Beiträge von Iunia Axilla

    Der Ton von Urgulania schien keine Widerworte zu dulden. Axilla sah also zu Leander, der wie immer wie ein Schatten im Hintergrund einfach stand und gab ihm einen Wink. Er hatte Urgulania ja gehört und wusste daher, was zu tun war. Der Grieche nickte kurz und machte sich dann auch schon auf den Weg.
    Sie wandte sich Rufus zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihm noch etwas sagen zu müssen. Auch wenn sie nicht so genau wusste, was sie eigentlich sagen wollte.
    “Leander wird deiner Cousine bescheid geben. Und im Museion wirst du wirklich gut versorgt. Da sind ja die berühmtesten Ärzte der Welt.“
    Das war jetzt keine besonders herzliche Verabschiedung oder besonders intelligent formuliert, aber Axilla wollte sowieso grade nur im Boden versinken oder unsichtbar werden. Vielleicht beides. Sie konnte sich schon vorstellen, was gleich noch auf sie zukommen würde.

    Axilla zog zerknirscht den Kopf leicht ein, als sie ihre wohlverdiente Schelte bekam. Sie wusste natürlich, wie das aussehen musste, und welchen Tratsch das heraufbeschwören hätte können. Vielleicht hätte sie wirklich Urgulania noch wecken lassen sollen, als das alles selbst in die Hand zu nehmen. Aber sie war es einfach so gewohnt, schnell selber für sich Entscheidungen zu treffen. Immer wenn Vater nicht dagewesen war und es Mutter schlecht ging, hatte sie das schon gemacht, und als ihr Vater dann tot war und es Mutter immer schlechter ging, hatte sie das noch viel mehr gemacht. Nungut, auch damals war sie wenig erfolgreich darin gewesen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber sie war es einfach schon gar nicht anders gewohnt. Sie hatte ewig niemanden mehr um Erlaubnis gebeten. Dafür aber zerknirschte sie das Ganze nur noch um so mehr. Sie wollte doch so gerne eine vorbildliche Römerin sein.


    Rufus sprang für sie aber verbal in die Bresche und verteidigte ihre Verhaltensweise. Axilla war nur nicht sicher, ob das denn wirklich so gut war. Nicht, dass Urgulania noch auf die Idee kam, sie beide hätten was miteinander und er mache das deswegen. Trotzdem war sie natürlich dankbar, vor allem für die in ihren Ohren sehr logische Erklärung.
    “Stimmt, es war schon sehr spät und ich wollt dich da nicht mehr wecken. Tut mir leid, wird sicher nicht wieder vorkommen. Ich weiß natürlich, wie das wirken muss, und es tut mir leid, dass ich dich da so… überrumpelt habe.“

    Axilla überlegte gerade, womit sie Rufus wohl noch ein bisschen beim Essen unterhalten konnte, was vielleicht intelligenter klang als die Verbreitung der Walderdbeere, als Urgulania das Triclinum betrat. Sie sah toll aus! Wie immer hatte sie für Axilla etwas an sich, vor dem man einfach Respekt haben musste. Eine richtige Matrone eben.
    Doch im Moment wär sie trotzdem lieber wo anders. Sie fühlte sich mit einem Mal ganz schrecklich erwischt. Das war ja aber auch verflixt. Vor allem, wenn man bedachte, bei was allem sie nicht erwischt worden war. Weder ihre Liebschaft mit Silanus noch ihre kurze Affäre mit Thimótheos waren aufgeflogen. Und jetzt, wo eigentlich gar nichts passiert war, jetzt war sie erwischt worden. Fortuna hatte einen seltsamen Sinn für Humor.
    Axilla also setzte sich hastig auf der Cline auf. Sie wußte ja, dass Urgulania das nicht so gerne sah, wenn sie sich wie ein Mann beim Essen auch hinlegte, anstatt einen Korbsessel zu benutzen. Sie bemühte sich, möglichst ruhig zu wirken, als wäre sonst nichts weiter. Wenn Urgulania herausbekommen würde, dass sie die ganze Nacht mit Rufus in einem Zimmer gewesen war, würde sie ihr den Hals umdrehen, oder schlimmeres. Auch wenn sie noch so sehr dabei beteuern würde, dass zwischen ihnen beiden nichts gewesen sei. Axilla glaubte nicht, dass ihr da geglaubt werden würde. Und da sie auch keine Jungfrau mehr war, fiel es mit dem Beweisen dann wohl auch schwer.
    “Guten Morgen, Urgulania. Möchtest du auch etwas frühstücken?“
    Einladend sah die junge Iunia zu ihrer Cousine auf. Allerdings sah diese nicht unbedingt danach aus, als sei sie wegen des Frühstücks hier. Sie sah eher so aus, als wollte sie gleich los zur Arbeit.
    “Ähm, ja. Darf ich dir Duccius Rufus vorstellen? Wir haben uns in der Stadt vor ein paar Tagen kennengelernt. Der Gymnasiarchos und ich haben ihn zu seiner Cousine begleitet. Sie wohnt in der Regia.“
    Ja, so klang das schonmal gar nicht schlecht. Sie hatte alle wichtigen Eckpfeiler der stadt im Zusammenhang mit Rufus erwähnt. Wenn er den Gymnasiarchos kannte und in der Regia wohnte, was ja auch beides so stimmte, würde das Urgulania hoffentlich in Bezug auf seine Person beschwichtigen.
    “Oh, und er ist überfallen worden, kannst du dir das vorstellen? Einfach niedergeschlagen auf der Straße! Bisher war es doch so friedlich hier…“
    Axilla schüttelte leicht ungläubig den Kopf. Sie hätte sich wirklich nicht gedacht, dass irgendwer hier einen Römer angreifen würde.
    Einzig die Zeit verschwieg Axilla. Sie wollte nicht gleich zugeben, dass Rufus hier die Nacht über gewesen war. Das war ihr aus mehreren Gründen peinlich. Sie hoffte nur, sie war dahingehend nicht verpetzt worden. Außerdem wollte sie Rufus nicht in Schwierigkeiten bringen.

