Beiträge von Lucius Quintilius Valerian

    In diesem Atrium war tatsächlich allerhand los. Valerian faßte nach Calvenas Hand und wartete einfach ab, bis sich die Lage ein wenig beruhigte. Sedulus erschien kurz und Valerian grüßte ihn höflich, doch schon war der Senator wieder verschwunden. Der Bruder des kleinen Pius eilte dem Jungen hinterher.


    Das Kindermädchen tat ihm irgendwo auch leid. Natürlich mußte sie streng sein. Trotzdem fand er, daß sie sich bei der Verhängung von Strafen mehr Mühe geben konnte. Hausarrest war wirklich kontraproduktiv. Da war selbst eine Tracht Prügel besser, die war wenigstens schnell vorbei. Oder einen Haufen Holz hacken. Das trainierte die Muskeln, baute den Zorn ab und das Ergebnis war sogar nützlich.


    "Das war doch selbstverständlich", winkte Valerian ab, als Bia sich bei ihm bedankte. "Spätestens als ich hörte, wer er war, fühlte ich mich verpflichtet, ihn nach Hause zu geleiten. Er ist ein aufgeweckter Junge, es hat mir Spaß gemacht, mich mit ihm zu unterhalten. Außerdem hat er mir erst gesagt, wer er ist, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß er mir vertrauen kann. Er ist also keineswegs dumm oder gar zu vertrauensselig." Er hoffte, daß diese Worte die Anwesenden noch ein wenig beruhigten. Pius war gar nicht so verkehrt und lange nicht so ein Tunichtgut, wie Valerian selbst als Kind gewesen war.

    Valerian strahlte, als Serrana meinte, er bräuchte sich darum, ob Calvena ihn so sehr liebte, wie er sie, keine Sorgen zu machen. Natürlich wußte er das im Tiefsten eines Herzen, doch es war irgendwie schön, es nochmal zu hören.


    "Eine ganze Zeit war ich direkt bei den Räumlichkeiten des Kaisers eingesetzt und habe auch mit ihm gesprochen, ja. Und natürlich hatte ich auch mehrfach mit seinen Verwandten zu tun. Allein schon am Palasttor, als ich dort noch Wache gestanden habe und auch jetzt, wenn meine Centuria als Wache eingesetzt ist. Und als der Kaiser in Rom ankam, war ich unter den Männern, die ihn in die Stadt begleitet haben. Ich bin damals vor Stolz fast geplatzt, da war ich erst kurze Zeit bei der Garde. Naja, die Aufregung legt sich irgendwann, es wird einfach zur Routine. Und eigentlich bin ich ganz froh, daß meine Centuria nicht direkt beim Kaiser in Misenum eingesetzt ist. Dort ist ja der Hund verfroren. Hier in Rom gibt es auch genug zu tun."


    Als sie dann von den Veränderungen in ihrem Leben sprach, staute Valerian nicht schlecht. "Wie bist Du Deinem Schicksal entronnen? Wie kommt es, daß Du nicht geheiratet hast, sondern hier bist?" Vielleicht war die Frage etwas zu neugierig und persönlich, aber im Grunde hatte ja sie damit angefangen.

    Nein, Valerian merkte in der Tat nichts von der aufsteigenden Röte in Serranas Wangen. Es war schlicht zu dunkel dafür. Er war also völlig ahnungslos, was die zarten Gefühle anging, die sich zwischen Serrana und dem Senator Germanicus Sedulus zu entspinnen begannen.


    "Ja, ich weiß es auch. Und ich hoffe, daß sie weiß, wie sehr ich sie liebe." Verträumt verstummte er und ließ Calvenas Bild vor seinem inneren Auge entstehen. Sie war so schön. Und so lieb. Er sehnte sich danach, sie in den Armen zu halten.


    Erst Serranas nächste Frage riß ihn aus seinen schönen Gedanken. "Was..? Achso. Ja, wir sind im Allgemeinen beim Kaiser oder seiner Familie. Oder in der Castra. Oder mit Sonderaufträgen unterwegs. Passieren kann alles, Serrana. Wenn es dem Kaiser gefällt, in eine der Provinzen zu reisen, um dort längeren Aufenthalt zu nehmen, dann kann es mir passieren, daß ich ihn begleiten muß. Sollte ich es eines Tages in den Ritterstand schaffen, dann sind insgesamt wieder alle Karten offen. Dann kann es mich überall hin verschlagen. Aber sei mal ehrlich: Wer weiß denn schon, wohin es ihn einmal verschlagen wird? Unser aller Leben ist ständig Veränderungen unterworfen."

