Beiträge von Lucius Quintilius Valerian

    Fest drückte Valerian seine Frau an sich und als er hörte, daß sie Erfolg gehabt hatte, strahlte er vor Freude. War diese Angelegenheit also endlich ausgestanden. Doch das Strahlen erlosch, so schnell es entstanden war. Nur zwei der Kinder? Und sie wollte Romaeus behalten? Was wollte sie mit einem Kind, das nichts kannte als stehlen und einbrechen? "Und... ich meine... Calvena, wie stellst Du Dir das vor? Was sollen wir mit dem Jungen? Er ist ein Sklave, das hast Du doch von ihm gehört?"

    Es wurde ein sehr langer und sehnlicher Kuß. Wie ungern er sie gerade jetzt allein ließ! Aber er hatte keine andere Wahl, er mußte los. Der Weg war weit und er wollte ihn so schnell wie möglich hinter sich bringen, um möglichst bald wieder hier sein zu können. Nur zögernd löste er sich von seiner Frau. "Das verspreche ich Dir. Und achte Du auch gut auf Dich, ja? Ich komme wieder, so schnell ich kann." Ein sorgenvoller Blick auf seine schwangere Frau, dann riß sich Valerian los und verließ das Haus. Ein langer, anstrengender Ritt lag vor ihm.

    Valerian schluckte. Primus versuchte, das Thema zu wechseln, aber das war nicht so einfach. "Ohne meinen Patron wird es mit einer Rückkehr schwer. Und er ist in einer geheimen Mission unterwegs. Und nicht wenig ist untertrieben. Salinator hat während des Opfers meine Frau - man kann es nicht anders ausdrücken - angemacht. Darauf habe ich ein wenig zu gereizt reagiert. Deshalb ließ er mich versetzen. Ich kann nur hoffen, daß er meinen Namen dann schnell wieder vergessen hat, sonst wird es nicht einmal was mit einer Beförderung, für die ich vorgesehen bin." Was für profane Themen. Valerian hatte das Gefühl, einem Theaterstück beizuwohnen.


    "Mir geht es gut, meiner Frau auch. Sie erwartet ein Kind..." Der Kreislauf des Lebens. Hier starb jemand, dort wurde neues Leben geboren. Schmerz auf der einen Seite, Freude auf der anderen. "Meine Schwester ist es, um die ich mir Sorgen mache. Sie hat Lupus wirklich geliebt. Und glaubt, ich wäre gegen eine Verbindung gewesen. Was immer ich sage, es scheint an ihr vorbeizurauschen." Jetzt blieb das bittere Gefühl, ihr sogar das bißchen Glück genommen zu haben, das sie bis jetzt hätten haben können.

    Valerian nickte bedächtig. "Ja, welcher Mann würde das nicht? Ich glaube, ich würde sie auch schützen wollen, wenn ich sie nicht so lieben würde. Deine Frau solltest Du stets beschützen. Noch viel mehr, wenn sie Dein Kind unter dem Herzen trägt. - Aber ich will sie nicht einsperren, auch nicht einengen. Nur... in Sicherheit möchte ich sie wissen, verstehst Du?" Er wußte, wenn Calvena das herausfand, würde sie sehr zornig werden. Trotzdem fand er es richtig.

    Valerian schaute sich das ganze Manöver an. Männer, die hingefallen waren, kassierten noch einen unangenehmen Stoß mit dem Rebstock. "Halt! Wer kann mir sagen, was genau hier falsch gelaufen ist und wie ihr so etwas verhindern könnt?" Er blickte vor allem die Gruppe an, die gerade auf die Nase gefallen war, hatte die Frage aber durchaus an alle gerichtet.

    Valerian nickte bedächtig. "Gut, ich werde das so weitergeben." Mehr sagte er erst einmal nicht. Was hätte er auch noch sagen können? Es gab keine Worte, die imstande waren, Schmerz zu lindern. Er konnte nur abwarten. Und einfach da sein. Wie lange war es her, daß sie als junge Männer in jenem Contubernium gesessen und über alles mögliche diskutiert hatten, während sie ihre Ausrüstung in Ordnung brachten? Es schienen Welten zwischen damals und jetzt zu liegen.

    "Es liegt niemals nur an einem! Es liegt immer an der ganzen Gruppe!" Er ging zu den Männern und zählte sie ab. "Eins, zwei, eins, zwei... - So, alle mit der Nummer eins nach rechts, alle mit der Nummer zwei nach links. Und nun das Ganze noch einmal, bildet zwei Reihen und tretet gegeneinander an. Los!" Es war ihm aufgefallen, daß die Gruppen sich auf die gleiche Weise wie am Vortag gebildet hatten. Etwas, das er nicht gutheißen konnte.

