Beiträge von Iunia Axilla

    “Wirklich? Hast du noch Münzen, oder hast du sie am Ende doch ausgegeben?“ Axilla war eigentlich kein Münzsammler, aber sie war prinzipiell an allem interessiert, außer, es klang zu langweilig. Und wenn sie Piso vielleicht eine Freude mit ein paar Münzen, die sie nicht vermissen würde, machen könnte, warum nicht? Selbst wenn er ein unbekannter war, er schien nett zu sein. Und er hatte schöne graue Augen.
    Aber die Bierstube kannte sie nicht. Nunja, wenn man kein Bier trank, wozu sollte man dann eine Bierstube kennen, also schüttelte sie nur lächelnd den Kopf, als er ihr sagte, wo sie sei, und zuckte hilflos mit den Schultern. Seinen Akzent hörte sie zwar, aber in Alexandria herrschten so viele, dass sie nicht hätte sagen mögen, dass diese beiden Worte nun wirklich dorisch betont gewesen seien. Vielleicht, wenn sie komplett auf griechisch sich unterhalten hätten – dann nämlich hätte Axilla nur die Hälfte verstanden, da ihr Dorisch kurz gesagt ungenügend war.


    “Ich bin noch nie auf einem syrischen Pferd geritten. Wie sind die denn so? In Tarraco, wo ich aufgewachsen bin, hatten wir kleine Wildpferde. Rappschimmel mit zottigem Fell und struppiger Mähne, aber wunderbar breitem Rücken und leichtem Galopp, so dass man ohne Sattel reiten konnte.“ Erst nachdem sie es gesagt hatte, merkte sie es, und setzte hastig noch ein “Also, die Jungs der Umgebung“ hinzu. Musste ja nicht jeder wissen, dass sie das gemacht hatte und damit wohl gegen so ziemlich jede gute Sitte, die von einer jungen Frau erwartet wurde, verstoßen hatte.
    Doch Axilla kam gar nicht dazu, noch groß abzulenken, denn kaum hatte sie sich vorgestellt, schien es bei ihrem Gesprächspartner einmal 'klick' gemacht zu haben, und er fragte sie nach ihrem Namen, als wäre sie eine Berühmtheit. Axilla überlegte schon fieberhaft, was sie wohl angestellt haben mochte, dass er sie kannte, als er es aufklärte.
    “Ja, natürlich kenn ich Archias! Er war der erste Freund, den ich in Alexandria gefunden habe. Eigentlich eine witzige Geschichte, denn eigentlich wollte ich nur vor der Sonne flüchten und bin in die Post... naja, ist ja eigentlich egal“ Sie wollte ihn nicht schon wieder zutexten und lächelte verlegen, während er sich vorstellte.
    Flavius... Flavius... Es dauerte eine Sekunde, bis die Informationen in Axillas Gehirn aus dem Tumult der Gedanken in ihr Bewusstsein gedrungen waren, und sie sich erinnerte, was das hieß. Kurz schaute sie ganz verwirrt an Piso runter, ob sie irgendwo den patrizischen Halbmond an ihm ausmachen konnte, beispielsweise an seinen Schuhen. Aber bevor sie ihn entdeckt hätte, merkte sie, wie unhöflich ihm ihr Gebahren wohl vorkommen mochte, und verlegen kratzte sie sich am Arm. Sie wusste gar nicht so recht, wie sie nun mit ihm umzugehen hatte, und sagte deshalb erst einmal gar nichts.
    Erst, als er sich aufplusterte und von dem Gedicht erzählte, fing sie sich wieder einigermaßen und musste schmunzeln. Er nahm sich ja reichlich wichtig, aber vielleicht spielte er sich auch nur extra auf. Und da musste sie sich ja fast geschmeichelt fühlen, wenn er über ihren Vorfahr schrieb.
    “Das klingt aber nach viel Arbeit. Homer soll für die Ilias auch Jahre gebraucht haben, oder Vergil für die Aeneis.“ Nicht, dass sie davon ausging, dass die Geschichte ihres Urahns ein ebenso kolossales Meisterwerk verdiente, auch wenn es durchaus etwas war, worauf die Gens zu Recht stolz sein konnte. Aber irgendwas musste sie ja sagen. “Und kommst du gut voran damit?“ Wenn er Inspiration suchte, vermutlich nicht, aber daran dachte Axilla schon gar nicht mehr.

    Axilla rückte bis direkt neben Brutus, zog die Beine an und stellte sie auf die Bank, so dass sie auch völlig unter dem Mantel verschwunden waren. So war es ihr auch wieder richtig heimelig warm, und zufrieden seufzte Axilla einmal beim Durchatmen.


    “Der Gymnasiarchos ist... hmm, das ist ein bisschen schwer, bei den Griechen sind die Ämter ein bisschen anders als bei uns. Also, der Gymnasiarchos ist für die Ephebie zuständig. Das ist so, jeder Bewohner der Polis, also der Stadt und dem Land drumherum, darf nur dann wählen oder gewählt werden, wenn er die Ephebia gemacht hat. Das ist so ein Test, der sich aus mehreren Tielen zusammensetzt. So Sport, und politische Grundbildung als Gehilfe eines Amtsinhabers, und eben philosophische Grundbildung. Und darüber wacht dann der Gymnasiarchos und nimmt auch die Prüfungen zum Teil ab. Aber als Römer bekommst du sowieso die Ehrenbürgerschaft, wenn du sie beim Gymnasiarchos beantragst. Wobei du bei der Legion ja sowieso nicht wählen darfst.“
    Axilla hoffte, er konnte mit ihrer Erklärung etwas anfangen. Sie wusste, dass das nicht unbedingt so ganz einfach war. Das meiste musste man einfach einmal gesehen haben, um es zu begreifen.


    “Das ist eines der höchsten Ämter. Darumter ist der Kosmetes, der ist für die ganzen Sportanlagen der Stadt zuständig, und wenn sportliche Ereignisse sind und sowas. Sport ist den Griechen ganz furchtbar wichtig.
    Und Exegetes, das macht Urgulania gerade. Da ist sie für die Tempel der Stadt zuständig, dass die in Schuss gehalten werden und genügend Priester da sind und die Verwaltung funktioniert und sowas.


    So... und darunter gibt es dann den Stategos... Der befehligt die Stadtwache. Das... hm... das ist ein wenig schwierig. Weißt du, Terentius Cyprianus... nein, da muss ich anders anfangen.


    Also, es gab Spannungen zwischen Terentius Cyprianus und der Polisverwaltung, weil er meinte, die Legion habe in Alexandria das Sagen. Aber Alexandria ist eine autonome Stadt, sie gehört rein rechtlich gesehen nichtmal zum Imperium dazu. Das ist Privatbesitz des Kaisers und sonst von niemandem, da hat weder der Senat noch die Legion irgendwas zu melden normalerweise. Und da hat sich die Stadtverwaltung beim Präfekten beschwert, und das hat ihn noch mehr aufgebracht, bis er schließlich gedroht hat, alle Beamten der Stadt persönlich ans Kreuz zu nageln, wenn in der Stadt nicht alles perfekt läuft und Ruhe herrscht. Naja, Urgulania hat dann geklagt, weil er darf ja nicht einfach eine Römerin mit sowas bedrohen, aber das wurde vom Praefectus Urbi abgelehnt. Naja, und das Ende vom Lied war, dass ich nur noch mit mindestens zwei Sklaven zum Schutz in die Stadt durfte, weil Urgulania Angst hatte, er könnte mir aus Rache etwas antun.“
    Axilla zuckte kurz mit den Schultern und hatte ganz vergessen, dass sie ihm ja eigentlich von den Ämtern der Polis erzählen hatte wollen und nicht eine Grobzusammenfassung der politischen Lage ihrer Gens.

