Beiträge von Numerius Duccius Marsus

    Es war nun ganze sieben Tage her, dass Callista im Kindbett ihren letzten Atemzug getan hatte. Die Aufbahrungsfrist war demnach abgelaufen. Heute sollte die Prudentia im Grab ihrer Gens bestattet werden. Die Pompa Funebris, der Leichenzug, war von der Casa Duccia zum Forum gezogen. Dort war die Leichenrede gehalten worden. Witjon hatte sich dieser Aufgabe entzogen und statt dessen seinen Vetter Phelan verpflichtet, der auch schon bei seiner zuletzt verstorbenen Tempelschülerin Prudentia Thalna die Rede gehalten hatte. Von dort aus hatte der Zug die Stadt durch das südliche Tor verlassen und war den Gräberfeldern entgegenmarschiert. Die Prozession war nicht übermäßig lang, doch hatten sich auch nicht wenige Menschen zum Abschied der jungen Römerin versammelt. Witjons sämtliche germanische Klienten waren erschienen, ebenso alle Hausangestellten der Casa Duccia. Vereinzelt sah man römische Damen, die Callista flüchtig bei Thermenbesuchen oder seltenen Gastmählern bei befreundeten Decurionen kennen gelernt hatten. Witjons Freunde waren auch gekommen und natürlich alle Duccii, die zurzeit die Casa Duccia bewohnten. Cornicen gingen der Prozession voran und spielten getragene Töne auf ihren Flöten, während bezahlte Klageweiber symbolisch für die ganze Gemeinde ihre Trauer in die Welt hinausheulten. Dahinter schritten andächtig Witjons Werkzeugschmiede und alle anderen Angestellten aus seinen Betrieben, die die Totenbahre trugen. Danach kamen die Duccii und hintendrein alle anderen Trauernden.
    Die Prozession passierte etliche Grabmäler, bis das Sepulchrum Prudentium erreicht war. Dort stand bereits ein Scheiterhaufen bereit, der mit Öl übergossen worden war. Die Totenbahre wurde auf den Scheiterhaufen gebettet und die Trauergemeinde versammelte sich. Als Urne fungierte eine fein gearbeitete Tonvase, die in Witjons Werkstätten bemalt worden war. Die abgebildeten Motive zeigten eine junge Römerin bei der Hausarbeit, aber auch beim Tempeldienst und an der Seite eines bärtigen junge Mannes. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich hierbei um Callista und Witjon handelte.
    Vor dem Grabmal waren außerdem die Grabbeigaben ausgestellt, wie es üblich war. Viele Kleinodien konnte man hier finden, aber auch allerlei Nützliches, was die Prudentia im Jenseits brauch würde.


    Die Abend war mittlweile weit fortgeschritten und die Sonne wurde bereits vom Horizont verschluckt. Die Prozession war zum Ende gekommen, die Gäste im Kreis um den Scheiterhaufen versammelt. Alles war bereit, da stand auch schon Ortwini an Witjons Seite, eine Fackel in der Hand haltend. Der junge Duccius nahm das Feuer entschlossen nickend entgegen und trat an den Scheiterhaufen heran. Es war völlig still an diesem frischen Frühlingstag und nur wenige Geräusche der Umgebung durchbrachen die kühle Abendluft. Schließlich wollte Witjon noch einige Abschiedsworte an die Trauergemeinde richten.
    "Heute tragen wir Prudentia Callista zu Grabe. Sie war mir eine treue Frau. Pflichtbewusst, ehrenhaft, und immer darauf bedacht niemandem Schande zu bereiten. Oft gab es Probleme, weil römische und germanische Sitten zu Konflikten führten und die Gemüter nicht immer miteinander auskamen. Doch immer war sie mir ein gutes Weib und tat alles, um meinen Ansprüchen gerecht zu werden." Er musste schlucken und versuchte krampfhaft die Tränen zu unterdrücken. "Callista ahnte, dass sie nicht stark genug war für eine Geburt. Dennoch hat sie mir einen gesunden, kräftigen Sohn geschenkt: Audaod!" Der junge war ebenfalls dabei, das hatte Witjon so gewollt. Er schaukelte in Margas kräftigen Armen und ließ hier und dort ein verwirrtes Quängeln hören. "Audaod kann stolz sein auf seine Mutter. Er wird sie niemals kennen lernen, doch ich werde - die Götter mögen meine Worte hören! - ihn immer im Gedenken an seine Mutter großziehen, das schwöre ich."
    Und damit erhob er die Fackel und entzündete den Scheiterhaufen, der sofort Feuer fing, so dass er bald zurücktreten musste.
    "Irgendwann sehen wir uns wieder, liebste Callista," flüsterte er im Angesicht der Flammen, die knisternd in die Himmel stiegen. So standen sie lange Zeit in Stiller Andacht da, bis durch das "ilicet" verkündet wurde, dass die Gäste sich nun entfernen durften. Audaod wurde nach Hause gebracht. Ebenso entfernten sich viele Bekannte und die Männer aus den Betrieben. Witjon blieb weiterhin unbewegt vor dem Scheiterhaufen stehen, lediglich den Mantel vor Mund und Nase gezogen zum Schutz vor dem Gestank des Todes. Das Feuer brannte kontinuierlich und die Flammen züngelten stetig in die stärker werdende Düsternis empor. Wer genau hinschaute, konnte es derweil in Witjons Augen verräterisch glänzen sehen.