    Warum wollte er denn jetzt nicht zum Arzt? Um die lustigen Haare wäre es zwar wirklich schade, wenn die einem die Haare abschneiden würden, aber warum sollte ein Arzt das tun?
    “Ach, sei nicht albern. Du gehst dann nachher einfach mit deiner Cousine oder einem Sklaven von der Regia zum Museion. Du musst doch nicht wegen mir jetzt da bleiben und verletzt sein. Und wenn es sich dann doch entzündet, bin ich schuld. Nääää, geh du mal ruhig.“
    Rufus war schon ein wenig albern. Aber vielleicht war er von dem Schlag auch nur immer noch etwas durcheinander. Aber da merkte Axilla, dass sie selber das Thema wieder zurückgewechselt hatte. Naja, egal, jetzt ging es ja um Ärzte und nicht darum, dass sie verschlafen hatte, weil sie bei ihm geschlafen hatte und sich an ihn gekuschelt hatte.
    Aber das Obstthema war auch nicht so ergiebig gewesen, das war mehr ein Notfallthemenwechsel. Und Axilla wusste auch nicht wirklich, was sie dazu kluges sagen sollte.
    “Ja, ich war auch manchmal im Wald und hab Erdbeeren gesucht. Aber hier gibt es ja keine Wälder, und auch gar keine Erdbeeren.“

    Naja, ob seine Verwandten ihm da so ohne weiteres glauben würden, wenn sie so direkt neben ihm stand und damit kämpfte, nicht rot zu werden? Vor allem, je mehr sie versuchte, nicht daran zu denken, wie sie bei ihm gewesen war, umso mehr dachte sie daran. War wohl dasselbe Phänomen, wie wenn man jemandem sagte, er solle nun unter gar keinen Umständen an lila Elefanten denken.
    Axilla trank noch etwas Milch, um Zeit zu gewinnen. Als sie den Becher dann aber schließlich absetzte, weil er leer war, grinste sie dann Rufus plötzlich ganz frech an. Seinen Satz verstand sie nicht auf Anhieb, erst als er dann einen Milchbart hatte, als er seinen Becher absetzte, verstand sie und wischte sich hastig den Mund mit dem Handrücken ab. Ganz verlegen schaute sie auf, aber weil Rufus so grinste und mit dem weißen Bärtchen wirklich albern aussah, musste sie doch einmal unterdrückt kichern.


    “Naja, ich kann dich wohl wirklich nicht einfach wieder gehen lassen. Aber ich hab einen Sklaven zu Nikolaos geschickt, der ihm sagt, dass ich heute krank bin. Ich will also lieber nicht zum Museion, sonst lauf ich dem noch über den Weg, und ich will da keinen Ärger. Weil ich hab ja eigentlich verschlafen. Äääähm…“
    Das war kein gutes Thema, schnell ein anderes, ehe Rufus da noch drauf einstieg.
    “Dir schmeckt das Obst? Hier gibt es ganz viele Früchte, viel mehr als in Tarraco. Gibt es in Germania auch so viel Obst?“