    Valerian blickte Fontinalis ernst an. "Nur sehr selten ist es einem vergönnt, die Frau zu heiraten, die man liebt. Meist ist es so, daß eine Ehe aus Vernunft geschlossen wird und die Liebe sich dann entwickelt. - Calvena und ich gehören zu den sehr seltenen Personen, die aus Liebe heiraten konnten. Ich liebe sie wirklich sehr, würde ohne zu zögern für sie sterben oder alles aufgeben, wenn es keinen anderen Weg gäbe, sie zu retten. Wenn Du Deine Nachbarin so geliebt hast, wie ich Calvena liebe, dann verstehst Du, warum ich sie, gerade jetzt, wo sie schwanger ist, unbedingt beschützen möchte."

    Die Frau des Centurios beschattet? Valerian lachte. "Nein, auf solch dumme Ideen komme wohl nur ich. Ihr sollt sie auch eigentlich nicht beschatten. Sondern nur auf sie aufpassen, wenn ihr sie in der Stadt seht. Sie beschützen, nicht ihre Tätigkeiten überwachen." Er wußte, daß seine Calvena treu war. Und welche Einkäufe sie tätigte, war nun auch nicht gerade das Interessanteste für ihn. Nein, überwachen wollte er sie nicht. Nur dafür sorgen, daß ihr nichts Schlimmes passierte. "Warst Du schon einmal richtig verliebt, Fontinalis?"

    Die Männer waren bereit. Valerian betrachtete die ernsten, entschlossenen Gesichter. "Das hier ist kein Spiel, ihr sollt lernen, worauf es ankommt, wo die Schwachstellen sind, worauf geachtet werden muß. Ihr werdet gemerkt haben, daß die Übungsschilde schwerer sind als eure normalen. Im Moment wird euch diese Tatsache das Leben schwer machen, doch später wird es euch helfen, eure normalen Schilde lange in der richtigen Position halten zu können. - Also, achtet auf eure Nebenmänner! Haltet die Reihen ordentlich geschlossen, sucht beim Gegner nach Lücken und nutzt sie schnell aus, ohne die eigene Deckung zu vernachlässigen! Ihr werdet heute noch viele Fehler machen. Doch mit jeder Übung werden es weniger werden. Denkt nicht als Einzelperson, denkt immer als Gruppe!" Er ging an den Reihen entlang, machte den einen oder anderen auf eine falsche Beinstellung oder auf die falsche Handhabung des Scutums aufmerksam. Erst dann gab er den Befehl, die Holzschwerter zu ziehen und gegeneinander vorzurücken.

    "Nein, vermutlich wird es nicht gutgehen. Entweder in die eine oder in die andere Richtung wird es zur Katastrophe können. Tun können wir nichts dagegen. Wir müssen abwarten, was die Mächtigen des römischen Imperiums tun und entscheiden." Wen er damit meinte, ließ er offen. Er konnte sowohl den Kaiser und Salinator meinen - als auch die Männer, die sich gegen den Vescularier verschworen. Eigentlich aber meinte er alle. Denn ihre Entscheidungen waren es, von denen alles abhing.


    Ihre Begeisterung machte Valerian fast Angst. Vielleicht hätte er die Möglichkeit von Urlaub besser nicht erwähnen sollen? Er lachte. "Ich werde mit dem Legaten sprechen. Wie wäre es übrigens, wenn wir ihn auch mal einladen würden? Das gesellschaftliche Leben hier in Mogontiacum ist ja eher... sagen wir mal mager. Da wird er sich gewiß auch über eine Einladung von einfachen Leuten wie uns freuen. Und hast Du eigentlich Deinen Onkel Avarus besucht? Er lebt hier ziemlich zurückgezogen, scheint mir."

    "Niemand ist unsterblich, Primus. Nicht einmal bei den Göttern bin ich mir wirklich sicher... Was, wenn irgendwann niemand mehr an einen bestimmten Gott glaubt?" Eine Frage, die wohl niemand beantworten konnte, - außer den Göttern selbst. "Ich war nicht dabei. Seine Männer berichteten es mir." Aus lauter Verlegenheit nahm Valerian noch einen Schluck aus seinem Becher. "Soll die Legion die Bestattung übernehmen? Oder möchte die Familie das tun?" Er mußte es fragen, es war seine Pflicht. Aber es fiel ihm schwer. Er hätte es dem Freund gerne erspart, darüber nachdenken zu müssen.

    Leicht war es nicht gewesen. Valerian kannte solche Typen wie diesen Varius. Sie kannten keine Worttreue, sie kannten nur den persönlichen Gewinn. Doch wenn der Mann eine Zukunft in Mogontiacum haben wollte, mußte er wohl oder übel auf das Geschäft mit Valerian eingehen. Er konnte es nicht riskieren, die Legion gegen sich aufzubringen. Und es fiel Valerian leicht, dem Mann klarzumachen, daß er großen Einfluß innerhalb der Truppe besaß. Auch wenn das nur bedingt richtig war.