    Nach römischer Sitte betrug die Aufbahrungszeit eines verstorbenen Angehören bis zu sieben Tage. In dieser Zeit war Callista im Atrium aufgebahrt worden. Nach ihrem Tod hatte Witjon darauf geachtet, dass alles genauestens nach römischer Tradition gehandhabt wurde. Oder zumindest so genau wie möglich. Eine Sklavin aus benachbartem römischen Hause hatte beim Schminken der Toten geholfen und ausgezeichnete Arbeit geleistet. Dann hatte Witjon seinen Maler kommen lassen, der ein Portrait der jungen Frau anfertigte. Das war am zweiten Tag nach ihrem Tod geschehen. Von da an hieß es warten und Beileidsbekundungen entgegennehmen. Viele Freunde kamen schon vor der offiziellen Bestattung und sprachen Witjon mut zu, machten ihm Hoffnung und drückten ihre Anteilnahme aus. Nur wenige dieser ganzen Worte bedeuteten dem Witwer wirklich etwas. So zum Beispiel, als Ortwini kam. Er sagte nicht viel, ganz entgegen seiner Art. Doch er stellte sich neben Witjon vor die aufgebahrte Tote und sah lange Zeit einfach nur still drein. Er war da. Und das war es, was Witjon so sehr an seinem besten Freund schätzte.
    Aber bis zur Bestattung waren es immer noch einige Tage, die Witjon überbrücken musste. Er wollte Callistas Andenken nicht entehren, indem er sich bereits sinnlos betrank, bevor sie überhaupt ins Totenreich gefahren war. Daher riss er sich zusammen, betete viel, verfluchte mal die Götter, mal seine eigene Naivität, oft genug auch das Neugeborene, das indirekt ja Grund für Callistas Tod gewesen war. Doch es half ja alls nichts, das musste er sich irgendwann eingestehen. Und so saß er immer öfter einfach nur herum und starrte in die Luft. Oder arbeitete sich im Haus halbtot, indem er Holz hackte, Aktenstapel etliche Male hintereinander neu sortierte, die Ställe ausmistete oder sonst irgendetwas tat. Aber es war ja noch die erste Woche der Trauer und so scheuchten ihn - zurecht - alle Hausbewohner fort, wenn er ihnen irgendwo in die Quere kam, und er musste sich wieder seiner Trauer hingeben. Lando, Phelan, Ragin und alle anderen waren natürlich auch für ihn da. Und er liebte sie alle dafür. Er liebte seine Familie, diese große, größenwahnsinnige, oft so ordentliche, viel öfter total chaotische, fröhliche, vom Unglück verfolgte, liebevolle, häufig ungeliebte Familie. Doch je weiter die Woche voranschritt und je mehr Vorbereitungsarbeiten Witjon auf seiner Liste abhakte, desto düster wurden seine Gedanken. Langsam fand er die Zeit, über die Geschehnisse nachzudenken. Und das war fatal. Immer öfter stand er einfach nur im Atrium herum, den Blick auf die vermeintlich Schlafende gerichtet. Dann stromerte er in den Gängen der Casa herum. Ruhelos, mit unverändert ernster Miene, in den meisten Nächten völlig schlaflos.
    Und dann war es so weit. Der siebte Tag brach an, die Aufbahrungszeit neigte sich dem Ende zu. Es war Zeit für die Bestattung am Grab der Prudentier.