    “Scriba? Ich hätte eher gedacht, du bist Soldat“, lächelte Axilla ihn an. In ihren Worten schwang aber keinerlei Abwertung, weder für das eine, ncoh für das andere, mit.
    Scriba eines Prätorianeroffiziers... da musste sich doch der Name herausfinden lassen. So viele davon gab es auch nicht, und so viele Scriba von ebensolchen würde ihre Cousine nicht kennen. Und Axilla brannte wirklich darauf, zu erfahren, wie ihr Unbekannter hieß.
    Sie schaute schon wieder etwas verträumt zu ihm hoch – sie ging ihm ja gerademal bis zur Brust – als er sie mehr noch als der Mann mit dem Karren darauf aufmerksam machte, dass sie wohl nicht wirklich ewig hier stehenbleiben konnten. Verlegen sah sie sich kurz um, als müsse sie die Lage nochmal überprüfen, ob sie denn wirklich im Weg standen.
    “Ja, ich glaube, du hast recht, wir sollten hier wohl weggehen. Bevor die Hafenarbeiter noch wirklich ärgerlich werden und uns vertreiben.“
    Mit einem leichten Schaudern dachte Axilla an den Aufstand im Hafen von Alexandria, dessen Zeuge sie geworden war – auch wenn die Verhöre äußerst glimpflich abgelaufen waren.
    Allerdings wusste Axilla gar nicht, wo sie hingehen sollten, sie kannte sich hier ja gar nicht aus. Sie war ja schon froh, wenn sie den Weg zurück wieder fand. Etwas verlegen biss sie sich kurz auf die Unterlippe
    “Und wohin wollen wir gehen?“ fragte sie unschuldig, während sie sich schon neben Vala gesellte, um hinzugehen, wo auch immer er sie hinführen wollte.

    Sie sollte ihm von Ägypten erzählen? Axilla überlegte kurz, wo sie da am besten anfangen sollte. Er fragte so viel, und sie wollte ihm ja auch gerne alles erzählen. Hauptsächlich, damit sie noch eine Weile einen Grund hatte, ihn anzulächeln und ihm in seine Augen zu schauen, denn sie genoss es, wie er sie anschaute.
    “Dann hat dein Verwandter bestimmt einen Elefanten gesehen. Die sind wirklich riesig, bestimmt zweimal so hoch wie ein Pferd und massig und schwer, und die haben einen langen Rüssel und dicke Haut und Stoßzähne. Die Karthager haben Kriegselefanten sogar gezüchtet und sind damit im Punischen Krieg... ich glaub, im zweiten.... auf jeden Fall war es Hannibal, über die Alpen marschiert. Das muss wirklich beängstigend gewesen sein, denn Elefanten sind wirklich gewaltig und stark. Die können ohne Mühe einen ganzen Baum mit ihrem Rüssel tragen.
    Und die Wüste ist auch wirklich gewaltig. Letztes Jahr durfte ich einen Freund, Aelius Archias, und seine Verlobte auf eine kleine Expedition zu den Nilkatarakten und den Pyramiden begleiten. Da haben wir verdammt viel Wüste gesehen. Das kann man sich gar nicht vorstellen, so weit das Auge reicht, nur Sand und Steine, und kein Tropfen Wasser, und man folgt einem Mann, der behauptet, er wisse genau, wo es zur nächsten Wasserstelle geht, und wenn der sich irrt, ist man tot.“
    Axilla schüttelte kurz den Kopf, konnte aber nicht wirklich aufhören, zu lächeln, obwohl das Thema ernst war. Eigentlich, wenn sie so darüber nachdachte, war die ganze Reise ziemlich verrückt gewesen. “Und wenn die Sonne auf den Sand scheint, kommt man sich vor wie in einem riesigen Backofen. Dann flimmert die Luft, und man denkt die ganze Zeit, überall wären große Seen, weil der Boden so spiegelt, aber das ist in Wirklichkeit nur Sand. Und man muss Zelte aufschlagen, damit man in der Sonne nicht verbrennt.“
    Axilla versuchte, ihn nicht die ganze Zeit anzuschauen, während sie redete und redete. Und so sah sie auch immer wieder ablenkend zu den Hafenarbeitern, die das Korn verluden, oder dem Meer, oder auch sehr interessiert dem Boden, auf dem sie standen, nur um doch wieder zu seinen Augen zurückzufinden.
    “Aber die meiste Zeit war ich ja in Alexandria, und da ist es ganz anders. Das Nildelta macht den Boden sehr fruchtbar, und dauernd kommen Schiffe mit Getreide, die in Alexandria umgeladen werden. Weißt du, die ägyptischen Schiffe sind nicht dafür geeignet, auf dem Meer zu fahren, die würden bei Seegang einfach umkippen.“
    Axilla könnte noch weiter erzählen, aber gerade an dieser Stelle musste sie einem Karren mit Korn etwas ausweichen, der an ihnen vorbeigefahren wurde, nicht ohne dass der Hafenarbeiter ein “Aus dem Weg“ brummte.


    Entschuldigend, weil sie ihn in so einem Redeschwall erstickt hatte, schaute Axilla verlegen zu ihrem Unbekannten hoch, der die Frage nach seinem Namen nicht beantwortet hatte, dafür aber eine nach ihren Verwandten stellte.
    “Ja, Serrana ist meine Cousine. Also, meine richtige Cousine, unsere Väter waren Brüder. Und Narcissa habe ich noch nicht kennengelernt, aber die soll wohl auch mit mir verwandt sein.“ Sie hatte nur kurz mit Serrana darüber geredet und wusste eigentlich nur, dass diese Cousine vom griechischen Zweig der Familie stammte und bei Senator Decimus Livianus wohnte. “Aber ich denke, ich werde sie kennenlernen, wenn ich Senator Decimus Livianus besuche. Eigentlich bin ich ja nur hier, weil er mich eingeladen hat, aber irgendwie hat er jetzt vor den Saturnalien wohl auch sehr wenig Zeit.“ Axilla zuckte kurz mit den Schultern, als störe sie das auch nicht weiter. Tat es ja auch nicht, so hatte sie schon mehr Zeit für andere Dinge, zum Beispiel Gespräche am Hafen mit Unbekannten.
    “Aber wieso fragst du? Kennst du die beiden?“ Vielleicht bekam Axilla ja so den Namen ihres Unbekannten heraus.
    “Und jetzt habe ich so viel über mich erzählt, jetzt musst du mir auch ein bisschen von dir erzählen“ setzte sie noch mit einem Unschuldsblick hinzu.

    Beinahe hätte Axilla geantwortet, die Götter hätten ihr schon früh gezeigt, wie egal ihnen die Menschen waren, aber sie ließ es doch bleiben. Bitterkeit machte es schwer, ihre so sorgsam gepflegte Maske des Gleichmuts und der Fröhlichkeit zu spielen.
    Kurz zögerte sie einen kleinen Moment, ehe sie den Mantel von Brutus annahm und ihn sich um die Schultern legte. Er war rau und kratzig, grob gearbeitet, aber warm. Er scheuerte auf der Haut.
    Axilla liebte ihn vom ersten Augenblick an. Es war so vertraut, so bodenständig, so sicher. Sie kuschelte sich eng in den Mantel und setzte sich direkt neben Brutus. Wenn man sie später fragen würde, würde sie wohl sagen, dass genau das der Zeitpunkt war, an dem sie beschlossen hatte, ihn zu mögen und ihm zu vertrauen.
    “Na, dann sind die Grundlagen ja schonmal vorhanden, und du kannst auf dem Markt einkaufen gehen“, meinte sie etwas verschmitzt, nur die Nase aus dem warmen Umhang herausstreckend, so dass er ihr Grinsen nur erahnen konnte.
    Sie kuschelte sich wieder wie ein Kind ein, plusterte sich dabei auf wie ein Spatz und sah Brutus einfach nur dankbar an. “Also, die meisten hohen Beamten sprechen auch Latein. Zum Beispiel Nikolaos Kerykes, der ist Gymnasiarchos. Oh, und Epistates tou Museiou. Er hat mich als Sciba eingestellt, aber ich glaube, das war nur, um Urgulania einen Gefallen zu tun.
    Naja, er kann so gut Latein, dass er sogar Kurse für die Griechen gibt, die es lernen wollen. Und er ist ein Freund der Familie. Ansonsten... hmm... die Bantotaken können glaube ich auch alle Latein. Die sind Agoranomos und Strategos. Also, das sind zwei Brüder. Und Cleonymus, also, der ist zwar sowieso Ägypter und gar kein Grieche, aber der ist Kosmetes und spricht auch Latein.
    Aber so auf der Straße, spricht das kaum einer. Oh, oder am Fremdenmarkt. Ich hab nichtmal eine Ahnung, was die da so alles sprechen. Das ist ein ganz wilder Misch aus allem möglichen Griechisch, Demothisch, Judäisch und ich glaube, ein Seidenhändler spricht sogar indisch, aber das weiß ich nicht so genau.“

    Axilla plapperte einfach vor sich hin und erzählte und erzählte. Nur ab und zu schaute aus dem Mantel kurz eine Hand oder ihre Nase heraus, wenn sie sich beim Sprechen bewegte oder gestikulierte.
    “Aber wenn du magst, kann ich dir ein bisschen was beibringen? Schwer ist es nicht, und wenn du erstmal da bist, wirst du sicher auch ganz viel durch das sprechen lernen.“
    Axilla hatte da vielleicht leicht reden, denn sie hatten einen der griechischen Dialekte schon von Kindheit an gelernt, so dass die übrigen dann nicht mehr so schwer waren. Wenn einmal die Grundlage für eine Sprache gelegt war, dann konnte man leicht mehr davon lernen. Trotzdem meinte sie ihr Angebot ehrlich und aufrichtig.

