Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla fand ihren Lehrer jetzt nicht so außergewöhnlich bemerkenswert. Allerdings kannte sie es ja auch nicht anders, und sie wusste ja auch, dass es viele Familien gab, bei denen sich nicht die Mühe gemacht wurde, den Mädchen mehr als Weben, Sticken und ein paar Kniffe zur Kindererziehung mit auf den Weg zu geben.
    “Naja, mein Vater hielt es für wichtig, dass seine Tochter mal mehr können würde als nähen und weben.“ Was zwei Dinge waren, die sie eher nicht konnte. Im Prinzip wusste sie, wie es funktionierte. Wie es hinterher aussah, wenn sie es tat, war da eine ganz andere Sache. Kleidung, die von ihr selbst gewebt wurde, würde wohl augenblicklich wieder außeinanderfallen oder bei jeder Bewegung Risse und Löcher bekommen. “Aber vielleicht hat er mich auch etwas verwöhnt, weil ich sein einziges Kind war.“ Axilla zuckte mit den Schultern. Ihre Gedanken drohten, sich einzutrüben, und sie nahm schnell noch ein bisschen Brot. Wenn sie sich ablenkte, war es einfacher. Und zum Glück konnte Vala das auch recht gut.


    “Ich kenne Mogontiacum nicht. Ich kenne nur das Land um Tarraco, und das ist... ganz anders. Und Alexandria ist auch anders als Rom. Viel... ich weiß nicht, bunter, verspielter, leichter. Vielleicht wie ein Käfig mit Vögeln?“ Axilla wusste nicht, wie man die südliche Provinz beschreiben sollte. Sie hatte inzwischen schon gehört, dass die Römer meist Ägypten als mystisches Wunderland verklärten, in dem jeden Tag Opiumfeste gehalten wurden und alle Bewohner in ständiger Trance herumwandelten. So oder so ähnlich. Im Vergleich zu Rom mochte das sogar vielleicht gelten, Axilla kam hier alles doch sehr geradlinig und streng vor. Kaum mal etwas, was gefühlsmäßig herausragend wurde. Selbst der Dienst an den Göttern war in Alexandria viel freier und verspielter, was man schon allein am Paneion nur allzu deutlich vor Augen geführt bekam.
    Was er mit dem 'wunderbar' meinte, verstand Axilla aber nicht so ganz, und im ersten Moment nahm sie an, er meinte sie damit. Etwas verunsichert sah sie ihm wohl zum ersten Mal bei diesem Besuch etwas länger verwirrt in die Augen. Sie traute sich nicht, nachzufragen, aber ihre Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Zumindest einen Moment lang, dann versuchte sie, es zu überspielen.
    “Hast du denn vor, hier viel zu erreichen? Wenn deine weiblichen Verwandten schon zu so großen Ehren gekommen sind, wirst du sie doch sicher übertreffen.“ Axilla versuchte, nicht zu schwärmerisch zu klingen, aber sie glaubte, dass Vala sicher viel erreichen würde. Sie konnte ihn gar nicht anders sehen, als als Kämpfer. Und als solcher würde er ein sich gestecktes Ziel verfolgen, bis er es erreicht hatte. Sie mochte damit völlig verkehrt liegen, immerhin kannte sie ihn gar nicht, aber sie wollte einfach, dass es so war. Also dachte sie über andere Möglichkeiten gar nicht erst nach.

    Bei ein paar Worten musste Axilla etwas aufhorchen. Nornen... er meinte wohl die Parzen. Seine Beschreibung mit dem Lebensfaden hörte sich zumindest so an. Sie wusste, dass die Griechen die Schicksalsmächte auch kannten und sie Moiren nannten. Dass die Germanen aber auch ein Äquivalent hatten, hatte sie nicht gewusst.
    Das Wort 'Sippe' kannte Axilla schon, Rufus hatte es auch benutzt, wenn er von seiner gens geredet hatte. Sie versuchte, dem ganzen zu folgen, verstand aber nicht alles. Offenbar gehörten ihm ein paar Betriebe, aber nur auf dem Papier. “Naja, das meiste macht bei mir auch mein Verwalter. Von der Arbeit an sich hab ich ja auch viel zu wenig Ahnung, da will ich ihm gar nicht reinreden“, gestand Axilla.


    Sie bemerkte seinen Blick und war bemüht, unauffällig nirgendwohin zu schauen. Wieso schaute er sie so an? War das gut, oder doch eher schlecht? Vielleicht sah sie ja albern aus, so zurechtgemacht und zurechtgezupft wie ein Püppchen. Oder sie gefiel ihm wirklich, das konnte auch sein. Kurz schaute Axilla heimlich zu ihm herüber und meinte, etwas in seinem Blick zu sehen, aber es war nur flüchtig, und nicht genug, um sich darauf zu verlassen. Axilla hatte nicht den Mut, offensiver vorzugehen. Vala hatte sie wegen eines Fehltrittes bei dem Spaziergang scharf zurecht gewiesen, diesen Fehler wollte sie kein zweites Mal begehen.
    “Nein, eigentlich nicht so viel. Mein Lehrer hat zwar versucht, mir viel beizubringen, aber er meinte, ich würde mich zu leicht ablenken lassen.“
    Schau nicht auf die Eichhörnchen, schau hier hin! Die müssen keine Mathematik lernen, sondern du! Wobei ich glaube, dass die inzwischen mehr verstehen, konnte sie die Stimme von Iason in ihren Gedanken hören. Kein Eindruck von ihrem Lehrer war so lebendig in ihrer Erinnerung wie die, wenn er verzweifelt die Arme hochgeworfen und verzweifelt ein kleines Gebet an den einen oder anderen Gott ausgestoßen hatte.
    “Aber in Alexandria lernt man zwangsläufig das eine oder andere. Ich war Scriba beim Gymnasiarchos, der auch noch Philosoph am Museion war. Für Rhetorik und Latein, das hat er gelehrt. Und wenn man dann ein paar Vorträge und Diskussionen zwangsläufig mithört, lernt man das ein oder andere.“
    Das ein oder andere hatte Axilla sicher gelernt, und sie hatte auch bestimmt viel mehr aus ihrer Kindheit behalten, als ihr bewusst war. Nur sie brauchte dieses Wissen nie, folglich rief ihr Gedächtnis es auch nie ab. Und Axilla war nicht so veranlagt, mit dem, was sie konnte und wusste, zu protzen. Nur ab und an, wenn man sie an ihrem stolz packte, brach es aus ihr heraus, aber sonst war sie eher bescheiden.
    “Aber ich glaube, dass kann man keine aktive Beschäftigung nennen. Wenn ich ehrlich bin, das Buch da war so ziemlich das erste Werk, in dem es nur um Theorie geht, was ich freiwillig gelesen habe.“
    Axilla wusste gar nicht, warum sie ihm das so ehrlich erzählte. Sie wollte doch einen guten Eindruck machen! Hätte sie nicht einfach lügen, ihm etwas vorschwindeln und sich so interessanter machen können? Aber vielleicht konnte sie ja noch etwas retten. “Aber es ist sehr interessant. Also, nicht nur das, sondern die ganze Politik hier. Ich habe mich ja nie so sehr damit beschäftigt, wenn ich ehrlich bin, aber wenn man hier in Rom ist und nicht blindlings durch die Welt laufen will, sollte man das vielleicht, oder? Ich meine, man muss ja verstehen, wie etwas funktioniert. Also, wenn man eine Taktik machen will. Ähm, ich meine, falls man etwas besser machen will, oder sich Gedanken darüber machen will, etwas besser zu machen.“
    Taktik? Wie kam sie denn jetzt auf Taktik? Das hier war doch kein Schlachtfeld, wo man Taktiken und Schlachtpläne aufstellte. Überhaupt, wenn sie so redete, würde Vala sie sicher auslachen. Wer glaubte schon, dass jemand wie sie, der noch nie einen Menschen getötet hatte, etwas von Taktiken und Kriegen verstehen würde? Das glaubte sie ja noch nicht einmal wirklich selbst.
    Sie versteckte ihre Gedanken, die sich sicher in ihrem Gesicht abspielen würden, hinter einem charmantem Lächeln und dem Griff nach einer Olive auf dem Tisch. Wenn sie den Trank genommen haben würde, würde der Heißhunger auf die öligen Früchte wohl auch endlich vergehen.

