Beiträge von Iunia Axilla

    Wenn er sie mit seiner Ankündigung ablenken wollte, so gelang Archias das. Axilla blinzelte und schaute fragend auf, als er die Überraschung erwähnte. Sie mochte Überraschungen, das einzige Problem war nur, dass sie viel zu neugierig war, um auf eine Überraschung wirklich zu warten. Sie wischte sich noch die letzten Tränen fort und schaute Archias dann fast tadelnd an, weil er meinte, er wollte ihr nichts verraten. “Du bist gemein. Ich hoffe, du weißt das auch“, meinte sie gespielt schmollend und knuffte ihn leicht in die Seite. Wirklich böse sein konnte sie ohnehin nichtmal dann, wenn sie es versuchen würde, aber wegen sowas schon erst recht nicht.
    Und es hatte sie wirklich abgelenkt, denn für den Moment war Seiana wirklich vergessen und alle ihre Gedanken bei der Überraschung. Noch konnte er es nicht herzeigen, aber bald? Warum denn noch nicht? Musste dazu erst etwas bestimmtes passieren, oder warum musste sie sich gedulden? Und was meinte er mit Holz?


    So in Gedanken war Axilla dann ziemlich überrumpelt, als er nach Serrana fragte. Einen Moment schaute sie geschockt, dann stöhnte sie gequält und rang nach Worten. Wie sollte sie denn da nun erklären, was sie da auch schon wieder angestellt hatte. In letzter Zeit hatte sie das Gefühl, sie sollte am besten die Klappe halten und nie mehr einen Ton sagen. Egal, was sie sagte, es kam immer nur Mist dabei heraus.
    “Sie ist meine Cousine. Die Tochter vom Bruder meines Vaters. Auch wenn ich daran manchmal wirklich zweifel“, gab sie sehr gequält von sich und schmuggelte sich aus Archias Umarmung, um aufzustehen und ein wenig zu laufen. Ihr war jetzt danach. Das Thema Serrana war nicht leicht, und mit Anspannung im Körper lief es sich besser, als dass es sich kuschelte.
    “Ich hab sie gefragt, aber... ach, das war die totale Katastrophe. Wusstest du, dass die zu dieser Hochzeit jeden Marcus von ganz Rom eingeladen hat, ihre eigenen Verwandten aber vergessen hat? Und andauernd schwärmt und blökt sie davon, wie toll die Germanici doch sind und ihr Senator, und dass sie nie wieder so jemanden finden würde wie ihn, und dass es deshalb ja total egal ist, wie sich halb Rom das Maul über die Iunia zerfetzen wird. Und, und, und, wenn man ihr das sagt, dann fängt sie an zu flennen! Ich mein... die erwartet doch nicht ernsthaft, dass ich sie dann tröste, oder?“ Axilla brauste auf, viel mehr noch, als sie es bei Serrana getan hatte. Aber sie hatte einfach diese gewaltige Wut im Bauch, weil sie so gar nichts daran ändern konnte. Und das machte sie wahnsinnig. WAHNSINNIG. “Ganz ehrlich, ich wart ja nur darauf, dass sie Sedulus cum manu heiratet, damit sie auch den Namen tragen kann. Die hat so überhaupt gar keinen Respekt vor dem Erbe ihres Vater oder dem, wofür die Iunia steht oder... grrrrr... manchmal hab ich wirklich das Gefühl, ich bin die einzig vernünftige in der ganzen gens!“ Und das wollte was heißen!

    Bekanntschaft mit seiner FAUST? Axilla starrte zu Archias rüber, vor allem, da dieser offenbar vorhatte, das ganze zu wiederholen, so wie er redete.
    “Das lässt du schön bleiben“, meinte Axilla bestimmt. Er konnte doch nicht einfach den Iatros verprügeln! Axilla war zwar sicher niemand, der Gewalt als Lösung ausschloss – dafür war ihre Einstellung zu Blut und Ehre einfach zu praktisch – aber in diesem speziellen Fall war Crios ja wirklich unschuldig und hatte Prügel sicher nicht verdient. “Er hat schon gemacht, was er konnte. Und jetzt ist es ja sowieso vorbei.“ Zumindest, wenn alles glatt ging. Da bestand ja wirklich keine Notwendigkeit, den Griechen nochmal zu hauen, wo es beim ersten Mal schon nicht ganz rechtens war.


    Aber wenigstens verstand Archias, warum sie arbeiten wollte, und Axilla atmete einmal froh durch. Es war schön, zu wissen, dass der andere einen verstand und nicht dachte, man sei verrückt oder größenwahnsinnig oder undankbar und käme nur nicht damit zurecht, eben kein Mann zu sein. Und so lächelte Axilla ihn glücklich an. Er würde, wenn er es also verstand, auch nichts dagegen haben, wenn sie sich wieder nach einer Stelle dann umsah, wo sie wirklich arbeiten konnte. Wo niemand sagen würde, das sei nur eine Gefälligkeit ihres Ehemanns. Wenngleich die Chancen, so eine Stelle zu finden, wo sie doch eigentlich keine Talente vorzuweisen hatte, verschwindend gering waren. Aber die Hoffnung war ja bekanntermaßen bis zuletzt in Pandoras Büchse verblieben.


    “Also, eigentlich bin ich ja her gekommen, um zu arbeiten“, meinte Axilla auf seine Frage nach dem Spaziergang. Sie hatte auch nichts gegen einen solchen, aber Arbeit war Arbeit. Also rappelte auch sie sich aus dem Bett hoch und betrachtete wieder das Chaos, das aus dem Schrank gefallen war. Sie schnaufte einmal durch. “Und aufräumen sollten wir auch wieder“, fügte sie etwas resignierend hinzu.
    Leichtfüßig stieg sie aus dem Bett und angelte sich nun den Rechenschieber vom Haufen an Krimskrams, um ihn zum Schreibtisch zu bringen. “Was hältst du davon. Ich prüf die Rechnungen, du räumst das da wieder auf und bringst ein Schild an dem Schrank an, damit zukünftig alle gewarnt sind, und dann gehen wir spazieren?“ Wenigstens etwas wollte Axilla heute richtig machen und zu Ende bringen, und wenn es nur ein paar Rechnungen waren.

    Er war tot. Das Licht in sienen Augen erloschen, sein Atem verschwunden, sein Herzschlag verstummt. Tot, tot, tot! Das Wort hallte durch Axillas Geist als einziger Gedanke, der sich klar herauskristallisierte, und sie wand sich in dem Griff des Mannes, der sie gerettet hatte. Er hielt sie auf den Beinen, verhinderte, dass sie in sich zusammensank und einfach nur auf dem Boden sich neben Leander zusammenkrümmte. Ihrer Stimme war schon längst kein sinniges Wort mehr zu entnehmen, auch wenn sie offensichtlich zu sprechen versuchte. Aber alles ging in haltlosem, verzweifelten Schluchzen unter.
    Sie wollte zu Leander, wollte ihn berühren. Eigentlich sollte sie dem Fremden dankbar sein, dass er sie daran hinderte. Immerhin war Leander Sklave und das hätte mehr als nur merkwürdig ausgesehen und für Klatsch gesorgt, wenn sie seinen Kopf in ihren Schoß gebettet hätte und haltlos geheult hätte, wie sie es am liebsten tun wollte. Am Ende glaubte man noch an eine Liaison zwischen Herrin und Sklaven, und Axilla hätte nicht vernünftig erklären können, warum sie sein Tod so sehr traf. Nicht mit Worten, die gesellschaftlich respektabel gewesen wären.


