Beiträge von Caelyn

    Es war immer noch bitterkalt. Den Mantel noch fester um mich geschlungen, ging ich an diesem Morgen zum Markt. Auch wenn´s schon ein paar Jahre her war, kannte ich mich noch immer ganz gut aus. Mogontiacum war ja auch ein ganzes Stück kleiner, als Rom. Rom, wenn mir je einer gesagt hätte, dass ich mal Sehnsucht nach Rom haben könnte, den hätte ich als total verrückt gehalten! Eigentlich hatte ich ja nicht nach der Stadt Sehnsucht, sondern nach Aretas. Irgendwie musste ich ihm mitteilen, dass es mir und dem Kind gut ging und dass ich jetzt hier war. Aber einfach zur Postannahme zu Stiefeln und ´nen Brief an ´nen Sklaven abzuschicken, war nicht! Da musste ich mir echt was Besseres einfallen lassen. Und ich ließ mir auch was einfallen.
    Am Abend zuvor hatte ich meinen Brief geschrieben. Zum Glück hätte ich mein Schreibzeug noch, dass mir Ursus mal geschenkt hatte. Und ein Stück Papyrus hatte ich auch noch auftreiben können.
    Der Brief steckte nun unter meiner Tunika, wo er am Sichersten vor allzu neugierigen Nasen war. Ich hatte mir überlegt, nach einem Händler zu suchen, der demnächst wieder nach Rom reiste. Mit ein wenig gutem Willen und ein paar Sesterzen in der Tasche, nahm er den Brief dann mit und ließ ihn Aretas zukommen. Die Suche kombinierte ich gleich mit den Einkäufen, die ich machen musste. Irgendwie war Sermo das Papyrus ausgegangen. :P Er konnte gar nicht verstehen, wieso. Er hatte doch einige Bögen mitgenommen. Aber die waren einfach weg gewesen. Zufälle gab´s! Naja, ein Grund mehr, mich zum einkaufen zu schicken. Und bei der Gelegenheit konnte ich auch gleich noch ein paar andere Sachen für ihn besorgen.


    Ich streifte also über den Markt, schaute mir die Waren an, unterhielt mich mit den Händlern und ab und zu kaufte ich auch was. Durch Zufall bekam ich dann eine Unterhaltung zwischen zwei Händlern mit. Der eine sagte, er würde sich in einigen Tagen wieder auf die Reise nach Rom machen und dass er auch den Weg über Gallien nehmen würde. Ich tat so, als würde ich mich für seine Waren interessieren, hörte aber der Unterhaltung zu.
    "Suchst du was Bestimmtes, Mädchen? Kann ich dir helfen?", fragte mich der Händler nach einer Weile. Ich sah ertappt zu ihm auf und kriegte auf einmal Panik, wegen dem Brief. "Ich? Öhm..äh.. ja vielleicht." Ich war mutig genug, um den Händler zu fragen. "Ja also, ich hab ein wenig eurer Unterhaltung gelauscht und mitbekommen, dass du demnächst wieder nach Rom reist. Ich hab mich gefragt, ob du mir vielleicht einen Gefallen tun könntest." Der Händler sah mich etwas verwirrt an, nicht nur weil ich ihn belauscht hatte. "Einen Gefallen? Was denn für einen Gefallen?" Ich zog den Brief aus meiner Tunika hervor. Während ich das tat, schaute mich der Händler noch unverständlicher an. "Könntest du diesen Brief mit nach Rom nehmen und ihn bei den Tiberern abgeben?" Es dauerte zwar eine Weile, aber der Händler begann zu begreifen. Dann grinste er ganz verschmitzt. "Ist ein Liebesbriefchen, was?" Uups, jetzt wurde ich auch noch rot im Gesicht! "Ja," sagte ich mit voller Überzeugung. Der Händler sah mich an, dann den Brief und schließlich wieder mich. "Ich kann dir auch ein paar Sesterzen für deine Mühe geben." Aber der Händler lächelte nur. "Nein, lass mal stecken, Mädchen. Deinen Brief nehme ich auch so mit."
    Puhh, da fielen mir gleich mal ein paar Steine vom Herzen! Endlich gelang mir mal was! Ich gab dem Händler meinen Brief, dankte recht schön und ging dann weiter.

