusilla um Hilfe gebeten, und sie hat ihr Matronennetzwerk aktiviert und mir eine Liste von Kandidatinnen erstellt und ein paar Treffen habe ich auch schon durchgestanden, aber ich kann dir sagen: Schanzarbeiten an der Front sind eine größeres Vergnügen als diese gezwungenen Kennenlernen. Die sind alle so... jung und hohlköpfig... oder seltsam... und kichern fortwährend. Nein wirklich, es war noch keine dabei bei der ich mir im Entferntesten auch nur vorstellen könnte.... nein, wirklich nicht...." Ich seufzte schwer. "Naja, aber es hilft ja nichts, ich komme ja nicht drumherum. Nächste Woche habe ich schon das nächste Treffen... irgendeine Iulia..."
    Ich wünschte, ich hätte die ganze Angelegenheit schon hinter mir. Aber das lag ja leider an mir selbst, dass ich das noch nicht hatte.

    "Auch einen Happen?" fragte spöttisch der Jüngling, und wies einladend auf das makabere Mahl. "Oder etwas Lektüre gefällig? Du bist mal wieder in den Schlagzeilen..."
    Irgendwie war es dazu gekommen, dass ich mich ebenfalls auf einer der Klinen befand und eine brandneue Ausgabe der Acta Diura in den Händen hielt.
    IM BETT MIT EINEM KAISERMÖRDER - SKANDALÖSE ENTHÜLLUNG
    lautete die Überschrift des Leitartikels.
    "WIE ICH EINEN JAHRHUNDERTMORD AUFKLÄRTE UND DEM HAUPTSCHLDIGEN VERFIEL" - DECIMUS BRICHT SEIN SCHWEIGEN!
    Fassungslos ließ ich das Blatt sinken, und tatsächlich war mein erster Gedanke, dass die Acta seit den Zeiten, als meine Tante Lucilla und später meiner Schwester am Ruder gestanden hatten, doch gewaltig an Niveau verloren hatte. Dann erst wurde ich wütend.
    So ein Quatsch!" schimpfte ich, "Manius ist keineswegs der Hauptschuldige! Er ist... er war nur... dabei, als sie.... Er ist da so reingeraten... von den Ereignissen überrollt worden..."
    Der impertinente Jüngling jedoch lachte mich aus.
    "Hahaha," prustete er, "du Heuchler!"
    Dieser Nichtnutz! "Na warte!" schnaubte ich, und packte ihn grob bei den Schultern, schüttelte ihn, dass ihm der Kranz schief in die grinsende Visage rutschte. "Was weist du denn schon vom Leben?!"
    "Ich weiß, dass diese blasierte Gesellschaft mich einfach nur anwidert!" versetzte er hitzig, "Das alles ist so hohl und leer und ich fasse es nicht, dass du bei dem ganzen Zirkus ernsthaft mitmachst! Was zählt da denn?! Doch nur Macht und Geld und Prestige, in einem Regime, das auf Unterdrückung basiert, und Krieg, und banalen Spektakeln für die dummgehaltenen Massen!!"
    Jetzt, jetzt erst, dämmerte mir die Erkenntnis.
    "Flosculus?" fragte ich schwach. Doch er war mir schon wieder entwischt, wie ein Nebelschweif, und in meiner Hand blieb nur der Mohnblütenkranz zurück.
    Aus der Ferne schon, hörte ich ihn noch über mich lachen, und ein Raunen wie ein Echo seiner...meiner?... Stimme lag in der Höhle:
    "Klio lässt dir sagen, du lebst noch immer von gestundeter Zeit. Sieh genau hin."
    Dann war er unwiderbringlich fort.


