Beiträge von Iunia Axilla

    Ein ganz klein wenig machte der Dank Axilla verlegen. Es war ja eigentlich gar nicht so uneigennützig von ihr gewesen, wie das jetzt klang, sondern mehr ihrer Neugierde entsprungen und dem Wunsch nach einem Freund. Daher machte sie das Ganze ein wenig verlegen und sie kaute sich nervös auf der Unterlippe herum, während sie sich ganz interessiert den Boden vor der Regia anschaute.
    “Da freu ich mich schon drauf. Also, ich bin abends aber erst wegen der Arbeit immer daheim, oder du sagst dann einfach Leander, also das ist mein Sklave, also, du sagst ihm einfach bescheid, dann nehm ich mir für den Tag dann frei. Also, falls du vorbeikommst, wenn ich grade nicht da bin, mein ich.“
    Bei den Göttern, sie war wirklich sehr verlegen, denn sie redete noch mehr wirres Zeug als normal. Sie beschloss, lieber abzulenken, ehe sie sich noch mehr verhaspelte.
    “Also, der Wohnbereich ist da hinten. Ich bring dich dann noch zur Porta und warte, bis du reingelassen wurdest. Und dann muss ich glaub ich auch schon wieder arbeiten.“
    Axilla war nicht gut im Abschied nehmen, auch wenn das hier eher ein „bis bald“ als ein richtiger Abschied war.

    “Marcus Achilleos. Aber ich weiß gar nicht, ob der da durchgewandert ist oder dran vorbei. So genau hab ich ihn nicht gefragt. Er ist ein bisschen… seltsam. Ich denke, das liegt an dem komischen Land, wo er so lange war. Die müssen da alle ein wenig seltsam sein.“
    Axilla hatte bei den verschiedenen Treffen mit Marcus Achilleos zwar immer recht genau zugehört, aber nur in den seltesten Fällen wirklich alles verstanden. Und seine Kleidung war schon ulkig anzuschauen.


    Die Regia kam unaufhaltsam immer näher, und Axilla fiel nichts ein, was sie noch machen könnte, um die Ankunft aufzuhalten. Sie konnte sich ja schlecht auf den Boden setzen. Auch wenn sie es schade fand, sie erzählte gerne und wollte Rufus doch eigentlich auch noch so viel über seine Heimat fragen, nachdem sie nun so viel von hier erzählt hatte. Aber das würde wohl warten müssen bis zum nächsten Mal.
    “So, da sind wir. Ich frag mal kurz eine Wache, wo wir lang müssen, und ich glaub, die müssen uns noch mal durchsuchen. Aber dann bist du bei Venusia.“
    Auch wenn das hieß, dass Axilla sich gleich vorerst einmal verabschieden musste.

    Axilla verzichtete darauf, dass sie ihn bei seiner kleinen grammatikalischen Unsicherheit bezüglich des Dschungels berichtete. War ja ein nicht allzu alltägliches Wort, und sie wollte gar nicht wissen, wie oft sie Fehler machte. Und er hatte mit der Aussage ja recht.
    “Ja, da muss es schon sehr schrecklich sein mit den ganzen Tieren, die da wohnen. Angeblich gibt es da irgendwo auch noch Harpyien und komische Menschen mit Augen auf den Schultern und sowas. Am Hafen gibt es einen Händler, der kann da herrliche Geschichten erzählen. Der behauptet auch, aus Indien zu kommen, aber ich glaube, er ist eigentlich Parther“, erzählte Axilla einfach fröhlich. Doch die Fröhlichkeit wurde von Ragins entsetztem Ausruf dann gleich wieder gestoppt. Immerhin war das ein ernstes Thema, da grinste man nicht abenteuerlustig.
    “Ja, ich find’s auch ziemlich ekelig. Aber ich weiß auch gar nicht, ob das so stimmt. Und ich wüsste auch nicht, woher die die Toten so nehmen wollen, ich meine, man wird doch richtig verbrannt und beerdigt. Aber ich hab das ja auch nur gehört, und das wirst du in Alexandria schnell lernen: Hier gibt es tausend Gerüchte, die die Runde machen. Die Ägypter sind schlimmer als jedes Waschweib, wenn es um Gerüchte geht.“ Jetzt musste Axilla auch wieder lachen. Ja, gute Geschichten hörte man hier viele, aber Axilla glaubte nicht alle. Das konnte einfach alles gar nicht wahr sein.