    Ihre Schwester? Wenn die auch so nett, wie sie war… Verdammt, wie sollte ich es hier ein ganzes Jahr aushalten? Wär ich doch nur vom Wagen gesprungen, als ich die Chance dazu gehabt hatte! Aber ich hatte meine Heimatstadt einfach so an mir vorbei ziehen lassen, ich blöde Kuh!
    Gerade jetzt wünschte ich mir nichts mehr, als wieder dort zu sein, natürlich um einige Jahre jünger. Mein Bruder wäre dann noch dort und am Leben und ich könnte noch einmal alles richtig machen. ´Ne zweite Chance eben, oder so was… So was gab´s aber nicht. Nicht für mich.


    Ich wollte schon weiter zur Küche geh´n, da fiel der Sklavin anscheinend doch ein, dass sie noch was vergessen hatte. Ihren Namen: Gaia. Ich nickte leicht und mein Lächeln war mindestens genauso gezwungen wie ihres.
    Ein paar Schritte weiter und ich fand tatsachlich die Küche, was ja kein großes Kunststück war, denn so sehr unterschied sich diese Casa von der in Rom nicht. Dort fand ich auch Pera vor, die ganz schön hektisch herum werkelte. Sie sah ziemlich überfordert aus. Aber ein bisschen netter schien sie doch zu sein, als Gaia.
    Auch wenn ich richtig müde war, konnte ich das nicht mitanseh´n, wie sie sich abmühte. Naja, und warm war mir a auch schon ein bisschen. Ich zog meinem Mantel aus und legte ihn über einen Schemel. "Salve, ich bin Caelyn. Kann ich dir vielleicht irgendwo mit anpacken? Du siehst so aus, als …öhm also versteh mich nicht falsch…. als könntest du ein bisschen Hilfe gebrauchen." Ich wusste, das klang vielleicht ein bisschen ungeschickt, gerade dann, wenn man erst frisch da war. Aber wenn Pera keine blöde Zicke war, dann ließ sie mich helfen.

    Im Haus war es gleich mal ein ganzes Stück wärmer. Das tat richtig gut. Wie bestellt und nicht abgeholt, blieb ich einfach mal stehen und sah mich um. Dabei fiel mir noch ´ne Sklavin ins Auge, die eben noch rumgestanden und dumm aus der Wäsche geguckt hatte, als ich reingekommen war, sich jetzt aber gleich ans rumkommandieren machte. Sie sagte Simplex, wo´s lang ging. Und er spurte! Das gefiel mir.
    Mich hatte sie zum Glück noch nicht entdeckt. Ich hätte mich auch bestimmt nicht so von ihr rumkommandieren lassen.
    Jetzt tratschte sie erst mal. Klar, das war auch wichtig! Ich hörte aber gar nicht ihrem Gerede zu. Erst als sie was von ´nem Jungen faselte, spitzte ich wieder die Ohren. Irgendjemand hatte ein Kind gekriegt, einen Jungen. Wie auf Knopfdruck fuhr meine Hand an meinen Bauch. Gerade jetzt wieder musste ich an Aretas denken. Er würde nicht hier sein, wenn das hier durchstartete.
    Dass ich mittlerweile ins Visier der Sklavin geraten war, hatte ich gar nicht mitgekriegt. Aber das ruppige Angebot mit dem Aufwärmen in der Küche, konnte nur mir gegolten haben. Ich sah wieder auf und ließ die Hand wieder sinken. Da ging´s lang! Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht mochte, obwohl ich ihr doch gar nichts getan hatte. Wenn die hier alle so waren, dann gute Nacht!
    "Danke," sagte ich und meinte es auch so. Dann schob mich zur Küche hin, blieb aber dann wieder stehen, als sie mich nach meinem Namen fragte. "Caelyn, ich heiß´ Caelyn."

