Beiträge von Iunia Axilla

    Irgendwie hoffte Axilla bei dem ersten Satz des Priesters, dass das bedeuten würde, dass sie hier so schnell nicht mehr herkommen musste. Sie hatte gewiss nichts gegen den Herrn der Unterwelt, aber die Gelegenheiten, ihm zu Opfern, wollte sie doch nach Möglichkeit spärlich erleben müssen. Immerhin hoffte sie, dass der Rest ihrer arg zusammengeschrumpften Gens noch recht lange leben würde, und dass sie keinen Grund haben würde, noch jemanden mit einem so scheußlichen Fluch zu belegen.
    So lächelte sie nur etwas verlegen und wusste nichts darauf zu erwidern. Ein wenig unruhig trat sie ein bisschen von einem Bein auf das andere, damit ihr warm wurde. Die Schuhe anzuziehen traute sie sich noch nicht. Erst, wenn sie wirklich entlassen war und heimgehen konnte. Irgendwie hatte Axilla noch immer Angst, der Gott könnte sonst seine Meinung noch ändern.
    “Gut, es wäre mir schon unangenehm gewesen, da etwas schuldig geblieben zu sein“, gestand sie etwas fröstelnd. Aber zum Glück war das Geld bereits im Vorfeld angekommen, so dass sie sich da keine Gedanken machen musste. Eine Börse hatte sie nämlich im Augenblick nicht dabei. Und sie wollte hier nicht gehen, ehe wirklich alles geregelt war. Aber anscheinend war es das ja, und sie konnten gehen.
    Ein erleichtertes Aufatmen konnte Axilla nicht unterdrücken, ebensowenig wie das ehrliche Lächeln, das der Priester erhielt. “Ähm, nein, ich denke, wir kommen auch so nach Hause.“
    Sie drehte sich leicht um zu den Sklaven, die mit ihnen gekommen waren. Da war Leander. Nicht unbedingt groß. Und stattlich? Naja... mit viel gutem Willen... und einer gehörigen Portion Enthusiasmus... nein, nichtmal dann. Und natürlich Adula, Serranas Schatten. Die war gewiss beides, aber die war kein Mann. Axilla kaute sich kurz frierend auf der Unterlippe, ehe sie sich doch nochmal dem Aedituus zuwandte.
    “Ähm, naja,... vielleicht einen Fackelträger, also, wenn es keine Umstände bereitet und du jemanden hier entbehren kannst. Ich meine, der Ochse kocht sich ja auch nicht von alleine.“
    Nach allem, was Axilla in letzter Zeit widerfahren war, sollte sie etwas vorsichtiger werden. Und einen Tempeldiener als Geleitschutz mitzunehmen, wenn es dunkel war, war vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Von diesen drohte sicher keine Gefahr, auch wenn vielleicht das auch wieder naiv war, zu glauben.


    Sim-Off:

    Habe das Angebot (mit wirklich tollem Angebotstext :D ) dankend angenommen. Ich danke ganz herzlich für das tolle Spiel, es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht.

    Im ersten Moment, als er sie fragte, ob es ihr Ernst war, zuckte Axilla ganz leicht zusammen. Sie fühlte sich schuldig, weil sie ihre Meinung nicht für sich behalten hatte, und war sich ja auch im klaren, dass das das kleine Pflänzchen, das ihre Bekanntschaft war, ganz derbe zertrampeln konnte. Und sie wollte ihm doch eigentlich gefallen. So kaute sie sich etwas verlegen auf der Unterlippe herum und suchte shcon nach den passenden Worten für eine Entschuldigung, als Vala auf einmal anfing zu Argumentieren. Und wie! Kein Argument, nichts ließ er gelten! Alles hebelte er einfach aus und wischte es beiseite. Und er stellte Axilla selbst dabei in Frage.
    Und je länger Axilla ihm zuhörte, umso mehr verflog das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen und machte einer anderen allzu menschlichen Regung Platz: Ärger. Was glaubte der denn, wie er mit ihr reden konnte? Zwischen den Zeilen zu lesen war nicht ihre Stärke? Nun, das stimmte, aber in punkto Höflichkeit hatte er auch einigen Nachholbedarf. Aber das ließ Axilla so sicher nicht auf sich sitzen. Ganz bestimmt nicht! Wie konnte man nur so gegen die Ehre, gegen die Tugenden an sich ja fast schon, wie konnte man SO argumentieren? Das konnte nicht sein Ernst sein.
    “Alexander wäre nur deshalb unglaubwürdig vor seinen Männern dagestanden, da es unehrenhaft gewesen wäre, dieses Angebot anzunehmen. Dareios war König und kein dahergelaufener Wilder. Und wichtiger noch, er war Gast bei seinem Vetter Bessos. Als wäre es nicht schon schändlich genug, einen verwandten zu meucheln, einen Gast zu meucheln ist noch um vieles schlimmer. Es gibt kein Volk, dass nicht die Gesetze der Gastfreundschaft kennt und daher hätte kein Volk es als ehrenhaft angesehen, wenn er sich mit Bessos auf diesen Handel eingelassen hätte. Und es war die gerechte Strafe, dass er dafür, dass er einen Gast unter seinem Dach hat ermorden lassen am Kreuz gehangen ist in der Stadt, in der er diesen Frevel begangen hat.“
    So, sie atmete einmal durch, um mehr Luft zu haben. So argumentiert hatte sie nicht mehr seit... sie wusste nicht, wann sie überhaupt schonmal so sich wegen etwas echauffiert hatte.
    “Und Alexander war ein großer Herrscher, der wahrscheinlich weitreichender geblickt hat, als sein Vater es geträumt hätte. Die Stämme Griechenlands waren andauernd miteinander im Krieg, obwohl sie ja eigentlich demselben Volk angehörten mit denselben Göttern und denselben Geschichten. Makedonien wäre nur ein kleiner Fleck auf der Landkarte gewesen, vielleicht sogar früher oder später ein Vasall von Athen oder Sparta. Es war brillant von Alexander, zunächst die Griechen zu einen, wennauch mit Gewalt, um sie dann gegen einen so alten Feind wie Persien zu führen. Seit ewigen Zeiten nahm das Persische Reich Einfluss auf die griechischen Stadtstaaten. Man denke allein an die Schlacht von Leonidas an den Thermophylen, oder auf dem Feld von Marathon. Die Griechen hatten allen Grund, diese Ehrverletzung, die ihnen von den Persern immer wieder zugefügt wurden, rächen zu wollen. Und es war politisch absolut richtig, die geballte, vereinte Kraft Griechenlands unter einer Herrschaft gegen diesen alten, äußeren Feind einzusetzen. Und die Männer sind ihm gefolgt, bereitwillig, eben um die Ehre ihrer Heimat diesem Feind gegenüber ein für allemal wieder herzustellen. Nicht wegen ihren Geldbeuteln oder dem Brot, was sie als Verpflegung bekamen.“
    Wie konnte er nur das glauben? Meinte er denn, dass jeder Mensch käuflich war? Wenn das so wäre, dann würde Rom wohl weit mehr Auxiliareinheiten befehligen und weniger Legionen, denn mit genügend Geld wäre ihre Treue ja in jedem Fall gesichert.
    “Und vielleicht interessiert den Fährmann nicht, was derjenige getan hat, Pluto ja aber wohl. Und ich kann mir nicht vorstellen, das jeder ehrlose Tyrann oder gar diejenigen, die der damnatio memoriae übergeben wurden, ihren Platz in den elysischen Feldern haben. Die Götter sind launisch, das stimmt, aber ich denke nicht, dass Pluto so ungerecht ist.“ Oder besser gesagt, Axilla wollte sowas nicht glauben. Daher ließ sie es auch nicht gelten. Und das, obwohl sie selbst die meisten Götter als nichtsnutzige Wesenheiten ansah, die in Menschen nicht viel mehr sahen als ein Kind in einem Ameisenhaufen.
    “Und vielleicht ergreift ein Soldat das Schwert, weil es ihm Geld bringt, vielleicht sogar später die Möglichkeit, ein eigenes Stück Land zu haben und eine Familie, ein wenig Wohlstand, die er sonst nicht erlangen würde. Aber dieser Wille gewinnt keine schlachten. Nichtmal der Wille, seine eigene Haut lebend wieder nach Hause zu tragen, gewinnt wirklich Schlachten. Aber für Ehre tun sie es. Für den Ruhm, einen Augenblick unsterblich zu sein. Und sie laufen nicht weg, weil es ehrlos wäre, weil ihre Kameraden sich auf sie verlassen, weil das Imperium sich auf sie verlässt!“
    Und da fiel ihr noch etwas ein, die Trumphkarte des Argumentierens sozusagen, so dass ihre Augen ganz aufgeregt zu leuchten anfingen, als es ihr eingefallen war.
    “Oh, oh!“ Kam als erste, hektische Erwiderung gleich, damit Vala nicht noch was sagte und es ihr wieder entglitt. “Und dass Menschen nicht käuflich sind, dafür haben die Germanen doch ein sehr gutes Beispiel abgegeben! Arminius hätte ein wundervolles Leben in Rom haben können, hat auch eines geführt. Und trotzdem ist er nach Germania gegangen zu seinen Landsleuten und hat Varus mitsamt seinen Legionen vernichtend geschlagen! Und er konnte nicht hoffen, das ganze römische Reich dadurch in die Knie zu zwingen und er konnte auch nicht hoffen, dort ein ebenso komfortables und angenehmes Leben zu führen. Und auch, wenn er vielen Römern als Verräter gilt, war es nicht vielleicht seine Ehre, die ihn letztendlich doch wieder in seine Heimat geführt hat, um an der Seite seines Volkes zu kämpfen?“
    Hah! Das musste er jetzt erstmal entkräftigen!

