Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla sah sich nochmal im Atrium um, ob auch wirklich niemand außer ihnen hier drinnen war. Aber nicht einmal ein Sklave stand irgendwo am Rand, alle waren wohl im Moment mit etwas anderem beschäftigt. Sie waren wirklich allein hier. Axilla beugte sich zu Serrana in verschwörerischer Geste vor und schaute nochmal verstohlen in den Raum rien, ehe sie zu reden begann.
    “Das erste Mal ist nicht so schön, weil alles noch so ungewohnt ist und du meistens nicht die Zeit hast, das alles zu begreifen und zu verstehen. Aber wenn sich der Mann Zeit nimmt und du dich ganz darauf einlässt und auch willst, ist es schön. Es kann sogar richtig schön werden, und mit ein bisschen Übung, oder wenn man gut zueinander passt... so von der Größe her und so, du verstehst...“ Axilla meinte wirklich nur die körperliche Ebene, denn sie hatte ja den Vergleich mit Archias, den sie nur als Freund gern hatte, aber sonst nichts weiter. Und dennoch war es... lieber nicht daran denken, nie wieder daran denken, auch wenn es schwer fiel. “...dann kann es ganz und gar wundervoll sein. Du musst es nur zulassen, dass du nicht darüber nachdenkst und nicht versuchst, es zu begreifen, sondern es einfach nur genießt und ihm vertraust. Und wenn er etwas tut, was dir gefällt, dass du es ihn wissen lässt, damit er mehr davon macht.“
    Axilla war sicher nicht verklemmt, aber wie sollte man das nur vernünftig beschreiben, womit konnte man das denn vergleichen? “Ähm, du hast doch sicher schonmal... also, dich selber berührt, oder? So zur Entspannung?“ Axilla war die Frage dann doch etwas peinlich. Nicht wegen der Frage an sich, sondern weil sie Serranas Reaktion fürchtete. Deshalb redete sie lieber schnell weiter, ehe sie auf eine Bestätigung wartete. “Wenn der Mann sich bemüht, und du ihn wirklich willst, und du dich ihm richtig übergibst und vertraust, dann gibt es da einen Punkt, der... so, wie wenn du... du weißt schon... nur hundertmal stärker, dass du denkst, dein ganzer Körper würde in hellem Licht erstrahlen. Also, er tut das nicht, aber es fühlt sich so an. Wie warmes Licht, das jeden schlechten Gedanken, den du jemals haben könntest, einfach wegwischt.“
    Axilla wusste jetzt nicht, ob Serrana auch nur halbwegs verstehen konnte, was sie meinte. Sie konnte es aber nicht besser erklären. “Das klappt aber nicht immer. Wenn du zu nervös oder aufgeregt bist, oder dir zu viele Gedanken im Kopf rumgehen, dann geht das nicht. Es ist zwar auch dann sehr schön, wenn der Mann Rücksicht auf dich nimmt und versteht, wenn du ihm mit Gesten irgendwas sagen willst. Es kommt eben darauf an, wie sehr er auf dich eingeht, und wie sehr du dich ihm hingeben kannst.“

    Während Axilla endlich ruhiger wurde, wurde Serrana wieder nervöser. Ständig nestelte sie an ihren Armreifen herum, so dass es Axilla fast in den Fingern juckte, diese auch einmal zu berühren um zu fühlen, was damit denn sei. Zum Glück lenkte sie das aber nicht so sehr ab, dass sie Serrana erzählt hätte, dass es doch ein paar Mal mehr als ein Mal waren, und auch mehr als ein Mann mittlerweile. Aber irgendwelche Gewissensbisse hatte Axilla da nicht. Sie war nicht verheiratet, musste also niemandem treu sein. Und sie war, wenn sie jemandem ihre Zuneigung geschenkt hatte, diesem auch absolut treu gewesen, und zwischen den betreffenden Herren war auch immer einiges an Zeit verstrichen. Sie sah also eigentlich nichts, wessen sie sich schämen müsste, weil sie unehrlich gehandelt hätte. Sie besaß vielleicht nicht die Tugend der Keuschheit, die der Loyalität allerdings sehr wohl.
    Allerdings sah Serrana – wie wohl viele Römer – das etwas anders, so dass Axilla es ihr nicht auf die Nase binden musste. Die Cousine hatte jetzt wahrscheinlich sowieso schon eine gespaltene Meinung zu ihr, das musste sie nicht noch verstärken.
    “Ähm, also... wollen wir uns vielleicht einen Augenblick setzen?“ Axilla deutete auf eine der Bänke hier an der Wand und setzte sich hin, darauf wartend, dass Serrana es ihr gleich tat. Aber sowas besprach man besser im sitzen, hatte sie das Gefühl.
    “Also, das ist... schwierig. Weißt du... also, das erste Mal tut es weh. Egal, wie einfühlend und vorsichtig der Mann ist, es wird weh tun. Aber nur kurz.“ Zumindest war das bei ihr so gewesen, und war wohl nach allem, was sie gehört hatte in getuschelten Gesprächen der Sklaven oder anderswo wohl normal. “Und es fühlt sich... fremd an. Also, nicht unbedingt schlecht, aber... also, am Anfang war ich schon sehr verwirrt. Wenn er sich.. also... in dir bewegt, das ist... fremd.“
    Axilla überlegte, wie sie ihrer Cousine die Wahrheit sagen konnte, ohne ihr Angst zu machen. Und ob sie ihr nicht vielleicht Angst machen sollte.
    “Also, weißt du, die meisten Männer... also, die kennen es nur mit ihren Sklavinnen, und... also, die sind deshalb nicht sehr zärtlich. Und wenn es dann sehr schnell geht, und du grade nicht willst, dann kann es schon... ähm, weh tun. Von daher haben die Freundinnen deiner Großmutter vielleicht solche Männer?“
    Gut, das war wieder ein Punkt für die Angstmachen-Seite. Aber wenigstens wusste Serrana, wie es funktionierte, so dass Axilla nicht bei den Blümchen und den Bienchen hatte anfangen müssen. DANN hätte sie wohl erst Recht jetzt Angst gehabt.


    Axilla kaute kurz auf ihrer Unterlippe und überlegte. “Du musst mir auf Iuppiters Stein schwören, dass du das folgende niemals jemandem verraten wirst, und dass du deshalb nichts dummes tun wirst, erst recht nicht, bevor du zumindest verlobt bist“, sagte sie schließlich streng, als sie zu einer Entscheidung gekommen war.