    Rot wie Purpur und vergossenes Blut leuchteten die Blüten in meiner Hand. Ich sah genau hin. Mein Blick war eigentümlich geschärft. Durch die ungeheure Intensität der Farben sah ich hindurch, und erkannte, dass verschlungene Stränge ihr Wesen waren, und noch tiefer ging mein Blick, und ich sah, dass diese Stränge aus unzähligen kleinen Buchstaben bestanden, so zahlreich wie die Sterne am Firmament, die umeinander wuselten wie Käfer und sich zu immer neuen Worten und Sätzen formten, und zuletzt lösten sich sogar die Lettern in noch kleinere Teilchen auf, wurden zu einer Unendlichkeit kleiner aufrechtstehender Striche und ovaler Kreise, rätselhafte Kolonnen, die schwindelerregende Bahnen zogen. Und nicht nur die Mohnblüten bestanden aus diesem mysteriösen Stoff, je schärfer mein Blick wurde, um so mehr breitete sich das Phänomen aus, griff auf meine Finger über, meine Arme, zog sich durch mich hindurch, durch alles...
    Etwas rief nach mir, etwas von der anderen Seite, forderte mich auf mich selbst zu erkennen... doch in heillosem Schrecken vor der Auflösung, die da von mir... von allem!... Besitz ergriffen hatte, wandte ich mich ab und ergriff die Flucht.
    Da nahte unversehens Hilfe – es waren die gesottenen Skorpione, die mir beistanden. Sie formierten sich in einer prächtigen Phalanx auf dem Tisch und reckten kämpferisch die Stachelschwänze, dazu stimmten sie schmetternd ein Lied an – und zwar das Chorlied aus Medea:
    "Wo heftige Liebe den Mann /
    Vom Gleise reißt, dem kann sie nicht /
    Würde verleihen noch Ruhm."

    So deckten sie todesmutig meinen Rückzug. Sogar die schon halb aufgegessenen hatten sich eingereiht, versehrte Invaliden...
    Zwei Öffnungen in der Höhlenwand taten sich vor mir auf, die eine mit einem roten Vorhang verhängt, die andere mit einem blauen... Auf diesen hastete ich zu, stürzte mich in das Lichtblau, das mich kühl und wohltuend umfing...


    ~ ~ ~


    Ich erwachte auf meinem Widderfell, davon dass die Tempeltüren rituell geöffnet wurden, und das Sonnenlicht hell auf das Standbild des Ewigen fiel. Gähnend und mich streckend versuchte ich, der Träume der Nacht wieder habhaft zu werden, doch sie waren schlichtweg fort, wie weggeblasen.
    Stutzig rieb ich mir den Nacken, doch es war wie es war. Erstaunlicherweise fühlte ich mich trotz des unbequemen Lagers herrlich ausgeschlafen und erfrischt. Nach der Morgenzeremonie hatte ich dann meinen Termin zur Traumdeutung bei meinem alten Mentor Anastasius. Ich hatte mir ja auch einen Hinweis darauf erhofft, ob es wirklich das Richtige war, um Iulia zu freien, doch leider gab es nichts zu deuten, weil nicht mal ein vager Hauch der Erinnerung haften geblieben war. Anastasius meinte ungerührt, auch dies habe gewiss seinen Sinn, und gerade dem Verborgenen sei die größte Wirkungsmacht inne.
    Aha? Nun gut.
    Ich verabschiedete mich und schlug, gefolgt von meinem Leibwächter, den Heimweg durch das erwachende Rom ein. Es war ein herrlicher Morgen, ganz klar, die Stadt unter einem lichtblauen Himmel wie frisch gemalt, die Farben satt und leuchtend.
    Auf dem Weg kaufte ich mir (und auch meinem Sklaven) von einem Straßenhändler eine köstlich duftende Teigtasche. Sie war außen schön knusprig, innen mit gut gewürztem Fleisch (wie gut dass ich kein Serapis-Myste war) und Ziegenkäse gefüllt. Kauend, jeden Bissen genießend, spazierte ich weiter durch die Stadt Richtung Caelimontium, und tagträumte dabei ein wenig von einem umwerfenden Satyren mit eiserner Maske... Außerdem entschied mich mich spontan dafür, dieses Jahr aber nun wirklich mal wieder beim Equus october mitzufahren. Es war noch genug Zeit fürs Training und es würde gewiss ein großer Spaß werden.


