Entschuldigend lächelte Valerian seiner Frau zu. Er wusste, sie hätte ihm am liebsten einen kräftigen Knuff gegeben und er wusste ebenso, dass er es verdient gehabt hätte. Sie würde sein Lächeln schon richtig verstehen, da war er sicher. „Ein alter Soldat sagte mir einmal, man lernt das Bier schätzen, wenn man sehr durstig ist. Es wäre dann so erfrischend und lecker, dass man es ab da nicht mehr missen möchte. Allerdings konnte ich mich noch nicht dazu überwinden, das auszuprobieren, um zu sehen, ob er Recht hatte.“ Mit einem dankbaren Nicken nahm er seinen Becher entgegen und hob ihn den Gastgebern entgegen. „Auf die Kinder, ganz gleich welchen Volkes. Ihnen wird die Welt gehören.“ Ob sich der kleine Duccier wohl eines Tages mit dem noch ungeborenen Quintiliuskind vertragen würde?
„Albin erinnert sich also doch noch an mich? Ich war mir nicht sicher, er lässt sich irgendwie nie anmerken, was er denkt.“ Ob er das nun gut oder schlecht fand, ließ er bei dieser Aussage völlig offen. „Es ist aber auch schon sehr lange her, so vieles hat sich geändert. Bei euch ebenso wie bei uns.“ Für einen Moment legte sich ein Schatten über seine Miene, als er an die Verwandten dachte, die damals noch gelebt hatten und die ein herzliches Verhältnis zu den Bewohnern dieses Hauses gehabt hatten.
Daß die Dame des Hauses sich an der Verwendung ihres germanischen Namens stieß, ahnte Valerian nicht, konnte er auch nicht, immerhin hatte Marsus sie heute Abend so vorgestellt. Deshalb hatte Valerian auch angenommen, es sei ihnen lieber so, da die Duccier doch immer sehr stolz auf ihre germanischen Wurzeln waren und sich gerne einen Teil ihrer Herkunft bewahrten.
Marsus’ Lachen beantwortete Valerian mit einem Grinsen. „Eine Frage war es auf jeden Fall wert. Schade, dass Dich so gar nichts reizt, nach Rom zu reisen. Die Stadt ist sehenswert, auch wenn man dort nicht leben möchte. - Wie weit es ist? Oh, sehr weit. Über achthundert Meilen, man ist viele Wochen unterwegs. Die Reise ist anstrengend und scheint endlos zu sein. Nicht wahr, Calvena? Dabei waren wir wirklich schnell… Von Rom erzählen können wir euch vieles. Es gibt unzählige prachtvolle Gebäude, ganz aus Marmor, mit den herrlichsten Verzierungen und Statuen. Alles in herrliche Farben getaucht. Aber nicht alle Pracht in Rom ist aus Stein. Es gibt auch große Parks, in denen alte Bäume stehen und in denen ganze Teppiche von farbenfrohen Blumen wachsen. Kunstvoll gestaltete Brunnen sprudeln auf allen Plätzen, nicht mit dem schmutzigen, stinkenden Tiberwasser gespeist, sondern mit klarem Quellwasser, das über Aquädukte aus den Bergen in die Stadt geleitet wird. Überall in den Straßen gibt es Händler, bei denen Du Waren aus aller Welt kaufen kannst. Unter den schattenspendenden Arkaden sitzen Lehrer mit ihren Schülern oder stehen ganze Gruppen von Menschen, die eifrig miteinander diskutieren. Bettler sind ebenfalls überall zu finden, genau wie man ständig auf der Hut vor Taschendieben sein muß. Weite Gebiete der Stadt sind sehr eng besiedelt. Die Häuser sind mehrstöckig, nur im Erdgeschoß gibt es fließend Wasser. Die anderen Bewohner müssen sich ihr Wasser an den öffentlichen Brunnen holen. Die Ärmsten wohnen ganz oben, die Reichen unten. Manche dieser Häuser sind billig gebaut, es gibt eben auch unseriöse Bauunternehmer. So brechen immer wieder Häuser zusammen und begraben Menschen unter sich. Das Gefährlichste aber sind Feuer. Es gab schon verheerende Brandkatastrophen in Rom, nicht umsonst wurden die Vigiles geschaffen, eine Truppe, die nicht nur Feuer bekämpft, sondern auch dafür zuständig ist, es zu vermeiden.“
Das Essen wurde aufgetragen und es sah einfach köstlich aus und duftete noch viel besser. Valerian war nicht in übermäßig reichen Verhältnissen aufgewachsen und kannte es sehr wohl, normalerweise von Puls und Eintopf zu leben, oder Brot mit Moretum und Oliven. Von den kulinarischen Extravaganzen der Reichen mit unzähligen Gängen, von denen man nur häppchenweise probierte, hatte er auch noch nicht viele erlebt. Er griff auf Elfledes freundliche Eröffnung der Mahlzeit hin nach dem frischen Brot und brach sich ein Stück davon ab. „Eßt ihr denn auch Garum zu eurem Essen? Oder eher nicht? Ich würde es gerne genau so probieren, wie es bei euch üblich ist. – Es sieht alles einfach herrlich aus und bei dem Duft läuft einem wirklich das Wasser im Munde zusammen.“ Die Gastfreundschaft in diesem Haus war immer schon überwältigend gewesen und das hatte sich augenscheinlich nicht geändert. Valerian war sehr wohl klar, dass es hier nicht jeden Tag ein geröstetes Ferkel gab und war sich der Ehre, die ihm und Calvena hier entgegengebracht wurde, sehr wohl bewusst.