    So hatte Axilla noch nie darüber nachgedacht. Ob die Köchin ihr wohl böse war, weil sie immer so wenig aß? Sie wollte sie ja nicht beleidigen. Immerhin stellte sie schon so genug an, weswegen man böse auf sie sein konnte, da musste das nicht auch noch dazu. Aber wenn sie sich das Essen jetzt so ansah, wusste sie nichtmal, ob die Köchin davon irgendwas gemacht hatte. Das Brot hatte sie wahrscheinlich selber gebacken, wobei es auch schon an der Agora Stände gab, die fix und fertig gebackenes Brot verkauften. Und die Früchte waren auch nur gewaschen und aufgeschnitten worden, und der Honig war in dem Krug, in dem er gekauft wurde. Würde die Köchin es auch als Kritik an ihren Einkaufkünsten ansehen, wenn Axilla nichts aß? Gab es sowas wie Kritik an Einkaufskünsten überhaupt?
    Aber Axilla hatte nun mal wirklich keinen Appetit! Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Köchin erfreuter wäre, wenn sie ihre Kritik an den Einkaufskünsten durch Übergeben dann äußern würde. Also spielte sie auch nach der Anspielung auch einfach weiter mit der Traube, ohne irgendwas zu essen, während Rufus dafür umso kräftiger zulangte.
    “Ich weiß nicht, ob es hier auch römische Ärzte gibt. Ich meine, die Basileia ist ja ziemlich klein. Und die griechischen Ärzte sind wirklich berühmt für ihre Kunst. Warum sollte man dann einen römischen Arzt nehmen, wenn das Museion gleich um die Ecke ist? Ich glaube, da würde der nicht so viel verdienen.“
    Axilla zuckte mit den Schultern. Im allgemeinen mochte sie Ärzte nicht so, die erinnerten sie immer an ihre Mutter und die Zeit damals. Und vor allem an die Rechnung, die das gekostet hatte und weshalb sie so viel hatte verkaufen müssen.
    Axilla widmete sich grade wieder der Traube in ihren Fingern, als Rufus sie total überraschte. Vor Schreck entglitt ihr das Obst und hopste kullernd über den Boden. Sie versuchte noch, sie zu fangen, aber da war das vermaledeite Ding auch schon unter den Tisch gerollt. Sie kam wieder hoch und sah Rufus ein wenig zweifelnd an.
    “Ähm, wir? Ich weiß ja nicht, ob ich zur Regia sollte. Du weißt doch, die Frau vom Präfekten, und ich weiß auch nicht, was die sagen werden, wenn du sagst, du warst die ganze Nacht bei mir. Also, im Haus, nicht jetzt bei mir, sondern halt hier im Haus. Also, ich meine, da könnten die doch fragen, was passiert ist, oder? Also, ich meine, es ist ja nichts passiert. Also, es ist schon was passiert, aber nicht hier, sondern auf der Strasse. Also, nicht mit uns, sondern mit den Nubiern. Also, nicht das, sondern der Schlag.“
    Spontan entschloss Axilla, dass sie ganz viel Durst auf Ziegenmilch hatte, denn sie nahm einen Becher, goss überhastet etwas Milch hinein und trank in langsamen Zügen. Das war besser, als wenn sie noch weiter redete. Was musste Rufus jetzt denken, was sie gedacht hatte? Nungut, sie hatte das ja auch gedacht, aber er sollte ja nicht denken, dass sie sowas dachte!


    So langsam verwirrte Axilla sich selber.

    Und da kam auch schon die Frage, ob sie nicht auch was Essen wollte. Wie als Antwort winkte sie Rufus mit der Traube, die sie in den fingern hielt zu. So sah es ja wenigstens annähernd so aus, als würde sie auch was Essen. Aber sie hatte im Moment einfach keinen Hunger. Bestimmt hatte sie schon wieder ein wenig abgenommen, auch wenn ihre Köchin sie genauso zu füttern versuchte, wie Rufus’ Haushälterin ihn. Aber wenn man ständig im Wechselbad der Gefühle an Appetitlosigkeit litt, dann nahm man eben nicht zu.
    “Nein, ich kenne keine Ärzte. Aber am Museion gibt es ganz viele. Da gibt es auch ein Haus, wo die unterrichten und so. Da ist das Museion ja ganz berühmt dafür. Iatroi-Irgendwas steht auf dem Schild. Die Ärzte da sind wirklich sehr gut.“
    Dass Anthi Arzt war, konnte Axilla ja nicht wissen, das hatte ihr schließlich niemand erzählt. Sonst hätte sie Rufus gleich zu den Bantotaken geschickt. Nein, eigentlich hätte sie Anthi mitten in der Nacht von Leander abholen lassen, da hätte sie weniger Skrupel gehabt. Bei einem Freund durfte man sowas ja, auch wenn sie und der Grieche nicht wirklich richtig Freunde waren.
    “Aber vielleicht solltest du erstmal in der Regia bescheid geben? Die machen sich doch sicher sorgen, weil du heute Nacht nicht heimgekommen bist, oder?“
    Axilla bezweifelte, dass außer Leander sich hier in diesem Haus jemand um sie Sorgen machen würde. Aber bei Rufus war das doch sicher anders.

    Die Frau des Präfekten hatte Axilla auf ihrem Weg zur Regia und in dieselbe hinein zum Glück nicht getroffen. Überhaupt war sie erstaunt, wie schnell sie den Weg geschafft hatte. Sie hatte noch nichtmal wirklich überlegt, was sie sagen wollte. Aber es war wichtig, und das würde ihr schon die nötigen Worte in den Mund legen, hoffte sie. Ansonsten blieb nur noch, sehr unrömisch solange hier zu stehen und zu heulen, bis der Magister Officiorum Mitleid mit ihr hätte und sie durchließ. Aber sowas machte eine erwachsene Römerin ja schließlich nicht.
    So stand sie nun da, kurz nachdem Terentius Cyprianus vorgelassen worden war, und rieb sich nervös die Hände.
    “Salve“, begrüßte sie ihr Gegenüber mit leicht zittriger Stimme, für die sie sich selbst verfluchte. “Ich muss ganz dringend zum Präfekten. Jetzt. Ich weiß, dass schon jemand bei ihm ist wegen dem toten Römer, den man in Rhakotis gefunden hat. Ich bin auch deshalb hier. Es ist wirklich, wirklich, wirklich wichtig, dass ich mit ihm spreche.“
    Wäre sie doch nur nicht so nervös deswegen! Axilla hasste es, so unsicher zu sein. Warum hatten die Legionäre nicht einfach Nikolaos durchgelassen, der konnte viel besser reden als sie!

