Witjon konnte nicht widerstehen seinen Zeigefinger zwischen die winzigen Fingerchen des Neugeborenen zu schieben, um so den noch schwachen Greifreflex des Kindes auszulösen. "Ja, lass uns nichts überstürzen", pflichtete er seiner Frau in der Namensfrage bei. Die Nornen sahen es nicht gern, wenn ein Neugeborenes so früh einen Namen erhielt und Witjon fürchtete stets, dass sie den Schicksalsfaden eines Kleinkindes deshalb früh durchtrennten.
Gedankenverloren betrachtete der glückliche Vater das neue Familienmitglied, als Alpina räuspernd auf sich aufmerksam machte und ihn an seine väterlichen Pflichten erinnerte. Das Aufheben des Kindes hatte er völlig vergessen. Für ihn gehörte es wie selbstverständlich dazu, dass er das Neugeborene nach römischem Ritus anerkannte. Nicht nur, weil das so von ihm als Civis Romanum und Eques Imperii gewiss erwartet wurde, sondern auch weil er diesen Anspruch an sich selbst hatte. Er war Bürger des Reiches und wollte als solcher auch mit ganzer Konsequenz am römischen Rechtsleben teilhaben. Das selbe sollte auch für seine Nachkommen gelten. "Natürlich werde ich ihn aufheben", sagte er, irritiert davon, dass Alpina ihm ein anderes Vorgehen überhaupt zutraute.
"Ich kann als zusätzlicher Zeuge neben dir, werte Obstetrix, fungieren", meldete sich eine Stimme von der Tür her. Lässig in den Türrahmen gelehnt stand Ortwini da, ein Lächeln auf den Lippen. Witjon war erleichtert, diese Frage geklärt zu sehen. Er stimmte zu: "Hervorragend! Dann bringen wir's hinter uns. Ganz behutsam hob er den in Wolle gewickelten Säugling hoch und vertraute ihn Susina Alpina an, damit diese ihn auf den Boden legte - er selbst hätte es merkwürdig gefunden, sich das Kind selbst vor den Füße zu platzieren. Mit einem Blick zu Ortwini versicherte Witjon sich dessen Aufmerksamkeit und nahm dann seinen Sohn zu sich. Erneut hob er ihn ganz behutsam hoch, den kleinen Kopf bedächtigt stützend um ja keine Halsverletzungen zu riskieren. Auch wenn Witjon den Säugling nun am liebsten wieder seiner Frau geben wollte, so war es jetzt an der Zeit für das erste Bad des Kleinen. Er reichte Alpina das Kindchen und schenkte ihr ein warmes Lächeln. "Danke für alles, Alpina. Iuno Lucina möge stets über dich wachen, denn du tust ihr gutes Werk." Er war dieser Frau wahrhaft dankbar. In diesem Moment waren kurzzeitig auch alle Sorgen um die Gesundheit seines Weibes verflogen. Jetzt durfte er einfach nur das Vaterglück genießen. Ortwini lehnte immer noch im Türrahmen, die Arme verschränkt. Kopfschüttelnd grinste er vor sich hin. Sein Freund, einer der mächtigsten Männer in der Provinz, war manchmal doch immer noch ein unverbesserlicher Träumer.