Endlich kam er zu ihr! Axilla sah zwar nicht auf, aber sie bemerkte das Gewicht auf der Bettkante neben sich, wie sie leicht seitlich davon gezogen wurde. Und dann hatte Archias auch schon seinen Arm um sie und versuchte, sie zu trösten. Er sagte zwar nichts, aber seine Stimme war sanfter und weicher als noch gerade eben, und Axilla ließ sich einfach gegen ihn sinken und weinte weiter. Durch den eisenartigen Geruch um sie herum roch sie ihn, und es half, wenigstens ein ganz klein wenig. Sie nahm die Arme von ihren Knien und schlang sie stattdessen Archias einfach um die Brust, barg ihr Gesicht irgendwo an seiner Brust und heulte ihn – mal wieder – voll.
“Er hat... angegriffen und... Leander hat mich... zur Seite und... sie haben gekämpft und dann... da war so viel Blut. Und ich hab NICHTS gemacht! Gar nichts! Ich bin nur da gestanden! Ich hab nichtmal geschrien! Nichtmal, als der zu mir gekommen ist, hab ich was gemacht. Ich bin nur dagestanden!“
Wieder musste sie mehr weinen. Ihre Schuld wog so schwer, und sie konnte da nichts finden, was sie irgendwie mindern wollte. Nichtmal das Geständnis an Archias machte die Sache besser. Sonst, wenn sie ihre Schuld eingestand, ging es ihr danach auch besser, aber diesmal nicht. “Und ich seh immernoch seine Augen. Bestimmt verflucht er mich. Ich hätte was machen müssen!“
Beiträge von Iunia Axilla
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Er hörte sie nicht, er schnappte Crios am Schlafittchen und begann, ihn zu schütteln und zu beschuldigen. Axilla ächzte sich weiter hoch, bis sie schließlich saß, die Knie angezogen. Die Decke rutschte zwar von ihren Schultern, und das schöne, weiche, warme, falsche Gefühl verschwand damit fast, aber Axilla konnte jetzt nicht einfach nur auf der Seite liegen. “Caius, hör auf!“ gellte sie mit verheulter Stimme und zog ihre Nase hoch, die sich gerade schon wieder verflüssigen wollte, wischte sich einmal mit dem Handrücken darüber. Tränen liefen auch wieder. Warum nahm er sie denn nicht einfach in den Arm?
“Ich bin schuld!“ schrie sie ihn noch an, und dieses Eingeständnis traf sie schmerzhafter als die Fehlgeburt gewesen war. Sie war schuld, und es war wahr. Sie ganz allein war schuld an Leanders Tod. Bestimmt würde er als Lemur oder Larva zurückkehren und sie deshalb verfolgen mit seinen anklagenden Augen, sie wusste es! Sie wusste es genau! Und sie schämte sich so unendlich!
Sie verbarg ihren Kopf an ihren Knien, die Hände schützend um den Kopf, und schluchzte einfach wieder weiter. “Leander ist tot, und es ist meine Schuld!“ heulte sie etwas undeutlich an ihren Beinen und konnte wieder nicht aufhören, zu weinen. -
Vom Waschen bekam Axilla nicht allzu viel mit. Sie ließ es einfach geschehen, ohne wirklich bewusst irgendwie Anteil daran zu nehmen. Ihr Geist begab sich auf eine weite, opiumgesteuerte Reise, und sie ließ ihn einfach ziehen. Sie wollte nichts mehr wissen von der Welt mit all ihren Ecken und Kanten, sondern wollte eingehen in die Lethe, wie die Griechen es sagten.
Irgendwann war Crios fertig und wickelte sie in eine Decke ein. Der Stoff war weich und warm, und Axilla kuschelte sich ganz hinein. Das war das einzig schöne, was sie momentan fühlte, und selbst das machte es für sie eher unerträglicher als besser. Womit hatte sie es denn verdient, irgendwas schönes zu fühlen, wo sie doch nichts getan hatte, um Leander zu helfen? Gar nichts.Von der aufkeimenden Hektik bei Archias' Eintritt bekam Axilla nichts mit. Irgendwo registrierte sie zwar das bimmelnde Glöckchen, aber nur ganz am Rande. Selbst, als sie seine Stimme hörte, rührte sie sich nicht, wenngleich etwas in ihr ihn durchaus erkannte. Sie blinzelte, als würde sie aufwachen, als sie auch schon hörte, wie Archias plötzlich auf Crios zumarschierte und diesen anfauchte. “Caius...“ Das Wort war leise gesprochen und ging in der Drohung des Aeliers komplett unter. Axilla stützte sich leicht auf einen Arm auf, so dass sie ihren Verlobten ansehen konnte. Er sah verstrubbelt aus. Und wütend. Seine Gesichtszüge wirkten ganz verzerrt, die Augen so starr. So kannte sie ihn gar nicht, und ein wenig machte es ihr Angst. “Caius!“ sagte sie noch einmal, diesmal energischer und lauter.
Er sollte zu ihr kommen. Sie trösten, in den Arm nehmen! Nicht den armen Crios bedrohen, der doch nichts dafür konnte. Er hatte Leander ja helfen wollen. Nicht wie sie, die nichts getan hatte. -
Das Opium, das Crios ihr vor etwa einer Stunde gegeben hatte, wirkte noch weiter und verstärkte das Gefühl in Axilla, dass ohnehin alles egal war. War doch gleichgültig, ob sie das hier jetzt trank, oder ob er hinausging, oder ob er sie wusch. War doch alles egal. Leander war tot, und er würde tot bleiben. Und es war ihre Schuld. Sie hätte anders durch die Stadt gehen müssen. Sie hätte ihm helfen müssen. Hätte vielleicht lauter um Hilfe schreien müssen. Aber sie war nur dagestanden, hatte gar nichts getan. War zur Salzsäule erstarrt und hatte sich nicht gerührt. Nichtmal, um sich selber zu wehren. Sie hatte einfach nichts gemacht. Womit also hätte sie es verdient, sich jetzt besser zu fühlen?
Aber sie trank, Schlückchen für Schlückchen. Sie hatte einfach keine Lust, sich deshalb jetzt mit ihm zu streiten. War doch ohnehin egal, ob sie es trank oder nicht. Und so ließ er sie schon in Ruhe.
Ja, Ruhe, Axilla wollte ihre Ruhe. Wollte von der ganzen Welt jetzt nichts wissen, wollte nur nach Hause. Wollte die Augen schließen und alles, alles vergessen. Wollte diesen Blick nicht mehr vor sich sehen.