    Axilla warf noch einen Blick zum Centurio, der flehentlicher nicht hätte sein können, und dann einen zu Nikolaos, der zwischen Angst, Sehnsucht und Entschuldigung schwankte. Aber was konnte sie schon sonst noch tun? Hier draußen bleiben konnte sie ja nicht, das wäre kindisch und dumm. Nikolaos würde das verstehen. Er musste das verstehen.
    Traurig ließ sie den Kopf sinken und nickte dem Centurio zu. Sie musste jetzt reingehen. Bevor die Soldaten es sich doch noch mal anders überlegten.
    Sie schritt also durchs Tor und war damit erstmal in Sicherheit. Sie warf noch einen Blick zurück zu den Legionären, die das Tor abriegelten. Sie hatte ein furchtbar schlechtes gewissen, weil Nikolaos noch da draußen war. Sie wusste, er hatte zum Präfekten gewollt, und sie wusste auch, worum es ging und hatte auch die Worte zwischen Timos und ihm verstanden. Ihr Koine war zwar noch immer von einem ionischen Akzent durchdrungen, aber sie redete soviel mit Griechen, dass sie eigentlich alles verstand. Und die Worte von dem Optio und dem Centurio jetzt verstand sie noch viel besser.
    Sie atmete einmal durch und ging in sich. Vielleicht war sie nicht die vorbildlichste Frau und auch nicht die tugendhafteste Römerin, und doch hatte sie ein paar Tugenden mit auf den Weg bekommen, die ihr Vater ihr vermittelt hatte. Und eine davon war die Treue zu Freunden. Man ließ einen Freund nicht im Stich. Ehre, Anstand, Pflichtgefühl, das hatte sie sehr wohl gelernt. Sie atmete noch einmal durch und dann stand ihr Beschluss fest. Sie hatte zwar keine Ahnung, was sie sagen und wie sie es anstellen sollte, aber wenn Nikolaos nicht gehen konnte, würde eben sie zum Präfekten gehen.



    Hoffentlich traf sie auf dem Weg nicht dessen Frau…

    Dankbar schaute Axilla den Centurio an. Wenigstens ein kleiner Teil ihrer Weltordnung war damit wieder ins rechte Licht gerückt. Warum aber auch Nikolaos den Optio so provozieren hatte müssen? Der wusste doch sicherlich, wer Silanus war? Wobei sie keine Ahnung hatte, wie Nikolaos darauf kam, Silanus sei Präfekt. Wollte der nicht zu den Prätorianern in Rom? Axilla zumindest wusste noch immer von nichts. Aber das war jetzt auch unwichtig.
    Sie schenkte dem Centurio ein erleichtertes Lächeln und schritt schnell an den beiden Legionären vorbei. Am liebsten wollte sie einfach nach Hause huschen. Wäre da dieses schlechte Gewissen nur nicht, das sie noch mal halten und sich umdrehen ließ. Es war ihr sehr unangenehm, aber sie drehte sich noch mal zu dem netten Centurio um.
    “Centurio? Darf er mich nicht vielleicht doch begleiten? Bitte? Ich weiß, er ist… naja… aber er ist ein Freund der Familie und ich würde mich wirklich sicherer fühlen, wenn er mich begleitet. Kannst du ihn nicht auch durchlassen?“
    Man konnte nicht sagen, sie hätte es nicht versucht. Und sie würde sich wirklich weitaus besser mit Nikolaos an ihrer Seite fühlen.

    Bei Nikolaos Worten nickte Axilla nur verstehend. Sie war ja immerhin nicht blöde und verstand sehr wohl die Notwendigkeit, warum er in die Basileia wollte und zum Praefecten. Auch wenn sie lieber nicht mit zum Praefecten wollte, da bestand immerhin die gefahr, dessen Frau über den Weg zu laufen. Aber andererseits konnte sie Nikolaos ja nicht hängen lassen.
    Ihr Arbeitgeber schritt also mit ihr im Schlepp zum Tor, direkt vor zwei Legionäre, die vor ihnen die Speere kreuzten und sie wohl nicht durchlassen wollten. Verwundert blickte Axilla die beiden Männer an. Das konnte doch wohl nicht sein? Immerhin wohnte sie da drinnen, und die Soldaten beschützten doch die römischen Bürger? Kurz musste sie wirklich blinzeln, weil so konnte das hier gar nicht richtig sein. Und dann kam auch schon einer der Legionäre, die sie eigentlich vom Tor auch kannte, und sagte, sie dürften nicht rein. Sie überlegte kurz, ob sie seinen Namen kannte, aber wenn, dann hatte sie ihn vergessen. Aber ganz sicher hatte er sie schon oft in die Basileia rein- und auch rausgehen sehen.
    Bevor Nikolaos noch was sagen konnte, trat Axilla vor den Legionär und schaute ihn völlig verwirrt an. Das konnte doch nicht richtig sein, so wie es war.
    “Aber das gilt doch sicher nicht für Leute, die in Basileia wohnen? Ich meine, ich bin doch römische Bürgerin! Du hast mich doch schon zigmal hier rein- und rausgehen sehen, du weißt doch, dass ich hier wohne? Die römischen Soldaten sind doch hier am Tor, um die Bewohner zu schützen? Da könnt ihr uns doch nicht aussperren, wenn da hinten eine Menge nur darauf wartet, uns anzugreifen? Wo sollen wir denn sonst hin, wenn nicht rein?“
    Verwirrt blickte sie ihn mit ihren großen Augen an. Soldaten beschützten die Menschen doch! Der Legionär war nicht nur das Schwert für die Feinde des Imperiums, sondern auch der Schild, das seine Bürger schützte! Axilla war zumindest in diesem felsenfesten Glauben aufgewachsen, und dieses Bild erhielt grade einen ganz gewaltigen Knacks. Es war, als würde sie auch das letzte bisschen Sicherheit grade verlieren, und ihrem Gesicht war das nur zu deutlich anzusehen.
    “Kannst du uns nicht reinlassen? Ich will doch nur heim. Da hinten ist es doch schon, ich seh es von hier aus doch fast schon. Du kannst doch nicht römische Bürger hier draußen bei diesem… diesem… MOB lassen? Das kann doch nicht wirklich der Befehl sein? Komm, du kennst mich doch? Bitte?“
    Das konnte doch wirklich nicht wahr sein, was hier passierte. Wieso halfen die Soldaten ihnen nicht? Axilla verstand die Welt nicht mehr.

