Beiträge von Gaius Tallius Priscus

    Tatsächlich wurde es noch voller auf dem Tribunal und weitere Teile des Stabes kamen hinzu. Langsam begann Priscus sich zu fragen, ob sie alle zusammen einen wichtigen Feiertag verpennt hätten, denn es kam ihm alles schon sehr feierlich vor. Andererseits war so ein kollektives Loch im Gedächtnis eher unwahrscheinlich. Außerdem fehlte der Legatus, den man zwar sonst auch mehr als selten gesehen hatte in der letzten Zeit, der aber zumindest bei einem hohen Feiertag mal hätte erscheinen können.


    Es schien auch keiner auf ihn zu warten, denn einer der ritterlichen Tribune schien den angetretenen Soldaten nun auch etwas Beachtung zu schenken. Schlagartig standen alle stramm und warteten auf die weiteren Dinge, die nun passieren sollten.

    Aus einer der Türen purzelten planmäßig auch Priscus und seine Stubenkameraden in die Lagergasse und beteiligten sich an der Aufstellung. Genaugenommen konnten die älteren Kameraden diese Prozedur ja schon im Schlaf, aber es machte dann doch einen besseren Eindruck, in der Linie nicht zu schnarchen und die Augen offen zu haben. Es sollte allerdings auch Soldaten geben, die mit offenen Augen den Morgenappell noch für ein paar Extraminuten Schlaf nutzen konnten.

    "Langsam gehen!" ermahnte der Optio die Soldaten vor ihm. "Das Lager wird nicht weglaufen! Passt auf, dass ihr nicht über heruntergefallene Speere stolpert! Ich will kein Loch in der Deckung haben!" In der Praxis würden zwar die Speerspitzen, die auch beim Drauftreten noch schmerzhaft sein konnten, das größere Problem sein, aber nasse Lappen waren da nicht gleichermaßen furchterregend. Lücken in der Deckung schon, waren sie doch für jeden Rekruten schon seit frühesten Ausbildungstagen das Schreckgespenst schlechthin.

    "Hoch die prima traiana!", nahm auch Priscus an dem Schlachtruf teil und fasste sein Scutum noch einmal fester. Den Gladius hatte er nicht weggesteckt, sondern hielt ihn in der rechten Hand. Dafür musste er zwar auf das Pilum verzichten, aber da sie die Pilaspitzen nicht auch umwickelt hatten, konnten sie die ja Dinger ohnehin nicht zum Einsatz bringen.


    Leicht geduckt rückte er zusammen mit den anderen Soldaten in der Formation vor. Er war gespannt, auf welche Art von Gegenwehr sie treffen würden. Noch lief alles geordnet ab, aber er erwartete auch nicht, dass die Linie plötzlich in großes Chaos ausarten würde. Dafür müssten wohl noch besondere Überraschungen eingeplant sein.

    Die zwei Stunden Marsch zurück zum Lager vergingen genauso ereignislos wie die zwei Stunden zuvor. Die Soldaten waren zwar etwas aufgeregter als vorher, aber auf das Marschtempo wirkte es sich nicht aus. Zurück am Lager begann wieder eine der vielen Standardprozeduren der Armee. Aufstellung nehmen und genügend Abstand, Gepäck ablegen, davor die Linie bilden. Für die, die es noch nicht erledigt hatten, kam jetzt noch das Verpacken der Schwertklingen hinzu.


    "Denkt an eure Schwerter!" ermahnte der Optio daher auch sofort. "Gut umwickeln die Klingen! Wer eine blanke Klinge hat ist raus!" Auch sein eigenes Schwert hatte er inzwischen eingewickelt, so dass es eher wie ein dünner Knüppel aussah.

    Nicht nur auf dem Exerzierplatz wurde es langsam voller, sondern auch auf dem Tribunal war ein neuer Mann hinzu gekommen. Priscus versuchte zu erkennen, wer es war, schaffte es aber nicht. Es musste wohl der neue Praefectus Castrorum sein, den die Legion schon eine Weile hatte, von dem er aber bisher nur wenig gesehen hatte. Was ihn aber auch nicht wunderte oder störte, denn als Optio hatte er mit ihm eben auch kaum etwas zu tun. Er war gespannt, ob es noch voller werden würde auf dem Tribunal.