    Seltsam, wie sich die Wahrnehmung verschob, wenn man selbst betroffen war. Axilla war ja noch nie ein Ausbund an Tugend und Zurückhaltung gewesen, aber trotzdem fiel ihr erst jetzt auf, wie schlimm es wohl war, auch nur darüber zu sprechen, wobei es ihr gar nicht so schlimm vorkam. Sie hielt sich nicht für einen bösen Menschen, nicht im eigentlichen Sinne, konnte also folglich auch nicht wirklich etwas böses tun. Aber bei Serrana klang es nun doch schon sehr verrucht, wie sie betonte, dass „Es“ geschehen war.
    Axilla grübelte gerade noch darüber nach, ob sie vielleicht doch einfach unmoralisch und verdorben war, ja, ob vielleicht sogar die Ansichten ihrer Zeitgenossen recht haben mochten und Alexandria ein Moloch der Lasterhaftigkeit und der Ausschweifungen war und deshalb die Bewohner dort verdarb, als Serrana sie dann doch überraschte. Axilla stutzte kurz und überlegte, ob sie auch gerade richtig gehört hatte. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass Serrana gesagt hatte, was sie gesagt hatte.
    “Also, ich glaube nicht, dass er noch so lange warten wird. Da wär er ja schön blöd, immerhin bist du ja im richtigen Alter und unsere Familie hoch angesehen. Wer sagt ihm denn, dass du keinen anderen heiratest, wenn er dich so lange schmoren lässt?“ Axilla versuchte, ihre Überraschung hinter einem kleinen Scherz auf Kosten des Germanicers zu verstecken, aber so wirklich lustig klang sie dabei nicht. Auch das freche Zwinkern täuschte nicht über ihre fragenden Augen hinweg.
    “Ähm... also, ich weiß nicht, was ich dir da erzählen soll? Ich meine... was willst du denn wissen?“ Axilla wusste ja ncihtmal, ob sie alle Fragen beantworten konnte, gab es doch auch einiges, was sie selbst nicht wusste. Und sie konnte ja auch nur von ihren Erfahrungen sprechen.

    Axillas Gesichtsausdruck wurde bei Serranas Worten kurz etwas gequält, war der betreffende Mann doch hier und nicht in Ägypten. Vergessen war da noch ein wenig schwerer, als es ohnehin schön wäre.
    “Ach, eigentlich bin ich darüber schon hinweg. Das war... vor fast zwei Jahren!“ Bei den Göttern, schon so lange? Aber tatsächlich, sie würde im Frühjahr schon 18 werden. Die Zeit verging wie im Fluge, wenn man jung war und seinen Spaß hatte, wie es schien. “Sonst könnt ich wohl kaum hier stehen und mit dir über Vala so schön tuscheln.“ Und jetzt war Axilla eindeutig über ihre Traurigkeit und Zerknirschtheit hinweg, denn ihre Stimme hatte schon wieder diesen verschwörerischen Unterton wie zu Beginn ihres Gespräches über die holde Männlichkeit. Sie erinnerte sich an eine Aussage von Serrana von vorhin und musste wieder noch breiter lächeln. “Und er sieht wirklich gut aus...“, schwärmte sie schon wieder und dachte an den flüchtigen Blick, den sie auf seinen nackten Körper gehabt hatte. Auch wenn sein Körper von Narben gezeichnet war und er insgesamt doch recht hager war, für sie war er einfach nur perfekt. Sie hatte vor den Narben keine Angst, im Gegenteil, sie faszinierten sie über die Maßen und gaben ihr ein seltsames Gefühl von Sicherheit. Er hatte gekämpft und wusste, sich zu verteidigen. Folglich wusste er auch, sie zu verteidigen. Und das machte ihn für Axilla mehr als nur ein bisschen attraktiv.
    Erst jetzt bemerkte Axilla, dass Serrana doch etwas zurückhaltender und unsicherer geworden war, ja beinahe zerknirscht. Und auch erst jetzt kam ihr der letzte Satz der Cousine so richtig ins Bewusstsein. Axilla öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, ließ es dann aber doch. Kurz überlegte sie, was sie dazu sagen sollte.
    “Naja, sieh es mal so. Wenn dein Senator dich dann mal so richtig gefragt hat und der Termin steht, kennst du jetzt jemanden mehr, den du dann fragen kannst, was da so passiert.“ Axilla hatte beschlossen, es wie üblich auf die leichte Schulter zu nehmen. Ernst sein konnte man auch noch, wenn man alt war und ohnehin nichts besseres zu tun hatte.

    Ja, sie war in Silanus verliebt gewesen. Auch wenn sie jetzt, wo sie so in Vala verschossen war, sich fragte, ob das wirklich so gewesen war, war dieses Gefühl jetzt doch um ein vielfaches brennender und bei weitem nicht so verklärt. Aber es gab Dinge, die waren wichtiger als Liebe. Von Liebe allein konnte man nicht Leben. Liebe gab Kindern keine Zukunft. Liebe ermöglichte einem nicht ein Leben in einem sicheren Haus mit eigenen Sklaven. Es gab einen Grund, warum die Philosophen meinten, dass jede Liebesheirat per se verwerflich sei.
    “Unsere Familie“, meinte Axilla, der das gedachte 'beides' schon auf der Zunge gelegen hatte. Aber sie würde Silanus nicht verraten, und sehr viel Auswahl hätte diese Antwort nicht gelassen. “Und er war Soldat.“ Mehr oder weniger stimmte das sogar. Gut, mehr weniger, aber auch Tribune waren Soldaten. Auch wenn diese heiraten durften. “Und das ging einfach nicht. Das wäre eine unendliche Schande gewesen, für uns beide. Das... nein, das ging nicht.“
    Gut, dass Serrana nichts von Timos wusste, da hätte sie sich wohl noch viel mehr aufgeregt. Immerhin hatte der gutaussehende Grieche sie erst abgefüllt und dann auch noch mit Opium berauscht, ehe er sie in sein Bett geführt hatte. Das sollte sie besser niemals erzählen.