    In einem dünnen Rinnsal lief Blut an ihren Schenkeln entlang, klebrig, zäh und rot. An ihrem Schoß hatte sich ein Fleck gebildet, der die Quelle einem aufmerksamen Betrachter verriet. Aber ihr Körper, der so viel in den vergangenen Wochen mitgemacht hatte, entschied sich gerade dazu, lieber das Leben der Mutter auf längere Zeit aufrecht zu erhalten, als die Krämpfe und die Kraftanstrengung, die sie gerade durchlebte, abzufedern, und das ungeborene Leben zu erhalten.
    Und das Erdbeben, das Axillas ganzen Körper durchschüttelte, schien nicht aufhören zu wollen. Sie beruhigte sich nicht, hörte nicht auf, zu weinen und zu schluchzen. Selbst, als sie keine Kraft mehr hatte, zu stehen, und hilflos wie ein Sack Mehl in den Armen ihres Retters hing, beruhigte sich ihr Atem nicht. Ihre Hand ging in Leanders Richtung, und sie wollte zu ihm. Wollte ihn beschützen, irgendwie. Es war ihre Aufgabe, ihn zu beschützen, so wie es seine war, sie zu beschützen. Sklaven gehörten zur Familie, so hatte sie es gelernt und gelebt. Auch wenn diese Eigentum waren, man musste für sie sorgen.
    Und jetzt war er tot, lag im Dreck der Subura in seinem eigenen Blut. Axilla musste verhindern, dass man sie hier wegbrachte, denn dann würde er sicher ausgeraubt werden, von jeder kleinsten Kostbarkeit befreit werden und vermutlich nackt im Tiber verschwinden. Nein, sie wollte ihn beschützen und ihre Hand griff in seine Richtung, wenn sie auch zu wenig Kraft hatte, sich aus dem Griff des Mannes, der gerade nach einem Arzt brüllte, zu befreien.


    Von dem Prätorianer und seiner Frage bekam Axilla nichts mit, ebensowenig von dem besorgten Gesichtsausdruck ihres vermeintlichen Retters oder den Kommentaren der Leute von der Straße. Sie bekam auch nicht mit, wer stehen blieb und wer weiterging. Der Kaiser hätte hier stehen können, und sie hätte ihn nicht gesehen oder gehört. Im Moment war ihre Welt nur Schmerz und nichts anderes real. Und ein Teil von ihr wollte diesem zu gern durch eine gnädige Ohnmacht entfliehen, und wäre die Sorge um ihren Sklaven nicht, sie hätte diesem Drang nur zu gern nachgegeben. Aber sie musste wach bleiben, wenngleich sie sonst nichts im Moment tun konnte. Außer weinen.

    Es dauerte eine Weile, bis ihr Gegenüber Axilla antwortete. Fast schon fürchtete sie, was falsches gesagt zu haben, weil die Antwort so lange auf sich warten ließ. Aber dann sagte der Aurelier doch noch etwas, was sie kurz zum nachdenken brachte. Sie hatte Einfluss auf Archias? Und sie konnte etwas dafür tun, dass das Gerede nicht so negativ würde? Konnte er ihr auch sagen, wie bei allen Olympiern sie das anstellen sollte? Abgesehen davon, dass Axilla ihren Einfluss in etwa so groß einschätzte wie den eines einzelnen Flusskiesels auf eine Überschwemmung. Ihr war noch nichtmal in den Sinn gekommen, sie könnte Archias beeinflussen. Oder generell ihren Ehemann. Wozu sollte sie das denn tun?
    Es dauerte einen Moment, bis die Erkenntnis kam, wozu eine Frau sowas tun sollte. Und Axilla schämte sich geradezu, dass sie da nicht daran gedacht hatte. Aber Intrige lag ihr ganz und gar nicht, und woher sollte sie denn wissen, in welche Richtung sie zu lenken hatte, wenn es doch eigentlich kein Ziel gab, an dem sie ankommen wollte? Das hatte ihr Vater manchmal gesagt, und sie erinnerte sich just daran. Wer nicht wusste, wohin er wollte, für den ist kein Wind günstig. Auch wenn ihr Vater nie gesegelt war.
    “Ähm... also, meine Weberei müsste auch noch umgeschrieben werden. Die da...“, stupste sie das Pergament verhalten noch einmal an. Vermutlich hatte der Ädil das vor lauter Ärger vorhin einfach überhört, oder eben gerade vergessen. Oder aber, ihre Erklärung dazu war zu zaghaft gewesen. Oder alles zusammen.
    Dennoch befleißigte Axilla sich, ihm auch seine Frage zu beantworten, während er sich um ihren Weber kümmerte. “Und die Neugründung ist für mich. Eine Imkerei im Umland, aber ich möchte den Honig gerne in Rom verkaufen. Also, nicht ich selber, das macht schon ein Markthändler. Aber das muss ja trotzdem alles angemeldet sein, nicht?“
    Sie lächelte ihn mit diesem unbeschwerten Lächeln an, das so gekonnt verdeckte, was in ihr vorging. Wenn man auch das meiste Axilla an der Nasenspitze ansehen konnte, Sorgen konnte sie noch immer gut verdecken hinter einer Maske von Leichtigkeit und Fröhlichkeit, die ihr zugegebenermaßen den Eindruck eines naiven Dummchens aufdrückten, aber das störte Axilla nicht weiter. Das war besser, als wenn man mit Fragen gelöchert wurde. Und der Vorteil war, dass man unterschätzt wurde – wenngleich das Axilla mehr störte, als dass sie es als Vorteil auszunutzen gewusst hätte. Aber sollte der Aurelier ruhig denken, sie nehme das ganze nicht so schwer.

    Auf seine Art schien er beinahe genauso abweisend wie Seiana zu sein. Vielleicht war er deshalb ihr Patron geworden. Axilla wusste es nicht, aber es fühlte sich logisch an. Sie konnte absolut nicht einschätzen, was er dachte. Zum Glück, sonst wäre sie nicht so wie ein Häuflein Elend bei seinen Worten sitzen geblieben und zusammengezuckt, als er das Wort an sie richtete.
    Ganz kleinlaut blickte sie auf die Urkunden, die er in den Händen hielt und nickte.“Ja... hrrrm... ähm, ja, genau. Nur der Standort, nicht der Besitzer, und der Name bleibt auch gleich.“
    Axilla schaute zu, wie der Senator sich die Urkunden ansah, und kaute etwas nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte doch so unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen wollen, und nun schien das geradezu unmöglich, weil Seiana seine Klientin war, und offensichtlich schon etwas erzählt hatte. Anders konnte sich Axilla die Reaktion nicht erklären, auch wenn sie nicht wusste, was genau Seiana wohl erzählt haben mochte.
    “Ähm... Senator? Also, ich wollte nur sagen, dass Archias es sicher nicht böse gemeint hat. Also, wegen Seiana. Ich weiß, dass er sie sicher nicht verletzen wollte. Und... also auch, ihre gens nicht beleidigen wollte. Und ich... also, ich möchte mich gerne auch nochmal entschuldigen, denn das alles lag sicher auch nicht in meiner Absicht.“
    Axilla hatte das dringende Bedürfnis, irgendwas hier retten zu wollen. Sie kannte das nicht, dass jemand sie so abschätzig behandelte. Seiana war da die erste gewesen, und nun machte der Aurelier da weiter. Für Axilla war das neu, und es gefiel ihr nicht wirklich. Und vielleicht half ja eine kleine Entschuldigung, das zu ändern.