    "Tatsächlich, hast Du das?", stichelte Valerian und grinste breit zurück. Wenn Sermo durchhielt, konnte durchaus etwas aus ihm werden. Er würde es ihm wünschen. Zumal die Familie einiges an Ansehen gewinnen würde, wenn Sermo es tatsächlich in den Senat schaffte.


    "Du willst nach Ostia gehen? Nun, Ostia ist nicht weit, da sollten sich regelmäßige Besuche aber machen lassen. Kennst Du eigentlich Octavius Macer? Der hat sich doch auch in Ostia seine ersten Sporen verdient. Vielleicht hat er den einen oder anderen Rat für Dich? Und ich hörte, der Praefectus Urbi sei der Stadtpatron von Ostia. Es ist vielleicht nicht dumm, sich bei ihm ein wenig einzuschleimen." Zwar mochte er den Vescularier nicht, aber nichts desto trotz konnte es für Sermo nützlich sein, sich mit ihm zu verständigen.


    "Nein, so oft kann ich nicht. Aber so zwei mal in der Woche etwa trainieren wir zusammen. Er trainiert an den anderen Tagen natürlich allein. Nehme ich zumindest an, sonst würde es auch nicht viel bringen."

    Das Ergebnis des zweiten Durchganges bestätigte das Ergebnis des ersten Durchganges. Valerian hatte seiner inneren Liste der nicht geeigneten Männer, zwei Namen hinzugefügt. Er vermutete, daß der Praefectus diese Männer auch bereits abgeschrieben hatte.


    Valerian ließ die Männer in einer Linie antreten und zählte dann immer mit eins und zwei ab. "Alle Männer, bei denen ich eins gezählt habe, gehören zu einer Gruppe, die Männer, bei denen ich zwei gezählt habe zur anderen Gruppe. Ihr werdet gleich wieder gegeneinander antreten. Jede Gruppe für sich entscheidet, wie sie vorgehen will, welche Taktik und welche Waffen zum Einsatz kommen sollen. Ihr habt fünf Minuten, euch zu besprechen."

    "Vielen Dank", erwiderte Valerian und setzte sich sogleich an die Prüfung. Nach einigen Stunden des Schwitzens, Grübenls und Schreibens gab er dann die seiner Meinung nach richtigen Lösungen ab. Hoffentlich irrte er sich da nicht. Er verabschiedete sich von dem Scriba und hoffte, bald etwas von dem Ergebnis seiner Prüfung zu hören.

    Viel Zeit war nicht vergangen seit dem Examen Primum, doch Valerian war der Meinung, daß er jetzt gerade gut in der Materie drin war, so daß er sich das Examen Secundum zutrauen konnte. Er betrat das Officium und grüßte freundlich: "Salve. Ich bin Centurio Lucius Quintilius Valerian von den Cohortes Praetoriae. Vor kurzem habe ich das Examen Primum abgelegt und möchte nun das Examen Secundum in Angriff nehmen."

    "Was soll das darstellen, Männer? Bildet eure Linien erneut und dann möchte ich das Manöver noch einmal sehen! Gebt euch gefälligst mehr Mühe!" Valerian merkte sich, bei wem die Linie nachgegeben hatte und beobachtete nun, wie der zweite Versuch ablief.

    "Salvete", grüßte auch Valerian das andere Paar freundlich. Beide kannte er nicht gut, doch wußte er, daß Calvena mit Septima schon gut befreundet war. Beim Senator bezweifelte er, daß er ihn überhaupt kannte. "Lucius Quintilius Valerian, Centurio der Cohortes Praetoriae", stellte er sich dem Senator vor und lächelte anschließend Calvena zu. "Herzlichen Glückwunsch auch für euch."

    Will ich Dir mal glauben. Valerian hätte fast gelacht, hatte sich aber gut unter Kontrolle. Natürlich schaute er in das Register, um zu sehen, ob auch wirklich alles in Ordnung war. "Sehr gütig von Dir", lächelte er und schaffte es sogar, ein dankbares Lächeln auf seine Züge zu zaubern. "Ja, das ist sehr recht so. Vielen Dank für Deine Mühe. Einen schönen Tag noch." Er faßte Calvenas Hand und trat mit ihr auf den Gang hinaus, wo Tiberia Septima und der Senator Aurelius Ursus standen und warteten.