    Als Axilla aufschaute und der empörten Cousine wieder in die Augen schaute, musste sie doch einmal Schmunzeln. Anscheinend musste man nur die richtigen Themen anschneiden, und Serrana bewies, dass in ihr durchaus iunisches Blut schlummerte. Ganz verbergen konnte man das wohl nicht, auch wenn Serranas Großmutter die Cousine sonst recht still und genügsam hatte werden lassen.
    “Aber jetzt ist es ohnehin egal. Ändern kann ich es nicht mehr.“ Axilla hoffte, damit Serrana ein wenig von ihrer Wut abzubringen, auch wenn sie ohnehin schon viel ruhiger zu sein schien. Aber Axilla wäre nicht Axilla, wenn sie nicht noch ein freches Grinsen obendrauf setzen würde. “Jetzt weiß ich wenigstens, was mich erwartet, wenn sich irgendwann mal jemand geeignetes findet.“

    Ja, wenn Serrana Axilla besser kennen würde, würde sie sich vermutlich nicht darüber wundern, dass diese nicht besser nachgedacht hatte. Das war ja Axillas Problem. Sie dachte so gut wie nie über die Folgen ihrer Handlungen nach. Einige hielten das für bewundernswerten Mut, andere für abgrundtiefe Dummheit. Axilla wusste nicht einmal zu sagen, wo zwischen beidem der Unterschied lag. Aber Fakt war einfach, dass sie im Handeln schneller war als im Nachdenken.
    “Er hätte ja... aber“ Bei den Göttern, wenn sie das erzählte, dann verachtete Serrana sie sicher! Axilla sah weg und blickte in den Raum hinein, weil sie den Blick aus den Augen ihres Gegenübers nicht sehen wollte. “Ich hab nein gesagt. Das wäre... das wäre wirklich eine Schande für die Familie gewesen, und für seine Karriere das aus. Nein, das... das ging einfach nicht.“
    Dann trug lieber sie die kleine Schande, wenn es herauskam, als die große Schande, dass sie innerhalb der Familie geheiratet hatte, noch dazu so, dass es gerade so eben vom Gesetz erlaubt wäre. Nein, das hätte viel schlimmeres Gerede gegeben.
    “Und es weiß ja keiner außer dir und mir... und eben... du weißt schon.“ Silanus, Timos und letzterdings Archias... “Und ich hab ja nicht vor, bacchische Feste hier in der Casa zu geben und mich jedem an den Hals zu werfen. Das war... ein wunderbarer Fehler. Aber ich geh ja nicht rum, und erzähle das!
    Und... ich meine... es ist nicht gut. Und wehe du machst das mit deinem Senator, ehe er dich geheiratet hat!“
    Drohend hob Axilla den Zeigefinger und sah Serrana nun doch wieder an. “Aber so schlimm ist es nun auch nicht, wenn eine Frau keine Jungfrau mehr ist. Ich will ja nur heiraten und nicht Vestalin werden.“
    Es gab ja immerhin sogar Männer, die lieber Witwen oder geschiedene Frauen heirateten als junge Mädchen, weil bei denen die Fruchtbarkeit schon feststand. In einer Ehe ging es ja primär um Nachwuchs und sekundär dann um Macht. Jungfräulichkeit war ein augustinisches Ideal, wie die Univira, die nur einmal verheiratete Frau. Die Wirklichkeit sah aber doch meistens anders aus.

    Was hatte Serrana denn auf einmal? Ganz verwundert sah Axilla zu, wie die Cousine sich immer mehr in Rage redete. Vorhin war doch noch alles in Ordnung gewesen? Sie hatte es doch schon vor etlichen Minuten mehr oder minder zugegeben? Oder...? Verdammt! Hätte ich mal bloß die Klappe gehalten!
    Axilla dämmerte, dass sie und Serrana gerade die ganze Zeit aneinander vorbei geredet hatten. Und dass die Cousine erst jetzt so wütend war, weil sie erst jetzt verstanden hatte. Am liebsten wollte Axilla im Boden versinken, ganz tief, und nicht mehr auftauchen. Ihre Wangen glühten und sie betrachtete sehr inständig den Boden des Atriums.
    “Naja, er wollte halt auch, und... ich wollte ja auch... und so alt ist er ja auch nicht...“, murmelte Axilla mehr zu sich selber, während Serrana sich mehr und mehr hineinsteigerte. Bei der Cousine hörte es sich ja fast an, als habe sie ein 50jähriger Butalo vergewaltigt, aber das stimmte ja ganz und gar nicht. Sie hatte ja ihren guten Teil dazu beigetragen, hatte Silanus ja beinahe schon darum angebettelt in ihrer Verliebtheit. Und so falsch es gewesen war, wirklich bereuen konnte Axilla es nicht. Aber zum Glück wusste Serrana nicht, dass es Silanus war. Axilla schaute nur einmal kurz erschrocken hoch, als die Cousine meinte, sie würde ihm ins Gesicht spucken.
    Und auch bei Vala reagierte sie noch ähnlich entrüstet und heftig, so dass Axilla gleich abwehrend die Hände hob. “Nein, nein, ganz und gar nicht! Überhaupt nicht! Wir haben ja sogar nur deshalb gestritten, weil ich einfach seine Hand ergriffen hatte. Er hat nichts versucht! Nichtmal, mich zu küssen.“ Axilla schüttelte bekräftigend den Kopf, so dass sich eine weitere Haarsträhne aus ihrer Frisur löste und ihr halb ins Gesicht fiel, bis Axilla sie nonchalant hinters Ohr strich.
    “Ich wünschte, er hätte es“, gab sie jetzt deutlich ruhiger zu und sah dabei einmal kurz zu Serrana auf. Ach, jetzt war es sowieso egal, was Serrana von ihr dachte, jetzt war es schon gesagt, da konnte sie es sich auch endlich mal richtig von der Seele reden, wo ihr ganzer Körper es doch sowieso hinausschreien wollte. “Du weißt ja gar nicht, wie das ist, Serrana, du kannst das ja gar nicht wissen. Aber jede Faser meines Körpers schreit nach ihm. Und er... er war einfach nur... er hat nicht einmal versucht, mich zu berühren oder irgend etwas. Er hat sich edler verhalten, als sonstjemand.“ Resignierend ließ sich Axilla wieder gegen die Wand, an der sie ohnehin standen, sinken, und schlug leicht den Kopf einmal dagegen, so dass ein dumpfes Geräusch durch ihren Kopf hallte. “Er ist einfach nur... perfekt...“ Und sie war so unendlich in ihn verknallt.

    “Wie soll ich das meinen?“ fragte Axilla mehr als nur ein bisschen verwirrt zurück. Natürlich war es keine Absicht gewesen. Glaubte Serrana denn, es wäre Absicht gewesen? “Gut, ich war nicht ganz unschuldig daran, aber ich war verliebt, und die Situation damals war so... ich meine, er hätte ja nicht müssen. Er ist – ähm, war, mein ich – älter als ich und hatte schon Erfahrung und er wusste ja auch ganz genau, was passieren würde. Und Wein hatte ich auch getrunken, und... hui, der Wein in Ägypten, also, der ist sehr stark. Und... da ist es halt passiert. Aber das war keine Absicht und nicht geplant“, rechtfertigte sie sich vor ihrer Cousine. Das war ihr so peinlich, das zuzugeben, auch wenn an und für sich nichts verwerfliches daran war. Natürlich hatten die Männer es gerne, wenn sie die ersten bei einer Frau waren, aber Jungfräulichkeit war bei Weitem kein Muss, auch nicht für eine Frau, die zum ersten Mal heiratete. Es war mehr sowas wie ein kleiner Pluspunkt. Trotzdem schämte sich Axilla dafür, dass sie nicht tugendhafter gewesen war und kratzte sich verlegen am Arm.