    Verdammt, was sollte denn jetzt dieses Aha??? Zugegeben, seit ich schwanger war, da war ich vielleicht ein bisschen schlechter gelaunt als sonst. Und vielleicht war ich jetzt auch viel schneller aus der Fassung zu bringen, als früher. Trotzdem, dieses Aha gefiel mir überhaupt nicht! Und wenn mir nicht so verdammt kalt gewesen wäre, dann hätte der was von mir zu hören gekriegt!
    Simplex, aha. Das passte doch irgendwie. Und der Kurze hieß Romaeus. Die Quintillier die hier lebten, hatten also nicht nur einen Sklaven, so wie in der Casa in Rom. Tja, der Trend zum Zweitsklaven war eben unaufhaltsam. Spaß beiseite, Ernst komm her!
    Zum Glück war Simplex kein eitler Gockel, sondern ein Mann der Tat. Er packte Sermos Truhe und stieß die Tür auf, damit ich reingehen konnte.
    "Danke!", sagte ich, jetzt aber um einiges freundlicher und ging ins Haus.

    Och nö, ich hatte keinen Bock auf irgendwelche Fragespielchen. Mir war kalt! Eiskalt sogar, um genau zu sein. Und jetzt laberte der mich auch noch voll! Wenigstens guckte er mir nicht mehr auf die Brüste. Und überhaupt, wer war der Kerl eigentlich? Hatte der was zu melden? Oder gehörte der überhaut zu dieser Casa. Am Ende war das noch ein Wildfremder, der sich nur ´nen schlechten Scherz mit mir erlaubte. Für so was war ich ja ziemlich anfällig, leider.
    "Zu Quintllius Sermo," antwortete ich leicht gereizt. "Und du?" Eigentlich wollte ich das ja gar nicht wissen. Eigentlich wollte ich nur ein warmes Plätzchen, wo ich mich auftauen konnte. Mehr nicht!

    Hoffentlich machte bald einer die Tür auf, bevor ich mir noch was abfror! Ah, da hörte ich schon Stimmen. Aber die kamen nicht vom Eingang her. Eher von der Seite. Und dann tauchten auch gleich zwei Gestalten auf. Ein großer und ein kleiner. Die hatten irgendwas von Frauendingen gelabert. Ich schaute mal flüchtig zu ihnen, guckte aber dann schnell wieder in ´ne andere Richtung und zerrte an meinem Mantel herum. Der große Kerl starrte mich ganz unverblümt an, genauer gesagt auf meinen Vorbau, der infolge der Schwangerschaft etwas umfangreicher geworden war. Typisch Kerle, die waren doch alle gleich!
    Als er mich ansprach, schaute ich ihn natürlich automatisch wieder an. "Mhm, lass mich mal nachdenken! Sieht wohl so aus, oder." Ich mochte keine Typen, die Frauen nur auf ihre Brüste reduzierten. Von der Sorte hatte ich schon genug getroffen. Deswegen klang ich auch nicht besonders nett. Außerdem war ich ziemlich fertig.

    Mogontiacum, die Zweite! Da war ich mal wieder. Es war schon ´ne Ewigkeit her, seit ich hier gewesen war. Zig Jahre, ich wusste gar nicht mehr genau, wann das war. Doch, ich wusste es noch! Es war das Jahr, in dem mein Bruder zu mir gekommen war.


    Auch wenn ich Germanien nicht besonders mochte, war ich doch irgendwie froh gewesen, als wir nach ´ner ewig langen Reise hier ankamen. Die letzten Tage hatten sich richtig hingezogen. Außerdem war´s eklig kalt gewesen. Die Berge links und rechts des Rhenus waren noch mit Schnee bedeckt gewesen. Nur unten in der Ebene hatte er sich zu ´ner ekligen grauen Pampe verwandelt. Wenn man nicht aufpasste, konnte man sie ganz schön schnell auf die Kauleiste legen. In der Stadt war´s nicht viel anders gewesen.


    Meine Füße fühlten sich nur noch wie Eisklumpen an. Jetzt stand ich vor dem Haus, zu dem ich mit Sermos Krempel gehen sollte. Er hatte noch was zu erledigen, hatte er mir gesagt. Wollte sich wohl nur um ´s Schleppen drücken! Dabei hatte ich echt Glück, dass ich die schwere Truhe nicht selber tragen musste. Der Kerl, der den Reisewagen gelenkt hatte, hatte sich erbarmt, als er mein Bäuchlein gesehen hatte. Für seine Freundlichkeit hatte er mir dann gleich nochmal fünf Sesterzen abgeknüpft.
    Ich machte noch ein paar Schritte zur Tür hin und klopfte an.