    Am Ende der Verhandlung jedenfalls hatte er nicht nur Romaeus, sondern auch noch die beiden anderen Rangen am Hals. Die beiden in sein eigenes Haus zu bringen, fiel ihm nicht ein. Wenn Calvena sie erst lange genug in den Fingern hatte, konnte sie sich am Ende nicht mehr trennen. Nein, besser, er brachte sie in einer Pension unter. Dort konnten sie auch erst einmal baden und ordentlich gekleidet werden. Für Geld war eben alles zu bekommen. Und wie würden es dort gut haben, bis Calvena ein Heim für sie gefunden hatte. Daß sie fortliefen, fürchtete Valerian nicht, er hatte ihnen erklärt, was mit ihnen geplant war und wie Romaeus da mit drinsteckte. Das schien sie vollauf zufrieden zu stellen. Vor allem, da sie auch gut zu essen bekamen.


    Das alles dauerte allerdings recht lange, so daß Calvena doch noch einige Zeit auf ihren Mann warten mußte. "Salve, mein Liebes", begrüßte er sie und umarmte sie fest. "Ich habe die Kinder erst einmal in einer Pension untergebracht. Wie war es bei Dir? Hattest Du Erfolg?"

    Tief durchatmend schloß Valerian kurz die Augen. "Er ist ertrunken. Er ist in den Rhenus gesprungen, um ein Kind zu retten. Das Kind hat es geschafft, aber er wurde von der schweren Rüstung hinuntergezogen. Er ist im Castellum, wir haben ihn vor dem Marstempel aufgebahrt..." Die Frage, die sich nun aufdrängte, mochte er noch nicht stellen. Der Freund brauchte doch Zeit, um diese Nachricht zu verarbeiten.

    "Mach das auf jeden Fall! Du kannst Dir nicht vorstellen, was ich für Qualen leide, wenn sie allein durch die Stadt streunt." Valerian fand seinen Plan perfekt. Hadrianus würde Calvena kennenlernen und dann dafür sorgen, daß der Rest der Centurie nach und nach wußte, wer sie war. Dann konnten alle bei Gelegenheit ein Auge auf sie haben. "Na, ein wenig geschickt solltet ihr euch schon anstellen. Sie darf natürlich nichts merken, sonst wird sie in der Tat fürchterlich wütend. Übrigens ist auch das eine gute Übung, falls es Dich eines Tages zu den Praetorianern verschlagen sollte."

    "In Ordnung, Männer, das genügt für heute, was das Pilum angeht! Morgen wiederholen wir die Übung, nur daß ihr dann euer Scutum in der anderen Hand halten werdet. Ihr seid schließlich nicht allein auf einem Schlachtfeld!" Im Großen und Ganzen war er mit den ersten Versuchen der Männer ganz zufrieden. Sicher benötigten sie noch viel Übung, aber das würde mit der Zeit noch kommen. "Gestern haben wir begonnen, mit dem Gladius zu kämpfen. Ihr werdet heute nun zwei Reihen bilden, die gegeneinander antreten. Dafür werdet ihr hölzerne Übungsschwerter und geflochtene Übungsschilde verwenden, denn ich will hier keine Verletzten oder gar Toten sehen. Nehmt euch die Übungswaffen und bildet dann zwei Gruppen. Stellt euch einander gegenüber auf. Haltet die Schildreihen geschlossen, ihr werdet sehen, wie wichtig das ist. Ich sage an, wenn es losgehen soll."

    Naja, das mit der Besonnenheit und dem klaren Blick auf die Dinge konnte Valerian nicht unbedingt unterschreiben, aber er hielt wohlweislich seinen Mund. Der Moment, den sie hier miteinander teilten, war viel zu schön über einen Streit, der nichts bringen konnte. Außerdem war er Romana auch viel zu dankbar für ihren Einsatz, als daß er jetzt schlecht über sie sprechen würde.


    "Einen Grund hätte er nicht mal gebraucht. Er ist der Vertreter des Kaisers und der Kaiser kann jeden überallhin versetzen, wenn es ihm gefällt. Er kann sogar Zivilisten einfach so zum Dienst berufen. Tja... vielleicht hatte ich sogar noch Glück im Unglück. Germanien ist mir tausendmal lieber als Syrien, Judäa oder Aegyptus. Und ich hoffe ja immer noch darauf, daß Balbus etwas für mich tun kann. Es gibt einen Mann, der die Versetzung rückgängig machen kann: Der Kaiser selbst." Es war eben die Frage, wann Balbus zurückkehrte - und ob sein Einfluß beim Kaiser ausreichte, um ihn zurückzuholen.


    "Viel Zeit? Du meinst, ich sollte meinen Legaten mal um ein, zwei Tage Urlaub bitten?" Solch eine Bitte war ungewöhnlich, aber keineswegs völlig abwegig. Valerian glaubte schon, daß Livianus mit sich reden lassen würde. Er hatte ja bis jetzt auch sehr viel verständnis für ihre besondere Situation gezeigt.

    Bedrückt folgte Valerian dem Freund in dessen Officium und nahm auch nur zu gerne den Becher entgegen. Als er sich setzte, nahm er gleich einen Schluck. Ein wirklich edler Tropfen, der nichts dafür konnte, daß es für Valerian dennoch bitter schmeckte. "Angestellt... nunja. Primus... ich weiß überhaupt nicht, wie ich es sagen soll. Wie ich es leichter machen soll. Aber..." Er atmete tief durch. "Er ist tot."