Beiträge von Gaius Tallius Priscus

    Die Männer von Gruppe Gelb hatten die erste Tür gerade wieder geschlossen, als sie aus Richtung des Atriums ein Geräusch hörten. Sie stockten und meinte, einen leichten Schatten zu erkennen.


    Der Anführer der Dreiergruppe öffnete die Tür rasch wieder und drängte die beiden anderen in den Raum.


    "Pinsel bereithalten! Und dass mir ja keiner 'was übereiltes tut! Wir sind nicht hier, um Angst zu haben, sondern um anderen Angst zu machen."

    Priscus stand mit an der Lagerstraße und verfolgte den Leichenzug und die Rede. Der Tote war Optio gewesen, wie er, wennauch mit anderem Aufgabenbereich, und da machte man sich natürlich seine Gedanken. Andererseits war es dann auch nur einer von vielen Ärzten der Legion gewesen und einer von vielen Optiones.


    Als die Leichenrede endete, beendete auch Priscus seine Gedanken und wartete auf den Fortgang der Zeremonie. Hinzufügen wollte er nichts. Aristides hatte einiges von dem, was er ihm bei der Leichenwache erzählt hatte, in der Rede verarbeitet. Das, was vielleicht fehlte oder was er anders ausgedrückt hätte, schien ihm nicht wichtig genug, noch erwähnt zu werden.

    Am Abend des Tages, der für Priscus mit der Stabsbesprechung begonnen hatte, kam dieser von seiner Tagesaufgabe zurück ins Quartier. Die Kameraden aus seiner Stube waren auch gerade zurück gekehrt und begannen damit, das Abendessen vorzubereiten.


    "Tut mir leid Jungs, ich helfe heute nicht mit, ich hab' noch was zu erledigen", entschuldigte sich Priscus und verließ mit einer Wachstafel in der Hand wieder den Raum.


    Gleich auf der gegenüberliegenden Seite der Lagergasse begann er mit seiner Inspektion. "Salve, Kameraden. Nur eine kurze Störung im Auftrag des Praefectus Castrorum. Habt ihr irgendwo kaputte Dächer, klemmende Türen, verstopfte Kamine, bröckelnden Putz, morsche Fußböden oder ähnliche Leiden?"

    Nichts rührte sich im Atrium des Tribunenhauses und alles war still. Wenig später wurde diese Stille dreimal gestört, als drei Paare Caligae inklusive der darin befindlichen Männer vom Dach auf den Boden sprangen.


    "War hier schon mal einer von uns drin? Wo ist denn das Schlafzimmer?"


    "Irgendwo dahinten, vermute ich."


    "Gut, schauen wir nach."


    Leise schlichen die Männer durch den dunklen Gang nach hinten und öffneten leise die erste Tür. Dahinter befand sich nicht der gesuchte Raum.

    Als nochmal Bauarbeiten angesprochen wurden, machte Priscus sich weitere Notizen und nahm sich vor, gleich heute abend mit der Befragung der Kameraden in de Unterkünften zu beginnen. Die Inspektion der anderen Gebäude war wohl am einfachsten am nächsten Morgen mit dem Tagesbefehl herauszugeben.


    "Für die Begehung der Amphitheater-Baustelle, sollen wir uns da schon mal auf einen Termin festlegen? Momentan bin ich in unregelmäßigen Abständen für Vermessungen am fertigen Gebäude oder ähnlichem dort."

    Bevor der erste Nachtfrost kommen sollte und gefrorenes Wasser in Ritzen und Ecken zu Rissen und Abplatzern im Putz oder Bodenbelag führte, sollte alles fertig sein. Noch war etwas Zeit, auch wenn die Nächte langsam kühler wurden. Dennoch arbeiteten die Handwerker mit viel Elan und täglich konnten irgendwo am Amphitheater kleinere Arbeiten abgeschlossen werden. Mal war es eine komplett eingebaute Tür, mal ein fertiges Mosaik, mal eine vollendete Bemalung an einer Loge.