    “Indien liegt im Osten, irgendwo hinter Parthien. Da muss ein Gebirge sein, und dann ein Dschungel, wo Indien liegt. Und ich glaube, Marcus war dann da, wo der Dschungel aufhört. Aber das weiß ich nicht so genau, hab nicht so genau gefragt.“
    Und so genaue Kenntnisse von Geographie hatte Axilla auch nicht. Sie wusste ja nur, wo Indien ungefähr lag, weil Alexander bis dahin gekommen war mit seiner Eroberung. Sonst hätte sie wohl auch keine Ahnung davon gehabt. Aber das würde sie Rufus schon alles erzählen, wenn sie ihm von Alexander dem Großen erzählte. Dafür hatte sie keine Ahnung, wo Meroe lag.
    Aber die Frage, ob es hier Heilkundige gab, war irgendwie witzig. Axilla musste sich zusammenreißen, damit sie nicht lachte. Sie wollte Rufus ja nicht auslachen, das machte man unter Freunden nicht. Zumindest nicht, solange man sich nicht so gut kannte.
    “Ja, hier gibt es Heilkundige. Sogar die besten der ganzen Welt! Angeblich schneiden die im Museion sogar tote Menschen auf, um nachzuschauen, wie die Organe funktionieren. Aber das hab ich nur gehört, um ehrlich zu sein find ich die Vorstellung ziemlich ekelig.
    Und nein, Ánthimos hat nicht gebrüllt. Der hat nichtmal gezuckt dabei. Wobei… naja, mich hat er kurz angeschnauzt, weil ich ihn gefragt hab, ob das denn nicht weh tut, und es tat wohl weh. Aber das macht nichts, war ja auch dumm die Frage und ist schon wieder verziehen.“

    Bis zur Regia war es nun wirklich nicht mehr weit, und Axilla wurde ein bisschen langsamer. Sie hoffte, Rufus merkte das nicht, aber sie wollte noch nicht ankommen.

    “Öhm, ja, bitte…. Gern geschehen.“
    Axilla wusste nicht so recht, was sie da noch sagen sollte. Sie hatte eher damit gerechnet, auch wieder das übliche zu hören. Dass wenn man mit Sklaven zu lasch umging, diese aufmüpfig wurden und nicht gehorchten. Und noch dazu war Marcus ein Mann und hatte eine Sklavin, und da gab es ein ganz breites Gebiet, von dem Axilla nicht die geringste Ahnung hatte. Was sie so auch gar nicht wollte.
    Sie wartete also, ob noch eine Frage oder eine Bitte kommen würde, oder ob Marcus sich verabschieden würde. Sie hatte ja auch noch Arbeit zu erledigen und wollte rasch wieder heim.

    Uff, das war keine leichte Frage. Vor allem, da Axilla keine Ahnung von Herrschern und Untertanen hatte. Sie war Bürgerin, kein Untertan. Aber Marcus wollte wohl auch nicht, dass sich seine Sklavin vor ihm auf den Boden warf und katzbuckelte, so wie sich das anhörte. Wobei sie den Teil mit den Gesetzen überhaupt nicht kapierte. So saß sie einen Moment lang nur wie erstarrt da, ehe sie blinzelte und scheinbar alles verarbeitet hatte.
    “Öhm, ja, also, weißt du… also, im Grunde kannst du sie behandeln, wie du willst. Also, ich meine, vom Rechtlichen her jetzt. Ähm…“
    Das war vielleicht kein so guter Anfang und klang auch nicht so überzeugend, wie Axilla merkte. Sie versuchte das Chaos in ihrem Kopf noch einmal in geordnete Bahnen zu lenken und sprach erst dann weiter. Einmal wenigstens in der richtigen Reihenfolge mit erst denken und dann reden, das war auch mal eine Erfahrung.
    “Also, meine Familie ist da sehr sanft mit den Sklaven. Viele sagen, man muss Sklaven schlagen, damit sie hören, und darf sich nie bei ihnen bedanken und so. Aber ich mach das eigentlich immer. Also mit bitte und danke und geschlagen hab ich auch noch nie einen Sklaven. Oh, außer Derix, aber da war ich neun und er elf, das ist dann was anderes.
    Also….mein Vater…. Also er sagte immer, Sklaven gehören zur Familie. Und so behandelt man sie auch, als Teil der Familie. Zwar müssen sie schwerer arbeiten und auch die Sachen machen, die man als Herr nicht so gern mal macht, und se können es sich nicht so raussuchen, aber trotzdem sind sie Teil der Familie. Sie stehen unter dem Schutz der Familie, erhalten ihren Platz, Nahrung und Kleidung. Wenn man sie nicht vernünftig verhalten kann, sollte man sie an einen guten Herren weitergeben, damit sie versorgt sind. Und wenn sie das wissen und einem auch vertrauen und das auch können, dann machen sie auch alles für einen, ohne dass man sie bestrafen muss. Und wenn sie wissen, dass ihr Herr oder ihre Herrin notfalls auch das alles mit ihnen durchsteht, was sie machen müssen, machen sie es auch gerne. Sie müssen einen nicht lieben, aber sie müssen einen auch nicht fürchten.“