Crios fragte nochmal nach dem Waschen, und ohne Vorwarnung musste Axilla wieder weinen. Nicht, weil er sie waschen wollte. Das war vielleicht etwas peinlich, aber sonst ganz in Ordnung. Wenn Leander ihr beim Ankleiden geholfen und sie da mal nackt gesehen hatte, machte ihr das ja auch nichts aus. Aber sie konnte einfach nicht aufhören, an ihren toten Sklaven zu denken. Und es tat so weh, trotz des Opiums und des Trankes. Ganz tief in ihr tat es einfach weh, und sie weinte einfach ein wenig, ohne Antwort zu geben.
Sie wollte doch nur ihre Ruhe. Allein, im Dunkeln, nur mit sich selber. Warum nur musste das passieren? -
Natürlich erinnerte Axilla sich an Firas. Wenn auch die ganze Reise an sich irgendwie nur schwammig in ihrer Erinnerung war, so war es doch schwer, jemanden zu vergessen, mit dem man mehrere Wochen lang unterwegs gewesen war. “Klar erinnere ich mich an ihn. Hat der denn auch bei deinem Mosaikenleger gearbeitet, oder warum hast du ihn nicht gleich mitgenommen?“ So genau wusste Axilla ja wieder auch nicht, was mit dem Sklaven gewesen war.
Als er sie zurückneckte, machte Axilla einen Hüpfer beiseite und funkelte ihren Verlobten herausfordernd an. “Duuuuu, ich weiß, wo du kitzlig bist. Und ich werde es gnadenlos anwenden!“ drohte sie gespielt, ehe sie wieder an seine Seite trat und sich wieder bei ihm einhakte. Was natürlich nicht hieß, dass sie ihre Drohung zu späterer Stunde doch mal in die Tat umsetzen würde.
“Und natürlich komm ich trotzdem noch manchmal her. Ich kann ja nicht nur daheim rumsitzen, und wenn Serrana dann bei den Germanicern ist, [size=6]wo sie auch hingehört,[/size] und Silanus aufs Land fährt mit seiner Krankheit“ von der Axilla annahm, dass sie nur ein Vorwand war, aber nichts dazu sagte “muss sich ja irgendwer um das hier kümmern. Zumindest so ab und an mal nach dem Rechten schauen. Können ja nicht die Sklaven hier alles allein bewirtschaften und so. Und das Lararium muss ja auch gepflegt werden, und das alles. Da kann man das hier schon hübsch machen.“
Axilla hatte nichtmal daran gedacht, dass ihr Mann, egal wer es wäre, wohl wollen könnte, dass sie nicht mehr ins Haus ihrer Gens ging. Wieso sollte er das auch? Immerhin würde sie sowieso nur manus-frei heiraten, alles andere kam ja gar nicht in Frage. Und da war es doch ganz normal, wenn man ja noch zu seiner gens gehörte, die auch mal zu besuchen? Aber sie glaubte sowieso, dass Archias sie nur aufziehen wollte, also fragte sie nicht weiter nach.Bei seinem Vorschlag aber, was er ihr als Mosaik legen wollte, musste sie doch lachen. Sie schüttelte den Kopf und konnte kaum mehr aufhören, zu kichern.
“Ja, das sieht dir ähnlich!“ meinte sie gespielt übertrieben und knuffte ihn nochmal leicht in die Seite. Ein Bild von ihm in ihrem Schlafzimmer, also wirklich. Auf so Ideen konnte auch nur er kommen.
“Ich denk, ich nehm eher eine Nymphe, wenn du damit leben kannst.“ ein schöner, grüner Nymphenbaum, vielleicht noch ein Satyr oder etwas ähnlich wildes, das wär nach Axillas Geschmack. Und wenn das wirklich keine Umstände machte und sie das durfte, und sie es sich aussuchen durfte, war das wohl eher ihre Wahl. -
Warum sollte sie es trinken? Wäre danach Leander nicht tot? Würde das die Dinge ungeschehen machen, die passiert waren? Nein? Warum also sollte sie es trinken, wenn das den Schmerz also doch nur aufschob, aber nicht auflöste? Dennoch drehte sich Axilla seitlich – zum Sitzen fehlte schlicht die Kraft – und nippte ein paar mal an der scharf riechenden Brühe. Es schmeckte widerlich, und dennoch vertrieb es den metallenen Geschmack in ihrem Mund und war damit angenehmer als der Ist-Zustand. Dennoch nahm sie nur ein paar winzige Schlucke, nicht mehr, ehe sie sich zurücksinken ließ und ihren Kopf auf ihrem Arm bettete.
“Mein Freund“, antwortete Axilla leise und meinte dieses Wort in der ursprünglichsten Bedeutung, nicht in jener übertragenen, die knappe 1900 Jahre später modisch sein würde, indem man den Lebensabschnittsgefährten mal eben als 'Freund' betitelte. Sie atmete einmal durch und schloss wieder die Augen. Sie sah noch immer Leanders leeren Blick vor sich und wollte am liebsten schreien. “Caius Aelius Archias“, nannte sie seinen ganzen Namen und zog wieder leicht die Knie an ihren Bauch. Die Krämpfe hatten aufgehört, aber noch immer tat alles sehr weh. Und Axilla fühlte sich schlicht und ergreifend schutzbedürftig. -
Axilla sackte zurück und wollte von nichts mehr etwas wissen. Sie wollte nur noch allein sein, allein mit sich und dem Schmerz. Alles andere existierte sowieso nicht so richtig. Es fühlte sich nicht real an, dass es noch etwas anderes gab. Da war nur dieses gewaltige, schwarze Loch in ihrem Inneren und der Blick aus Leanders toten Augen, sonst war da nichts.
Crios drückte ihr einen Becher in die Hand und wollte, dass sie etwas trank. Beinahe hätte Axilla gelacht, aber selbst ein zynisches Lachen schien ihr zu unwirklich, um es von sich zu geben. Sie blieb einfach liegen, den Becher in der Hand, die auf der Liege lag, und starrte nach oben. Trinken... wozu? Sie wollte nichts trinken. Sie wollte nichts fühlen. Sie wollte schlafen und vergessen. Nein, nicht vergessen, sie durfte Leander nie vergessen. Aber schlafen wollte sie, und hoffentlich nicht träumen.Nur durfte sie nicht. Crios redete mit ihr. Sie blinzelte einmal und sah zu ihm herüber. Er hatte ein Bündel in der Hand. Axilla konnte sich denken, was darin war, sickerte doch genug Flüssigkeit durch den Stoff. Aber sie wollte nicht darüber nachdenken, wollte gar nicht daran denken.