    In einem Moment lächelte Axilla noch, im nächsten schaute sie bereits drein, als hätte Corvinus ihr eben eröffnet, die menschliche Inkarnation eines Gottes zu sein. Eines Rachegottes, wohlgemerkt, und Axilla schaute einen Moment nur so überrascht, dass kein noch so misstrauischer Mensch wohl auf die Idee kommen würde, sie könnte ihre Reaktion spielen. Selbst das Rot wich schlagartig von ihren Wangen, während ihr der Mund offen stand und sie einfach nur schaute.
    “Deine Klientin...?“ echote Axilla etwas hohl, während sie ihren Geist nach eben jener Information durchforstete, die sie wohl haben sollte, die ihr aber nicht präsent war. Und so dauerte es einen Moment, ehe Erkenntnis in ihren Augen blitzte und Axilla so erschrocken zu Corvinus rübersah, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie nicht augenblicklich im Erdreich verschwunden war. “Oh... ich... also... also wegen Seiana... also... das war nicht... also, ich meine, ich hab nicht... ich wollte nicht... ich wollte mich ja auch bei ihr entschuldigen, aber... also... das war nicht so geplant, ich meine...“ versuchte Axilla eine Entschuldigung zusammenzustammeln, während sie schon so auf dem Stuhl herumrutschte, dass man ihr den unterdrückten Fluchttrieb deutlich anmerkte. “Und beim Brautpaar hab ich mich ja auch schon entschuldigt, und... ich kann da doch nichts dafür!“ Gut, eine etwas schwache Verteidigung, aber Axilla konnte ja wirklich nichts dafür. Naja, zumindest nicht, dass es in dieser Situation damals so eskaliert war. Dass Archias sich letztendlich in sie verliebt hatte, dafür konnte sie vielleicht schon etwas. Immerhin hatte sie ihn nicht nur nicht abgewiesen, sondern in Rom dann geradezu dazu ermuntert, mit ihr intim zu sein. Aber für sein Benehmen auf der Hochzeit konnte sie ja nun wirklich nichts!

    Das ganze war so unendlich peinlich. Axilla wollte doch nach dem vermutlich katastrophalen Ersteindruck hier im Hause wenigstens auf den zweiten Eindruck alles gut und richtig machen. Oh, wie sehr sie sich jetzt Urgulania mit ihrer Souveränität und ihrer Redegewandtheit an ihre Seite wünschte. Oder wenigstens etwas von deren Eigenschaften für sich selber.
    Der Senator besah sich die Unterlagen und zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Ein wenig verwundert nahm Axilla seine Frage auf. Hatte sie nicht gesagt, dass die Betriebe Archias gehörten? Konnte sein, sie wusste es nicht mehr. Allerdings hatte sie nicht gedacht, dass das ein Problem werden könnte.
    “Nein, diese beiden Betriebe gehören Aelius Archias. Ich bin seine Vilica.“ Kurz fragte sich Axilla, ob die Verweiblichungsform dieses Wortes überhaupt rechtens war, oder ob sie nicht doch eher der Vilicus war. Nun, der Aurelier würde schon wissen, was sie meinte. Dumm konnte er ja nicht sein, sonst wär er nicht Ädil. “Und ich sollte das nur dann ummelden, weil er ist ja Procurator und hat auch viel zu tun, und wegen meiner Weberei und der Imkerei muss ich ja auch noch zu dir. Die hab ich vergessen, also die Weberei, hier, die ist von mir, die soll auch umziehen, von Alexandria nach hierher. Also, nicht in die Stadt, vor die Stadt, aber den Stoff will ich ja auch hier verkaufen, und da brauch ich ja eine Konzession dann dafür.“ Während dem Reden zückte Axilla die Urkunde ihrer Weberei und reichte sie auch an den Aurelier weiter, ohne dabei jedoch ihren Redeschwall zu unterbrechen. “Und das wäre ja noch mehr Arbeit gewesen und noch dazu unnötig, weil ich bin ja sowieso hier. Und ich hab ja auch die Vollmacht von ihm, dass ich das machen darf. Das ist doch dann kein Problem, oder?
    Ich weiß es nicht, in Alexandria war das alles ein bisschen anders. Aber da kannte ich ja auch den Agoranomos persönlich, weil die Bantotaken sind ja Freunde der Familie, und ich war ja auch Scriba vom Gymnasiarchos und der war ja auch Archeprytanes... also, die meiste Zeit über, später war das ja meine Cousine Urgulania. Und da konnte ich dann einfach zu ihm hin und der wusste ja, dass ich das alles darf. Und... ähm... also... das... interessiert... dich... vermutlich.... nicht...“

    Warum erzählte sie ihm das überhaupt alles? Musste er ja nicht wissen, wen sie alles in Alexandria kannte und dass das dort anders war als hier. Denn jetzt war sie ja hier und nicht dort, folglich musste sie sich auch mit ihm jetzt herumschlagen, der komplizierter war als Anthimos Bantotakis und sie darüber hinaus ordentlich nervös machte. Und wie immer, wenn sie nervös war, geriet sie ins Plappern und merkte es erst, wenn sie im Gesichtsausdruck ihres Gegenübers keimendes Unverständnis entdeckte. Und wie immer war ihre Nervosität nun schlimmer als noch vorher, weil sie jetzt nicht nur dachte, etwas falsch gemacht zu haben, sondern es sehr genau wusste.
    Sie versuchte, es zu überspielen, indem sie ein charmantes Lächeln wählte und nochmal anfing, aber diesmal langsamer und nicht so wirr. “Verzeih, ich bin nur etwas nervös. Ist sozusagen meine erste Amtshandlung in Rom. Auch wenn Verwalter kein richtiges Amt ist. Und ich möchte gern alles richtig machen.“ Ein kleines Geständnis konnte sicher nicht schaden. Verlegen und ehrlich schaute Axilla zu Corvinus auf, fast sowas wie Entschuldigung heischend. “Aber das ist doch kein Problem, dass die Betriebe Aelius Archias gehören, oder doch? Dann müssten wir vielleicht einen Termin ausmachen, wenn er da selber vorbeikommen muss. Nützt ja sonst nichts.“

    Axilla dachte sich nichts dabei, dass der Aurelier sie so aufmerksam anschaute. Sie fragte sich noch nicht einmal, warum. Eigentlich war sie das von den meisten Männern nicht anders gewöhnt. Entweder, die behandelten sie ganz und gar wie Luft – was Axilla dann immer ärgerte – oder aber sie sahen sie meist sehr gründlich an. Sehr gründlich, vor allem vom Hals an abwärts. Aber das störte Axilla nicht. Das sagte ihr viel eher, dass sie so häßlich ja nicht sein konnte. Irgendwie war das ja sogar ein Kompliment... fast. Und so war für sie der Blick des Aureliers nicht weiter interessant oder hinterfragungswürdig. Sie kam nichtmal auf die Idee, er könne sie aus einem anderen Grund so genau mustern. Und selbst, wenn sie sich daran erinnert hätte, dass er ja der Patron von Seiana war und diese ihr das ja auch erzählt hatte, hätte sie vermutlich noch nicht weiter darüber nachgedacht.


    Sie saß also nur da und lächelte etwas nervös, versuchte, möglichst ruhig zu sitzen und sich nichts anmerken zu lassen, als der Ädil auch gleich zur Sache kam. “Es ist ein Mosaikenleger und ein Architekt. Ursprünglich waren die in Alexandria, aber die sollen nun nach Rom. Die Dokumente... Dokumente... Dokumente?“ Axilla schaute an sich runter, klopfte sogar einmal kurz ihr Kleid ab. Wo hatte sie die verdammte Dikumentenrolle denn hingetan? War die runtergefallen? Sie sah kurz hektisch neben den Stuhl. Auf der einen Seite war nichts, und auf der anderen auch nicht. Aber sie hatte sie mitgenommen, da war sie sicher!
    Der ganze Vorgang dauerte nur etwa 5 Sekunden, bis Axilla wusste, wo die Dokumente sein mussten. Die Röte schoss ihr in die Wangen, und schnell stand sie auf. “Ich, tut mir leid, ich hab sie... also mein Sklave, draußen... bin gleich wieder...“
    Schon während dem Reden war sie flink in Richtung Tür aufgebrochen und riss diese nun geradezu hektisch auf. Direkt davor wartete ein Leander, der sich ein Grinsen gerade so eben verkneifen konnte und ihr die lederne Dokumentenrolle reichte, die Axilla mit einem dankbar-beschämten Lächeln auch entgegennahm und sie sofort auf den Fersen wieder umdrehte. Die Tür wurde wieder zugemacht – trotz aller Hektik leise, wenngleich Axillas Hände dabei zitterten – und sie tippelte wieder zurück. Beim Gehen winkte sie einmal kurz mit der Rolle und lächelte noch einmal ehrlich peinlich berührt. Im Gegensatz zu vorhin machte sie sich jetzt nicht die Mühe, möglichst ruhig und würdevoll zu schreiten, man sah ihren Schritten durchaus jedes kleine bisschen Nervosität an.
    “Ja, also, hier sind die Dokumente.“ Mit den zittrigen Fingern bekam Axilla beinahe das Band nicht gelöst, das die ganze Rolle zusammenhielt. Sie zischte einen kleinen Fluch, ehe das Band nachgab und der Knoten sich öffnete, und ohne zu fragen rollte Axilla alles auf dem Schreibtisch des Senators auf, um so das Gewünschte herauszufischen.

