Die Münze in ihrer Hand wog für Axilla so schwer, als wäre der gesamte Orcus darin. Sie glitzerte im Licht der Fackeln und Lampen, die gegen die hereinbrechende Nacht schon brannten. Axilla starrte einen Moment einfach nur darauf und konnte sich nicht bewegen. Erst, als Archias neben ihr sich schon einen Ruck geben wollte und ihr diese Last abnehmen wollte, schloss sich ihre Hand fest um die Münze. Sie schluckte und ging los, stieg auf das kleine Treppchen, das an den Scheiterhaufen gelehnt dastand.
Oben angekommen sah sie zum wohl letzten Mal auf Leander. Wieder löste sich eine Träne, und Axilla wischte sie hastig weg. Er lag so blass da. Axilla kannte ihn so blass gar nicht, obwohl sie die letzten Tage Zeit genug gehabt hätte, sich daran zu gewöhnen. Dennoch fand sie es in diesem Moment so furchtbar schrecklich, wie hell er war. Und wie eingefallen er wirkte. Wie tot er aussah. Sie zitterte, deutlich sichtbar, als sie die Hand ausstreckte und ihm einmal über die Wange streichelte. Er war so schrecklich kalt. Laut schluchzte Axilla auf und biss sich dann so sehr auf die Unterlippe, um es zu unterdrücken, dass diese sofort zu bluten anfing. Sie öffnete ihrem Sklaven den Mund, ganz vorsichtig, und legte die Münze hinein. “Auf dass der Fährmann dich sicher hinüber bringe“, sprach sie mit gebrochener Stimme.
Sie musste wieder runtergehen. Musste die Fackel nehmen und den Scheiterhaufen anzünden. Sie wusste das. Sie musste hier weg jetzt. Sie konnte nicht hierbleiben. Und doch konnte sie sich nicht bewegen. Sie sah ein paar Tropfen auf Leanders Tunika, und schaute kurz vorwurfsvoll zum Himmel. Aber es regnete gar nicht, und ärgerlich merkte Axilla, dass sie doch wieder weinte. Sie versuchte, durchzuatmen, aber sie hörte, wie zittrig ihr Atem dabei ging. Sie wollte nicht weg von ihm. Sie konnte ihn doch nicht allein lassen. Gehen lassen.
Irgendwann stand Archias dann da und berührte sie. Axilla schaute zu ihm runter, und sie wusste, dass sie total verheult war. Aber das machte nichts. Sie wollte sich nicht verstellen, nicht jetzt, nicht vor ihm. Und es tat gerade so unendlich weh, dass es ihr ohnehin unmöglich gewesen wäre. Ganz langsam stieg sie von der Leiter. “Ich muss das selber machen. Aber es tut so weh...“
Sie war es Leander schuldig. Aber es schmerzte so sehr, ihn jetzt wirklich gehen zu lassen. Einen Moment stand sie nur da bei Archias und suchte irgendwo die Kraft, es zuende zu bringen. Irgendwann nahm sie dann mit zittriger Hand die Fackel, die ihr hingehalten wurde. Sie warf noch einen letzten Blick auf Leander, wie er da lag und sich nicht rührte. Es tat ihr so unendlich leid.
Die Fackel leckte an den Blättern und Holzscheiten, entzündete das Öl, in das sie getränkt waren, und knisternd und flüsternd wuchesn die Flammen daran empor. Axilla musste sich abwenden, und jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie schlug beide Hände vors Gesicht und heulte einfach lauthals drauf los.
Beiträge von Iunia Axilla
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Axilla quietschte einmal auf, als er ihr einfach in den Po kniff, und spurtete dann mit ihm, um ihn im Schwung gegen die nächste Säule zu drängen. Sie lehnte ihren ganzen Oberkörper gegen ihn, um ihn so am Weggehen zu hindern – und um ihn anzumachen.
“Nanana, mich einfach so kneifen, darfst du das denn? Hast du dazu eine Erlaubnis?“ Sie grinste ihn frech an, und auch das letzte bisschen Traurigkeit von vorhin war erst einmal vergessen. Sie liebte es, mit ihm so rumzualbern und zu blödeln.
“Ich glaub, das mit der Venus muss ich mir noch überlegen. Am Ende muss ich noch eifersüchtig sein, weil du immer, wenn du dann zu mir kommst, nur Augen für das Mosaik hast...“ Aber ansonsten war das ein Motiv, mit dem Axilla sich in ihrem Cubiculum wohl anfreunden konnte. Wobei ihr die Nymphen immernoch lieber wären.Ihr Blick glitt durch das Perystil. Ein Wagenrennen... ja, das war doch was. Das konnte man sich doch angucken. Würde auch schön viel Platz einnehmen und die nackte Wand so insgesamt aufpeppen. Aber warum die Blauen gewinnen mussten und wer in welcher Reihenfolge da ankam, da war sie sich nicht so sicher.
“Hmmmm, das Wagenrennen klingt wirklich gut. Aber warum müssen denn die Blauen gewinnen? Ich weiß gar nicht, ob irgendein Iunier in irgendeiner Factio ist....“ Axilla hatte sich darum nie einen Kopf gemacht. -
Drei Tage lang war Leander aufgebahrt gewesen. Axilla hatte ihn an jedem Tag mit einem weichen Tuch aus weißer Wolle vorsichtig gewaschen und dabei versucht, seine Wunde am Hals nicht anzustarren und auch den aufkeimenden Brechreiz zu unterdrücken. Er war gesalbt worden, wie es einem römischen Bürger zugestanden hätte. Das allerdings hatte Axilla von den anderen Sklaven machen lassen, weil ihr doch ein wenig die Kraft dann meist fehlte. Vor allem fühlte sie sich durch ihr schlechtes Gewissen wie erdrückt.
Seine beste Tunica hatten sie ihm angezogen, dazu die dunkelbraune Chlamys, die er in Alexandria getragen hatte, wenn Axilla ihn irgendwo Offizielles mit hingenommen hatte. Er bekam seine guten Calcei an, sein Haar wurde gekämmt. Axilla gab auch Auftrag, ihn ein wenig zu schminken, wie er es in Ägypten gemacht hatte. Streng beäugte sie das, damit es auch ja nicht zuviel war. Nur ein schwarzer Strich um die Augen.Am dritten Abend wurde er hinausgetragen von den übrigen Sklaven der Casa. Auf einer einfachen Bahre, die Füße voran. Aber sie mussten es heute machen, damit die Unreinheit des Todes die Hochzeitsvorbereitungen nicht störte. Für Axilla war dieser Umstand nur noch ein weiterer Grund, diese Hochzeit zu verabscheuen.
