Beiträge von Gaius Tallius Priscus

    Die überraschten Gesichter der Soldaten waren förmlich spürbar, als sich einen Moment lang erst einmal gar nichts tat. Die Soldaten, die in ihren Stuben hockten, schaute sich erst einmal verblüfft an, als die Stimme ihres Centurio ertönte. Langsam mischten sich dann die Geräusche von weggelegten Gegenständen mit dem immer lauter werdenen Stapfen der Schuhe auf dem Holzboden. Schließlich standen aus jedem Contubernium ein oder zwei Mann an der Unterkunft des Centurio, um den Wein in Empfang zu nehmen.

    Nicht nur Kritzeleien an den Wänden verrieten die Stimmung der Soldaten, sondern auch ihre Gespräche auf der Latrine. Diesmal schlug Priscus sogar Gesang entgegen, als er die Latrine am Ende der Lagergasse besuchte.


    "Sag' mir wo sind die Probati hin.
    Wo sind sie geblieeeeben?
    Habt ihr sie heute kämpfen seh'n?
    Sind sie schon abgeschrieeeben?"

    Priscus war schon ein wenig erstaunt, dass auch sein Centurio nicht Bescheid wusste, was dort draußen vor sich ging. Er hatte angenommen, dass es sich um eine abgesprochene Übung handelte. Jetzt war er schon etwas unsicherer, auch wenn er weiterhin davon ausging, dass es eine Übung war.


    "Solange es nicht die Geister unserer Vorfahren sind, werden wir es überleben", meinte er mit einem schiefen Grinsen. "Wir haben Parthia überlebt."

    Die Tage zogen dahin und alles im Lager war Routine. Wecken, Morgenappell und Empfang des Tagesbefehls. Wachdienst, Arbeitsdienst und Drill. Abendessen und ein bisschen Freizeit. Nachwache und Schlafen. Und am nächsten Tag wieder dasselbe. Oder ein anderer Tagesbefehl. Drill am Vormittag und Wachdienst am Nachmittag. Oder umgekehrt.


    Für Priscus waren das entspannte Tage. Sein Centurio kümmerte sich persönlich um den Exerzierplatz, Bauarbeiten gab es keine. Gelegentlich rückte er mit ein paar Männenr aus, um Waren zu holen, die auf dem Fluss angeliefert wurden. Die meisten Wintervorräte waren schon da, der Rest kam in diesen Tagen. Lampenöl wurde wichtiger, denn je kürzer die Tage, umso länger die Nächte. Und so lange schlafen, wie die Dunkelheit nun dauerte, konnte man ja gar nicht.

    Mit einer kurzen Antwort bestätigte der Optio die Übernahme des Kommandos. Viel zu kommandieren gab es im Moment ohnehin nicht, denn mehr als die Stellung auf dem Wall zu halten, war nicht zu machen. Und solange die Pfeile nicht näher kamen, sollte das keine Schwierigkeit darstellen. Selbst von den Soldaten, die sich beim Alarm torkelnd zum Wall geschleppt hatten, war im Moment nichts zu hören.


    Schon wenig später kam der Centurio zurück und erkundigte sich nach der Lage. "Verteidigung steht, Lage weiter unklar", meldete der Optio den unveränderten Zustand der Truppe. "Bisher keine Verwundeten." Der Capsarius wahr vermutlich der, dem es am langweiligsten war, weil er nicht oben auf dem Wall stand und daher nicht einmal viel sehen konnte. Die anderen konnten sich wenigstens einbilden, sie würden in der Dunkelheit mehr als die Leuchtpunkte der Pfeile erkennen.

    Priscus musste aufpassen, dass er nicht leise einen anerkennenden Pfiff ausstieß, als er die Reiter und Brandpfeile erkannte. Das war mal eine nette Abwechslung gegenüber früheren Manövern, auch wenn er mit derselben Situation in Parthia ganz andere Erinnungen verband. Viele Kameraden hatten dort bei ähnlichen Angriffen Verletzungen davon getragen, einige waren auch gefallen.


    Es war leider zu dunkel, um erkennen zu können, ob sich Angst in die Gesichter der Soldaten schob. Zumal Priscus seinen Platz oben auf dem Wall wieder verließ und am Fuß des Walles entlang ging, um eingreifen zu können, falls irgendwo jemand panisch seinen Platz verließ.

    Als auch die Männer der zweiten Gruppe fertig gerüstet waren, kehrte Priscus mit ihnen zusammen zum Wall zurück, um die letzten ungerüsteten Männer seiner Centurio dort abzulösen, damit auch diese noch ihre Panzerung anlegen konnten. Priscus war weiterhin davon überzeugt, dass es sich nur um eine Übung ahndelte und war mit dem Ergebnis der Wechsel schon ganz zufrieden. Was genau draußen aber vor sich ging und weshalb sie nun auf dem Wall standen, konnte er aber immer noch nicht erkennen.