    Axilla lächelte nur leicht, aber es war ihr typisches Maskenlächeln, was sie nun schon so lange perfektioniert hatte, dass es von ihrem echten Lächeln kaum zu unterscheiden war. Manchmal wusste sie selber schon nicht mehr, ob sie sich nicht doch wirklich freute oder es nur spielte, aber im Moment wusste sie es. Ihre Appetitlosigkeit sprach wahre Bände. Und doch wirkte sie nach außen wahrscheinlich doch so normal wie immer.
    “Nein, bedien dich ruhig. Iss, soviel wie du magst. Wenn man Hunger hat, muss man schließlich essen. Und das ist denke ich ein gutes Zeichen, dass es dir wieder besser geht.“
    Wenn man krank war, aß man nicht richtig. Axilla wusste das nur zu genau von ihrer Mutter. An ihren schlechteren Tagen hatte sie nie etwas essen wollen, an den guten Tagen schon. Kurz fragte sie sich, warum sie dann immer appetitlos war, wo sie doch überhaupt keine Krankheit hatte? Aber das lag vielleicht an ihrem Fluch, der war ja sowas ähnliches.
    Sie selber legte sich auch auf ihre Kline und fischte nach einer einzelnen Traube, die da war. So sah es wenigstens so aus, als würde sie etwas Essen, wenn sie mit der Traube auch eigentlich nur spielte und sie nicht aß.

    Die Erwähnung seiner Heirat ließ Axilla ganz interessiert in ihren Becher schauen. Natürlich würde er irgendwann heiraten, sie würde auch irgendwann heiraten. Jeder heiratete schließlich irgendwann. Trotzdem war das nicht unbedingt ein Thema, über das sie mit ihm gerne reden wollte. Nicht, dass sie eifersüchtig wäre oder so. Immerhin musste er ja auch mal heiraten, und sie beide konnten das ja auch gar nicht und wollten das ja auch gar nicht. Und überhaupt. Ja, genau, und überhaupt… Der Becher war wirklich hochinteressant.
    Doch zum Glück wechselte Timos selber das Thema und sprach von seiner Arbeit als Strategos. Also ließ sie den allem Anschein nach faszinierenden Becher wieder Becher sein und schaute wieder vorsichtig zu Timos hinüber.
    “Das ist sicher sehr gefährlich, oder? Ich meine, ich war nur einmal in Rhakotis, einen Brief wegbringen, und Nikolaos hat mir gleich zwei Sklaven vom Gymnasion mitgegeben, die riesigen Nubier, die da arbeiten, damit die auf mich aufpassen.“
    Ein wenig besorgt war Axilla da schon. Sie wollte ja nicht, das Timos was passierte. Eigentlich sollte ihr das ja egal sein, aber, wenn sie sich vorstellte, dass er verletzt wurde, wurde ihr dabei ganz anders. Nein, da durfte sie nicht dran denken.
    “Dann hast du jetzt bestimmt nicht mehr so viel Freizeit und gehst so viel feiern?“
    Verdammt, eigentlich wollte sie auf die Vergangenheit gar nicht zu sprechen kommen, aber hier sitzen und so tun als wäre nichts gewesen, konnte sie ja auch nicht.