    Als er ihr die Hand so seltsam entgegenhob, wollte Axilla sie schon gewohnt mit Pferdehandel-Schüttel-Griff ergreifen. Sie hatte noch nie, nie, NIE einen Handkuss bekommen, und so war sie etwas perplex, als sie nach seiner Hand griff, er sie plötzlich zu seinem Mund zog und einen Kuss darauf hauchte. Sie kam sich plötzlich so begehrenswert vor, weil es eine so sanfte und schmeichelnde Geste war, und auf der anderen Seite kam sie sich unglaublich trampelig vor, weil sie das nicht erwartet hatte und wie ein Viehhändler eigentlich einschlagen hatte wollen.
    Ein wenig perplex stand sie also noch da und bekam gar nicht mit, wie Sermo noch Libo begrüßte – diesmal aber ohne Handkuss. Und auch nicht ganz so charmant. Und keine Sekunde später wandte er sich auch schon an Axilla, um ihr anzubieten, sie vorzustellen. Sein schon angebotener Arm war Rettungsanker und Befehl zugleich, und Axilla schaute kurz fragend erst zu dem Quintilier, dann einmal etwas entschuldigend zu dem Iulier, ehe sie sich etwas zaghaft einhakte.
    “Wir können ja einmal sehen, ob sie denn Zeit haben. Ich will mich ja nicht aufdrängen.“ Axilla zupfte kurz an einer Falte seiner Toga, um zu testen, ob die auch wirklich saß. Nicht, dass die gleich beim Gehen zu ihr runterrutschen würde, und sie wäre schuld. Außerdem hatte sie noch nie an einer rumgezupft und da war diese kleine Spielerei ganz interessant, und es war ja auch nur eine kleine Geste.
    “Wir sehen uns sicher später noch, Iulius“, meinte sie noch zu Libo und zog Sermo auch schon fast einen Schritt weiter, ehe der es sich noch anders überlegte. Er erschien Axilla die bessere Konversation, und wenn er sich doch als genauso seltsamer Gesprächspartner herausstellte, konnte sie immernoch mit einer fadenscheinigen Entschuldigung wie nun schon das zweite Mal an diesem Abend flüchten.

    Verdammt, sie hatte es versaut. Während sie Vala aufmerksam zuhörte, wusste Axilla, sie hatte es versaut. Gründlich versaut. Selbst ihr Versuch, das Thema zu wechseln, war nicht gerade ruhmreich vonstatten gegangen. Axilla schaute etwas geknickt auf den Tisch, überlegte, wie sie es doch noch retten könnte. Wie sie es vielleicht doch noch so hinbiegen könnte, damit sie ihm gefiel. Sie wollte ihm ja so unbedingt gefallen.
    Aber als er dann die Ehre der Toten in frage stellte, rührte sich etwas in ihr, und sie sah kurz auf. Natürlich versuchte sie zu verbergen, dass er sie damit kurz erwischt hatte, dass es sie reizte, darauf zu antworten. Sie sollte ja nicht vorschnell sein, und schon gar nicht frech. Sie wollte doch so lieb und ruhig und brav und gut sein wie ihre Cousine. Edel, nobel, wie ein Mann sich seine Frau eben wünschte. Sie holte kurz Luft, um etwas zu sagen, aber sie wusste nicht, was. Es gab nichts zu sagen, was das gesagte ungeschehen machen würde. Und sie wusste nicht, was sie sagen sollte, damit er sich nicht mehr ärgerte.
    Ehre, Ruhm... bei ihm klang es, als wäre das etwas schlechtes! Aber das war es nicht! Nein, das war es nicht. Axilla schaute noch immer auf den Tisch. Ruhig, lieb... war sie das? Für ihn wollte sie es sein, aber war sie das?
    “Dareios war tot, lange bevor Alexander nach Indien kam. Ermordet von seinem eigenen Verwandten, Bessos. Um ihn zu fangen und zu besiegen hat er vielleicht Persien eingenommen, um seinen Mord zu rächen dann Medien und Baktrien. Aber nach Indien zu gehen, dafür gab es außer der Ehre keinen triftigen Grund.“
    So, wenn sie es schon mit ihm versaute, sollte er sie wenigstens nicht für ein einfältiges Huhn halten. Und das mit der Ehre wollte sie nicht so auf sich sitzen lassen.
    “Er hätte sein Imperium, dass er nach Bessos' Kreuzigung hatte, in Ruhe befestigen und ausbauen können, hätte von Babylon oder auch von Pella aus. Wahrscheinlich wäre das sogar klüger gewesen, denn seine Leute wollten heim, was sich auch daran zeigte, dass es in Indien einige Aufwiegler gab, die Alexander hinrichten musste, ehe er seinen Feldzug fortsetzen konnte. Bestimmt sogar wäre er dennoch in die Geschichte eingegangen mit seinen Heldentaten.
    Und dennoch entschied er sich für den Weg der Helden, die er verehrte. Auch Achill wurde vorhergesagt, ginge er nach Troja, würde nur sein Ruhm überleben, er aber nicht. Ich weiß nicht, ob Alexander ebensolche Prophezeiungen für sich hatte, wo er doch dem Griechischen Heroen so nacheiferte. Ob er wusste, dass er jung sterben würde, oder ob ihn nur sein Ehrgeiz dazu trieb. Aber ihm war es das wert, nur für die Ehre.“

    Ihr Vater hatte ihr Stunden, achwas, nächtelang von Alexander erzählt, von seinen Schlachten, seinen Wegen, seinen Worten. Axilla hatte wohl kein Buch so oft gelesen wie das des Plutarch über Alexander. Und so sprach sie auch mit jugendlichem Eifer einfach immer weiter, ohne über die Genauigkeit ihrer Argumente nachzudenken. Sie war nunmal kein Redner – und hätte wohl das Buch, das sie Vala geschenkt hatte, selber mal gründlich lesen sollen – sondern eher ein leidenschaftlicher Verfechter ihrer Idealvorstellungen. Aber da konnte sie auch nicht aus ihrer Haut.
    “Und ich denke, dass es die Toten sehr wohl kümmert, ob sie in Ehren gehalten werden oder nicht.
    Wenn man sein Geld verliert, verliert man wenig. Verliert man sein Heim, verliert man mehr. Verliert man den Mut, verliert man viel. Verliert man die Ehre, verliert man alles. Ohne Ehre, was ist man denn dann noch? Was bleibt den Toten denn, außer ihre Ehre? Warum wollen Männer dann Söhne haben, die ihren Namen weitertragen?“

    Ein wenig in Schutzhaltung, weil sie schon eine heftige Reaktion erwartete, zog Axilla nun doch die Knie an, stellte die Füße auf den Rand der Kline und hielt mit einem Arm ganz leicht die Beine umschlungen, während ihr Kopf fast schon ruhig auf den Knien ruhte. Sie wollte ja eigentlich gar nicht so viel reden, aber sie konnte einfach nicht aufhören.
    “Ehre und Ruhm sind vielleicht schlechte Ratgeber, weil sie einen zu Dingen treiben, die schlecht für einen sind. Aber trotzdem finde ich sie sehr wichtig.“

    Sie ergänzten sich gut? Hatte er das grade wirklich gesagt? Und meinte er das auch so? Axillas Herz klopfte aufgeregt, und sie versuchte, es zu beruhigen, sich auf diesen Satz nicht zu viel einzubilden. Vielleicht meinte er ja wirklich nur, dass sie genau aus den entgegengesetzten Teilen der Welt kamen und weiter gar nichts. Aber... das war doch schonmal ein Anfang! So konnte man sich doch schonmal ein wenig unterhalten und austauschen und... nein, sie sollte nicht zu vorschnell sein.
    Risiko, genau, Risiko, da konnte sie anknüpfen. Irgendwas sagen, etwas intelligenteres als das bisher. Komm schon Axilla, himmel ihn nicht einfach nur an, sag was. “Aber findest du nicht, dass manche Reisen das Risiko wert sind? Ich meine, es gibt vieles, woran man auf einer Reise sterben kann. Allein schon die ganzen Überfälle, oder die Schiffe, die sinken. Aber wenn nie jemand reisen würde, dann bestünde das Imperium ja immernoch nur aus dieser Stadt. Oder wäre gar nicht erst entstanden, Aeneas kam ja aus Troja.“ Wenn man mal von dieser Gründungssage ausging, dann lag den Römern das Reisen in unbekannte Gestade wohl irgendwie im Blut. “Oder Alexander, der bis nach Indien gekommen ist, auf den Spuren von Hercules und Dionysos.“ Da der griechische Gott des Weines nicht ganz dem Liber Pater der Römer entsprach, dachte Axilla gar nicht so genau darüber nach, dass sie seinen griechischen Namen verwandt hatte. “Also, ich finde, manche Reisen sind das Risiko durchaus wert, für die Ehre und den Ruhm.“
    Sie sah Vala ganz ruhig an, bis sie realisierte, dass sie ihm gerade widersprochen hatte. Verdammt, das wollte sie doch gar nicht! Man konnte wohl kurz in ihren Augen lesen, wie sie nach den richtigen Worten suchte. “Also, ich meine, jetzt so prinzipiell und theoretisch. So persönlich und nur für mich... also, ich muss ja nirgends wichtiges hin, und... ich bin ja auch niemand so … bedeutendes....“ Verdammt, warum konnte sie nicht einfach schweigen? Si tacuisses, philosophus manisses. Hättest du geschwiegen, wärst du ein Weiser geblieben. Aber nein, sie musste ja ihre unwichtige Meinung kundtun!