    Nachdem die Männer ihre Rüstungen angelegt hatten, schickte Priscus sie auch auf den Wall, um andere Männer dort abzulösen, die bisher ungerüstet waren. "Zweites , viertes und sechstes Contubernium soll herkommen und Rüstungen anlegen, sofern sie das nicht schon haben." Wer ein Kettenhemd hatte, war ja viel schneller und deshalb vielleicht doch schon gerüstet. Wer wie Priscus einen Schinenpanzer hatte, der brauchte schon eine ganze Weile, bis die Rüstung zumindest soweit verschnürt war, dass man sich darin ungehindert bewegen konnte.


    Was eigentlich los war, war immer noch nicht klar, aber solange auf dem Wall niemand schrie, konnte es schon nicht so schlimm sein.

    Noch eine Neuernennung wurde vermeldet, mit der man aber am ehesten rechnen konnte, denn der Posten des Primus Pilus wechselte ja regelmäßig. Artorius Imperiosus kannte Priscus sogar recht gut, immerhin war dieser in Parthia zusammen mit Priscus zur vierten Centurie der neunten Kohorte versetzt worden - Imperiosus als Centurio und Priscus als Optio. Die Zusammenarbeit war zwar nicht lange gewesen, hatte sie in dieser Zeit aber immerhin einmal wuer durchs Reich zurück nach Italia geführt. Das hatte nicht jeder erlebt und so freute sich Priscus für den beförderten Kameraden.

    Mit ein paar Entlassungen hatte Priscus nicht gerechnet, da diese häufig vorher schon angekündigt waren oder als Gerücht durchsickerten. Kameraden kurz vor der Entlassung waren meistens sehr locker und spendabel. Die unerwarteten Entlassungen taten der Freude aber keinen Abbruch.


    "Roma victrix!"

    Manchmal hatte Priscus den Eindruck hatte, dass sein Centurio eher zu den sehr ruhigen Menschen gehörte und lediglich auf dem Exerzierplatz gerne alles selber machte, zumindest mit den neuen Rekruten. Aber hier, beim Alarm auf dem Übungsmarsch, erkannte er wieder, warum der Mann Centurio war. Kaum hatte der Optio sich umgeschaut, da war der Centurio auch schon da und gab klare Anweisungen. So konnte man arbeiten, auch wenn sich Priscus insgeheim ziemlich sicher war, dass es nur ein Probealarm war. Im echten Alarmfall hätte sich wohl niemand eine launige Bemerkung zum Latrinendienst erlaubt. Aber die Rekruten würden das sicher gar nicht merken.


    "Linker Wallabschnitt! Erstes Contubernium zum Feldzeichen! Pila mitnehmen!"


    In der Eile des Gefechts blieben die Waffen ganz gerne liegen, so dass der Optio extra daran erinnerte. Noch schwieriger war es allerding, einiger maßen geordnet dafür zu sorgen, dass die Soldaten in ihre Rüstungen kamen. Wenn alle erstmal ihre Kettenhemden oder Panter anlegten, würde im Ernstfall viel zu viel Zeit vergehen, bis die ersten Männer auf den Wällen erschienen und die vorhandenen Wachen verstärkten. Wenn alle ungerüstet zum Wall stürmten, musste ein Teil erst wieder zurück laufen, um sich zu rüsten. Also versuchte Priscus, ein paar Leute gleich da zu behalten und zwar die, die ohnehin den längsten Weg hätten.


    "Ihr bleibt erst hier", wies er die Männer aus dem siebten Zelt an, "und legt eure Rüstungen komplett an. Dann geht ihr zum Wall. Hier, für euch dasselbe. Erst rüsten, dann zum Wall!" Ebenso wurde die achte bis zehnte Zeltgemeinschaft dafür eingeteilt.

    Schon als der Probatus durchs Lager lief und Alarm rief, war Priscus wach geworden und hatte gelauscht. Als jetzt tatsächlich die Signalhörner bliesen, war er blitztschnell auf den Beinen. Gemäß seiner Gewohnheit hatte er in Caligae geschlafen, so dass er sich nicht mit dem Schnüren der Lederriemen aufhalten musste.


    "Alarm! Alles raus aus den Zelten! Schilde raus! Helme auf!"


    Gleichzeitig versuchte er sich zu orientieren, was genau los war und ob schon eine Angriffsrichtung zu sehen war oder der Centurio oder die Feldzeichen eine Richhtung angaben. Ansonsten würde er nun alle zu ihren Abschnitten am Wall schicken.