    Axilla sah Brutus vollkommen entgeistert an, als er meinte, sie wäre vor ihrem Vater geflüchtet. Nie, nie, NIE wäre sie vor ihrem Vater geflüchtet, egal, was auch immer sie angestellt hätte. Abgesehen davon, dass er der größere Kindskopf gewesen war und Axilla nur bedingt Strenge durch ihn erfahren hatte, wäre ihr nie eingefallen, sich vor ihm zu verstecken.
    “Nein, neinnein, doch nicht vor Vater! Du verstehst das falsch. Ich hätte nie...“ Ein heftiges Kopfschütteln ließ es fast so aussehen, als laufe Axilla Gefahr, vom Baum zu fallen. Auch wenn sie normalerweise nie freiwillig etwas erzählte, ohne gefragt worden zu sein, sprudelte eine Erklärung jetzt geradezu aus ihr heraus. “Es war nur, wenn Mutter krank war und nicht aufstehen konnte, und dann so viel zu tun war, und Vater nicht da war, oder als er dann gestorben war und wir den Arzt bezahlen mussten und alles geordnet werden musste und ich das noch nicht so gut konnte, oder wenn mein Lehrer mir daneben versucht hat, noch Philosophie zu erklären, aber meine Gedanken ganz durcheinander waren und ich sowieso nichts verstanden habe! Dann bin ich gerne in den Wald gelaufen oder zu meinem Baum.“
    Es dauerte einen Moment, in dem Axilla auch noch erstmal realisierte, was Brutus sonst noch erzählt hatte, bis sie bemerkte, was sie ihm alles so eben kurz und knapp offenbart hatte. Zum Glück war es dunkel, so dass er nicht merkte, dass sie deswegen rot wurde, dennoch sah sie weg und fühlte sich reichlich unwohl.
    “Ähm, mir ist doch ziemlich kalt...“, meinte sie dann erst einmal nur, und ohne ein weiteres Wort ruckte sie weiter vor, so dass sie vom Ast glitt. Sie hielt sich noch mit den Händen fest, so dass ihr Körper eine Sekunde langgestreckt dahin, ehe sie sich fallen ließ und zum Abfedern kurz in die Knie ging. Auf dem Boden strich sie sich erst einmal die Rindenreste von den Händen.
    Kurz ging etwas wie ein kleiner Ruck durch ihren Körper, dann lächelte Axilla wieder zu Brutus, als wäre gar nichts gewesen. Man hätte meinen mögen, ihr Einwurf eben hätte nie stattgefunden.
    “Dir wird es in Alexandria sicher gefallen, es ist eine wunderschöne Stadt. Und unser Haus dort ist großartig, so groß und edel eingerichtet und hell. Und die Leute sind alle furchtbar nett. Also, wenn man sich daran gewöhnt hat, dass alle Griechen maßlos übertreiben, und wenn man die Sprache kann. Kannst du schon Koine, oder einen anderen griechischen Dialekt?“

    “Ach, findest du? Mir ist ganz furchtbar kalt, seit ich hier angekommen bin. Ich meine, in Tarraco, wo ich eigentlich herkomme, war es im Winter auch kalt, aber in Alexandria ist es immer warm. Also, so richtig, richtig warm. Da ist das hier furchtbar kalt.“
    Axilla versuchte, ihre Verlegenheit einfach dadurch zu überspielen, dass sie schnell weiterplapperte. Auch wenn es nicht besonders sinnig war oder einen Zusammenhang zu haben schien, es lenkte von ihrem Versprecher hoffentlich ab.
    Aber Vala schien das ganze ihr nicht übel zu nehmen, denn auch er redete einfach weiter. Wenngleich seine Worte eine seltsame Note hatten, die Axilla hier und da aufhorchen ließen. Sie schaute immer wieder hoch in seine grauen Augen, um dann doch wieder wie ein ertappter dieb wegzuschauen, während sie überlegte, was sie ihm denn antworten sollte.
    “Alexandrinische Lehren? Politik? Ich versteh nicht so viel von Politik. Also... ich bin Scriba vom Gymnasiarchos und kann dir da was über die Ämter erzählen, wenn dich das wirklich interessiert, aber...“
    Axilla wollte Vala in diesem Punkt falsch verstehen. Ein kleiner Teil hatte zwar durchaus in Betracht gezogen, dass er mit ihr flirtete, aber nachdem sie sich schon so blamiert hatte mit dem ausziehen, wollte sie es nicht noch schlimmer machen. Da spielte sie lieber die Dumme – wobei sie hoffte, dass er sie nicht wirklich für dumm hielt. Er gefiel ihr ja durchaus. Er war groß und selbstsicher. Und er hatte ganz wundervolle graue Augen.


    “Ähm, dein Freund hat dich Alrik genannt“, lenkte sie schnell vom Thema ab. Themenwechsel beherrschte Axilla gut. “Ist das dein Name?“

    Axilla nickte unbekümmert und fröhlich, als sie nach ihren Betrieben gefragt wurde.
    “Ja. Den ersten, also die Farbmischerei, hat mir Silanus damals geschenkt. Mir war langweilig, und ich hab ja auch in Tarraco den Hof geleitet. Muttar war ja sehr krank, und anch Vaters Tod...
    Ähm, naja, und in Alexandria können Frauen ja ohne Probleme Geschäfte führen. Das ist richtig witzig, die Ägypter – also die richtigen Ägypter, nicht die Griechen – haben da schon vor Ewigkeiten Gesetze erlassen, dass Frauen eigenen Besitz haben und eigenes Geld verwalten dürfen und sowas. Und das gilt immernoch uneingeschränkt. Deshalb ging das da ganz ohne Probleme. Die denken sich noch nichtmal was dabei, wenn eine Frau ein Geschäft leitet.“

    Vergnügt zuckte Axilla mit den Schultern und betrachtete danach interessiert ihre Fingerspitzen, die zu schrumpeln anfingen wegen der langen Badezeit.
    “Und die Farbmischerei hat dann soviel Gewinn abgeworfen, dass ich mir ncoh eine Weberei dazu gekauft habe. Die... naja, irgendwie glaub ich, die Leute bruachen nicht so viel Stoff, weil es in Ägypten so warm ist. Aber das macht nichts, es macht einfach Spaß. Ich hoffe nur, mein Verwalter stellt jetzt keinen Blödsinn an, während ich nicht da bin.“
    Noch immer galt ein guter Teil ihrer Aufmerksamkeit ihren Fingern, die Axilla nun an der feuchten Luft trocknen ließ und das interessante Gefühl, wenn die Haut dabei sich spannte, intensiv wahrzunehmen versuchte.
    “Dann kennst du den Senator schon? Ich hoffe ja, er hat überhaupt Zeit, mich zu empfangen. Ich kann ja nicht ihn besuchen kommen, ohne ihn besuchen zu kommen.“
    Axilla lachte in Serranas Richtung und rutschte ein wenig auf der Steinstufe hin und her. Sie wollte das Gespräch nicht abbrechen, aber sie konnten ja nicht stundenlang baden. Axilla fühlte, wie sie langsam aufweichte.