    Zum Glück fragte Serrana auch gleich noch etwas zu Vala, auf das sie auch erst einmal ausweichen konnte. Der junge Germane, der im Moment durch ihre Tagträume spukte, war ein weitaus angenehmeres Thema.
    “Naja, eigentlich hab die meiste Zeit ich geredet. Ich glaube, ich habe ihn ganz schön zugetextet, aber ich plappere, wenn ich nervös bin. Und ich glaub, so nervös war ich in meinem ganzen Leben noch nicht wie da auf dem kurzen Weg.“
    Als Serrana sie nach Verletzungen fast absuchte, musste Axilla dann lachen und schüttelte den Kopf. “Nein, ich bin nicht verletzt. Wir haben nur ein bisschen gestritten, und weil es ihm nicht schnell genug ging, hat er mich kurzerhand hochgehoben. Ich hab ihm gesagt, dass er mich runterlassen soll, hab ihn sogar angebettelt, aber er hat mich bis fast vor die Haustür getragen, ohne Widerworte zuzulassen.“ Axilla bekam wieder dieses verklärte Lächeln nicht aus dem Gesicht. “Irgendwie ist das so unendlich süß“ schwärmte sie, während sie das alles durch eine mehr als rosarote Brille nochmal rekapitulierte.

    Kurz stutzte Axilla. Manchmal fragte sich die Iunia, ob Männer überhaupt dachten, auch wenn das ein ziemlich fieser Gedanke von ihr war. Aber zeitweise kam es ihr wirklich so vor, als wären die Herren der Schöpfung weitaus schlimmer, was gekränkte Eitelkeiten und widersinniges Verhalten anging, nur verbargen sie es besser als ihre weiblichen Zeitgenossen. Wie sonst war es zu erklären, dass gestandene Mannsbilder, die ganze Centurien befehligten oder über die Weltmeere segelten, anfingen zu stottern und herumzudrucksen, wenn man mit ihnen ganz normal sprach? Die normalerweise zielstrebig ihre Karriere verfolgten plötzlich zu allem und jedem ja sagte, nur weil frau das gerne wollte? Nein, Axilla war sich recht sicher, dass die Männer die Hälfte der Zeit nicht dachten, zumindest nicht, wenn sie eine Frau gern hatten.
    “Naja, also, wenn du da forsch wärst, dann müsste er sich ja fragen, woher du das kannst, wenn du sonst nicht so bist, oder?“ Axilla konnte sich auch einfach nicht vorstellen, dass Serrana hingehen konnte, ihn an sich ziehen und küssen, oder gar mehr. Das passte einfach nicht, und da würde sich nicht nur ihr Senator dann wundern. “Und ich halte dich nicht für unanständig. Ich hoffe, du hältst mich nicht dafür. Ich meine... es war ja alles keine Absicht. Also, schon, doch, aber... nicht so richtig.“
    Beim ersten Mal war sie sehr verliebt gewesen, und beim zweiten Mal von Opiumdämpfen und Alkohol betäubt. Gut, bei Archias nun hatte sie keine Ausrede für das, was in Alexandria passiert war. Aber das war definitiv nicht in ihrer Absicht gewesen! Es war einfach passiert, sie wusste selbst nicht so genau, was da passiert war.


    Aber Serrana war das Thema wohl auch ein wenig peinlich, und sie wechselte wieder gekonnt auf Vala. Er mochte Oliven? Das musste sie sich unbedingt merken. Vielleicht konnte sie ja, rein zufällig, welche dabei haben? Wobei ihr kein vernünftiger Grund einfallen wollte, warum ein normaler Mensch Oliven mit sich führen sollte. Aber merken wollte sie es sich auf jeden Fall.
    “Also, so viel unterhalten haben wir uns eigentlich gar nicht“, gestand Axilla. Eigentlich hatte er sie ja fast nur angeschrien. Aber trotzdem fühlte sie sich zu ihm so unendlich hingezogen. “Viel erzählt hat er eigentlich nicht. Nur, dass er aus Germania kommt. Und er kennt sich in der Stadt ziemlich gut aus.“ Axillas Gesichtsausdruck wurde noch ein wenig weicher, und sie musste wieder vor sich hinlächeln. “Er hat mich ein Stück weit getragen. Er hat wunderbare Hände.“ Gut, es war über die Schulter gewesen, fernab jeder Romantik, aber trotzdem. Sie war ihm ganz nahe gewesen, und das wollte Axilla nicht eintauschen.

    So einfach war das also? Axilla schaute nochmal kurz etwas verwirrt herum, als ob ihr so besser einfallen würde, ob sie etwas vergessen hatte, und grübelte offensichtlich darüber nach. Allerdings wusste sie nichts, was sie sonst noch hätte fragen können oder hätte sagen sollen. Für das Opfer war alles geklärt und sie hatte bekommen, was sie wollte. Das Voropfer würde sie noch zu besorgen wissen, und dann konnte es eigentlich schon losgehen.
    “Gut, dann machen wir das so“, beendete sie schließlich ihre Überlegungen. “Ich werde einen Boten mit dem Geld morgen schicken, damit du alles kaufen kannst, was noch fehlt. Das Voropfer besorge ich dann selbst und bringe es in drei Tagen von heute an mit.“
    Axilla wartete noch auf eine Bestätigung des Priesters, ob alles so passte oder ob sie nicht doch noch etwas vergessen hatte, um sich danach zu verabschieden. Immerhin gab es nun etwas zu tun.

    Oh, Olymp hilf! Sie machte sich doch jetzt nicht ernsthaft darüber Gedanken, ob er mit ihr im Bett zufrieden sein würde? Das klang ja, als hätte sie vor, nicht mehr allzu lange damit zu warten. Lag dieses feurige Ungestüm etwa in der Familie? Wie konnte Axilla sie nur vor diesem Fehler bewahren? Auch wenn es eigentlich kein Fehler war, sondern etwas so wundervolles, dass Axilla sie ja sogar verstehen konnte. Aber... die Ehre! Die verdammte Ehre!
    “Also, ich denke wirklich, es ist ganz gut, wenn du... zurückhaltend bist und nicht... also, ich meine. Natürlich ist er älter und hat auch schon mit Frauen... ähm... zu tun gehabt.“ Komische Umschreibung, die ihre Cousine dafür verwendet hatte. Aber Sedulus war ein Mann, er würde sicher schon das ein oder andere Lupanar in seinem Leben besucht haben. “Aber, ich meine... also, du willst ja nicht, dass bei ihm der Eindruck entsteht, dass du schon... also, mit anderen Männern zu tun gehabt hättest. Ich meine, er soll ja ruhig wissen, dass er... also, der Erste... ich meine... dass du vorher noch nicht... verliebt warst.“
    Eine kleine Stimme in Axilla schrie beständig und laut, als wolle sie um Hilfe rufen. Oder als täte ihr etwas weh, weil Axilla versuchte, diplomatisch zu sein. Vielleicht auch beides. Aber Axilla war einfach nicht gut darin, um den heißen Brei herumzureden. Aber mit zuviel Direktheit würde sie Serrana wohl erschrecken. Vor allem, da diese doch keine Ahnung hatte! Axilla war einfach nicht gut mit Worten.