    Das Fläschchen war aus dickem Bleiglas. Wenn man es gegen das Licht hielt, konnte man die Flüssigkeit darin sehen, wie ein unscharfer Fleck im dunklen Glas. Das bisschen Luft, das ebenfalls eingeschlossen war, zeichnete eine tiefschwarze Linie, die man gut erkennen konnte, wenn man es leicht drehte.
    Wie die letzten tage saß Axilla da und hielt es in der Hand. Sie hielt es leicht gegen das Fenster, wo das Licht vom Garten hereinfiel, und betrachtete die Flüssigkeit mit gemischten Gefühlen. Es schien so einfach. Sie musste nur das Wachs vom Verschluss brechen und den kleinen Korken entfernen und es austrinken. Das war es, dann musste sie nur noch warten. Warum also zögerte sie schon seit so vielen Tagen? Es war ganz einfach. Nur öffnen, trinken, warten. Gut, sie würde Schmerzen haben, aber... war es das nicht wert? Sie würde ihr Leben wieder zurückerhalten. Es würde sein, als wäre nie etwas gewesen. Sie würde weiterhin die fröhliche, unbekümmerte Axilla sein können. Niemand würde etwas wissen. Niemand würde etwas ahnen. Ihre Freundschaft mit archias wäre nicht mehr gefährdet. Sie konnte sich sogar mit Seiana anfreunden. Also, so richtig anfreunden. Seiana war sowieso so nett, das Gespräch mit ihr hatte ihr erstaunlich gut gefallen. Sie war nicht so ein Dämchen, das nur von Mode und Zeitvertreib dahergeplappert hatte. Nein, ihre Gesprächsthemen waren irgendwie bodenständiger gewesen. Ehrlicher. Männlicher. Ja, ein wenig, als hätte sie sich mit einem Mann unterhalten.
    Mit einem Seufzen ließ sich Axilla rücklings auf ihr Bett fallen, hielt die Phiole über sich in die Luft. Das Wachs glänzte, weil sie mit den Fingern schon so oft darübergefahren war. Es war ganz glatt poliert. Nur ein wenig Druck, und es würde ganz einfach abbröseln. Es war keine besondere Kraft dafür nötig. Es war nur, damit der Inhalt luftdicht abgepackt war. Die einfachste Art, etwas zu verschließen und zu verhindern, dass flüssiger Inhalt auslief. Es war so einfach.


    Gab es denn eine andere Möglichkeit? Axilla hatte lange und oft darüber nachgedacht. Sollte sie es Archias sagen? Was würde dann passieren? Er würde sie vielleicht sogar heiraten an Seianas Stelle, noch war er nicht verheiratet. Bestimmt würde er das Kind annehmen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sie fallen ließ. Aber... es würde ihre Fruendschaft belasten. Er liebte Seiana. Wirklich. Richtig. Tief. Und Seiana? Die würde Axilla wohl hassen, wenn sie das amchte.
    Was konnte sie noch tun? Sie könnte zu Piso gehen und sagen, es sei sein Kind. Soviel Zeit lag da nicht dazwischen. Vielleicht 8 Wochen. Das war noch im Rahmen. Das Kind würde zwar für sein Verständnis zu früh kommen, aber nicht so, als dass sie es nicht erklären könnte. Aber... nein, das könnte sie nicht machen. So fies war sie nicht. Sie konnte nicht so sehr lügen, nur um den eigenen Vorteil zu sichern. Und wer sagte, dass er es überhaupt annehmen würde? Axilla kannte ihn nicht so gut, um das abschätzen zu können.
    Das Kind allein bekommen? Nein, das verwarf Axilla sofort wieder. Dann noch eher es nach der Geburt erwürgen, das wäre barmherziger. Ein Kind ohne Vater, das war nicht mehr als ein Peregrinus. Und die Schmach für die Familie! Nein, das konnte sie ihrem Vater nicht antun. Sie schuldete ihm einen Erben, der seinen Namen in seine Ahnenreihe aufnehmen würde, damit seine Seele in Ewigkeit ruhen konnte. Nein, das war vollkommen ausgeschlossen.


    Axilla drehte das Fläschchen noch ein wenig in ihren Händen. Ihre Finger spielten wie so oft mit dem Wachs am Verschluss. Nur ein bisschen mehr... es bröselte und fiel auf sie herunter, verteilte sich krümelnd auf dem Bett. Axilla setzte sich auf und wischte sich achtlos die kleinen Krümel vom Bauch. Der Korken saß auch ganz locker, nur ein kleiner Ruck.
    Axilla roch erst einmal daran. Beißend, scharf, kalt. Unangenehm. Sie verzog den Mund. Sollte sie das wirklich trinken? Bestimmt war es bitter, oder scharf. Was, wenn sie nicht alles trank, oder es wieder ausspuckte? Was, wenn sie sich davon übergeben musste? War ja nicht ausgeschlossen, und es roch nicht gerade appetitlich. Aber dann würde sie nochmal gehen müssen. Vielleicht sollte sie es gar nicht nehmen und einen anderen weg finden. Andauernd verloren Frauen ihre Kinder. Ihre Mutter hatte sechs verloren. Oder zumindest 6, von denen sie wusste. Vielleicht waren es sogar mehr. Bestimmt würde sie es auch verlieren, wenn sie genug Sport machte. Reiten sollte ja schädlich sein bei Schwangerschaften, und sie mochte Pferde. Sie konnte sogar reiten. Einzig es fehlte ein Pferd, aber das konnte man ja besorgen...
    Sie roch noch einmal daran. Nein, es roch wirklich abscheulich. Axilla hielt das Fläschchen von sich und holte einmal tief Luft. Mit Schwung setzte sie es an und kippte es in einem Zug hinunter.
    “Blärg...“ entfuhr es ihr und sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, während sie die Phiole von sich warf. Es war nicht scharf gewesen, und auch nicht so bitter. Nein, es schmeckte eher wie eine Mischung aus Galle und Blut, rostig und sauer, und hinterließ ein pelziges Gefühl auf der Zunge.
    Axilla saß ruhig auf dem Bett und lauschte in ihren Körper. Außer diesem Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen, fühlte sie etwas? Sie lauschte in sich hinein, versuchte, die Wirkung ausfindig zu machen, aber da war... nichts. Absolut gar nichts. Sie fühlte keinen brennenden Schmerz, kein Stechen, nichtmal ein Kribbeln. Da war nur der schale Geschmack in ihrem Mund, aber sonst nichts, was Tod verheißen könnte.

    Er war müde, und er hatte Angst. Das konnte Axilla in seinem Blick sehen, auch wenn sie sonst nichts erkennen konnte. Er lächelte sie an, während er ihr zuhörte, aber in seinem Blick sah sie doch auch die Angst. Wenngleich sie nicht wusste, wovor er sich fürchtete. Davor, zu gehen? Oder doch eher davor, zu bleiben? Axilla wusste es nicht, aber einem kleinen, egoistischen Teil von ihr war es sogar egal, solange er nur bei ihr blieb.
    Sie fühlte seinen Arm um ihre Schulter, er fühlte sich warm an. Sicher. Sie fragte sich kurz, wann sie zuletzt dieses Gefühl gehabt hatte. Es musste wirklich lang her sein.
    Seine ersten Worte klangen schlaftrunken. Naja, vielleicht war er auch wie sie betrunken und hatte einen Kater? Sie wusste es nicht. Aber er hatte recht, dank der geschlossenen Läden herrschte im Raum nur dunkle Dämmerung, die nicht wirklich auf eine Zeit schließen ließ. Aber wollte Axilla es wirklich wissen? Nein, sie wollte, dass es Nacht war. Sie wollte nicht, dass es Tag war. An dem sie ihren Verwandten wohl noch erklären durfte, wo sie die Nacht gewesen war. Wo sie durch den Schankraum da unten gehen musste, vorbei an einem Kellner, der sicher wusste, was geschehen war. An dem sie überhaupt erstmal heim finden musste, vermutlich allein. Nein, es sollte Nacht sein.
    Und auch Piso sprach die Worte, wenngleich langsam und schleppend. Axilla bemerkte sein Zaudern, aber ihr war es gleich, warum er dabei zögerte. Ob er es sagte, weil er ihr einen Gefallen tun wollte und ein wenig Gnade zeigte, oder ob er es wirklich wollte und selbst noch bei ihr bleiben wollte, war im Grunde unwichtig. Sie konnte noch einen Moment weiter träumen, noch einen kleinen Moment so tun, als ob er ihr Liebster war und sie seine Liebste. Sie konnte einfach nur sicher und an ihn gekuschelt da liegen. Da war sogar egal, dass ihr Kopf ein wenig hämmerte und schmerzte.


