Beiträge von Iunia Axilla

    Sie setzten also ihren Weg in Richtung Regia fort, und Axilla verfiel ihn leichte schlendern und wiegte ihren Körper dabei unbewußt ein wenig hin und her. Aber sie hatte schon so ewig keinen neuen Freund mehr gehabt, und es war auch grade ein schöner Tag und sie hatte die Arme frei, da dachte sie sich nichts dabei, wenn ihr Körper etwas beschwingter war und nicht so steif und förmlich, wie es eigentlich sein sollte.
    “Danke. Aber nein, mein Cousin wohnt nicht mehr hier. Er ist vor ein paar Wochen abgereist, nach Rom. Er wollte zu den Prätorianern und hat sich daher versetzen lassen.“
    Hatte sie das vorhin nicht schon Nikolaos erzählt? Vielleicht auch nicht, sie erzählte das in letzter Zeit so oft, da vergaß sie schon mal, wer das nun schon wusste und wer noch nicht. Aber sie erzählte es auch gerne derselben Person mehrfach, sie konnte es sich ja ohnehin nicht merken, und konnte daher auch keinem böse sein, wenn er sie noch mal fragte.
    “Jetzt wohnen nur noch ich und meine Cousine Iunia Urgulania hier. Sie ist Exegetes, kannst du dir das vorstellen? Obwohl sie eine Frau und eine Römerin ist, haben sie sie gewählt. Die letzte Amtszeit war sie schon Eutheniarche, aber jetzt sogar Exegetes… also, ich finde das richtig toll.“
    Als sie so von ihrer Cousine schwärmte, vergaß sie vollkommen, dass Rufus ja nichts von den einzelnen Ämtern wusste. Also erklärte sie dann gleich ziemlich verlegen, als sie ihm ins Gesicht schaute und ihren fehler bemerkte.
    “Ähm, also der Eutheniarchos ist für die Kornspeicher verantwortlich und dass genügend Getreide nach Ostia verschifft wird. Und der Exegetes ist ein höheres Amt, da kümmert sich Urgulania nun um die Tempel der Stadt und das Grab von Alexander, und um die religiösen Feste und all sowas.“

    “Jetzt sei nicht albern, bis zur Haustüre kannst du doch mitkommen. Oder hast du etwa Angst vor unserem Ianitor?“
    Allein die Vorstellung, jemand könnte vor irgendeinem ihrer Sklaven Angst haben, war amüsant. Nungut, bei Psammitychus vielleicht, aber der war auch riesig und dem sah man seine Kraft auch an. Aber ansonsten hatten sie fast nur ältere Sklaven, die nicht besonders gefährlich wirkten, selbst wenn sie es versuchen würden.


    Also begleitete Rufus sie zur Haustüre, wo Axilla schnell anklopfte. Wie sehr häufig in letzter Zeit machte der alte Leucos dieselbige auf, dem Axilla auch sofort und ohne lang zu zögern die Wachstafeln in die Ahnd drückte.
    “Gib die doch bitte Leander und sag ihm, ich hol sie gleich wieder ab, er soll sie bitte ins tablinum legen. Ich bin nur kurz in meinem Zimmer. Das da ist übrigens Duccius Rufus.“
    Und schon wäre Axilla beinahe an dem völlig überrumpelten griechischen Sklaven vorbeigelaufen, wäre ihr nicht noch rechtzeitig eingefallen, dass sie das Sax ja vielleicht noch mitnehmen sollte. Sie ließ es sich von Rufus schnell geben und hetzte dann schnell an Leucos vorbei, der hinter seiner jungen Herrin nur etwas perplex hinterherschaute. Offenbar hatte der Mann in seinem Leben doch noch nicht alles erlebt und gesehen.