    “Archias? Den hab ich in Ägypten kennengelernt. Er ist dort im Cursus Publicus. Ich hab ihn glaube ich getroffen, da war ich grad mal 3 Wochen in Alexandria. Oh, und er hat mich zu den Pyramiden mitgenommen! Also, ich durfte ihn und seine Verlobte begleiten, Decima Seiana. Er wird wohl auch nach Rom versetzt in den nächsten Wochen, aber ich weiß nicht genua, wann. Und da hat er mich dann zum Essen eingeladen in den Teil des Palastes, der den Aeliern gehört“, plapperte sie fröhlich vor sich hin.

    Als sie und Vala sich gerade vorstellten, fing der Grieche neben ihr plötzlich wieder mit Zetern an und wollte den gerade frisch gebadeten mit seinem Stock schlagen. Doch dieser fing den Schlag geschickt ab, hielt den Stock fest und entließ den Griechen sehr selbstsicher. Dieser zog wild schimpfend von dannen, und Axilla schaute ihm sehr verwirrt nach. Vor allem, da sie seine ganzen Flüche verstand, auch wenn er sich teilweise doch derber Vulgärsprache bediente und auffällig viele Bemerkungen über Teile der männlichen Anatomie beinhaltete.
    Axilla war sich noch immer nicht sicher, ob sie hier überhaupt bleiben sollte und durfte, als der vermeintliche Nemo sie auch schon wieder ansprach. Noch immer etwas durcheinander von dem impulsiven Abgang des Griechen schaute sie einen Moment nur unsicher hoch in seine grauen Augen und musste ernsthaft überlegen, was sie sagen sollte. Die Art, wie er ihren Namen aussprach, hatte etwas beunruhigendes an sich, aber nichts desto trotz auch etwas anziehendes.
    “Ich hätte ihn eher für einen Kyniker gehalten“, fing sie sich langsam wieder und schaute noch einmal in die Richtung, in die der Grieche abgedampft war. Nachdem der erste Adrenalinrausch vorbei war, fand sie auch ihre Sprache wieder. Auch wenn sein Kompliment es ihr nicht gerade einfach machte, ihre Gedanken zu ordnen.
    “Ich wollte mir ein wenig die Schiffe ansehen. Also... ich weiß, das klingt jetzt albern, aber, ich komme aus Alexandria, und bin hier in Rom auf Besuch für den Winter, und... ich hab einfach etwas gesucht, das mich ein bisschen an Alexandria erinnert, und beim Spazieren bin ich hier zum Hafen gekommen und hab gesehen, wie das Korn abgeladen wurde. Und naja, in Alexandria wird es aufgeladen. Und mir haben sowieso die Füße gerade weh getan vom Laufen, da hab ich mich eben hingesetzt und ein wenig zugesehen und... verdammt, mein Schuh!“
    Sie hatte beim Reden die ganze Zeit hoch in seine grauen Augen geschaut, und geredet, und geredet, und irgendwann war ihr aufgefallen, dass der Boden wirklich verdammt kalt war. Zumindest an ihrem rechten Fuß, der noch immer barfuß auf dem Boden stand.
    Sie drehte sich leicht in die Richtung, wo sie gesessen hatte und war auch schon mit zwei schnellen Schritten an der Taurolle. Dahinter lag auch schon die feine Cabatina, und Axilla bückte sich schnell danach. Auf einem Bein hüpfend zog sie ihn sich schnell über, ehe sie sich wieder an Vala wandte.
    “Und du? Ist dir nicht kalt, so in den nassen Sachen? Willst du dich nicht ausziehen?“ Eine Sekunde. Zweite Sekunde. “Äh, umziehen, umziehen! Also, trockene Sachen anziehen. Weil du dich sonst erkältest, mein ich.“
    Axilla wollte am liebsten im Boden versinken und schaute deshalb auch auffällig nicht in seine Richtung, sondern zur Seite weg. Hoffentlich wurde sie nicht wieder so rot, wo sie es gerade im Griff zu haben glaubte.

    Als sie plötzlich von hinter sich angesprochen wurde, sah Axilla etwas verwirrt über ihre Schulter, ließ aber die ausgestreckte Hand noch in der Luft über dem Wasser. Erst bei dem folgendem Satz in Koine nahm sie die Hand zurück, um sich ganz verwirrt umzudrehen. “Du hast ihn ins Wasser geschubst, weil er mich angestarrt hat?“ fragte sie sicherheitshalber nochmal nach, ebenfalls in Koine. Sie war das Griechische noch immer so gewohnt, dass es bei ihr nicht mal eine Sekunde des Umdenkens brauchte, nach anderthalb Jahren unter Griechen redete sie einfach. Auch wenn sie den leichten, ionischen Einschlag weder im Koine und erst recht nicht in ihrem bemühten Attisch je losgeworden war.
    Erst, nachdem sie aufgestanden war und die Frage gestellt hatte, bemerkte sie, dass der Mann im Wasser ja vielleicht nun gar nicht aus eben jenem ohne Hilfe rauskam und drehte sich wieder nach ihm um. Auch wenn das der Grund sein sollte, warum er baden gegangen war, Axilla fehlte jeder Sinn dafür, nachtragend zu sein. Und sie würde ihm ja trotzdem helfen, wieder rauszukommen, sofern er nicht unhöflich zu ihr war.


    Aber das hatte sich erübrigt, der Mann hatte schon eine Stelle zum herausklettern gefunden und zog sich den Kai wieder hoch. Klatschnass schüttelte er sich erstmal ausgiebig wie ein Hund. Axilla schaute ihm schmunzelnd dabei zu und hoffte, sie würde nicht gleich auch im Tiber landen, weil sie nun den jungen Mann anschaute.
    Sie wollte sich gerade Sorgen machen, ob er so nicht krank werden würde bei diesem eiskalten Wetter, als in ihrem Hirn auf einmal einheitliche Leere herrschte, weil das Ziel ihrer Sorge sich mitten auf offener Straße auszog. Als wäre es nichts weiter, zog er sich die Tunika über den Kopf und wrang das Wasser heraus, als wäre nichts weiter dabei.
    Axilla schaute mit offenem Mund hinüber, einen Moment länger, als man dem Schrecken zuschreiben sollte, und damit zwei Momente länger, als für eine Frau, noch dazu aus ihrer Gens, schicklich wäre. Erst, als ihr Verstand wieder soweit einsetzte, dass man sie ja auch sehen konnte und sie nicht unsichtbar war, wie sie dastand und zu ihm herüberschaute, drehte sie sich mit glühend roten Wangen auf der Stelle um und blieb wie angewurzelt stehen.
    Venus... dachte sie einmal, ein stilles Stoßgebet an die Göttin aussprechend. Ihr Herz klopfte ganz aufgeregt, weil sie sich so furchtbar ertappt fühlte. Was musste so ein hübscher Kerl sich auch vor ihr ausziehen?


    Die Rufe bekam sie gar nicht so wirklich mit, und auch den Wortabtausch der beiden Männer hörte sie nur so halb mit. Erst, als der junge Mann direkt bei ihr war und sich entschuldigte, wenngleich er die Schuld weitergab, rührte sie sich wieder und versuchte, nicht ganz so verlegen auszusehen.
    “Ähm, schon gut, ist ja nichts passiert. Und... du bist es ja, der im Tiber gelandet ist, nicht ich.“
    Axilla sah zu Nemo auf. Er hatte graue Augen. Sie blinzelte verlegen, als sie merkte, dass sie ihn vielleicht nicht so direkt anschauen sollte, weil dadurch die Röte zurückzukehren drohte.
    “Ich bin Iunia Axilla.“ Etwas intelligenteres fiel ihr auf die schnelle nicht ein. Sie war ja schon froh, dass sie ihn nicht auf die Narben auf seinem Körper gleich in überschwänglicher Neugier ansprach. Außerdem fürchtete sie immernoch, von dem Griechen auch noch in den Fluss geschubbst zu werden, wenn sie sich nicht benahm.