    ~ Ende ~

    Mit angehaltenem Atem sah ich, wie seine Hände zur Eisenmaske gingen, sie abnahmen, und darunter wiederum sein wahres Gesicht zum Vorschein kam. Das Lächeln, das um den herrlichen Schwung der Lippen spielte, war hinreißend... wie von unsichtbaren Fäden gezogen legten sich meine Hände huldigend um das makellose Antlitz, und ich reckte mich ein wenig, um auf seine stattliche Höhe zu kommen, näherte meine Lippen den seinen, um endlich... -


    WAS? ICH?!
    Erschrocken von seinem... eigentlich nur fairen... Ansinnen stockte ich nur eine Handbreit vor seinem Gesicht, unwillkürlich nach der schützenden Bronze fassend, und mein Herz hämmerte nicht wie ein Glutherz, sondern eher wie ein Hasenherz.
    "...das... das kann ich nicht." stammelte ich, hin und her geworfen wie ein Schiffbrüchiger zwischen der Sturmflut seines alles bezwingenden Charmes und den Klippen der Vernunft... oder des kleinen Restes, der mir zumindest noch verblieben war, und der mir mit kalter Spielverderberstimme sagte:
    Ganz schlechte Idee, Faustus.
    Warum hatte ich Tonto es von ihm verlangt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich mich revanchieren müsste! Ich sollte jetzt einen gewandten Vorwand finden, es ihm abzuschlagen... doch im Bann des Marsyas... den tiefen Blick der dunklen Augen erwidernd... als wären wir Liebende... und vielleicht waren wir das ja auch, Liebende für diese Nacht dionysischen Rausches und grenzenloser Verzückung... fiel mir kein Vorwand ein, dafür jedoch sogleich viele gute Gründe dafür, dass es doch gar nicht so schlimm war, seinem Wunsch zu willfahren.
    Marsyas ist nicht von hier. Er ist bestimmt... ein Athlet vom Peloponnes... ein preisgekrönter Pentathlet, hier für irgendeinen Wettkampf... darum trank er anfangs auch nur Wasser... also, woher sollte er mich kennen... überhaupt, mein Stern ist längst gesunken, mich kennt keiner mehr... und in dem Schummerlicht hier, da erkennt mich sowieso niemand... nur für einen kurzen Moment...


    Und in dionysischer Vermessenheit murmelte ich: "Ach was solls!" und zog mir die Halbmaske vom Kopf. Mir war, als würde ich fallen und fliegen zugleich, wie wenn ich mein Gespann halsbrecherisch im gestreckten Galopp um eine scharfe Kurve lenkte... als ich ihm mein Gesicht zeigte, und dann endlich wahrhaftig seine Lippen fand. Sie waren so heiß wie das Eisen kalt gewesen war, als ich sie küsste, zuerst ganz weich und andächtig, dann feurig und von seinem Feuer wiederum noch heißer entflammt, neckend und zärtlich ein wenig beißend, Lippen und Zungen verschmelzend. So eng umschlungen wir auch standen, es war noch immer zu viel Stoff zwischen uns, und ungeduldig schob ich seine Chlamys zur Seite, konnte sie ihm jedoch nicht abstreifen, denn dafür hätte ich aufhören müssen, ihn zu küssen und das war gerade ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. Begehrlich ließ ich meine Härte an seine Lenden drücken, spürte die Macht der seinen und die berauschende Stärke seiner Umarmung, hatte, noch immer leidenschaftlich küssend, eine Hand in die Fülle seiner dunklen Locken gewühlt, die andere fuhr fest über sein muskulöses Hinterteil, liebkosend, aufreizend und fragend.