Durch die Straßen ging es, gemessenen Schrittes und in bedrückter Stimmung. Gerne hätte Axilla alle Klageweiber der Stadt angeheuert für Leander, aber das gehörte sich nicht für einen einfachen Sklaven aus einer einfachen Familie. Und so war es nur eine kleine Prozession, die hinausschritt aus der Stadt und die Via Apia entlang, bis man an der richtigen Seitenabzweigung ankam und in das Gräberfeld einbog, um zum iunischen Grab zu gehen. Die Masken der verschiedenen Iunier wurden von den Sklaven getragen, die nicht Leanders Bahre trugen. Auch wenn er nur Sklave war, auch die gehörten zur Familie, und Axilla fand, dass ihre Ahnen ruhig anwesend sein sollten.
Immer wieder wanderte Axillas Hand zum Gesicht, um sich die Tränen wegzuwischen. Eine Iunia weinte nicht in der Öffentlichkeit. Erst recht nicht für einen Sklaven. Nur hatte ihr Herz das wohl irgendwie vergessen, so dass sie immer wieder mit einer schnellen Bewegung nachhelfen musste.
Am Grab war auch schon alles bereitet worden. Ein Scheiterhaufen, der Axilla bis zur Nasenspitze reichte, stand unheilsdrohend da. Alle Seiten waren mit den Blättern von Zypressen verkleidet worden. Axillas Schritt stockte, als sie diesen Berg an Holz sah, und ängstlich griff sie nach Archias' Hand. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und am liebsten wollte sie jetzt weglaufen. Das war alles so schrecklich real. -
“Och, wenn man so die Geschichten von den Faunen und Silvanen hört, könnte ich mir schon vorstellen, dass das ganz interessant sein könnte.“ Und in Axillas Vorstellung hatte es etwas besonders reizvolles, das im Freien zu tun. Sofern es nicht zu kalt war. Wobei ihnen dabei sicher ganz schnell warm werden würde. Aber noch war das ja in weiter Ferne, und die Bilder im Kopf mussten genügen.
Irgendwie hatte Archias es mit seinen Schiffen und Fischen und Nixen und Tritonen. Da kam er auch nicht von weg. Axilla war aber mehr für Dinge, die sich auf Land abspielten, und so riskierte sie eine erneute Kitzelattacke, indem sie ihn nochmal in die Seite knuffte. “Ja, wilde Tiere und Jäger sind was ganz anderes. Total und überhaupt und sowieso!“ Tzes, hier einfach mit profaner Logik ihr schönes Hirngespinst zerstören, wo gab's denn sowas?
Sie überlegte und legte dafür einen Finger an die Lippe. Was könnten sie machen. “Ich weiß nicht. Fische und so ist nicht so meins. Lieber Elefanten. Oder Pferde. Oder sowas.“
Oder was könnte man noch machen? Er schien das Meer ja ziemlich zu mögen. Vielleicht... vielleicht... “Oder eine Venus, wie sie aus dem Meerschaum steigt? Oder ist das zu anzüglich?“ -
Das war eben das Problem: Axilla hatte nicht gehört, wie Vala das getan hatte. Und sie konnte nicht glauben, dass, selbst sollte er sowas gesagt haben, er es so gemeint hatte. Zu ihr hatte er auch in der Wut schon gemeine Sachen gesagt, aber die hatte er nicht so gemeint. Im Grunde war Vala ein netter, ehrbarer junger Mann, zumindest in Axillas Augen, der nur manchmal ein etwas überschäumendes Temperament hatte. Was die Iunia noch nichtmal schlecht fand. Und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ihr wirklich ein Leid hätte zufügen wollen oder können. Das würde ihr Bild, das sie von ihm hatte, zerstören, folglich war diese Möglichkeit für Axilla absolut absurd. Noch dazu, wo sie den Angreifer gesehen hatte. Mit so jemandem hatte der Duccier sicher nichts zu tun.Nein, das war sicher nur Archias' Angst und Eifersucht gerade, die in Vala einen Schuldigen gefunden hatten.
Aber Axilla sagte nichts mehr dazu, sondern ließ sich einfach nur trösten und genoss die Wärme, die von Archias ausging. Zum Glück wusste sie nichts von seinen Gedanken oder dem, was Serrana ihm gesagt hatte.“Ich denke, ich kann auch laufen. Das geht schon. Du kannst mich ja ab jetzt nicht dauernd tragen.“ Axilla versuchte, scherzend zu klingen, aber es gelang nicht so wirklich. Leanders Tod lastete auf ihrem Gemüt schwer wie Blei, und so schnell würde sich das wohl nicht ändern.
Sie kuschelte sich trotzdem noch etwas mehr an Archias und genoss den Klang seines Herzen. “Wäre schön, wenn du mitkommst.“ Axilla glaubte nicht, dass Archias das irgendwie zweideutig gemeint hätte. Ihr Körper konnte das nun wohl ohnehin nicht, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er das von ihr im Moment wollte. -
Wenn auch Archias nicht quiekte, Axilla schon. Als er sie gegen die nächstbeste Säule drücke und durchkitzelte, lachte sie und schrie dabei so hell und laut, dass ein paar Sklaven schon besorgt ihre Köpfe aus verschiedenen Fenstern und Türen streckten, um zu sehen, ob ihrer Herrin auch nichts fehlte. Als er von ihr abließ, jappste sie erstmal nach Luft und hielt sich das schmerzende Zwerchfell.
“Das war nicht fair. Du bist viel größer und stärker als ich“, warf sie ihm noch immer atemlos und von einem Ohr zum anderen grinsend vor, als er sie auch schon weiter zog. Schade eigentlich, denn so dicht an die Säule gedrängt waren Axilla schon auch ein paar andere Gedanken gekommen, denen sie nicht wirklich abgeneigt war. Aber nunja, Crios hatte gemeint, sie würden ncoh ein paar Tage warten müssen. Dass es ein paar Tage mehr werden würden, davon hatte Axilla ja keine ahnung.“Stimmt, da hätte ich doch glatt meine Tributforderung an dich vergessen!“ meinte Axilla freudig, als er das Picknick erwähnte. Auf das freute sie sich schon besonders. Endlich mal rauskommen aus der Stadt, endlich wieder frische Luft und so weit blicken, wie das Auge reichte.