    Dass er irgendwie darüber enttäuscht war, dass sie sich nicht aufregte, entging Axilla vollkommen. Sie war mit den Gedanken schon um fünf Ecken weiter und weit davon entfernt, sich irgendwie zu ärgern. Auch nicht darüber, dass ihr Gesprächspartner sich noch größer gab, als er ohnehin schon war. Sie fand das eher lustig und lächelte ihn deshalb freudig an bei allem, was er sagte.
    “Ja, Sesterzen. Also, so in etwa, sie wiegen das gleiche ungefähr, sehen aber anders aus. Ich glaub, ich hab daheim noch ein paar...“ Kurz überlegte sie und schaute ein Loch in die Luft, ehe sie die Schultern wieder lachend zuckte und sich bequemer zurücklehnte.
    “Ich kenn mich mit Bierstuben nicht so gut aus. Wo liegt die denn? Brucheion?“ Axilla vertrug keinen Alkohol, da wurde sie anhänglich und übermütig. Das wusste sie, daher mied sie ihn. Und auch in ägyptischem Bier war Alkohol, wenn auch nicht so stark wie in Wein, besonders dem Palmwein.
    Doch dann bemerkte sie, dass er ja gar nicht wissen konnte, wer ihre Cousine war, da er ja auch gar nicht wusste, wer sie war. Nun, sie wusste auch nicht, wer er war, auch wenn er plötzlich um einige digitus noch zu wachsen schien und sich als großer Dichter auf der Suche nach Inspiration vorstellte.
    “Und meinst du, die hier sind gut?“ Axilla drehte sich wieder um und machte nun ihr ursprüngliches Vorhaben wahr, indem sie auf den unteren Rundbalken kletterte, um über den oberen hinüberreichen zu können. Sie beugte sich ein wenig vor und gab ein paar schnalzende und pfeifende Geräusche von sich, um so eines der Pferde dazu zu bewegen, zu ihr zu kommen. Tatsächlich war einer der Hengste neugierig genug und kam näher, näherte sich der ausgestreckten Hand und schnappte danach, so dass Axilla im letzten Moment gerade noch zurückziehen konnte. “Na, na! Frechdachs!“ schalt sie das Tier lachend und machte eine Bewegung, als wolle sie dem Pferd einen Klaps auf die Nase geben. Das allerdings tänzelte schon längst wieder zurück, so dass sie auch wieder von dem Balken zurückstieg. Wieder bekam Piso ein offenes und ehrliches Lächeln, als sie sich ihm zuwandte und nun nach der kleinen Ablenkung ihren Fauxpas charmant zu überspielen suchte.
    “Ich bin Iunia Axilla. Und meine Cousine ist Iunia Urgulania, die Archepyrtanes in Alexandria grade ist.“ Sie schaute ihn kurz in freudiger Erwartung an, ob er sich auch vorstellen würde, plapperte dann aber auch gleich weiter, ohne ihm so richtig Gelegenheit dazu gegeben zu haben.
    “Und was für ein Gedicht schreibst du? Eine Fabula?“
    Es war nicht nur ein höfliches Nachfragen, Axilla war ja wirklich neugierig. Und nachdem sie bei dem musischen Agon jede Menge Dichtkunst über Hermes gehört hatte, war sie nicht abgeneigt, auch vielleicht etwas anderes zu hören. Sie liebte Gedichte.

    Auch wenn viele Römer Vorurteile hatten, Axilla hatte keine, und das war an ihrem Lächeln durchaus auch deutlich zu sehen. Für sie war das eher sowas wie ein großes Abenteuer, eine Möglichkeit, mehr zu erfahren über etwas, das sie noch nicht kannte und das nach Freiheit und Wildnis klang. Und so lauschte sie auch gebannt der Beschreibung von Brutus' Heimat, zog die Knie an, um es sich ein wenig heimeliger zu machen und noch länger hier oben auszuhalten. Sie fror, aber das hier war so interessant, da wollte sie auf keinen Fall jetzt aufhören.
    “Es gibt mehrere Feste für Faunus. Die Faunalia, die bald sein müssten, und im Frühjahr die Lupercalia. An manchen Orten gibt es noch mehr Feste. Und ja, Faunus hat Hörner, und spitze Ohren, und seine Faune spielen Flöte und Waldgeister tanzen dazu, auch Nymphen.“
    Der Gott der freien Natur war einer der wenigen, die wirklich einen Platz in Axillas Herz hatten, und das hörte man ihr beim Erzählen durchaus auch an. In ihr selbst war so viel ungeordnete Kraft, da fühlte sie sich dem chaotischen Gott einfach am meisten verbunden.
    “Aber im Museion hab ich gelesen, die Germanen kennen ihn doch auch, oder? Also, da war eine Schrift, von einem Philosophos... ich weiß nicht mehr, welcher... der meinte, dass bestimmte … wie hat er es genannt? Achja, Aspekte! Dass bestimmte Aspekte jedem Volk bekannt wären. Ihr habt doch auch... ach... wie hieß der gleich? …. Nicht verraten!... ähm... hmmm... Cernunnos?“
    Dass das jetzt das keltische Pendant war, wusste Axilla nicht. Sie hatte es nicht so mit Namen, und auch, wenn ihr Brutus nun Freyr als richtige Lösung vorgesagt hätte, sie hätte sich wohl nicht erinnert. Sie hatte sich nur gemerkt, dass das einer der Gottheiten war, die viele Völker kannten, den gehörnten Gott der Wildheit, der Natur, der männlichen Triebe, ob man ihn jetzt Faunus, Pan, Freyr, Cernunnos oder Dagda nannte, genauso wie es auch immer sein weibliches Gegenstück gab, eine Muttergöttin der Jagd, Diana, Artemis, Isis, Cerridwen. Aber das war auch nicht wichtig, sie fand einfach die Idee schön, dass irgendwie doch alle Menschen sich darin einig waren, dass es diese Macht gab und dass sie göttlich war. Irgendwie ließ sie das sich nicht ganz so einsam auf dieser Welt fühlen.


    “Aber das hier ist Rom. Der Kaiser opfert doch sicher regelmäßig, damit es auch noch lange stehen bleibt. Aus irgendeinem Grund müssen sie die Stadt doch Urbs Aeterna genannt haben.“ Axilla glaubte nicht, dass der leichtlebige Faunus tatsächlich wütend hervortreten würde und alle mit seinen Hörnern aufspießen würde. Daher konnte sie die Sorge von Brutus da nicht teilen. Abgesehen davon glaubte sie sowieso nicht, dass die Götter sich allzuviel aus den Sterblichen machten. Sie hörten bei Gebeten nicht zu, warum also sollten sie da böse sein, wenn die Menschen sie auch weitestgehend ignorierten?


    “Ich komme aus Hispania. Vater hatte ein bisschen Land außerhalb von Tarraco, wo wir gelebt haben. Nichts besonderes, ein paar Felder, ein Weinberg mit ungenießbaren Trauben, ein bisschen Wald. Auf dem Hof stand auch ein Baum wie der hier, nur größer. Da bin ich oft raufgeklettert, wenn ich...“
    Axilla streichelte beim Erzählen fast liebevoll über die Rinde dieses Baumes, brach dann aber mit einem traurigen Lächeln ihre Erzählung ab. “Nicht so wichtig.
    Und du und Silanus bleibt nun hier in Rom?“