    Da halt auch nicht, dass er so selbstsicher und souverän auf ihre andere Frage geantwortet hatte. Er würde seine weiblichen Verwandten übertreffen, und Axilla glaubte ihm. Aber das machte das ganze ja noch viel schlimmer, immerhin hatte sie gerade konstatiert, dass wichtige Männer auch reisen würden, weil es das Risiko wert sei. Wenn er folglich nicht reisen wollte, implizierte das doch, er sei unwichtig! Ich und meine große Klappe. Verdammt, Axilla!
    Sie brauchte irgendwas, wohin sie sich thematisch flüchten konnte. Etwas unverfängliches, etwas, das ablenken würde, etwas....
    “War dir dein Lehrer eigentlich sehr böse, dass du ihn weggeschickt hast?“
    Eine Millisekunde, nachdem der Satz gefallen war, bereute Axilla ihn schon wieder, aber etwas besseres war ihr nicht eingefallen, um abzulenken und das Thema von ihr und ihren Ansichten mehr zu ihm und seinen Ansichten zu lenken.

    Da schien es ihrem Gesprächspartner doch glatt die Sprache verschlagen zu haben. Das war schon ein komischer Geselle, und so wirklich herausgefunden, was er von ihr wollte, hatte Axilla immernoch nicht. An die eine kleine Sache, dass er genauso wie sie eine Zeit seines Lebens in Ägypten verbracht hatte, glaubte sie nämlich noch immer nicht. Aber wenn das seine Art zu Flirten war, dann fand Axilla sie wirklich sehr, sehr merkwürdig. Dann hätte er sich eine bessere Geschichte ausdenken müssen, die nicht so an den Haaren herbeigezogen klang. Von daher hatte sie keine Ahnung, was er wollte, und was er meinte, was er falsches gesagt haben könnte, konnte er auch nicht erklären.
    Axilla überlegte schon, wie sie wieder zurück zu Serrana gehen könnte, ohne dass es unhöflich wäre. Andererseits war da ja auch wieder der Stotterer! Ob der wieder einen Schweißausbruch bekam, wenn sie näher kam? Das wollte sie ja auch nicht, war sie doch hierher gegangen, damit der seine Ruhe hatte und vielleicht mit den anderen ein vernünftiges Gespräch führen konnte.
    Aprospos andere, wo waren die denn jetzt auf einmal? Axilla sah sich kurz nochmal nach der Cousine um, aber Serrana stand nichtmehr da, wo sie eben noch gestanden hatte. Und auch Germanicus Sedulus war weg! Verflixt noch eins, da schaute man eine Sekunde nicht hin, und schon waren sie verschwunden! Nichtmal mehr Romana war dort, wo sie gerade noch gestanden, sondern war fast in ihrer Nähe bei einer älteren Frau. Kurz zuckte Axilla, als sie die Frau als Serranas Großmutter wiedererkannte. Oha, da hatte sie ja wohl Glück, dass die Vestalin sich mit der unterhielt, allen Anscheins nach wollte diese nämlich grade in Richtung Kuchen und damit in ihre Richtung. Wobei andererseits... sie kannten sich ja nicht, was also sollte die Frau schon gegen sie haben?
    Dennoch wollte Axilla lieber sichergehen und sich bei Libo mit einer fadenscheinigen Ausrede entschuldigen und auf die Suche nach Serrana begeben, als plötzlich jemand sie begrüßte. Ein junger Mann mit lustigem Bärtchen redete sie wie ganz selbstverständlich an und fragte, ob er was verpasst hatte. Im Gegensatz zu ihm erkannte Axilla ihn allerdings nicht wieder. Bei dem Opfer an Pluto hatte sie andere Sorgen gehabt, als sich die Leute anzuschauen, die auf dem Tempelplatz waren, und von denen, die sie sich angeschaut hatte, hatte sie ohnehin die Gesichter vergessen. Viel zu aufgewühlt war sie damals gewesen und zu euphorisch, dass der Gott ihr Opfer angenommen hatte.
    Sie schenkte dem Fremden doch ein 'Mein Retter'-Lächeln, bot er doch die Möglichkeit, das etwas seltsame Gespräch auf eine elegantere Art und Weise abzubrechen.
    “Verpasst? Nein, ich glaube, nicht wirklich. Bis auf die Eröffnung des Büffets ist eigentlich noch nichts passiert. Oh, und die beiden Verlobten sind eingetroffen, aber die kenne ich um ehrlich zu sein beide nicht.“
    Er roch nach irgendwas, was Axilla nicht kannte. Lavendel war dabei, den kannte sie von den Feldern rund ums Haus in Tarraco, aber das andere... es roch nicht schlecht. Aber sie wusste nicht, was es war. Fast kam sie sich ein wenig unvorbereitet vor, da sie höchstens noch nach Resten des Blütenöls vom Bad duftete. Aber naja, sie waren ja alle nicht hier, um aneinander wie Hunde zu schnüffeln. Trotzdem weckte es ein wenig Axillas neugier, und sie musste an sich halten, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und nachzufragen. “Ich bin Iunia Axilla“, stellte sie sich vor und hatte ihren alten Gesprächspartner im Moment völlig vergessen.


    Sim-Off:

    Ja, ist es :)

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    Bei der Tür stand schon Adula und wartete. Leander schaute etwas verwirrt zu der Sklavin, hatte er doch gehofft, Serrana könnte das ganze für sich behalten. Wenn diese Geschichte hier Wellen schlug, dann musste Leander bestimmt ordentlich schwimmen, wollte er nicht ersaufen. Er hatte keine Ahnung, was Silanus wohl machen würde, wenn er es herausbekäme. Vielleicht würde er ihn verkaufen, um seine Herrin zu strafen, oder solche Spielchen.
    Den Weg hierher hatte er den guten Crios ganz schön gehetzt, hatte den Schritt immer schneller werden lassen, solange der Arzt mithalten konnte. Er hatte sich redlich beeilt. Erst hier an der Tür hielt er an und wandte sich nochmal an seinen Landsmann. “Im Haus müssen wir leise sein. Die Herrin Serrana wird bei meiner Herrin wohl sein, aber wir sollten möglichst sonst niemanden mehr wecken.“
    Er hatte keine ahnung, ob Crios das verstand oder sich gleich echauffieren würde, aber er hätte es zumindest versucht. Und sogleich leitete er den jungen Arzt auch direkt bis zum Cubiculum seiner Herrin.


    Axilla unterdessen hatte es größtenteils aufgegeben, Serrana wegschicken zu wollen. Sie konnte nicht lange genug an sich halten, um einen vernünftigen Satz rauszubringen, so dass es nur zu vermehrten “Nicht“-s und “Nein“s reichte. Inzwischen zuckte ihr Körper immer wieder vor nicht enden wollendem Schmerz zusammen, und ein Teil von Axilla flehte um eine süße Ohnmacht, der das hier beenden würde. Sie hasste es, so schwach zu sein, nicht mehr erdulden zu können, aber es tat so unendlich weh. Und keine Position, kein Druck, keine Willensanstrengung half, davor zu entfliehen. Und sie fühlte sich so elend und schwach, selbst das Atmen ging nur gepresst und fast hechelnd wie bei einem Hund.
    Irgendwann sah sie dann das vertraute Gesicht von Leander vor sich. Er beugte sich über sie und sagte etwas. Hörte sich an wie “Der Medicus ist hier, domina“, aber sie war sich nicht sicher, ob das nicht nur ihrer Phantasie entsprungen war, die wollte, dass ein Arzt hier sei und all das hier beenden würde.