    Was wusste Witjon schon von Elfledas Neid? Was wusste er schon von ihren Sorgen? Er hatte einen prächtigen Knaben, er sollte sich freuen. Doch zu welchem Preis? Sein Weib war tot. Hätte er auch nur geahnt was im Kopf der Mattiakerin vorging, er wäre vermutlich sehr ungehalten gewesen - gelinde ausgedrückt. Noch viel weniger als das hatte er jedoch eine Ahnung von römischen Bestattungsriten. Er zuckte daher nur genervt die Schultern und entgegnete Elfleda gereizt: "Was weiß ich denn? Dann werde ich eben nach der Haussklavin unserer römischen Nachbarn schicken lassen. So eine wird das ja wohl hinbekommen." Sollte ihm ja wohl schnurzpiependeckel sein, wer Callista schminkte und wie. Hauptsache es entsprach den römischen Sitten! Ärgerlich winkte er ab, verfiel jedoch gleich wieder in einen müden Trott. Mit hängenden Schultern drehte er sich um und marschierte zur Tür hinaus. Über die Schulter murmelte er noch etwas bezüglich Phelan und Essen, aber das verstand nicht einmal Marga, die sonst doch die Lauscher schon auf die Größe eines Scutums aufzusperren vermochte. Den Rest des Tages ließ Witjon sich dann nicht mehr blicken. Er organisierte allerdings wirklich eine Nachbarssklavin als Hilfe und traf auch schon Vorbereitungen für die Bestattung selbst. Seine Freunde und Belegschaft wurden informiert, Grabbeigaben in Auftrag gegeben und Informationen zu römischen Trauerriten eingeholt. Hierbei spielte Phelan unter anderem eine große Rolle, aber auch die Männer in seinen Betrieben. Und bis zum Abend schien die Sonne noch immer und verlachte den unglücklichen Vater, dem die Nornen solch einen bitterbösen Streich gespielt hatten.

    Ein Scriba kam nach kurzem Klopfen ins Officium hereingesprungen und hielt dem Statthalter ein Schreiben unter die Nase.
    "Legatus, hier bitte eine Unterschrift. Das ist das Schreiben an die...ähm..inkompetente Kanzlei."





    An den inkompetenten Verein, der sich Kaiserkanzlei schimpft
    Roma


    Bereits vor Monaten wurde mir die Ankunft eines neuen Praefecten für die Ala II Numidia zugesagt. Dieser Mann ist bis heute nicht erschienen. Sieht man einmal von dieser Frechheit ab ist es eine Unverfrorenheit, daß man mir keine Nachricht zukommen lässt, WARUM der Mann einfach nicht auftaucht. Noch schlimmer ist, daß man es in Rom anscheinend nicht der Mühe wert findet, einen Ersatzmann zu finden. Aber wozu auch? Wir sind ja hier nur in Germanien und alle Stämme auf der anderen Seite des Rhenus haben uns ja wirklich zum Kuscheln lieb! Also schickt mir jetzt gefälligst einen Praefecten. Im ganzen Reich sollte ja wer zu finden sein, es laufen ja nicht nur 10 Leute im Ordo Equester herum.



    M. Vinicius Hungaricus



    PRIDIE ID APR DCCCLX A.U.C. (12.4.2010/107 n.Chr.)


    _________________________________________________________


    Marcus Vinicius Hungaricus - Legatus Augusti pro Praetore - Provincia Germania

    Die privaten Schreiben legte der Vinicius zur Seite und so ging Witjon auch erst wieder auf die Anfragen beruflicher Natur ein. "Sieben Tage..." Kurz wägte er ab, dann nickte er. "Muss genügen, ja. Ich werde wohl das Castellum aufsuchen müssen?" erkundigte er sich außerdem, denn dort würde er wohl die meisten Marschbefehle oder Patrouillenpläne finden.