    Der letzte Teil war ihr schwer gefallen, zu erzählen. Sie sah dabei das Gesicht ihres Vaters vor sich, wie er neben ihr gesessen hatte auf der Steinbank vor ihrer alten Villa in Tarraco. Ihr war fast, als könne sie den Grashalm riechen, den er bei solchen Gelegenheiten immer ausgerupft und in seinen Fingern gedreht hatte. Sie senkte beim Reden den Blick, denn ihre Gefühle gingen Marcus nichts an, sie wollte sie ihm nicht durch den Blick ihrer Augen zeigen. Sie räusperte sich kurz und rückte auf ihrem Schemel zurecht, um gerade wieder zu sitzen.
    “Also, wie du sie behandelst, bleibt letztendlich dir überlassen. Wenn es eine gute Sklavin ist, wird sie auf dich hören, egal, was du machst. Also ich denke nicht daran, wie ihr rechtlicher Status ist, wenn ich mit meinen Sklaven rede. Ich muss sie beschützen, und sie mir gehorchen, und mehr müssen weder sie noch ich eigentlich wissen. Ansonsten behandele ich sie, wie ich jeden anderen auch behandeln würde. Aber ich weiß, dass viele das anders sehen und denken, dass ich da zu nachlässig und zu weich bin. Aber… naja, ich kann dir nur sagen, wie ich das so mache…“

    Axilla hatte nicht wirklich Ahnung davon, wie die Alexandriner ihre Gesetze machten, von daher konnte sie zu seiner ersten Aussage auch nicht viel sagen. Vielleicht würde der Einwand kommen, aber sie hatte keine Ahnung, von wem der kommen sollte, und in welchem Zusammenhang.
    Da war die zweite frage schon leichter. Axilla hatte schon Zeit ihres Lebens Sklaven. Auch wenn ihre ganze gens mit den Sklaven doch sehr liberal umging und sie gut behandelte, so waren es doch Sklaven. Daher war sie schon gespannt, was jetzt als Frage kommen würde, dass Marcus meinte, sie könnte ihm da eine Antwort geben.
    “Ja, wir haben Sklaven. Und was genau brauchst du für einen Rat im Umgang mit ihnen? Machen deine nicht das, was sie sollen, oder geht es um was anderes?“
    Axilla konnte ja nicht einfach so drauf loserzählen.