    “Na, wie soll ich das schon gemeint haben?“ raunzte Axilla noch im Gehen auf Serranas Frage hin. Es gab ja schließlich nur eine Methode, sowas endgültig und ehrenvoll zu beenden. Und dass sie dazu nicht den Mut gehabt hatte, bekräftigte Axillas Schuld eigentlich noch eher. Es war ein weiterer Fehler in ihrem Leben, den sie eigentlich nicht hätte tun sollen, wo ihr aber entweder der Mut oder die Vernunft gefehlt hatten, es anders zu machen. Etwas, dass sie nur zu gerne vergaß, wenn sie sich nicht daran erinnern musste.
    Als Serrana sie nochmal ansprach, blieb Axilla stehen. Hörte zu. Stumm, regungslos. In ihr stritten sich die unterschiedlichsten Gefühle. Zuallererst war da Wut. Große, verschlingende, brennende Wut. Wo war Serrana nicht perfekt? Was waren das für Fehler, die sie anführte? Das waren Kindereien, das war nichts, was einem anderen weh tat, nichts, was die Ehre angriff. Das war etwas, das Serrana mit sich selbst ausmachen konnte und auch musste. Das zu vergleichen war unangebracht.
    Doch dann war da Mitleid, das auch sagte, dass Schmerz nicht quantifizierbar war. Dass jeder Schmerz für den betreffenden schlimm war, jedes Leid ein Leid, das man beachten sollte und musste, und es vermessen war, darüber zu urteilen, welches Leid denn nun das schlimmere war. Und wenn man das schon tat, dann wenigstens dennoch Misericordia soviel Respekt entgegengebracht werden sollte, sich barmherzig zu zeigen. Gnade hatte nichts mit Schwäche zu tun.
    Und zuletzt war da Erkenntnis. Egal, was Axilla auch sagte oder tat, sie konnte hier nichts gewinnen. Es war egal, was sie anbrachte, sie würde diese Hochzeit nicht verhindern. Es würde geschehen, war schon geschehen. Die Einladungen waren draußen, und sie konnte es nicht aufhalten. Und wenn sie es versuchte, würde dabei nur herauskommen, dass Serrana gar nicht mehr mit ihr reden würde und gänzlich zu einer Germanica würde. Einen Augenblick fragte sich Axilla, ob sie das nicht von Anfang an schon gewesen war.


    Sie hörte, wie Serrana sich hinsetzte, hörte das weinen. Sie drehte sich nicht um. Einen Moment blieb sie noch stehen, haderte kurz mit sich. Sicher, sie könnte jetzt hinübergehen und Serrana Mut zusprechen. Ihr sagen, dass das alles schon schaffbar sei und ja gar nicht so schlimm. Aber Axilla glaubte nicht daran. Für sie war es schlimm. Und sie konnte niemand anderen trösten, wenn sie nichtmal glaubte, was sie sagte. Lügen und sich verstellen konnte sie, aber nicht in diesem Maße.
    Sie atmete noch einmal, und dann ging sie. Still, wortlos, ohne sich umzudrehen. Sie wusste, dass die letzte Verbundenheit zwischen ihnen beiden nun wohl durchtrennt war. Aber Axilla konnte auch nicht aus ihrer Haut.

    “Meinst du wirklich?“ fragte Axilla ein klein wenig unsicher nach. Sie wollte ja gerne glauben, dass Seiana das nicht so gemeint hätte. Das würde Axillas mühsam aufgebaute Welt ein wenig wieder festigen und die Löcher, die die Decima da hineingerissen hatte, etwas kitten. Axilla dachte nicht gerne darüber nach, ob sie unehrenhaft gehandelt hatte oder ob sie gar die Ehre ihres Vaters in Mitleidenschaft gezogen hatte. Da war ein 'falsch verstanden' natürlich ein herrlicher Fluchtweg, den sie irgendwie nur zu gerne beschreiten würde. Und sie war sehr gut darin, Tatsachen einfach zu verdrängen.
    Bei seiner Anspielung an ihren Bauch sah Axilla schuldbewusst nach unten. Irgendwie hasste sie es, sich jetzt so zurücknehmen zu müssen. Sie schluckte und hielt einen Moment die Luft an, um sich noch weiter zu beruhigen. Luft anhalten half immer, um Schluchzen unter Kontrolle zu bekommen. Dennoch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, jetzt auf etwas verzichten zu müssen für das Kind. Ob das wohl immer so bleiben würde? Ein wirklich sehr seltsames Gefühl.
    “Ich wein ja schon gar nicht mehr“, versuchte sie mehr, sich selbst zu überzeugen, als ihn. Wirklich aufgehört hatte sie noch nicht, aber beinahe. Naja, fast beinahe eben.
    Ablenken, sie musste sich einfach nur ablenken! Das war die Lösung, einfach nicht mehr daran denken, sondern an irgendwas anderes. Beinahe kindlich kuschelte sich Axilla einem inneren Impuls folgend an Archias, schmiegte ihren Kopf leicht an seine Schulter und sagte einfach das erstbeste, was ihr in den Sinn kam. “Und du wolltest mich einfach so besuchen?“ Es klang nur neugierig, vielleicht noch durchsetzt von der Traurigkeit von eben, aber nicht vorwurfsvoll. Nicht, dass Archias einen Grund bräuchte, sie besuchen zu kommen, sie mochte es, ihn um sich zu haben. Wenngleich momentan das schlechte Gewissen deshalb schier überwältigend zu sein schien. Aber auch das ließ sich sicherlich ablenken.

    Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, dass Axilla hatte erklären müssen, wie es kam, dass sie und Vala unterwegs gewesen waren. Nein, Romana erinnerte sich auch an Archias, was Axilla erneut in Erklärungsnot brachte. Aber wie sollte sie das da alles erklären, wenn sie selber nichtmal wirklich verstand, was da los war? Vor allem wollte Axilla ja auch überhaupt gar nichts erklären von dem, was da vorgefallen war. Das war nicht nur peinlich, das war furchtbar! Egal, wie viele Frauen sich auch wünschen mochte, dass ein Kerl wegen ihr einen Streit anfing, Axilla kam sich im Moment wegen der ganzen Geschichte nur unglaublich doof vor.
    “Ähm, ja, natürlich. Aber ich bin sicher, das war gar nicht so gemeint...“ Gut, Axilla hatte keine Ahnung, wie es denn überhaupt gemeint gewesen war. Und dass Archias einen gemeinen Blick hatte fand sie auch nicht. Sie fand eigentlich, die meiste Zeit schaute er wie so ein Molosserhund drein. Und die schauten doch nicht gemein. Okay, wenn sie knurrten vielleicht. Und sogesehen hatte Archias ja auch geknurrt... nur eben mit Süßspeiße, anstatt mit hochgezogenen Lefzen...
    Axilla schüttelte den Gedanken ab. Vielleicht ließ Romana das Thema ja auch einfach wieder fallen?