    Anders als manche andere Soldaten, bereitete Priscus sein Schwert noch nicht vor. Schließlich hatte niemand befohlen, dass es sofort passieren sollte. Und für den Marsch war es mehr als unpraktisch, das umwickelte Schwert nicht in die Scheide stecken zu können. Vor dem Lager würden sie ohnehin genug Zeit haben, das Gepäck abzulegen und die Kampfformation einzunehmen. Da konnten sie auch dort noch die Schwerter vorbereiten.


    Also machten sie kehrt und marschierten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

    Im Einsatzgebiet von Priscus und seinen Leuten ging es weit weniger spektakulär zu, denn bei ihnen hatte auch kein Blitz eingeschlagen. Nur das elendige Wasser quälte sich auch weiterhin in großen Mengen durch die Straßen. Und die Soldaten quälten sich auch weiterhin dagegen an, versuchten sich im Bau künstlicher Dämme, im Ausheben von Wasserrinnen und im Beruhigen der Anwohner.


    Von einer Besserung des Wetters war auch noch nichts in Sicht. Noch immer regenete es und noch immer kam der Wind dazu. Und Priscus ahnte schon, dass sie oder einige Kameraden nach dem Unwetter noch einmal in die Stadt zurückkehren müssten, um aufzuräumen und die Dämme und Rinnen wieder zu beseitigen, sofern das Wasser sie nicht noch wegspülte.

    Die knapp zwei Stunden Marsch vergingen schnell, trotz der üblichen Anstrengungen. Dann gab es neue Befehle, in denen mehr als einmal betont wurde, dass es sich um eine Übung handelte. Priscus machte sich jedoch weniger um die Regeln gedanken, als um deren praktische Umsetzung. Ein ausreichend großer Stoffstreifen für jedes Schwert gehörte schließlich nicht zur Standardausrüstung. Die meisten Soldaten würde daher wohl alternativ auf die Wollstrümpfe aus ihrem Marschgepäck zurückgreifen müssen.


    "Verstanden!", antwortete Priscus auf die Frage des Centurio und wusste, dass es die meisten wohl genauso machen würden, auch wenn sie später noch Unklarheiten mit den Kameraden klärten. In der Hitze des Gefechts würden wohl trotzdem einige den einen oder anderen Treffer übersehen, aber das kannten ja wohl alle schon aus früheren Gefechten auf dem Exerzierplatz.

    Am Ende der Marschformation seiner Centurie trat wie immer Priscus mit auf den Platz und zählte den Gleichschritt an, damit beim Appell auch alles besonders schneidig wirkte. Bisher stand nur ein Offizier auf dem Tribunal, aber das war selbstverständlich Grund genug, wie vom Centurio befohlen stramm zu stehen. Nur aus den Augenwinkeln prüfte der Optio, ob sich auch alle Soldaten gut benahmen oder ob er sich schonmal wieder jemanden für Strafaufgaben merken konnte.

    "Na endlich", brummte Priscus und stapfte zu seinem Zelt zurück, um sein Bündel zu packen. Fell und Decke einrollen, Kleinkram in die Tasche packen, Mantelsack auf die Tragestange, Tasche dazu, Kochgeschirr dazu, Decke obendrauf, Hülle über den Schild ziehen.


    "Von Lager abbauen hat keiner was gesagt!", ermahnte er dann ein paar Soldaten, die sich mit unnötigen Arbeiten aufhielten. "Aber wehe, jemand erleichtert deswegen sein Marschgepäck und lässt was hier!"