    Rom war aufregend. Rom war berauschend! Rom war gewaltig! Rom war wundervoll, viel kühner, als Axilla es sich in ihren Träumen hatte vorstellen können! Aber eines war Rom nicht: Alexandria. Und je kühler es wurde, umso mehr merkte Axilla, wie sehr sie die warme Stadt mit ihren seltsamen Bewohnern und all dem bunten Trubel und Wirbel doch vermisste. Inständig vermisste, wie sie nicht geglaubt hatte, einen Platz vermissen zu können, seit sie das Haus ihrer Eltern verkauft hatte. Hier war alles noch neu, und sie kam sich vor wie ein entwurzelter Baum, den man in eine ganz frische Erde gesetzt hatte. Erst nach und nach schlug sie hier ihre Wurzeln, aber das brauchte Zeit. Und Axilla war sich nicht sicher, ob sie hier so tiefe Wurzeln schlagen mochte.
    Und wie immer, wenn ihr etwas auf der Seele lag, versuchte sie, sich abzulenken. Nachdem Brutus sie schon auf dem Baum im Garten entdeckt gehabt hatte, schied der als Zufluchtsort aus, und andere Bäume gab es zwar in Rom, aber auf die sollte sie lieber noch weniger hochklettern, erst recht nicht bei Tag. Die Leute würden sie noch für völlig durchgeknallt halten. An sich gar nicht so übel, wie Axilla schmunzelnd merkte, aber eben doch nicht so passend für das Bild der Familie. Die Märkte waren auch nicht so ablenkend, denn keiner von ihnen war auch nur halb so bunt wie der Xenai Agorai. Außerdem waren sie alle wegen der nahenden Saturnalien von klimperndem Kleinkram überfüllt, den wohlmeinende Herren und Damen für ihre Sklaven kauften.
    Also war Axilla einfach losgelaufen, bis sie schließlich auf den Fluss gestoßen war. Der war zwar nicht wirklich vergleichbar mit dem Nil, nichtmal annähernd, aber das Wasser hatte doch etwas beruhigendes und vertrautes. Sie schlenderte seinem Verlauf nach, quer durch die halbe Stadt, bis sie schließlich am Aventin angekommen war. Auch wenn Axilla sicher nicht lauffaul war, taten ihr so ein wenig die Füße weh. Sie ging noch ein Stückchen weiter, bis sie schließlich eine Hafenanlage entdeckt hatte. Nunja, entdeckt war relativ, war sie doch nur schwer zu übersehen in ihren Ausmaßen. Oder auch ihrer Geräuschkulisse. Kleine Schiffe kamen den Fluss heraufgefahren und wurden hier abgeladen. Schwere Kornsäcke, randvoll, wurden von Hafenarbeitern zu wartenden Karren oder nahen Silos verfrachtet.
    “Aus dem Weg, Mädchen“, knurrte sie einer der Hafenarbeiter an, und Axilla machte einen kleinen Hüpfer beiseite. Sie suchte sich das nächste, aufgerollte Tau, um sich darauf hinzusetzen, und beobachtete die Männer, die an ihr vorbei die schweren Säcke trugen. Geistesabwesend zog sie sich einen Schuh aus und massierte ein wenig ihren Fuß, damit dieser sich etwas besser erholte.
    Ja, das hier hatte etwas vertrautes an sich. In Alexandria hatte sie gerne und häufig den Hafenarbeitern beim beladen zugesehen. Sie fragte sich kurz, ob die Schiffe wohl aus Alexandria waren. “Kommt das Schiff aus Alexandria?“ fragte sie also einfach einen der Vorbeilaufenden.
    “Nein, aus Ostia. Aber das Getreide kommt aus Ägypten.“ Axilla lächelte dem Mann dankbar hinterher, als sie plötzlich ein Platschen hörte, dicht gefolgt von einigen Flüchen, die sie noch nie gehört hatte – und sie war in einem Soldatenhaushalt aufgewachsen! Nun, einen Teil kannte sie nicht, weil sie aus einer anderen Sprache wohl herrührten, die sie nicht kannte. Aber die anderen waren auch mehrfarbig und blumig.
    Neugierig sprang Axilla auf, vergaß dabei ihren einen Schuh und lief also wie Iason von den Argonauten mit nur einer Sandale über den Kai hin zum Wasser und sah auch schon den Quell der Schimpftirade. Axilla konnte sich nicht helfen, sie musste kichern, verbarg es aber schnell hinter einer Hand.
    “Brauchst du Hilfe?“ fragte sie den Fremden, der wohl etwas unfreiwillig baden gegangen war und machte auch schon Anstalten, sich hinzuknien, um ihm eine Hand zu reichen und ihn herauszuziehen. Angst, nass zu werden, hatte Axilla keine. Und auch, dass derjenige, der den Fremden da ins Wasser gestoßen haben mochte, nicht so erbaut sein könnte, bedachte sie nicht. Sie hatte ja weder von dem Schlag noch von dem Grund dafür auch nur das geringste mitbekommen.

    Es waren wirklich schöne Tiere, und wenn man sie nur zum Ansehen kaufen wollen würde, wären sie sicher einiges wert. Axilla lächelte, als sie ihnen zusah, und wollte gerade auf die untere Bande der Koppel steigen, um sich so über die obere lehnen zu können und den Tieren näher zu sein, als sie jemand ansprach. Im ersten Moment zuckte sie zusammen, bis sie merkte, dass es ja ein Kompliment und kein weiterer Angriff auf sie war.
    Sie drehte sich etwas verlegen nach dem Mann um, der sie so angesprochen hatte und lächelte zu ihm hinauf. Er war ziemlich schnieke angezogen für einen Markt, aber sogesehen war sie ja auch nicht gerade unauffällig unterwegs. Und er war groß gewachsen, bestimmt einen ganzen Kopf größer als sie. Er hatte graue Augen.
    “Ach, so schlimm war es auch nicht. Ich hab mich nur kurz geärgert.“
    Sie drehte sich mit dem Rücken zu dem Zaun und lehnte sich leicht dagegen, während sie dem Fremden weiter zuhörte. Bei seiner zweiten Bemerkung musste sie kurz stutzen, denn sie verstand nicht, was er meinte.
    “Ägyptischer was? … Achso, du meinst das Kleid! Ähm, ja, ist ein ägyptischer Stoff. Habe ich auf dem Xenai Agorai gekauft. Bei Sahid. Oder war es Faslah? Fahir?... Auf jeden Fall ein großer Ägypter mit dickem Bauch und wenn man ihm bei Verhandlungen glauben mag, mindestens einem dutzend Kindern.“
    Axilla plapperte einfach leichthin, ohne sich irgendetwas weiter dabei zu denken. Für sie war der Fremdenmarkt in Alexandria ja etwas ganz alltägliches gewesen, so dass sie da auch unbeschwert erzählen konnte. Und irgendwelche Gedanken über den Stand ihres Gesprächspartners kamen ihr nicht. “Er war auch recht günstig. Ich glaube, ich hab ihn auf 50 Drachmen runtergehandelt. Aber verrat es nicht meiner Cousine, dass ich bei der Konkurrenz eingekauft habe“, fügte sie noch verschmitzt grinsend hinzu.
    Auch seine Bemerkung darüber, ob Römer oder Nichtrömer mal was exotisches tragen würden, nahm sie ganz gelassen. Sie hatte sich zwar schnell und auch heftig aufgeregt über den Mann, aber Axilla verzieh mindestens genauso schnell, wie sie wütend war, und war dem Verkäufer daher schon gar nicht mehr wirklich böse. “Und ich glaube, der hat mich viel eher deshalb verwechselt“, meinte sie also lächelnd und zeigte Piso ihren nackten Arm, der einen sanften Goldton hatte und nicht so hell war wie die winterblassen Römer ringsherum.
    Sie lächelte den Unbekannten noch einen Augenblick lang an, ohne irgendwas weiter zu sagen, ehe sie das bemerkte. Verlegen blickte sie kurz zu Boden und suchte dann ein Gesprächsthema, das über ägyptische Mode hinausging. “Und du suchst ein Pferd?“ fragte sie also ins Blaue hineinratend. Denn warum sonst sollte er hier auf dem Viehmarkt an der Koppel vorbeigelaufen sein?

    Kurz schaute Axilla heimlich aus den Augenwinkeln zu ihrer Cousine hinüber, aber sie schien nicht weiter nachhaken zu wollen, was die Familie anging. Axilla war sich nicht sicher, ob sie darüber wirklich erleichtert sein sollte oder nicht doch enttäuscht, entschied sich aber für ersteres. Sie wollte nicht über die schmerzliche Zeit nachdenken, und solange sie niemand zwang, würde sie es auch nicht machen.
    Axilla legte den Schwamm weg und lehnte sich wieder gemütlich im Wasser zurück. Jetzt war sie wirklich aufgewärmt und so langsam merkte sie, dass sie doch ein wenig müde wurde. Hier war es so erholsam und ruhig, da konnte man schon schläfrig werden.