    Irgendwo im Dachgebälk des oberen Umgangs verewigten sich ein paar Zimmerleute noch mit einem eingeritzten Gebet an die Götter, die diesem Bauwerk lange Standfestigkeit schenken mögen und ein paar Stockwerke weiter unten machten sich andere Handwerker an die gegenteilige Arbeit und verdeckten ein paar in die Wand geritzte und jetzt nicht mehr benötigte Bauzeichnungen mit einer zusätzlichen Putzschicht.

    "Wir teilen und auf - die Hälfte fängt hinten an, die andere Hälfte vorne", ordnete Priscus weiter an, als er mit seinen Leuten den Bereich des Lagers erreicht hatte, den er sich selber zugeteilt hatte.


    "Sucht sorgfältig in jeder Gasse und jeder Nische. Wir wissen nicht, wen oder was wir suchen, also rechnen wir besser mal mit allem. Aber lauft nicht zu offensichtlich nach einem bestimmten System - vielleicht werden wir beobachtet. Kontrolliert eine Stelle ruhig zweimal nacheinander.


    Auf geht's!"


    Eine Fackel vor sich halten und einige Soldaten hinter sich stapfte Priscus in die nächste Seitengasse und schaute suchend nach links und rechts, ob ihm dort irgend jemand begegnete, der dort nicht hingehörte.

    Inzwischen zierten doch einige Notizen die Wachstafel von Priscus. Ganz oben stand da der neue Pferdestall. Da würde er mit den Kameraden erstmal schauen müssen, welchen Platz in einer Lagergasse oder eher im Intervallum sie damit zubauen würden.


    Die Auflistung der Briefe entlockte ihm ein kopfschüttelndes Grinsen. Er hatte niemanden, dem er schreiben konnte und niemanden, der ihm schrieb. Und eigentlich war das auch ganz gut so, fand er. Er würde seinen Leuten trotzdem sagen, dass sie mal zu Hause nachfragen sollen, ob Mami ihnen nachheult.


    Auch bei der Frage nach der Winterversorgung wanderten ein paar Zeilen auf seine Tafel, bevor er sich zu Wort meldete. "Ganz so hart wie in Germania sind die Winter hier nicht, hörte ich. Ich war ja noch nie in Germania. Getreide läuft den ganzen Winter normal durch, das war hier noch nie ein Problem. Ebenso Obst - Äpfel haben immer bis zum Frühjahr gereicht. Dazu dann Trockenobst in kleinen Mengen. Und Nüsse, die haben meistens sogar bis in den Sommer gereicht, dann waren wir sie leid.
    Gemüse wird knapp und wurde hauptsächlich für die Stabsverpflegung eingelagert. Fleisch, Speck und Fisch auch nur in den bekannten knappen Mengen, an Feiertagen mit blutigen Opfern mehr. In Salz eingelegtes Zeug auch nur für den Stab. Käse war wiederum immer genug für alle da."


    Genaue Zahlen und Mengen könnte man wohl einfach in den Lagerlisten nachsehen, bevor er hier aus dem Kopf etwas falsches erzählte, dachte sich Priscus und beendete damit seinen knappen Bericht.

    Ziemlich lange blieben die Männer von Gruppe Gelb auf dem Holzdach liegen und starrten in die Dunkelheit. Doch die Fackeln auf den Wegen des Lagers machten keine Bewegungen in ihre Richtung. Den vielen Stimmen und Lichtflecken konnten sie aber entnehmen, dass das Eindringen der "Täter" offenbar inzwischen gemeldet worden war und eine Suche begann.


    "Verlieren wir nicht noch mehr Zeit. Weiter geht's"


    Möglichst leise robbten und rollten sich die Männer über das Dach in Richtung der großen Öffnung, die das Atrium ließ. Vorsichtig lugte einer kopfüber unter die Dachkante, um zu schauen, ob sich dort unten nicht vielleicht noch ein wachsamer Soldat oder Trossknecht des Tribunen herumtrieb.