    Während Priscus mit zwei Contubernien weiter von Straße zu Straße zog, beruhigende Nachrichten an die Hausbewohner ausrichtete, Kleinkram aus dem Wasser fischte und hier und da angespülten Müll von den Kanaleinflüssen zog, schaufelten ein paar Häuerblocks weiter die Soldaten inzwischen fleissig Matsche. Natürlich hatte sich das Regenwasser sofort freudig in das Loch ergossen, dass die Soldaten in die Straße gebuddelt hatten, und je mehr sie es zu einem Graben ausbauten, umso mehr Wasser floss auch hinein. Wie erhofft nahm es damit eine etwas andere Bahn und strömte in eine etwas günstigere Richtung. Weg von den ohnehin schon überfluteten Häusern und in Richtung einer kleinen Grünfläche am Rande der Stadt.

    Die Zeit tröpfelte dahin und die Soldaten vebrachten sie, so gut es ging. Hier und dort begannen sie, schon das Korn für das Abendessen zu mahlen, denn so wie es aussah, würden sie das Lager heute nicht wieder abbrechen. Alle rechneten damit, dass sich die Offiziere noch irgendeine Anstrengung ausdenken würde und da sorgte so mancher lieber vor, um die lästigen Arbeiten schon vorher erledigt so haben. Wer wusste schon, wie müde sie am Abend sein würden?


    Priscus nutzte die Ruhe, um erneut ein paar Mann mit Werkzeug zu den Verschanzungen zu schicken und diese weiter ausbessern zu lassen, wo die Rinder sie in der Nacht besonders stark beschädigt hatten. Natürlich arbeiteten die Toten der Nacht auf der Außenseite, wo sie kaum darum herum kamen, durch die Kuhscheiße zu laufen.

    "Na, habt ihr auch schon Schwimmhäute zwischen den Zehen?", fragte Priscus seine Leute, nachdem sie wieder durch eine Straße gelaufen waren und auch hier nicht den Stöpsel gefunden hatten, den man rausziehen musste, damit das ganze verdammte Regenwasser endlich ablaufen konnte. Irgendwo in der großen Suppe hatten sie zwei leere Säcke herausgefischt, die ihnen nun ganz nützlich waren, um anderen schwimmenden und mutmaßlich wertvollen Kleinkram darin zu sammeln. Um die Rückgabe an die Besitzer konnten sich dann die Bürgermeister später kümmern, war der Plan.


    Ein Hund kam ihnen entgegen, dem das Paddeln im Wasser sichtlich Spass machte. "Die Wasserratten werden auch immer größer", kommentierte ein Soldat, was der Hund aber nicht verstand und deshalb einfach weiter zog.


    Inzwischen kannten die Soldaten auch eine Menge Einwohner der Stadt, sofern sie sie nicht ohnehin schon vorher gekannt hatten. Überall standen die Leute in den obersten Stockwerken an den Fenstern und beobachteten das Wetter und die Soldaten. Mit Beginn des Gewitters hatten sich die meisten ins nächstbeste Haus geflüchtet und von Mund zu Mund wurde nun weitergegeben, wer wo steckte, wenn jemand vermisst wurde. "Publius ist bei Marcus", richteten die Soldaten eine Nachricht aus, die sie zwei Querstraßen vorher aufgenommen hatten. "Lucia sitzt im Pferdestall", berichteten sie woanders. "Ja, wenn wir Tullus und Bursa finden, sagen wir ihnen Bescheid!" "Nein, an der Taberna von Pola waren wir noch nicht." "Ja, der Tempel steht noch..."

    Ihr Frühstück hatten die meisten Männer schon längst beendet und nur hier und da schabte noch jemand ein paar Reste aus einem Topf. Die erfahrenen Soldaten nutzten die Zeit bis zum nächsten Befehl dazu, ihre Ausrüstung in Ordnung zu bringen, irgendetwas zu putzen, zu bürsten, zu wischen, zu spülen oder sonstwie zu reinigen. Damit machte man sich kaum unnötige Anstrengung, man sah beschäftigt aus und die nächsten Kontrolle kam ohnehin irgendwann. Die weniger erfahrenen Soldaten machten es ihnen nach, wenn sie schlau genug waren, auch wenn sie den Sinn noch nicht ganz einsahen. Und die übrigen hockten faul in der Gegend herum, kramten Würfel heraus oder schauten den anderen bei der Arbeit zu, bis sie von ihrem Stubenältesten dazu aufgefordert wurden, sich auch nützlich zu machen. Immerhin waren sie in einem Übungslager und wenn ein Soldat eine Sache bestimmt nicht üben musste, dann war es Freizeit zu genießen.