    Ergo, es war alles bestens. Ich hatte alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte, und vieles von dem andere nicht mal zu träumen wagten.
    Jedoch: woher kam dann immer wieder diese nagende Unzufriedenheit, dieser Überdruss, dieser Gedanke "soll das denn schon alles gewesen sein?". Mir war, als wäre alles schon mal dagewesen...
    Das Widderfell war rau unter meiner Wange. Ein anderer Tempelschläfer murmelte im Schlaf vor sich hin. Mit leisen Schritten durchquerte ein Myste die Cella und wechselte die Kerzen vor dem Bild des Ewigen. Das Untier mit den drei Köpfen, welches zu seinen Füßen wachte, fletschte die Zähne...
    Meine Lider waren schwer.


    Ein leises Lachen war vor mir in der Dunkelheit, ein Schemen und Schritte, die sich leichtfüßig entfernten. Ohne Ariadnefaden war ich in dieses Labyrinth geraten. Was sollte ich tun, als den Schritten zu folgen?
    "Warte!"
    Ich tastete mich vorwärts, hastete durch die Schwärze. Es ging abwärts. Einzelne Bänder von Hieroglyphen wie in einem ägyptischen Grab waren an den Wänden, rätselhaft und unleserlich. Als ich zur nächsten Wegkreuzung kam, konnte ich einen Blick auf die Gestalt vor mir erhaschen – ein Jüngling, hübsch und wohlgestalt, wenn auch nicht gerade kräftig, in einem leichtgegürteten Chiton, einen Blütenkranz auf dem langen dunkle Haar... Einen Blick über die bloße Schulter warf er mir zu, ein kokettes Lächeln, und schon war er wieder fort, nur seiner Schritte Widerhall drang noch an mein Ohr... Irgendwoher kannte ich ihn, mir fiel nur gerade partout nicht ein woher!
    Der Gang weitete sich zu einer Kammer. Sonnenlicht fiel in einzelnen Lichtstrahlen durch Gesteinsritzen, und Wurzeln hingen von der Decke wie Medusenhaar. Ich strich sie beiseite und fand mich vor einer Klinengruppe und einem gedeckten Cenatisch. Der Jüngling hatte sich auf eine Kline gefläzt und öffnete gerade mit einer Zange ein großes Schalentier, pulte genüßlich das weiße Fleisch aus den Ringen des... schwarzen... Panzers. Das war kein Hummer. Ein übergroßer Skorpion war es, den er hier verspeiste, und auf silbernen Platten lagen noch viel mehr, appetitlich angerichtet mit Zitronenscheiben und Petersilie garniert.
    "Was zum Hades...?"
    Er blickte kauend auf, einen halben Skorpionschwanz mit hochgerecktem Stachel noch in der Hand. Seine Augen waren sehr blau, mit Kohlestift umrandet, der Kranz auf seinem Kopf hingegen bestand aus duftigen roten Mohnblüten. Der Eindruck ihn irgendwoher zu kenne wurde stärker... und sein Name... der lag mir auf der Zunge, doch... ich bekam ihn einfach nicht zu fassen...!

    Eines schönen Tages kehrte ich vom Dienst in der Castra nach Hause zurück und fand unser Atrium voll Gepäck und emsiger Sklaven. Ein junger Mann, mit dem Rücken zu mir stehend, sagte gerade etwas von '...kann ich unmöglich meinem Onkel unter die Augen treten'.
    "Schon passiert." erwiderte ich lächelnd, und trat auf ihn zu um ihm herzlich die Hand zu drücken.
    "Falcula?" Meine Schwägerin hatte mir geschrieben, dass der Junge sich nach Rom aufgemacht hatte. Ich musterte ihn, und wurde ganz sentimental, als ich die Züge meines verstorbenen Bruders in den seinen... 'widergespiegelt sah' wäre zu viel... er war viel schmaler als Scaurus es gewesen war... aber die Ähnlichkeit war ganz klar da.
    "Willkommen! Wie war die Reise?"