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    Der Mann schien schlagartig wach zu werden und sah sich Leander kurz an, als sähe er ihn erst jetzt. Und dann fragte er auch schon nach seinem Namen. Kurz stutze der Grieche, hatte er ja nicht geglaubt, dass der Medicus ihn kennen würde, wo er ihn doch im Gegenzug nicht kannte. “ Ja, der bin ich, aber... hey? Hey! Was...?“
    Verschwand der Kerl einfach wieder! Leander war versucht, ihm hinterherzugehen und ihn mitzuziehen, aber da hörte er es auch schon räumen und verstauen. Ungeduldig tippte er leicht mit einem Fuß und besah sich noch einmal die nachtdunklen Straßen um sich herum. Hier direkt am Markt war noch relativ viel Verkehr mit den ganzen Gespannen und damit auch viele Leute unterwegs. Eine Tatsache, die ihm im Moment gar nicht passen wollte, sah er doch in jedem der Männer einen potentiellen Angreifer. Oh, Leander war nicht feige, das ganz sicher nicht, aber er war nunmal kein Kämpfer und hatte auch keine Veranlagung dazu.
    Endlich kam Crios wieder, eine gepackte Tasche umgehängt, und fragte nach dem Weg. Endlich! Hatte ja lange genug gedauert.
    “Hier lang. Und wir sollten uns beeilen, es geht meiner Herrin wirklich sehr schlecht.“ Manche Ärzte trödelten ja gerne, um ihre Wichtigkeit zu unterstreichen und ihre Würde, diesem Berufsstand anzugehören. Aber heute nicht, heute würde Leander alle Hebel in Bewegung setzen, dass dieser Arzt möglichst schnell in der Casa Iunia ankam.



    LEIBSKLAVE - IUNIA AXILLA

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    Unter anderen Umständen hätte Leander den Mann, der ihm die Tür geöffnet hätte, wohl gemustert. Es wäre ihm wohl aufgefallen, dass sie einander vom Typ her ähnlich waren, dass der Fremde nur etwas unrasierter und vielleicht ein wenig rauer war. Es wäre ihm aufgefallen, dass er gut aussah. Aber die Umstände waren nicht anders, und Leander sah nur, dass die Tür nach scheinbar endlosem Klopfen endlich geöffnet wurde und sah den verschlafenen Mann fast schon böse an. Wie konnte der nur so trödeln, wo doch vielleicht jeder Augenblick zählte?
    “Bist du Crios, der Medicus?“ fragte Leander etwas unwirsch, weil er sich jetzt nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten wollte. Normalerweise war er ja ein durchaus höflicher Zeitgenosse, der nie aufbrausend wurde und nie die Stimme erhob. Aber im Moment war er voller Sorge um seine Herrin, und das schlug ihm deutlich aufs Gemüt. “Dann pack deine Tasche und komm mit.“ Leander hatte nicht vor, hier ein langes Schwätzchen zu halten und zu betteln. Notfalls würde er besagten Crios, so er seiner habhaft werden konnte, auch quer durch die halbe Stadt schleifen, solange er nur seiner Herrin helfen würde.

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    Es war mitten in der Nacht, und Leander war es alles andere als Wohl dabei, allein durch die Straßen zu hetzen. Immer wieder hörte man von Räubern, die einen einfach niederschlugen, nackt auszogen und in den Tiber warfen. Und er war kein Kämpfer. Gut, natürlich trug er dann eine Waffe, wenn er seine eigensinnige, junge Herrin auf ihren Streifzügen bewachte, aber... er war kein Kämpfer. Und jetzt,allein, im Dunkeln, direkt am Trajansmarkt war ihm das mehr als üblich bewusst.
    Einige Fuhrleute waren schon unterwegs, war es Tagsüber doch verboten, damit in der Stadt herumzufahren. Mehr als einem Ochsengespann musste der Grieche ausweichen, eines hätte ihn ohne weiteres überrollt, wäre er nicht hastig weitergehechtet. Die Fuhrleute, grimmige Gesellen mit gemeinen Gesichtern, schauten ihn an, als wollten sie ihn gleich verschlingen. Er versuchte, mit einem „Was ist?“-Blick zurückzuschauen und möglichst unauffällig weiterzugehen. Nur keine Schwäche zeigen, sich selbst nicht zur Beute machen.
    Dennoch war er heilfroh, als er die Taberna erreicht hatte. Ungeduldig und laut hämmerte er gegen die Tür. “Aufmachen, ich brauche den Medicus!“ verlangte er in rhythmischen Abständen, ohne dabei in seinem Hämmern gegen die Tür innezuhalten. Immerhin ging es um Leben und Tod.

    Nein! Warum hatte er das getan? Warum hatte er Serrana geweckt?
    Unfähig, darauf richtig zu reagieren und sie wieder ins Bett zu schicken, lag Axilla zusammengekrümmt da, beide Hände auf ihren Unterleib gepresst und leise und hoch wimmernd. Als Serrana näher kam, schlug Axilla einmal ganz leicht mit dem Fuß, zu einer anderen, abwehrenden Bewegung nicht fähig, aber offenbar blieb das unbemerkt. Sie versuchte, sich auf die Knie zu rollen, um im Bett voranzukommen. Sie wollte nicht dass die Cousine sie so sah. Serrana hätte von all dem hier nichts mitbekommen sollen. Das hier war Axillas Angelegenheit! Ihre ganz alleine. Ihre Schuld, und sie musste da durch! Nicht ihre süße Cousine, die von den Lastern da draußen keine Ahnung hatte. Sie wollte von ihr wegkrabbeln, aber sie konnte sich nicht einmal bis auf die Knie rollen, ehe sie mit einem lautlosen Schrei wieder zurücksackte und sich nicht bewegen konnte.
    Die Nadeln in ihrem Leib drehten sich und rührten in ihren Eingeweiden herum, verätzten alles wie grüne Säure und ließen ein hilfloses Stöhnen über ihre Lippen kommen. Serrana fragte, was sie hatte, und die Worte brannten beinahe ebenso. Axilla wollte doch nicht, dass sie wusste, was sie hatte. Nichts! Es ist nichts! Geh wieder schlafen! schrie sie im Geist, aber von ihren Lippen kam nur ein leises Wimmern. Und dann war die Cousine auch schon im Bett, schickte Leander endgültig los und nahm ihren Kopf auf den Schoß. Serrana kommandierte noch irgendwen herum, und Axilla gab einen hohen Fiepslaut von sich. Nein, nicht noch mehr. Es soll keiner wissen! Nicht noch mehr wecken. Bitte...! Aber sie konnte sie nicht aufhalten. Haltlos schluchzte sie und weinte wegen ihrer Unfähigkeit, während sie die Beteuerungen von Serrana hörte, die sie sanft streichelte.
    “Nicht...“, brachte sie schließlich als artikuliertes Wort heraus, während ihr Körper in leichten Krämpfen zu zucken anfing. Ihr war so schlecht, aber sie wollte sich nicht übergeben. Auf gar keinen Fall wollte sie sich übergeben, wo sie gerade auf Serranas Schoß lag. Unter gar keinen Umständen...
    Sie ruckte gerade noch so von Serranas Knien runter, als sich ihr Magen recht geräuschvoll auf die Bettdecke vor ihr entleerte. Nur brachte dies auch keine Erleichterung, im Gegenteil, nun schien sich das Feuer in ihren Eingeweiden bis in ihre Speiseröhre ausgebreitet zu haben, als würde ihr Körper von innen heraus regelrecht zerfressen und alles, nicht nur das ungewollte Kind, würde hinausgespült.

    Dass es gar nicht Iuno war, sondern ihre eigene Blödheit, die sie hier so quälte, konnte Axilla nicht wissen. Sie versuchte nur, sich aus den Armen dieses fremden Mannes zu befreien und heimlich, still und leise wieder zu entschwinden, als das passierte, was sie schon eine Weile befürchtet hatte. Der Mann hinter ihr gab ein gurgelndes, schnappendes Geräusch von sich, und wachte auf.
    Erschrocken ließ er sie los und rutschte etwas weg von ihr. Als so plötzlich die Umarmung wegfiel, sie aber immernoch an der Kante lag und sowieso ganz erschrocken und damit bis zum zerreißen gespannt war, fiel Axilla erstmal nach vorne aus dem Bett. Auf dem Boden gab es ein dumpfes Geräusch, begleitet von einem kleinen, gezischten “Aah!“, und Axilla hörte das verwirrte Nachfragen einer ihr unbekannten Stimme.
    Sie hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder sie erklärte sich, versuchte die Situation durch Worte aufzulösen und zu entschärfen und nahm damit in Kauf, bestraft oder schlimmer, öffentlich gebranntmarkt zu werden. Oder aber sie lief jetzt ganz schnell, hoffte, dass der Mann an einen Traum glaubte oder schlicht nicht schnell genug auf den Beinen war und draußen kein Prätorianer unterwegs war. Sie brauchte ungefähr 0,137 Sekunden, um eine Entscheidung zu treffen.


    Sie rappelte sich flink auf, stolperte nochmal über die vorhin so achtlos fallengelassene Decke, knallte nochmal auf Hände und Knie, schnappte sich mit einem gezischten “Mierda“ eben jene Decke, und spurtete los. Erstaunlicherweise erinnerte sie sich genau an die Position der Tür, die mit einer hastigen Bewegung geöffnet und mit einer noch viel hastigeren wieder hinter ihr zugezogen war. Dabei klemmte sie einen Zipfel der Decke ein, so dass sie kräftig an dem Stoff ziehen musste. Die Ecke riss, ein Fetzen blieb an der Tür hängen, und Axilla konnte ihre Flucht fortsetzen.
    Da sie aber keine Ahnung hatte, wohin sie musste, um zurückzukommen, und weil sie immense Panik hatte, gleich vom nächsten Prätorianer aufgegabelt und an den Haaren zurückgeschleift zu werden, flitzte sie einfach ein paar Türen weiter, und schlüpfte lautlos, aber mit bis zum Hals schlagendem Herzen, durch eine Tür. Sie betete nur, dass dort nicht wieder jemand war, vor dem sie gleich flüchten müsste. Sie wollte ja nur an der Tür lauschen, ob sie der Gefahr jetzt entkommen war.