    Und dann küsste er sie. Axilla war ein wenig überrascht, als er sich zu ihr beugte und ihre Lippen sich berührten. Sie war schon so glücklich gewesen, mit ihm einfach nur hier zu liegen und zu kuscheln, dass sie andere Möglichkeiten gar nicht in Betracht gezogen hatte. Vor allem, da sie trotz allem einen ziemlichen Kater hatte, an dem sie wohl noch einige Stunden Freude haben würde.
    Aber als er sie küsste, fiel ihr doch wieder ein, was sonst noch in der Nacht passieren könnte. Was in der Nacht auch passiert war. Was noch einmal geschehen könnte. Sie musste es nur zulassen, ihn vielleicht ein wenig ermutigen. Wollte sie das?
    Ihr Kopf war wirr, und sie fühlte ein Hämmern hinter ihrer Stirn. Ihr Körper fühlte sich matt und müde an. Insgesamt fühlte sie sich, wie erschlagen.
    Aber da gab es auch die andere Seite. Die, die sich an diesen Abend anders erinnern wollte als daran, schon wieder von einem Mann betrunken gemacht worden zu sein, so dass er sie in sein Bett führen konnte. Zwar hatte das hier genausowenig eine Zukunft, wie es es seinerzeit mit Timos gehabt hatte, aber...
    Sie küsste ihn zurück, öffnete ihm den Mund und schmiegte sich an ihn. Er schmeckte noch immer leicht nach Wein. Axilla begann, ihn etwas mehr zu streicheln, etwas... direkter. Kurz löste sie ihren hungrigen Mund von ihm, vergrub ihre Hände in sein Haar und sah ihm in die grauen Augen.
    “Ich sollte dich hassen...“, meinte sie etwas atemlos und zog ihn noch einmal drängend an sich, um und zu küssen. “Ich sollte dich von mir stoßen...“ Und noch leidenschaftlicher drängte sie sich gegen seinen Körper, machte ihm deutlich, dass er sie haben konnte.

    Natürlich folgte Axilla ihm. Sie wär ihm wohl so ziemlich überall hingefolgt, wenn er sie gebeten hätte. Sie war ja schon die ganze Zeit sehr bemüht, den Abstand zwischen ihnen beiden nicht zu verkleinern, ihn nicht anhimmelnd anzuschauen und auch sonst sich nicht so zu benehmen, wie sie es eigentlich am liebsten getan hätte. Es war gar nicht so einfach. Was sie am meisten noch davon abhielt, ihre Selbstbeherrschung fallen zu lassen, war die Angst, dass er wieder wütend auf sie sein könnte und es alles andere als charmant finden würde.


    “Ja, hat er. Aber ich weiß gar nicht so genau, was geschehen ist. Er hat geschrieben, er sei vom Pferd gefallen?“ Axilla schaute kurz fragend zu Vala hinüber, nur um seinem Blick gleich darauf auszuweichen. Vor allem, als er sie nach Rufus fragte.
    “Naja, nicht rein geschäftlich. Er ist ein netter Kerl, wir haben uns viel unterhalten. Er hat sich ja mit meinem damaligen Chef, dem Gymnasiarchos, angefreundet. Und naja, da haben wir uns natürlich öfter gesehen und unterhalten.“
    Verdammt, ich will doch gar nicht über Rufus reden... Axilla versuchte, aus seinen Worten noch irgendwas herauszuziehen, was sie zu einem unverfänglichen Themenwechsel machen könnte. Immerhin sollte er unter gar keinen Umständen den Eindruck gewinnen, sie wolle irgendwas von seinem Vetter. Das wollte sie nämlich ganz definitiv nicht.
    “Das klingt aber so, als ob du nicht Teil davon wärst. Also, von den Geschäften deiner Familie.“ Wie genau Axilla zu diesem Eindruck gekommen war, wusste sie nicht zu sagen. Vielleicht einfach nur die Wortstellung, wie er sagte, dass 'seine Familie' das machte, und nicht einfach 'wir'. Vielleicht auch, weil Axilla in ihm einfach den Krieger sah und nicht einen Händler. Vielleicht war sie auch deshalb direkter zu ihm, als es eigentlich höflich gewesen wäre, denn ihre unschuldig dahingesagten Worte konnte man auch böswillig anders interpretieren.


    Aber zum Glück nahm er das Buch an, und mit einem erleichterten Lächeln setzte Axilla sich auf eine der Klinen. Im ersten Moment zog sie instinktiv die Beine hoch, um sie wie immer auf der Sitzfläche abzustellen und mit angewinkelten Beinen dazusitzen, aber sie merkte es in der Bewegung und versuchte, ihr Gebahren zu retten, indem sie die Beine damenhaft übereinanderschlug.
    “Natürlich darfst du es annehmen. Ich freue mich, dass du es tust. Aber wieso ist die Situation auf deinem Mist gewachsen?“ So ganz verstand Axilla nicht, was er damit meinte. Es war doch nicht seine Schuld gewesen, dass seine Politikstunde ausgefallen war, sondern ihre.

    Und allein mit seinen ersten Worten hatte er es geschafft, jedes Lüftchen, das man mit viel gutem Willen als Wind betiteln hätte können, aus Axillas Segel zu nehmen. Das hätte er für jede gemacht? Wirklich? Das war nicht unbedingt das, was sie gerne hören wollte. Und auch nicht, dass sie sich deshalb nicht bedanken sollte. Wie sah denn das dann jetzt aus, dass sie trotzdem da war? Noch dazu mit einem Geschenk. Gut, das Buch hatte er bislang nicht gesehen, das könnte sie vielleicht auch einfach am Gespräch vorbeischummeln und hinterher heimlich wieder mitnehmen, aber das war ja auch doof.
    Soviel zu Plan A, schoss ihr durch den Kopf und überlegte, wie Plan B eigentlich hätte aussehen sollen. Sie glaubte, er hatte nur aus einem einzigen Wort bestanden, das so simpel wie unmöglich war. Improvisieren. Na, wenn's weiter nichts war...


    “Ja, eine Kleinigkeit wäre nicht schlecht. Danke. Aber nicht zu viel, ich muss gleich wieder zur Arbeit.“ Nun, eigentlich musste sie das nicht, aber sie könnte ein wenig nach Archias' Unterlagen schauen. Die hätte sie auch mitnehmen können, in seinem Chaos hätte der Aelier die sicher nicht vermisst, aber naja, so hatte Axilla schon eine gute Ausrede. Abgesehen davon, da sie ohnehin nicht so viel essen wollte. Auch, wenn ihr der Grund für ihre andauernde Übelkeit nun nur zu schmerzlich bekannt war, hatte Axilla sich noch nicht getraut, den Trank, der sie beenden würde, zu nehmen.