    Ein wohlig erschauderndes Seufzen kam über meine Lippen. In der Sparte 'geistreiche Erwiderungen' war mit mir nicht mehr viel anzufangen, ich war hin und weg in der Umarmung. Als würde es etwas bedeuten, so fest hielt er mich, ich spürte sein Begehren und auch das meine strebte machtvoll empor. Nun waren wir voll und ganz Satyren!
    "Mmhm....."
    Sein Mund war kalt, sein Atem heiß, und für mein Leben gern hätte ich ihm jetzt sofort die eiserne Maske vom Gesicht gerissen, um die weichen Lippen darunter mir zu eigen zu machen.
    "Komm mit!"


    Nur widerstrebend löste ich unsere Umschlingung, ließ meine Hand aber auf der herrlichen Wölbung seines Gesäßes liegen, und begann uns einen Weg von der Tanzfläche zu bahnen. Das Lied der Mänade verklang hinter uns in aufbrandendem Applaus und Ovationen. Ich steuerte den Durchgang zum Badebereich an, entrichtete einem schmerbäuchigen Pan den Obolus, dafür erhielten wir Badetüchter und ein kleines verkorktes Tongefäß. Ungeduldig streifte ich die Sandalen von den Füßen. Wir traten durch einen Vorhang, unter meinen Füßen war der Mosaikboden warm, Dampf hing schwer in der Luft, verschleierte die Sicht, und um uns war ein Widerhall von Plätschern und Rauschen, rhythmischem Klatschen und Stöhnen. Aus dem Dunst schälte sich dann ein Knäuel von Bacchanten, die in einem flachen Bassin hitzig miteinander zugange waren, einer winkte uns sogar einladend zu, doch auch wenn sie einen anregenden Anblick boten - mir war heute so gar nicht nach teilen.


    "Ein anderes Mal..." lehnte ich höflich ab und führte Marsyas bestimmt weiter... nur wohin war gerade schwer zu sehen, in dem Halbdunkel. Die Therme war nicht groß, auch nicht besonders schick im Vergleich zu den öffentlichen Prunkanlagen, aber sehr verwinkelt. Die Steingestalt eines Tritons tauchte vor uns auf, aus seinem Muschelkrug floss in kräftigem Schwall das Wasser in ein Becken zu seinen Füßen... will sagen Flossen... zugleich stieß ich mit dem Zeh gegen eine Massagebank und beschloss, dass es nun genug war mit der Suche nach einem lauschigen Plätzchen.
    Als ob wir noch tanzen würden, so schwungvoll zog ich Marsyas an mich, drückte ihn mit meinem entflammten Körper gegen den Sockel der Statue, um da weiterzumachen wo wir zuvor schon gewesen waren. Begehrlich küsste ich seinen Hals hinauf, bis mir die kalte Eisenbarriere Einhalt gebot, zugleich löste ich meinen Gürtel, der mit einem hellen Klang zu Boden fiel.
    "Wie komme ich nur..." schmachtete ich scherzend, ...an deine Lippen...? Hab Erbarmen du nachtschönster, kunstfertigster aller Satyren und lass die Maske fallen, bevor ich vor Sehnsucht noch ganz vergehe...!!"

    Beinahe hätten meine Kapriolen uns von den Füßen gerissen, doch uns aneinander festhaltend fanden wir lachend das Gleichgewicht wieder. 'Immer langsam' war aber nicht Marsyas Devise... ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss bei seinen poetischen Worten. Komplimente zu machen, das fiel mir ja leicht, aber ein solches... ein so wunderschönes... zu bekommen war ein anderes Kaliber und brachte mich gelinde aus dem Konzept. Ich hätte es mir aufschreiben und mit Gold einrahmen wollen (für schlechte Zeiten).
    "Oho, welch silbersüß betörende Zunge verbirgt sich unter diesem stählernen Antlitz! Du bist wahrlich ein Satyr voll Überraschungen!!", scherzte ich leichthin, dabei fragte ich mich unvermittelt... eine Hand unter seiner Chlamys, während die seine verheißungsvoll über meine Brust strich... : Was passierte eigentlich gerade?
    Ich war hierher gekommen für etwas Abwechslung und bestenfalls eine schnelle Nummer in den Bädern... und ganz klar nicht um mir mal wieder vollends den Kopf verdrehen zu lassen.
    Zögernd, tief durchatmend... Räucherwerk, Weindunst, Öl und frischer Schweiss stieg mir in die Nase... erinnerte ich mich bewußt daran, dass all dies hier nicht echt war. Es war ein wenig Glanz und Glimmertünche, ein paar gestohlene Scharade-Stunden, flüchtiger Rausch der mit dem ersten Sonnenstrahl zu Katzenjammer wurde.