    Axilla hatte sich schnell umgezogen. Da sie heute daheim zu bleiben entschieden hatte und außerdem sich absolut unreizend anziehen wollte, um Rufus nicht noch auf die Idee zu bringen, dass in der Nacht das gewesen war, was gewesen war. Also zog sie eine einfache, robuste, lange grüne Tunika an und einfache Schuhe. Die Haare hatte sie nur schnell mit Hilfe einer Sklavin gewaschen und mit einem Tuch so gut es ging trocken gerubbelt und gekämmt. Jetzt waren sie zwar noch klamm, aber das machte ja nichts. War ja auch nicht attraktiv, und das war ja im Moment grade gut.
    Danach war sie ins Triclinum gekommen, wo eine Sklavin bereits auftischte. Es gab Brot vom Vortag, dazu Honig und ein paar Früchte. Kein besonders reiches Frühstück, aber ein leckeres. Wenn sie nur Appetit hätte! Aber sie war immer noch viel zu nervös. Zuletzt kam noch ein Krug mit Ziegenmilch auf den Tisch. Axilla bedankte sich mit einem gezwungen wirkenden Lächeln und setzte sich schonmal auf eine der Clinen, darauf wartend, dass Rufus kommen würde. Ihr war irgendwie ganz flau zumute.

    “Du mich abgeschreckt? Öhm, wieso solltest du? Ähm, ich meine, wie kommst du denn auf die Idee?“ druckste Axilla ein wenig herum. Der Anfall von Anschmiegsamkeit in der Nacht und grade eben war ihr immer noch furchtbar peinlich, aber sie wollte sich das natürlich auf gar keinen Fall anmerken lassen. Am Ende merkte Rufus noch was! Davon, dass sie ganz eng an ihn gekuschelt war, sogar unter der Decke, obwohl er splitterfasernackt war, davon wusste der ja noch nichtmal was!
    Dass er wollte, dass sie mit ihm aß, war ihr daher auch nicht so ganz recht. Sie war aufgeregt, und wie immer, wenn sie aufgeregt war – und im Moment traf das Adjektiv „furchtbar“ das Maß ihrer Aufregung nichtmal ansatzweise – hatte sie absolut gar keinen Appetit. Nicht das kleinste bisschen. Außerdem kam sie jetzt schon zu spät zur Arbeit. Am besten, sie würde gar nicht zu Nikolaos heute gehen und ihm ausrichten lassen, sie sei krank. Ja, das war ein guter Plan. Wenn sie ihm nicht unter die Augen kam, konnte er auch nicht wütend wegen der Verspätung sein. Ein perfekter Plan, sozusagen.
    Die ganze Zeit hatte sie auf ihrer Unterlippe herumgekaut und merkte, dass sie Rufus noch eine Antwort schuldig war. Wie sagte sie das nur? Ablehnen konnte sie ja auch nicht, sonst war sie wieder eine schlechte Gastgeberin und er würde ihr vorwerfen, sie wolle ihn nur rausschmeißen, und außerdem war das eine Möglichkeit, den Streit als vorüber zu besiegeln. Aber sie konnte wirklich nichts essen! Nicht jetzt! Nicht nach dem hier.
    “Ähm, ich schick dann Leander mit was zum Anziehen zu dir. Ich muss mich auch noch waschen und umziehen. Wir, ähm… ja, ich bin dann im Triclinum. Also, für das Essen. Ich sag dann in der Küche bescheid. Ähm… genau.“
    Vielleicht kam sie ja irgendwie drum herum, dass sie was aß. Es Rufus zu erklären wäre noch der Gipfel der Peinlichkeit geworden, dann hätte er am Ende noch gefragt, warum sie so nervös war. Nein, nein, lieber gar nicht dran denken.
    Sie wartete noch kurz und sah Rufus kurz fragend an, aber offenbar passte das so. Also ging sie, sich umzuziehen und zu waschen, schickte noch eine Sklavin in die Küche und Leander zu Rufus, damit der ihm beim Anziehen helfen konnte.

    Axilla nickte nur und sah Rufus noch immer verlegen an. Sie kratzte sich nervös am Unterarm. Ihr war die ganze Situation wirklich zutiefst peinlich. Und dabei wusste Rufus das schlimmste ja noch gar nicht! Zum Glück war sie vor ihm aufgewacht, nicht auszudenken, es wäre anders gewesen und er hätte sie noch geweckt, während sie in seinen Armen lag! [size=5]Wobei das so schrecklich nun auch wieder nicht gewesen wäre, wenn sie es sich so vorstellte…[/size]
    “Öhm, gut, ich lass das dir dann bringen. Ähm, ja…“
    Axilla war sich immer noch unsicher, was er vom gestrigen Abend behalten hatte und was nicht und was nun ernst gemeint war und was nicht. Der Streit lastete immer noch schwer auf ihr, und sie hatte keine Ahnung, wie es nun zwischen ihnen beiden stand. Aber sie traute sich auch nicht, danach zu fragen. Am Ende sagte er noch, dass er das beim streit so gemeint hatte und eigentlich nur gehen wollte oder sowas, und das würde sie dann erneut verletzen. Und Axilla war schon immer gut darin gewesen, Probleme einfach zu umgehen anstatt sich ihnen zu stellen.
    “Öhm, brauchst du sonst noch was?“ Nervös kaute sie sich ein wenig auf der Lippe herum und sah Rufus fragend an. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was sie nun machen sollte und was die richtige Art war, mit ihm jetzt umzugehen.