    “Oh, doch. Urgulania war ja auch Eutheniarche erst und ist jetzt Exegetes. Und Archepyrtanes. Also diejenige, die mit dem Präfekten spricht, wenn es in Alexandria etwas gibt, wo die Stadtverwaltung seine Hilfe braucht.
    Ein Freund hat mir vorgeschlagen, ich solle doch auch mal mein Glück als Eutheniarche versuchen, aber ich glaube, dann würde Rom verhungern. Die ganze Kornüberwachung sollte schon jemand mit Ahnung übernehmen.“

    Axilla plapperte leichthin und merkte nichtmal, wieviele griechische Worte sie dabei benutzte. Für sie waren die Bezeichnungen so alltäglich geworden, dass sie es schon gar nicht mehr hörte und auch nicht daran dachte, dass Serrana vielleicht gar nicht wusste, was welches Amt war.
    “Mir reicht da meine Farbmischerei und meine Weberei. Oh, und der Scribaposten beim Gymnasiarchos. Wobei ich da ja eigentlich gar nicht viel zu tun hatte.
    Hmm, meinst du, ich könnte jemanden finden, der mich hier ein bisschen für sich als Scriba oder so arbeiten lässt, während ich hier bin? Wenn ich Senator Decimus besucht habe und Aelius Archias, wenn er da ist, dann hab ich irgendwie gar nichts mehr zu tun so richtig.“

    Dass Axilla noch gar nicht erzählt hatte, dass sie sich bei dem Aelier selbst in den Palast eingeladen hatte, wenn er denn auch in Rom war, hatte sie ebenfalls ganz vergessen.

    Nachdem der Senator Germanicus Sedulus und ihre Cousine Serrana in der Bibliothek verschwunden waren, machte Axilla ihre Ausrede war und schnappte sich eine von Serrana geliehene Palla. Es dauerte keine 5 Minuten, da war sie auch schon aus der Casa Iunia hinaus und los in Richtung des nächsten Marktes. Angst, weil sie – mal wieder – in einer großen Stadt alleine unterwegs war, hatte sie keine. Im Gegenteil, sie genoss es, mal wieder etwas ohne Begleitung und ohne Aufpasser zu unternehmen und lief einfach, wohin sie ihre Füße trugen.
    Nach ein paar Ecken war sie auf eine größere Straße getroffen, der sie einfach folgte. Einen Markt zu finden war nie weiter schwer, auch in einer so lauten und großen Stadt wie Rom nicht. Es gab so etwas wie ein ungeschriebenes Naturgesetz, dass diese immer am Ende von großen, breiten Straßen sich befanden, dort, wo viele Menschen waren und wo der Lärm am lautesten war. Axilla lief also immer weiter, merkte sich hier und da eine Ecke, um wieder zurückzufinden, und folgte einfach ihrer Nase, bis sie auf einem der zahllosen Märkte angekommen war.


    Auf dem Viehmarkt, um genau zu sein. Lautstark pries eine Frau ihre Hühner an, weiße Tiere, perfekt für den Opferaltar oder den Suppentopf. Sie hielt sie der Iunia entgegen, die Hühner an den Füßen haltend, dass die armen Tiere wild flatterten und ein paar Federn dabei verloren. Axilla winkte nur lächelnd ab und ging weiter.
    Die Blicke, die ihr teilweise folgten, bemerkte sie nicht. Sie hatte noch immer ihr für die Jahreszeit reichlich luftiges, grünes Kleid nach ägyptischem Schnitt an, dazu die Palla von Serrana, die sie warm hielt. Ihre Haut war wohl so gebräunt für die Römer, wie die Römer für Germanen dunkel waren.


    Sie schaute hier und dort, über Ziegen und Rinder hinweg, bis sie schließlich eine größere Koppel bemerkte. Neugierig trat sie näher an die Holzumrandung und lehnte sich auf den oberen Balken, während sie die Pferde dahinter betrachtete. Es waren große, schwarze Tiere. Renner, würde sie sagen, keine Reitpferde. Dafür waren sie zu groß, das Fell und die Mähnen zu glatt, der Rücken zu schmal. Die hier waren nur schnell und kräftig. Dennoch lächelte Axilla, während sie so hinsah, wie die jungen Hengste sich gegenseitig in leichtem Konkurrenzgehabe zwickten und wilde Capriolen schlugen.
    “He, Mädchen, weg da vom Zaun“, herrschte sie auf einmal ein Mann an, dem die Tiere wohl gehörten.
    Verwirrt schaute Axilla zu ihm hinüber, sich keiner schuld bewusst. “Was ist denn los? Ich schau doch nur.“
    “Dann schau wo anders! Die da sind für zahlende Kundschaft und nicht für Peregrini!“
    Axilla blinzelte verwirrt und sah den Mann an, als wäre er ein mystisches Wesen. Peregrina? Sie war doch keine Peregrina! Wie kam der denn nur darauf? Auch wenn Axilla sonst nicht so mutig war, das musste sie doch eben mal klarstellen, wenn auch etwas lauter. “Was denkst du dir? Ich bin Iunia Axilla, aus dem Geschlecht der Iunier, auf deren Knochen diese Stadt hier steht, du... du... du!“ Ihr viel keine passende Bezeichnung für ihn ein. “Und wenn ich wollte, könnte ich dir deinen ganzen Stall hier abkaufen! Peregrina...“ grummelte sie noch nach und lehnte sich wieder demonstrativ über die Koppel, um die Pferde zu beobachten.
    “Tut mir leid, Herrin, ich habe dich nicht erkannt. Schau nur, es sind gute Pferde. Ich wollte dich nicht verärgern.“ Auf einmal war der Verkäufer ganz kleinlaut und versuchte, zu beschwichtigen. Axilla beachtete ihn erstmal beleidigt nicht weiter, so dass er es auch sein ließ und sie einen Moment einfach schauen ließ. Es gab ja noch andere Kundschaft, der er etwas aufschwatzen konnte, ohne angeknurrt zu werden.

    Einen Moment schien Brutus mit den Gedanken abgedriftet zu sein, ehe er mit den Schultern zuckte, um auf ihre Frage zu antworten. Axilla bemerkte die Geste, wie er über den Baum streichelte, und es hatte etwas vertrautes an sich. Mehr noch als seine Worte drückte das für sie die Zuneigung aus, die auch sie für den alten Baum verspürte.
    “Ich fühl mich nicht einsam, wenn ich auf einem Baum bin“ beantwortete sie ehrlich seine Frage. “Das ist mehr... Vertrautheit und Ruhe. Dann hören die Gedanken auf, so wild zu kreisen, und ich kann besser nachdenken.“
    Auch Axilla streichelte über die Rinde. Es fühlte sich lebendig unter ihrer Haut an, und kräftig. Sie fühlte die feinen, rauen Maserungen der Rinde, die Stellen, wo im Frühjahr wohl neue Triebe sprießen würden, die Stellen, wo ein Ast früher einmal war und nun abgestorben und verhärtet war, mit Harz vernarbt, aber deshalb nicht tot. Es gab ihr auf seltsame Art einen Trost, den sie sonst nirgends finden konnte.


    “Dann bist du Germane?“ fragte sie schließlich neugierig nochmal nach. Er wäre damit der zweite Germane mit römischem Bürgerrecht, den sie kennenlernte. Sie dachte kurz an Duccius Rufus, sie hatte vollkommen vergessen, ihm zu schreiben, dass sie nach Rom gegangen war. Aber andererseits hatte er auf ihren letzten Brief auch nicht geantwortet. Kurz überlegte sie sich, deshalb zu schmollen, aber nur eine Sekunde später nahm sie sich fest vor, ihm von Rom aus einen Brief zu schreiben.
    “Also, für uns Römer gibt es aber auch heilige Bäume und Geister, die darin wohnen. Faunus zum Beispiel mit seinen Faunen wohnt in den Wäldern, und auch Fauna. Und die Virae querquetulanae, die mit ihren Bäumen fest verbunden sind und diese verteidigen. Auf dem coelischen Berg soll es hier ein Heiligtum für sie geben, ein ganzer Wald mit Eichen, der nicht angerührt werden darf. Und auch für Diana gibt es einige ihr geweihte Haine, in denen kein Holz geschlagen werden darf.“
    Axilla plapperte einfach vor sich hin, so dass man beinahe vergessen mochte, dass sie hier mitten in der Nacht nun beide auf einem Baum saßen und sich im Grunde gar nicht kannten. Sie zitterte leicht, weil ihr kalt war, aber das schien ihrer leichten Art keinen Abbruch zu tun.
    “Ich denke nur manchmal, viele Römer vergessen das gerne. Auch wenn die Gottheiten zu unseren Wurzeln gehören, denken viele einfach gerne nur an die Städte und das Geld und die Macht und vergessen das solange, bis die Geister der Erde irgendwann wütend reagieren.“

    Der Drang, spontan zu Luft zu verpuffen, verblasste ein wenig, als der Senator wohl keineswegs beleidigt reagierte. Auch, wenn er nicht gänzlich verschwand. Axilla fühlte sich hier einfach noch nicht sicher genug, um zu wissen, wie sie sich verhalten sollte und wie sie sich verhalten durfte. In Alexandria war das einfacher, da kannte sie die meisten Leute und konnte ihre Reaktionen einschätzen. Aber Sedulus war nunmal der erste Senator, den sie in ihrem Leben traf, und Axilla hatte nicht den blassesten Schimmer, wie man sich da zu benehmen hatte und was noch als charmant durchging, und was hingegen schlichtweg als unpassend und dämlich galt. Aber offenbar war noch alles im Rahmen.