    In was für einem Drecksloch war ich hier nur gelandet? Und so was schimpfte sich auch noch Taverne! Nicht nur dass es im Hafen furchtbar nach Fisch gestunken hatte und die Ratten Wettrennen veranstalteten, war es ziemlich unwirtlich in Massalia. Vielleicht lags ja auch am Wetter.
    Sermo hatte in einer Taverne ein Zimmer gemietet, wenn man das so nennen konnte. Eigentlich war´s ein zugiges Drecksloch und eng noch dazu.Das bisschen Mobiliar konnte man auch getrost den Hasen geben, wenn man sich auf dem Stuhl nicht den Hals brechen wollte. Es war auch noch arschkalt und irgendwie fühlte sich alles klamm an, wie auf dem beschissenen Schiff, auf dem ich mir fast die Seele aus dem Leib gekotzt hatte.
    Das war also meine glorreiche Rückkehr nach Gallien! Echt super! Hatte ich mir doch ein bisschen anders vorgestellt. So manches hatte ich mir anders vorgestellt. Dank Sermo konnte ich mich für die nächsten Wochen fast wie zu Hause fühlen, solange wir durch Gallien reisten um nach Scheiß-Germanien zu kommen, wo es noch kälter war.
    Überhaupt, entweder hatte Sermo ´nen Sprung in der Optik oder er konnte nicht zählen, denn er hatte nur ein Einbettzimmer gemietet für uns beide. Dementsprechend stand auch nur ein Bett in dieser besseren Abstellkammer. Als ich dann noch ´ne löchrige Decke in die Hand gedrückt bekam, wusste ich, was Sache war. Die Nacht würde ich auf dem blanken Holzboden verbringen müssen. Mal ehrlich, ich war ja schon viel gewohnt. Aber ein bisschen Stroh wäre für den Anfang auch nicht schlecht gewesen, um den harten Boden etwas weicher zu machen. Aber Sermo war eben ein unverbesserliches Sparbrötchen. Da konnte man nix dran ändern.


    Obwohl es noch nicht mal Abend war, lag Sermo in seinem schönen bequemen Bett. Klar, was sollte man bei der Kälte auch anderes machen, wenn man nur ein Bett hatte. Er guckte andauern zu mir rüber. Musste richtig befriedigend für diesen Dreckskerl sein, mich auf dem Boden herumkauern zu sehen. Ich versuchte seinem starren Blick auszuweichen und endlich ein Auge zu zukriegen, denn auf dem blöden Schiff hatte ich nicht einmal richtig pennen können. Andauernd dachte ich daran, dass wir absaufen. So ein Mist, was war nur aus mir geworden? Ich mutierte doch nicht etwa noch zur Memme, die hysterisch schreiend allen auf den Sack ging? Und dann auch das noch! Jetzt fing er auch noch an, zu labern.
    "Hä?" Jetzt sah ich doch zu ihm rüber und verzog das Gesicht. Ich kapierte nicht, was er von mir wollte. Wie sollte sich was anfühlen? Der Boden, oder was? "Is ziemlich hart, wenn du den Boden meinst." Irgendwie schaffte ich es nicht mehr nach so ´ner langen Überfahrt, richtig nett zu klingen.
    Nee, das meinte er nicht. Ich hatte mich auch schon gewundert, woher so schnell das schlechte Gewissen gekommen sein sollte. Nein, Sermo machte einfach nur ´ne riesen Gaudi draus, in alten Wunden herumzupulen.
    "Wie soll´s schon sein? Beschissen is es." Ich versuchte, ihn weiter nicht mehr zu beachten und verkroch mich noch mehr in die dreckige, miefige Decke ,die ihre besten Tage schon vor langer Zeit gesehen hatte. Der Fetzen war natürlich viel zu kurz. Wie sollte man denn so bei einer so lausigen Kälte schlafen können? Und dann noch Sermos dämliche Gesülze dazu. Da konnte die Nacht noch richtig lustig werden!