    Dass Romana ihren Leander so geringschätzig mit einem Mal anschaute, irritierte Axilla dann aber doch, und sie blickte kurz zwischen der Vestalin und dem Griechen hin und her. Hatte Leander irgendwas gemacht? Ihr schien er ganz normal. Naja, vielleicht war es auch nur die Erkenntnis bei Romana, dass weibliche Sklaven wohl besser für sie wären, wenn sie wirklich jegliches Gerede vermeiden wollte. Auch wenn wohl niemand einer Vestalin Unzucht unterstellen würde, wenn es dafür nicht immens überwältigende Beweise gab. Sowas machte man nicht einfach so. Und die Wächter der Vestalinnen waren ja auch normalerweise Männer, schon allein wegen der Stärke und der Abschreckung.


    Aber Romana sagte dazu nichts weiter, also bestand auch Axilla nicht auf eine Vertiefung in der Richtung und das Gespräch kam viel mehr auf die Götter und Urgulania. Das war zwar nicht wirklich angenehmer, aber da konnte Axilla wenigstens etwas dazu sagen. “Ähm, naja, sie war etwas mehr in Richtung Verwaltung der Tempel, so dass alle immer genug Personal und Material hatten, so dass alles seinen richtigen Ablauf haben kann, so wegen dem Opferkalender und sowas alles.“
    Graecus Ritus? Axilla hatte sich da nie groß Gedanken drum gemacht. Waren ja immerhin auch griechische Götter, und die Priester waren ja auch fast alle Griechen da. War das denn wichtig?
    “Ähm, naja, sind ja auch griechische Götter und alles. Oder ägyptische. Was aber definitiv anders ist als hier, sind die Kulte. In Alexandria gibt es da viel mehr und viel... exzessivere. Letztes Jahr haben die Mänaden – ich mein, allein das muss man sich mal vorstellen, richtige Mänaden aus dem Gefolge des Bacchus – vier Schafe zerfleischt bei einem ihrer.... wie nennt man das eigentlich? Treffen klingt da so harmlos, find ich.
    Und es gibt auch noch ganz komische, ägyptische Kulte, aber die sind eher klein. Und natürlich Isis, aber die gibt’s hier ja auch.“
    Axilla plapperte leicht dahin, hauptsächlich, um davon abzulenken, dass sie im Grunde ja absolut keine Ahnung hatte und einfach irgendwas sagen wollte. Wo sie mit Göttern schon zum Großteil nichts anzufangen wusste, waren Kulte noch eine Stufe mehr. Sie konnte sich cnith vorstellen, irgendwo mit von Überzeugung angeschwellter Brust halbnackt durch die Gegend zu rennen und wie im Rausch irgendwelche Handlungen zu vollführen, um einer Gottheit zu gefallen.


    Sie beide lösten sich von dem Gatter mit den hübschen Ziegen, denn natürlich begleitete Axilla Romana. Sie war ja vieles, aber gewiss nicht lauffaul. “Ich hab so viel Zeit, ich weiß schon gar nicht mehr, was ich damit anfangen soll“, meinte Axilla nur grinsend und ging dann neben Romana her. Es sah wahrscheinlich etwas lustig aus, denn wo Romana mit ihrer hochgeschossenen Gestalt einen würdevollen Schritt machte, brauchte Axilla, die ihr grade mal bis zur Brust reichte, zwei.
    “Darf ich dich mal ganz neugieirg was fragen? Was macht man so als vollwertige Vestalin eigentlich den ganzen Tag dann? Ich meine, ihr bewacht das Feuer, aber da braucht man ja nicht immer alle Vestalinnen dafür. Was machst du dann eigentlich sonst noch?“ Axilla hatte sich nie damit beschäftigt, was die Priesterinnen der Vesta eigentlich so trieben. Und wenn sie jetzt schonmal jemanden neben sich hatte, den sie da mit Fragen löchern konnte, dann wäre es doch sträflich, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen.

    “Wie ich es wagen kann? Mit welchem Recht?“ Axilla war nicht laut oder heftig, sie war geradezu gefährlich leise, als sie sich direkt vor Serrana aufstellte und sie wütend anblitzte. “Mit dem der Älteren und Stärkeren, für den Anfang.“ Und diese beiden Rechte hatten durchaus ihre Daseinsberechtigung in der Welt, in der sie lebten, und auch seine Traditionen. Unter Frauen war es vielleicht nicht ganz so streng wie unter Männern, aber dennoch galt auch hier: Die Ältere hatte das Recht vor der Jüngeren. Und das Recht des Stärkeren war universell.


    Serrana war so selbstherrlich und selbstgefällig, dass Axilla dabei ganz übel wurde. Sie trat einen Schritt zurück und schüttelte nur den Kopf. In ihren Augen standen Tränen, die sie aber wütend wegblinzelte. Sie würde jetzt garantiert nicht anfangen, zu heulen, erst recht nicht vor ihr!
    “Denkst du, ich weiß nichts von meinen Fehlern? Denkst du, ich bin da stolz darauf? Denkst du, ich mach mir deshalb keine Vorwürfe, oder dass ich denke, dass es besser wäre, ich würde es endgültig beenden? Dass ich es sogar schonmal versucht habe, mir dann nur der Mut dazu fehlte?“
    Eine Träne hatte sich doch verselbständigt, doch Axilla wischte sie wütend weg. Sie würde hier nicht weinen! Nicht vor so jemandem wie ihr!
    “Ich weiß sehr gut um meine Fehler. Aber eins weiß ich, ich würde meine eigenen Verwandten nicht auf der Gästeliste vergessen und dafür hundert andere, für die im Haus nichtmal genügend Platz ist, einladen, nur weil jemand, der absolut NICHTS mit den Iuniern zu tun hat, zufällig zur selben Zeit heiraten will.
    Und ich HAB dir zugehört, sehr gut sogar. Vergib mir also, wenn ich dir mehr Verstand zugetraut habe als diesen beiden Idioten, die scheinbar in ihrem Leben noch nie eine Feier mit auch nur halb so viel Gästen ausgerichtet haben!“


    Axilla schüttelte nochmal den Kopf und ging dann los in Richtung Tür. Auf halber Strecke drehte sie sich nochmal um, sie konnte es einfach nicht lassen. Das hier sollte nicht aussehen wie ein Rückzug, denn es war keiner. Es war ein Vormarsch in eine andere Richtung. Sie fühlte sich irgendwie gerade an ihr Gespräch mit Vala erinnert, an seinen Ausspruch über die Ehre. Sie hatte es so vehement abgestritten damals, und kam sich im Moment deswegen gerade unglaublich dämlich vor. Denn im Moment fühlte sie das, was er gesagt hatte. Ehre war dreckig, kalt, und stank. Und sie tat verdammt weh.
    “Also entschuldige, wenn ich nichts davon weiß, wie es ist, so fehlerfrei zu sein wie du, in einer perfekten Welt mit perfekten Freunden und einem perfekten Verlobten, die alle einander so unendlich lieb haben, dass sie auf Traditionen nicht achten müssen oder darauf, wie es aussieht, wenn hundert Senatoren durch ein Haus stapfen, das noch nichtmal ein vernünftiges Mosaik im Tablinum vorzuweisen hat oder irgendwas, was so eine große Feier nicht gar so peinlich erscheinen lässt und dem ganzen einen Grund gibt.
    Ich wollt dich sicher nicht stören, indem ich mit was anderem als Wattebäuschchen werfe. Muss toll sein, so fehlerfrei zu sein, dass man so auf alle anderen runterschauen kann.“

    Sicher, es war sarkastisch, aber das meiste davon empfand Axilla tatsächlich so. Was wusste Serrana denn schon von wirklichem Schmerz? Gar nichts. Axilla schüttelte nochmal den Kopf und ging dann weiter.

