Manche meiner Kollegen im schicken Häuschen der Aurelier hielten mich für einen Herumtreiber, aber da irrten die sich gewaltig. Ich trieb mich niemals herum oder nur selten, nämlich exakt dann, wenn ich Ausgang hatte. Aber auch da hielt ich natürlich meine Augen offen, denn es gab nicht viele Informationen, die meinem Herrn nicht hätten dienlich sein können. Allerdings hielt er gewisse Informationen, die ich ihm gern zusätzlich hinterbracht hätte, für unnütz; ich aber war mir sicher, dass es noch so manches gab, was er lieber endlich einmal ausprobieren sollte, als so hastig darüber zu urteilen.
Nun, er war ein Sonderling, der Aurelius Cotta, das hatte ich gleich durchschaut, und es hatte schon Momente zwischen uns gegeben, in denen ich den Jungspund am liebsten mal gepackt und kräftig durchgeschüttelt hätte, denn das hatten sie mit ihm meiner Meinung nach in seiner Jugend viel zu selten gemacht. Aber natürlich hätte ich diese Gedanken niemals in die Tat umgesetzt, denn ich wusste, was sich gehörte, und war doch ein perfekter Sklave.
An dem einen ominösen Tag aber war alles ein bisschen anders. Wieder einmal hatte ich das getan, was einige meiner Kollegen in geballter Ignoranz als "Herumlungern" bezeichneten - ok, in dem Fall war ich auch mal kurz weggedöst, aber ich war gleich hochgeschreckt, als ich mitbekam, welches Täubchen soeben seinen Weg in die villa Aurelia in Roma gefunden hatte: Aurelius Cottas Mutter. Über die hatte er ja nun fast gar nicht gesprochen die ganzen Jahre, die ich ihn jetzt kannte, und das war mir Signal genug zu erkennen, dass da was hinter stecken musste. Also, gleich aufgesprungen und zum officium meines Herrn geeilt.
Der war natürlich wieder einmal ganz in seinen Reflexionen versunken, doch es würde mir schon gelingen, ihn wach zu rütteln, wenn ich ihm nur die Ankunft seiner Mutter verkündete. Dachte ich. Stimmte auch. Aber was sich dann auf seinem Gesicht abspielte, tat mir ehrlich Leid. Als ich reingekommen war, hatte mein dominus gegrinst, doch sobald er von seiner Mutter gehört hatte, erstarrte er völlig, saß, ich weiß nicht, aber bestimmt einige Minuten lang da und brütete dumpf vor sich hin. Vorsichtig sprach ich ihn wieder an, denn ich machte mir schon Sorgen um ihn. Da endlich erhob er sich und kam dann zur Tür, aber eigentlich auch nur geschlichen. Ich wollte mich derweil um das officium kümmern und vielleicht ein bisschen Ordnung schaffen, denn das ich zur Begrüßung seiner Mutter mit Aurelius Cotta ging, kam natürlich nicht in Frage. An der Tür aber blieb mein dominus plötzlich stehen und sah mich an. So einen Blick hatte ich wirklich noch nie an ihm gesehen, überhaupt noch nie in meinem Sklavendasein von einem Herrn gesehen: Er flehte mich mit diesem Blick fast darum an, mit ihm zu kommen. Schweigend folgte ich ihm zum adedis, jetzt selber schon ein wenig mitgenommen davon, wie es meinem dominus ging.
Den Weg zum adedis, wohin Leone diese Aurelia Camilla gebracht hatte, legte mein Herr dann entschlossen und schnell zurück, so dass ich allmählich wieder Hoffnung bekam; bevor er dann endgültig das Zimmer betrat, in dem seine Mutter auf ihn wartete, machte er aber wieder Halt. Er wollte weg, das sah ich ihm gleich an, und sein Gesicht sah so unglücklich aus wie das eines kleinen Jungen. Sollte ich vielleicht besser vorgehen? Ich machte schon einen ersten Schritt, und dann konnte ich einfach nicht anders und legte - Cotta - meine Hand auf die Schulter. Er wandte sich schon um und betrat den Raum, ich folgte mit Abstand.
Aurelia Camilla war eine Wucht, nein, etwas wirklich Besonderes, eine echte Patrizierin. Dass waren die anderen Damen des Hauses zweifellos auch, doch bei ihr hier hatte das Altern ganze Arbeit geleistet und aus der Frau eine Herrin gemacht. Und wie schön sie war ...
Wo hatte mein dominus die Begrüßungsworte auswendig gelernt, die er nach einer kleinen Weile herunter haspelte? Denn so klangen sie: auswendig gelernt. Also, viel unterkühlter hätte er es gar nicht machen können. Und als er dann seiner Mutter gar mich vorstellte, überraschte er mich nicht nur, sondern durchbrach sogar die Etikette. Ich für meinen Teil trat einen Schritt vor und grüßte ehrerbietig: "Salve, domina!" Ich war gespannt, wie Aurelia Camilla reagieren würde.