    “Naja, soviel Mühe war es auch nicht. Weißt du, ich kenne deinen Vetter, Duccius Rufus. Wir sind einander über den Weg gelaufen, als er in Alexandria war.“ Und als er überfallen worden war und eins auf den Kopf bekommen hatte, hab ich ihn verarztet..., dachte sie noch, sagte es aber nicht. Das klang dann fast so, als wolle wie etwas von Rufus, was ja gar nicht so war. Auch wenn er ihr einen Antrag gemacht hatte, zumindest so einen halben. Und Vala sollte nicht den falschen Eindruck bekommen. Erst recht nicht, wenn er noch hörte, dass Ragin sie mit nach Mogontiacum hatte nehmen wollen und sowas. “Und ich schick ihm regelmäßig eine Kiste mit Farben aus Ägypten für seine Betriebe. Achja, er hat mich gebeten, dich zu bitten, dass du öfter schreiben sollst.“
    Der letzte Satz war Axilla ein wenig peinlich, was man ihr wohl auch ansehen konnte. Aber wenn ein Freund sie um einen Gefallen bat, dann half sie ihm, das war für sie selbstverständlich. Freundschaft und Treue waren schließlich Tugenden, von denen sie wenig genug besaß.
    Bevor sie jetzt noch irgendwo hingingen, um einen Happen zu sich zu nehmen, fiel Axillas Blick aber doch nochmal auf das Buch. Sollte sie... oder sollte sie nicht...? Ach, was soll's, schlimmer kann's ja eigentlich nicht werden...
    “Und natürlich muss ich dir trotzdem danken. Immerhin habe ich dich um eine Lehrstunde gebracht. Politik, nicht?“ Eine etwas holprige Überleitung, aber besser als gar keine. Sie griff schnell nach dem Buch und mühte sich, nicht nervös auf der Unterlippe herumzukauen, als sie es ihm entgegenhielt. “Und deshalb dachte ich, damit kann ich das vielleicht ein wenig wieder gutmachen. Es ist ein Buch über Rhetorik. Von Sokrates.“ Es war zwar von Aristoteles, was auch gleich in den ersten Zeilen stand, wenn man es aufschlug, aber Axilla merkte ihren Versprecher noch nicht einmal. “Es ist in Griechisch und ich dachte, vielleicht gefällt es dir ja.“ Axilla war sich zwar nicht sicher, ob er griechisch konnte, aber er hatte ja einen griechischen Lehrer gehabt. Auf ihre Frage damals hatte er ja nicht geantwortet.

    In ihr Spiegelbild versunken wie Narziss hatte Axilla gar nicht bemerkt, wie Vala nähergekommen war. Sie hörte seine Schritte erst, als er sie auch schon fast ansprach, und konnte ein schreckhaftes Zucken gerade so eben unterdrücken. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und verfluchte innerlich den dummen Becher, den sie immernoch in der Hand hielt und hier am Impluvium nirgends abstellen konnte. Ihr Blick glitt ganz kurz zu der Steinbank, wo das Buch lag, das sie jetzt eigentlich viel passender in Händen hätte halten sollen. Aber vorausdenkendes Handeln war noch nie Axillas Stärke gewesen.
    Und trotzdem lächelte Vala sie an und machte ihr ein Kompliment, was Axilla sofort verlegen zurücklächeln ließ und im ersten Moment die vielen, schön einstudierten Sätze, die sie hatte sagen wollen, aus ihrem Gedächtnis tilgte. Wenn es wahr wäre..., dachte sie nur scheu und versuchte, nicht gar zu sehr wie ein scheues Reh auszuschauen. Sie war ja immerhin gekommen, um einen guten Eindruck bei ihm zu machen, da sollte er sie nicht für eine einfältige, hohle Nuss halten.
    “Salve, Vala“, fand sie also ihre Sprache wieder, auch wenn das Lächeln nicht abzustellen war. Sie kam näher zu ihm, blieb aber in gebührlichem Abstand stehen. Sie wollte schließlich nicht, dass er sich wieder von ihr bedrängt fühlte. “Ich wollte mich noch bei dir bedanken. Also, dass du mich nach Hause gebracht hattest, also, vor ein paar Wochen.“ Wann denn sonst, du Schaf?! Komm, benimm dich intelligent!
    Axilla fiel der vermaledeite Becher in ihren Händen wieder auf, und mit einem “Oh“, was nicht unbedingt den Status einer intelligenten Bemerkung verdient hatte, stellte sie ihn rasch auf die nahe Steinbank. “Ich wollte mich ja eigentlich an dem Tag schon bedanken, aber du warst so schnell weg, und ich war ein wenig... ähm... perplex? Also, wegen der Art und Weise..."
    Wenn sie ihn nicht direkt ansah, wie jetzt beim Abstellen des Bechers, ging es besser mit dem Reden. Als sie sich aber wieder zu ihm umdrehte, musste sie seinem Blick wieder leicht ausweichen, aus Angst, zu sehr in seine Augen zu schauen, zu sehr zu lächeln oder schlicht und ergreifend zu offensichtlich verliebt zu sein.
    “Und weil ich nicht wusste, wo du wohnst, konnte ich dir nicht gleich am nächsten Tag danken. Es hat ein wenig... gedauert, das rauszufinden.“
    So ungefähr den Zeitraum, den ein Brief nach Mogontiacum und zurück brauchte, plus minus ein paar Tage, in denen sie Leander herumgescheucht hatte, das Haus zu finden, dass Vala offenbar vermietet hatte, und noch weitere zwei Tage, damit ihr entnervter griechischer Sklave seinen jetzigen Wohnort herausbekam, plus einen weiteren Tag des 'Ich weiß nicht, ob ich mich trauen soll'-ens.

    “Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken“, entschuldigte sich Axilla gleich mehr gehaucht denn wirklich gesprochen. Laute Geräusche taten ihr in den Ohren weh, und außerdem wollte sie diesen Moment nicht jetzt schon beenden und zerstören, indem sie einfach drauflosplapperte. Nur noch einen Herzschlag lang an ihn kuscheln, nur einen Herzschlag noch wissen, dass er bei ihr war und nicht gegangen war. Nur einen Herzschlag lang dieses schöne Gefühl behalten, dass die Kopfschmerzen, die Ehrverletzung, die ganze Situation vergessen machte. Nur einen Herzschlag noch.


    “Ist denn schon Morgen?“ fragte sie ebenso sanft und leise, und schmiegte sich noch wie schlaftrunken an Piso. Er war so herrlich warm, und seine Haut fühlte sich wundervoll an ihrer an. Nur noch einen Herzschlag mehr.
    “Ich will nicht, dass Morgen ist“, flüsterte sie weiter und begann damit, etwas geistesabwesend über seine Brust zu streicheln, ohne dabei aufzublicken. Er roch auch gut. Nur einen Herzschlag mehr.
    “Wenn Morgen ist, werden wir nämlich ein Gespräch führen. Wir werden sagen, dass das nicht hätte geschehen sollen. Du hättest mich heimbringen sollen.“ Axilla sagte es ohne jeden Vorwurf in der selben, fast verschlafenen, leisen Stimmlage wie alles andere, während sie beständig und sanft weiterstreichelte und sich an ihn schmiegte. “Ich hätte gar nicht erst so viel trinken sollen. Vielleicht sagst du sogar, dass es dir leid tut.“
    Sie atmete einmal tief durch und sog dabei den Geruch seiner warmen Haut tief auf. Nur einen Herzschlag mehr, nur einen weiteren Herzschlag.
    “Du bist Patrizier, ich bin Plebejerin. Wir kennen uns eigentlich gar nicht. Und deshalb werden wir sagen, dass es auch nie wieder sein wird, weil es schon dieses eine Mal nicht hätte sein sollen. Und weil wir beide mit Archias befreundet sind, sollten wir wohl auch so tun, als wäre es nie geschehen, und einfach weitermachen. Es einfach vergessen, als wäre es nicht passiert. Vermutlich sehen wir uns ohnehin nicht so oft.“ Ein klein wenig Trauer klang in ihrer Stimme mit, und Axilla ruckte einmal ihre Körperhaltung zurecht, um ihn besser streicheln zu können und bequemer an seiner Seite zu liegen. Vorsichtig und schüchtern schaute Axilla zu Piso auf. Sie war nicht dumm, auch wenn sie meistens sehr naiv daherplapperte und nicht unbedingt vorausplante. Aber sie war nicht so dumm, zu glauben, dass er sie liebte und nun heiraten würde hierfür. Er konnte bessere haben als sie. Warum sollte er sie nehmen?
    “Aber wenn noch Nacht ist, dann passiert das noch nicht. Dann kann ich noch einen Moment bei dir liegen und vergessen, wieso das hier so ist. Ich kann einfach nur froh sein, dass du jetzt hier bist. Kann dir danke sagen, dass du hier geblieben und nicht einfach gegangen bist. Nur noch einen Herzschlag mich an dich schmiegen“, und bei diesen Worten tat sie eben selbiges, “und so tun, als wären wir gar nicht, wer wir sind, sondern einfach nur ein Mann und eine Frau, die jetzt beieinander liegen.“
    Ihre Nase stupste ihn ganz leicht an, aber der Blick ihrer Augen war immernoch traurig und sehnsüchtig, fast flehend. Nur noch ein paar Momente wollte sie einfach nur so tun, als ob, und damit das schöne Gefühl noch ein wenig behalten. Sie suchte etwas in seinem Blick, wie er sich fühlte, was er wohl dachte. Ob ihm die Nähe gar unangenehm war. “Ist schon Morgen?“ fragte sie noch einmal vorsichtig und leise, während sie ihm weiter in die Augen blickte. Er hatte schöne graue Augen.