    Axilla schüttelte leicht den Kopf. Eigentlich hatte sie keine Ahnung, was am Museion so unterrichtet wurde. Urgulania hatte sie mal angestupst, sie könne sich als Schülerin dort eintragen. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, Axilla würde dort ihren Horizont ein wenig erweitern. Aber irgendwie hatte sich Axilla da gedrückt, obwohl sie doch sonst ganz neugierig war. Aber sie brauchte einen Lehrer, der ihr den stoff interessant machen konnte, und die griechischen Philosophen, die sie bisher da kennengelernt hatte, waren eher weniger interessant.
    “Nö, so genau weiß ich das auch nicht. Ich weiß, Penelope unterrichtet da Musik. Also, das ist eine Griechin, die ich kenne. Und Nikolaos unterrichtet auch, soweit ich weiß Philosophie. Oh, und Marcus Achilleus, das ist auch ein Grieche, der unterrichtet auch Philosophie, aber nicht griechische, sondern von irgendeinem Land hinter Indien. Und dann gibt es natürlich noch die ganzen Ärzte dort mit ihrer Medizin. Das ist ja berühmt, dass die da forschen, aber die machen mir ein wenig Angst. Wobei ich mal zusehen durfte, wie einer einem Sportler ein blutunterlaufenes Auge aufgestochen hat. Also, die Schwellung, nicht das Auge. Das war interessant, da ist richtig viel Blut gekommen. Sah ganz schön ekelig aus.“
    So begeistert, wie Axilla das aber erzählte, konnte man ihr den Ekel aber kaum abkaufen. Aber da war die Faszination einfach nach wie vor größer als jeder Ekel.
    “Ob die was mit Finanzen haben weiß ich nicht. Mathematik haben die bestimmt, aber jetzt speziell mit Geld weiß ich nicht. Da fragst du am besten deine Cousine, die weiß das bestimmt besser als ich.“

    Da war Axilla ja froh, dass das römische Recht da ein bisschen anders war. Sonst würde sie hier heute wohl nicht sitzen und sich über sowas Gedanken machen, nachdem Marcus Iunius Brutus den großen Caius Iulius Caesar erdolcht hatte. Auch wenn gewiss nicht die ganze gens Iunia von diesen Plänen gewusst hatte, aber sie fand den Statusverlust, den das eingebracht hatte, auch schon schlimm genug. Da hätte man cnith auch noch alle umbringen müssen. Überhaupt fand sie das doch sehr drastisch.
    Sie zog eine grübelnde Schnute und machte einmal kurz überlegend “Hmmm“, sagte aber sonst nichts weiter dazu. Da waren sie wohl unterschiedlicher Meinung, und Axilla wollte nicht riskieren, ihn noch mal anzuschreien, wenn sich das Gespräch ungünstig entwickelte. Also beließ sie es einfach dabei.
    “Gut, ich geb das dann dem Gymnasiarchos, sobald er wiederkommt.“
    Und vielleicht mit viel Glück konnte sie mit Nikolaos ja darüber reden. Denn so ganz ließ sie das doch nicht los. Bei Nikolaos bestand aber weniger die Gefahr des Anbrüllens.

    Das er sich bei den Römern leicht verhaspelte, fiel Axilla nichtmal auf. Und selbst wenn es ihr aufgefallen wäre, hätte sie sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht. Sie hatte zwar Nationalstolz, aber doch eher im gedämpfteren Maße. Rom beherrschte die Welt und das war gut so, mehr interessierte sie da nicht. Sie musste weder jemandem Roms Überlegenheit oder die Unterlegenheit eines anderen beweisen, sie nahm das mehr oder weniger so hin, wie es einfach war. Sie behandelte jeden Menschen sowieso erstmal gleich, ohne Unterschied woher der denn nun kam und welchen Stand er hatte. Die Nuancen in ihren Verhaltensweisen waren da wirklich sehr gering.
    “Hm, ja, ich glaub auch, das muss nicht sein. Also das fragen. Aber ich find das auch irgendwie komisch mit dem Gott. Ich meine, wenn ein Sterblicher nach seinem Tod zu den Göttern aufsteigt… aber so… ist schon sehr komisch das Ganze.“
    Sie kamen der Regia immer näher, und Axilla war versucht, das Tempo zu verlangsamen. Nicht nur, weil sie wieder zur Arbeit musste, sobald Rufus sicher angekommen war.
    “Und weißt du schon, für was du dich interessierst? Also am Museion, mein ich.“