    Doch als wolle der Genius des Festes selbst mich nicht vom Haken lassen, geschah in gleichen Moment folgendes: die Musiker verstummten. Die Tänzer hielten inne. Es wurde still in den Gewölbe. Dann flammten zwei Feuerschalen auf einer Plattform an der Stirnseite des Raumes hell auf, und umfassten die Silhouette einer stattlichen Mänade, die mit dem Rücken zu uns stand, reglos im blutroten Gewand, die Haarpracht in Locken hochaufgetürmt und von Funkelsteinen gekrönt. Man schien sie/ihn zu kennen, denn ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge. Dann, ein Gongschlag. Majestätisch wandte die Schöne der Nacht sich zu uns, und hob an zu singen mit einer Stimme, so tief und voll und wohltönend, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken rieselte. Erst einen Takt später setzten die Instrumente wieder ein, und begleiteten säuselnd und schluchzend das Lied der Mänade. Wovon genau sie sang, hätte ich später gar nicht mehr sagen können, es war irgendwas von Sehnsucht und einem schnöden Geliebten, der sie immer vertröstete...


    ... und unter normalen Umständen hätte ich es wohl eher kitschig gefunden, aber hier und jetzt und so war es zauberhaft.... Ich lauschte gebannt und mitgerissen, hatte alle Vorsicht schon wieder vergessen, war eng an Marsyas herangerückt, meine Hände nun beide kosend unter seinem Gewand, meine Lippen sacht die bloße Schulter erst streifend, dann küssend.
    "Ich glaube... " raunte ich ihm zwischen zwei Strophen ins Ohr, "Ich kann noch viel mehr erwecken....."

    Aber Hola, er hatte gar nichts drunter! Schon kam meine kleine Theorie über den tugendhaften Marsyas wieder ins Wanken, und ich kam mir, mit Chiton und Bronzegürtel und Subligaculum ganz kurz geradezu verklemmt über-angezogen vor. So war das mit den Griechen, sie hatten so was... unbefangenes, so was freies... (Ich hätte als Grieche geboren werden sollen.)
    Marsyas war heiß! Von allen Satyren in diesem Gewölbe war ich wohl gerade der meist-beneidete. Ich schwelgte in seiner Nähe, der Schönheit seiner kraftvollen Bewegungen, im Feuer seines Tanzes, unserer Harmonie im Takt. Wobei er etwas... erdgebundenes an sich hatte. Ich hielt mich an ihm fest und sprang beim Crescendo der Musik in die Luft, wobei ich übermütig die Fersen seitlich gegeneinander schlug; dann kam ein langsameres Stück, und ich ließ im Tanzen andächtig meine Hand unter den Faltenschwung seiner Chlamys wandern, entdeckte erfreut die ausdefinierten Konturen seiner Bauchmuskeln. Seine Hand auf meiner Taille war heiß und herrlich und mir sehr willkommen. Erinnern wir uns: ich konnte ALLES sagen.
    "Was bist du schön, Marsyas!" Überwältigt wandte ich den Kopf seitlich zu ihm, atemlos, sah nun wiederum nur das ungerührte eiserne Profil, gekrönt von den angriffslustigen Hörnchen, spürte zugleich die leidenschaftliche Spannkraft seiner Bewegungen. "Wie ein Wetterleuchten im Gebirge. Wie der Glanz im Auge des Panthers. Wie... wenn das Mondlicht zersplittert, auf stürmischem Meer..."
    Ach, Worte... Wie hinfällig waren doch Worte...