    Und auch der Themenwechsel half da nicht wirklich weiter. Was sie mit Vala tun wollte, wenn sie ihn traf? Ihn in eine uneinsehbare Ecke ziehen und erstmal küssen, bis ihr schwindelig war? Den Duft seiner Haut atmen, sie schmecken und fühlen? Alles, so lange sie nur bei ihm war und ihn berühren durfte? Sowas in der Art? Sie kam sich so unehrlich dabei vor, versuchte sie Serrana doch gerade von tugendhaftem Vorgehen zu überzeugen, während sie selbst nur daran denken konnte, wie sich seine Hände wohl auf ihrer Haut anfühlen würden.
    “Äääähm... ich... also, so genau hab ich... noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich möchte nur gerne... mit ihm wieder reden und ihn wiedersehen.“ Das stimmte sogar. Selbst, wenn sie ihn nur einfach wiedersehen würde und einen Moment mit ihm sprechen könnte, das wäre schon viel mehr, als sie erhoffen wollte. Und jetzt, wo sie daran dachte, wurde ihr Gesichtsausdruck wieder weich und verträumt und eindeutig verliebt.

    Also, eine Qualle sah anders aus! Axilla hatte schon Quallen gesehen, die waren glibberig und schleimig, wenn sie tot am Strand von Alexandria lagen, und teilweise feuerrot. Serrana war von dieser Beschreibung wirklich noch weit entfernt! Ein bisschen kichernd schüttelte Axilla deshalb leicht den Kopf, ehe sie von der Frage der Cousine etwas überrascht wurde.
    “Ähm, Tipps?“ fragte sie erstmal nach, als hätte sie nicht richtig verstanden. Was für Tipps sollte Axilla Serrana denn geben? Vorhin noch hatte sie so erschrocken reagiert, als Axilla sie mehr oder weniger gefragt hatte, ob sie noch Jungfrau sei. Und jetzt wollte sie Verführungstipps? Von ihr, die in Puncto Männer wohl eher ein ganzes Buch schreiben könnte über Dinge, die man als ehrbare Frau lieber nicht machen, nicht sagen und auf die man sich nicht einlassen sollte. Und jetzt wollte Serrana da von ihr Tipps haben? Venus und Amor!
    “Ich weiß nicht wirklich, ob ich da Tipps geben kann. Ich meine... also, du … du solltest ja nicht... ich meine... er soll dich ja heiraten und nicht denken... also... ich meine....“
    Gnaaaaa! Denk, denk, denk! Sie konnte ja nicht nichts sagen, wo Serrana so darauf vertraute, aber was sollte sie ihr denn für Tipps geben? “Also... weißt du... am Besten, du... du bist einfach, wie du bist. Ja Genau, ganz genau, wie du bist, ist schon richtig. Denn du willst ja, dass er dich mag, und nicht das mag, was er denkt, dass du bist, nicht?“ Aus Serrana konnte man keine Axilla machen und aus Axilla keine Serrana, so sehr das auch jemand versuchen wollte. Und eigentlich war das auch ganz gut so, Axilla wollte sich die verheerenden Folgen, sollten ihre Verfehlungen je ans Licht kommen, gar nicht vorstellen.
    “Weißt du, Vater hat es mal ganz gut gesagt: Wir mögen Menschen wegen ihrer Tugenden. Aber wir lieben sie wegen ihrer Fehler.“
    Das hatte ihr Vater immer dann gesagt, wenn eine weitere Hoffnung auf einen Sohn mit einer Fehlgeburt der kränklichen Mutter geendet hatte und sie ihn wieder gefragt hatte, ob er nicht eine andere Frau nehmen wolle. Axilla war noch sehr klein gewesen, aber sie hatte es sich immer gemerkt.

    “Ach, das wird auch wieder trocken. Wenn du wüsstest, wen ich schon alles vollgeheult habe...“ Und wen sie wohl im Laufe ihres Lebens noch alles vollheulen würde! Axilla machte sich da um ihr Kleid wirklich keine Gedanken. Das war nur Stoff. Vielleicht hübscher Stoff, aber trotzdem nur Stoff.
    Axilla fuhr noch ein, zweimal reibend über Serranas Schultern, als wolle sie sie warmrubbeln, ehe sie sie losließ. Axilla hätte nie in Worte fassen können, warum sie glaubte, dass es der Cousine besser ginge, oder was der Grund dafür war, aber sie fühlte einfach, dass es jetzt besser war.
    “Aber bevor du zu deiner Freundin gehst, solltest du dir nochmal das Gesicht mit kaltem Wasser waschen“, meinte sie halb scherzend. Auch wenn Serrana nicht schlimm aussah, wenn sie geweint hatte, man sah es halt doch an den Augen und dem Strahlen der Haut. Und das musste ja nicht unbedingt sein, das war meistens peinlich.


    Dazu, dass Serrana stolz auf ihren Namen war, sagte Axilla nichts. Sie lächelte nur einmal aufmunternd, kommentierte es aber nicht. Das war ihrer Meinung nach überflüssig. Sie glaubte ihrer Cousine, das musste sie nicht erst noch sagen.