    Valerian schmunzelte. "Wie Du sicher weißt, gehören militärische Ränge zu den Dingen, die sich mitunter laufend ändern. Ich bin zur Zeit Centurio der I. Centurie der V. Kohorte. Nicht, daß diese Tatsache für Dich oder diese Eintragung von irgendwelchem Belang wäre. Ich bin Lucius Quintilius Valerian und davon gibt es nur einen."

    Innerlich seufzte Valerian, doch äußerlich zeigte er nichts als ein Lächeln. "Das ist ja in unserem Interesse, denn ich fürchte, wenn wir ohne die Urkunde kommen, werdet ihr unsere Eheschließung nicht eintragen. Wir bringen sie auf jeden Fall mit, Du hast das Wort eines Praetorianers. Unser Verlobungstag war der ANTE DIEM XV KAL FEB DCCCLX A.U.C. (18.1.2010/107 n.Chr.). Mein Name lautet allerdings Lucius Quintilius Valerian." Er zeigte zur Verdeutlichung auf die Urkunde, auf der sein Name im Gegensatz zu seinem militärischen Rang korrekt angegeben war.

    Zitat

    Original von Marcus Valerius Mercurinus
    Der Mann nahm die Urkunde an sich und studierte sie aufmerksam. "Ist das die beglaubigte Abschrift für unsere Akten? Wir bräuchten nämlich eine, nicht dass es da hinterher zu Schwierigkeiten kommt", erklärte er, als es klopfte und jemand einfach herein kam, ohne auf die entsprechende Aufforderung zu warten. "Ehm, ja. Aber ich muss euch bitten, draußen zu warten, bis ihr an der Reihe seid!" wies der Beamte das Paar zurecht und deutete mit erhobener Braue und gestrecktem Arm auf die Tür. Leute gab's! Man konnte doch nicht einfach so hereinspazieren in der Annahme, dass man sofort an der Reihe war! Verginus Scaeva sollte sich wirklich für einen eigenen scriba stark machen, dann wäre die Sache mit den Terminen wenigstens besser geregelt...


    Valerian runzelte die Stirn. Die Bürokratie hier in Rom wurde wahrhaft immer schlimmer. "Ihr braucht eine Abschrift, um eine Verlobung einzutragen? Es gibt eine weitere Urkunde, die in der Kanzlei hinterlegt ist, das sollte doch wohl genügen, zumal wenn Du als vertrauenswürdiger Beamter hier einen Vermerk hinterlegst, daß die Original-Urkunde vorgelegen hat. Nein, dies ist keine Abschrift, die Du behalten kannst, aber ich lasse eine anfertigen und wir bringen sie mit, wenn wir zur Eintragung der Eheschließung wiederkommen. Können wir uns darauf einigen?"

    Natürlich war alles richtig, was das Kindermädchen und der alte Drache sagten. Trotzdem tat der Junge ihm leid. Valerian konnte ihn so gut verstehen, war er ihm selbst, wie er in dem Alter war, doch unglaublich ähnlich. Der Junge war enttäuscht und verletzt, weil es niemanden interessierte, was für Lehren er bereits aus diesem Tag gezogen hatte. Valerian schwieg natürlich, solange Pius noch anwesend war, denn er durfte die Autorität seiner Erzieher nicht untergraben. Doch kaum hatte der Junge das Atrium verlassen, räusperte er sich. "Mir ist bewußt, daß es mir nicht zusteht, mich in die Erziehung des Jungen einzumischen. Doch er erinnert mich sehr daran, wie ich als Junge war. Er hat einen ausgeprägten Bewegungsdrang und ist neugierig. Sehr neugierig. Er möchte die Welt entdecken, selbst Dinge ausprobieren, alles anfassen und beobachten. Natürlich war es falsch, daß er fortgelaufen ist. Aber er war sich der Gefahren, die einem Jungen aus vornehmer Familie drohen, überhaupt nicht bewußt." In seinen Augen ein Versäumnis des Kindermädchens.


    "Ich habe mir erlaubt, ihn darüber aufzuklären, um ihm klarzumachen, daß er nicht allein durch die Straßen Roms streunen sollte." Einen Moment zögerte Valerian, doch dann hielt er es für besser, ihnen auch zu berichten, was er sonst mit dem Jungen besprochen hatte. "Er war sehr interessiert daran, wie Soldaten leben, was sie können müssen und wie sie trainieren. Ich habe ihm erklärt, wie er anfangen müßte zu trainieren, wenn er wirklich Soldat werden möchte. Ob er das Training durchhält, steht auf einem anderen Blatt. Ich hoffe, damit keine eurer Pläne seine Erziehung betreffend durchkreuzt zu haben. Doch eigentlich kann körperliche Ertüchtigung nicht schaden, egal welchen Beruf er einmal tatsächlich ergreift."