    Irgendwann zwischen Morgenappell, Arbeitseinsatz, Wachdienst oder Exerzieren besuchte Priscus wieder einmal die Latrine. Draußen begann es langsam kühler zu werden und die Plätze auf dem Holzbalken wurden langsam spürbar unangeneher. Aber noch reichte es für ein entspanntes Gefühl und dazu, lange genug sitzen zu bleiben, bis man alle neuen Sprüche an der Wand gelesen hatte.

    Auf dem selben Weg wie der erste Mann gelangte nun auch der zweite Mann von Gruppe Gelb auf das Dach des Hauses. Ein leichtes Klopfen auf dem Holzdach ließ sich nicht vermeiden, aber die Soldaten hatten immerhin einen Weg gefunden, das übliche Klimpern und Klappern von Schwert und Gürtel zu verhindern. Vorsichtig reichten sie als nächstes den Farbeimer hinauf, damit nichts verkleckerte. Der dritte Mann nutze die drei Scuta als Trittstufe und wurde von seinen Kameraden nach oben gezogen.


    Noch einmal blieben die Männer flach und wortlos auf dem Dach liegen, um die Bewegung der Lichter auf den Wegen im Lager abzuwarten. Auf der Straße unter ihnen zeugten nur noch die drei zurückgelassenen gewöhnlichen Scuta von ihrer Anwesenheit.

    Wenige Augenblicke nach dem Weckruf war Priscus wach genug, um die Meldung über den Vorfall entgegen zu nehmen. Richtig Spass schien ihm diese Störung nicht zu machen.


    "Milites, Rüstungen anziehen! Mit Scutum vor der Baracke antreten!"


    Dann eilte er zurück zu seinem Bett, um sich seine Caligae anzuziehen, was einige Augenblicke dauerte. Als er danach seine Rüstung angelegt hatte und zurück auf die Lagergasse trat, hatten sich die ersten Soldaten ebenfalls schon gesammelt.


    "Es sind Eindringlinge im Lager und wir müssen sie suchen.


    Erstes und zweites Contubernium: die Blocks links der Via Praetoria, diesseits der Via Principalis.
    Drittes und viertes Contubernium: die Blocks rechts der Via Praetoria, diesseits der Via Principalis.
    Fünftes bis siebtes Contubernium: die Blocks links der Via Praetoria, jenseits der Via Principalis.
    Achtes bis zehntes Contubernium: die Blocks rechts der Via Praetoria, jenseits der Via Principalis.


    Und das ganze ein bisschen plötzlich!"


    Gemeinsam mit seinem Contubernium machte sich Priscus auf den Weg, als die Gruppe vollständig war.

    Der Geruch von Pflanzenextrakten und Ölen wehte leicht über den Platz, nachdem nun wirklich überall die Maler in Aktion waren, um verschiedene Bauteile mit einem farbigen Anstrich zu versehen. Die großen Mischanlagen für den Beton, die Priscus zu Beginn der Buarbeiten mit errichtet hatten, waren inzwischen wieder demontiert worden und an ihre Stelle war ein Gewirr kleiner und großer Bottiche getreten, in denen sich verschiedene farbige Massen und Farbrohstoffe sammelten, um in großen und kleinen Töpfen durch die Gegend getragen zu werden.
    Die groben Geräuschen von Hämmern und Sägen auf Holz, Stein und Metall aus dem Inneren des Bauwerks waren inzwischen dem zarten Klopfen kleiner Hämmer gewichen - die Mosaikenleger waren am Werk.


    Priscus kam nicht mehr täglich auf die Baustelle. Zum einen war er immernoch regelmäßig als Wachkommandant eingeteilt und musst dann im Lager bleiben und zum anderen waren Arbeiten für Techniker im Moment eher selten. Hier und da überwachte er den Abbau eines Gerüstes und half beim Nachmessen von Arbeitsabschnitten, für die externe Handwerker herangezogen worden waren, die nach der geleisteten Arbeit bezahlt wurden.