“Ich will nach Hause“, jammerte sie und starrte wieder hoch zur Decke. Sie wollte nach Hause. Und damit meinte sie nicht das Haus hier in Rom. Sie meinte noch nicht einmal die wunderbare Villa in Alexandria. Nein, sie wollte nach Hause, zu dem alten Haus in der Nähe von Tarraco, mit dem großen, knorrigen Baum im Hof, auf dem im Frühjahr die Vögel sangen. Wo der Stall rechts eigentlich nur ein Maultier und eine alte Stute mit Senkrücken beherbergte, außer, Vater war daheim. Dann stand dort sein Pferd, ein schneller, kräftiger Brauner mit Zottelmähne. Axilla schloss die Augen, als sie daran dachte. Sie wollte zu ihrem Vater, die Sicherheit fühlen, die er ihr gegeben hatte. Und das ging nicht, das ging nie mehr.
Also sagte sie das, was am nächsten an dieses Gefühl heran kam, wollte das, was am ehesten sich noch so sicher und gut anfühlte. “Und ich will Caius...“ Und wieder weinte sie ein wenig, wenn auch stiller und ruhiger als vorhin. -
Auf einmal waren Hände da, die sie stützten. Axilla sah sich um, wer es war. Zum ersten Mal sah sie wirklich den Raum, nahm ihn wirklich einigermaßen bewusst wahr, und wusste, sie war nicht zuhause. Sie erkannte den Raum nicht und bekam Angst deswegen – also noch mehr. Sie wandte leicht den Kopf, um denjenigen zu sehen, der sie hielt und stützte, packte ihn sogar einmal bei den Haaren, um sein Gesicht von ihrem zu entfernen. Zwar fehlte ihr die Kraft, um ihm weh zu tun, aber es war eine deutliche Geste und reichte offenbar, denn der Mann ruckte kurz weg, so dass sie ihn sehen konnte.
“Crios...“, wimmerte sie und ließ den Arm sinken, gab ihn frei. Die kleine Wehe, die ihren Körper erfasst hatte, ebbte ab, und Axilla schluchzte einmal, bog sich zur Seite und an seine Brust, suchte ein wenig Nähe und Schutz. Sie hielt sich für diesen winzigen Moment der Ruhe einfach nur an ihm fest und weinte ein wenig. “Er hat Leander getötet“, erzählte sie kurz unter Tränen.
Aber noch ehe sie sich Trost bei ihm suchen konnte, oder irgendetwas sagen konnte, machte ihr Körper schon unerbittlich weiter. Erneut krampfte sie, diesmal heftiger, und sie musste sich wieder gerade hindrehen. Instinktiv stellte sie die Fersen auf die Liege, bog den Oberkörper nach vorne. Gut, dass Crios sie stützte, allein hätte sie nicht die Kraft gehabt. Ihr Körper krampfte weiter, als sich in ihrem Inneren alles löste, was einmal Leben hätte werden sollen, und es nach draußen trieb. Es war nicht so schmerzhaft wie eine echte Geburt, dafür war das Kind nicht groß genug. Nur etwa so groß wie Axillas Handteller, mehr nicht, die Knochen noch weich, mehr eine annähern menschlich geformte Masse als ein Kind. Und doch tat es weh, als das Kind sich mit der gebildeten Plazenta löste und herausgepresst wurde.Erschöpft ließ sich Axilla zurückfallen, als der Druck auf ihren Bauch nachließ und sie sich nur noch schwach und leer fühlte. Ihre Schenkel zitterten sichtbar von der Anstrengung, und sie wollte wieder ohnmächtig sein.
Sie hatte sich gewünscht, das Kind zu verlieren. Sie hatte es sich sehr gewünscht. Sie hatte Gift genommen, um es zu verlieren. Aber das war gewesen, ehe Archias ihr gesagt hatte, dass er es wollte. Und jetzt, als sie es verloren hatte, fühlte sie sich nur leer. -
Süßes, schwarzes Nichts, vergessen und verloren, treibend auf einem Meer von Taubheit. So umfing Axilla die gnädige Ohnmacht irgendwo zwischen der Subura und der Taberna, und für einen kurzen Moment war so die Wahrheit ausgesperrt. Davon, dass sie auf eine Liege gelegt wurde, bekam sie nichts mit, auch nicht davon, dass ihr Körper weiterhin die Abstoßung des Kindes vorantrieb, ebenso wenig von Crios Bemühungen, ihr dabei zu helfen.
Doch nicht lange währte dieser Segen, viel zu bald entschied ihr Körper, dass das ohne Zutun des Geistes nicht ging. Erst war es nur ein ziehen am Rand ihres Bewusstseins, doch schnell wurde es zu einem Brennen in ihrem Leib, und Axilla wurde aus der samtenen Schwärze wieder zurück in ihren Körper katapultiert, um jedes Quäntchen Schmerz mitzuerleben. Mit einem langgezogenen Stöhnen erwachte sie, ihre Augenlider flackerten erst, ehe sie sie nur halb aufschlug. Noch immer waren sie verklebt von getrockneten Tränen, denen sich gleich wieder neue hinzugesellten.
Es war weniger der Schmerz, der ihren Körper erfasst. Ihr Bauch krampfte zwar und sie rollte sich instinktiv auf die Seite, zog schützend die Beine etwas an. Dass man sie ausgezogen hatte, merkte sie nicht, und es war ihr auch egal. Was wirklich schmerzte und sich wie Hammerschläge in ihr Bewusstsein einbrachte war die Erinnerung an Leanders Augen. Wie er sie angesehen hatte, als das Leben aus seinen Augen gewichen war. Sie sah es, wenn sie die Augen öffnete, und auch, wenn sie sie schloss. Und das, dieses Wissen, schmerzte weit mehr als der krampfende Körper.
Sie keuchte und legte ihre Hände auf den Bauch. Die Bauchdecke fühlte sich steinhart an. Sie fühlte, dass irgendwas zwischen ihren Schenkeln klebte, und ohne auf Crios Widerspruch zu achten, tastete sie danach und entfernte es. Wieder floss ein wenig Blut, aber nur sehr mäßig und langsam, und ihr Körper schüttelte sich leicht in rhythmischen Krämpfen. Immer wieder hatte Axilla das Gefühl, pressen zu müssen, und jedes Mal keuchte sie, gefolgt von einem tiefen Schluchzen und Weinen. Sie wusste, was passierte, wenngleich ihre Gedanken andernorts waren, sie wusste es.
