Jetzt im Spätwinter, kurz vor Anbrechen des Frühjahrs, war es schon früh dunkel und der Anbruch der Schlafenszeit verschwamm in der Ungenauigkeit der langen Dämmerung. Obwohl alles in ihr schon in Erwartung des folgenden unruhig und angespannt war, legte sich Axilla ins Bett und überließ Leander einen bequemen Platz an der weich gepolsterten Fensterbank, wo man besonders schön Gedichte lesen konnte. Nur im Moment gab es nichts zu lesen, und keine Sonne schien durch das lichte Fenster. Lediglich das schwache Licht des zunehmenden Mondes spendete etwas Helligkeit neben der kleinen Öllampe auf dem Tischchen, deren gelbe Flamme unheilig und unruhig flackerte.
Axilla lag auf dem Rücken und starrte hoch zur Decke, die in dem schwachen Licht ihr blau erschien. Was, wenn es nicht funktionierte? Was, wenn all das, was sie durchgemacht hatte, um sich selbst zu überzeugen, dass es notwendig war, umsonst war, weil Crios ihr ein unwirksames Mittel gegeben hatte? Wenn einfach nichts passierte? Wohin könnte sie dann gehen, um doch noch an ihr Ziel zu gelangen? Sie kannte sich hier nicht aus, kannte nicht die Kräuterweiber mit ihren Zaubertränken und Amuletten, wusste nicht, was wirksam und was nur Schein war. Sie war noch nie in solch einer Situation gewesen, hatte sich nie vorstellen können, es jemals zu sein. Und ein Teil von ihr schämte sich, dass sie es war.
Leander lag am Fenster und schlief. Axilla konnte es ihm nicht verdenken, er hatte einen arbeitsamen Tag gehabt. Dass sie ihn nötigte, jetzt hier bei ihr zu sein, tat ihr Leid. Gerne hätte sie ihn nicht dieser Gefahr ausgesetzt. Sollte Silanus hereinkommen, könnte er die Situation falsch deuten und im Zorn ihn erschlagen. Wobei... nein, Axilla glaubte nicht, dass ihr Vetter irgendjemanden erschlagen könnte. Sein letzter Besuch bei ihr hatte sie endgültig davon überzeugt, dass er kein Krieger war, nichtmal im Entferntesten. Dieses Herumgeseufze und Gejammere hatte sie als wirklich sehr unmännlich empfunden, daher konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er, sollte er tatsächlich hereinkommen, dieses Mal wie ein echter Kerl reagieren würde.
Sie wälzte sich leicht auf die andere Seite und starrte Richtung Tür. Das Haus schlief. Nichts passierte. Langsam glaubte sie wirklich, Crios hatte sie verschaukelt und ihr nur ein Placebo gegeben. Es passierte einfach nichts. Missmutig stieß sie die Luft aus und schnaubte gereizt. Da haderte sie so lange mit sich selbst, und absolut nichts passierte. Absolut rein gar nichts! Dieser verdammte Grieche, der einfach nicht verstand, dass sie das Kind nicht bekommen durfte. Der einfach nicht verstand, was es bedeuten würde, wenn sie es tat. Der einfach nicht verstand, dass sie verdammt war, wenn herauskam, dass sie...
“Hough“, keuchte sie plötzlich und krümmte sich nach vorn zusammen, als ein stechender Schmerz in ihren Unterleib fuhr. Eine glühend heiße Nadel, direkt in ihren Unterleib gestochen, und nun steckte sie dort, brannte sich in das helle Fleisch. Axilla legte ihre Hände auf die Stelle, etwas links von ihrem Bauchnabel, als könne Druck auf die Stelle den Schmerz lindern. Doch keine Sekunde darauf fühlte sie die zweite Nadel, auf gleicher Höhe direkt rechts ihres Bauchnabels, kreisend hineingestochen, um möglichst viel ihres Leibes dabei zu verbrennen. Sie hustete vor Schmerz, und krümmte sich zusammen, zog die Beine leicht in Schutzhaltung an, aber es half nichts. Ein hoher, jammernder Fieplaut entkam ihr, die Zähne fest aufeinandergebissen.
Sie hörte, wie Leander aufschreckte und zu ihr kam, fühlte sein Gewicht neben ihr auf der strohgefütterten Matratze und seine Hände vorsichtig auf ihrem Arm und ihrem Rücken. Er sagte etwas, aber es ging in dem hohen Fiepen unter, das sie nicht unterdrücken konnte. Die Nadeln schienen sich noch weiter aufzuheizen, ihre schmerzerfüllten Spitzen sich so ausbreiten zu lassen wie Eisstacheln. Finger schienen in ihrem Leib am Werk, griffen, rissen, zogen, zerfetzten ihren Leib. Axilla weinte, keuchte, konnte es nicht abstellen. Sie biss die Zähne aufeinander, biss in ihre Decke, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken, der sich anbahnte.
Sie fühlte, wie ihre Blase sich entleerte, fühlte die Feuchtigkeit an ihren Schenkeln, roch den sauren Geruch und schämte sich für ihre Unfähigkeit. Sie fühlte Leanders Hände, wie er sie hielt, ihren Rücken rieb, hörte seine Stimme ängstlich und doch beruhigend weiterreden. Sie fühlte mehr Feuchtigkeit, langte sich ängstlich zwischen die Beine und zog ihre Hand hoch, vor die Augen. Im schwachen Licht der kleinen Lampe war das Blut gänzlich schwarz und glänzte schleimig und zähflüssig. Axilla weinte heftiger und wusste selbst nicht, warum. Es funktionierte, der Trank wirkte. Aber bei diesen Schmerzen hier konnte sie sich kein bisschen darüber freuen.
“Herrin, ich muss den Medicus holen. Herrin? Herrin, das sit zu viel Blut. Herrin, du verblutest. Herrin, lass mich den Medicus holen.“ Leander versuchte es wieder und wieder. Er konnte sie hier nicht allein liegen lassen, aber er konnte auch nicht bei ihr bleiben, bis sie verblutet war. “Herrin, der Medicus! Bitte!“
“Cri... Crios... Merca...Traja...“
Leander kannte den Laden, den sie meinte, er hatte sie vor einigen Tagen dorthin gebracht und in der Nähe gewartet, bis sie fertig war. Wenn er geahnt hätte, dass es hierfür war, hätte er anders gehandelt. Aber so nickte er nur und ließ sie los.
Allein lassen konnte er sie nicht, also machte er wohl das einzige, wofür ihm seine Herrin hinterher nicht den Kopf abreißen würde. Er ging los und weckte Serrana.