    Auf der Durchreise nach Germanien


    Rom zu verlassen, war schon ganz schön hart gewesen! Hätte ich nie gedacht, dass mir das mal so schwer fallen würde, dieses Dreckskaff zu verlassen. Ich hatte mir die letzten Tage fast die Augen ausgeheult, weil ich nur an Aretas denken konnte und an das Kind, dass in mir heranwuchs. Was sollte nur aus uns werden, wenn er hier bleiben musste und ich nach Germanien musste? Ausgerechnet Germanien! Scheiße Mann, wie konnte Sermo mir nur so was antun?


    Sermo und ich waren nicht die einzigen, die nach Germanien wollten. Auch dieser Valerian, Sermos was- weiß- ich-Verwandter, reiste mit uns. Und dann noch jede Menge Leute, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Sermo kannte einige von denen. Was die bloß alle nach Germanien trieb? So toll war´s da doch auch wieder nicht! Wenigstens ersparten wir uns ´nen Ritt über die Alpen. Um die Jahreszeit war das eh nicht zu machen.
    Stattdessen ging´s nach Ostia. Dort bestiegen wir ein Handelsschiff, dass immer in Küstennähe nach Norden schipperte. Es war wirklich kein Vergnügen. Im Winter war das Meer rau.


    Drei oder vier Tage später hatten wir Gallien erreicht. Gallien! Ich hätt mir echt nicht träumen lassen, dass ich Gallien noch mal sehen würde. Aber richtig freuen konnte ich mich auch nicht. Aretas ging mir einfach nicht aus dem Sinn. Ob er auch an sein Kind und an mich dachte? Er liebte mich doch, oder? Mist, ich machte mich schon selbst verrückt, weil mir so blöde Sachen durch den Kopf gingen.


    Zu Pferd und auf Reisewagen ging es dann weiter. Auf der Via Agrippa, immer in Richtung Norden. Die meiste Zeit hatte ich auf dem Wagen gesessen und zugesehen, wie die Landschaft an mir vorüberzog. Die Straße zog sich durch das Tal des Rhodanus nach Lugdunum im Norden hin.
    Irgendwann hatte ich aufgehört, die Tage zu zählen, die wir unterwegs waren. Es war eh zwecklos. Rom und somit auch Aretas wurden jeden Tag mehr unerreichbarer.
    Aber dann, eines Tages kam mir die Gegend, die wir durchreisten, ziemlich bekannt vor. Lugdunum hatten wir schon vor zwei Tagen hinter uns gelassen. Die bewaldeten Berge im Westen, die Felder in der Ebene davor und dann die Stadt, an der wir vorbei kamen, kannte ich. Mein Herz machte Sprünge, als ich meine Heimatstadt von Ferne wiedersah. Wie gern hätte ich hier halt gemacht! Es juckte mich in den Fingern, einfach vom Wagen zu springen, um durch die Gassen von Augustodunum zu streifen. Einen kurzen Augenblick lang konnte ich sogar einen Blick auf das Stadttor werfen. Und ich erkannte auch den Turm des Janustempels wieder. Aber der Waen rollte daran vorbei.
    Ich fragte mich, ob der alte Iustus noch am Leben war. Er war der einzige, der meinem Bruder und mir ab und zu geholfen hatten. Ich würde es wahrscheinlich nie erfahren, denn schon verschwand die Stadt hinter uns.
    Plötzlich fühlteich mich so leer. Alles in meinem Leben war schief gegangen. Alles! Ich zog meine Beine an mich heran und umschlang sie mit meinen Armen. Mein Gesicht vergrub ich dazwischen. Während der Wagen weiter nordwärts polterte, rannen mir leise meine Tränen die Wangen runter und wurden vom Stoff der Tunika aufgesogen…