Und als Archias sich schön zweideutig gab, kam ihr auch noch anderes in den Sinn. Sie sah fast schon herausfordernd zu ihm auf und lächelte ihn vielsagend an, ehe sie auffällig unauffällig näher zu ihm schlenderte und sich so ganz kurz am Gehen an ihn schmiegte. “Ja, vielleicht sehen wir die eine oder andere. Wenn wir ihre Aufmerksamkeit irgendwie erregen, dass sie sich überhaupt zeigen...“Sie blieben an einer besonders trostlosen Stelle des Perystils stehen und Axilla sah auf die Wand und den Boden. Eine Quadriga. Ein Schiff. Puh.... “Na, bei Hunden erschrecken sich die Gäste dann noch. Lieber was fröhliches. Oder was heroisches. Oder beides.“
Das Problem war, dass Axilla sich eigentlich zu nichts so wirklich entscheiden konnte. Eigentlich würde sie ja alles toll finden, was auch immer gemacht werden würde. Auf der anderen Seite hatte alles auch einen Haken. “Aber lieber kein Schiff. Ich muss noch immer an die letzte Überfahrt denken. Mir war noch nie im Leben so übel wie da...“ Dass das nicht nur die Seekrankheit war, das wussten beide ja jetzt. Dennoch wollte Axilla daran nicht denken, wenn sie durch die Gänge hier ging. “Dann lieber ein paar wilde Tiere und Jäger und eine Quadriga wie im Circus. Oder sowas.“ -
“Mir wär es lieber, du würdest das nicht machen“, jammerte Axilla, wenngleich leise.
Archias war ja wirklich sehr wütend auf Vala. Aber Axilla konnte und wollte nicht glauben, dass der Duccier ihr was getan hätte. Vor allem, Archias kannte Vala doch gar nicht, als dass er einschätzen hätte können, wie der denn war. Axilla kannte Vala hingegen schon viel besser – sie selbst würde sagen, sie kannte ihn gut, wenngleich das wohl eine Übertreibung gewesen wäre. Und sie glaubte ganz fest daran, dass Vala ihr nichts getan hatte. Und wenn er ihr etwas wirklich hätte tun wollen, dann hätte er es selber gemacht, und ihr dabei in die Augen gesehen. Ganz sicher. Er hatte zwar über Ehre etwas merkwürdig argumentiert, aber Axilla war trotzdem felsenfest davon überzeugt, dass er ein Ehrenmann war und daher nicht irgendwen anheuern würde, um jemand anderen ermorden zu lassen. Das war doch total absurd!
Nein, Axillas Theorie war da eher, dass Archias sich in was verstrickte, weil er noch immer eifersüchtig auf Vala war. Weil Axilla ihn auf der Hochzeit von Septima angehimmelt hatte, und Archias das ganz und gar nicht gefallen hatte. Und weil Archias ihm die Süßspeise über den Kopf gekippt hatte. Das klang schon viel wahrscheinlicher für sie, als dass jemand wie Vala sie umbringen wollen würde, um Archias eins auszuwischen.
Allerdings hütete sie sich, davon auch nur einen Ton zu sagen. Archias würde das sicher nicht hören wollen. Und Axilla hatte momentan weder Lust noch Kraft, sich da mit ihm zu streiten. Daher hoffte sie einfach, dass ihre leise Bitte schon reichen würde, dass er nicht noch was dummes anstellte und sich am Ende lächerlich machte. Ihretwegen.Und er wollte sie wirklich noch heiraten. Einen Moment fühlte sich Axilla wie Atlas aus der Sage, als Herakles ihm einen Moment das Gewicht der Welt abgenommen hatte, damit der Titan ihm die goldenen Äpfel brächte. Ungefähr ein solches Gewicht fiel ihr nämlich vom Herzen, als Archias nochmal sehr deutlich bekräftigte, dass er sie heiraten wollte. Wirklich und ehrlich sie. Nicht doch lieber Seiana, die ja eine viel einflussreichere Familie hatte und auch viel mehr Matrona war, als Axilla je werden würde. Sondern sie.
Und er würde ihr auch bei Leander helfen. Sie musste das nicht allein machen. Er würde sie nicht allein lassen. Er würde ihr bei allem helfen.
Axilla konnte nicht anders, sie fiel ihm um den Hals. Dabei rutschte die Decke wieder von ihr runter, aber das störte Axilla nicht. Sie wollte einfach nur einen Moment kuscheln und das Glück genießen. Auch wenn sie gar nicht verdient hatte, ihn zu haben, sie war doch sehr froh, dass sie ihn hatte. “Ja, danach“, bestätigte sie noch einmal, ohne ihn dabei loszulassen.Erst, als er sie nach dem Bad fragte, ließ sie wieder ab von ihm und kratzte sich verlegen am Arm. Bestimmt sah sie schlimm aus. Eigentlich störte sie das ja nicht, aber...
“Ja, ein Bad wäre schön.“ Axilla fühlte sich ein klein wenig eklig. Nicht unbedingt äußerlich, aber tief in ihr drinnen. Sie hatte diese schrecklichen Schuldgefühle, und die wollte sie am liebsten Abwaschen. Einfach wegschrubben mit allem anderen. -
“Die Richtigen“ feixte Axilla und war damit sehr bestimmt. Auf ihre griechischen Freunde ließ sie nichts kommen. Es hatte seinen Grund, warum die Iunii bei den Alexandrienern eigentlich auch immer sehr beliebt gewesen waren, unter anderem eben diese positive Einstellung zu den Griechen.
“Oh, aber die armen Sklaven, die dann andauernd die Granatapfelreste vom Boden wischen müssen. Das klebt doch!“ Frech streckte Axilla Archias die Zunge raus und nutzte den kurzen Augenblick, um ihn einmal in die kitzlige Stelle auf der Seite zu gieksen, die einen immer so schön zusammenzucken ließ. Es machte ihr einfach Spaß, ihn zu ärgern.
Sie brachte sich vor einer Gegenattacke ein wenig in Sicherheit und lachte ihn dann an. “Nymphen sind doch keine Viecher. Ich muss mit dir mal wirklich drei Tage in einen Wald gehen, damit du Stadtkind mal wieder lernst, die Stimmen der Natur zu hören.“
Ja, das wäre doch DIE Idee! Warum war sie da nicht früher drauf gekommen? Das sollten sie wirklich mal machen. Einfach ein wenig aus der Stadt raus und in die freie Wildnis. Einfach mal wieder ein wenig Wind und Erde fühlen. Das wäre sicher toll.Als Archias dann aber alles durcheinander brachte, musste Axilla schon wieder lachen. Irgendwann erstickte sie noch, wenn er das dauernd machte. “Nein, den coelischen Berg. Wo die Coelier herkommen. Der muss doch irgendwo in der Gegend sein. Da ist ein Wald drauf, für die Nymphen. Und da will ich hin.“ Irgendwie erinnerte sie das gerade an seine Verwechslung von Dorisch und Dorsch. Archi, der alte Fisch. Vielleicht daher seine Idee mit dem Triton? Auf jedne Fall fand Axilla es sehr lustig.