    SEPVLCHRVM PRVDENTIVM


    [Blockierte Grafik: http://farm4.static.flickr.com/3469/3308189506_e893474162_m.jpg]


    DAS FAMILIENGRAB DER PRVDENTIER IST IM GRAEBERFELD AN DER VIA BORBETOMAGA SVEDLICH VON MOGONTIACVM GELEGEN. ES LIEGT DIREKT AN DER BREITEN RÖMERSTRAßE UND IST SOMIT FVER JEDEN REISENDEN GUT SICHTBAR. DER GRABSTEIN ZEIGT EINE SZENE AVS DEM FAMILIENLEBEN. DANEBEN SIND GEDENKTAFELN ANGEBRACHT, DIE DEN HIER BESTATTETEN GEWEIHT SIND.

    Witjon war ein emotionaler Mensch, das stimmte. Zumindest, wenn man in Landos Art und Weise dachte. Für Witjon war es in diesem Moment egal was andere über ihn dachten. Sowieso war ja in diesem Moment nur Familie und - ebenfalls in den Familienbegriff eingeschlossenes - Hauspersonal anwesend. So kniete er dort am Bett, geschockt und unfähig klar zu denken, während hinter ihm Marga bereits aufräumte und Lando zornig davonstapfte. Einzig Elfleda war in Gedanken wirklich bei ihm. Und sie war an seiner Seite, als er dringstens Beistand brauchte. "Dein Sohn. Und der braucht dich jetzt." Dieser Satz ließ ihn endlich aufschauen. Sein Blick wurde klar und er wandte sich von der leblosen Prudentia ab, der Mattiakerin und seinem Sohn zu.
    "Du hast recht," sagte er nur mit belegter Stimme und streckte die Arme nach dem Kind aus. Er nahm es an sich und wiegte es kurz, betrachtete es unschlüssig. Dann kamen ihm Elfledas Worte wieder in den Sinn. Er sah sie an und erklärte: "Eine Amme. Natürlich habe ich eine Amme." Audaods Schlaf war leicht und so regte er sich flüchtig, zuckte mit Armen und Beinen und begann zu nörgeln. Witjon sah ihn kurz an und teilte Elfleda weiters mit: "Ida wird seine Amme sein." Ida war die junge Frau des Stallmeisters der Hros, Leif. Sie sorgte bereits für zwei eigene Kinder und ebenso für Naha, wenn Marga oder Elfleda gerade keine Zeit oder Lust auf die Kleine hatten. Natürlich hatte Witjon Ida die Unterstützung von Marga und Lanthilda zugesichert und ihr auch eine großzügige Entlohnung angeboten, über die die junge Germanin sich sehr gefreut hatte. Anfangs hatte Witjon sich mit Gedanken eine Amme anzustellen nicht sonderlich wohl gefühlt, denn Callista hatte darauf bestanden ihre Kinder selbst zu stillen. Aber dieser Zwist hatte sich nun sowieso erledigt. Lanthilda betrat den Raum und wurde gleich von Witjon herumkommandiert: "Lanthilda, hol mir Ida her. Wir brauchen hier eine Amme, zügig!" Noch immer klang seine Stimme ganz merkwürdig, doch der Schock hatte ihn immer noch im Griff und so hatte er seine Fassung irgendwie wiedererlangt. Ein dicker Kloß war durch bloßes Schlucken nicht aus seinem Hals herauszubekommen, aber wenigstens war der Druck von seinen Augen abgeflaut und war einer Schwere der Lider gewichen.


    Lanthilda sprang also gerade die Stufen hinunter um Ida zu holen und so verblieb Witjon mit seinem Sohn in einem Moment der Ruhe, in dem er sich von Elfleda zu Callista abwandte, die noch immer unberührt da lag wie eine Schlummernde. Der junge Vater wiegte seinen quängelnden Sohn im Arm und sprach beruhigend auf ihn ein. "Sieh Audaod, deine Mutter. Ich werde Sorge tragen, dass du sie immer in guter Erinnerung behälst. Möge sie im Kreise unserer Ahnen über uns wachen und alles Übel von uns abwenden." Audaod, der ja erst kurze Zeit auf der Welt war, hatte seine Augen zu schmalen Schlitzen verengt und zappelte noch immer unruhig herum. Er musste endlich Nahrung haben. Und das ließ er die Welt auch wissen, denn aus seinem Quängeln wurde bald lautes Geschrei, dass es Witjon in den Ohren klingelte. Er versuchte vergeblich durch Schaukeln und gutes Zureden den Lautstärkeregler herunterzuschrauben, als endlich Ida erschien.