Wieder fing ihr Körper an, zu krampfen, diesmal stärker, und sie versuchte, sich aufzusetzen, wenigstens ein bisschen. Auf der Seite liegend ging das nicht. Aber es fehlte ihr schlicht die Kraft, es durchzuführen. -
Während der Ädil Wachs von seinem Stempel puhlte, kam auch schon der Tadel wegen der Berührung. Axilla biss sich verlegen auf die Unterlippe und nickte kurz. “Entschuldige...“ Sie hatte der Pflanze ja nichts getan! Nur ganz vorsichtig einmal das Köpfchen berührt. Mehr nicht. Und sie kannte diese Art von Blume, auch wenn sie keine Ahnung von deren Namen hatte. War ja auch unwichtig, fand sie. Ob das nun die Königin der Orchideen oder die Bettlerin der Gänseblümchen war, war doch egal. Sie war hübsch, was musste man mehr wissen von einer Blume?
Dennoch schien der Aurelier nicht mehr ganz so feindselig zu sein. Zumindest ein klitzekleines bisschen weniger. Und mehr instinktiv als aus Berechnung beschloss Axilla, das Thema vielleicht etwas fortzuführen. Hier die ganze Zeit nur schweigend dazusitzen und so zu tun, als würde sie nicht merken, wie kaltschnäuzig er war, lag ihr nicht. Dann lieber über Blumen ein wenig reden. Es gab weitaus schlechtere Themen.
“Hast du sie aus Asia importieren lassen, oder meinst du, dass diese Art dort wächst?“ fragte sie also neugierig nach. Sie warf noch einen fast sehnsüchtigen Blick auf die Blume, ehe sie wieder zurück zum Ädilen ging und sich brav wieder hinsetzte. Die Blume war sicher die freundlichere Gesellschaft. Die hatte nicht so scharfe Worte für die Iunia übrig.
Und ebenso instinktiv, wie Axilla beschlossen hatte, das Gespräch beizubehalten, streckte sie dem Ädil wie selbstverständlich die Hand hin, dass er ihr das verklebte Siegel geben konnte. Sie dachte sich nichtmal was dabei. Sie sah nur, ihm machte das Kratzen keinen Spaß, und ihr machte sowas nichts aus. Dass das nicht ihre Aufgabe war und vielleicht etwas befremdlich wirken mochte, daran dachte sie nicht.
“Und hast du noch mehr wie sie, oder ist das die einzige im Haus? Im Paneion in Alexandria wachsen ja hundert Stück direkt nebeneinander. Das sieht aus wie rosa Teppich, wenn man sie von weiter weg sieht. In weiß wäre das sicher auch sehr schön.“ -
Draußen angekommen hakte sich Axilla erstmal bei Archias ein und lehnte sich im Laufen ganz leicht gegen ihn, um näher bei ihm zu sein. Sie mochte es, ihn an ihrer Seite zu fühlen, das machte das ganze für sie etwas wirklicher, als wenn sie nur nebeneinander hergegangen wären, ohne sich zu berühren. Sie hörte ihm zu, während er spottete, das mosaik werde ja ohnehin nie fertig bis dahin.
“Dauert das denn so lange?“ fragte sie also. Immerhin waren es an diesem Tag noch fast vier Wochen bis zur Hochzeit. Gut, das mit den Handwerkern wusste Axilla natürlich. “Hätt ja sein können, du hast hier auch wen bei der Hand...“, brummelte sie noch als schwache Ausrede dazu. Aber gut, dann eben kein Mosaik vor der Hochzeit, würden sie sich eben ganz blamieren und nicht nur zu sieben Achteln.
“Und wieso denkst du, ich hab nichts mehr davon, wenn die Casa Iunia schöner wird, nur weil es vor der Hochzeit nichts mehr wird. Ab und zu werd ich sicher trotzdem hierher kommen, wenn du mir auf die Nerven gehst“, neckte sie ihn frech und kniff ihm in die Seite. Das würde sie wohl selbst dann nur ab und an während des Tages machen und dann in ihrem neuen Zuhause dennoch nächtigen, aber trotzdem war sie dafür, die Casa zu verschönern.
“Aber das mit dem Domus Aeliana klingt auch gut. Aber meinst du, das dürfen wir so einfach. Weil... ähm, also, ich meine... gehört ja doch zum Palast dazu... so irgendwie.“ Und Axilla würde sich nie einfallen lassen, im Palast was einfach zu ändern. Da hatte sie dann doch zu viel Respekt vor dem Kaiser, selbst wenn der gar nicht da war.
“Aber das wär schon irgendwie schön. Du würdest das wirklich nur für mich machen lassen?“ Noch niemand hatte Axilla ein Mosaik geschenkt. Wann denn auch? -
Hmmm, er hatte nichts dazu gesagt, ob sie jetzt verheult aussah oder nicht. Hieß das nun, sie sah nicht danach aus, oder war es so schlimm, dass er es nicht beantworten wollte, weil er sie sonst anlügen musste. Axilla stand auf und ging kurz rüber zu ihrem Spiegel, betrachtete sich, so gut das eben mit einem Spiegel möglich war, ohne dass es wirklich danach aussah, als würde sie sich im Spiegel angucken. Archias sollte ja nicht auf die Idee kommen, sie sei eitel. Aber wenn sie total verquollen auf den Gang gehen würde, durfte sie sich nachher wieder anhören, ob es ihr denn gut ginge, und was passiert sei und all das, und darauf hatte sie schlicht keine Lust. Aber scheinbar ging es – wenn der etwa 1,327 Sekunden lange Blick sie nicht getrügt hatte – also stand einem Ausflug nichts im Weg.
Sie verließ mit Archias das Zimmer in Richtung Peristyl, schön weit weg vom Atrium – sofern das eben innerhalb eines Hauses ging.
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Auch wenn Romana nochmal nachfragte, zumindest so halb, Axilla sagte nichts mehr und beließ es bei einem Blick, der ihr Unbehagen ausdrückte. Sie war sich nicht sicher, wie Archi das mit der Schüssel gemeint hatte, und was da eigentlich genau nun vorgefallen war, und der Teil von ihr, der vor Problemen gern die Augen verschloss, wollte das auch gar nicht haarklein wissen. Es reichte ja schon, dass es vorgefallen war, das war wirklich schlimm genug. Ein wunder, dass sich nicht mehr Leute das Maul darüber zerrissen, aber Axilla traute dem Frieden noch nicht.