    Ah, da war er wieder! Ursus erhobener Zeigefinger, der mich noch immer so einschüchtern konnte. Natürlich hatte ich schon daran gedacht, sie hätten Aretas vielleicht ans nächstbeste Kreuz gehängt, nachdem er zurückgegangen war, falls er zurückgegangen war. Denn das wusste ich ja auch nicht. Auf jeden Fall waren Ursus Worte nicht gerade das, was man als einfühlsam bezeichnete. Klar, wieso auch? Die paar Mal, dass einer einfühlsam zu mir war, konnte ich an einer Hand abzählen. Ich wollte nix davon hören, dass er tot war. Elendig verreckt an ein Kreuz genagelt. Das glaubte ich einfach nicht! "Nein, nein… dasist nicht wahr! Er ist nicht tot! Er nicht!" Ich schüttelte heftig den Kopf und wollte mir die Ohren zuhalten, bevor ich noch komplett austickte. Ich war außer mir. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Und diesmal war´s mir egal, ob ich heulte. Ich heulte einfach. Und ich musste hier weg! Ja, genau! Weg, einfach wegrennen. Ursus Gerede hörte ich gar nicht mehr richtig zu. Wenn dein Herr freundlich ist…. Wenn ich so was schon hörte! Sermo war nicht freundlich! Nicht die Bohne! Und ja, ich war so dumm! Weil ich endlich das haben wollte, was jeder gern hatte, einfach geliebt zu werden. Mehr nicht.
    "Ich… ich muss jetzt gehn!" Ein letzter Blick fiel noch auf Cimon, der die ganze Zeit so schweigsam war, wie´s sich für einen gehorsamen Sklaven gehörte. Nur seine Blicke hatten Bände gesprochen. Wieder einmal war mir klar geworden, dass ich niemals so sein konnte, wie der Nubier.
    Und Ursus war unerreichbar geblieben, so wie es auch schon vorher gewesen war, wenn auch auf eine andere Art.
    Dann wandte ich mich von den beiden ab und verschwand schleunigst wieder in den Gassen, aus denen ich gekommen war.

    Na klar, das dachte ich mir! Dass jetzt so was kam. Logisch, ging das von selbst weg…, nach neun Monaten. Hahaha! Ich hätte mich echt totlachen können!
    Als die Wut in mir hochstieg, war sogar die Übelkeit vergessen. Einen Augenblick wenigstens. Warum musste immer mir so was passieren? Und warum eigentlich musste ich an so dämliche Typen geraten.
    Naja, wenigstens kriegte er sich wieder ein und hörte auf, so blöd zu lachen. Aber das, was er dann sagte, klang wie Hohn in meinen Ohren. Ich bräuchte jetzt viel Ruhe und so´n Scheiß. Und ich solle Iuno ein Opfer bringen. Na toll! Von was denn? Der Alte hatte echt keine Ahnung, wie´s im Leben so laufen konnte!
    Mir wurde das langsam zu bunt. Ich wollte nur noch weg. Außerdem wollte ich mich schon aus dem Staub gemacht haben, wenn´s ums Bezahlen ging. Nochmal das Geld zum Einkaufen verlieren, konnte ich Sermo und ganz besonders mir nicht nochmal zumuten.
    "Ja sicher!", sage ich leicht genervt und unverhältnismäßig ruhig. "Tja, weißte, dann sag ich mal Danke für deine Mühe! Ich muss dann mal!" Das kam wahrscheinlich ziemlich unerwartet. Aber sonst wär der Überraschungseffekt dahin gewesen. Kurz sah ich noch mal zu Seneca hinüber, der dort recht unbedarft saß, wartete und sich langweilte. Ein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich ja schon! Er war ja ein netter Kerl, der mir geholfen hatte. Aber wenn ich jetzt nicht abhaute, dann konnte es noch echt unangenehm für mich werden. Also hüpfte ich schnell von der Pritsche und bewegte mich schnellstens in Richtung Tür.

    Allein der Gedanke daran machte mich krank. Das waren echt die dunkelsten Stunden in meinem Leben. Und dabei hätte ich mich doch heute freuen und feiern sollen. Ein kleiner Hauch von Freude erlebt ich nur, als er noch einmal seine Hand auf meinen Bauch legte. Mich rührte das so sehr, weil ich wusste, es würde das letzte Mal sein.
    Aretas erhob sich mit einem Ruck. Jetzt war es soweit. Ich wusste ja, es war besser so, als es bis zum letzten Atemzug hinauszuzögern. Ich nickte betrübt und folgte ihm zur Tür. Bevor ich die Schwelle nach draußen überschritt, umarmte ich ihn noch einmal und küsste ihn. Ich weinte wieder. Je länger dieser Kuss andauerte, umso schmerzlicher wurde es.
    "Mach´s gut! Ich werd dich nicht vergessen. Du bist immer hier drin!" Meine Hand deutete auf die Stelle, wo mein Herz saß. Dann verschwand ich, ohne mich noch einmal nach ihm umzuschauen.