    Ja, das klang logisch. Das klang sogar sehr logisch. Aber trotzdem beharrte so ein kleines Stimmchen in Axilla darauf, dass der Plan einen Fehler hatte. Sie kam nur nicht gleich drauf, welchen. Vielleicht, wenn sie das ganze von weiter Weg betrachtete? So hatte es ihr Vater immer gesagt, man solle sich eine Sache ganz genau vorstellen und dann in Gedanken ganz weit weg davon gehen, so dass man alles wie aus der Ferne sehen konnte. Wie auf einem Schlachtplan, sozusagen. Und genau das versuchte sie, schloss dabei sogar die Augen.
    Und als sie so einen Moment angestrengt darüber nachdachte, fiel ihr auch ein, was sie daran falsch fand: Die Familie! Immerhin war es ja so, dass eine Familie als solches für Schaden auch haftete. Da lag der Schluss einfach nahe, dass man da auch bei Straftaten eine Gemeinschaft unterstellen konnte.
    “Hmmm, was ist jetzt aber angenommen, wenn der Vater einer Familie ein Dieb ist, und die Familie weiß das? Bestrafst du dann alle so? Also auch notfalls mit Hand ab und so weiter?“
    In einem Strafrecht, das mildernde Umstände nicht wirklich kannte, war das eine interessante Fragestellung. Axilla widerstrebte irgendwie der Gedanke, ein halb verhungerndes Kind so zu bestrafen, weil der Vater ein Dieb war. Und überhaupt fand sie, dass Familienehre sehr hoch einzuschätzen war, und dass da im Notfall die Familie so jemanden entweder verstoßen oder aber zusammenhalten musste.

    Puh, ein Glück, er hatte es überhört. Seine Frage klang lustig. Aber hätte Axillas Vater ihr nicht so viel über Alexander beigebracht, hätte sie wohl ähnlich doof geschaut. Immerhin war auch den Römern der Gedanke sehr fern, ihren Imperator als Gott anzusehen. Oh, er hatte sicherlich einen hervorragenden Draht zu den Göttern, daran bestand kein Zweifel, aber so eine fleischgewordene Gottheit, das war was anderes.
    “Das ist noch so ein Überbleibsel von den Pharaonen. Weißt du, die Ägypter glaubten ja, dass ihre Könige die Widergeburten von Göttern sind. Oder ihre Kinder. Also, so genau hab ich das auch nicht verstanden, auf jeden Fall glaubten die, dass ihre Könige Götter sind. Und weil Alexander sie ja erobert hat und dann ihr König war, war der für sie auch ein Gott. Und nach ihm dann Ptolemäus und seine Nachfahren, die ja dann auch Pharao waren. Und die Griechen hier haben das dann auch so gesehen, dass das dann Götter waren. Nur hat sich Kleopatra ja mit der Schlange dann umgebracht, als Imperator Iulius Caesar Augustus Alexandria erobert hat.“ Jetzt kam ein tiefes Luftholen, denn das davor hatte Axilla fast ohne Punkt und Komma erzählt. Das war ja aber auch ein verzwicktes Thema, und sie wollte nichts wichtiges vergessen.
    “Und weil dann der römische Kaiser auch hier Pharao dadurch wurde, war das dann auch ein Gott. Und deshalb glauben die das. Glaub ich. Ich würde ja sagen, du kannst Nikolaos fragen, nur weiß ich nicht, ob das so eine gute Idee ist. Der hat sicher eine bessere Antwort, aber… auch eine längere.“
    Das war nun eine sehr diplomatische Formulierung für das, was Axilla eigentlich hatte sagen wollen.

    Das klang interessant. Bisher wurde das ja bei Verschwörern teilweise so gemacht, dass die Familien mitexekutiert wurden. Nur um sicher zu gehen, natürlich. Aber bei jeder einzelnen Straftat, das war bestimmt viel Arbeit. Axilla überlegte also, was sie davon halten sollte. An sich klang das ja nicht schlecht.
    “Und wie willst du beweisen, wer von etwas Kenntnis hatte und wer nicht? Ich meine, gibt ja auch Menschen, die Lügen, wenn sie gefoltert werden.“
    Und ohne Folter war ein Geständnis ja nicht ganz vollwertig. Weil vielleicht ließ derjenige ja auch was aus. Auch wenn Axilla das ganze Prinzip vom Foltern ohnehin sehr suspekt war und sie auch gar nicht wusste, warum sie sich so darauf in Gedanken grade versteifte.