“Ich seh schon, ich muss dir noch ganz viel zeigen.“ Wenn Axilla auch von nichts eine Ahnung hatte, wie man das Leben der Natur fühlte, das wusste sie. -
Was redete er denn da? Vala hatte ihm gedroht, sie umzubringen? Warum sollte er sowas tun? Und warum hatte Archias ihr das dann nicht schon viel eher gesagt, sondern kam damit jetzt erst? Und überhaupt, das war ja nicht Vala gewesen, sondern irgendein armer Schlucker aus der Subura.
“Aber bei der Hochzeit hat Vala gesagt, es sei seine Schuld gewesen? Er hat sich sogar bei dem Aurelius und bei Septima entschuldigt deswegen. Warum sollte er das tun, wenn er sich rächen wollte? Und vor allem, warum an mir?“
Den Teil verstand Axilla gar nicht. Vala hatte sie zwar schon einmal angeschrien und einmal zusammengefaltet, aber sie war sich eigentlich sicher, dass er sie gern hatte. Und man tötete doch niemanden, den man gern hatte. “Und Vala war ja gar nicht da. Das war nur ein Überfall. In der Subura. Ich hätte da nicht langgehen dürfen. Ich hätte irgendwie außen rum gehen müssen, aber ich wollte so schnell zu dir, weil ich wollte...“ Weil Axilla mit ihm hatte schlafen wollen, heute. Nach der versuchten Abtreibung war es so lange Zeit ja nicht gegangen, aber nun war die ihr selbst gesetzte Wartefrist vorüber gewesen. Und deshalb war ihr Kopf voller Gedanken an ihn gewesen, und an sonst nichts. Deshalb war sie so aufgedreht und fröhlich gewesen. “... egal. Vala war da nirgends. Das war nur meine Schuld.“ Und davon war Axilla überzeugt.Aber das andere Thema war ohnehin noch weitaus beängstigender als das, was Archias ihr gerade erzählt hatte. Zu sterben, davor hatte Axilla eigentlich keine Angst. Nun, sie hatte denselben Überlebensinstinkt wie jeder andere auch. Aber die Vorstellung, zu sterben, war für sie nicht halb so erschreckend, wie die Vorstellung, alleingelassen zu werden. Davor hatte sie weitaus mehr Angst.
Dass Archias diese aber auf die vorgeschlagene Art und Weise ausräumen wollte, überforderte Axilla im Moment doch etwas. “Nach Luca?“ Wegfahren. Raus aus der Stadt. Einfach weg von allem, fliehen, flüchten, mit ihm. Axilla schloss einen Moment die Augen, allein die Vorstellung war erleichternd.
Aber es ging nicht. Nicht heute und Morgen. Bei dieser Erkenntnis wurde Axillas Blick wieder ganz leer und und traurig, und sie ließ den Kopf hängen. “Ich muss erst Leander beerdigen. Das geht nicht, wenn er... das... das bringt Unglück, wenn man trauert und... das schulde ich ihm.“
Sie sah zu Archias auf und hoffte, er würde das verstehen. Er war so direkt vor ihr, so nah bei ihr. Und er war so lieb zu ihr. Sie sah ihn einen kurzen Augenblick an, dann ruckte ihr Oberkörper vor und sie küsste ihn kurz und eher fragend. Sie war so schlecht und so feige und so schuldig, und trotzdem war er so lieb zu ihr. “Aber danach, ja?“ Ihr Instinkt riet ihr, jetzt gleich loszugehen, einfach raus aus Rom, aber soviel schuldete sie Leander. -
Was für eine Drohung? Axilla verstand nur Pferdewechselstation. Aber selbst darüber dachte sie gerade nicht nach, wollte es auch gar nicht. Sie wollte am liebsten über gar nichts nachdenken. Nie wieder.
“Warum sollte mir jemand was tun wollen? Mich kennt doch gar niemand?“ Sicher, der Mann hatte sie sicher ausrauben wollen. Aber bei Archias klang das so, als wäre es ein gezielter Anschlag gewesen. Und wer sollte ihr denn sowas antun? Außer mit Terentius Cyprianus hatte sie sich noch nie mit jemandem ernsthaft angelegt, und dass das ein Nachspiel von ihrem Streit in den Thermen war, daran glaubte sie nicht. Dafür hatte von den Mädels dort keine den Mumm dazu, sowas anzuheuern. Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Und warum auch? Würde die Theorie des Friedlichseins ad absurdum führen. Verdammt, nun dachte sie doch wieder nach.Und auch Archias nachfragen verschonte sie nicht vor weiteren Überlegungen. Axilla sackte in sich zusammen,leicht zog sie die Beine an sich, um so eine kleine Schutzzone um sich herum zu erstellen. Was sollte sie ihm denn sagen? Die Wahrheit etwa? Das wäre eine Katastrophe. Wer wollte schon die Wahrheit hören, völlig ungeschmückt und blank? Wahrheit war grausam und kalt und rauh, tat weh, kratzte, scheuerte. Wer wollte die schon? Nein, alle wollten eine schöne Welt sehen mit lächelnden Gesichtern, die frei von Kummer war. Das goldene Zeitalter, das wollten alle.
“Ich... also... ich...“ Wo war der Blitzeinschlag im Garten, wenn man ihn brauchte? Wo war die horte Prätorianer, die hereinstürmten? Wo war... ach, egal, irgendwas, um sie aus dieser Situation zu bringen, so dass sie keine Ausrede suchen musste! -
Was sie anders hätte machen sollen? Sie hätte Leander helfen sollen! Hätte ohne Klinge nicht aus dem Haus sollen und diese diesem Kerl in seinen Hals rammen sollen, und nicht erst auf Rettung durch jemanden warten, der das für sie getan hatte. Und da sie keine gehabt hatte, hätte sie sich eine Vase von einem Stand schnappen sollen, und sie ihm überziehen. Oder ein Brett. Oder einen verdammten Pflasterstein! Und wenn ihr gar nichts von dem eingefallen wäre, hätte sie ihm wenigstens ihre Faust gegen die Schläfe rammen sollen! Das hätte sie tun sollen! Und nicht nur dastehen und nichts tun.
