Witjon verfolgte mit wachsender Aufregung, wie erst der Gode und später der Pontifex ihre Anrufungen, Gebete und Opfer vollzogen. Er nahm erleichtert zur Kenntnis, dass der Wille der Götter seiner Vermählung mit Octavena offenbar nicht entgegen stand. In seinem Rücken spürte er die Blicke der Gäste. Sie waren Verwandte, Freunde, politische Verbündete. Witjon wusste, dass es viele waren, auf die er sich vollends verlassen konnte und das machte ihn stolz und glücklich. Als Marcus schließlich geendet hatte - der Gestank verbrennender Organe hatte sich unangenehm in Witjons Nase festgesetzt - war es nun an Witjon, weiterzumachen.
Braut und Bräutigam traten nun bis auf einen Schritt Entfernung aufeinander zu und reichten sich die Hände, die sie über Kreuz verschränkten. Der Gode bedeckte die Hände mit einem strahlend weißen Tuch und schmückte Witjon und Octavena mit jeweils einer Blütenkrone. Thorger nickte den beiden aufmunternd zu und trat dann zur Seite. Es folgten nun die Treueschwüre, den Braut und Bräutigam sich gaben.
Dies war der Moment, in dem ein jeder Junggeselle zögerte, um sich der schönen freien und womöglich zügellosen Zeit ohne Hausdrachen zu erinnern. Witjon aber hatte dies schon hinter sich. Er erinnerte sich nur zu gut an sein Junggesellendasein. Viel besser aber stand ihm noch seine gemeinsame Zeit mit Callista im Gedächtnis. Beim Gedanken an sie erschien es ihm plötzlich unangemessen, dass seine ganze Aufmerksamkeit nicht bei seiner neuen Anverlobten war. Sich innerlich zur Disziplin rufend löste Witjon also räuspernd den Kloß in seinem Hals und versuchte sich die Worte vor Augen zu halten, die er sich als Schwur für Octavena überlegt hatte.
"Midgard ist groß", begann Witjon zögerlich und, wie er schnell feststellte, viel zu leise, denn einige Leute reckten die Hälse um besser zu verstehen was er sagte. "Midgard ist groß", wiederholte er also lauter und deutlicher. "Und die Nornen weben die Schicksalsfäden manchmal in seltsamen Formen. Und überall in den Landen der Menschen lauern Übel und Schrecken. Mann und Frau beschreiten den Weg, den die Parzen in dieser Welt ihnen zu gehen vorgeben. Doch es kommt der Tag, an dem sich die Fäden von Mann und Frau kreuzen."
Wo Witjon zuvor noch in einem Anflug totaler Nervosität auf seine respektive Octavenas Hände hinuntergesehen hatte, hob er nun den Blick. Er suchte die Augen seiner Braut und stockte einen Moment, als sich ihre Blicke trafen.
"So auch heute", brachte er dann hervor, den Blickkontakt zu Octavena weiter haltend. "Denn die oberirdischen und unterirdischen Götter und alle Geister dieser und jener Welt und die Ahnen aus alten und jüngeren Zeiten sind meine Zeugen, dass jene Frau meinen Weg gekreuzt hat. Jene Frau, deren Lebensfaden fortan mit dem meinen verwoben sein wird. Diese Frau bist du, Octavena, Tochter der Petronii, und mit dir werde ich meinen Lebensweg beschreiten; und ich werde es mit Freude im Herzen und großem Stolz tun."
Das Tuch über ihren Händen verdeckte naturgemäß den Blick der versammelten Gäste, der ihnen sonst verriete, dass Witons Nervosität, die sich zuvor in einem lockeren Griff und gelegentlichen fahrigen Bewegungen der Finger geäußert hatte, in Sicherheit umgeschlagen war. Jetzt, da diese ersten Worte mit Bestimmtheit ausgesprochen waren, fühlte er sich am richtigen Platz. Da, wo zuvor leichte Unsicherheit geherrscht hatte, war nun Überzeugung eingekehrt. Sein Händedruck war fest und sicher und er ließ Octavena spüren, dass er seine Worte auch so meinte, wie er sie sagte.
"Mit Freude will ich, Witjon, und mit der Kraft der Götter und der Stärkung der Geisterwesen und mit der Sicherheit meiner Ahnen, an deiner Seite gehen und stehen. Kein Übel oder Schrecken soll dich behelligen. Ich werde dir Stütze sein in Zeiten der Unsicherheit, werde dir Schutz bieten in Zeiten der Gefahr, werde dir Hilfe sein in Zeiten der Not, auf dass kein Jammern und Weinen dein Herz trübe. In Zeiten der Freude aber und des Glücks will ich ebenso mit dir über seltsam gewobenen Pfade der Nornen wandeln und mit dir lachen und scherzen, auf dass dein Lächeln Midgard zum strahlen bringe."
Hier musste er schlucken. Gleichzeitig lächelte er seine Braut an. Es war ein aufrichtiges Lächeln, denn Witjon wollte wirklich, dass es so sein würde wie er es beschrieb.
"Voller Stolz will ich mit dir teilen, Octavena, alles was das Leben mir bringt. Und komme Sturm, so werde ich dir Kraft sein wie Donar es den Menschen ist, dass du den Wogen widerstehest. Und komme Streit und Krieg, so werde ich dir Schwert und Schild sein wie Taiwaz es den Menschen ist, dass dir kein Leid geschehe. Und stehst du am Scheideweg, so werde ich dir weisen Rat geben wie Wodan es den Menschen tut, auf dass du immer auf rechten Pfaden wandelst."
Ab hier machte Witjon ein ernstes Gesicht. Jetzt galt es.
"Dein Mann will ich sein, Octavena, wie du meine Frau sein willst. Und nichts soll zwischen uns kommen, denn wir stehen vereint. Dich will ich ewig ehren. Dir soll mein Respekt sein und meine Achtung und meine Treue auf immer. Im Zeichen der Freya wird unsere Zweisamkeit stehen und unter Friggs Zeichen werden unsere Kinder geboren werden, denn unser Blut soll eins sein."
Ja, schoss es Witjon in den Kopf, das klingt einfach richtig.
"Das schwöre ich, Witjon, Sohn des Evax, so wie ich hier vor dir stehe. Dich will ich lieben. Und weder mögen uns Unbill trennen noch Missgunst uns entzweien, denn ich werde dir ein liebender Mann sein und alles was mein ist, soll auch dein sein, auf dass es dir an nichts fehle.
Das schwöre ich, Witjon, Sohn des Evax, und dies tue ich freien Willens und ohne Zwang. Das schwöre ich, vor Göttern und Menschen, denn ich bin der Mann, der dich liebt."
Für die Römer mochten Witjons Worte teilweise überaus emotional, gar schnulzig rüberkommen. Er selbst jedoch wusste, dass es so sein sollte. Denn unter Germanen bedeutete der Treueschwur mehr als nur das Einverständnis zur Ehe, wie es unter Römern so schlicht und manchmal vorschnell gegeben wurde. Nein, er war sich sicher. So, wie Lando damals sicher gewesen war, war Witjon sich jetzt sicher, dass er diese Frau, die er an den Händen hielt, zu seinem Eheweib nehmen wollte. Und das hatte er auch so gesagt.
Heimlich holte Witjon nun erstmal Luft und versuchte seine stete Aufregung zu dämmen, während er erwartungsvoll dessen harrte, was Octavena nun erwidern würde.