Sie gingen los und das Thema kam auf die Religion, wo Axilla wirklich nichts als loses Geschwätz beitragen konnte. Sie besaß keinerlei religiösen Eifer an sich. Sie wandte sich an die Götter, wenn sie wirklich dringend etwas wollte, und ansonsten hoffte sie, die Götter würden sie ebenso ignorieren, wie sie es umgekehrt tat. Abgesehen von dem Opfer an Pluto oder die gelegentlichen Opfer an die Manen und Laren mussten von ihrer Hand ohnehin wenig Tiere ihr Leben lassen, und auch die Blumen- und Trankopfer konnte man an einer Hand abzählen. Von daher konnte sie zu Romanas offensichtlichem Eifer, der schon bald an superstitio denken ließ, nichts wirklich beitragen und nur hoffen, sie würde sie mir ihrem gefährlichen Halbwissen über Kulte weit genug ablenken, dass es nicht auffiel. Aber Romana schien auch gar nicht so sehr daran interessiert zu sein und schloss nur damit, dass das wohl nichts für sie selber wäre. Axilla fragte sich sowieso, ob eine Vestalin denn überhaupt in einen anderen Kult noch dürfte, war das ja auch schon eigentlich ein Kult für sich. Und die meisten Kulte achteten sehr eifersüchtig auf ihre Mitglieder.
“Ah, Pflanzen mag ich auch sehr gern, wenn ich auch nicht so viel davon verstehe. Also, wie man sie richtig anbaut und pflanzt und hegt und so. Ich gehöre wohl eher zu der breiten Masse, die einfach genießt, was Flora uns so schenkt.“ Axilla lächelte zu Romana hoch und dachte einen Moment einfach nur an die grünende Natur. Das war eher ihre Welt, die weite Ebene vor dem Haus in Tarraco, wo wilde Blumen geblüht hatten, und nicht weit entfernt der dunkle Wald mit seinen knorrigen, alten Bäumen, auf die man so gut klettern konnte. Ja, das liebte sie wirklich, das war lebendig. Anders lebendig als das hier, diese Stadt, dieser Markt hier, diese Menschen. Das erschien Axilla im direkten Vergleich fast unwirklich und beängstigend beengend. Nun, sie hatte nicht wirklich Angst, das sicher nicht. Sie mochte ja Menschen, mochte Abenteuer. Aber sie vermisste diese weite, und vor allem die frische Luft. Je wärmer es wurde, umso dicker schien die Luft in Rom zu werden. Vor allem, wenn man auf einem Viehmarkt unterwegs war.
“Und was machst du dann genau? Blumen? Oder eher Kräuter für die Küche? Wie ist das eigentlich, ihr Vestalinnen wohnt doch auch im Tempel, oder? Dürft ihr dann eigentlich noch nach Hause, oder gar nicht mehr?“ Zugegebenermaßen waren das dämliche Fragen, aber Axilla wusste es nicht. Sie war noch nie in Rom gewesen und es war ihr nie in den Sinn gekommen, Vestalin werden zu können, und auch niemandem in ihrer Familie, warum also sich darüber den Kopf zerbrechen und sich über etwas informieren, was einen im Grunde nicht interessierte? Nur im Moment war sie neugierig, das war aber auch schon alles. -
Axilla beobachtete sehr genau das Gesicht des Senators, jeden Blick, jede kleine Geste. Er schaute ganz und gar ernst drein, beinahe, als wäre sie ihm zu viel. Entweder bemerkte er ihr Lächeln gar nicht, oder aber es scherte ihn nicht und ließ ihn kalt. Axilla hielt die Maske noch einen Moment aufrecht, in der Hoffnung, er würde vielleicht doch noch aufsehen und sich dann vielleicht ein wenig erweichen lassen, aber während sie zusah, wie er auf seine Wachstafel mehr und mehr kritzelte, erlosch es zusehends und machte leiser Resignation platz. Sie schnaufte einmal lautlos tief durch und ließ ihren Blick im Raum schweifen, während der Ädil beschäftigt war.
Sie sah sich um. Es war wirklich ein schönes und fein hergerichtetes Zimmer. Nicht unbedingt voll von Schnickschnack und Spielerei, eher geradlinig und fast schlicht, und trotzdem irgendwie elegant. Der Tisch war aus schönem, edlen, glatt poliertem Holz, die Wände schön gestrichen und nur wenig verziert. Ein großes, offenes Fenster ließ Licht und Luft herein. Axilla blickte fast sehnsüchtig dahin.
Als er nach dem Namen fragte, blinzelte Axilla kurz und sah zu ihm, brauchte eine Sekunde, um zu verstehen. “Oh, Apiaria Iuniae.“ Auch wenn Axilla manchmal eine lange Leitung hatte, so lang nun auch wieder nicht. Ihren Namen kannte er ja, sogar lieber, als ihr lieb war. Und es ging um den Imker, da nahm Axilla an, er wollte dessen Namen wissen. “Ganz einfach und schlicht“, fügte sie noch charmant an, begleitet von einem kleinen Lächeln, das er vermutlich wieder nicht sah – oder das er schlicht wieder ignorieren würde.Ihr blick glitt wieder durch das Zimmer, und blieb schließlich an einer Blume hängen. Ungefragt stand Axilla auf und ging mit schief gelegtem Kopf zu dem Pflänzchen rüber, besah es sich aus der Nähe. Sie kannte diese Blumen aus Alexandria. “Die ist hübsch“, meinte sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen und berührte ganz sachte und vorsichtig die Blüte mit den Zeigefinger ihrer linken Hand, hob das Köpfchen der Orchidee nur eine Winzigkeit an, wie zur Begrüßung. Es war nur eine kurze Berührung, mit aller Vorsicht der Welt durchgeführt, fast wie im Traum. Axilla mochte Pflanzen gerne, vor allem Blumen. Blumen waren schön für jeden, schenkten jedem ihre Schönheit und ihren Duft. Sie hatten keine Erwartungen an den, der sie sah. Blumen hatten nur einfache Bedürfnisse nach Licht und Wasser, mehr nicht. Anders als Menschen.