    Ein kleines Wort, und doch bedeutete es so viel. Litatio! Das Opfer wurde angenommen. Der große Gott war zufrieden. Axillas Blick wandte sich erlöst den Sternen über ihr zu, der Leere dazwischen, dem samtenen Schwarz. Noch immer war ihr kalt und übel, noch immer war die Präsenz des Gottes deutlich spürbar für sie. Und dennoch wärmte sie das Gefühl der Erleichterung und nahm eine Last von ihrem Herzen. “Danke, Pluto“, flüsterte sie leise dieser Schwärze zu und hatte keine Angst, den Gott bei seinem Namen zu nennen. In diesem Moment fühlte sie sich ihm mehr verbunden als jeder Frühjahrs- oder Festtagsgottheit, überhaupt mehr zugetan als jedem Wesen.
    Der Priester gab ihr ein Zeichen, das Axilla mit ihrem nach oben gerichteten Blick beinahe nicht bemerkt hätte. Sie musste sich mühen, langsam und würdevoll zu ihm zu schreiten und nicht hinüberzuhechten in jugendlichem Eifer und der Freude über das angenommene Opfer. Aber das leise Lächeln, das um ihre Lippen spielte, konnte sie nicht mit noch so viel Mühe in gebotenen Ernst umwandeln.
    Sie stand neben Caecus Niger und sah zu, wie er nach und nach die Fleischstücke zum Verbrennen in das Feuer legte. Jedes Mal zischte es kurz auf, als das Wasser verdampfte, in dem die Stücke gekocht worden waren, und jedes Mal stieg ihr so der Duft von Essen in die Nase. Ihr Magen rebellierte wieder, und sie musste stark an sich halten, sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben. Eigentlich war der Fleischgeruch nicht unangenehm, aber vermischt mit der Aufregung, dem Weihrauch, den beißenden Kräutern und dem Umstand, dass ihr Magen momentan andauernd etwas fand, was ihm nicht gefiel, musste sie einmal kräftig Schlucken, damit ihr Stolz alles drin behielt, was nicht nach draußen kommen sollte. Wenigstens aber löschte dies das Lächeln aus.
    Schließlich war alles verbrannt, und der Aedituus nahm noch einmal den Pinsel zur Hand, um alle mit Wasser zu besprengen und zu reinigen. Gnädigerweise verwendete er einen besonders kräftigen Spritzer auf Axillas Wange, wo das Ochsenblut mittlerweile angetrocknet war, so dass sie es, als er weiter ging und die anderen besprenkelte, mit dem Handrücken wegwischen konnte.


    Es waren nur wenige Leute auf dem Vorplatz des Tempels, die stehen geblieben waren und gewartet hatten. Die meisten davon sahen wie Peregrine aus, die nun darauf spekulierten, ein Stück von dem Fleisch des Ochsen abzubekommen. Weiter hinten saß noch ein Römer auf einer Bank, aber Axilla hatte weder die Zeit noch die Muße, ihn jetzt näher zu betrachten. Erst galt es noch, das hier vernünftig abzuschließen. Und Serrana wollte bestimmt heim, immerhin war es schon dunkel geworden.
    Sie wandte sich an den Priester und hielt ihm mit offenen Handflächen noch das Opfermesser entgegen, dass sie die ganze Zeit noch seit der Weihung des Ochsen in Händen gehabt hatte. Irgendwie hatte sie wohl die Stelle verpasst, an der sie es hätte zurückgeben müssen, oder aber es war so richtig, was sie nicht wusste. In jedem Fall konnte sie es nicht behalten.
    “Ich danke dir und dem Tempel für die Hilfe. Hat mein Diener das Geld schon vorbeigebracht, oder ist noch etwas offen?“ Schulden bei so etwas zu machen wollte Axilla in gar keinem Fall. Also fragte sie sicherheitshalber lieber noch einmal nach.
    “Wird meine Anwesenheit bei der Verteilung des Fleisches noch benötigt, oder... war's das?“ fragte sie dann auch noch sicherheitshalber nach. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, sie wolle hier unbedingt schnellstmöglich weg, aber ein bisschen Sorgen um Serrana machte sie sich schon. Außerdem war es wirklich kalt.

    Sie fühlte die Bewegung, als er zu ihr herunterschaute. Ob er sah, dass sie weinte, wusste Axilla nicht. Sie wagte nicht, zu ihm hochzublicken und damit noch zu bestätigen, was er vielleicht vermutete. Piso antwortete ihr mit träger, schläfriger Stimme, dass er nicht schlafen wolle. Er wollte noch etwas wissen. Nur was, das sollte Axilla nicht mehr erfahren, denn seine Stimme wurde immer langsamer und verschlafener, bis er schließlich ruhig dalag. Axilla blieb noch liegen, lauschte, ob er nicht doch wach war.
    Die Geräusche der Straße und des Schankraumes unten übertönten den leisen, gleichmäßigen Atem von Piso. Axilla blieb noch eine ganze Weile liegen, bevor sie sich sicher war, dass er wirklich eingeschlafen war. Ganz behutsam entschlüpfte sie seinen Armen und krabbelte aus dem Bett. Ängstlich schaute sie, ob sie ihn geweckt hatte, aber er schlief noch immer. Er lag da wie tot, und hätte sich seine Brust nicht ab und an bewegt, Axilla hätte es mit der Angst zu tun bekommen.
    Sie fror. Völlig nackt an einem Morgen des gerade angebrochenen Dezembers (der es ja zu diesem Zeitpunkt noch war) und so kurz nach ihrer Ankunft aus Alexandria war ihr fürchterlich kalt. Sie suchte ihre Kleidung, die etwas achtlos neben das Bett geworfen worden war. Eine Fibel war kaputt und schloss nicht mehr richtig, und auch einige Haarnadeln waren nicht auffindbar. Axilla hatte nicht die Zeit und nicht den Mut, ausführlicher danach zu suchen. Sie schlüpfte in ihr Kleid, so gut es ging. Die kaputte Fibel wurde mit Nachdruck so gut es ging geschlossen. Axilla stach sich dabei leicht in den Daumen, so dass es eine Winzigkeit blutete, aber das machte ihr nichts. Solange es halten würde, sollte es gut sein. Mit ihrer Frisur hielt sie sich gar nicht erst auf, sondern versteckte das zerstrubbelte, braune Haar unter der Palla, die sie sich auch weit vor in die Stirn zog. Sie schämte sich und wollte am liebsten im Boden versinken.
    Immer wieder glitt ihr Blick ängstlich zum Bett, ob sie auch ja nicht Piso weckte. Sie wollte nicht, dass er aufwachte, dann konnte sie sich nicht mehr hinausschleichen. Aber sie wollte sich nicht der ganzen Wahrheit stellen. Sie wollte lieber fliehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Und bei ihrem nächsten Treffen, so es denn eines gab, würde sie einfach dasitzen und lächeln und so tun, als sei nichts weiter gewesen. Ja, sie würde das ganze hier einfach ganz und gar vergessen. Das war eine ausgezeichnete Idee. Von dem, was hier geschehen war, musste niemals jemand erfahren. Wiederholen würde es sich nicht, niemals, warum also es irgendwie die Zukunft beeinflussen lassen?
    Aber er wachte nicht auf, auch nicht, als sie ihre Schuhe überzog und ein letztes Mal zurückschaute. Sie hatte ein sehr seltsames Gefühl dabei, ein wirklich sehr seltsames. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr dasselbe zweimal passieren könnte. Sie wollte nur hoffen, dass es nicht noch ein drittes Mal passieren würde. Sie stand noch einen Moment an der Türe, schaute zu ihm herüber, dachte über alles nach, was sie tun sollte, was sie fühlen sollte, und wie elend es von ihr war, das alles nicht zu tun und nicht zu fühlen. Vielleicht stimmte es ja doch und sie war ein schlechter Mensch.
    Sie zupfte noch einmal die Palla zurecht, zog sie vor bis vor Nase und Mund wie einen Schleier, hinter dem sie niemand erkennen sollte, und huschte leise hinaus. Durch den Schankraum, ohne irgendwen anzublicken oder sich ansprechen zu lassen, und weiter hinaus auf die Straße und schleunigst nach Hause. Am besten da gleich ins Bad und die letzte Nacht abwaschen. Sich rein waschen, schrubben, jede Verfehlung wegwischen. Ja, genau das wollte sie tun. Und wenn jemand fragen würde, wo sie so lange war, lügen. Darin, die Wirklichkeit zu ihren Gunsten zu verbiegen, selbst vor ihr selbst, war sie gut.