“Aber du warst doch nichtmal in der Nähe?“ fragte sie verwirrt, als er meinte, es sei seine Schuld gewesen. Was hätte er denn tun können? Er war doch im Palast gewesen, was hätte er von da denn tun wollen? Nein, er trug daran keine Schuld.Als er aber seinen Scherz machte, ging ein erschrecktes Zucken durch Axilla, und schuldbewusst sah sie zu Boden. Sie rückte eine Winzigkeit von Archias ab, so dass sie ihn zwar noch berührte, aber nicht mehr so an ihn geklammert war. Er hatte genau ihre Furcht erraten, und Axilla fiel es schwer, das ihm gegenüber einzugestehen. Sie glaubte ihm ja, dass er sie liebte. Sie glaubte ihm auch, dass sie beide eine tolle Freundschaft hatten. Sie glaubte ihm, dass er sie heiraten wollte. Das alles aber änderte nichts daran, dass Axilla gerade Angst hatte, ihn zu verlieren. Wenn er befürchten musste, dass das öfter vorkam, dass sie vielleicht gar nie lebende Kinder bekommen würde, dann war das mehr als nur ein kleines Ehehindernis.
“Ich... also...“ Axilla wusste nicht, was sie sagen sollte. Auf dem Boden stand leider keine Antwort. -
Wessen schuld sollte es aber denn sonst sein? Sie hatte das Kind doch verloren, klar war es da ihre Schuld. Sie war nicht getreten worden oder eine Treppe runtergeschubbst worden, sie war nur dagestanden, während ihr Leander gestorben war. Das war es ja, sie hatte nichts gemacht, und deshalb war sie so unendlich schuldig. An allem. Zumindest fühlte es sich so an.
Dass sie unangenehm roch, davon merkte Axilla gar nichts. Zum einen saß ihre Nase ohnehin zu vom vielen Weinen und Schluchzen, und zum anderen hatte sich das bisschen ihres olfaktorischen Sinns, das noch funktionierte, daran schon gewöhnt. So aber dachte sie sich nichts dabei und lehnte sich nur an Archias. In diesem Moment hatte sie ganz fürchterliche Angst, ihn auch noch zu verlieren. Es war so ein schrecklicher Tag. Nach dem Gesetz, dass solche Tage nur immer noch schlimmer wurden, musste eigentlich noch etwas passieren, das ihr den Rest dann geben würde. Und sie hatte so unendliche Angst, auch den letzten Menschen, den sie liebte, noch zu verlieren, dass sie sich einen Moment lang nur ganz fest an ihm fest hielt, als könne diese Berührung das verhindern.
“Aber ich hab alles falsch gemacht. Ich hätte... ich weiß nicht... ich hätte es anders machen müssen. Besser. Ich... ich hab nur so Angst, dass mir alles entgleitet...“ Wenn ihr nicht längst schon alles entglitten war. -
Es dauerte lange, bis Axilla aufwachte. Ihr Körper war erschöpft, und Wein und Opiumreste taten ein Übriges, sie in einen langen Schlaf fallen zu lassen. Als sie aufwachte, war sie weich zugedeckt und genoss einen kurzen Moment das Gefühl, sich an absolut gar nichts zu erinnern. Verschlafen blinzelte sie, im Zimmer war es nicht sehr hell. “Leander?“ murmelte sie kurz fragend. Normalerweise weckte der Sklave sie, und einen Moment hatte sie noch dieses verschlafene Gefühl, als hätte sie den vergangenen Tag geträumt. Ein schlimmer, langer, heftiger Traum, der aber gleich verpuffen würde, wenn sie die Augen aufschlug und der Grieche sie wieder mit seinen Kämmen und Haarspangen quälen würde, bis sie eine gut sitzende Frisur hatte.
Doch es war kein Traum, es war echt gewesen. Je wacher sie wurde, umso mehr bekam sie von ihrem Körper mit. Von dem leichten Schmerz in ihrem Unterleib, nicht wirklich peinigend, aber spürbar. Von dem blutigen Geschmack in ihrem Mund. Von der Schwere ihrer Glieder. Dem leichten Kopfschmerz vom vielen Weinen. Und von dem Umstand, dass das hier nicht ihr Zimmer war, nicht ihre Decke, nicht ihr Bett. Und auch kein Leander weit und breit.
Ihr Körper zuckte einmal zusammen, als sie ein Schluchzen unterdrückte. Sie wollte nicht noch mehr weinen. Aber sie konnte auch nicht so richtig damit aufhören. Wenn sie die Luft anhielt, dann ging es, dann zuckte ihr Körper nicht, aber sie konnte nicht ewig die Luft anhalten. Und je tiefer sie Luft holte, umso mehr zitterte ihr Körper dabei. Sie schlug die Augen richtig auf und sah Archias, der auf einem Stuhl saß und sie so sorgenvoll anschaute. Mit wässrigen Augen schaute sie zu ihm zurück.
Zum ersten Mal dachte sie an das Kind, das sie verloren hatte. Sein Kind. Und sie hatte es nicht mehr. Und auch das war ihre Schuld. Sie nahm es an sich zwar nicht so schwer, es verloren zu haben. Sie hatte es nichtmal haben wollen am Anfang. Und viele Frauen verloren ihre Kinder. Wenn sie schwächlich waren, setzten viele sie auch aus. Oder töteten sie selbst. Das war es nicht.
Aber Axilla hatte Archias von ihrer Mutter erzählt. Archias wusste, dass sie das einzig überlebende Kind ihres Vaters war, dass alles, was mal ein Geschwisterchen hätte werden können, entweder vor oder kurz nach der Geburt gestorben war. Und sie wollte nicht, dass er dachte, das wäre bei ihr genauso.
“Das mit dem Kind... es tut mir leid. Ich kann das besser, ganz bestimmt.“ -
Als Axilla ihre Cousine sah, regte sich in ihr schon gleich ein Fluchtreflex. Sie wollte sich nicht mit der auch noch beschäftigen. Schon zweimal nicht, wenn sie Sedulus dabei hatte. Und gleich tausendmal nicht, wenn da auch noch Calvena dabei war. Da half auch Archias kleiner Hinweis, sie solle nett sein, absolut gar nichts. Ihre Miene verwandelte sich in Stein, so dass die Statuen der näheren Umgebung direkt neidisch werden konnten. Sie wollte da nicht nett sein. Calvena hatte in Axillas Augen die Ehre der Iunier in jeder nur erdenklichen Art und Weise in den Dreck gezogen und verhöhnt. Die gens Iunia hatte eine sehr lange Militärtradition. Und gerade in Axillas Zweig der Familie war so gut wie jeder wehrhafte Mann entweder bei den Legiones oder den Cohortes gewesen. Selbst Silanus war Präfekt der Ala gewesen! Und da kam so ein verträumtes Püppchen und redete davon, dass Krieg sinnlos sei, und ließ sich da auch nicht zum Überdenken ihrer christianisierten Haltung bewegen. Dazu kam dann noch diese Doppelhochzeit, die so ziemlich jede Tradition verspottete, die Axilla zum Thema Hochzeit nur einfiel. Gut, wenn man ncihts auf Traditionen gab, war das eine Sache, die sie verstehen konnte. Aber so ein riesiges Fest mit allem Schnickschnack auszurichten und gleichzeitig dann so einen Blödsinn zu machen, das verstand sie nicht. Und in Axillas Augen beleidigte das ihre Ahnen. Wenn sie auch nur geahnt hätte, dass die beiden am Lararium der Iunier ihre Hochzeitsriten abzuhalten gedachten, vermutlich hätte sie Calvena hier und jetzt angesprungen. Immerhin waren das die iunischen Ahnen und die iunischen Schutzgeister, die iunischen Hausgötter, mit denen Calvena absolut nichts am Hut hatte.