    Oh. Oh, nein! Nicht doch! Wie... Axilla sah mit wachsender Bestürzung, wie Serranas Augen erst glasig, dann wässrig wurden, bis schließlich Tränen flossen. Zwar wischte die Cousine sie gleich weg, aber trotzdem sah Axilla sie. Sie fühlte sie geradezu in ihrem Inneren. Das hatte sie doch nicht gewollt.
    Hilflos hatte Axilla die Arme gehoben, als wolle sie Serrana berühren, aber sie hielt immer in der Bewegung kurz vorher an. Immerhin mochte das nicht jeder, und sie wusste auch nicht, ob sie durfte. Aber die Tränen wurden immer dicker, und Serrana redete von Dingen, die Axilla nicht wirklich verstand. Axilla war einfach nicht gut mit Worten und wusste auch nicht, wie sie die Cousine trösten sollte. Was konnte sie da schon sagen?
    Sie haderte noch einen zuckenden Moment, dann umarmte sie Serrana einfach und zog sie zu sich her, gab ihr gar keine Chance, sich gegen diese Zuneigungsbekundung zu wehren. Sie zog sie einfach an sich, Serranas Kopf an ihre Halsbeuge, und hielt sie sanft und doch fest an den Schultern, legte ihren Kopf ganz leicht gegen ihren. Axilla war wirklich nicht gut in Worten, aber in Gesten und Gefühlen.
    “Ich wünschte auch, du hättest ihn kennenlernen können“, sagte sie schließlich leise und sanft. Etwas wie 'Alles ist gut' Oder 'Das ist nicht schlimm' kam ihr wie eine hohle Floskel vor, also sagte Axilla sowas nicht. Es war traurig, dass Serrana ihn nicht kennengelernt hatte. Sie durfte traurig deshalb sein. Das war keine Schande, nicht hier, wo nur sie beide da waren. “Du bist kein Eindringling. Du bist eine Iunia, und das ist dein Haus. Vergiss deine Großmutter. Sie hat unrecht.“
    Auch Axillas Augen füllten sich mit Tränen, aber nicht, weil sie traurig war. Nein, sie war wütend. Wütend auf eine Frau, die sie nichtmal kannte, und die trotzdem ihre liebe Cousine zum Weinen gebracht hatte.

    Dass sie nicht mit Katander reden sollte, gefiel Axilla nicht so ganz. Sie wollte gern irgendwas machen, damit es nicht so schwierig war wie jetzt. So, wie Archias es jetzt sagte, klang das irgendwie... seltsam. So, als würden sie das öfter machen... wobei zwei Mal ja durchaus mehr als einmal war. Aber trotzdem klang es irgendwie... seltsam.
    Axilla ließ es auf sich beruhen, auch wenn sie dabei ein ganz mulmiges Gefühl hatte. Das andere, das Archias angesprochen hatte, war ja sowieso viel ergiebiger, da konnte sie vernünftig darauf antworten und musste sich nicht den Kopf zerbrechen.
    “Na, meine Betriebe sind in Alexandria, und ich meine, hier hab ich ja keine Arbeit, dort schon. Selbst wenn Nikolaos schon einen Scriba wieder hat, kenn ich da ja alle wichtigen Leute, da find ich dann schon wieder was.“
    Auch wenn Archias nicht vorgehabt hatte, Axilla traurig zu machen, wurde sie doch merklich ruhiger und auch trauriger, weil sie wieder an Urgulania dachte. Ihre Cousine war eigentlich der Hauptgrund gewesen, warum sie zurück hatte wollen im Sommer. “Und Urgulania wollte ja mal schauen, dass ich verheiratet werde... ich meine, ich kenn hier ja niemanden, und niemand kennt mich. Ich weiß ja nicht...“
    So ein bisschen begann Axilla zu zweifeln. Jetzt, wo Urgulania tot war, wieviel Sinn machte es noch, in dieses riesengroße Haus in Basileia zurückzugehen, wenn es doch nur ein leerer Steinklotz war? Aber hier bleiben konnte sie ja auch nicht einfach. Silanus würde das wohl nicht wirklich gefallen.
    Sie merkte, wie sich ihre Gedanken festzufressen drohten und wechselte daher schnell nochmal das Thema. “Meinst du das eigentlich ernst, dass du mich einstellen würdest? Ich würd aber nicht deinen Saustall hier aufräumen, das darfst du schon selber machen.
    Ach, und du hast vorhin nach Farbe gefragt?“

    Gleich zwei Themenwechsel, das war doch mal was! Gleich zwei Themen, auf die sich ihre Gedanken stürzen konnten, und wo sie nicht mehr nachgrübeln musste, dass ihr Kopf zu rauchen drohte.

    Archias ärgerte zurück, zumindest nahm Axilla das so auf. Dass er bei dem Wust an Sprachen wirklcih nicht mehr durchblickte, glaubte Axilla ihm nicht. Immerhin war er beim Cursus Publicus gewesen und nicht zuletzt ein Mann, und irgendwie verknüpfte ihr Hirn das automatisch mit mehr Bildung, als sie hatte. Also zwickte sie ihn einmal frech bei der Bemerkung mit dem Fisch, wenngleich nicht fest. “Dorisch, nicht Dorsch, du Fisch. Kreta-Peleponnes-wir-verschleißen-jeden-Umlaut-und-Nuscheln-Dorisch.“
    Sie lachte und begab sich mit einem kleinen Hüpfer schonmal provisorisch in Sicherheit vor der befürchteten Gegenattacke. Dabei kam sie auf den Muscheln auf, die gleich mal raschelnd protestierten und sie dazu veranlassten, auf einem Fuß zu hüpfen, um sich die kleineren und fieseren Muschelschalen von der Fußsohle zu streichen.
    “Naja, so liegt alles, was gebraucht wird, zumindest im Sichtfeld. Also, wenn man es sieht“, gängelte sie weiter. Sie wollte nichtmal daran denken, wie ihr Zimmer aussehen würde, würden die Sklaven nicht jeden Tag wieder die Sachen aufräumen, die sie einfach auf den Boden fallen hatte lassen. Grinsend blickte sie sich um.
    Aber er wollte sie kaufen? Jetzt wurde Axillas Gesichtsausdruck doch nochmal kurz herausfordernd. “Ich arbeite doch nicht wegen dem Geld, und käuflich bin ich auch nicht.“ Die zehn Drachmen, die sie von Nikolaos jede Woche bekommen hatte, waren ja auch nicht wirklich viel zu nennen. Da warfen ihre Betriebe jede Woche das fünffache ab, wenn nicht noch mehr. “Ich mach das, um zu beweisen, dass ichs kann“, vertraute sie Archias kurz ernst an, dann aber lächelte sie schon wieder und war wieder spaßiger aufgelegt. “Sonst fällt mir noch die Decke auf den Kopf. Ich glaube, wenn ich bis zum Frühsommer hier bleibe, brauch ich wirklich noch eine Arbeit. Also, wenn es denn hier jemanden gibt, der eine Frau einstellt.“ Seinen Einwurf mit dem Kaufen hatte Axilla als bloßen Scherz aufgefasst, und dementsprechend antwortete sie auch.