    Ein Glück, er wachte auf! Axilla war so erleichtert und glücklich, dass sie Rufus direkt um den Hals fiel, nachdem er sich aufgesetzt hatte. Erst den sekundenbruchteil später, als sie merkte, was sie da machte, und angesichts dessen, dass Rufus immer noch nur eine Decke anhatte und überhaupt sie ihn nicht einfach so umarmen durfte, war es ihr auch so furchtbar peinlich, dass sie im ersten Moment erstarrte und gar nicht losließ. Das war dann aber noch viel peinlicher, so dass sie schließlich ganz erschrocken und hochrot ihn losließ, als wäre er ein Kaktus, und sich hastig zwei schritte zurückzog. Dabei fing sie an, wie ein Wasserfall zu reden, so dass es sich wohl anhören musste, als würde sie entweder gar nicht atmen oder beherrsche die Kreisatmung in Perfektion.
    “Ähm, schön, dass du wach bist. Ich bin wohl eingeschlafen, denn eigentlich wollte ich dich ja wach halten. Wegen der Kopfwunde, meine ich. Man soll ja nicht schlafen, wenn man so schlimm eins auf den Kopf gekriegt hat, dass man sich übergeben muss. Hat zumindest Tegula gesagt. Also Castricius Tegula, das war der Schwertbruder von meinem Vater. Der war oft bei uns daheim zu Gast und so, auch nachdem Vater tot war. Ist immer mal vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu schauen. Netter Kerl. Und der hat mir das erzählt, aber ich weiß nicht mehr, warum das so war. Das hab ich wohl vergessen.
    Aber dir geht es ja gut, ist ja nichts passiert, trotz schlafen. Also, außer dass der Kopf weh tut. Tut es sehr weh? Also, das mit Amala ist eine Idee. Also, nicht mit dem sie auf wen hetzten, aber du solltest sie mitnehmen in die Stadt, damit du nicht mehr überfallen wirst. Ich bin ja noch nie überfallen worden, aber vielleicht sieht man auch einfach, dass ich nichts dabei habe? Keine Ahnung.
    Auf jeden Fall geht es dir jetzt wieder gut und du bist wach.“

    Axilla nickte noch kurz vor sich hin, während sie erstmal atmete. Die Situation war ihr so unendlich peinlich, dass sie sich ins Reden einfach geflüchtet hatte und hoffte, die ganze Situation würde in dem Schwall an Worten einfach untergehen und die Peinlichkeit hinweggeschwemmt werden.
    Sie schaute kurz zu Rufus hinüber. Er war immer noch nackt außer dem Betttuch.
    “Ähm, ja, deine Sachen hab ich den Sklaven gegeben, damit sie sie waschen. Ich glaub nicht, dass die das noch gestern gemacht haben, war ja schon spät. Deshalb hab ich auch niemanden zur Regia mehr geschickt, damit ich dort niemanden wecke. Ich hoffe, du bist deshalb nicht böse, aber ich dachte, es ist schon so spät, es war ja schon dunkel, und da die Frau vom Praefectus mich nicht so mag und so…
    Ähm, ja, aber, wegen der Kleidung. Also, ich weiß nicht, ob Silanus noch was von seinen Sachen hiergelassen hat, sonst kann ich dir nur was anbieten, was für die Sklaven eigentlich gedacht ist. Also, wenn dich das nicht stört, weil du hast ja einen höheren Stand. Aber das sind auch schöne Sachen, wir achten da schon auf Qualität, die sind halt nur nicht ganz so vornehm.“

    Und wieder atmen nach dem ganzen Redeschwall. Am liebsten wäre Axilla jetzt eine Dryade gewesen wie in ihrem Traum. Dann würd sie sich einfach in einen Baum verwandeln und wär damit dieser Situation entgangen.