    [Blockierte Grafik: http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/c-germanen-frauen/12.jpg]
    Ida, Frau des Leif:


    "Hier bin ich," stellte sie sachlich fest, als Ida den Raum betrat. Einem kurzen Blick aufs Totenbett folgte ein mitleidiger Blick, der dem Witwer galt. Sie berührte Witjon vorsichtig an der Schulter und drückte ihr Mitgefühl ebenfalls gewohnt knapp aus. "Mein Beileid, Witjon. Mögen die Götter sie bei sich aufnehmen." Mehr war nicht zu sagen und sowieso war sie aus ganz anderem Grund hier. Eine stumme Forderung lag in ihrem Blick, als sie die Arme nach Audaod ausstreckte. Witjon nickte nur und reichte ihr den Jungen. "Danke," sagte er und fügte noch hinzu: "Sorge gut für Audaod. Es soll dein Schaden nicht sein." Ida nickte nur und konzentrierte sich dann voll und ganz auf das Neugeborene. "Audaod heißt du also. Na komm, du bist sicher hungrig..." Und sie verließ den Raum unter gutem Zureden und ging zurück in die Küche, wo sie sich um Naha und ihre eigenen Kinder kümmerte.


    Witjon allerdings versuchte Herr der Lage zu werden. Er stand einen Augenblick lang da und ordnete seine völlig Wirren Gedanken. Dann traf er einige notwendige Entscheidungen, die er nach zähem Räuspern den anwesenden Frauen mitteilte. "Hört mal her. Es müssen Vorbereitungen für die Bestattung getroffen werden. Callista... soll im Atrium aufgebahrt werden. Sie muss gewaschen und vorbereitet werden. Mit diesem....Schminkzeug, du weißt schon?!" Man merkte Witjon an, dass ihm dieser Part nun gar nicht gefiel, doch was sollte er tun? Lando hatte sich schnellstmöglich aus dem Staub gemacht, also musste er die Anweisungen geben. "Ich werde ein Totenbild von ihr machen lassen," stellte er dann mehr für sich fest, den Blick nachdenklich zu Boden gerichtet. Dann sprangen seine Gedanken wieder zur Bestattungsvorbereitung und er schaute fragend von Elfleda zu Marga und zurück. "Hm, habe ich etwas vergessen? Odin bewahre, ich habe ja gar keine Ahnung von römischen Bestattungsriten! Wo ist eigentlich Phelan?" Mit einem Mal wurde Witjon Unruhig und begann herumzutigern. Trauer und Schock waren Rastlosigkeit gewichen. Er musste alles Notwendige organisieren, wenn er Callista die letzte Ehre erweisen wollte. Das durfte er jetzt nicht vermasseln!

    Tja, mich hat's doch nochmal erwischt. Internet ist futsch und Zeit für allzu häufige Ausflüge in die Uni-Bib mit W-LAN hatte ich in den letzten Tagen auch nicht. Entschuldigt meine Abwesenheit, die sich im übrigen wohl auch noch ein paar Tage hinziehen kann. -.^

    Witjon nickte nur und begann eifrig mit dem Griffel über die Wachstafel zu kratzen.


    An den inkompetenten Verein, der sich Kaiserkanzlei schimpft
    Rom


    Bereits vor Monaten wurde mir die Ankunft eines neuen Praefecten für die Ala II Numidia zugesagt. Dieser Mann ist bis heute nicht erschienen. Sieht man einmal von dieser Frechheit ab ist es eine Unverfrorenheit, daß man mir keine Nachricht zukommen lässt, wa WARUM der Mann einfach nicht auftaucht. Noch schlimmer ist, daß man es in Rom anscheinend nicht der Mühe wert findet, einen Ersatzmann zu finden. Aber wozu auch? Wir sind ja hier nur in Germanien und alle Stämme auf der anderen Seite des Rhenus haben uns ja wirklich zum Kuscheln lieb! Also schickt mir jetzt gefälligst einen Praefecten. Im ganzen Reich sollte ja wer zu finden sein, es laufen ja nicht nur 10 Leute im Ordo Equester herum.


    [strike]Kein Gr[/strike]



    Marcus Vinicius Hungaricus
    L.A.P.P. Prov. Germ.



    PRIDIE ID APR DCCCLX A.U.C. (12.4.2010/107 n.Chr.)