    Nachdem er sich darum gekümmert hatte, dass die Männer seiner Centurie entweder zur Wache angetreten waren oder an eine ausreichende Nachtruhe dachten, kehrte auch Priscus wieder zu seinem Zelt zurück und bereitete sein Nachtlager. Der Optio würde erst später Wache haben, so dass er sich erst einmal schlafen legen konnte. Zwei Kameraden lagen schon gehüllt in eine Decke und ihren Mantel in ihren Schilden, nun kamen auch die anderen hinzu. Vorsichtig wurde in der völligen Dunkelheit des Zeltes noch das eine oder andere Ausrüstungsstück an seinen gewohnten Platz geschoben, dann kehrte Ruhe ein. Schon wenig später wurde dieser Ruhe dann durch das mehr oder minder beruhigende Schnarchen der Männer abgelöst.

    Priscus hatte bisher nie ein besonders aufmerksames Auge für die Tribunen gehabt. Als Optio hatte er mit ihnen herzlich wenig zu tun und merkte sich bestenfalls ihre Namen. Nun gab es also einen Wechsel. Mit Terentius Cyprianus verband er immerhin einige Erinnerung wegen Parthia, aber an den Neuen hatte er keine besonderen Erwartungen. Ein neuer Tribun eben und damit wie befürchtet ein ziemlich langweiliger Anlass zum Antreten.


    Der Optio klopfte als Applaus und Begrüßung für den Neuen mit der flachen Hand auf sein Scutum und die Soldaten um ihn herum folgten seinem Beispiel. Wahrscheinlich würden sie jetzt noch eine Begrüßungsrede über sich ergehen lassen müssen, sonst hätte sich das Antreten ja kaum gelohnt.

    Als vorne am Podest Bewegung aufkam und der Stab das Feld betrat, stellte Priscus seine Plaudereien mit den Kameraden von nebenan ein und schaute schweigend nach vorne. Bisher sah es immernoch nach dem üblichen Ablauf aus, indem die Legion als anwesend gemeldet wurde. Als er noch bei der ersten Kohorte gewesen war, hatte er immer viel weiter vorne gestanden und alles besser mitbekommen, so dass er sich jetzt auch von hinten den Text dazu denken konnte, denn hören konnte er nichts und sehen auch nur wenig.

    Der Optio schaute noch zu, wie sich die Wache auf dem Weg zu ihrem Platz machte. Dieses Contubernium würde er sich wohl merken müssen und es genauer im Auge behalten, dachte er sich. "Schaut, dass ihr genug Schlaf bekommt, der morgige Tag wird nicht weniger anstrengend", gab er den anderen noch als guten Rat mit und setzte seine Runde dann fort. Morgen früh beim Antreten würde er noch kontrollierne können, ob die Rüstungen tatsächlich so gut gepflegt waren, wie sie eben verkündet hatten.

    Ein bisschen langweilig war Priscus schon, während er einfach nur herumstand. Vorne tat sich nichts, weder der Legat noch ein anderer Offizier waren zu sehen. Nicht einmal den Legionsadler hatte der Optio bisher entdecken können. Auch die Centurionen hetzten nicht aufgeregt zwischen den Reihen umher, um sich abzusprechen, die Männer in Position zu bringen oder Informationen auszutauschen. Entweder lag gespannte Erwartung oder gähnende Langeweile in der Luft, aber Priscus konnte nicht entscheiden, was es war. "Habt ihr eine Ahnung was los ist?" erkundigte er sich bei der Centurie nebenan, aber auch dort erntete er nur genauso ratlose Blicke, wie sein eigener Centurio von ihm selber erhalten hatte.

    Priscus deutete das Schweigen der Männer am Lagerfeuer so, dass sie noch mehr zu verbergen hatten als nur ihr Unwissen über die Wache. Aber die war erstmal das wichtigste, alles andere konnte später kommen. "Wir sind mit zwei Centurien und einer Turma hier, haben einen Wall von ungefähr 150 Schritt Gesamtlänge zu bewachen und es gibt vier Nachtwachen", beantwortete er dann selber seine eigenen Fragen. "Da kommt keiner um seine Wache herum, immerhin ist das hier ein Marschlager und wir müssen jederzeit mit Überfällen rechnen." Dann zeigte er reihum auf die Soldaten. "Erste Wache. Zweite Wache. Dritte Wache. Vierte Wache."

    Wie üblich am Ende der Kolonne marschierend erreichte Priscus mit seiner Centurie den Exerzierplatz. Nachdem sie ihren Platz in der großen Masse der antretenden Soldaten gefunden hatte, stellte er sich recht bequem hin und wartete ab, was wohl passieren würde. Ein Feiertag stand nicht an und wenn schon wieder der Kaiser gestorben war, hätte es sicher schon Gerüchte gegeben. Also konnte eigentlich nur irgendwas langweiliges kommen.