    Bis zum Atrium war es von der Tür nicht weit. Eigentlich ging es nur durch einen kleinen Windfang hindurch und schon stand Axilla in dem schönen Raum. Direkt vor ihr war ein hübsch anzusehendes Impluvium. Ein paar Blüten schwammen im Becken und schaukelten auf dem Wasser vor sich hin. Axilla fragte sich noch, was das wohl für Blumen waren, immerhin war grade Winter, als der Ianitor auch schon ging, um Vala zu holen. Axilla konnte nur noch kurz nicken, dann war er auch schon weg. Von irgendwoher kam ein Sklavenmädchen mit Getränken, und Axilla nahm einen Becher mit Wasser. Ihre letzte Bekanntschaft mit Wein steckte ihr noch in den Knochen, das wollte sie nie wieder wiederholen. Zumindest war das ihr fester Vorsatz.
    Damit das Buch nicht noch etwas abbekam, legte sie es auf der Steinbank neben der Statue eines ihr unbekannten Mannes ab. Das Mädchen zog sich auch schon wieder dezent zurück und ließ Axilla damit erstmal allein. Anstatt auf dem Buchrücken trommelten ihre Finger nun etwas nervös auf dem Becher herum, während sie ihn eigentlich nur hielt und nichts trank, obwohl ihr Mund ausgedörrt schien.
    Was, wenn er immernoch böse auf sie war? Vielleicht war er ja jetzt auch wütend, weil sie ihm mehr oder weniger ja nachgelaufen war. Sogar mehr mehr als weniger. Er mochte ja keine Nähe, zumindest keine ungebührliche, und das hier war... naja, sowas ähnliches.
    War sie überhaupt hübsch genug? Leider war hier kein Spiegel, und so ging Axilla nur direkt vor den künstlichen Teich in der Mitte des Atriums, um dort ihr Spiegelbild zu begutachten. Mit den Blüten darin war das Wasser nicht ganz ruhig, sondern ganz leicht in Bewegung, aber ein wenig konnte sie schon schauen. Ihre Frisur sah in Ordnung aus, fein zusammengesteckt mit ein paar einfachen, weißen Perlen darin. Nicht zu besonders, aber auch nicht so, als dass sie Leanders Gejammer hätte ertragen müssen. Dazu ein hellgrünes Kleid mit nicht allzu keuschem Ausschnitt und schönen, versilberten Fibeln an den Schultern, dazu ein passender Gürtel. Nicht zu auffällig, aber eben auch nicht ärmlich. Höchstens ihre Schuhe waren etwas in Mitleidenschaft geraten, denn auch in Rom war der Winter recht nass, so dass das Leder etwas fleckig ausschaute. Missmutig schaute Axilla darauf. Hoffentlich fiel es Vala nicht auf.

    Axilla wusste nicht, ob sie wirklich erleichtert war oder ob ihr doch das Herz in die nicht vorhandene Hose rutschte, als der Ianitor sagte, Vala sei da. In jedem Fall ging ein kleiner Ruck durch ihren Körper, ehe sie sich in Bewegung setzte, um das Haus so zu betreten.
    “Danke. Darf Leander so lange in der Küche warten?“ stellte sie noch die eigentlich obsolete Frage nach dem Verbleib ihres Sklaven, war es ja eigentlich üblich, dass selbige eben jenes taten, während ihre Herren zu Besuch waren. Es war also nicht viel mehr als eine höfliche Floskel, aber Axilla wollte ja auch kein Trampel sein und außerdem fragte sie ja immer ehrlich und ernsthaft danach.
    Sie folgte also dem Ianitor etwas aufgeregt ins Atrium, während sie versuchte, möglichst ruhig zu wirken.

    Auch Axilla kam näher zu der Porta, blieb aber noch deutlich hinter Leander stehen. Sie versuchte dabei, möglichst nicht die ganze Zeit auf dem einband des Buches herumzutrommeln, sondern möglichst normal dazustehen. Allerdings war der Zustand von stoischer Ruhe nichtmal anzudenken, so oft wie sie ihr Gewicht doch wieder verlagerte und scheinbar interesselos in der Gegend herumschaute, während Leander das Einlassbegehr übernahm.
    “Salve. Meine Herrin, Iunia Axilla, wünscht den werten Duccius Vala zu sprechen, so er zugegen ist und etwas Zeit erübrigen kann.“
    Leander machte bei seinen Worten so etwas wie eine kleine Verbeugung und wartete ruhig und höflich auf Antwort. Wenngleich seine Herrin in punkto Ruhe noch einiges zu lernen hatte, war er nicht im mindesten aufgeregt oder unruhig. Andererseits war er ja auch kein junges Mädchen, das drauf und dran war, den eigenen Schwarm wiederzusehen.

    “Und du bist dir ganz sicher? Das hier ist richtig?“ Sie standen nun bestimmt schon gut und gerne 5 Minuten vor der Casa der Prudentier, ohne dass Axilla wirklich zu einem Entschluss gekommen wäre. Nein, stattdessen löcherte sie den armen Leander zum einundelfzigsten Mal mit der selben Frage, so dass dieser jetzt schon die Augen verdrehte, ehe er antwortete.
    “Ja doch. Herrin, ich bin mir wirklich sicher. Casa Prudentia, als Gast. Via Flaminia, nicht ganz auf Höhe des Capitoliums.“ Wie zum Beweis deutete Leander nochmal zu dem Hügel, der sich im Hintergrund erhob.
    “Und es kann nicht sein, dass er dich angeschwindelt hat?“ Sie war nervös und wollte Zeit schinden. Was, wenn er sie nicht empfing? Was, wenn er gar nicht da war, und der Hausherr sie gleich nur anstarren würde, als hätte sie nicht alle Amphoren im Regal?
    Leander seufzte. Deutlich hörbar und sichtlich resignierend. “Herrin, ich habe mich bestimmt eine halbe Stunde mit dem Tischler unterhalten. Der wird schon wissen, wo sein Vermieter wohnt. Und ja, ich hab einen der prudentischen Sklaven gefragt, ob Duccius Vala Gast des Hauses sei, und ja, bevor ich dich hierher geschleppt habe, und ja, ich bin mir ganz sicher.“
    Axilla kaute auf der Unterlippe herum. Ihre Finger trommelten auf dem Einband des Buches, das sie mitgenommen hatte. Aristoteles, Rhetorik. Sie fand es zwar ein wenig trocken, aber ihr war versichert worden, dass es DAS Werk schlechthin sei, wenn man einmal eine Rede welcher Art auch immer halten wolle und Grundvoraussetzung jeglicher Politik. Nun, vielleicht fand sie es auch nur deshalb so trocken, weil sie nur knapp die Hälfte verstanden hatte, aber das musste ja keiner Wissen. Und sie wollte ja nur ein Geschenk, das auch nach etwas aussah.
    “Ich... hmmm...“ Axilla sah wieder rüber zur Tür. Bestimmt sah sie furchtbar aus. Heute war das Wetter so nasskalt, bestimmt war ihre Frisur ganz eingefallen. Auch wenn Leander behauptete, dass sie vornehm und edel aussah, wie eine Römerin von Stand. Aber was hieß das schon? Hübsch wollte sie sein, verdammt noch eins, hübsch! Umwerfend, atemberaubend, wunderschön, zum verlieben! Nicht „vornehm“ und „edel“. Das waren Matronen auch, aber sie wollte, dass Vala die Augen rausfielen und das Herz stehen blieb, wenn er sie ansah.
    Vielleicht hätte sie sich schminken sollen? Sie war immernoch so dunkel, trotz des nun schon etwas längeren Aufenthalts in Rom. Aber Rufus hatte damals sehr befremdet auf Schminke reagiert, und wenn Vala sein Verwandter war, und nach dem minimalen Wissen, was Axilla über Germanen hatte (also im Grunde, dass sie aus Germania Magna kamen), wollte sie lieber natürlich sein. Außerdem mochte sie nicht das zugekleisterte Gefühl auf der Haut.