    Axilla nahm vorsichtig das zusammengerollte Pergament mit der sauberen Hand entgegen und legte es in sicherer Entfernung zu ihrem Tintenfass. Sie würde es gleich Nikolaos auf seinen Tisch legen, damit er es gleich sah, wenn er kam. Aber erst, wenn Marcus dann weg war, soviel Zeit musste sein.
    Neugierig schaute sie auf die Rolle. Was da wohl drin stand? Da war sie nicht viel anders als andere Mädchen, und am liebsten hätte sie es einfach gelesen. Ihr Blick konnte ihre Neugier auch kaum verhehlen. Sie kaute ein wenig auf der Unterlippe herum.
    “Darf ich fragen, worum es geht?“

    “Also, ich fänd es gut, wenn es lange dauert.“
    Gut, dass Rufus grade so geplättet vom Anblick der Regia war, denn so wie es geklungen hatte, wollte Axilla das gar nicht gesagt haben, war es doch anders gemeint.
    “Ähm, also, weil wir dann mehr Zeit haben… also, für Alexander, und so, nicht wir beide jetzt direkt… also…


    Ja, das ist die Regia. Der Präfekt ist ja auch der zweitmächtigste Mann im Imperium nach dem Kaiser. Und wenn der Kaiser kommt, wohnt der ja auch da. Also, wenn er kommen würde, der bleibt ja in Rom. Wußtest du, dass die Griechen glauben, dass der Imperator ein Gott ist?“
    Puh, grade noch die Kurve gekriegt. Sie hoffte zumindest, dass sie die noch gekriegt hatte. Hoffentlich hatte Rufus nicht so genau zugehört, was sie für einen Mist geredet hatte.

    Axilla hatte nicht die geringste Ahnung, worum es in dem Brief ging, obwohl sie ihn ja abgeschrieben hatte. Aber das ging sie ja auch eigentlich nichts an, obwohl sie ja durchaus neugierig wäre. Als Marcus meinte, er hätte auch was für Nikolaos, musste sie den Kopf schütteln.
    “Nein, im Moment ist er noch nicht da. Aber er wollte heute noch nach der Mittagshitze wieder kommen. Also eigentlich könnte er jeden Moment da sein. Aber ich kann es ihm auch gerne übergeben, wenn du meinst, das wäre dir sowieso lieber. Also, damit er es in Ruhe durchlesen kann, und ihr besprecht dass dann an dem Treffen.“
    Axilla vermied den Zusatz, dass er es besser nicht in die Nähe ihres Tintenfasses legen sollte. Heute hatte sie irgendwie einen leicht verschusselten Tag, und sie wollte seinen Brief nicht noch in Tusche ertränken. Aber da würde sie ganz vorsichtig sein.

