Nun, wenn Seiana auch nicht wusste, ob und wann Livianus kam, blieb nur Abwarten und Saft trinken. Zur Not würde sie einfach nochmal kommen, wenn er wirklich nicht kam, ehe sie heim ging. Oder sie lud ihn zu sich ein? Ihr Blick glitt kurz durch die schöne Ausstattung des Hauses, die edlen Hölzer, die verarbeitet wurden bei den Möbeln... vielleicht ließ sie die Einladung in die Casa Iunia auch bleiben. Sie waren nicht arm, aber hiermit konnten sie nicht mithalten.
Zum Glück war aber das Thema sowieso schnell anderswo, und Axilla verlor den Gedanken wieder aus dem Sinn. “Wusst ich ja gar nicht, dass sie kommen wollte“, meinte Axilla, aber sie wusste ja auch nicht alles, was in Alexandria so vorging. Auch wenn sie und die Bantotakin bekannt waren und Nikolaos ja zum Epistates geworden war, hieß das ja nicht, dass sie über irgendwelche Reisen deshalb informiert war. Aber es war interessant, das zu erfahren. “Ja, vielleicht kannst du sie kennenlernen. Sie kann wirklich wundervoll spielen.“ Axilla hatte bei den Spielen richtig mitgefiebert, als sie an der Reihe gewesen war.
Und zum Glück war Seiana auch nicht wegen Axillas unbedarfter Frage böse, sondern antwortete darauf, so gut sie es eben wusste. Und Axilla war dankbar für den Hinweis, wie es in Rom denn war, denn sie konnte sich hier auch noch gar nichts wirklich vorstellen. “Dann meinst, du, es ist hier auch gar nicht so schlimm, wenn ich erzähle, dass ich zwei Betriebe besitze und leite? Ich weiß noch gar nicht so recht, wie die Leute hier sind. Ich kenne bisher eigentlich nur ein paar, und die nichtmal so richtig. Und ich will nichts falsch machen.“
Axilla würde ja gern mehr Menschen kennenlernen. Sie hatte ja eigentlich Gesellschaft sehr gern, denn je mehr Gesellschaft sie hatte, umso abgelenkter war sie und umso weniger musste sie nachdenken.
Doch dann kam das Thema auf Axillas Mutter. Sie merkte nicht, wie Seiana dabei ihre Sitzposition beobachtete und ahnte auch nichts von ihren Gedanken. Denn im Moment dachte sie wirklich nicht nach, erst Recht nicht über irgendwelche Knitter in ihrer Kleidung. Viele Frauen gaben sich sehr viel Mühe bei der Auswahl ihrer Garderobe, bedachten hunderte Dinge wie Qualität des Stoffes und den neuesten Schnitt, wie modisch etwas wohl war... Für Axilla war Kleidung nur etwas hübsches, was man eben anzog, um nicht nackt rumzulaufen. Nicht mehr. Weder Statussymbol noch Instrument, und erst recht nichts worüber man groß nachdenken musste. Sie hatte sich zwar hübsch gemacht, aber, weil sie für den Senator hübsch hatte sein wollen. Immerhin hatte er sie eingeladen, und ein bisschen Erziehung hatte Axilla ja doch gehabt. Für sie war das ihre Art, ihm Respekt entgegenzubringen. Aber wirklich berechnend darüber nachgedacht hatte sie nicht.
Sie hatte in ihrem Leben schon so viele Tuniken vollständig ruiniert. Mal war sie auf einen Baum geklettert und hatte den Stoff an den feinen Ästen zerrissen, mal war sie irgendwo unbedacht langegangen und hatte sich irgendwo angelehnt, wo es schmutzig war oder von frischer Farbe bemalt, die später nicht mehr rausgegangen war. An ihrem Geburtstag im letzten Jahr hatte sie eine Tunika von oben bis unten mit Schlamm von den Feldern vor Alexandria verdreckt, weil sie hingefallen war. Es kümmerte sie nicht wirklich.
Dass Seiana aber nicht wirklich über ihre Familie reden wollte und es ihr schwer viel, von ihrer Mutter zu berichten, das bemerkte Axilla sehr wohl. Sie bekam gleich so ein flaues Gefühl in der Magengegend, als sie merkte, dass sie einen Fettnapf wohl erwischt hatte, und versuchte, es zu überspielen. Leider fiel ihr nichts vernünftiges dabei ein. “Nein, streng war Mutter nicht. Sie war mehr... still...“ Axilla versuchte, zu überlegen, wie ihre Mutter denn eigentlich war. Auch, wenn sie ihre eigene Mutter war, irgendwie war da nicht viel, das Axilla sagen konnte. Ihre Mutter war eine zurückhaltende, stille, ruhige Person gewesen, die auf sanfte Weise versucht hatte, das wilde Kind zu zügeln. Sie war ganz anders gewesen als der Vater, und auch sehr anders als Axilla, die ein rechter Wirbelwind gewesen war. Und ohne Grenzen war Axilla auch sehr frei aufgewachsen, lediglich der Sklave Iason, der ihr Lehrer gewesen war, hatte sie noch einigermaßen gebändigt, und natürlich der Vater.
Zum Glück blieb das Thema aber nicht hierbei, sondern wechselte sehr rasch zum Thema heiraten. Das war zwar auch irgendwie seltsam, aber nicht ganz so unangenehm.
“Nein, Silanus ist nicht mein Tutor. Ich bin emanzipiert“ Axilla sagte es ein wenig schüchtern. Es war ungewöhnlich, wenn eine junge Frau für sich selber sprach. Bei einer Witwe war es wohl eher, aber bei einer siebzehnjährigen doch nicht Usus, und genau genommen auch nicht ganz gesetzeskonform. “Also, wenn es etwas gibt, wo ich eine Vertretung brauche, dann macht er das schon, aber ich kann und darf für mich selber entscheiden.“ Axilla schaute in etwa so zu Seiana auf, als hätte sie ihr eben gestanden, dass sie eine gesuchte Mörderin war. In Ägypten war der Umstand, dass sie für sich selbst sprach, kein Thema gewesen, hier würde es hoffentlich nicht zu einem Problem werden. “Also, falls du deinen Patron fragen möchtest, wäre das wirklich sehr nett. Vielleicht findet sich ja jemand?“ Immernoch war es komisch, sich selbst fast wie eine Kuh auf dem Viehmarkt anzubieten, aber so war das nunmal. Und vielleicht wusste der Aurelier ja jemand nettes und junges, der Axilla ihre Freiheiten gewährte? Fragen konnte man ja mal.