    "Hab alles," bestätigte Witjon mit einem Grinsen. Er überflog nochmal den Text und stellte sich bildlich bereits das entsetzte Gesicht des Kanzleibeamten vor, der diesen bitterbösen Brief als erster lesen würde.

    Genauso wenig wie Lando das Wort ergriff tat dies Witjon. Er hatte zu seiner Zeit als Duumvir bereits Worte des Dankes im Kreise der Magistrate und Duumvirn verlauten lassen und eine Runde für das gute Gelingen der ganzen Aktion ausgegeben. Er war erleichtert, dass jetzt keine nachträgliche Kritik vorgebracht wurde. Das lag vermutlich zum Großteil daran, dass weder Petronius Crispus noch sein Kumpan Hadrianus Iustus anwesend waren und dementsprechend ihre Lakaien sich auch nicht trauten das Wort zu ergreifen. Positive Kritik oder Lob wurden zwar ebenso wenig geäußert, aber das war Witjon nun auch egal. Er lehnte sich einfach entspannt zurück und wartete darauf, dass die Duumvirn weitermachen würden.

    Sein Sohn. Ungläubig starrte Witjon das Bündel an, das ihm hingehalten wurde. Ganz vorsichtig breitete er die Arme aus und nahm sein Kind entgegen. Er nahm den Kleinen als seinen Sohn an, das sollten alle sehen. Noch immer starrte er das schlafende Geschöpf an, als wäre das alles völlig unwirklich. Wieder schluckte er einen groß Kloß herunter, als er das zerknautschte Gesichtchen betrachtete. Wie schön sein Sohn war! Witjon schaute Elfleda an, Dankbarkeit sprach aus seinem Blick. Dann sah er wieder sein Kind an und rief sich ins Bewusstsein, dass er als Vater nicht nur dieses unglaubliche Glück genießen konnte, sondern auch gewisse Pflichten hatte. Zum Beispiel die Namensgebung. Das war das erste, was ihm einfiel. Zwar gab man Neugeborenen gewöhnlich nicht sofort einen Namen und sprach erst recht nicht schon vor der Geburt davon, doch mit einem Mal lag es ihm bereits auf der Zunge. Er konnte nicht anders, er musste es sagen.
    "Mein Sohn....Audaod." Es war eine Feststellung. Klar und deutlich und doch sanft und liebevoll gesagt. Einen weiteren Augenblick betrachtete er schlichtweg das ruhig atmende Kind, das in seinen Armen schlummerte.


    Bis Elfleda mit der traurigen Wahrheit zu ihm durchdrang. Witjon schaute auf, hörte ihre Worte, begriff. Und spürte seine Innereien sich zusammenziehen. Callista hat es nicht geschafft. Witjon wollte es nicht glauben, trotz aller böser Vorahnungen. Er hörte auch nicht mehr den Rest der Worte, denn das erschien ihm alles überflüssig. Wie in Trance stieg er die letzte Stufe hinauf und stand nun auf gleicher Höhe mit der Mattiakerin, der er wortlos das Kind hinhielt. Als sie es genommen hatte, ging er stockenden Schrittes an ihr vorbei. Lanthilda und Marga ignorierte er vollends, sie konnten nur mitleidig dreinschauen. Dann stand er im Zimmer, in dem seine Frau ihr Leben ausgehaucht hatte.


    Da lag sie im Bett, friedlich wie eine Schlafende. Die Anstrengungen der Geburt waren ihrem Gesicht nicht anzusehen, doch ihre Haut war blass und ihr Körper magerer denn je. Ihre roten Haare lagen zerzaust auf den Kissen, die Decke verdeckte Blut und Körpersäfte. Ein weiterer zögerlicher Schritt führte Witjon zum Bett hin. Verwirrt stierte er den leblosen Körper an. Eine einzige Frage formulierte sich in seinem Kopf. Warum? Warum hatte sie sterben müssen? Wie ein nasser Sack fiel Witjon auf die Knie am Kopfende des Bettes. Seine Knie krachten auf die Holzdielen, doch er spürte den Schmerz nicht. Er nahm Callistas Hand, die noch warm war von der Anstrengung der Geburt. Seine andere Hand streichelte sanft die Stirn der jungen Toten. "Callista....nein...." Seine Stimme war lediglich ein schmerzerfülltes Flüstern. Witjon wollte nicht begreifen, dass seine schöne Prudentia wirklich von ihm gegangen war. Wie hatte das passieren können? Warum traf ihn nur ein so grausames Schicksal? Wieso hassten die Nornen ihn? Seine Rechte schloss sich etwas fester um ihre Hand, drückte sie liebevoll in tiefster Trauer. Seine Umgebung war ausgeblendet, er sah nur noch Callistas friedliches Gesicht vor sich, gebettet auf schweißnasse Kissen. Und zur Feier des Tages lachte die Sonne und strahlte fröhlich vor sich hin.