    “Herrin, die Tür wird sich nicht von allein öffnen, wenn ich nicht klopfe...?“
    Leander erntete einen bösen Blick. Natürlich wusste Axilla das, aber... sie war nervös. Was, wenn er noch an den albernen Streit dachte? Was, wenn er sie nicht sehen wollte? Sie sah wieder zur Tür, dann zu ihrem Sklaven.
    “Gut, klopf an. Sonst erkälten wir uns hier draußen noch...“ Wirklich überzeugt klang es nicht, auch die Handbewegung, mit der Axilla den Griechen scheuchte, wirkte alles andere als enthusiastisch. Aber Leander verkniff sich nur ein Grinsen und klopfte kräftig und laut gegen die Tür.

    Ein iunischer Sklave brachte zwei Briefe zur Poststelle. In letzter Zeit schrieb seine Herrin Axilla ziemlich viel, so dass er den Weg hierher bald im schlaf fand.
    “Einmal Wertkarte Iunia bitte“ sagte er nur knapp, als er die schreiben abgab.



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    Stadtverwaltung der freien Polis Alexandreia
    Tychaion
    Alexandria – Brucheion – Aegyptus


    Chairete Polites y Pyrtanes,


    in tiefer Trauer wende ich mich an euch. Ihr wisst um den Grund meines Briefes, wirft der Mord an meiner geliebten Cousine Iunia Urgulania doch ein größeres Feuer als der Leuchtturm auf Pharos. Immer hat sie der Polis gedient, immer mit aller Kraft für ihr Wohl gearbeitet.
    In tiefem Schmerz bin ich. Nicht nur aus Trauer um meine Verwandte, sondern auch aus Sorge um die Stadt, die mir nun so lange Heimat war und die zu lieben auch ich gelernt habe. Ich bitte euch, Menschen Alexandrias, zu zeigen, dass diese Liebe, die Urgulania und ich zu dieser Stadt fühlen, nicht vergebens ist. Ich bitte euch, tut euer Möglichstes, um den Mord an ihr zu rächen und zu sühnen. Ich bitte euch nicht, euch in Gefahr zu bringen. Ich bitte euch nicht, grausam oder unbedacht zu handeln. Ich bitte euch nicht um Schnelligkeit. Einzig bitte ich euch um die Wahrheit, und dass ihr sie mir mitteilen möget, wie auch immer sie aussehen mag.
    So ihr Beweise habt, bitte ich euch, mir diese ebenfalls zu übermitteln. Ich will in Rom, der Stadt des Basileus, alles daran setzen, dass auch hier die Wahrheit ans Licht kommen möge. So weit meine Kräfte reichen, will ich euch helfen und euch unterstützen. Doch bitte ich euch, schont mich nicht, nur weil ich jung bin. Ich weiß um die Last der Wahrheit, um ihr bleiernes Gewicht. Und ich möchte lieber das ertragen, als nicht zu wissen, was geschah.
    Im Namen meiner Cousine bitte ich euch um eure Hilfe, denn euch gehört mein Vertrauen.


    Und ich bitte euch, so es nicht zuviel verlangt ist, opfert für Iunia Urgulania im Serapeion einen schwarzen Ochsen, damit ihre Seele auch in Alexandria ihre Ruhe finde und nicht von der Tat verfolgt werde.


    Chairete


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    Appius Terentius Cyprianus
    Praefectus Aegypti
    Alexandria – Basileia – Aegyptus


    Salve Terentius,


    ich kann dir gar nicht sagen, welche Stellen in meinem Herzen dein Brief zu berühren vermochte. Sei versichert, dass ich alles daran setzen werde, dass der feige Mord an meiner geliebten Verwandten gerächt und gesühnt wird.
    Ich bin mir sicher, dass ihr dieses Verbrechen bald aufgeklärt haben werdet und ein paar arme Individuen dafür einen elenden Tod erleiden werden. Ich bete zu den Göttern, dass dieses Schicksal all jene trifft, die Schuld daran tragen, dass dieser feige Mord geschah. Ich bete und hoffe, dass all jene, die nicht ermittelt werden können, ein ebenso grausames Schicksal erleiden mögen. Aber ich hoffe, dass ihre Taten im Licht der Öffentlichkeit aufgedeckt werden mögen, auf dass alle Welt sehen kann, welch Monster in ihnen steckt.
    Ich werde die Stadtverwaltung bitten, im Namen Urgulanias im Serapeion einen schwarzen Opfen opfern zu lassen, auf dass ihre Seele in der Unterwelt einen guten Platz finde und nicht gequält werde von der Tat. Es wäre zwar eine gerechte Strafe für den Mörder, würde ihr Geist als Lemure zurückkehren und den Schuldigen heimsuchen, dennoch wünsche ich ihr dieses Schicksal nicht. Wenn du ernsthaft bedauerst, was geschah, kannst du dich als Zeichen dafür ja an den Kosten beteiligen. Vielleicht erhört Pluto dich in seiner Gnade.


    In Trauer und Wut


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    Sim-Off:

    Bitte von der Wertkarte Iunia

    Von seinen Selbstzweifeln und Plänen merkte Axilla nichts. Sie hörte nur, dass er blieb, und sie glaubte ihm. Sie wollte ihm auch glauben, so sehr, dass er noch so ein schlechter Lügner hätte sein können. Sie hatte die Worte hören wollen, und er hatte sie gesprochen, und das reichte, um die schlimmsten Dämonen zu vertreiben. Sie schmiegte sich an ihn, drückte ihn leicht und dankbar. Ihr Kopf legte sich leicht in die Kuhle an seiner Schulter, die sie auch schon vorhin so wundervoll gefunden hatte, und schloss die Augen. Ihre ganze Welt war für einen Augenblick nur sein Geruch und sein Herzschlag, und Axilla war glücklich. So widersinnig und verrückt es auch sein mochte, sie war glücklich, denn er war bei ihr und würde nicht weggehen. Sie war nicht allein, und das war wichtiger als alles Komplikationen, die es bedeuten mochte.
    Und es dauerte auch nicht lange, bis sie eingeschlafen war. Ganz ruhig und gleichmäßig waren ihre Atemzüge, nur ab und an zuckte es leicht durch ihren Körper und ihre Finger griffen leicht, als müsse sie auch im Schlaf sichergehen, dass er noch bei ihr war. Und jedes Mal, wenn sie dann fühlte, dass er noch da war, kam ein leises, wohliger Seufzer von ihr.