“In Alexandria am Paneion wachsen auch welche, die sind aber mehr rosa, nicht so hell wie diese hier.“ Axilla stand noch eine Sekunde wie im Traum da, dann erst trat sie verschämt einen Schritt zurück. Höchstwahrscheinlich war das dem Aurelier wieder nicht recht, dass sie einfach aufgestanden und seine Sachen betatscht hatte. Auch wenn es der Pflanze ganz sicher nichts getan hatte. -
So ganz konnte Axilla nicht nachvollziehen, was ihn daran nun störte. War doch nett von der Septima, dass die ihm auch was zu Essen angeboten hatte? Gut, wenn man es wegwerfen würde, war das Verschwendung, aber er konnte da ja nicht wissen. Vielleicht bekamen das dann erstmal die Sklaven, und wenn nicht, Schweine mussten ja auch irgendwas fressen. Denen gab man meistens die Küchenabfälle. Wobei Axilla sich nicht vorstellen konnte, dass die Aurelier in ihrer feinen Villa irgendwo einen Schweinestall hatten. Die Casa Iunia hatte auch keinen – allerdings eher aus Platzmangel. Aber irgendwie würde das Essen schon verbraucht werden, und wenn es jemand abholen würde. Dass es einfach nur weggeworfen wurde, um zu vergammeln, konnte sich Axilla fast nicht vorstellen. Das wäre wirklich dekadente Verschwendung.
“Öööhm...“, setzte Axilla an, als Archias auch schon weiterschimpfte und sie ihn erstmal machen ließ. Holla, er schien ja wirklich was gegen Patrizier zu haben. Axilla war das ja normalerweise reichlich wurscht, ob jemand Patrizier oder Plebejer oder Peregrinus war, solange er nett war. Zumal die gens Iunia ja ohnehin auch auf patrizische Wurzeln zurückblicken konnte. Nunja, vielleicht würde die gens es eines Tages auch wieder sein, aber im Moment waren die Iunii sehr plebejisch.Offenbar hatte ihn seine Schimpftirade abenteuerlustig gemacht, denn er wollte spazieren gehen. Und ins Atrium. Axilla machte da ein zerknirschtes Gesicht. “Serrana ist grade im Atrium mit ihrem Angebeteten.“ Eigentlich hatte Axilla nichts gegen Sedulus, aber nach dem Streit war ihr alles zuwider, was mit dieser vermaledeiten Hochzeit zu tun hatte. Von daher war sie auch etwas zwiegespalten, ob sie Archis halb verstecktes Angebot mit dem Mosaikenleger denn überhaupt annehmen sollte. Solle Serrana doch gucken, wo sie blieb, wenn sich alle das Maul über sie zerrissen!
Aber... es ging um die gens, um das Ansehen, um die Ehre. Also presste Axilla einmal die Lippen aufeinander, zuckte dann mit den Schultern und stellte sich neben Archias, schmiegte sich kurz an seine Seite. “Aber wir können ja mal ins Peristyl gucken. Das könnte auch ein wenig Verzierung gut gebrauchen. Und die Leute werden sich ohnehin überall stapeln, fürchte ich. Und ich seh nicht zu schlimm verheult aus?“
Das schließlich konnte nur Archias beantworten, Axilla konnte sich selbst ja nicht sehen. -
Irgendwas musste wirklich schief gegangen sein bei den Aureliern, so, wie er gerade herumdruckste. Er ließ sie sogar los, nur um eine wegwerfende Geste machen zu können. Offenbar war das etwas, was ihm ähnlich auf den Magen schlug wie ihr selbst die Sache mit der Doppelhochzeit.
“Welches denn?“ fragte Axilla etwas blauäugig, weil sie die Ironie in den Worten nicht ganz verstanden hatte und glaubte, Archias würde ihr wirklich gleich erklären, welches Problem Patrizier hatten. Sie selbst kannte nicht genug Patrizier, um sich über die eine Meinung zu bilden. Eigentlich war Tiberia Septima die erste Patrizierin, die sie überhaupt kennengelernt hatte, und die hatte auf sie einen doch recht vernünftigen Eindruck gemacht. Oh, und Claudia Romana natürlich, die für Axilla über jede Kritik erhaben war. Die hatte Mumm in den Knochen und war für die Soldaten eingetreten! Gut, mit dem Vestalin-Sein konnte Axilla nichts anfangen, aber der Rest war doch durchaus etwas, wovon Axilla sich auch gern was abschneiden würde. Manchmal zumindest. Und auf der Hochzeit war ja der Bräutigam auch so nett, ihr gleich zu vergeben. Gut, nachdem Vala sich sehr umfänglich entschuldigt hatte, so dass man ihm da gar nicht böse sein konnte. Aber immerhin. Und sogar dieser andere Senator, dieser Corvinus, war eigentlich sehr nett gewesen, dass er sie aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit herausgeführt hatte.
So gesehen war der einzige Patrizier, der sich wirklich daneben benommen hatte ihr gegenüber Flavius Piso. Und der wiederum war Archis Freund. Von daher konnte sie nicht wirklich verstehen, was Archias jetzt gerade meinte, und schaute nur treudoof zu ihm hoch. -
Mit schmerzverzerrtem, verheulten Gesicht sah Axilla zu, wie ein Mann sich über Leander beugte. Sie erkannte Crios nicht, dafür war ihre Sicht gerade zu eingeschränkt und ihre Gedanken zu durcheinander. Vermutlich hätte sie nichtmal Silanus im Moment erkannt.
Auch, als Crios zu ihr rüber kam, ihren rasenden Puls fühlte, sie sogar ansprach, blickte sie ihn zwar an, sah aber komplett durch ihn hindurch. In ihrem Kopf war kein Platz für Namen, erst recht nicht für Erkenntnis. Sie war schon vollauf damit beschäftigt, nicht ohnmächtig zu werden, weil sie Leander beschützen wollte. Selbst jetzt, wo sie sich nur mit Hilfe ihres Retters auf den Beinen hielt, wollte sie ihn beschützen. Das war der einzige Gedanke, zu dem sie im Moment fähig war, und das einzige, was ihr in diesem Moment etwas bedeutete. Alles andere blendete sie aus, ignorierte es, so gut es ging. Das Blut, die Krämpfe, die Schmerzen, sie alle waren da und Axilla fühlte sie, aber nichts davon war ihr so wichtig wie Leander.