    Hatte Serrana gerade gesagt, sie hätte kein Recht etwas gegen die Germanicer zu sagen? Axilla blinzelte zweimal und war kurz sprachlos. Erst dann brach es aus ihr mit einer Wucht heraus, die sie selbst nicht von sich erwartet hätte.
    “Sag mal, hast du sie noch alle? Du hast ja erzählt, dass du von einer Germanica aufgezogen worden bist, aber hast du denn gar kein iunisches Blut mehr in dir, dass du ihre Gens so hoch hältst, während du die eigene so mit Mißachtung strafst? Vielleicht solltest du ihm deine Hand auch gleich noch zur Hochzeit mitgeben, damit du den für dich scheinbar so bedeutungslosen Namen auch endlich los wirst.“
    Axilla war sauer, und daher auch aufgestanden. Da störte sie auch nicht, dass Serrana gerade wirklich getroffen war von der Erkenntnis, dass sie die eigenen Verwandten vergessen hatte, einzuladen. Für Axilla untermauerte das eher nur noch, dass Serrana auf die Iunier absolut nichts hielt. Da hatte die Germanica, die sie großgezogen hatte, wohl wirklich ganze Arbeit geleistet!
    “Weißt du denn überhaupt, wer die Iunier sind. Fühlst du denn nicht wenigstens ein bisschen, ein klitzekleines bisschen dieses Erbe in dir?“ Axilla verstand es einfach nicht, warum Serrana so absolut gar kein Gespür dafür hatte. Dass sie auch nicht interessierte, wie geredet werden würde. Gut, sie selbst hatte sich auch nicht mit Ruhm bekleckert in dieser Beziehung, aber Axilla wusste das wenigstens. Serrana hingegen schien sich nicht der geringsten Schuld bewusst.
    “Schon in den Thermen hast du den Mund nicht aufgekriegt, als diese blöden Schnepfen da deine Ahnen wohlgemerkt verunglimpft haben. Aber da kam gar nichts! Weißt du nur nichts von den Idealen, für die deine Väter und Vorväter gestorben sind, oder ist dir das nur schlichtweg egal?“
    Ihr Blick fiel wieder auf den Stoff für die Tunica recta, der so fein und ordentlich gefertigt worden war. “Ich meine... willst du überhaupt dein Haar mit einer Speerspitze, die Feindesblut vergossen hat, frisieren zu deiner Hochzeit? Oder ist dir die Tradition auch egal?“ Inzwischen klang Axilla nicht mehr wütend, nur noch ratlos. Sie verstand es wirklich nicht. Was hatten die Iunii Serrana denn getan, dass sie so überhaupt gar nicht an sie dachte? Manchmal hatte Axilla wirklich das Gefühl, als wolle Serrana gar keine Iunia sein, sondern lieber eine Germanica. Natürlich spielte hier auch ihre Aversion gegen Calvena eine nicht unerhebliche Rolle, aber das Gefühl war davon unabhängig. Für Axilla gab es nichts wichtigeres als den Namen ihrer Gens, ihr Erbe und Andenken. Und Serrana dachte nur noch an Sedulus.


    Axilla fiel eine alberne Geschichte wieder ein. Eines Tages entschloss sich der Wahnsinn, seine Freunde zu einer Feier einzuladen. Als sie alle beisammen waren, schlug die Lust vor, Verstecken zu spielen.


    "Verstecken? Was ist das?" fragte die Unwissenheit.
    "Verstecken ist ein Spiel: einer zählt bis 100, der Rest versteckt sich und wird dann gesucht," erklärte die Schlauheit.
    Alle willigten ein bis auf die Furcht und die Faulheit.
    Der Wahnsinn war wahnsinnig begeistert und erklärte sich bereit zu zählen.
    Das Durcheinander begann, denn jeder lief durch den Garten auf der Suchenach einem guten Versteck.
    Die Sicherheit lief ins Nachbarhaus auf den Dachboden, man weiß ja nie.
    Die Sorglosigkeit wählte das Erdbeerbeet.
    Die Traurigkeit weinte einfach so drauf los.
    Die Verzweiflung auch, denn sie wusste nicht, ob es besser war sich hinteroder vor der Mauer zu verstecken.
    "...98,99,100!" zählte der Wahnsinn.
    "Ich komme euch jetzt suchen!"
    Die erste, die gefunden wurde, war die Neugier, denn sie wollte wissen, wer als erster geschnappt wird und lehnte sich zu weit heraus aus ihrem Versteck.
    Auch die Freude wurde schnell gefunden, denn man konnte ihr Kichern nicht überhören.
    Mit der Zeit fand der Wahnsinn all seine Freunde und selbst die Sicherheit war wieder da.
    Doch dann fragte die Skepsis: "Wo ist denn die Liebe?"
    Alle zuckten mit der Schulter, denn keiner hatte sie gesehen.
    Also gingen sie suchen. Sie schauten unter Steinen, hinterm Regenbogen und auf den Bäumen.
    Der Wahnsinn suchte in einem dornigen Gebüsch mit Hilfe eines Stöckchens. Und plötzlich gab es einen Schrei! Es war die Liebe. Der Wahnsinn hatte ihr aus Versehen das Auge rausgepiekst. Er bat um Vergebung, flehte um Verzeihung und bot der Liebe an, sie für immer zu begleiten und ihre Sehkraft zu werden.
    Die Liebe akzeptierte diese Entschuldigung natürlich. Seitdem ist die Liebe blind und wird vom Wahnsinn begleitet.


    So ungefähr fühlte sie sich grade im Moment, wenn sie mit Serrana redete. Die wollte gar nicht sehen oder begreifen, warum Axilla sich da drüber aufregte, dass die Germanicer sich einfach in die Casa Iunia eingeladen hatten. Die sah das nur als Angriff auf ihren Sedulus, auf den sie ncihts kommen ließ.
    Dass Axilla ja bei so einigen Dingen, die sie selbst liebte, ebenfalls blind und von Wahnsinn geschlagen war, das übersah sie hierbei natürlich geflissentlich.

    Was meinte Serrana denn mit ihrer komischen Frage? Axilla schaute einen Augenblick lang verwirrt drein, ehe die zweite Frage es ein wenig einleuchtender machte und sie vor Scham rot wurde.
    “Ähm, nein, noch nicht so lange. Das ist erst kurz vor der Abreise nach Rom... passiert und, also... ist ja auch gar nicht so wichtig!“ Wie sollte Axilla das denn bitte erklären, dass sie in Archias nie so richtig verliebt gewesen war, sondern dass das war ganz anderes bei ihm war? Sie glaubte nicht, dass Serrana das verstehen konnte. Sie selbst verstand es ja nicht einmal so wirklich. “Und bis vor kurzem war er noch mit Decima Seiana verlobt. Jetzt hat er die Verlobung gelöst und... naja, er heiratet mich. Deshalb haben wir nicht früher darüber nachgedacht.“
    Das war sicher nicht die Antwort, die Serrana hatte hören wollen. Axilla machte sich schon auf eine moralische Entrüstungsrede gefasst, die sie dieses Mal aber nicht so einfach über sich ergehen lassen wollte. Dieses Mal nicht!