    Als sie allerdings nach einiger Zeit aufwachte, war das doch sehr anders. Es war noch dunkel um sie herum, und Axilla hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Dazu hatte sie einen schalen Geschmack im Mund, als wäre ihr eine Maus hineingekrabbelt und dort verendet. Irgendwie pelzig und trocken. Und noch etwas anderes fühlte sie. In ihrem Unterleib. Nicht nochmal... dachte sie nur und fühlte sich stark an ihr Treffen mit Timos erinnert. Wie konnte man nur dieselbe Dummheit zweimal begehen? Wieso hatte sie getrunken? Sie wusste doch, dass sie nichts vertrug.
    Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit um sie herum gewöhnt hatten. Und noch einen Moment länger, ehe sie realisierte, dass sie nicht allein hier war. Im ersten Moment war sie davon ausgegangen, aber so langsam realisierte sie, dass derjenige, der ihr dieses Gefühl in ihrem Unterleib beschert hatte, noch bei ihr war. Und so langsam wusste sie auch wieder, wer es war. Und ncoh viel langsamer erkannte sie ihn auch.
    Einen Moment verharrte Axilla ganz still. Sie war ganz leicht auf ihren Ellbogen aufgestützt und sah auf Piso hinunter. Er war noch hier. Er war bei ihr. Er war nicht weggegangen. Er war hier. Ein ganz merkwürdiges Gefühl beschlich Axilla, die nicht wirklich wusste, wie sie sich fühlte. Wieso war er hier? Wieso war er nicht gegangen? Er hatte sicher die Chance gehabt. Er hätte einfach abhauen können. Wer würde ihr schon glauben? Wieso war er geblieben? Bei ihr? Sie war so schlecht und so unmoralisch und so.... sie war einfach sie. Sie hatte nicht verdient, dass er blieb. Sie hatte nicht verdient, nicht allein zu sein. Und er war hier.
    Ganz langsam erkannte Axilla das Gefühl. Erleichterung. Unendlich süße Erleichterung. Sie war nicht allein. Er war bei ihr geblieben. Auch wenn sie es nicht verdiente. Er war hier. Und es war egal, dass er sie zuvor abgefüllt und verführt hatte. Es war egal, dass das rein faktisch betrachtet mehr als nur verwerflich war. Es war egal, aus welchem Grund er es getan haben mochte. Er war bei ihr geblieben. Und jetzt war er hier.
    Sie zitterte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie tun sollte. Schlief er noch, oder war er wach? Sie sah es nicht richtig, es war zu dunkel. Sie wollte ihn nicht aufwecken, und so verharrte sie noch ein wenig in ihrer Position, nur ganz sanft auf ihn hinunterblickend. Ihr war kalt, und erst, als es sie wirklcih fröstelte, legte sie sich wieder zu ihm, schmiegte sich ganz dicht an ihn an. Er war bei ihr geblieben. Axilla wusste nicht, wann sie das letzte mal sich so leicht gefühlt hatte. Sie kuschelte sich dicht an ihn und am liebsten wollte sie weinen, aber sie unterdrückte es. Was sollte er von ihr denken, wenn er doch wach war? “Danke“, flüsterte sie nur leise und war sich selbst nicht sicher, ob sie ihn oder vielleicht doch die Götter meinte.

    Dieser impertinente...! Axilla fiel kein Wort ein, das böse genug gewesen wäre, als sie den Brief in Empfang genommen hatte. Wagte diese Person doch tatsächlich, das Wort an die gens zu richten. Und dann auch noch in diesem Ton! Dieser schmierige... GrrraaaAAAAH! Sie könnte schreien!
    Wie ein Tiger im Käfig lief Axilla beinahe Furchen in das kleine Triclinum, in das sie sich zum Lesen der Post zurückgezogen hatte. Wütend schnaubte sie immer wieder oder ließ kurze Schimpftiraden in verschiedensten Sprachen über alle ergehen, die auch nur annähernd in ihre Nähe kamen.


    Oh, sie konnte sich schon gut vorstellen, was Silanus sagen würde zu diesem.... diesem... Pamphlet! Wahrscheinlich würde er diesem Mörder noch einen Dankesbrief für die lieben Worte schreiben, sich für seine Anteilnahme bedanken und dergleichen. Oh ja, Axilla konnte es sich schon bildhaft vorstellen. Und wenn sie mit ihm darüber würde reden wollen, würde er wieder pathetisch werden und herumjammern, dass sie ja gar keine Ahnung von der Welt da draußen hätte. Von Polemik keine Spur!
    Aber nein, nicht mit Axilla. Wenn schon der Rest hier nicht fähig oder willens war, dem ganzen die gebührende Antwort zu geben, dann würde sie das selber tun.
    Also jagte sie einen Sklaven los, ihr Papier und Schreibzeug zu holen. Oh nein, davon würde sie jetzt niemand abhalten, schon gar nicht auf Kosten des Stolzes und der Ehre!



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    Appius Terentius Cyprianus
    Praefectus Aegypti
    Alexandria – Basileia – Aegyptus


    Salve Terentius,


    ich kann dir gar nicht sagen, welche Stellen in meinem Herzen dein Brief zu berühren vermochte. Sei versichert, dass ich alles daran setzen werde, dass der feige Mord an meiner geliebten Verwandten gerächt und gesühnt wird.
    Ich bin mir sicher, dass ihr dieses Verbrechen bald aufgeklärt haben werdet und ein paar arme Individuen dafür einen elenden Tod erleiden werden. Ich bete zu den Göttern, dass dieses Schicksal all jene trifft, die Schuld daran tragen, dass dieser feige Mord geschah. Ich bete und hoffe, dass all jene, die nicht ermittelt werden können, ein ebenso grausames Schicksal erleiden mögen. Aber ich hoffe, dass ihre Taten im Licht der Öffentlichkeit aufgedeckt werden mögen, auf dass alle Welt sehen kann, welch Monster in ihnen steckt.
    Ich werde die Stadtverwaltung bitten, im Namen Urgulanias im Serapeion einen schwarzen Opfen opfern zu lassen, auf dass ihre Seele in der Unterwelt einen guten Platz finde und nicht gequält werde von der Tat. Es wäre zwar eine gerechte Strafe für den Mörder, würde ihr Geist als Lemure zurückkehren und den Schuldigen heimsuchen, dennoch wünsche ich ihr dieses Schicksal nicht. Wenn du ernsthaft bedauerst, was geschah, kannst du dich als Zeichen dafür ja an den Kosten beteiligen. Vielleicht erhört Pluto dich in seiner Gnade.


    In Trauer und Wut


    [Blockierte Grafik: http://img509.imageshack.us/img509/3392/axillaunterschrph0.gif]


    Ja, das war gut. Nikolaos wäre vielleicht sogar stolz auf sie und ihre Worte. Axilla lächelte zufrieden, als sie die Feder absetzte und einen Sklaven herbeirief, damit er den Brief aufgeben würde.

    Er war durch Ägypten gereist? In seinem Alter? Bestimmt hatte er Begleitung gehabt, Axilla konnte sich nicht vorstellen, dass irgendwer einen Jugendlichen allein reisen lassen würde, erst recht nicht durch ein Land wie Ägypten. “War das nicht gefählrich mit den ganzen Beduinenstämmen?" fragte sie also einfach mal, ohne wirklich darüber nachzudenken. Es gab ja immerhin einen Grund für die Legion in Ägypten, und der bestand nicht aus der Gefahr durch die griechische Schicht dort oder auch die Ägypter, sondern durch eben jene Stämme, die man nicht wirklich fassen konnte, die aber gerne die Getreidelieferungen am Nil überfielen, oder die reichen Städte und Poleis. Urgulania wäre bei einem solchen Überfall auch einmal beinahe getötet worden, und Axillas Cousinen Varilia und Attica hatten da weniger Glück gehabt. Und Libo erzählte das so, als wäre es ein Spaziergang durch die Steppe gewesen und nichts weiter dabei.
    Und auf seine zweite Frage konnte sie auch nicht mehr als verwirrt schauen. “Etwas falsches gesagt?“ fragte sie verwirrt nach. Was meinte er denn jetzt schon wieder? Er war schon ein sehr komischer Vogel.

    Von dem Geplänkel zwischen Piso und dem Kellner bekam Axilla nichtmal wirklich etwas mit. Sie fühlte nur, wie sie mit einem Mal hochgehoben wurde, und versuchte, nicht herunterzufallen. Sie sah auf den Boden vor sich, und musste lächeln. Es war wie fliegen. Sie konnte es zwar nicht steuern und wusste nicht, wohin es ging, aber es war wie fliegen. Erst, als Piso beinahe eine Säule umlief, bemerkte sie, dass er sie trug und lehnte sich mehr zu ihm. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, und ihre Arme hingen fast schlaff an seinem Hals. Sie schloss die Augen und schmiegte sich einfach nur an ihn. Er roch gut. Und sein Hemd war so flauschig. Und er hielt sie so sicher im Arm. Und er war warm...


