Es war nun ganze sieben Tage her, dass Callista im Kindbett ihren letzten Atemzug getan hatte. Die Aufbahrungsfrist war demnach abgelaufen. Heute sollte die Prudentia im Grab ihrer Gens bestattet werden. Die Pompa Funebris, der Leichenzug, war von der Casa Duccia zum Forum gezogen. Dort war die Leichenrede gehalten worden. Witjon hatte sich dieser Aufgabe entzogen und statt dessen seinen Vetter Phelan verpflichtet, der auch schon bei seiner zuletzt verstorbenen Tempelschülerin Prudentia Thalna die Rede gehalten hatte. Von dort aus hatte der Zug die Stadt durch das südliche Tor verlassen und war den Gräberfeldern entgegenmarschiert. Die Prozession war nicht übermäßig lang, doch hatten sich auch nicht wenige Menschen zum Abschied der jungen Römerin versammelt. Witjons sämtliche germanische Klienten waren erschienen, ebenso alle Hausangestellten der Casa Duccia. Vereinzelt sah man römische Damen, die Callista flüchtig bei Thermenbesuchen oder seltenen Gastmählern bei befreundeten Decurionen kennen gelernt hatten. Witjons Freunde waren auch gekommen und natürlich alle Duccii, die zurzeit die Casa Duccia bewohnten. Cornicen gingen der Prozession voran und spielten getragene Töne auf ihren Flöten, während bezahlte Klageweiber symbolisch für die ganze Gemeinde ihre Trauer in die Welt hinausheulten. Dahinter schritten andächtig Witjons Werkzeugschmiede und alle anderen Angestellten aus seinen Betrieben, die die Totenbahre trugen. Danach kamen die Duccii und hintendrein alle anderen Trauernden.
Die Prozession passierte etliche Grabmäler, bis das Sepulchrum Prudentium erreicht war. Dort stand bereits ein Scheiterhaufen bereit, der mit Öl übergossen worden war. Die Totenbahre wurde auf den Scheiterhaufen gebettet und die Trauergemeinde versammelte sich. Als Urne fungierte eine fein gearbeitete Tonvase, die in Witjons Werkstätten bemalt worden war. Die abgebildeten Motive zeigten eine junge Römerin bei der Hausarbeit, aber auch beim Tempeldienst und an der Seite eines bärtigen junge Mannes. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich hierbei um Callista und Witjon handelte.
Vor dem Grabmal waren außerdem die Grabbeigaben ausgestellt, wie es üblich war. Viele Kleinodien konnte man hier finden, aber auch allerlei Nützliches, was die Prudentia im Jenseits brauch würde.
Die Abend war mittlweile weit fortgeschritten und die Sonne wurde bereits vom Horizont verschluckt. Die Prozession war zum Ende gekommen, die Gäste im Kreis um den Scheiterhaufen versammelt. Alles war bereit, da stand auch schon Ortwini an Witjons Seite, eine Fackel in der Hand haltend. Der junge Duccius nahm das Feuer entschlossen nickend entgegen und trat an den Scheiterhaufen heran. Es war völlig still an diesem frischen Frühlingstag und nur wenige Geräusche der Umgebung durchbrachen die kühle Abendluft. Schließlich wollte Witjon noch einige Abschiedsworte an die Trauergemeinde richten.
"Heute tragen wir Prudentia Callista zu Grabe. Sie war mir eine treue Frau. Pflichtbewusst, ehrenhaft, und immer darauf bedacht niemandem Schande zu bereiten. Oft gab es Probleme, weil römische und germanische Sitten zu Konflikten führten und die Gemüter nicht immer miteinander auskamen. Doch immer war sie mir ein gutes Weib und tat alles, um meinen Ansprüchen gerecht zu werden." Er musste schlucken und versuchte krampfhaft die Tränen zu unterdrücken. "Callista ahnte, dass sie nicht stark genug war für eine Geburt. Dennoch hat sie mir einen gesunden, kräftigen Sohn geschenkt: Audaod!" Der junge war ebenfalls dabei, das hatte Witjon so gewollt. Er schaukelte in Margas kräftigen Armen und ließ hier und dort ein verwirrtes Quängeln hören. "Audaod kann stolz sein auf seine Mutter. Er wird sie niemals kennen lernen, doch ich werde - die Götter mögen meine Worte hören! - ihn immer im Gedenken an seine Mutter großziehen, das schwöre ich."
Und damit erhob er die Fackel und entzündete den Scheiterhaufen, der sofort Feuer fing, so dass er bald zurücktreten musste.
"Irgendwann sehen wir uns wieder, liebste Callista," flüsterte er im Angesicht der Flammen, die knisternd in die Himmel stiegen. So standen sie lange Zeit in Stiller Andacht da, bis durch das "ilicet" verkündet wurde, dass die Gäste sich nun entfernen durften. Audaod wurde nach Hause gebracht. Ebenso entfernten sich viele Bekannte und die Männer aus den Betrieben. Witjon blieb weiterhin unbewegt vor dem Scheiterhaufen stehen, lediglich den Mantel vor Mund und Nase gezogen zum Schutz vor dem Gestank des Todes. Das Feuer brannte kontinuierlich und die Flammen züngelten stetig in die stärker werdende Düsternis empor. Wer genau hinschaute, konnte es derweil in Witjons Augen verräterisch glänzen sehen.