    Nachdem sie Duccius Rufus zu seiner Cousine gebracht hatte, die Wachstafeln wieder abgeholt hatte und zum Gymnasion zurückgelaufen war, hatte sich Axilla eher missmutig an die Arbeit gemacht. Viel lieber hätte sie heute frei und wäre nun daheim. Dann hätte sie vielleicht auch noch mehr mit Rufus reden können. Wobei der ja bei seiner Cousine wohl war und da viel zu besprechen hatte. So gesehen war die Arbeit doch wieder gut.
    Sie schrieb also gerade fein säuberlich die Briefe ab und war darin so sehr vertieft, dass sie Marcus Achilleos erst bemerkte, als er sie ansprach. Sie schrak hoch, fühlte sich total ertappt und rettete das kleine Tontöpfchen mit der Tinte nur gerade so eben vor dem Umkippen. Allerdings hatte sie nun ordentlich schwarze Tinte an den Händen und wusste gar nicht, wie sie die jetzt wieder loskriegen sollte. Etwas hilflos hielt sie ihre Hand einfach weit von sich weg und fern vom Schreibtisch, um nicht noch irgendwas zu verschmieren. Erst dann schaute sie auf.
    “Chaire, Marcus. Ja, ich bin jetzt scriba personalis.“
    Sie lächelte den Griechen einen Moment lang trotz des Beinahe-Malheurs mit der Tinte freudig an, ehe sie sich wieder an das letzte Zusammentreffen der beiden erinnerte und ihr Gesichtsausdruck langsam, aber stetig, immer zerknirschter und beschämter wurde. Sie hatte ihn angeschrien. Nicht nur so ein bisschen, nein, sondern so richtig. So richtig richtig und laut. Und dann war sie abgerauscht, vor Wut in Tränen aufgelöst. Das war kein guter Abgang gewesen. Urgulania war deswegen auch böse auf sie gewesen, was sie bei der Hochzeit von Penelope und Ánthimos auch noch mal zu hören gekriegt hatte. Wenn auch auf Urgulanias charmant-bestimmende, leise Art und Weise.
    “Ähm, also, ich wollte noch sagen, ich…“
    Der Moment war Axilla wirklich peinlich gerade. Sie hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen der Sache inzwischen. Vor allem, da Marcus ja gar nichts dafür konnte, dass sie so ausgerastet war. Nungut, er hatte seltsame Ansichten und es war ihr gegenüber wirklich das falsche Thema gewesen. Aber das war eigentlich kein Grund, die guten Sitten und die allseits verehrte, stoische Ruhe einfach so fahren zu lassen.
    Entschuldigungen lagen Axilla nicht so. Das lag meistens daran, dass sie bei den Sachen, die sie anstellte, nicht erwischt wurde, oder sie ihr nicht leid taten. Aber das hier war falsch gewesen, und das wusste sie. Also holte sie einmal schnell tief Luft, um es hinter sich zu bringen, sonst würde es ihr ja doch keine Ruhe lassen.
    “Estutmirleid, dassichdichangeschrienhabe.“
    Das war vielleicht etwas zu schnell, aber jetzt war es gesagt und drückte nicht mehr wie ein schwerer Felsbrocken auf ihre Schultern. Den zweiten Satz konnte sie dann schon langsamer sprechen. “Ich hätte dich nicht anschreien dürfen. Das war falsch. Du kannst ja schließlich…krchhm… nichts dafür, dass…“
    Nein, das war ein schlechtes Thema, und Axilla wollte nicht über ihren Vater reden. Und dass sie sich beim Sprechen schon räuspern musste, zeugte von ihrer Befangenheit. Sie schüttelte kurz den Kopf, und dann war es wieder, als hätte jemand sie ausgewechselt. Gerade noch war sie ernst und traurig gewesen, und jetzt lächelte sie bereits wieder und wischte ihre Hand grade mangels einer besseren Möglichkeit an einem Papyrus ab, auf dem sie sich sowieso verschrieben hatte.
    “Oh, wenn du grad da bist, ich hab eben einen Brief für dich abgeschrieben. Also, von Nikolaos. Darf ich dir den gleich geben, das spart natürlich Zeit.“


    Sie suchte mit der sauberen Hand den vor nichtmal einer halben hora geschriebenen Brief hervor.


    An Marcus Achilleos
    Akademie des Marcus Achilleos
    Alexandria



    Werter Marcus Achilleos,


    es wäre mir eine Freude, dich meinen Gast in meinem Haus in Alexandria nennen zu dürfen. Bitte gib mir diese Gelegenheit, das Versprechen, das ich dir gab, einzulösen.


    Nikolaos

    “Nein, das wär auch zuviel für auf der Straße. So im Laufen geht das schlecht, und du musst ja auch zu deiner Verwandten und ich muss noch die Briefe für Nikolaos schreiben. Da bräuchten wir dann schon auch Zeit.“
    Axilla schaute nicht auf, sondern betrachtete sehr ausführlich die Straße. Sie wollte jetzt nicht über ihren Vater sprechen, aber jedes weitere Wort hätte sie unausweichlich zu genau diesem Thema gebracht. Aber sie war gerade sowas ähnliches wie glücklich, das wollte sie jetzt nicht durch solche Gedanken völlig zerstören. Außerdem kannte sie Rufus nicht gut genug, um sich ihm da auch nur ein wenig zu öffnen. Schon gar nicht mitten auf der Straße.
    Stattdessen suchte sie lieber etwas, was sie weit von diesem Thema wegbringen würde. Zum Glück bogen sie gerade auf die Straße ein, an dessen Ende man schon die Regia sehen konnte.
    “Das da vorne ist die Regia. Das Domus ist glaube ich im rechten Teil davon. Oder im linken? Ne, rechts müsste glaub ich stimmen. Aber wir können dann auch noch mal die Wachen fragen, davor stehen ja immer welche.“
    Selbst aus der Entfernung war die Regia ein beeindruckendes Gebilde. Sie war definitiv das größte Gebäude in ganz Basileia, und da Ägypten eine reiche Provinz war, auch dementsprechend repräsentativ ausgestattet. Der Statthalter und seine Familie hatten definitiv einen sehr beeindruckenden Wohnsitz, fand Axilla.
    “Und du bleibst eine Weile hier bei deiner Verwandten?“