    Die Andeutungen über Katander allerdings waren doch etwas ernster, und Axilla nahm sich auch wieder etwas mehr zusammen und überlegte, wie sie das wohl regeln konnte. Sie fühlte sich so hilflos, und das Gefühl mochte sie ganz und gar nicht. Sie hasste es, einer Situation ausgesetzt zu sein, an der sie selbst nichts ändern können sollte.
    “Ich hoffe, du hast Recht. Aber, wenn es doch irgendwas gibt, was ich tun kann... also... ich könnte ja auch nochmal mit ihm reden und es erklären, oder so?“ Irgendwas musste sie doch tun können. Axilla wollte nicht einfach nur nutzlos sein.

    “Oh, ja, das wäre fantastisch!“ meinte Axilla zu dem Vorschlag, Serrana könne gleich fragen, wenn sie das Kleid abgab. Allein die Möglichkeit, heute Abend schon mehr zu wissen, vielleicht sogar einen Plan zu haben, wie man das Wissen einsetzen könnte, um ihn wiederzutreffen, ließen Axillas Herz schneller schlagen. Vielleicht war es ja dann gar nicht mehr lange hin, dass sie ihn wirklich wieder sah, und ihm sagen konnte... sagen konnte... oh Götter! Was sollte sie ihm dann eigentlich sagen? Ihr Herz schien ein paar Hüpfer auszusetzen, als ihr die Erkenntnis kam, dass sie dann ja immernoch nicht wirklich schlauer wäre. Verdammt! Warum konnte er nicht einfach ihr nur tief in die Augen sehen und alles wissen, was sie meinte? Dumme Sprache aber auch.


    Doch Serrana wechselte schon wieder das Thema und Axilla war wieder erstmal davon abgelenkt. Ihr Vater? Axilla überlegte einen Moment, was sie überhaupt über ihren Onkel wusste, und ob sie wusste, ob Silanus etwas wusste. “Ich weiß gar nicht, ob Silanus da so viel weiß, aber du solltest ihn in jedem Fall fragen. Ich weiß eigentlich auch nur, dass er der jüngere Bruder von meinem Vater war und bei den Cohortes Urbanae. Er muss sehr nett gewesen sein, Vater hat immer nur gut von seinen Brüdern gesprochen, obwohl sie zu fünft waren und es damit Reibereien gab. Er hat immer gesagt, dass wenn man sich auf jemanden verlassen kann, dann auf die Familie.“ Kurz wurde Axilla dabei ganz schwer ums Herz. Von ihrem Teil der Familie waren ja nicht mehr viele übrig. Nur sie, Serrana und Merula. So viel Tod...
    “Aber warum willst du dich bei ihm bedanken, dass du hier wohnen darfst?“ griff sie also schnell nochmal einen alten Gesprächsfetzen auf. “Das ist das Haus der Gens, und du bist Teil der Gens. Wo solltest du denn sonst wohnen, wenn nicht hier?“
    Serrana war wirklich einfach lieb, dass sie sich darüber so sehr Gedanken machte. Hatte sie geglaubt, die Familie würde sie rauswerfen? Wie kam sie nur darauf?

    Oh, ja, trinken wäre jetzt gut. Axilla war zwar nicht kurzatmig, aber ein bisschen außer Atem war sie schon. Problem war nur: Hier gab es nichts zu trinken. “Ich glaube, um was zu trinken, müssen wir entweder in eine Schenke oder zu einem Brunnen. Ich seh hier nichts.“ Dass sie ihn bei dem Plan, etwas zu trinken, gleich mit einschloss,, war für Axilla irgendwie selbstverständlich. Sie unterhielt sich grade so toll mit ihm und es machte so viel Spaß, da kam ihr nichtmal in den Sinn, dass sie ihn vorher vielleicht hätte fragen sollen – oder noch besser, er hätte sie fragen sollen, immerhin war er der Mann.
    Sie hörte ihm zu, wie er vom Singen sprach, und lächelte zu ihm hoch. Seine grauen Augen blitzten geradezu, als er es erwähnte, und Axilla ließ sich nur zu gerne von Begeisterung anstecken. Fast schon schwärmerisch sah sie zu ihm hoch und bemerkte dabei die leicht belustigten Blicke so mancher Passanten nicht, die wohl hauptsächlich daraus resultierten, dass sie direkt vor ihm stand und zu ihm hinauflächelte, eine Hand noch immer unbewusst an seiner Brust, die andere noch immer in seiner Rechten, und ihm einfach mit leuchtenden Augen zuhörte. Wahrscheinlich sah es für Umstehende ein wenig anders aus, als es eigentlich in unschuldiger Naivität war.
    “Wirklich? Ich kann leider nicht Singen. Wenn ich's versuche, wird die Milch schlecht, zumindest sagen das immer alle. Aber ich hör sehr gerne zu. Vielleicht singst du mir bei Gelegenheit was vor? In Alexandria waren erst Spiele, wo auch sehr viele Künstler im Odeion gesungen haben. Das war sehr schön“, schwärmte Axilla dem Flavier vor, ehe sie dann doch den ein oder anderen Blick spürte und erst verwirrt dreinschaute. Mit einem erschrockenen “Oh!“ trat sie schließlich von Piso zurück, als sie bemerkte, was wohl so lustig war und sah mit immer röter werdenden Wangen zu ihm hoch. “Oh, das tut mir leid. Ich wollte dir … ähm... nicht zu nahe treten.“

