Axilla fand ihren Lehrer jetzt nicht so außergewöhnlich bemerkenswert. Allerdings kannte sie es ja auch nicht anders, und sie wusste ja auch, dass es viele Familien gab, bei denen sich nicht die Mühe gemacht wurde, den Mädchen mehr als Weben, Sticken und ein paar Kniffe zur Kindererziehung mit auf den Weg zu geben.
“Naja, mein Vater hielt es für wichtig, dass seine Tochter mal mehr können würde als nähen und weben.“ Was zwei Dinge waren, die sie eher nicht konnte. Im Prinzip wusste sie, wie es funktionierte. Wie es hinterher aussah, wenn sie es tat, war da eine ganz andere Sache. Kleidung, die von ihr selbst gewebt wurde, würde wohl augenblicklich wieder außeinanderfallen oder bei jeder Bewegung Risse und Löcher bekommen. “Aber vielleicht hat er mich auch etwas verwöhnt, weil ich sein einziges Kind war.“ Axilla zuckte mit den Schultern. Ihre Gedanken drohten, sich einzutrüben, und sie nahm schnell noch ein bisschen Brot. Wenn sie sich ablenkte, war es einfacher. Und zum Glück konnte Vala das auch recht gut.
“Ich kenne Mogontiacum nicht. Ich kenne nur das Land um Tarraco, und das ist... ganz anders. Und Alexandria ist auch anders als Rom. Viel... ich weiß nicht, bunter, verspielter, leichter. Vielleicht wie ein Käfig mit Vögeln?“ Axilla wusste nicht, wie man die südliche Provinz beschreiben sollte. Sie hatte inzwischen schon gehört, dass die Römer meist Ägypten als mystisches Wunderland verklärten, in dem jeden Tag Opiumfeste gehalten wurden und alle Bewohner in ständiger Trance herumwandelten. So oder so ähnlich. Im Vergleich zu Rom mochte das sogar vielleicht gelten, Axilla kam hier alles doch sehr geradlinig und streng vor. Kaum mal etwas, was gefühlsmäßig herausragend wurde. Selbst der Dienst an den Göttern war in Alexandria viel freier und verspielter, was man schon allein am Paneion nur allzu deutlich vor Augen geführt bekam.
Was er mit dem 'wunderbar' meinte, verstand Axilla aber nicht so ganz, und im ersten Moment nahm sie an, er meinte sie damit. Etwas verunsichert sah sie ihm wohl zum ersten Mal bei diesem Besuch etwas länger verwirrt in die Augen. Sie traute sich nicht, nachzufragen, aber ihre Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Zumindest einen Moment lang, dann versuchte sie, es zu überspielen.
“Hast du denn vor, hier viel zu erreichen? Wenn deine weiblichen Verwandten schon zu so großen Ehren gekommen sind, wirst du sie doch sicher übertreffen.“ Axilla versuchte, nicht zu schwärmerisch zu klingen, aber sie glaubte, dass Vala sicher viel erreichen würde. Sie konnte ihn gar nicht anders sehen, als als Kämpfer. Und als solcher würde er ein sich gestecktes Ziel verfolgen, bis er es erreicht hatte. Sie mochte damit völlig verkehrt liegen, immerhin kannte sie ihn gar nicht, aber sie wollte einfach, dass es so war. Also dachte sie über andere Möglichkeiten gar nicht erst nach.