    Das waren wohl zwei unterschiedliche Welten. Axilla hatte so gar keine Vorstellung von Germania, auch nicht vom römischen Teil links des Rhenus. Sie kannte nur die Geschichten und Erzählungen, dass dort so viele Menschen verhungerten war ihr nicht bekannt. Da schienen ihr die Worte von vorhin irgendwie ein wenig überheblich, so dass sie etwas betreten zu Boden schaute. In ihrem Eifer hatte sie vollkommen vergessen, dass es nicht allen so gut ging wie ihr.
    “Das tut mir leid“, meinte sie daher sehr kleinlaut. Sie überlegte auch, ob sie das irgendwie wieder gutmachen konnte. Er würde sicher nicht gerne an seine toten Verwandten denken, und sie hatte ihn da ja förmlich drauf gestoßen.
    “Hmm, wenn du magst, also, falls es dich wirklich interessiert, könnt ich dir über ihn erzählen. Also weißt du, ich weiß ziemlich viel von Alexander, und von seinen Schlachten und so. Vor allem die Schlacht bei Gaugamela, die ist wirklich vom taktischen her… also… ich meine, also, nur wenn du magst und dich das interessiert.“
    Aufdrängen wollte sie sich ihm ja nicht. Aber ihr fiel auch nichts anderes ein, was sie ihm jetzt so anbieten könnte.

    War ihm jetzt der Name seines Vetters entfallen, oder hatte der nur einen fiesen Spitznamen, der Rufus beinahe rausgerutscht wäre? Axilla schaute einmal kurz fragend, wurde dann aber von seiner Frage wiederum auf ganz andere Gedanken gebracht. Sie schaute kurz auf die Straße, um mit den Schultern zu zucken.
    “Nunja, die Griechen sind halt Philosophen und keine Soldaten.“
    Das war zwar eine sehr einfache Zusammenfassung, aber sie traf doch ziemlich gut, fand Axilla. In ihrem kleinen, einfachen Weltbild gab es ohnehin nur sehr wenig verschiedene Arten von Menschen an sich. Das eine waren die Soldaten, wie ihr Vater einer gewesen war. Das waren Macher und Planer, manchmal berechnend und taktisch. Für diese lag der Nutzen einer Sache immer darin, wie sie einen dem Ziel näher bringen konnte und wie wichtig sie für den Körper war. Der Geist war zwar nicht unwichtig, kam aber danach.
    Und auf der anderen Seite gab es eben Philosophen, denen der Geist über alles ging. Die beschäftigten sich mehr mit den Göttern, den Geistern und den Ideen, wie etwas funktionieren könnte. Für sie war Wissen um seiner selbst Willen kostbar, der Körper war nur die Hülle für den Geist und konnte daher auch mal hintenan stehen. Das war zwar sehr vereinfacht, aber das war im Groben Axillas Anschauungen darüber. Natürlich gab es auch andere Sorten von Menschen, aber das waren die beiden, auf die es hier ankam, fand sie. Und es machte ihre komplizierte Welt für Axilla verstehbar und einfach.
    “Und Alexanders Grab ist wichtig. Er ist schließlich einer der Heroen und hat ein riesiges Reich erobert, und das, obwohl er keine vierzig Jahre alt wurde. Und er war ein Genie, was Schlachtzüge anging, und was das Führen von Männern anging. Was er von seinen Männern verlangt hat, hat er selbst auch getan.“
    Ihr Vater hatte Alexander wirklich bewundert und ihr sehr viel über ihn und seine Schlachten beigebracht. Axilla verstand, warum seine Männer für ihn bis ans Ende der Welt gegangen waren, und verteidigte ihn vielleicht wegen ihrem vater nun auch ein wenig mehr als eigentlich nötig vor Rufus.
    “Daher ist das schon sehr wichtig. Getreide hat Alexandria so viel, dass nur ein ganz kleiner Satz davon in der Stadt bleibt. Aber einen Alexander gab es nur einmal, und nur hier liegt sein Grab. Also würde ich nicht sagen, dass das unwichtig ist.“