    Innerlich seufzte Axilla erleichtert auf, auch wenn sie es gerade so eben schaffte, das nicht auch offensichtlich zu machen, und war froh, dass das Thema scheinbar erstmal vom Tisch war. Sie könnte ja darüber diskutieren, sie hatte auch einige Ideen dazu und Ansichten, und sie war ja auch belesen. Das einzige Problem war nur, dass sie sich eben nicht traute, etwas zu sagen. Vor allem nicht, wenn es so war, wie sie es vermutete, und Sedulus derjenige welche war, in den Serrana verliebt war. Da wollte sie ihrer Cousine nichts kaputt machen durch einen peinlichen Auftritt. Der würde schon noch früh genug kommen.
    “Wir haben eine Bibliothek?“ fragte sie etwas verwundert. Sie hatte das Haus zwar noch nicht ganz durchforstet, aber ein Raum mit mehreren Schriften wäre ihr wohl doch aufgefallen. Sie war versucht, sich den beiden einfach anzuschließen, einfach um zu sehen, was es dort alles gab, als ihr Blick Serrana traf und sie sowas wie ein schlechtes Gewissen bekam. Sie war hier einfach hereingeplatzt in die traute Zweisamkeit und war drauf und dran, die Cousine zu blamieren. Und Axilla wusste, wie kostbar die Momente waren, die man einen geliebten Menschen nur für sich hatte, selbst wenn man sich über die eigenen Gefühle nicht ganz sicher war.
    “Ähm, ich wollte noch in die Stadt gehen, mal ein wenig die Märkte erkunden und schauen, was es hier so gibt im Vergleich zum Xenai Agorai. Du musst mir dann unbedingt die Bibliothek heute abend nach der Cena mal zeigen, Serrana. Aber jetzt wollt ich los, solange das Wetter noch hält.“
    Gut, es war eine Ausrede, aber sie könnte ja wirklich sich mal auf den Märkten umsehen. Einfach mal schauen, was es hier so gab, ein wenig die Stadt erkunden... ja, das würde ihr schon gefallen.

    “Oh, ich trinke besser gar keinen Wein. Der steigt mir sofort zu Kopf und ich mache irgendwelchen Blödsinn. Einmal hab ich einen Gast bei uns im Haus angeschrien. Ich wär am liebsten danach im Boden versunken vor Scham, aber weißt du was? Irgendwie hab ich es hingekriegt, dass er sich bei mir entschuldigt hat und nicht andersherum.“
    Axilla schüttelte lachend den Kopf. Wenn sie daran dachte wie sie Marcus Achilleos erst zusammengefaltet hatte, und wie er danach dann vor ihr auf die Knie gefallen war, um ihre Vergebung zu erbitten, hatte das schon irgendwie etwas komisches an sich.


    Doch da war noch die andere Frage, die Serrana gestellt hatte, und die Axilla erst einmal bewusst ignoriert hatte. Was sollte sie über ihre Eltern denn groß erzählen? Sie wusste nicht, wie viel sie da sagen sollte, und wie viel sie sagen konnte, ohne dass es doch zu schwermütig wurde. Die Stimmung war gerade so gut, aber das würde sie sicher zum kippen bringen.
    “Was willst du denn über meine Eltern wissen? So viel gibt es da ja gar nicht...“ fing sie also sehr ausweichend an und lehnte sich weiter an den Rand des Beckens zurück. Ihr Blick glitt in weite Ferne, ohne irgendetwas im Raum zu fixieren, so dass alles noch mehr verschwamm als durch den badeölgetränkten Dunst ohnehin schon.
    “Mein Vater hat meine Mutter kennengelernt, da war er gerade frisch bei der Legion. Er ist ziemlich schnell aufgestiegen bei der Legion, weil Großvater ja Geld hatte, also damals noch, und wir ja auch einige wichtige Posten in der Familie hatten. Wusstest du, dass Iunia Attica sogar Procurator a rationibus war?
    Naja, auf jeden Fall wurde er dann auch bald Tribunus augusticlavius, so dass die beiden heiraten konnten, und er hat eine Villa auf dem Land gekauft. Weil Mutter hatte keine so starke Konstitution und die Landluft tat ihr gut.“

    Axilla machte eine kleine Pause, in der sie den Schwamm nahm und sich damit einmal über die Arme fuhr. Die waren zwar nicht schmutzig, aber das war einfach ein schönes Gefühl und lenkte ab.

    Puh, offenbar war es nicht schlimm, wenn sie sich für sowas interessierte. Keine entrüsteten Blicke, keine ermahnend erhobene Stimme, nichtmal ein kleines Zucken. Offenbar war es in Ordnung. Naja, sie sollte nicht damit übertreiben, aber reines Interesse schien wohl noch innerhalb der Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz zu liegen.
    “Naja, als Iunier ist es ja fast schon Pflicht, die Republik interessant zu finden. Ich glaube, Lucius Iunius Brutus hat uns da doch sehr geprägt“, versuchte Axilla einen klugen Kommentar zu Serrana zu machen, wurde dann aber vollkommen von Sedulus überrumpelt, als der auf Iulius Caesar zu sprechen kam.
    “Ähm, meinst du?“ fragte sie etwas unsicher. Immerhin war besagter Mann ebenfalls von einem Iunius Brutus umgebracht worden, wenngleich auch ein paar hundert Jahre später. Das war nicht unbedingt etwas, was man gerne als Aushängeschild für eine Gens präsentierte. “Ich meine, Marcus Iunius Brutus hatte sicher seine Gründe...“ Axilla hatte natürlich eine Meinung dazu, aber sie traute sich nicht, die zu sagen. Zum Glück, denn gerade, als sie anfangen wollte, fiel ihr ein, dass sie die auch besser für sich behalten sollte! Nicht, dass ihr am Ende noch unterstellt wurde, sie hätte was gegen den Kaiser, denn sie mochte den Kaiser! Naja, sofern man das von jemandem sagen konnte, den man nicht kannte.
    “Ähm, ich meine, also...“ Ja, was eigentlich? Sie wollte nichts schlechtes über ihre Vorfahren sagen, aber sie konnte auch nichts Gutes sagen, ohne dass der Eindruck entstand, sie würde das unterstützen, was er getan hatte. “... so rein philosophisch gesehen... also...“ Hatte sie gerade philosophisch gesagt? Ja, hatte sie. Verdammt. “...und politisch...“ Ja, noch besser, erzähl einem Senator was über Politik. Vor allem über den Gebrauch von Mord dabei. Axilla merkte, wie sie langsam drohte, rot zu werden, weil sie fühlte, wie sie nur immer tiefer hineingeriet, anstatt weiter heraus. Sie hatte doch keine Ahnung, wie sie sich richtig verhalten sollte! Das war ja in Alexandria schon schwierig, wo sie die Leute kannte, aber hier hatte sie doch überhaupt gar keine Ahnung, wie der gute Senator denn so war und wie ehrlich sie reden durfte, ohne im Boden versinken zu müssen.
    “Hast du noch genug zu trinken?“ fragte sie dann plötzlich, in der Hoffnung, von ihrer Antwort so abzulenken, auch wenn dieser Versuch wohl total durchschaubar war. Aber es war zumindest ein Strohhalm, an den sie sich klammern konnte.