    Jetzt im Spätwinter, kurz vor Anbrechen des Frühjahrs, war es schon früh dunkel und der Anbruch der Schlafenszeit verschwamm in der Ungenauigkeit der langen Dämmerung. Obwohl alles in ihr schon in Erwartung des folgenden unruhig und angespannt war, legte sich Axilla ins Bett und überließ Leander einen bequemen Platz an der weich gepolsterten Fensterbank, wo man besonders schön Gedichte lesen konnte. Nur im Moment gab es nichts zu lesen, und keine Sonne schien durch das lichte Fenster. Lediglich das schwache Licht des zunehmenden Mondes spendete etwas Helligkeit neben der kleinen Öllampe auf dem Tischchen, deren gelbe Flamme unheilig und unruhig flackerte.
    Axilla lag auf dem Rücken und starrte hoch zur Decke, die in dem schwachen Licht ihr blau erschien. Was, wenn es nicht funktionierte? Was, wenn all das, was sie durchgemacht hatte, um sich selbst zu überzeugen, dass es notwendig war, umsonst war, weil Crios ihr ein unwirksames Mittel gegeben hatte? Wenn einfach nichts passierte? Wohin könnte sie dann gehen, um doch noch an ihr Ziel zu gelangen? Sie kannte sich hier nicht aus, kannte nicht die Kräuterweiber mit ihren Zaubertränken und Amuletten, wusste nicht, was wirksam und was nur Schein war. Sie war noch nie in solch einer Situation gewesen, hatte sich nie vorstellen können, es jemals zu sein. Und ein Teil von ihr schämte sich, dass sie es war.


    Leander lag am Fenster und schlief. Axilla konnte es ihm nicht verdenken, er hatte einen arbeitsamen Tag gehabt. Dass sie ihn nötigte, jetzt hier bei ihr zu sein, tat ihr Leid. Gerne hätte sie ihn nicht dieser Gefahr ausgesetzt. Sollte Silanus hereinkommen, könnte er die Situation falsch deuten und im Zorn ihn erschlagen. Wobei... nein, Axilla glaubte nicht, dass ihr Vetter irgendjemanden erschlagen könnte. Sein letzter Besuch bei ihr hatte sie endgültig davon überzeugt, dass er kein Krieger war, nichtmal im Entferntesten. Dieses Herumgeseufze und Gejammere hatte sie als wirklich sehr unmännlich empfunden, daher konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er, sollte er tatsächlich hereinkommen, dieses Mal wie ein echter Kerl reagieren würde.
    Sie wälzte sich leicht auf die andere Seite und starrte Richtung Tür. Das Haus schlief. Nichts passierte. Langsam glaubte sie wirklich, Crios hatte sie verschaukelt und ihr nur ein Placebo gegeben. Es passierte einfach nichts. Missmutig stieß sie die Luft aus und schnaubte gereizt. Da haderte sie so lange mit sich selbst, und absolut nichts passierte. Absolut rein gar nichts! Dieser verdammte Grieche, der einfach nicht verstand, dass sie das Kind nicht bekommen durfte. Der einfach nicht verstand, was es bedeuten würde, wenn sie es tat. Der einfach nicht verstand, dass sie verdammt war, wenn herauskam, dass sie...
    “Hough“, keuchte sie plötzlich und krümmte sich nach vorn zusammen, als ein stechender Schmerz in ihren Unterleib fuhr. Eine glühend heiße Nadel, direkt in ihren Unterleib gestochen, und nun steckte sie dort, brannte sich in das helle Fleisch. Axilla legte ihre Hände auf die Stelle, etwas links von ihrem Bauchnabel, als könne Druck auf die Stelle den Schmerz lindern. Doch keine Sekunde darauf fühlte sie die zweite Nadel, auf gleicher Höhe direkt rechts ihres Bauchnabels, kreisend hineingestochen, um möglichst viel ihres Leibes dabei zu verbrennen. Sie hustete vor Schmerz, und krümmte sich zusammen, zog die Beine leicht in Schutzhaltung an, aber es half nichts. Ein hoher, jammernder Fieplaut entkam ihr, die Zähne fest aufeinandergebissen.
    Sie hörte, wie Leander aufschreckte und zu ihr kam, fühlte sein Gewicht neben ihr auf der strohgefütterten Matratze und seine Hände vorsichtig auf ihrem Arm und ihrem Rücken. Er sagte etwas, aber es ging in dem hohen Fiepen unter, das sie nicht unterdrücken konnte. Die Nadeln schienen sich noch weiter aufzuheizen, ihre schmerzerfüllten Spitzen sich so ausbreiten zu lassen wie Eisstacheln. Finger schienen in ihrem Leib am Werk, griffen, rissen, zogen, zerfetzten ihren Leib. Axilla weinte, keuchte, konnte es nicht abstellen. Sie biss die Zähne aufeinander, biss in ihre Decke, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken, der sich anbahnte.
    Sie fühlte, wie ihre Blase sich entleerte, fühlte die Feuchtigkeit an ihren Schenkeln, roch den sauren Geruch und schämte sich für ihre Unfähigkeit. Sie fühlte Leanders Hände, wie er sie hielt, ihren Rücken rieb, hörte seine Stimme ängstlich und doch beruhigend weiterreden. Sie fühlte mehr Feuchtigkeit, langte sich ängstlich zwischen die Beine und zog ihre Hand hoch, vor die Augen. Im schwachen Licht der kleinen Lampe war das Blut gänzlich schwarz und glänzte schleimig und zähflüssig. Axilla weinte heftiger und wusste selbst nicht, warum. Es funktionierte, der Trank wirkte. Aber bei diesen Schmerzen hier konnte sie sich kein bisschen darüber freuen.


    “Herrin, ich muss den Medicus holen. Herrin? Herrin, das sit zu viel Blut. Herrin, du verblutest. Herrin, lass mich den Medicus holen.“ Leander versuchte es wieder und wieder. Er konnte sie hier nicht allein liegen lassen, aber er konnte auch nicht bei ihr bleiben, bis sie verblutet war. “Herrin, der Medicus! Bitte!“
    “Cri... Crios... Merca...Traja...“
    Leander kannte den Laden, den sie meinte, er hatte sie vor einigen Tagen dorthin gebracht und in der Nähe gewartet, bis sie fertig war. Wenn er geahnt hätte, dass es hierfür war, hätte er anders gehandelt. Aber so nickte er nur und ließ sie los.


    Allein lassen konnte er sie nicht, also machte er wohl das einzige, wofür ihm seine Herrin hinterher nicht den Kopf abreißen würde. Er ging los und weckte Serrana.

    Auch jetzt verriet er ihr sein Alter nicht, und Axilla gab es auf, danach zu fragen, noch bevor sie versucht hatte, um dieses bisschen Wahrheit zu kämpfen. Was wollte sie damit schon beweisen? Dass diese Situation hier anders war, als sie war? Dass das hier doch irgendwo richtig gewesen sei und nicht von Grund auf falsch? Axilla mochte die Wahrheit nicht, die bitter wie Galle war, aber nur, weil man etwas nicht mochte, verschwand es nicht.
    Piso hatte sie betrunken gemacht. Piso hatte sie in sein Bett geführt. Er hatte sie genommen, ohne sie vorher zu fragen. Wurde das alles weniger wahr, weil er bei ihr geblieben war und weil sie jetzt noch einmal mit ihm geschlafen hatte? Wurde es weniger wahr, weil sie jetzt bei ihm lag und ihn sanft streichelte? Sie hatte denselben verdammten Fehler zweimal gemacht, und wie schon bei Timos hatte auch das hier keine Zukunft. Sie wusste das. Sie wusste es wirklich.
    Und trotzdem fühlte sie keinen Zorn, keine rechtschaffene Wut, keine Abneigung gegen ihn. Was auch immer er getan hatte, es war ihre Schuld. Die ganze Verantwortung dafür lag bei ihr. Sie hätte nicht so viel trinken sollen. Und sie hätte sich wehren sollen. Sie hätte laut und deutlich nein sagen sollen. Und jetzt, hier, sollte sie zumindest versuchen, ihn dafür umzubringen. Oder sich selbst. Vielleicht beides.
    Er zog sie an sich, und sie ließ es zu. Seine Haut war noch immer so herrlich warm. Und er roch noch immer gut, auch wenn sein Geruch nun mit dem von ihr und der dumpfen Note der vergangenen Stunden vermischt hatte. Er sagte, er würde gehen, aber er blieb liegen. Schlaff, müde, blieb er liegen, an sie gekuschelt. Ganz kurz fragte sich Axilla, ob er vielleicht doch etwas für sie empfand, wie eine kleine, glimmende Hoffnung. Eine kleine Möglichkeit, der Wahrheit ein anderes Kleid zu geben. Eines, das nicht so schrecklich war, eines, das vielleicht sogar romantisch war. Eines, bei dem sie nicht schon wieder denselben Fehler begangen hätte. Wo sie sich einreden konnte, dass das hier aus Liebeswahn geschehen sei. Liebe auf den ersten Blick, man hörte ja immer wieder von diesem Wunder der Venus. Aber nein, sie sollte sowas nicht hoffen, sollte sowas nicht denken. Wer könnte sie schon lieben? Sie war naiv und leichtfertig und dumm, aus einer Familie, die bis auf den Namen nicht viel vorzuweisen hatte, ohne besondere Tugenden und ohne Verdienste. Warum also sollte er so etwas ausgesprochen dämliches tun, wie sich in sie verliebt zu haben?
    Nun rann doch eine Träne ihre Wange hinunter, still und leise, aber Axilla rührte sich ansonsten nicht. Auch als weitere still folgten, bewegte sie sich nicht, sondern blieb einfach ganz reglos. Sie fühlte sich elend und hasste sich selbst für alles, was geschehen war. Eine Schande war sie, für ihre Familie, und für ihren Vater. Eine lebende, laufende Schande, die nicht einmal genug Mut besaß, es zu beenden. Ein Feigling, der hier einfach liegen blieb, anstatt sich der Wahrheit zu stellen, und statt dessen lieber einfach die Augen schloss und sich einredete, es sei Nach.
    “Schlaf noch ein bisschen“, flüsterte sie leise zu Piso, damit dieser an ihrer Stimme nichts von ihrer Gefühlslage hörte oder bemerkte. Wenn er schlief, konnte sie gehen. Dann konnte sie vor der Wahrheit fliehen und sie weiter verleugnen. Dann konnte sie weiter feige sein und sich dafür hassen. Aber das war leichter als die Wahrheit.