    Axilla hetzte durchs Haus die Treppe hoch zu ihrem Cubiculum und zu der Truhe mit den Sachen ihres Vaters. Wie immer öffnete sie behutsam den Deckel und schaute liebevoll auf den Brustpanzer und das in seiner Scheide steckende Gladius hinunter. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, es wie üblich herauszuholen, blank zu ziehen und die Lichtreflexe auf der Klinge einen Moment zu bewundern. Sie wollte Rufus ja nicht zu lange vor der Tür warten lassen. Also legte sie das Bündel mit dem Sax ganz vorsichtig oben auf, verschloss die Truhe wieder und hechtete auch schon wieder nach untem zum Eingang, wo Leucos noch immer mit den Wachstafeln in der Hand stand und sie ein wenig sprachlos anschaute.
    “Alles in Ordnung, Leucos?“
    “Gewiss, domina, gewiss. Ich gebe die tafeln dann mal an Leander.”
    Axilla strahlte den alten Griechen kurz an und gesellte sich dann auch schon zu Rufus. Darüber, was Leucos denken mochte, dachte sie gar nicht erst nach. Sie freute sich über die gerade wiedererlangte Armfreiheit und schnwang, wie um es zu feiern, leicht mit den Armen, als sie sich schnell wieder zu Rufus gesellte, damit sie weitergehen konnten.
    “Ich hoffe, ich hab dich nicht zulang warten lassen? Bis zur Regia ist es auch nicht mehr weit. Nur da vorne nach rechts und dann die Strasse ganz runter.“

    Der Maiordomus nickte verstehend. Er würde den beiden Damen des Hauses die Änderungen mitteilen. Auch wenn er nicht glaubte, dass die beiden Damen sich nun nach dieser Änderung selbst bewaffnen würden, allenfalls einen Leibwächter, wenn überhaupt. Doch dann stutze er kurz und sah den Legionarius fragend an.
    “Und wieder hinausführen? Bedeutet dies, wenn ein unangemeldeter Besuch kommt, bleibt solange dieser im Hause weilt ein Legionär vor der Türe stehen und wartet darauf, dass dieser wieder herauskommt? Vor allem, wenn nicht klar ist, wie lange der Gast zu bleiben gedenkt, steht dann die ganze Zeit ein Soldat vor der Haustüre?“
    Der Maiordomus war sich fast sicher, diesen Teil falsch verstanden zu haben. Die Legionäre hätten doch sicher besseres zu tun, als bei Spontanbesuchen die ganze Zeit vor einem Haus herumzustehen, wenn denn der Gast hereingelassen wurde und damit klar war, dass dieser eben ein Gast des entsprechenden Hauses war. Ansonsten hätten die Legionäre wohl sehr viel zu tun.

    “Achwo, das geht schon mit den Tafeln.“
    Sie konnte ihn doch nicht ihre Wachstafeln tragen lassen. Die waren ja nichtmal schwer, die waren nur doof zum Rumtragen, weil sie die Eigenart hatten, sich selbständig machen zu wollen. Aber das ging schon mit dem Tragen, und Axilla war ja kein Schwächling. Außerdem war das ja ihre Arbeit, das musste sie schon allein hinbekommen. Da ging es sozusagen um den Stolz!
    Sie behielt also ihre Tafeln, die sie jetzt aber wieder bequemer nehmen konnte und gegen ihre Brust fallen lassen konnte beim Tragen. So ging das wirklich um einiges einfacher, als wenn sie versuchte, das Ganze irgendwie auszubalancieren. Sie sah sich kurz um, als müsse sie sich ernsthaft orientieren.
    “Nein, ist nicht weit. Da drüben das Haus. Also, das da mit der Tür, die so ein bisschen versteckt ausschaut. Das ist das Domus Iunia.“
    Wenn man seine Hände nicht frei hatte zum zeigen, sondern nur mit der Nase in die Richtung nicken konnte, war das Erklären gar nicht so einfach, merkte Axilla. Aber sie hoffte, er hatte dasselbe Haus nun im Blick wie sie. Und wenn nicht, würden sie da ja jetzt hingehen. Dann konnte sie Leander auch die Wachstafeln erstmal in die Hand drücken und sie nachher wieder holen, bevor sie zum Gymnasion ging. Vielleicht konnte sie ihm auch aufs Auge drücken, den ein oder anderen Brief schon mal zu schreiben.