    So düster der schöne Marsyas anfangs erschienen war, so unschuldig wirkte er jetzt. Als ob er noch nie Wein getrunken hätte! Und auch die Wahl seiner Maske wies darauf hin, dass er kein routinierter Orgiengänger war – Profis benutzten nämlich Halbmasken, die jegliche Aktivitäten des Mundes gestatteten - wie zum Beispiel meine (die darüber hinaus mit ihren unvergleichlich neckischen Pinselohren bestach.) Oh ja, meine Menschenkenntnis war in langen Gardejahren so geschult, da entging mir auch beschwippst kein Detail!
    Aber ich tat natürlich immer gern mein bestes, tugendhafte Schöne auf dem Weg ins Laster zu unterstützen.
    "Vielleicht", flirtete ich mit einem undezenten Augenzwinkern, "nehme ich dich ja mal mit in meinen Weinberg!"


    Huch! Das einzige Problem an meiner famosen Maske war, dass sie das Gesichtsfeld einschränkte, und so erschrak ich, als als jählings eine Welle wildgewordener Halbwesen korybantengleich über uns hereinbrachen. Trotzdem umklammerte ich geistesgegenwärtig den Krug – da war nämlich noch was drin! Wie sie dann purzelten und drollig taumelnd versuchten, wieder auf die Füße zu kommen, war ein komischer Anblick, dazu Marsyas trockener Kommentar... ich prustete los und stieg lachend, Marsyas an der einen Hand, den Krug in der anderen, über das Menschenschlangenknäuel hinweg, über zertretene Kränze, Becherscherben und Weinpfützen, durch Schleier von Räucherwerk und wummerndem Takt, in das Herz des Tanztumultes hinein.


    Direkt aus dem Krug nahm ich noch einen tiefen Zug, dann wurden wir einfach mitgerissen vom Wirbel des wilden Reigens, ein feines Zimbelschwirren lag wie Zikadensang unter allem, sphärische Saitenklänge wurden von Trommelschlägen wie Peitschenzucken durchbrochen, es war eine vollkommen irre, brutale und sinnliche Musik, die den himmlischen Apollo (den miesen Häuter) sicher sogleich schmerzverzerrt in die Flucht geschlagen hätte.
    Der Priapus, dessen ithyphallische Pracht ich zuvor schon bewundert hatte, war der Vortänzer eines rasanten Cordax, er schnellte schwungvoll umher, wiegte sich, warf kunstvoll die Beine. Verzückt zog ich den schönen Marsyas an mich, legte ihm einen Arm um die Hüften, um an seiner Seite und mit ihm mich dem aufpeitschenden Takt zu ergeben. (Der Krug war irgendwie bei einem anderen Tänzer gelandet, einem mit im Sprung auf und ab flatternden Schweineohren, egal.)
    Schon immer habe ich es geliebt zu tanzen, als Kind bei den iberischen Festen, und tatsächlich hatte ich auch bei den Tänzen zur Weinlese auf unseren Familiengütern mitgemacht, solange ich noch so klein gewesen war, dass es nicht unstatthaft gewesen war; in meiner Jugend dann hatte ich hier in Rom die Nächte durchgetanzt, bevor ich sub aquila gegangen war und es aus gewesen war mit dem Spaß. Etwas eingerostet war ich wohl, verlernt hatte ich es aber nicht. Es war so herrlich! Und so zutiefst unrömisch! So herrlich unrömisch!
    Mit dem überschäumenden Frohlocken von jemandem, der grimmen Autoritäten gerade kurz glücklich entkommen ist, setzte ich die Füße, reckte mich stolz wie ein Stierkämpfer, sprang und stampfte leichtfüßig im Takt und schwang die Hüften, tanzte ich den Reigen, selbstvergessen und eng an Marsyas' Seite.