    An der Sammelstelle an der überlaufenden Zisterne machten die Soldaten schon gar keinen Versuch mehr, irgendwie einen trockenen Unterstand zu finden. Sie waren komplett durchnässt, bis in den letzten Winkel ihrer Kleidung und ihres Körpers. Von ihren Kameraden hatte sich auch keiner mehr blicken lassen, seit diese in den Straßen verschwunden waren. Warum auch? Das Wasser floss in Strömen und sprudelte munter um die Fußknöchel, egal wo man stand.


    In Richtung Stadttor sahen sie durch den Wasserdunst einen Melder verschwinden. Woanders öffnete sich eine Tür, die zwei Stufen höher lag als due Straßen und ein Eimer voller Wasser wurde nach draußen ausgeleert. Wenig später ein zweiter, dann noch einer und es ging immer so weiter. Offenbar schöpfte dort jemand seinen Keller aus in der Hoffnung, dass das Wasser die Straße hinunter und erst beim Nachbarn wieder hinein floss.

    Marschformation herzustellen bedeutete für den Optio immer eine Menge Lauferei. Zwar fanden die Soldaten selber ihre Plätze, aber meistens ging es nicht schnell genug, die Trossknechte standen mit den Tieren im Weg herum oder irgendwer hatte irgendwo noch etwas liegen lassen. Nachdem Priscus dreimal im Kreis und um die aufgestellte Einheit herum gelaufen war, erschien ihm aber alles in Ordnung und er reihte sich ebenfalls ein. Mit dem Befehl des Tribunen verfielen rasche alle in den eintönigen Marschtrott, der zwar nicht unbedingt unterhaltsam war, sie aber immerhin vorwärts brachte.


    Priscus konnte sich ein leichtes Grinsen nicht ganz verkneifen, als die Toten auf Gerste gesetzt wurden. Solche Kommentare mochte er. Das Grinsen verflog allerdings wieder, als der Centurio sie ohne weitere Befehle wegtreten ließ. Damit war nun wohl offiziell Langeweile befohlen, bis es neue Anweisungen gab.

    Ein anderer Teil der Soldaten, die unter dem Kommando von Priscus gegen die Wassermassen ankämpfen sollten, hatten mehr Glück und konnten in einem Innenhof etwas Werkzeug aufstöbern. Einige jüngere Soldaten wollten schon sofort beginnen, einfach an der nächstbesten Stelle einen Wall aufzuschütten, aber die älteren Soldaten hielten sie davon ab. "Wir können hier nicht sinnlos die Straßen aufreißen. Wir müssen schauen, dass wir das Wasser dorthin lenken, wo wir es halbwegs kontrollieren können."


    Der Regen hatte immer noch nicht nachgelassen, also war ohnehin überall Wasser und es kam immer noch mehr hinzu. Trotzdem hatten die Soldaten rasch einige Punkte ausgemacht, an denen ihnen das Wasser lieber war als an anderen. "Wasser fließt immer nach unten", erklärte ein Soldat den anderen. "Also müssen wir dafür sorgen, dass dort, wo wir es haben wollen, unten ist. Also macht hier mal ein Loch und dann einen Graben in die Richtung."


    Priscus kam mit einem Trupp zwei Straßen weiter um die Ecke und entdeckte die Kameraden, die mit dem Bau eines Grabens begonnen hatten. Um nicht gegen den Wind anbrüllen zu müssen, gab er nur mit der Hand ein Zeichen, dass er die Idee gut fand und zog dann mit seinen Leuten in die andere Richtung ab, um dort aus weiterem herrenlosem Baumaterial einen weiteren provisorischen Damm zu errichten.