    Sie hatte einen Freund! Es war zwar noch alles ein wenig arg seltsam, aber Axilla wollte da mal nicht so kleinlich sein. Allerdings hatte sie schon ein etwas merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und wusste eigentlich gar nicht so recht, was sie jetzt sagen oder tun sollte. Und Rufus’ etwas bedrückt klingende Entschuldigung machte sie zusätzlich noch ein wenig verlegen.
    Allerdings kramte der Germane gleich in seinen Sachen auf dem Pferd und holte ein längliches, in Wachs eingeschlagenes etwas hervor, in etwa von der Länge eines Gladius, vielleicht ein bisschen länger. Auf jeden Fall klein genug, um in die Truhe zu passen. Als er es ihr dann aber so hinhielt und ihr beinahe schon feierlich übergeben wollte, musste Axilla doch etwas dumm dreinschauen. Sie sah auf die Wachstafeln in ihren Händen, die sie ja auch nicht einfach fallen lassen konnte. Wie machte sie das jetzt?
    “Ääähm…“
    Sie stapelte die Wachstafeln eben in ihren Händen etwas stabiler, so dass sie diese in den Händen halten konnte, und streckte dann die Arme so vor, dass er ihr das eingewickelte Sax dahinter auf die Unterarme legen konnte. So konnte sie es dann am Ellbogen einklemmen, und nichts würde runterfallen. War ja auch nicht so weit, bis zu ihrem Haus. Dass er es ihr auch erst da dann hätte geben können, soweit dachte Axilla natürlich nicht.

    Also, eigentlich hatte Axilla keine Ahnung, wie wertvoll ein Sax war. Sie überlegte sogar, was ein Sax denn war. Das Wort hatte sie schon irgendwo mal gehört, oder vielleicht auch gelesen, aber der Zusammenhang fehlte irgendwie, um ihr eine genaue Vorstellung zu geben. Aber je länger sie sienen Worten folgte, umso klarer war ihr, dass es sich um irgendeine Waffe handeln musste.
    Sie sollte es ablehnen. Axilla wusste, dass sie das ablehnen sollte. Wenn sie für einen Wildfremden Mann eine Waffe versteckte, das konnte doch nur Ärger geben! Und was für einen! Und er lief auch noch in Basileia damit rum! Ganz gewaltiger Ärger, aber riesig gewaltiger Ärger war das ganz sicher. Aber auf der anderen Seite konnte Axilla ihn irgendwie verstehen. Sie hatte das gladius und die Rüstung ihres Vaters damals ja auch in ihren unzähligen Truhen quasi hereingeschmuggelt, und sie hätte das sich auch nicht abnehmen lassen wollen, aus Angst, es könnte verloren gehen. Daher verstand sie das, zumindest genug, um nicht gleich abzulehnen.
    Sie rang kurz mit ihren Händen und überlegte, was sie machen sollte. Sie wollte Rufus ja auch nicht so stehen lassen. Dass er es ihr gestanden hatte, war ja auch ein Zeichen von Ehrlichkeit. Und dass er ihr so vertraute, ehrte sie ja auch. Wenn sie sich vorstellte, das Schwert ihres Vaters jemandem zu geben… nein, da vertraute sie gar niemandem auch nur ansatzweise genug. Aber vielleicht war dieses Sax, was immer das auch genau war, auch nicht ganz so wertvoll wie für sie dieses Schwert.
    “Ähm, also, weißt du, sowas darf ich eigentlich nicht. Also, ich meine, weißt du, da könnte ich ärger kriegen, weil du ja nicht zur Familie gehörst. Ich glaub, die Iunier haben bisher keine Verbindung mit den Ducciern, oder? Also, ich meine, das könnte ja Ärger geben oder falsch verstanden werden, wenn ich von dir was aufbewahre, oder?“
    Sie sah seine Gestalt, wie er dastand und seine Füße anschaute, und dann konnte sie einfach nicht so sein. Er war doch ihr Gast! Und außerdem mochte sie ihn ja eigentlich gern, sofern man das nach einer Stunde sagen konnte. Und sie wollte ja auch mit ihm noch den Ausflug mit dem Reiten machen. Und überhaupt…
    Sie trat einen Schritt näher an ihn. Dann noch einen. Schließlich noch einen dritten, dass sie so dicht vor ihm stand, dass er ihre Füße auch sehen musste, wie er so nach unten schaute. Sie versuchte, in seine Augen zu schauen, und beinahe fielen ihr bei dem Versuch die vermaledeiten Wachstafeln runter.
    “Ich werd’s machen. Ich werd’s in die Truhe mit den Sachen meines Vaters tun, da ist es sicher.“ Wenn es da reinpasste. Sie hatte ja keine Ahnung, wie groß so ein Sax war. Aber zu groß konnte es nicht sein, sonst hätten die wachen es gefunden.
    “Aber nur, wenn wir Freunde sind.“
    Hatte sie das jetzt wirklich gesagt? Verdammt! Ja, hatte sie. Jetzt schuate sie auch ganz verlegen zu Boden. Aber Axilla wünschte sich so sehr einen Freund, und Rufus war der einzige Mensch in ihrem Alter, der wenigstens ein paar Interessen mit ihr gemeinsam hatte.