    Der Griff um ihren Bauch verstärkte sich noch, und der Mann kam näher zu ihr. Sie fühlte sein Nachthemd in ihrem Rücken, seinen Bart an ihrer Schulter. Er hielt sie zwar nicht so fest, als ob er sie einzwängen wollte, aber so sehr, dass sie sich nicht einfach aus dem Bett schummeln konnte. Axilla versuchte es noch ein wenig, mit dem Ergebnis, dass sie schon fast an der Bettkante war, und er sie noch immer festhielt. Wenn sie noch weiter rutschte, würde sie aus dem Bett fallen und er gleich hinterher. Im Moment glaubte sie, dass er schlief, aber bei dem Sturz wäre er dann garantiert wach. Und bei ihrem Glück würde er auch noch auf ihr landen, so dass sie nicht einfach abhauen konnte.
    Was mach ich jetzt, was mach ich jetzt, was mach ich jetzt? schoss es ihr verzweifelt durch den Kopf. Sie versuchte, ganz vorsichtig, die Finger einzeln von ihrem Bauch zu lösen und so der Umarmung zu entkommen. Viel anderes blieb ihr ja auch nicht übrig.
    Iuno, du hast gewonnen. Bitte, ich weiß, ich hätte nicht herkommen sollen. Archias heiratet eine andere, ich hätte nichtmal daran denken sollen, trotzdem zu ihm zu gehen. Du hast gewonnen, ich habs verstanden. Bitte, bitte, mach nur, dass er mich loslässt. Ich geh auch gleich wieder in mein Bett. Aber lass ihn bitte nicht aufwachen. Ein Gebet an die Göttin, die ihr hier wohl eine Lektion erteilen wollte, konnte nicht schaden, auch wenn die Götter Gedanken im Gegensatz zu Worten eigentlich nicht hörten. Aber etwas bessere fiel Axilla nicht ein, um vielleicht doch noch unauffällig zu verschwinden.

    Fuhrleute? Axilla wollte es gerne glauben, wollte sich einreden, es sei Nacht. Aber das waren keine Räder, das waren Füße, und es waren keine Ochsen, sondern Hunde, Hühner, hier und da ein Pferd, keine alten, grimmigen Männer, sondern Kinder beim Ballspielen. Sie wusste es, und dennoch kuschelte sie sich mehr in seine Wärme und sanfte Umarmung. Er war so herrlich zärtlich im Moment, und sie wollte das jetzt nicht abbrechen.
    Aber auch er hatte Verpflichtungen, die ihn einholen würden. Notarii... Axilla überlegte, ob sie damit irgendwas anfangen konnte und ihn so der einen oder anderen Stelle in der Stadt zuordnen konnte. Aber sie hatte keine Ahnung, von was für Notarii er redete, und schwieg also dazu. Ihre Gedanken kreisten etwas furchtsam um den Punkt, dass sie so gefunden werden könnten. Wenn sie noch bei ihm war und jemand sie entdeckte... das könnte Verwicklungen geben. Solche, die sie beide nicht wollten. Axilla wollte ihr Leben nicht als Geliebte eines Patriziers verbringen, sie brauchte eines Tages einen Ehemann. Und ein Gefühl in ihr sagte, dass Piso das wohl nicht sein würde. Er konnte soviel bessere Frauen haben, aus soviel einflussreicheren Familien. Wer waren die Iunii schon im Moment? Außer Silanus hatte keiner einen wirklichen Posten inne. Überhaupt, es gab kaum noch lebende Männer in ihrer Familie. Eigentlich nur Silanus und Merula, alle anderen waren im Dienst für das Imperium gefallen oder sonstwie gestorben. Warum also sollte er so dumm sein und sie heiraten wollen?
    Auf ihre Frage mit dem Alter lachte er nur leicht. Ein bisschen wehmütig blickte Axilla ihm in die wunderbaren grauen Augen und schämte sich, die Frage überhaupt gestellt zu haben. Aber sie wollte mehr über ihn wissen. Wollte ihm noch ein wenig näher sein, ihn ein wenig mehr kennen. Ihre Körper lagen ganz sanft aneinander, sie streichelten sich gegenseitig, aber Axilla wollte einfach mehr. Und dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte, das holte sie ein Stück aus ihrer so hartnäckig aufrecht erhaltenen Traumwelt heraus. Ihm schien es nicht wichtig zu sein, mehr zu erfahren, mehr zu wissen. Normalerweise hätte Axilla nicht anders gedacht oder gehandelt, hätte einfach den Moment genossen und ihn das sein lassen, was er war: Wundervoll. Aber das wollte sie nicht.
    Sie legte sich wieder etwas tiefer, so dass ihre Stirn an seiner Brust ruhte und er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie hatte ein wenig Angst, er könne ihre Gedanken in ihren Augen sehen. Und sie wollte ihn ja gar nicht unter Druck setzen oder etwas erzwingen, was keiner von ihnen beiden fühlte. Nur im Moment kam sie sich so schäbig und unehrlich unsittlich vor, dass sie gerne wollte, ihr Zusammensein hier wäre aus anderen Gründen.
    “Ich weiß nicht. Älter als ich. Fünfundzwanzig?“ Axilla war schlecht darin, das Alter einer anderen Person zu erraten. Sie war sich sicher, er war schon über zwanzig. Ob er vielleicht sogar schon 30 war? Archias war auch über 30. Sie wusste es einfach nicht.
    Er sog die Luft ein, roch an ihr. Ein plötzlicher Schmerz zuckte dabei durch Axilla. Es war so eine vertraute, so eine zärtliche Geste. Es war so sanft. Es war so... falsch. Sie kam sich elend vor. Was machte sie nur hier? Was hatte sie getan? Warum stand sie nicht einfach auf und ging, warum blieb sie in seinen Armen und kuschelte sich noch mehr an ihn, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust? Sie wollte weinen. Wollte bei ihm bleiben. Wollte ewige Nacht. Sie nahm einen zitternden Atemzug und schmiegte sich an ihn. Es war Morgen, egal, was sie wollte. Es war Morgen, und sie beide wussten das. Was machte sie jetzt?
    “Ich muss gehen...“, flüsterte sie leise. Es war das einzig richtige. Sie wusste das. Und trotzdem blieb sie noch an ihn gekuschelt und streichelte noch ganz sanft über seine warme Haut.

    Der Tag verging langsam und träge, floss dahin wie Honig. Axilla lauschte weiter in sich hinein, während sie ihren ganz normalen Tätigkeiten nachging. In der Bibliothek las sie ein Buch, auch wenn sie dabei so abgelenkt war, dass sie jede Seite eigentlich 3 Mal lesen musste, bis sie in ihrem Kopf angekommen war. Ovids Metamorphosen, die sie schon eigentlich in und auswendig kannte. Wieder und wieder las sie die Hexameter, leise, laut. “Am Anfang war das Goldene Zeitalter, in dem es keine Strafen gab....“ Wieder und wieder dieselbe Zeile. Wie sehr sie sich in das Zeitalter des Saturn in diesem Moment wünschte.
    Das Abendessen wurde im Triclinum eingenommen, leichte Konversation zu Tisch, der sie nur so halb folgte. Sie meinte, in ihrem Bauch würde es zwicken, aber immer, wenn sie darauf achtete, war das Gefühl wieder weg. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Vielleicht hatte Crios ihr gar nichts gegeben, nur eine Scheußlichkeit, damit sie Ruhe gab? Vielleicht sollte ihr von dem Trank schlecht werden, so dass sie glaubte, er wirke nicht? Er war ja so dagegen gewesen. Vielleicht... vielleicht...