    Den Abend und die Nacht irrte ich in den Straßen von Rom umher. Immer wieder traf ich auf lachende Menschen, die feiernd umherzogen. Die restlichen Feiertage verkroch ich mich in der Casa und wartete auf die Abreise nach Germanien.

    Der Verstand sagte, es war Zeit zu gehen. Aber der Rest von mir konnte oder wollte sich nicht von ihm lösen. Das war der Mann, den ich liebte und der auch mich lebte! Zum ersten Mal in meinem verfluchten Leben hatte ich jemand gefunden, an dem mir etwas lag und der auch meine Gefühle erwiderte. Nicht so wie Ursus und schon gar nicht, wie Sermo. Und jetzt?
    "Ich verspreche dir, ich werde von mir hören lassen. Und nicht erst, wenn das Kind da ist. Ich finde irgendwie einen Weg. Und glaube mir, Sermo wird unserem Kind nichts antun! Dafür sorge ich!" Das waren große Worte, die ich da sprach. In erster Linie sollten sie mich selbst besänftigten. Denn mal ehrlich, was hätte ich denn tun können, wenn Sermo mir eines Tages mein Kind aus den Armen riss und es an irgendjemand verkaufte?

    Hahaha, gleich lachte ich mit! Blöder alter Sack! Das dachte ich natürlich nur und behielt meine Gedanken für mich. "Na, das weiß ich auch! So blöd bin ich auch nicht, obwohl ich blond bin! Dass der Klapperstorch die Kleinen nicht bringt, hat sich sogar schon bis zu mir rumgesprochen!" Ich war richtig, sauer! Ich konnte es echt nicht abhaben, wenn sich einer über mich lustig machte.
    Der Alte gratulierte mir dann auch noch! Na, Prima! "Ja toll! Dann kann ich ja wieder gehen!" meinte ich angefressen und hüpfte von der Pritsche. "Oder hast du noch´n Rezept, wie ich die Übelkeit wieder los werde?" Achtung, jetzt kam garantiert wieder ein saublöder Brüller auf meine Kosten!

    "Ja, genau die!" Nanu, gab es noch ein paar andere hier in Rom? Der stellte vielleicht Fragen. Aber eins musste man ihm lassen. Er war ´ne Spur freundlicher als Sermo. Noch! Das konnte sich aber auch blitzschnell ändern, so wie bei Sermo eben. Das war doch alles die gleiche Mischpoche. Aber diesmal war ich nicht so unbedarft, wie damals. Ich war ein gebranntes Kind und die suchten bekanntlich nicht mehr so schnell das Feuer.
    "Ich? Nein, wieso?", rief ich, als er mich fragte, ob ich was ausgefressen hatte. Hey, was war los? Schmeckte es ihm auf einmal nicht mehr? War der Wein zu sauer oder zu kalt? Oder warum fragte der mich sowas? Naja, was ich drauf antwortete, stimmte ja wenigstens zu Hälfte. Außer dass ich mir mal ein paar Tage Ausgang verschafft hatte, hatte ich doch nix ausgefressen. Zero, null, nikese! Absolut nix! Dann zuckte ich mit den Schultern. "Die beiden haben eben ein Geschäft gemacht und anscheinend hab ich Sermo gefallen." Und überhaupt, ging ihn die Wahrheit nicht die Bohne an!