    Das verunsicherte Axilla jetzt doch. Vor allem, da sie keine Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach! Aber es war etwas verbotenes, und es war wertvoll, und die Wachen könnten deswegen Ärger machen! Ganz unsicher trat sie einen Schritt von Rufus zurück und sah ihn verunsichert an. Sie war naiv, das wusste sie selbst, aber bisher hatte ihre Menschenkenntnis sie noch nie ganz im Stich gelassen. Wobei, wenn sie so drüber nachdachte… Marcus Achilleos war vielleicht doch nicht so ganz nett, denn sonst hätte sie ihn ja auch nicht anschreien müssen. Und das mit Timos war auch sehr grenzwertig gewesen. Nicht, als sie mit ihm geschlafen hatte, eher, dass sie überhaupt erst mit ihm mitgegangen war. Aber woher sollte sie denn wissen, dass er sie abfüllte, unter Drogen setzte und mitnahm? Auch wenn dieser Gedanke etwas ungerecht und selbstsüchtig gedacht war.
    “Äääääähm…“
    Was sagte sie jetzt am besten? Wo war Urgulania, wenn man sie brauchte? Ihre Cousine wusste immer, was man sagen musste, und stotterte nie herum. Im Gegensatz zu Axilla, die versuchte, irgendwelche Worte zu finden, die dazu passen könnten.
    “Also, ich bin für dich verantwortlich! Also, ich meine, wenn die Wachen… also, dann krieg ich Ärger! Ich meine…“
    Ja, was eigentlich? Axilla hatte ja nicht einmal eine Ahnung, wovon sie hier sprachen! Wenn er vorhatte, den Präfekten zu erdolchen, würde sie sicher nicht mitmachen. Wenn er nur geschwindelt hatte mit seinem Namen, wär sie zwar böse auf ihn, aber das war verschmerzbar. Aber sie hatte ja keine Ahnung, wovon sie hier überhaupt redeten!
    “Wovon reden wir eigentlich?“

    Er wollte sich für ihre Hilfe erkenntlich zeigen, indem er dafür sorgte, dass alle Nachbarn sich das Maul über sie zerreißen würden? Oder war ihr Wunsch und ihre Sehnsucht so zu sehen gewesen? Bestimmt sogar, ganz bestimmt war das ihre Schuld. Sie sollte sich besser unter Kontrolle halten. Bestimmt hatte Rufus nur ihrer Stimmlage entnommen, dass sie gerne reiten würde, und es ihr deshalb überhaupt erst angeboten. Sie sollte da wirklich mehr aufpassen, was sie sagte.
    Seine Einladung aber nahm sie doch freudig auf, wenn sie ehrlich war. Sie wünschte es sich ja aber auch wirklich, mal wieder etwas zu tun, was einfach Spaß machte, ohne dafür einen Rüffel zu kassieren. Und Reiten machte ihr nun mal Spaß. Genauso wie Klettern. Warum nur war alles, was Spaß machte, immer nichts für Mädchen? Aber so einfach annehmen durfte sie die Einladung ja auch nicht, oder doch?
    “Vielleicht außerhalb der Stadt dann… also, wenn ich darf. Also, ich bin zwar sui iuris, aber… du kennst das ja…“ Hoffte sie zumindest.