    Immernoch unbemerkt hatte Gruppe Gelb die Rückwand des Tribunenhauses ihrer Zielperson erreicht. Von der Hauptstraße aus waren sie nicht zu sehen und natürlich hockten sie auch nicht mitten auf dem Weg, so dass sie jeder entdecken könnte, der zufällig in die Quergasse schaute.


    "Das Haus hat ja sogar einen Hinterausgang. Ist mir noch nie aufgefallen."


    "Na und? Der ist bestimmt gut verschlossen. Vielleicht steht von innen sogar was davor. Wir gehen über's Dache, wie abgesprochen."


    "Jaja, schon gut."


    Ohne große Probleme diente ein Mann als Stütze, um einem anderen einen Weg auf's Dach zu ermöglichen. Kaum hatte dieser eine Höhe erreicht, die es ermöglichte, über die Dachkannte die Umgebung zu betrachten, stockte er.


    "Psst, zwei Häuser weiter sitzt auch jemand auf dem Dach."


    Da hatte er wohl Gruppe Purpur entdeckt. Einen Moment wartete er, dann zog er sich weiter rauf und legte sich flach und möglichst geräuschlos auf das Dach, um nicht von der Straßenseite aus gesehen zu werden, wo er sich bewegende Fackeln ausgemacht hatte.

    Priscus fand sich ziemlich unvermitteln bei der Diskussion um die Zeremonie und einen möglichen Marsch nach Rom völlig außen vor. Was ihn allerdings nicht störte, hätte er dazu doch ohnehin nichts beisteuern können.


    Bei Punkt zwei hatte er einfach nur genickt. Was auch immer er da diesem Quaestor genau als Hilfestellung anbieten sollte, wenn man ihn dazu eintelite, dann würde er es eben tun.


    Punkt drei fand ebenfalls seine Zustimmung. "Bezüglich der Arbeitsteilung auf dem Exerzierplatz werde ich mich mit Aristides absprechen."


    Mehr hatte er erst einmal nicht zu sagen. Notizen machte er sich auch ziemlich wenige.

    Der Posten schien nichts gemerkt zu haben. Zwar schaute einer der Soldaten in ihre Richtung die Gasse hinunter, zeigte aber keinerlei Anzeichen, etwas gemerkt zu haben. Nummer Eins von Gruppe Gelb nickte zufrieden und wechselte seinerseits die Straßenseite, als niemand von der Wache seine Aufmerksamkeit in diese Richtung lenkte. Nummer Drei folgte nach einer weiteren kurzen Pause.


    "Und jetzt? Ist das da vorne nicht schon das Haus vom Tribun?"


    "Nein, der Tribun wohnt von hier aus eines weiter links. Wollen wir es wirklich von hinten über's Dach versuchen?"


    "Ja!"


    "Na, dann mal dran, drauf, drüber..."

    Einige Tage später waren in etwa der Hälfte des neuen Amphitheaters nahezu sämtliche schweren Geräte komplett abgebaut und erstmals hatte man im Innenraum einen freien Blick auf der Ergebnis. Nur im oberen Umgang und vor den senkrechten Mauern der einzelnen Geschosse standen noch Baugerüste, die die Maler für ihre Arbeiten brauchten. Auch außen herum war das Bauwerk immernoch komplett von Gerüsten eingeschlossen und auch hier waren es vor allem die Maler, die ihr Werk noch lange nicht abgeschlossen hatten.


    Aus dem Inneren der Gänge, Treppenhäuser und Katakomben drangen auch an vielen Orten noch Geräusche. Mit kräftigen Hammerschlägen trieben die Arbeiter an verschiedenen Stellen Löcher in den Stein, die Halterungen für Türen, Gitter oder Fackeln aufnahmen. An anderen Stellen führten Techniker Probeläufe für eine Wasserleitung aus, die für die Versorgung der Tierställe in den Katakomben angelegt worden war. Und an manchen Ausgängen trugen Arbeiter auch einfach nur Material aus dem Gebäude heraus, was drinnen nicht mehr gebraucht wurde und schichteten es auf dem Sammelplatz auf.