So aber bemühte sie sich nur darum, die Germanica möglichst offensichtlich zu ignorieren und der Vorstellung ihrer Cousine zu lauschen. Wie kam die nur darauf, Archias sei Postpräfekt? Wer hatte ihr denn den Floh ins Ohr gesetzt? “Eigentlich ist er Procurator a memoria...“, meinte sie nur leise und fast schon wie eine Frage im Tonfall. Komische Sache, dieses ganze Treffen. Aber zum Glück schob Archias sie gleich weiter. Oder eigentlich weniger Glück, denn Axilla hatte absolut keine Lust, die nächsten Stunden nun mit drei Leuten zu verbringen, von denen sie einer momentan emotional kalt gegenüberstand, die andere inbrünstig hasste, und den dritten eigentlich gar nicht kannte. Und so, wie sie zufällig auf einer Steinbank Platz hatten, glaubte Axilla nicht daran,d ass es zufällig war. Streng schaute sie zu Archias rüber, der schon ganz gebannt auf die Wagen da unten schaute. Den Start hatten sie wohl verpasst.
“Musste das denn sein? Du weißt doch, wie ich zu der Germanica stehe“, zischte sie ihm ganz leise zu. Das mit Serrana nahm Axilla Archias nichtmal wirklich übel. Nur so ein kleines bisschen. Aber mit ihrer Cousine hätte sie sich schon irgendwie ignorierenderweise arrangiert. Doch das hier jetzt war ihr zu viel, und sie machte sich nicht die Mühe, so zu tun, als wär es anders. Zum Glück nur war sie auf der komplett anderen Seite ihrer Steinbank, so dass die Gefahr von Handgreiflichkeiten minimiert wurde.
Geradezu schmollend wandte sich Axilla dem Renngeschehen zu. Die Pferde wetzten an ihnen vorbei und in die enge Kurve hinein. Sand flog dabei deutlich sichtbar auf, als die Pferde sich mit aller Kraft in die Kurve warfen, um das Gewicht des schnellen Gefährts hinter sich in die Biegung zu ziehen. Eigentlich war es ziemlich spannend, im Moment herrschte aber die schlechte Laune vor. -
Im Haushalt geholfen? Achso. Klang irgendwie so, als hätte Firas in der Küche die Rüben geschält. Axilla überlegte gerade, wer in der Casa Iunia denn wohl alles in der Küche arbeitete. In Alexandria hatte sie nach dem Hasenvorfall zu den Parentalia das Verbot bekommen, der Küche auch nur noch einmal zu nahe zu kommen, und sich daran gehalten. Und hier in Rom hatte sie es gleich von Anfang an so gehalten. Was dazu führte, dass Axilla eigentlich gar nicht wusste, wer da so alles in der Küche stand.
“Findest du? Also, alle Griechen, die ich kennen gelernt habe, waren eigentlich ziemlich fleißig.“ Immerhin waren die meisten Freunde, die sie in Alexandria hatte, Griechen. Und Nikolaos war ja sogar Gymnasiarchos gewesen. Gut, der hatte auch manchmal in seinem Büro geschlafen, wenn er dachte, Axilla würde das nicht mitkriegen. Aber sonst... “Aber freut mich, wenn er dann jetzt auch herkommt. Ich fand ihn auf der Reise ziemlich lustig.“Irgendwie aber verfehlte ihre Drohung ihre Wirkung. Archias glaubte wohl nicht, dass sie ihn wirklich durchkitzeln würde, ohne Gnade! Fast schon juckte es ihr in den Fingern, aber Axilla hielt sich zurück. Das Gemeine war ja, er hatte Recht, er wusste nämlich auch, wo sie kitzlig war. Und das Kleid heute war leider nicht so dick, als dass sie es hätte riskieren wollen. Wenn, dann musste sie ihn gleich so niederkitzeln, dass er nur mit Defensive beschäftigt war und keine Chance zum Gegenkitzeln hatte.... Ihr würde schon was einfallen.
“Werd ich auch so machen“, meinte sie noch mit der Andeutung einer herausgestreckten Zunge. Dazu brauchte sie ja seine Erlaubnis nicht. Und irgendeiner musste es ja sowieso machen. Aber sie neckte ihn einfach gern.Bei der Idee für das Mosaik musste sie aber dann doch wieder lachen. Archias als Triton! Das war ja schon fast so komisch, dass man es machen sollte. Allerdings nur fast. Und als Axilla sich wieder eingekriegt hatte und die Tränen aus den Augen gewischt hatte – die diesmal ausnahmsweise nicht vom Heulen dort gestanden hatten – grinste sie ihn schelmisch an.
“Ne, ich dachte eher an eine Baumnymphe, so richtig mit Baum. Und ohne dein Gesicht. Vielleicht noch einen Faun, oder so. Nichts mit Wasser.“
Sie schlenderten weiter durch das etwas karg wirkende Perystil. Hier könnte man wirklich einiges verschönern lassen.
“Ist der coelische Berg eigentlich weit weg von hier? Ich hab gehört, dass es dort einen Nymphenwald gibt. Und das Sacellum Querquetulanum, das würd ich gern mal anschauen.“ Wenn man schonmal in der Nähe war. Gemessen an Alexandria oder Tarraco. -
Eigentlich war Axilla nicht nach ausgehen. Schon gar nicht nach Menschenmassen. Erst recht nicht, wenn sie dafür von mehreren bulligen Sklaven bewacht werden musste. Es war ein seltsames Gefühl, so beschützt zu werden, und Axilla gefiel es nicht. Ohne Schutz zu gehen war aber auch ganz undenkbar, allein der Gedanke daran ließ sie gerade zusammenzucken. Und das entsprach ihr eigentlich gar nicht. So kannte sie sich selbst gar nicht, was ihr noch weniger gefiel. Aber im Moment hatte sie das Gefühl, erdrückt zu werden von allem hier. Ihr fröstelte, und sie rieb sich kurz wärmend über die Oberarme.