    Dass er danach aber auch anfing, rumzustottern, verunsicherte sie dann doch noch etwas mehr. Er druckste herum, als hätte er vor, den Praefectus zu überfallen. Axilla bekam schon ein richtig ungutes Gefühl und malte sich schon aus, wozu er sie anstiften wollte. Aber andererseits wuchs im gleichen Maße auch ihre Neugier. Das klang ja auch schon geheimnisvoll. Und Axilla war schon immer mit einem herrlichen Maß an Unvernunft gesegnet gewesen.
    “Was denn für einen Gefallen?“ fragte sie also neugierig und sah Rufus schon ganz gespannt an.

    Ohje, jetzt wurde Axilla aber ganz verlegen. Wenn sie die Wärmeentwicklung auf ihren Wangen richtig deutete, wurde sie sogar ganz leicht rot! Das war ja furchtbar! Ganz verlegen und für sie ungewöhnlich perplex schaute sie weg, auf die Häuser am Straßenrand, und suchte nach Worten. Da hatte Rufus sie jetzt wirklich eiskalt erwischt. Was sollte sie ihm jetzt sagen, dass er keinen falschen Eindruck von ihr hatte?
    “Ähm, also, ich glaub nicht, dass das so gut wäre. Also, hier in Basileia reiten. Wußtest du, dass es in Rom tagsüber sogar verboten ist, zu reiten?“
    Am liebsten hätte sie sich nach diesem Satz mit der Hand auf die Stirn geklatscht. Aber das ging nicht, da waren ja noch die Wachstafeln. Zum Glück, sonst hätte sie es vielleicht wirklich gemacht.
    Aber sie konnte ihm ja jetzt unmöglich sagen, dass sie nicht nur keine Angst vor Pferden hatte, nein, sondern dass sie richtig reiten konnte. Sogar völlig ohne Sattel und zur Not auch ohne Zügel, wenn das Pferd brav war. Sowas machte ein anständiges römisches Mädchen nicht. Wo doch noch nichtmal alle römischen Männer reiten konnten! Da war das doch vollkommen unangebracht. Warum erklärte sie ihm nicht auch gleich noch die Schlachtordnung der Schlacht bei Gaugamela von Alexander dem Großen, wie sie es bei Marcus Achilleos beinahe getan hatte, als der bei Urgulania zum Essen war? Oder noch besser, warum fragte sie ihn nicht gleich, ob er nicht mit ihr ein bisschen mit dem Gladius üben wollte, immerhin war sie da ziemlich aus der Übung, seit ihr Vater tot war und sie damit keinen Lehrer mehr hatte? Nein, das war ganz ausgeschlossen, sowas band man doch einem Römer nicht so auf die Nase? Was würde der von ihr denken?

    Axilla ließ ihren Blick über das Pferd schweifen. Sie nahm ihre Wachstafeln so, dass sie eine Hand frei hatte, und fuhr dem Tier über das weiche Maul. Es hatte auf der Nase ganz leichte Stoppeln, die lustig kitzelten, und ganz sanfte Nüstern. Bestimmt war es ein liebes Tier. Weich im Maul, weich in der Seele, hatte ihr Vater mal gesagt. Auch wenn der keine Pferde gezüchtet hatte, sondern ihr nur beigebracht hatte, auf ihnen zu reiten.
    “Er ist wunderschön.“ Axilla merkte, wie verträumt sie wohl geklungen haben mochte, und nahm ganz ertappt die Hand wieder runter und konzentrierte sich mehr auf die Straße. Hilfe, heute war sie aber mal wieder peinlich.
    “Achja, die Regia. Also, die hat ganz bestimmt einen guten Stall. Ich meine, der Präfectus wird wohl auch ein Pferd haben. Und da sind ja auch ein paar Soldaten stationiert, die Pferde haben. Und wenn du ihn wirklich nirgends unterstellen kannst, dann… öhm… also, weißt du, mein Cousin Iunius Silanus ist jetzt nach Rom versetzt worden, und wir haben einen wirklich kleinen Stall bei uns am domus, wenn er von Nikopolis mit seinem Pferd gekommen ist, damit das unterstehen kann. Also, die Regia hat zwar ganz bestimmt einen Stall, wo man sich auch bestimmt ganz toll um Helios kümmern kann. Aber… du weißt schon… also… nur für den Fall… öhm…
    Hast du deinem Pferd den Namen wegen dem hellen Fell gegeben?“