    Seine übermütige Freude, weil er nicht der Vater war, konnte ich eigentlich gar nicht nachvollziehen. Vielleicht riss sie auch deshalb so schnell ab und formierte sich zu blankem Zorn, als er begriffen hatte, was ich sonst noch so gesagt hatte. Aus Sermos Mund klang alles so ordinär.
    Ich zuckte zusammen, als er sich so plötzlich erhob und meinen Namen aussprach. Mein Blick versuchte ihm zu folgen, als er so ruhelos umher lief. "Aber…" wollte ich dagegen sprechen, als er sagte, ich sei durch Rom gestromert. Aber ich ließ es besser, denn mit ihm war nicht gut Kirschen essen. Ich nickte nur auf seine Frage, ob er auch hier gewesen war. Ich fühlte mich jetzt total beschissen. Mal sehen, was mich jetzt erwartete. Ich machte mich schon mal auf eine feuchtkalte Nacht in einem Verlies gefasst.
    Welche Strafe ich nun genau kriegen sollte, damit hielt er sich noch bedeckt. Was er aber dann sagte, war Strafe genug. Germanien??!! Ich sah zu ihm auf, meine Augen weiteten sich und verstand die Welt nicht mehr. Schon vor einigen Jahren, als ich mit Ursus dort war, fand ich es in Germanien einfach nur zum kotzen. "Aber…?" Nichts aber! Ich behielt meine Meinung jetzt besser für mich. Außerdem wurde mir auch klar, dass ich Aretas dann so schnell nicht mehr wiedersah. Scheiße! Dieser elende Dreckskerl! Wie ich Sermo hasste!
    Dann schickte er mich weg. Ich zögerte auch keine Sekunde, von hier zu verduften.
    In der Nacht tat ich kaum ein Auge zu. Aber einige Dinge hatte ich mir geschworen:
    1. Bevor ich Rom verließ, musste ich unbedingt noch einmal Aretas sehen...
    ...und 2. Sermo würde unser Kind niemals bekommen! Dafür würde ich sorgen.

    Auch ich blieb stehen, als Ursus zum stehen kam. Dann schüttelte ich betroffen den Kopf. Ich wusste, wir hatten was Dummes gemacht. Alleine schon, dass ich nach unserer ersten Begegnung zu Aretas gegangen war. "Kann Liebe denn Dummheit sein?" fragte ich kühn. Mir war eigentlich schon klar, dass ein Römer so was nie verstehen würde. Nicht mal Ursus. Die Römer strotzten nur so vor Gefühlskälte und waren nur auf ihren Profit an einer Sache bedacht.
    "Nein, er hat keine Ahnung. Noch nicht. Aber ich muss es ihm bald sagen. Und Aretas… ich weiß nicht. Er gehört irgend so einem Tiberier. Den Namen hab ich vergessen. Ich habe schon seit ein paar Wochen nichts mehr von ihm gehört. Er wollte fortgehen…, zusammen mit mir…aber als ich ihm sagte, ich sei schwanger… da wollte er wieder zurück und sich stellen. Ich weiß gar nicht, was mit ihm passiert ist…", schluchzte ich. Ich hätte wirklich alles ertragen, hätte ich nur gewusst, was mit ihm war!

    Als er es dann aussprach, glaubte ich, mir schüre es die Kehle zu. Wenn ich jetzt ja sagte, dann machte ich es ihm um einiges leichter, mich zu vergessen. Aber dann tat ich nicht nur ihm weh. Das brachte ich nicht fertig! Ich legte meine Arme um seinen Kopf und zog ihn zu mir heran. Inzwischen kullerten mir wieder Tränen die Wange hinunter. "Red doch nicht so einen Mist! Natürlich will ich dich wiedersehn. Und ich war der Idiot, ich hätte trotzdem mit dir gehen sollen, als noch Zeit dazu war. Aber jetzt…" Ich schluchzte, weil alles so hoffnungslos war.
    "Sermo muss nach Germanien, wer weiß, wie lange. Ein Jahr oder zwei oder noch länger. Und ich muss mit. Er sagt, das wäre meine Strafe…" Jetzt fing ich an zu heulen. Hätte Sermo mir lieber sonst was angetan! Dieser Mistkerl wusste einfach immer, wie er mich treffen konnte.
    Irgendwann beruhigte ich mich wieder. Im Hintergrund hörte ich das fröhliche Lachen der Anderen. Das Leben war so ungerecht! "Schon in einigen Tagen geht unser Schiff nach Massalia," sagte ich dann und ich wusste, dass eigentlich nun der beste Zeitpunkt war, zu gehen.