Und daher war das erste, was die hohlen Echos in ihrem Kopf durchdrang auch der Satz, der in diesem Zusammenhang wichtig war. Er wollte sie wegbringen. Weg von hier. Weg von ihm, so dass sie ihn nicht mehr beschützen konnte. Axilla, deren Atmung schon erschöpft und flach gegangen war, gab einen langgezogenen Schmerzlaut von sich und bot noch einmal die letzte Kraft auf. Sie wand sich in Corvus' Armen. [size=6]“Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein...“[/size] Es war ein Flüstern, kaum mehr als ein Bewegen der Lippen, und es erstarb allzu bald, als Axilla die Kräfte zusehends verließen und sie wieder einknickte, unfähig, sich noch weiter zu wehren. “Leander...“, flüsterte sie noch, in der Hoffnung, einer der beiden würde sie hören und verstehen. Sie konnte ihn nicht liegen lassen, auf dass er ausgeraubt und im Fluss versenkt würde. Sie konnte ihm das nicht antun. Sie musste durchhalten, irgendwie... irgendwie... -
“Ja, genau, diese Pute feiert auch hier“ kam von Axilla fast postwendend auf Archis Erkenntnis. Das könnte sie immernoch aufregen. Vor allem DIE. Axilla konnte Calvena nach der Sache in den Thermen nicht mehr leiden. Wie hatte die sich nur auf die Seite dieser dummen, alten Schnepfen stellen können? Das wollte einfach nicht in Axillas Kopf, wie jemand den Soldaten des Reiches so wenig Respekt entgegenbringen konnte. Und noch heute klingelte der Satz, den sie gesagt hatte, in ihren Ohren. 'Nur hätten sich auch einige Kämpfe sicherlich vermeiden lassen können'. Tzes! Als würde die Welt aufhören, die Welt zu sein, weil man lieb und nett zueinander war. Am besten, man stattete die Truppen mit genug Watte aus, damit sie damit auf ihre Feinde werfen konnten, und sich so ja niemand weh tat. Axilla könnte jetzt noch vor Wut schreien, wenn sie nur daran dachte. Als würde man kämpfen, wenn es auch ohne Kampf ginge, als wäre die bewaffnete Verteidigung des Reiches (oder auch die Präventivverteidigung durch Angriff) nicht absolut und unabdingbar notwendig! Grrr!
Archias aber sah das ganze mit dieser Hochzeit eher praktisch. Sie sollten vorher heiraten und dann einfach nicht hingehen? Und so, wie er es sagte, meinte er das auch ganz genau so. Axilla stutzte einen Moment über diese Möglichkeit. Einfach gar nicht hingehen? Zur Hochzeit ihrer eigenen Cousine?
Hmm... nunja... ihren Cousin hatte die ja auch vergessen, einzuladen.... und das war ohnehin eine Hochzeit von zwei Germanicae, wenn man Axilla fragte, denn Serrana hatte sich als vieles bewiesen, aber nicht als Iunia. Und sie war sich auch recht sicher, dass Serrana sie auch gar nicht auf der Hochzeit würde haben wollen und ganz froh wäre, wenn die kritische Cousine dann nicht da wäre. Von daher war diese Möglichkeit wirklich verlockend.Axilla grübelte noch darüber nach, als das Gespräch ohnehin auf ihren Vater kam und diesen Gedanken beiseite wischte. Oder besser: von dem Kuss hinweggefegt wurde. Als Archias aufstand und sie mit sich zog, wünschte Axilla einen Moment, er würde sie an sich ziehen, die Gefahr in den Wind schlagen und ihr sein Verlangen zeigen. Aber er machte es nicht, küsste sie nur brav auf die Stirn und antwortete auf ihre Frage. Sie wusste nicht so recht, ob sie sich freuen sollte, weil es für ihn so selbstverständlich war, oder doch eher enttäuscht sein sollte, da offenbar ihre Anziehung auf ihn nachgelassen hatte. Sie entschied sich, sich zu freuen.
“Gut, dann... besorg ich ein Zicklein.“ Axilla war immernoch hin und weg davon, wie selbstverständlich Archias das nahm, und wie bereitwillig er ihr da diese Freiheit ließ. Wenn sie früher an ihren Mann gedacht hatte, hatte sie immer Befürchtung gehabt, es würde ein alter, häßlicher, dicker Kerl sein, der sie herumkommandieren würde und kein gutes Haar an ihr lassen würde wegen ihrer Fehler, und den sie würde anflehen müssen, dass ihr Vater in den Totenkult der Kinder aufgenommen werden würde. Und jetzt... sie schaute zu Archias hoch. Er war zwar älter als sie, aber nicht alt. Sie verstand sich mit ihm jenseits aller Worte, und er gewährte ihr den wichtigsten Wunsch ihres Herzens, als hätte er auch nie im Leben daran gedacht, etwas anderes zu tun. Fast konnte Axilla nicht glauben, so viel Glück zu haben, und doch war es echt. Sie konnte ihn fühlen, er war kein Trugbild.
Doch gerade, als sie so schwärmerisch zu ihm hochschaute, wurde er ernst und berichtete von einem Aurelier und einer Thusnelda. Irgendwo hatte sie diesen Namen schonmal gelesen. Hieß so nicht die Frau von diesem einen Germanen, diesem Arminius? Sie war sich nicht sicher.
Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, wen er meinte, und als ihr dann ein Licht aufging, schaute sie beinahe verschämt ob ihrer Naivität. “Oh, und? Wie ist es gelaufen?“ -
Axilla bemerkte den Blick nicht, sie war viel zu sehr mit schimpfen beschäftigt. Erst, als sie auf dem Bett saß und Archias dann meinte, er fände nicht, sie solle ein Mann sein, nahm sie ihn überhaupt wieder richtig wahr. Noch schmollte sie und war daher nicht bereit, einzusehen, dass er wohl ganz glücklich darüber war, dass sie eine Frau war.
“Warum ich die beiden verhauen will? Weil sie es verdient haben! Alle beide!“ Und wie! Was sie tun wollte? Ihnen Verstand einprügeln. Und womit? Mit Recht! “Ich mein, das muss man sich nur mal vorstellen! Was haben wir mit Germanica Calvena zu schaffen, oder gar ihrem Mann, diese Quintilius... Valentinus oder sowas? Gar nichts, absolut rein gar nichts! Also, warum müssen die auch hier gleich mitfeiern? Das ist so ein erbärmlicher Schwachsinn, dass man es nichtmal laut aussprechen darf, weil es dann noch viel schwachsinniger wirkt! DOPPELHOCHZEIT.... Allein das WORT macht einen ja schon verrückt!“ Missbilligend stieß Axilla einmal die Luft aus. “Und das alles hier drinnen, und halb Rom haben die eingeladen. Die haben glaub ich allesamt keine Ahnung, wie das aussieht! Ich mein, hast du dir schonmal das Atrium angeguckt, und den Peristyl? Und allein, wenn ich daran denke, die alle zu verpflegen und das ganze mit Ritualen und... ach, ich könnt wirklich wen verprügeln!“Noch immer regte Axilla allein der Gedanke daran auf. Und wenn auch nicht viel fest stand, dann eines: Ihre eigene Hochzeit würde definitiv nicht so künstlich aufgebauscht sein. Aber als er dann vor ihr in die Hocke ging, verflog dieser Zorn so nach und nach.