    Bis Mittag schlief Axilla nicht, aber doch noch ein Weilchen länger als Rufus. Sie hatte sich ganz dicht an ihn gekuschelt, in der Nacht wurde es doch auch hier merklich kühler. Und da ihr Körper die Hitze des Tages gewohnt war, war ihr nachts einfach kalt, und so hatte sie sich im Tiefschlaf zu Rufus unter die Decke und an seinen warmen Körper gekuschelt. Und nun lag sie da, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, den Arm hatte sie um ihn geschlungen, und sie schlief ganz friedlich. Nur ganz langsam wachte sie auf, blieb noch eine Weile in dem Stadium, wenn der Körper noch fest schlief, der Geist aber langsam zu sich kam. Erst nach und nach schalteten sich ihre Sinne ein. Sie fühlte die Wärme von seiner Nähe, roch seine Haut, hörte seinen Herzschlag…
    Irgendwie drang dieses gleichmäßige Klopfen in ihr Bewusstsein als etwas, das so nicht sein durfte. Kopfkissen hatten normalerweise keinen Herzschlag, und ihr eigener war anders. Verschlafen blinzelte sie und streckte sich gewohnheitsgemäß, um dann mitten in der verschlafenen Bewegung wie zu Stein erstarrt zu verharren.
    Sie blinzelte noch mal, als müsse sie erst bestätigen, was sie da direkt vor sich sah. Aber da lag wirklich Rufus, und sie war mit ihm unter der gemeinsamen Decke. Verstohlen schaute sie sich um, ob noch jemand im Zimmer war, aber zum Glück war da niemand. Leander war also nicht noch mal zurückgekommen. Wobei der sich wohl seinen Teil schon gedacht hatte, auch wenn das ganz und gar nicht stimmte.
    Ganz vorsichtig und immer prüfend schauend, ob sie Rufus nicht weckte, stahl sie sich unter der Decke hervor und stand auf. Bei den Göttern, wie hatte das nur passieren können? Wenn jemand hereingekommen wäre und sie so gesehen hätte?! Ihr Ruf, der trotz allem ja noch tadellos war, wäre damit wohl wirklich dahin gewesen. Und seiner erst! Zum Glück war Silanus nicht da, der hätte Rufus deswegen noch erschlagen können, auch wenn gar nichts weiter gewesen war! Gut, dass der Tarpejische Fels weit weg war. Sie sollte wirklich ihren Kopf öfter Mal zum Denken benutzen und nicht nur, damit die Palla nicht direkt auf den Schultern auflag…
    Und dann, als sie ihn so anfing, zu benutzen, fiel ihr etwas zweites ein: Sie war eingeschlafen! Und Rufus auch! Und dabei sollte er mit der Kopfverletzung doch nicht schlafen! “Dis…“ entfuhr es ihr kurz, und sie hechtete zurück zum Bett. Hoffentlich war jetzt nichts schlimmes passiert. Sie wusste zwar nicht mehr, warum Menschen mit Kopfverletzungen nicht danach schlafen sollten, aber dass sie es nicht sollten, das wusste sie noch. Oh, hoffentlich wachte er auf.
    Axilla beugte sich unsicher über Rufus und traute sich erst nicht, ihn zu berühren. Sie hatte sich zwar die halbe Nacht an ihn gekuschelt, aber jetzt hatte sie Angst, ihn zu berühren. Und zwar eben weil sie an ihn gekuschelt gewesen war. Was würde der wohl denken, wenn er das wüsste? Der würde sie doch sicher für eine Lupa halten, so gedankenlos, wie sie sich benahm. Pluto noch eins!
    Nur Mut, kleines Eichhörnchen, nur Mut, sammelte sie das letzte bisschen Courage in ihr und rüttelte Rufus kräftig an der Schulter.
    “Rufus? Wach auf, bitte. Rufus?“ Hoffentlich wachte er auf. Sonst durfte sie gleich in der Regia eine sehr merkwürdige Geschichte gestehen. Der Stadthalter wäre sicher nicht begeistert davon. Hoffentlich wachte er auf!

    Axilla überlegte einen Moment, ob sie ihn auf diese Geschichte von diesem Donar festnageln sollte, beließ es aber dabei. Zum einen war sie wirklich sehr müde und viel zu müde, um vernünftig ihn dazu zu überreden – sofern das Wort „vernünftig“ in irgendeinem Zusammenhang auf Axilla anwendbar war. Und zum anderen wollte sie ja nur, dass er etwas erzählte, damit er wach blieb. Was war dabei ganz egal, solange er nur nicht einschlief.
    Und so lauschte sie seiner Geschichte von den beiden Brüdern, die vertrieben wurden und quer durchs Land reisten, um zu Verwandten zu kommen. Immer wieder gab sie dabei erstaunte, fragende, oder auch schmunzelnde oder zustimmende “Hmm“’s von sich, die aber je länger die Geschichte wurden, auch immer seltener wurden und immer leiser erklangen. Anfangs weckte Axilla sich noch selber, wenn sie merkte, dass sie fast einschlief, aber irgendwann war die Müdigkeit einfach zu groß, die Augen waren richtig zu, die Kerzen gingen auch nach und nach aus, so dass es immer dunkler im Zimmer wurde. Und irgendwann kamen statt den „Hmm“’s nur noch gleichmäßige, ruhige und tiefe Atemzüge, als Axilla einfach an Rufus’ Seite eingeschlafen war.

    Als er ihre Hand so direkt an seine hielt, war es Axilla etwas unangenehm. Sie schämte sich ein wenig, dass sie nicht so schlanke und lange Finger hatte wie die meisten anderen Mädchen. Sie hatte halt Arbeiterhände. Schwerthände, hatte Vater immer gesagt. Aber das war bei weitem nichts, an das ein Mädchen gerne erinnert wurde. Als Rufus also ihre Hand wieder losließ, nahm sie sie etwas verlegen nach unten und kaute sich auf der Unterlippe herum, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
    Doch dann auf einmal schien Rufus ganz wach zu sein und beinahe erschrocken. Sie schaute ihn kurz fragend an und rückte ihren Oberkörper dafür sogar leicht von ihm ab, um sein ganzes Gesicht richtig ansehen zu können und nicht nur die Augen.
    “Die wolltest du mir grade erzählen. Du hast mir erzählt, dass dieser Donar ein Held war und viele Reisen gemacht hat und es viele Geschichten über ihn gibt. Oder so… naja, und du wolltest mir grade von den Berserkerweibern erzählen. Also, raus mit der Sprache, was ist das?“
    Sie kuschelte sich noch ein wenig mehr in die Matratze. Gerne hätte sie sich auch zugedeckt, aber Rufus war unter der Decke nackt, und das wäre dann wirklich noch seltsam geworden. Aber ihre Kleidung war ja lang und der Tag war warm gewesen, sie fror also nicht wirklich. Das war eher die Müdigkeit, die sich immer mehr bemerkbar machte und ihre Augen langsam aber sicher kleiner werden ließ.