    Der Praefectus Urbi. Ein Unsympath sondergleichen. Vor allem die Patrizier verloren mehr und mehr von ihrem Einfluß, seit dieser Mann in Rom das Sagen hatte. Aber nicht nur sie hatten ein schwereres Leben. Gerade in letzter Zeit schien dieser Vescularier seine Entscheidungen einfach aus der hohlen Hand zu treffen, nach seinem Gutdünken.


    Valerian wußte nicht so recht, was er nun sagen sollte. Das, was nun auf der Hand lag, mochte er nicht aussprechen. Also dachte er ein paar Schritte weiter. "Wie können wir den Jungen effektiv schützen?" Der Sohn des Kaisers war wohl die am meisten gefährdete Person.

    Nichts entging Valerian. Auch nicht der unangebrachte Zorn des Mannes, der gegen Antoninus angetreten war. Es war dumm, so unüberlegt zu reagieren, der Mann hatte sich nach dem langen Marsch nicht mehr richtig unter Kontrolle.


    "Jeder rüstet sich mit einem Scutum aus! Bildet zwei Linien, die dann gegeneinander antreten!" Dies sollte den Männern schon bekannter vorkommen.

    Calvenas Kuß wurde natürlich innig erwidert und mit einer kleinen Umarmung gekrönt. Valerian freute sich sehr, sie zu sehen, aber natürlich war die Anwesenheit der vielen Leute hier ein wenig störend.


    Als Pius zu berichten begann, mußte Valerian schmunzeln. Der Junge sagte die Wahrheit, daran zumindest war nichts zu rütteln. "Ich habe ihn dann am Tor getroffen, wo er unsere Wachen mit klugen Fragen löcherte. Interessierte junge Männer sind bei uns immer gern gesehen", scherzte er, um die Situation ein wenig aufzulockern. "Er war zu keiner Zeit in Gefahr, da er immer in der Nähe der Soldaten war und danach bei mir."


    Neugierig musterte er den Bruder des Jungen. Derjenige, der versprochen hatte, ein Holzgladius für Pius zu machen und dann doch keine Zeit dafür fand. Er sah auch ohnehin eher wie ein Gelehrter aus, als wie ein Handwerker.

    Noch immer wußte Valerian nicht so genau, was er von den Aussagen seines Patrons halten sollte. Bei jedem anderen hätte er nicht länger gezögert und den Mann, der solche Worte sprach, in den Kerker verbracht. Doch er hatte das sichere Gefühl, daß Balbus mit seinen Ausführungen noch nicht ganz fertig war. Doch er fühlte sich trotzdem bemüßigt, nun etwas zu sagen. Nur kam es ihm nicht über die Lippen.


    Unruhig stand er auf, ging im Raum auf und ab, um sich dann doch wieder zu setzen. "Als ich ihn damals das erste Mal von Nahem sah, habe ich mich sehr erschrocken. Eine Zeitlang war ich regelmäßig bei ihm als Wache eingeteilt, da sah ich ihn jeden Tag. Und er sah so entsetzlich krank und geschwächt aus. Ich habe mich so erschrocken, daß ich in den Tempel ging und für ihn opferte. Dies ist Jahre her. Und es geht ihm keinen Deut besser. Ich verstehe nicht..." Er zögerte, weiterzusprechen. "Ich verstehe nicht, warum er nicht auf die Kaiserwürde verzichtet und einen starken, einen gesunden Nachfolger einsetzt. Ich..." Er hatte ohnehin schon leise gesprochen und wurde nun noch leiser. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß jemand nach so langer Zeit der kraftzehrenden Krankheit wieder richtig gesund werden kann." War dies nun treulos? "Schon lange kreisen die Geier, die nur darauf warten, die Macht an sich reißen zu können. Wenn Valerian jetzt stirbt..." Es war nichts geregelt, er hatte keinen Nachfolger bestimmt. Und der Sohn war viel zu jung und unbekannt, um die Macht halten zu können.


    Nun war er es, der viel zu viel gesagt hatte. Seine Worte konnten ihn ebenfalls sofort in den Kerker bringen. Zumal er tatsächlich auf Valerian seinen Eid abgelegt hatte.