    Beinahe wäre Axilla eingeschlafen, doch dann lag sie mit einem Mal auf einem Bett und die Wärme von seinem Körper war weg. Verwirrt und betrunken blinzelte sie zu ihm hoch, und sah ihn lächeln. Er beugte sich über sie, küsste sie, streichelte sie. Ihr Körper reagierte instinktiv, stöhnte, bog sich ihm entgegen. Dass er sie entkleidete bekam sie nicht wirklich mit, und auch nicht, dass er sich entkleidete. Sie zog ihn nur immer und immer wieder an sich, um ihn zu küssen und seine Nähe zu fühlen. Er war so warm, so lebendig, und er roch so gut.
    Als er sich auf sie schob, wollte sie noch sagen, dass sie das nicht tun durften. Irgendwo wusste Axilla, dass das hier gerade mächtig falsch war, und dass sie das nicht tun sollten. Er war Archias Freund, sie war seine Freundin. Sie waren nicht verheiratet, und angesichts ihrer Stände würden sie das wohl auch nur schwerlich tun. Abgesehen davon, dass sie sich auch erst wenige Stunden kannten und Axilla von ihm eigentlich nur den Namen kannte, sonst nichts. Sie wollte auch wirklich etwas sagen, ihn von sich stoßen, aber ihr Körper machte einfach gar nichts. Oder im Gegenteil, sie machte es ihm noch leicht, umschlang seine Hüften instinktiv mit ihren Beinen und anstatt dem eigentlich notwendigen 'nein' kam nur ein lusterfülltes Stöhnen, als sie sich schließlich vereinten.


    Eine Weile später lag Axilla einfach nur neben ihm. Ihr war kalt, und sie kuschelte sich dicht an ihn. Er war so schön warm. Sie wollte bei ihm sein, zumindest für den Moment. Und sie war müde. So müde. Aber sie wollte nicht schlafen, weil sie Angst hatte, er würde dann gehen und sie allein lassen. "Bleib bei mir...“ flüsterte sie ihm nur leise zu und meinte es genau so, wie sie es sagte. Sie wollte jetzt nicht allein sein. Sie wollte beruhigt einschlafen.

    Ein klein wenig seltsam kam es Axilla schon vor, dass Crios hier nächtigte, aber gut, es war sein Leben. Meistens war es ja so, dass Personen ihre Geschäfte in ihren Wohnhäusern hatten, aber das hier gehörte Decima Seiana. Andererseits, wenn sie so darüber nachdachte, in ihrer Farbmischerei wohnte auch ihr Verwalter... im Grunde war das gar nicht so anders. Und immerhin war es so etwas leichter, den Weg später für Leander zu erklären, sollte es notwendig sein.
    “Er heißt Leander. Grieche, etwa so groß, dunkle Haare.“ Axilla wusste nicht, warum sie überhaupt von Leander eine Beschreibung abgab. Sie hatte eigentlich nicht vor, ihn zu schicken. Zumindest plante sie nicht damit, und wenn, dann würden ohnehin wohl noch ein paar Tage vergehen, und bis dahin hatte Crios das sicher schon wieder vergessen. Egal, nicht soviel nachdenken, sagte sie sich.


    Auf siene zweite Bemerkung hin aber fühlte sich Axilla schon seltsam. Viel Glück? Was wollte er denn jetzt damit sagen? Oder wollte er ihr nur nochmal Angst machen, damit sie es sich überlegte? Aber,w as sollte sie denn sonst machen? Ihr blieb ja gar ncihts anderes übrig, als das zu Ende zu führen! Eigentlich hätte sie gar nicht erst in diese Situation kommen dürfen!
    Und doch... auch wenn es nicht sein durfte... und nie mehr sein würde... wollte sie es wirklich missen? Nein, sie sollte sich nicht den Kopf mit was wäre wenn's zerbrechen, das gab nur Kopfschmerzen, und es kam ohnehin nichts dabei raus. Also erntete Crios nur ein etwas gequältes und schiefes Lächeln.
    “Gut, dann... danke...“ Axilla wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Eigentlich war alles gesprochen. Sie wusste, was mit ihr los war, und hatte ein Mittel es zu beenden. Deshalb war sie ja hergekommen. Sie atmete noch einmal durch und richtete sich gerader auf. Irgendwie fühlte sie sich gerade ziemlich klein. “Dann... Vale“, verabschiedete sie sich noch, schaute noch einmal, ob sie auch nichts vergessen hatte, und ging. Es gab vieles, worüber sie nachzudenken und weniges, was sie zu tun hatte.

    “Naja, auf eine Feier zu kommen, um dann allein sein zu wollen, ist etwas merkwürdig, oder?“, meinte sie charmant, um den vielleicht schlechten, ersten Eindruck wieder wett zu machen. So langsam hatte sie sich von ihrem Schrecken erholt, auch wenn sie sich nach wie vor unsicher war, was Libo nun eigentlich bei ihr wollte. Sie kannten sich immerhin gar nicht, und dass es nur war, um über Ägypten zu reden...? Naja, vielleicht fühlte er sich hier ja wirklich etwas verloren. Wobei das auch wieder komisch war, immerhin war das das Haus seiner Gens und er damit hier zuhause. Aber vielleicht war er generell ja etwas schüchterner.
    Was er allerdings dann noch sagte, ließ Axillas Kopf doch zu Serrana ncoh einmal herumrucken. Er hatte den Eindruck, die beiden wären Turteltäubchen? Nun, eigentlich waren sie das ja auch, so wie Axilla das verstanden hatte, aber sie wollten das doch geheimhalten! Warum also sollte Axilla den Mund haben, bis es offiziell war, wenn die beiden hier in der Öffentlichkeit durchaus den Eindruck machten, als gehörten sie zusammen. Oh, Axilla hoffte für Senator Germanicus, dass er es in dem Fall, dass das wirklich so war, ganz schnell offiziell machen würde. Denn Axilla würde nicht zulassen, dass er ihre Cousine in Verruf brachte – da brachte sie selber den Familiennamen schon genug in Verruf. Ihre süße Cousine aber sollte da verschont bleiben.
    Bevor Libo noch irgendetwas dachte, drehte sie sich wieder von Serrana und Sedulus leicht ab, beobachtete nur hin und wieder aus den Augenwinkeln. Irgendwie machte sie sich jetzt doch ein paar Gedanken. Aber im Moment unterhielt sich der Senator nur mit dem anderen Iulier, der vorhin so süß herumgestottert hatte, und Claudia Romana.
    “Und von wo genau in Ägypten kommst du? Ich war ja nun fast zwei Jahre in Alexandria...“, versuchte Axilla ein Gespräch zu starten, wobei sie allerdings doch in Gedanken eher bei Serrana war.

    Sim-Off:

    Jo, klar doch. Hätt ich Holzkopf auch selber dran denken können :D


    Das war irgendwie das merkwürdigste Kennenlernen,d as Axilla hatte. Sie war sich immer noch unsicher, was ihr Gegenüber von ihr wollte. Und als er sie fragte, ob sie sich nicht erinnerte, bekam er erstmal einen bösen Blick. Axilla war doch nicht doof! Natürlich erinnerte sie sich, dass sie ihn eben gesehen hatte, aber das hieß doch nicht, dass sie alles wusste oder sich gar alles merkte. Hier waren bestimmt schon fünfzehn Leute, die irgendwo herumschwirrten, und Axillas Namensgedächtnis war sowieso eine Katastrophe. Aber ihr zu unterstellen, sie würde sich nicht an die letzten fünf Minuten erinnern... Nein, den bösen Blick hatte diese Libo schon redlich verdient.
    Und sie fand es auch ein bisschen interessant, dass er sie weiterhin nur mit Cognomen ansprach, als würden sie sich schon lange kennen, ebenso wie ihre Cousine, und sich gleichzeitig für Direktheit und Vertraulichkeit entschuldigte. Ein klein wenig musste Axilla da schon grinsen. Das war schon wirklich ein komischer Vogel hier. Und sie wusste nach wie vor nicht, warum er nun bei ihr war und nicht mehr bei der Gruppe.
    “Nein, wieso solltest du mir ungelegen kommen? Ich glaube, den Kuchen stört nicht, mit wem ich meine Gesellschaft teile“, meinte sie leicht vergnüglich und sah sich den Jungen vor ihr mal an. Sehr alt konnte er ja noch nicht sein. Axilla war sich nicht sicher, ob er überhaupt älter als sie war.