    Das Gespräch mit Lando zog sich in die Länger. Irgendwann gingen ihnen die Themen aus, mit denen die Zeit vertrieben werden konnte und so griffen sie zum Würfelbecher. Witjon verlor erwartungsgemäßg etliche Male und widmete sich letztendlich frustriert dem Met, der ihm bereits leicht aufs Gemüt schlug. Phelan und Ragin hatten sich bisher noch nicht blicken lassen und Albin hatte sich auch wohlweislich mit Ratschlägen und alten Märchengeschichten zurückgehalten, als er den gereizten Witjon gesehen hatte. So saß der werdende Vater vor dem Kamin, den Blick starr in die Flammen gerichtet. Lando war gerade austreten, denn Met wirkte sich nicht nur auf das Gemüt, sondern auch auf die Blase aus.
    Witjons Gedanken kreisten um genau zwei Dinge. Leben und Tod. Um Leben in der Hoffnung, dass das Neugeborene gesund sein würde und nicht nur die Geburt, sondern auch die Wochen, Monate und Jahre danach überstehen würde. Und um den Tod in der angsterfüllten Erwartung des Verlustes seines Weibes. Er wusste er konnte jetzt nichts mehr für sie tun. Die Kontrolle hatte er den anderen Frauen übergeben müssen, die nun für Callista sorgen würden. Witjon sandte ein Stoßgebet an Frigg und ihre göttlichen Diener, dass sie über seine Liebste wachen sollten. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt, doch selbst sie war nur noch ein schwaches Glühen in Witjons Innerem. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er glaubte nicht an einen guten Ausgang dieser Geburt. Und als ihm bewusst wurde, dass es aussichtslos war, dass er vollkommen hilflos war, da drohte er die Beherrschung über sich selbst zu verlieren. Noch hatte er seine Gefühle bezwingen können, seine Angst und Trauer und Anspannung halbwegs überspielen können. Doch in jenem einsamen Moment am Kaminfeuer schüttelte es ihn vor Entsetzen über die Katastrophe, die ihn zu treffen drohte. Er stützte das Gesicht in die Hände und schluchzte kurz auf. Einen Augenblick lang saß er einfach nur da, die Augen geschlossen, in Hilflosigkeit verharrend.


    Da durchbrach ein Geräusch die unheimliche Stille, das er nicht sofort ausmachen konnte. Witjon zog laut die Nase hoch und hob verwirrt den Blick. Konnte das sein? War es bereits so weit? Wie lange hatte er bereits hier mit seinem Vetter gesessen und die Zeit totgesoffen? Mit dem Ärmel wischte er sich flüchtig über die Augen, schluckte einen dicken Kloß im Hals herunter und erhob sich unsicher. Er sperrte die Ohren auf und lauschte konzentriert. Das war Geschrei, wahrhaftig! Konnte das möglich sein? Nach all der Zeit des Wartens war es nun endlich geschafft? Er durfte sich Vater nennen? Eine Welle der Freude überschwemmte ihn und nahm ihm zunächst den Boden unter den Füßen. Unsicher schwankte er und musste sich am Kaminsims festhalten. Und als er gerade wieder sicher stand, traf ihn ein ganz anderes Gefühl wie ein Schlag. Angst. Fürchterliche Todesangst. Lebte Callista, oder hatten die Götter sie zu sich gerufen? Waren seine Alpträume wahr geworden? Witjon machte einen zögerlichen Schritt vorwärts. Er wollte nachsehen, wollte Gewissheit haben. Doch er fürchtete sich vor dem was er womöglich sehen würde. Er ahnte das Schlimmste. Diese Ahnung ließ ihn dort am Kamin verharren, lähmte ihn zur Gänze.