Er konnte ja so süß sein, wenn er wollte! Axilla grummelte zwar noch ein wenig, als er meinte, sie könne auch als Frau ihrer Familie Ehre machen. Ja, aber nicht wie ein Mann! Nicht auf dem Schlachtfeld, oder im Senat, oder... ach, überhaupt!
Aber als er dann meinte, sie könnten ihrem Vater gemeinsam opfern, verflog auch das und es blieb nur Verwunderung übrig. Sie sah ihn einen Moment nur fragend an, wie er dahockte, ihre Hände in den seinen, und sie anschaute mit diesem treuen Hundeblick. Und dann befreite sie ihre Hände aus seinem Griff und strich ihm damit über die Wangen, ehe sie sich vorbeugte und ihn einmal mit zunehmender Leidenschaft küsste.
“Ich würd jetzt so gern mit dir schlafen..., murmelte sie nur leise, ehe sie ihn nochmal küsste. Sie hatte geheult, als ginge die Welt unter, sie hatte sich aufgeregt, geärgert und war wütend gewesen. Das hier wäre nun der perfekte Zeitpunkt gewesen, das alles durch etwas Entspannung zu kompensieren. Nur leider ging es nicht, auch wenn Archias unendlich süß war. Und auch, wenn es sicher gemein war, dass sie ihm sagte, was sie am liebsten hätte machen wollen.
Sie löste sich von ihm und versuchte, vernünftig zu denken. An ihren Vater zu denken, vor allem. Sie atmete einmal durch, um sich von anderen Gedanken abzubringen, und antwortete erst dann so richtig. “Und du willst ihm wirklich auch opfern? Ganz sicher?“ fragte sie nochmal nach. Immerhin war das sicher keine Selbstverständlichkeit. -
“Na, vielleicht komm ich ja schon morgen vorbei?“ meinte sie mit einem herausforderndem Seitenblick zu ihm, was ein wenig aber seine Wirkung verfehlte, waren ihre Augen doch vom Weinen noch immer gerötet. Da konnte man nicht sexy-keck wirken, wenn jeder einem an der Nasenspitze ansah, dass man eben noch geheult hatte. Auch wenn die Aufregung und die Wut die Traurigkeit hinfortgewischt hatten, hieß das ja nicht, dass es diese nicht eben noch gegeben hatte.
Und Axilla musste eben letzterer auch erstmal sehr ausschweifend Luft machen. Sie fand es nämlich ganz und gar schrecklich, allein die Vorstellung dieser Hochzeit. Gräßlich, schrecklich, furchtbar. Da konnte sie nicht auch nur ein gutes Haar daran lassen. Nein, ging nicht, absolut undenkbar. Für sie war das nur ein einziger Tritt in die Traditionen, die sie selber auch gerne mal sich zurechtbog oder ignorierte, aber nie so offen brach. Und alles, weil ein paar Männer offenbar nur vom Ende der hora sexta bis zu meridies dachten und dachte, ein kleines Haus wäre schon groß genug, um nicht nur eine Hochzeit, sondern derer gleich 2 auszurichten! Und allein der Gedanke, dass sie von den Germanicern dafür GELD kriegen würden, brachte in Axilla Übelkeit hervor. Das war nicht richtig. Das war absolut nicht richtig. Die Familie der Braut bekam kein Geld von der Familie des Bräutigams. Das war falsch, falsch, falsch. Da könnte sie sich jetzt noch aufregen – was sie auch tat.
Nunja, zumindest, bis Archias hinter sie trat und sie umarmte, an ihrem Ohr flüsterte und sie an sich zog. “Ich will aber nicht niedlich sein“, knurrte Axilla brummelig und sah grummelnd zu Archias hinüber. So eine Bemerkung nahm einem doch den ganzen Schwung aus der Rede! Verdammt, sie wollte nicht niedlich sein! Das war ja fast so schlimm wie süß! Oder goldig!
Sie schnaubte einmal, aber der gröbste Ärger war mit seiner Bemerkung irgendwie verpufft. “Ich würd am liebsten losziehen und sowohl Silanus als auch Sedulus eine reinhauen, weißt du das? Wie kann ein erwachsener Mann nur auf so eine Schnapsidee kommen? Und dann gleich zwei davon, bei deren Stellungen man annehmen sollte, sie würden mehr nachdenken...“ Immerhin war der eine Senator und der andere Procurator. Nunja, Caligula hatte auch sein liebstes Rennpferd als Konsul vorgeschlagen, und angesichts solcher Gedankengänge konnte Axilla das sogar ansatzweise nachvollziehen.
Sie schnaubte nochmal und setzte sich dann resignierend aufs Bett, den Kopf auf den Händen abstützend, die Ellbogen auf den Knien.“Ich wünschte mir wirklich, ich wär ein Mann. Offenbar bin ich die einige, der die Gens irgendwie am Herz liegt. Ich mein... wir sind Iunier! Aber... ich will doch, dass jemand, wenn er von meinen Ahnen spricht, nicht dann sagt 'Ah, das sind doch die verrückten, die sowieso unwichtig sind!' Wenn ich ein Kerl wär, würd ich denen allen zeigen, welches Erbe wir haben... für die Ehre der Familie...“
Schmollend zog sie ein wenig die Unterlippe vor und grummelte leicht vor sich hin. Das Thema regte sie wirklich auf. Da half es auch nichts, wenn sie dabei niedlich war. Sie nahm ja eigentlich fast nichts wirklich ernst und wollte über das meiste gar nicht nachdenken. Aber das hier, diese eine Sache, die war ihr todernst. Sie wollte, dass das Andenken ihres Vaters gewahrt blieb, und nicht, dass es durch solche albernen Idiotien geschmälert wurde.
“Und das Essen... keine Ahnung... wirklich, keine Ahnung.“ Sie würde sicher nicht nochmal bei Serrana nachfragen deswegen.