“Hm, was? Nüsse?“ Axilla schaute Archias kurz fragend an. Sie fühlte sich im Moment nicht ganz wohl in ihrer Haut, was an den vielen Menschen lag. Sie wusste sowieso nicht, was sie hier sollte. “Ich hab grad keinen Hunger, später vielleicht.“ Axilla hatte nie Hunger, wenn sie angespannt war.
Sie hatte ja zu einem Rennen gehen wollen. Sie hatte auch nie Angst vor Fremden gehabt. Sie hatte unendlich wenig Gedanken darauf verschwendet, was passieren könnte, hatte jeden Tag als Geschenk in sich aufgesogen, wenn es ging. Aber das war vor Leanders Tod gewesen, der noch immer wie ein Fels auf ihrem Gewissen lastete. Sie bemühte sich zwar, und sie wusste ja, dass Archias ihr damit eigentlich einen Gefallen tat. Sie konnte sich nicht vor der Welt verschließen. Das wäre auch nicht mehr sie gewesen. Nur es fühlte sich so schwer an.
“Wollen wir nicht einfach reingehen?“ fragte sie ihn und kam etwas näher zu ihm, um sich leicht an ihn zu lehnen. Berührung tat gut, gab Sicherheit, und sei es nur die Sicherheit, dass er wirklich da war und sie sich das nicht einbildete. Warum sie hier am Eingang rumstanden wusste sie wirklich nicht, auch wenn es hier einige durchaus sehenswerte Gestalten gab. Aber drinnen war es sicher besser, so redete sich Axilla es zumindest selbst ein. Drinnen wäre sie ja dann auch abgelenkt, anders als jetzt. Dem Gejohle nach zu schließen, musste es ohnehin gleich losgehen, oder war schon losgegangen. -
“Aber auf Palmen kann man nicht klettern. Auf Palmen... kann man nicht schlafen. Da wohnen keine Geister. Keine Geister in den Ästen. Kein Gesang in den Zweigen.“
Axilla nahm noch einen Schluck und lehnte sich weiter zurück. Ließ sich mehr sinken. Ihre Augen wurden etwas kleiner. Sie war so müde. Und was immer Crios ihr gegeben hatte, es bekam mit dem Wein neuen Auftrieb und betäubte alles in ihr. Bis auf Erinnerungen, die so sorgfältig gehütet wurden wie Kostbarkeiten – und ebenso selten hervorgeholt, und schon gar nicht anderen gezeigt. Sie erinnerte sich an die Nacht im Wald mit ihrem Vater, wo sie hinausgeritten waren in den Wald. Weil er ihr die Nymphen zeigen wollte, ihr die Angst vor der Dunkelheit und den Geräuschen des Waldes nehmen wollte. An den Sonnenaufgang am Morgen, als die Vögel erwachten und überall plötzlich Musik zu sein schien. Und an das Lied, das ihr Vater gesummt hatte.
Ganz leise sang Axilla die griechischen Worte, kaum mehr als ein Murmeln. Sie merkte ncihtmal, wie Archias ihr während dessen den Weinbecher aus der Hand nahm.
“And how she smiled and how she laughed,
the maiden of the tree.
She spun away and said to him,
no featherbed for me.
I'll wear a gown of golden leaves,
and bind my hair with grass,
But you can be my forest live,
and me your forest lass.“Sie erinnerte sich daran und ihr Atem wurde immer ruhiger und flacher, ihre Augen immer schwerer, bis sie schließlich geschlossen waren. Archias Frage bekam sie nur so halb mit, und sie öffnete ihre Augen auch nicht. Dennoch antwortete sie ihm.
“Ich bin bei meinem Baum. Seine Rinde ist ganz warm, und wo die Sonne draufscheint, riecht er nach Harz. Und wo Schatten ist, riecht er nach Moos. Von da kann ich sehen, wenn Vater heimkommt. Ganz weit kann man da sehen... Mutter hat immer Angst. Einmal ist ein Ast abgebrochen und ich bin gefallen... ich war nicht schnell genug. Hier, am Bauch...“ Axilla berührte die stelle knapp oberhalb ihres Bauchnabels, wo eine uralte, kleine Narbe vielleicht ein Fingerbreit entlanglief. Die einzige Narbe, die sie hatte, und nicht mehr als ein winziger, blassroter Strich, kaum zu bemerken. “Sie mussten einen Medicus rufen. Aber es war nichts... nicht schlimm, ein Stich. Und Soldaten weinen nicht... nein... Soldaten weinen nicht...“
Und dann wurde Axillas Atem nur immer flacher und gleichmäßiger, und abgesehen von dem ein oder anderem “Hmmmm“ war nichts mehr von ihr zu hören. -
Axilla nahm den Becher entgegen und eher mechanisch nahm sie einen Schluck davon. Von Crios hatte sie auch einen Becher mit ähnlichen Worten in die Hand gedrückt bekommen, und auch den hatte sie so nach und nach getrunken. Warum also sollte sie es da bei Archias anders halten? Und bereits der erste Schluck des puren Weines ließ ihr ein wenig Röte in die Wangen schießen und ein warmes Gefühl in ihrem Bauch die Leere füllen. Zumindest ein wenig.
Axilla ließ sich zurück gegen ihn sinken und legte ihren Kopf auf seine Schulter, ruhte sich daran aus. Er würde sich um alles kümmern, hatte er gesagt. “Ist das nicht meine Pflicht? Meinst du, er ist böse auf mich, wenn ich es nicht selbst mache?“ Axilla wollte nicht, dass Leander böse auf sie wäre und sie noch als larva heimsuchte. Aber andererseits bot Archias ihr so eine schöne Möglichkeit, das alles von sich zu schieben und einen Moment lang einfach zu vergessen.
Sie nahm noch einen großen Schluck Wein. Sie schmeckte, was es war, und wie stark der Wein war, aber das machte nichts. Es half. Und Axilla wollte für diesen Augenblick nicht mehr nachdenken, und dazu war dieser Wein ein willkommener Weg.