    Sonnenglut in den Adern, das gefiel mir! Ich lächelte geschmeichelt. Mein Gegenüber hingegen schien erst gar nicht so angetan vom Weintrinken. Ob er vielleicht... tatsächlich Musiker war, und noch auftreten müsste, mit einem schwierigen Stück auf der Doppelflöte, das höchste Fingerfertigkeit verlangte? Oder war er gar ein lustfeindlicher Asket (das wäre zu schade).... aber was hatte ihn dann auf ein Bacchanal verschlagen?
    Als der Krug gebracht wurde, da schien er sich jedoch besonnen zu haben. Ich war kurz abgelenkt, weil ich im halbdunklen Flackerlicht die Denarii für den Schankburschen hervorkramen musste, gab diesem auch ein ordentliches Trinkgeld weil er so flink gewesen war.
    "Danach tanzen wir, unbedingt!" stimmte ich freudig zu, während ich wieder aufblickte und gewahr wurde, dass 'Marsyas' seine Maske abgelegt hatte. Einfach so, völlig unbekümmert! (Eines war schon mal klar, er war jedenfalls kein Senatorensohn auf Abwegen.) Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: schon maskiert war er hinreißend, jetzt verschlug seine Schönheit mir den Atem. So weit waren meine Sinne, so empfänglich und ungewappnet hatte ich ihnen erlaubt zu werden hier, dass dieses Bild der Vollkommenheit mich bis ins Mark traf. Unwillkürlich blinzelte ich, schüttelte fast ungläubig ein wenig den Kopf.
    Ehrfurchtgebietend schön! Sinnenverwirrend schön!
    Schnell griff ich nach den frischen Bechern, um irgendetwas anderes zu tun als ihn kuhäugig anzustarren, nahm den Krug und schenkte den goldenen Wein in hohem Bogen ein.
    "Möge der Zauber sein Werk tun. Zum Wohl Dir.... Marsyas."


    Sein erster Massiker – da konnte ich ja seinen Horizont erweitern. Es war tatsächlich ein passabler Massiker, halbtrocken und nur wenig verdünnt. Mein Gaumen war nur leider sehr verwöhnt, Massiker mein Lieblingswein, und ich einfach einen deutlich hochwertigeren gewöhnt, somit riss er mich erst nicht gerade vom Hocker. Um den Zauber nicht zu stören ließ ich mir davon aber nichts anmerken, ließ den Wein genießerisch Schluck um Schluck meine Kehle herabrinnen. Und vielleicht hatte meine kleine Geschichte ihm doch ein wenig Macht eingehaucht, denn ich spürte, wie meine Zunge sich alsbald löste, und die Worte ohne Hemmnis ihren Weg nahmen. Früh genug würde ich wieder ein respektabler Tribun sein (um genau zu sein: morgen schon, für meine Kohorte stand Drill mit den neuen Torsionsgeschützen an) – aber heute war ich war ein lachender Satyr, Genius des Weinbergs, Gefährte des Bacchus, der alles sagen konnte was ihm gerade in den Sinn kam, ALLES!
    "Weißt du, zur Erntezeit, da ziehen sie dem Bacchus Hymnen singend in meinen Weinberg. So groß ist die Hitze, dass ein purpurnes Flirren wie ein Schleier über den Reben liegt. Wie das Weinlaub sich windet, grün und golden... Wo kein Schatten fällt, da bricht die Erde auf und atmet überreifen Wandel. Die Trauben, die herrlichen Trauben sind so prall, sie bersten schier vor Süße. Nur die erlesensten Schönen von Campanien sind es dann, die sie mit bloßen Füßen stampfen..."
    Wieder fuhr mir gebieterisch der Rhythmus in die Füße, ich stampfte auf, straffte mich und hob fließend den Arm, schnippte in die Finger wie ein Tänzer von Gades.
    "Aah, die Tänze der Weinlese... komm, Marsyas!"
    Ich bot ihm die Hand, begierig mich mit ihm in den satyrischen Reigen zu stürzen.