    Irgendwann stand plötzlich Lando wieder im Raum. Ihre Blicke trafen sich und im selben Moment stürzte Albin ebenfalls zur Tür herein und rempelte den cheruskischen Vetter an. Da schaltete es in Witjons Hirn und mit einem Satz stürmte er an den beiden Männern vorbei zur Treppe hin. Er nahm jeweils drei Stufen nach oben, doch kurz vor dem Treppenabsatz stoppte er abrupt ab und blieb stocksteif stehen. Da stand Elfleda, ein Bündel auf dem Arm. Ihr Blick war für Witjon nicht zu deuten und so starrte er einen Moment unbewegt das Bündel an, das dort friedlich an Elfledas Brust ruhte.


    Prudentia Callista:


    Auf ihre genuschelte Frage folgte ein Augenblick unerträglicher Stille. Voller Angst und Bange bemühte Callista sich ihre Augen offen zu halten, erwartete das erlösende Plärren des Kindes. Hatte das Kind es geschafft? Bitte Iuno, sei mir gnädig, betete sie innerlich, als sie für einen Moment erschöpft die Augen schloss. Und da erhörte die Göttin ihr Gebet. Das helle Kreischen eines Neugeborenen zerriss die Stille und erfüllte das Herz der jungen Römerin mit unendlichem Glück. Elfleda reichte ihr das Kind, dessen Anblick Callistas Herz vor Freude platzen lassen wollte. Müde lächelte die Prudentia. Unter großer Anstrengung hob sie ihren schwachen Arm und berührte das Kind liebevoll. Das Kind. Ihr Kind! Ihr Sohn! Callista konnte es nicht fassen. Sie hatte einen gesunden Sohn geboren. Ihre Pflicht als Mutter war damit erfüllt, zumindest bis hierhin. Doch mehr würde sie nicht mehr für das Kleine Geschöpf tun können. Der Gedanke schmerzte sie, versetzte ihrem Herzen einen grausamen Stich.
    Traurig und zugleich voller Liebe betrachtete sie die schrumpelige kleine Rotznase. Der Kopf war noch beinah völlig haarlos, die Augen zusammengekniffen zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht der Welt. Schleim klebte überall, gemischt mit Blut und Fusseln der wärmenden Tücher. Die Ärmchen des Winzlings zappelten unruhig hin und her, die Händchen waren zu kindlichen Fäusten geballt. Und ein Geplärr kam aus dem Mündlein, dass es einem in den Ohren schepperte!
    "Mein Sohn..." stellte Callista erleichtert fest. Ihre Finger fuhren ganz zärtlich über die Haut des Kindes. Sie hatte es geschafft, Witjon hatte einen Erben! Sie hatte ihre Pflichten erfüllt. Mit dieser Erkenntnis wich jede Anspannung von der Prudentia und Müdigkeit überwältigte sie. Denn mit der Anspannung wich auch jeglicher übriger Lebenswille aus dem schwachen Körper der jungen Frau. Sie war am Ende, das spürte sie jetzt. Jede Faser ihres Körpers verließ sie, wollte ihr nicht mehr gehorchen. Ihr Arm fiel schlaff auf die Bettdecke zurück, ihre Augenlider schlossen sich langsam. Und als sie ihren letzten Atemzug tat, waren ihre Gedanken bei Witjon, dem geliebten Ehemann, dem sie nie die gute Frau hatte sein können, die sie hatte sein wollen.


    So starb Prudentia Callista im Kindsbett und die Sonne schien grell durch die geöffneten Fenster herein, die Trauernden zu verhöhnen.

    Hungaricus forderte ihn auf im Raum zu bleiben und so stand Witjon einfach da und sah mit an wie sein Vorgesetzter für einen Moment ganz ordentlich die Beherrschung verlor. Witjon zuckte merklich zusammen, als der Statthalter seinen Ärger herausbrüllte und den Brief von sich schleuderte. Und wie auch der Vinicius tief einatmete, holte sein Magister tief Luft und nickte nur eifrig, als er die nächste Anweisung erhielt. Er eilte in sein Arbeitszimmer, krallte sich Wachstafel und Griffel und platzierte sich auf einem Schreiberhocker neben dem Schreibtisch des Statthalters, bereit zu notieren. "Kann losgehen," erklärte er schlichtweg und wartete dann auf das kommende Diktat.