    Vor allem, wenn es so ein gute Thema gab, um davon abzulenken. Denn da hatte Axilla zur Abwechslung mal das Recht auf ihrer Seite.
    “Warum Calvena hier nicht heiraten sollte? Sie hat nicht einen Funken iunischen Blutes in sich, und die Feier findet bei der Familie der Braut statt, um dann zum Haus des Bräutigams zu gehen! So ist das Tradition schon... schon EWIG! Was also haben wir mit der Nichte von deinem Zukünftigen zu tun? Haben die Germanici nicht genug Geld, um eine vernünftige Hochzeit zu finanzieren, so dass sie sich bei den Iunii einschleichen müssen?“
    Axilla verstand wirklich nicht, wie irgendwer auf diese Schnapsidee nur hatte kommen können. Das war nicht nur 'ein wenig unorthodox', das war total gegen jede noch so kleine Tradition. Wenn man schon groß angelegt Hochzeit feierte und halb Rom dazu einlud, dann doch bitte ganz richtig. Sie feierte ja auch nicht bei den Prudentii, nur weil Archias Urgroßschwiegercousine zufällig mit einem von denen verheiratet war!
    “Und die sollen sich gar nicht einfallen lassen, hier Geld zu geben dafür. Am Ende heißt es noch, eins von Roms ältesten Geschlechtern könne nichtmal eigenständig eine Hochzeit ausrichten! Weißt du, was das für ein Gerede gäbe? Abgesehen von dem, was es ohnehin schon geben wird, weil du zwar jeden Caius und Marcus eingeladen hast, aber nichtmal deinen eigenen Cousin! Und Brutus? Der gehört ja nun auch zur Gens, und sooo weit ist er nun ja auch nicht weg stationiert. Nein?“
    In einer hilflosen Geste warf Axilla die Hände über den Kopf. Natürlich regte sie sich übermäßig auf, aber sie konnte Calvena nunmal nicht leiden und fand die Vorstellung schrecklich, dass die in der Casa Iunia ihrem Bräutigam übergeben werden würde.

    Schon wieder war Archias so grummelig wegen Crios, was Axilla nicht so ganz verstand. Was hatte der Grieche ihm denn bitte getan? “Wie meinst du das denn jetzt schon wieder?“ fragte sie nochmal nach, und ihr Tonfall machte schon deutlich, dass sie diesmal wirklich eine Erklärung hören wollte. Immer diese Andeutungen, und dann winkte er mit einem 'Ach nichts' ab. Aber da war was, und Axilla wollte wissen, was es war.


    Begeistert schien er ja nicht unbedingt zu sein, dass sie arbeiten wollte. Aber Axilla konnte einfach nicht nur daheim rumsitzen. Das ging nicht. Sie brauchte ihre Freiheit, immer. Und arbeiten war ein Teil davon. Sie konnte sich nicht nur auf eine Sache allein voll und ganz einlassen. Das war, als würde man ihr eine Kette umlegen. Sie brauchte immer auch noch was anderes, und wenn es nur was ganz kleines war. Aber sie brauchte was, war ihres war, und ihres allein. Von niemandem sonst. Sie war schon immer ein Freigeist gewesen, und da brauchte sie das einfach.
    Als er meinte, er könne ihr auch Geld geben, und sie könne es sich verdienen, musste Axilla lachen. Gespielt schubste sie ihn einmal leicht und legte sich dann auf den Rücken, um zur Decke einfach hochzuschauen.
    “Es geht mir nicht ums Geld. Also, auch, aber nicht nur. Und wenn wir verheiratet sind, krieg ich doch was von deinem Geld, oder behältst du das ganz für dich alleine?“ Kurz schaute sie zu ihm rüber und grinste ihn an, dann sah sie wieder verträumt zur Decke hoch.
    “Ich will nur... ihr Männer arbeitet doch auch alle. Und ich mach schon nichts unanständiges oder für eine unanständige Person. Ich will nur... was eigenes auch erreichen, verstehst du das?“
    Als sie den Kopf wieder drehte, fielen ihre Haare von der Bettkante und das letzte bisschen ihrer Frisur löste sich damit in Wohlgefallen auf.


    Die Hochzeit wiederum war ein wirklich schwieriges Thema. Sein Antrag war ja immerhin noch nichtmal eine Stunde alt, da nun schon so genau zu planen war irgendwie ein sehr komisches Gefühl. Vor allem: Er war ja noch mit Seiana verlobt! Was, wenn sie nein sagte? Was, wenn Silanus nein sagte? Nungut, das konnte ihnen egal sein, Axilla brauchte sein Einverständnis nicht. Aber trotzdem... da war sooo viel wenn und so wenig Gewissheit.
    “Nein, zu schnell nicht. Ich würd dich auch noch eher heiraten, diesen Monat geht es ja nicht.“ Axilla sah kurz zu ihm herüber. Allzu lang sollten sie sowieso nicht warten, wenn das Kind so richtig ehelich geboren werden sollte. Sie wollte ja nicht, dass dem Kind dann etwas nachgesagt werden würde. Oder ihnen beiden. Hach, das machte die Sache schon wieder schwierig!
    “Aber vielleicht solltest du erst noch mit Seiana reden. Was ist denn, wenn sie nein sagt? Ich meine, ihr beide seid doch noch verlobt und... also... wenn sie dich immernoch heiraten will?“ Axilla wusste nur zu gut um ihre eigene Unzulänglichkeit, und dass sie verglichen mit der Decima sicher die schlechtere Partie war. In jedem Belang.

    Es war ein Dispaterskreis. Je mehr Archias sie tröstete, umso besser fühlte sie sich. Und umso besser sie sich fühlte, umso shclimmere Schuldgefühle bekam sie. Und je schlimmer die wurden, umso schlechter fühlte sie sich wieder und musste mehr getröstet werden.
    Sie lag also recht schlapp in Archias' Armen und versuchte, mit diesem Gefühlschaos irgendwie klar zu kommen, während er sie tröstete, was ihr aber nicht so recht gelang. Sie versuchte, sich aufs Atmen zu konzentrieren, aber auch das war einfacher gedacht als getan. Ständig wurde ihr Körper wieder durchgeschüttelt und wirklich beruhigen konnte sie sich nicht. Allerdings konnte sie lange genug alles unterdrücken, um halbwegs verständlich zu antworten.
    “Nein... oder ja... aber... nicht so... hat sie das gesagt.“ Axilla mühte sich wirklich, mit dem weinen aufzuhören. Sie wusste, dass das dem Kind nicht gut tun konnte, wenn ihr Körper so durchgeschüttelt wurde. Und allein deswegen schon wollte sie sich beruhigen. Nach ein paar Atemzügen hatte sie das auch soweit, dass sie zwar immernoch beim atmen schniefte und auch noch genug Tränen liefen, aber es schüttelte sie nicht mehr gar so durch.
    “Sie hat gesagt, dass ihre Ehre es nie zugelassen... hätte, einer anderen... den Mann wegzunehmen. Und dass es... etwas spät ist, sich darüber... Gedanken zu machen... ob ich ihr damit weh getan habe. Und... ich wollt mich ja wirklich entschuldigen... weil ich wollte ihr doch nicht weh tun... ich wollt doch nur... ich wollt doch nur... ein bisschen glücklich sein... ich wollt doch nur bei dir sein... ich hab doch nicht gewusst.... dass das so alles passiert.“

    [Blockierte Grafik: http://img705.imageshack.us/img705/5492/leander.gif]


    “Domina, nicht so schnell!“ wiederholte Leander nochmal und schloss schließlich zu ihr auf, als die beiden in die weniger benutzte Seitenstraße eintraten. Auch hier war noch genug Durchgangsverkehr, allerdings nicht mehr so viel wie auf den Hauptstraßen. Hier war es einfacher, mit Axilla auf Schritthöhe zu bleiben, und tatsächlich war sie auch so gnädig, nicht mehr so schnell zu gehen, sondern in einem einer Dame angemessenen Tempo.
    Die beiden gingen weiter in Richtung Palast, als aus einer dunklen Nische jemand hervortrat. Axilla bemerkte ihn scheinbar nicht wirklich, denn sie strahlte und lächelte wie immer und wollte beschwingt weitergehen. Allerdings fühlte Leander, dass etwas hierbei nicht stimmte, und als der Kerl auf sie zuging, handelte er mehr instinktiv denn bewusst, indem er sich dazwischenwarf. Er griff nach den Handgelenken des Angreifers und versuchte, ihn niederzuringen. Leander war sicher kein ausgebildeter Kämpfer und auch nicht der Stärkste, aber die Angst gab ihm Kraft. Im Hintergrund hörte er Axilla einmal erschreckt aufschreien, und er verstärkte den Druck noch mehr. Er fühlte sich schon dem Sieg nah, als der Mann seine Rechte aus dem Griff lösen konnte. Leander versuchte noch, danach zu greifen, als er etwas blitzen sah. Und dann fühlte er nur einen kurzen Schmerz und merkte, wie er in die Knie ging und nach seiner geöffneten Kehle griff, während sich seine Lunge mit Blut füllte.