    Als es schließlich spät wurde und Axilla sich in ihr Cubiculum zurückzog, ließ sie sich von Leander die Haare kämmen. Abends machte sie es normalerweise alleine, aber heute winkte sie ihn noch mit sich. Jeder wusste von den Neigungen ihres Sklaven, so dass es kein Thema war, dass er zu ihr mit ins Cubiculum kam, auch wenn sie nur zu zweit darin waren.
    Axilla saß vor ihrem Spiegel und schaute hinein. Sie meinte, sie würde alt aussehen. Irgendwie müde und erschöpft. Blass. War das wirklich so, oder bildete sie sich das ein? Sie wusste es nicht. Sie fühlte sich elend, und ihr Gewissen plagte sie. Hätte sie doch mit Archias reden sollen? Sollte er nicht wenigstens wissen, was sie hier tat, für ihn? Sollte er ihr nicht sogar vielleicht helfen, bei ihr sein heute Nacht, damit sie in Sicherheit war?
    “Leander? Ich will, dass du heute nach bei mir bleibst.“
    Leander bürstete gerade die langen, welligen Haare mit einer feinen Bürste aus weichen Borsten, um es zum glänzen zu bringen, als er plötzlich in der Bewegung inne hielt. “Herrin?“ An sienem Ton konnte Axilla hören, dass er glaubte, sich verhört zu haben. Natürlich, warum sollte sie ihm sowas aufgeben? Sie würde ihn nie zu so etwas zwingen, dass wussten sie beide.
    “Ich möchte, dass du heute Nacht bei mir bleibst. Hier, im Cubiculum.“
    Jetzt stockte Leander wirklich und sagte im ersten Moment gar nichts. Axilla sah sein Gesicht verwaschen im Spiegel, und sie meinte, das Erschrecken darin zu erkennen. “Herrin, das... kann ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass es dominus Silanus gefallen würde, wenn ich hier bei dir bleibe. Wenn er hereinkommt... Herrin, sei nicht so leichtsinnig.“
    Natürlich dachte er das falsche. Und obwohl es Axilla hätte aufregen müssen, blieb sie dieses eine Mal ganz ruhig. “Leander... ich will nicht, dass du mit mir schläfst. Du sollst nur hierbleiben und auf mich acht geben.“
    “Acht, Herrin?“ Axilla sah die Verwirrung in seiner Haltung, und er legte langsam die Bürste auf den Tisch und kam herum, um sie richtig anzusehen. “Domina Axilla, ängstigt dich etwas?“
    Axilla sah weg, konnte ihn nicht anschauen. Diese einfache, kleine frage brachte sie beinahe zum weinen. Wann hatte sie das letzte Mal jemand gefragt, ob sie Angst hatte? Wann hatte sie das letzte Mal wirklich Angst? Und jetzt, wo sie eigenltich keine zu haben brauchte, wo alles auf dem Weg zum besseren war, da hatte sie so entsetzlich viel Angst, etwas falsches gemacht zu haben, hatte Angst davor, es könne nicht funktionieren, hatte angst vor dem Schmerz und der Ungewissheit. Und sie hatte auch Angst, dass Leander erkennen würde, was es war, denn sie schämte sich ja so dafür.
    Sie merkte, wie er vor ihr in die Hocke ging und sie anschaute. Eine Weile passierte nichts, dann fühlte sie seine Hände auf ihren Oberarmen. “Herrin, was ist los mit dir? Ich kenne dich so gar nicht. Ist es etwas schlimmes? Soll ich den Medicus rufen lassen? Oder domina Serrana?“
    Eine Träne fand doch ihren Weg, wurde von Axilla aber sogleich weggewischt. Sie zog einmal schniefend die Luft durch die Nase ein, und schüttelte den Kopf. “Nein, keinen Medicus. Und lass Serrana schlafen. Du musst nur bei mir bleiben und aufpassen.“
    Leander verstand offenbar die Welt nichtmehr und schüttelte nur ungläubig den Kopf. “Auf was aufpassen, Herrin? Was ist denn passiert?“
    Axilla holte Luft, als wolle sie etwas sagen, schüttelte dann aber den Kopf. Sie sah beständig weg. Kurz blickte sie zu ihm und holte noch einmal Luft, nur um weiter zu schweigen, den Kopf zu schütteln und beiseite zu schauen.
    “Nach heute Nacht wird alles in Ordnung sein. Aber... heute Nacht werde ich leiden müssen. Und ich kann das nicht allein.“
    Axilla sah die Falte, die sich auf Leanders Stirn bildete. Das tat sie immer, wenn er angestrengt nachdachte oder sich sorgte. Im Moment schien er beides zu tun. Behutsam ließ er sie los, streichelte dabei noch einmal aufmunternd und wärmend über ihre Oberarme. “Ich werde bleiben, wenn du es wünscht, Herrin. Aber wenn du mir einfach sagen würdest, was los ist...“
    “Ich bin schwanger!“, brach es aus ihr japsend heraus und sie sah Leander kurz an, sah das Entsetzen in seinem Blick und weinte jetzt doch einmal richtig, verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.
    Es dauerte einen Moment, bevor Leander wirklich die Situation erfasst hatte und geschlussfolgert hatte, warum er nun hierbleiben sollte und was sie mit 'leiden' meinte. “Oh, Herrin, du solltest nicht... ich... ich kenne mich damit nicht aus, Herrin. Deine Cousine scheint mir vertrauenswürdig, willst du nicht lieber, dass sie...“
    “Nein! Nein, auf keinen Fall! Sie soll davon nichts wissen. Sie... sie denkt doch... nein, sie soll davon nichts wissen. Bitte, Leander. Das geht schon. Bitte...“
    Axilla hatte Leander noch nie etwas wirklich befohlen, aber so angefleht hatte sie ihn auch noch nie. Sie sah dem Griechen an,d ass ihn das etwas überforderte, aber schließlich nickte er und legte ihr wieder eine Hand auf die Schulter.
    “Gut. Aber Herrin.... du bist ein Schaf! Das allein hier zu machen....“
    Axilla nahm ihm seine Direktheit nicht übel. Er wusste das, sonst wäre er nie so direkt gewesen. Im Gegenteil, sie gab ihm ja recht. Aber es ging nunmal nicht anders, wenn niemand etwas wissen sollte. “Ich weiß...“ war das einzige, was sie noch sagte.

    Vor Erschöpfung schwer atmend lag Axilla auf dem Rücken und schaute zur Decke hoch. Ihre haut glänzte vor Schweiß, und ihr Herz raste noch immer von der Beschäftigung der letzten Minuten. Noch immer fühlte sie die Ekstase, die in unregelmäßigen Wellen immer wieder über ihren Körper schwappte und sie ermattet und zufrieden zurückließ. Oh Götter, was tu ich hier nur...?
    Piso hörte sich nicht minder erschöpft an. War auch kein Wunder, wenn man bedachte, was sie beide... Kurz musste sie fast lachen. Er legte sich so zu ihr, dass er ihr über den Bauch streicheln konnte. Seine Worte klangen so unendlich schön und sanft. Axilla schloss für einen Moment die Augen und genoss einfach noch ein wenig seine Berührung. Es hatte ihr gefallen. Verdammt, es hatte ihr sehr gefallen. Ein Teil von ihr wünschte, es hätte ihr nicht gefallen. Dass sie etwas an ihm abstoßend finden würde. Sein Geruch, oder die Art, wie er sie küsste, den Geschmack seiner Haut. Aber da war nichts. Es hatte ihr gefallen. Und auch, wenn sie wusste, dass es keine Zukunft haben konnte, hieß das nicht, dass sich ihr Körper nicht nach dieser Berührung sehnte.
    Ihr Atem beruhigte sich, ihr Herz schlug ein wenig langsamer. Es war ganz sicher schon Morgen. Axilla hörte die Straße, das geschäftige Treiben, die vielen Schritte der Passanten, irgendwo eine schimpfende Frau. Ein Hund bellte irgendwo in der Ferne. Es musste Tag sein. Wirklicher Tag. Harter, rauer, unbarmherziger Tag.
    “Ich wünsche mir, dass Nacht ist“ beantwortete sie seine Frage und drehte ihren Kopf in seine Richtung. Ganz sanft streichelte sie ihm über die Schulter. Sie hatte ihn dort vorhin einmal gebissen, aber es war nichts zu sehen. Ihr Blick wurde etwas traurig. “Aber wenn ich nicht bald gehe, werden meine Verwandten bestimmt nach mir suchen. Wenn sie es nicht schon tun.“ Zumindest Leander würde sie suchen, da war sich Axilla sicher. Ob Silanus wirklich bemerkt hatte, dass sie weder zur Cena am vergangenen Abend noch zum Frühstück anwesend gewesen war, wusste sie nicht zu sagen. Er ging ihr wieder aus dem Weg. Oder immer noch, je nachdem, wie man es sah.
    Axilla drehte sich jetzt richtig zu Piso, um näher an ihn heranzurobben. Sie küsste ihn noch einmal, sanft, lang. Sie mochte den Geschmack seiner Zunge. “Es war schön“, sagte sie ihm noch leise und ermattet und kuschelte sich noch ein wenig näher. Noch ein paar Momente bloß wollte sie es herauszögern. Ein paar Momente dieses schöne Gefühl genießen. Nur noch einen kleinen Moment lang.
    Axilla streichelte Piso ganz sanft. Sie wusste nichts von ihm. Absolut nichts. Sie wusste nichtmal so wirklich was über seine Familie. Ihr schwirrte irgendwo im Kopf herum, dass irgendein Kaiser mal Flavier gewesen war, aber sie wusste nichtmal zu sagen, welcher. Und von ihm selber, was wusste sie da? “Wie alt bist du?“ fragte sie also aus heiterem Himmel, einfach, um wenigstens noch irgendwas von ihm zu wissen. Um noch einen Moment so liegen bleiben zu können. Einfach um nicht darüber nachdenken zu müssen, was gleich sein würde, wenn sie gehen musste.