“Ägypten...“ murmelte sie mit belegter Zunge. Schon immer wirkte Wein bei ihr sehr rasch, da bildete dieser hier keine Ausnahme. Sie ließ sich noch mehr gegen Archias sinken, so dass sie in seinen Armen regelrecht lag, und schaute zur Decke hoch, als könne sie dort das Land am Nil sehen. “Da ist der Regen jetzt vorbei und das Wasser geht zurück... und bald ist schon die erste Ernte.“ Ja, dort war jetzt sicher alles voller Blumen in den schillerndsten Farben. Und doch war es nicht Ägypten, was Axilla im Augenblick vermisste, wenngleich sie es sehr liebte. “Aber es gibt keine Bäume da. Keine richtigen Bäume. Nur Palmen und Zypressen.“ -
Der Weg hierher war lang gewesen, wenn Axilla auch mindestens dreiviertel davon eigentlich gar nicht wahrgenommen hatte. Ihr Geist war sehr, sehr weit weg, nicht zuletzt durch die letzten Nachwirkungen des Opiums und der anderen Mittel, die Crios ihr gegeben hatte. Und sie wollte auch gar nicht mitbekommen, wo es hin ging, weil ihr Herz sich irgendwie an die vollkommen absurde Hoffnung klammerte, Archias könne sie tatsächlich nach Hause bringen, wo alles wieder gut werden würde. Es war vollkommener Wahnsinn, und hätte Axilla auch nur eine Sekunde zugelassen, über diese unwirkliche Hoffnung nachzudenken, sie wäre zerplatzt wie eine Seifenblase. Aber sie dachte nicht darüber nach. Eigentlich dachte sie so ziemlich an gar nichts. Nur ab und an drängte sich das Bild des toten Leanders in ihre Gedanken, was sie kurz zusammenzucken ließ, ehe sie ihren Kopf wieder von allen Dingen gelehrt hatte und sich nur auf Archias zunehmend keuchenderen Atem und seinen Herzschlag konzentrierte.
Aber irgendwann war sie gezwungen, ins Jetzt und Hier zurückkehren, denn als Archias sie auf ein Bett legte – sein Bett. In seinem Zimmer. - musste sie einfach bemerken, dass das hier nicht Hispania war. Nichtmal die Casa Iunia. War das ihr zuhause? Axilla richtete sich im Bett auf und zog die Knie ran. Ihr Blick glitt glasig durch den Raum. Tränen hatte sie schon seit einer ganzen Weile keine mehr, dafür war sie nur sehr, sehr still geworden. War das ihr zuhause? Es fühlte sich nicht so an. Allerdings fühlte die Casa Iunia sich auch nicht so an. Ein Zittern ging kurz durch sie, und sie blickte leidvoll auf Archias.
“Ich muss noch so viel machen. Ich muss ihn waschen, nicht? Und salben, und aufbahren. Und... was geb ich ihm als Münze? Und wo verbrennen? Und das Grab... ich muss noch nachschauen, ob da noch genug Platz ist...“
So viele Sorgen, mit so leiser Stimme vorgetragen. Aber das war das, was Axilla am meisten beschäftigte. Ob Leander auch ausreichend versorgt war.
Ein weiteres Zittern ging durch ihren Leib. “Und ich muss es Serrana sagen. Ich meine... es muss vor der Hochzeit sein. In Trauer darf man nicht heiraten. Das bringt Unglück. Also keine Trauer. Und... ich hab bestimmt was vergessen....“
Warum war jetzt Silanus nicht da? Warum war er weggefahren? Sie hatte noch nie jemanden ganz allein beerdigt. Als ihre Mutter gestorben war, hatten die Nachbarn ihr ein wenig geholfen. Und Iason, ihr griechischer Hauslehrer. -
Worum wollte er sich da kümmern? Leander war tot, der Angreifer ebenfalls. Es gab nichts, worum man sich kümmern konnte, außer ein Begräbnis außerhalb der Stadt. Und das würde Axilla selber ausrichten, wenigstens das schuldete sie Leander. Sofern sie sich dazu imstande sah, es innerhalb der rechtmäßigen Frist zu tun. Sieben Tage konnte sie Leander wohl kaum aufbahren, er war 'nur' ein Sklave gewesen, und sie bezweifelte, dass Serrana in ihrer scheinheiligen Perfektion dafür Verständnis haben würde. Überhaupt wusste sie noch gar nicht, wer Leander dann abends zum Begräbnisfeld tragen sollte! Sie konnte ihn sicher nicht tragen, auch mit Araros' Hilfe sicher nicht. Vielleicht meinte Archias ja das?
Egal, im Grunde war es egal. Um was auch immer er sich kümmern wollte, Axilla war froh darum. Wenn sie sich jetzt nicht darum kümmern musste, wo sie sich so hilflos und erschlagen fühlte, konnte es nur etwas gutes sein. Egal, was es war. Sie zog sich also nur etwas näher an ihn, und wie sie es schon oft getan hatte, legte sie ihm einfach die Beine über den Schoß, um sich besser an ihn kuscheln zu können. Ihr war es auch egal, sollte Crios das noch sehen, oder irgendjemand sonst. Ganz egal. Sie brauchte jetzt nur Halt, alles tat so unendlich weh in ihr.
“Ja, ich will heim. Bring mich heim, bitte.“ Und wieder meinte ihr Herz einen anderen Ort als den, den Archias vermutlich dachte. Aber ihr stand jetzt nicht der Sinn nach Logik oder Erklärung. Sie wollte nur, dass das alles nicht wahr wäre. Sie wollte einschlafen, und wenn sie aufwachte, sollte alles wieder so sein, wie es war, bevor ihr Leben angefangen hatte, aus den Fugen zu geraten. Die letzten sechs Jahre würde sie da als Preis gern eintauschen, auch das Gute, was geschehen war. Hauptsache, sie war endlich wieder zuhause.
Er fragte sie noch etwas, was Axilla verwirrte. Sah er denn nicht, dass es ihr ganz und gar nicht gut ging? Wieso fragte er sie, ob es ihr gut ging? Ein wenig zweifelnd schaute sie ihn mit rotgeheulten Augen an, dann warf sie sich an seine Schulter und schluchzte noch ein wenig lauter. Ja, ihr fehlte sonst nichts. Sie hatte das Kind verloren, aber sonst war sie unverletzt. Als sie sich etwas beruhigen konnte, antwortete sie ihm dann mit gebrochen klingender Stimme. “Da war ein Mann, der hat mich gerettet, bevor er mir was tun konnte. Er hat mich nicht verletzt.“
Ihr Blick glitt wieder in weite Ferne. Sie wollte das alles nur vergessen. Es schmerzte so sehr, und sie wollte das nicht. “Ich fühl mich so müde und leer. Bringst du mich nach Hause?“