    Axilla hatte nur einen Ruck gefühlt, als Leander sie schützend beiseite gedrängt hatte, und hatte dann fassungslos mit angesehen, wie der Grieche mit dem fremden rang. Dass sie geschrien hatte, hatte sie nichtmal realisiert. Sie stand nur da und konnte ihre Augen nicht von der Szenerie wenden. Auch andere standen herum, aber keine machte Anstalten, Leander zur Hilfe zu kommen.
    Und dann sah Axilla nur etwas aufblitzen, von dem sie mehr wusste, dass es ein Messer war, als dass sie es wirklich sah. “PASS AUF“, gellte sie noch zu Leander hinüber, als dieser auch schon in sich zusammensackte.


    Blut. Axilla starrte auf das dunkle Blut, dass sich unter ihrem Sklaven ausbreitete. Er war so gefallen, dass sein Blick zu ihr ging. Aus seinem Mund war auch Blut gelaufen und lag ihn Blasen noch auf seinen Lippen. Er starrte sie an, und sie schaute zurück. Sie fühlte gar nichts. Absolut gar nichts, als hätte jemand jegliches Empfinden für den Moment aus ihrem Körper gerissen. Sie starrte nur wie versteinert zu ihm herunter und konnte sich nicht bewegen, nicht fühlen, nichtmal schreien. Gar nichts.
    Der Kerl kam auf sie zu, mit dem blutenden Messer in der Hand, wollte sie ausrauben. Sie starrte ihn an, und in ihren Augen sah man fast nur weiß, so sehr waren diese vor Schreck geweitet. Sie wich nicht zurück – abgesehen davon, dass sie ohnehin fast direkt an einer Häuserwand stand – sondern starrte ihn einfach nur an. Ihr Mund öffnete sich, und sie wollte schreien, aber kein Ton kam heraus.


    Von irgendwo löste sich ein Mann aus der Masse und warf seinerseits ein Messer zielgenau dem Kerl zwischen die Rippen. Er kam zu ihr angelaufen, fragte sie etwas. Ob alles in Ordnung sei. Axilla starrte ihn an.
    Unbarmherzig kehrte das Gefühl in ihren Körper zurück, bahnte sich mit einem heftigen Zittern seinen Weg tief in ihre Eingeweide und ließ sie vor Schmerz verkrampfen. Sie schrie noch einmal lautlos auf, fasste sich an den Bauch. Erst beim nächsten Luftholen kam endlich der ersehnte Laut, der der Welt verkündete, dass nicht alles in Ordnung mit ihr war. Sie hielt sich an dem Fremden fest und sackte dabei in sich zusammen. Ungehalten schluchzte und weinte sie. Und auf einmal war auch bei ihr Blut, zeichnete sich rot in ihrem Schoß gegen das hellgrüne Kleid ab. Aber da ihr ganzer Körper ein Schmerz war, realisierte sie es noch nicht wirklich.


    Leander war tot. Ihr Leander, der ihr wie ein Bruder geworden war. Der sie getröstet hatte, als Silanus sie so abweisend behandelt hatte. Der sie gedeckt hatte, als sie ihre Affäre mit Timotheos Bantotakis gehabt hatte, der sie nach deren Ende vor ihrem Selbstmitleid rettete. Der von der Sache mit Archias wusste, sie ihr auszureden versucht hatte. Der bei ihr Wache gehalten hatte während der versuchten Abtreibung. Der Zeuge ihres Fluchs gegen Terentius Cyprianus gewesen war. Der sie jeden Moment in den letzten beiden Jahren beschützt hatte. Er war tot. Und Axilla wollte das nicht wahrhaben.

    Natürlich erinnerte sie sich an den Namen. Axilla konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand das hätte vergessen können. Das war so abwegig in ihrer Vorstellung, dass das jemand nicht hätte mitbekommen können, dass sie ganz automatisch annahm, dass Serrana das alles wieder siedend heiß eingefallen war.
    “Kennen gelernt und angefreundet haben wir uns, als ich gerade frisch in Ägypten angekommen bin. Ich bin zufällig bei ihm in die Post gestolpert, um vor der Sonne zu fliehen“, antwortete Axilla freimütig und ehrlich. Da war ja auch wirklich nichts dabei, fand sie. Sie hatten sich angefreundet, das war doch etwas wirklich durch und durch gutes. Sie konnte ja nicht Ahnen, dass Serrana mit dem Wort Freundschaft etwas anderes meinte als eben Freundschaft.


    Doch damit war es das auch eigentlich schon mit der netten Plauderei, denn Axilla musste sich schwer zusammenreißen, nicht gleich spitzfindige Bemerkungen über die Männer zu machen, denen offenbar diese Schnapsidee eingefallen war. Vor allem, da ihr Serrana noch so eine Steilvorlage mit ihrer Frage lieferte, da brauchte es schon die letzten Fünkchen ihres Anstandes, um nicht gleich loszulegen.
    “Also, ich frage, weil...“ Axilla rang einen Moment mit sich. Sie wollte Serrana ja nicht gleich mit einem Wortschwall plattwalzen. Aber sie stellte sich ja geradezu so hin, dass Axilla nur plattwalzen konnte! “Ich meine, wie habt ihr euch das überhaupt vorgestellt? Hast du dir die Gästeliste mal angeschaut? Sollen wir die Leute stapeln? Und wer zahlt das ganze denn? Was haben wir überhaupt mit der Hochzeit einer Germanica zu schaffen? Können die nicht bei sich feiern, wie es Tradition ist?“ So, jetzt war es doch raus. Das Gröbste konnte Axilla sich zwar verkneifen – vorerst – aber das wichtigste war raus.

    Serranas Frage verwirrte Axilla zunächst, und dementsprechend guckte sie auch. Wieso sollte jeder Angestellte im Palast dort jemanden einladen dürfen? Das wär ja heller Wahnsinn, wenn dem so wäre. Und es dauerte einen Moment, ehe Axilla verstand, warum Serrana fragte. Erst da hellte sich ihr Gesicht dergestalt auf, als wolle ihre ganze Mimik einmal laut 'Oh, da war ja was' sagen.
    “Nein, das sicher nicht. Das wäre ja Wahnsinn. Nein, ähm... also... mein Verlobter...“ Wie sich das Wort anhörte. Verlobter! Ihr Verlobter! Bei den Göttern, dass sie jemals so ein Wort sagen würde... “... ist Caius Aelius Archias. Ähm... du weißt schon...“ Wenn Serrana nicht unter rapidem Gedächtnisschwund litt, würde sie sich an den Kerl mit der Schüssel ganz sicher erinnern. Ein wenig wurde Axilla rot und sah scheinbar ganz interessiert auf den gewebten Stoff.
    “Und er möchte auf jeden Fall alle kennen lernen, wo wir doch bald eine Familie sind und so weiter. Damit alles seine Ordnung hat.“


    Vielleicht sollte sie einfach ablenken und auf das andere Thema zu sprechen kommen? Ja, das wäre doch eine Möglichkeit, das würde ganz sicher ablenken.
    “Aber ich wollte mit dir sowieso noch über was anderes reden. Also,... deine Hochzeit... oder besser gesagt, DIE HochzeitEN. Wer kam eigentlich auf die Idee, das ganze hier zu veranstalten?“
    Noch war Axillas Tonfall sehr neutral, höchstens etwas überneugierig. Aber noch ließ sich nichts daraus erkennen, weswegen sie diese Frage so stellte.