    Erst, nachdem Archias Katander losgeschickt hatte mit der Tafel und dem zerknüllten Brief, kam ihr Gespräch wieder in Gange. Warum allerdings der Sklave sauer auf Archias sein sollte, und dabei Axilla so böse angeguckt hatte, dauerte einen Moment, bis Axilla es verstanden hatte. Sie war gerade noch in Gedanken darüber, als Archias sie mit seinen Sticheleien zum Thema Scriba kurz ablenkte.
    “Na, bist du sicher, dass nicht irgendwo zwischen diesen Kisten ein paar Gehilfen begraben liegen?“ stichelte sie zurück. Hier sah es aus, als hätte ein Erdbeben stattgefunden, oder als hätte einer der griechischen Gelehrten ein paar chemische Versuche durchgeführt, die explodiert waren. “Und ich glaube, da bräuchtest du schon mehr als ein bisschen Hilfe, um das hier aufzuräumen.“ Jetzt lachte Axilla sogar, ehe sie vom Bett aufstand und sich vor Archias aufbaute und ein wenig groß machte, die Arme beinahe matronenhaft vor der Brust verschränkt. “Und ich bin sogar ein großartiger Scriba, nur damit du's weißt. Ich hab die gesamten Unterlagen für die Ephebia von ganz Alexandria verwaltet.“ Naja, zumindest die Listen und die Abschriften der Prüfungen. “Ich hatte die Aufsicht über die gesamten Schreiber des Gymnasions“, die das aber auch ohne ihre Hilfe hingekriegt hätten und eigentlich mehr ihr erklärt hatten als umgekehrt, “und nebenher habe ich noch zwei Betriebe für mich selber, die beide sehr erfolgreich laufen. Stell dir vor, meine Farben exportiere ich sogar bis hierher nach Rom.“ DAS zumindest stimmte, wenn sie ihrem Verwalter glauben durfte. Ihre Farbmischerei lief wirklich gut, und auch die Weberei lief beständig. “Ich kann griechisch schreiben, ich spreche fließend ionisch und Koine, ich kann attisch, nur beim dorischen verknotet sich immer meine Zunge, aber ich kann's zumindest verstehen. Und auf Demothisch kann ich fluchen!“ Nunja, sie konnte eigentlich nur einen einzigen Fluch in der Sprache der Ägypter, der etwas über die Abstammung des Betreffenden und Hunden und Ziegen aussagte, aber das reichte eigentlich und sollte ohnehin nicht ausgesprochen werden. Trotzdem stand Axilla da, die Nase leicht gereckt, um sich so größer zu machen – wobei sie immernoch einen Kopf kleiner war als Archias und eigentlich ein im Vergleich zu ihm sehr zierliches Persönchen – und funkelte ihn herausfordernd an. “Na, was sagst du jetzt?“ Hah!
    Dann aber erinnerte sich Axilla wieder an das, was sie ja eigentlich beschäftigt hatte, und sie ließ die stolze Haltung rasch fallen, um wieder etwas ernster zu werden. “Aber wegen Katander... ist es... also, weiß er, was...? Ich meine... er verrät doch nichts, oder? Und... kann ich mich irgendwie mit ihm da vertragen? Ich will nicht, dass er was falsches denkt.“ Wobei Axilla auch nicht wusste, was das richtige war, dass er denken sollte.

    Tja, da war es wieder, sie hatte etwas vorschnell versprochen, was sie womöglich gar nicht halten konnte. Verlegen kaute sich Axilla auf der Unterlippe herum und ließ sich die Worte der Decima durch den Kopf gehen. Wäre Livianus heute hier, wäre das alles um vieles einfacher.
    “Ja, ich denke, das wird besser sein, wenn ich ihn das selber frage. Schade, dass er nicht da ist. Aber vielleicht kommt er ja noch?“ Seiana hatte vorhin zumindest so geklungen, als läge das im Bereich des Möglichen. Und es würde vieles sehr viel einfacher machen. Und vor allem käme Axilla sich dann nicht mehr so dumm vor, weil sie sich so aufgebrezelt hatte, wo es doch niemanden gab, den sie damit auch nur ansatzweise beeindrucken könnte. Sie glaubte zumindest nicht, dass Seiana sich von sowas beeindrucken ließe.


    Dann erzählte Seiana, dass sie auch in der Nähe von Tarraco gewohnt hatten. Axilla wusste von der Casa in der Stadt selber, die den Decimern gehörte. Immerhin war das spätestens seit Meridius' Triumph keine unbedeutende Adresse der Stadt gewesen. Wo allerdings ihre Höfe außerhalb gelegen hatten, das wusste Axilla nicht. Sie wusste nur, dass niemand direkter Nachbar bei ihnen gewesen war. Aber selbst mit denen hatte sie ja wenig bis gar nichts zu tun gehabt.
    “Ach, die Griechinnen in Alexandria leben aber auch recht gut. Kennst du Penelope Bantotakis? Die Musikerin? Sie ist sogar Gelehrte am Museion.“ Gut, sie war auch die einzige Gelehrte am Museion, die Axilla kannte, aber immerhin konnte sie behaupten, dass sie sie kannte. “Ich hab mal gelesen, dass das irgendwie von den Ägypterinnen kommt, weil die mit ihren Männern gleichberechtigt sind... oder irgendwie so wie. In Griechenland muss es den Frauen wohl wirklich schlecht gehen. Stimmt es, dass die Männer sie dort in die Häuser einsperren?“ Axilla schaute Seiana einen Moment lang an, als müsse diese die Antwort wissen, ehe ihr auffiel, dass es ja durchaus sein konnte, dass diese die Antwort nicht wusste. “Oh, tschuldige, ich rede schon wieder, was mir in den Sinn kommt“ Schlechte Angewohnheiten wurde man eben nur schwer los.
    Aber dann ging es ohnehin eher ums Heiraten, und Axilla begab sich wie von selbst ein wenig in eine Schutzhaltung. Sie zog die Beine an und stellte die Fersen auf den Rand ihrer Sitzfläche, hielt die Knie mit ihren Armen umschlossen, wobei in ihrer Rechten lässig noch der Becher hing. Es sah wohl etwas undamenhaft aus, bezeugte aber dafür die Gelenkigkeit der Iunia, denn scheinbar war es nicht unbequem.
    “Also, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht...“ Kurz wurde Axillas Blick glasig, als sie überlegte, was sie sagen sollte. Seiana war Archias Freundin, und wenn er ihr vertraute, konnte sie ihr wohl auch vertrauen. Zumindest ein wenig. Vielleicht sollte sie einfach erklären, warum sie keine Ahnung von diesen Dingen hatte? Sie gab ihrem Herzen einen kleinen Ruck und fing an, zu erzählen. “Weißt du, mein Vater hat bei uns daheim alles geregelt. Er war zwar als Tribun häufig auch weg, grade wegen den Aufständen in Hispania früher.“ Wenn Seiana aus Tarraco kam, würde sie davon ja sicher wissen. “Aber trotzdem hat er alles geregelt, und zwar gut. Weißt du, meine Mutter war schon immer sehr zierlich und kränklich, und sie konnte das nicht.“ Axilla dachte kurz an die ruhige und stille, schmale Person, die durch die Krankheit nur immer ruhiger, stiller und schmaler geworden war, bis sie schließlich ganz verblasst war. “Und er ist gestorben, bevor ich so ganz im richtigen Alter war. Und weil Mutter so krank war, sind wir davor nie verreist, und ich hab auch keine Ahnung von Politik und anderen Familien und sowas. Dafür... war einfach keine Zeit. Und in Alexandria glaube ich, war Silanus ganz froh, dass ich sui iuris war und er sich darum nicht so kümmern musste, weil er hatte dafür auch keine Zeit. Und... jetzt bin ich hier, und hab immernoch keine Ahnung. Ich weiß also nicht, wie ich da... überhaupt anfangen sollte.“ Axilla zuckte ein wenig hilflos die Schultern. Sie hatte wirklich keine Ahnung, worauf sie genau zu achten hatte und wie sie überhaupt kundtun sollte, dass sie einen angemessenen Mann suchte, geschweige denn, wie man den fand.