    Kleiner Themenwechsel, aber entscheidend, bevor es noch ganz peinlich wurde. Heute hatte Axilla aber auch einen ungebührlich spendablen Tag, wenn man es so sah. Urgulania würde ihr noch den Kopf abreißen. Immerhin kannte sie Rufus eigentlich gar nicht.

    Die Wachstafeln musste Axilla in den Händen tragen. So eine Tasche, die die Frau von Welt immer mit sich rumtragen könnte, wo dann alles wichtige drin wäre, das wäre doch mal eine Erfindung! Nichts großes, nur halt, dass man die Hände frei hatte. So eine Art Hand-frei-Tasche, sozusagen. Nur leider gab es sowas ja nicht, und so musste Axilla eben den kleinen Stapel Wachstafeln von Nikolaos in ihren Händen tragen, während sie Rufus zur Regia brachte.


    “Ähm… also… puh, gute Frage…“ Da fragte er ausgerechnet sie nach der Alexandrinischen Ämterlaufbahn, wo Axilla davon doch ungefähr soviel Ahnung hatte wie eine Schildkröte vom Fliegen. Aber sie versuchte mal, ihr ganz gefährliches Halbwissen zusammenzufassen und weiterzugeben. Immerhin war sie Scriba des Gymnasiarchos, da sollte sie eigentlich schon wissen, was der so macht.
    “Also, eigentlich ist der Gymnasiarchos ein bisschen was anderes. Hier gibt es sozusagen keinen Duumvir. Das macht eher der Praefectus, wobei der ja viel höher steht, der ist ja quasi der Stellvertreter vom Imperator persönlich.
    Ähm, also… der Gymnasiarchos ist schon so ziemlich der höchste Beamte in Alexandria. Er ist für das Gymnasion zuständig. Die Griechen legen ja da immer sehr viel Wert auf Sport. Und da macht er dann auch die Ephebia. Das ist so ein Test, ob man als erwachsen gilt oder nicht. Also, für die Griechen, da müssen die einen Test machen, auch mit Sport, bevor die wählen dürfen. Und er ist da dann auch zuständig für die Tempel von Mercur und Hercules. Wobei die hier ja alle griechische Namen haben, ist ja auch eine griechische Stadt.
    Oh, und er trägt noch ein, wer die Proxenie hat. Also, das ist für Römer, dann gelten die vor dem Gesetz als Alexandriner, weil Alexandria darf sich ja selbst verwalten und hat eigene Gesetze, obwohl es ja eigentlich zu Rom gehört…“

    Bei den Göttern, wenn man es sich so anhörte, war das Ganze ja noch viel verwirrender, als es in Axillas Kopf war. Sie überlegte, ob sie was wichtiges vergessen hatte und kaute dabei auf ihrer Unterlippe herum. Aber eigentlich war das so ziemlich alles, was sie wusste.
    “Und ja, Nikolaos kann richtig nett sein. Doch. Aber…“
    Nein, das sollte sie nicht sagen. Zum einen war Nikolaos ihr Chef, und zum anderen wollte sie Rufus ja nicht gleich verschrecken, indem sie ihn auf die Probleme zwischen Römern und Griechen so hinwies. Also Themenwechsel.
    “Und deine gens hat ein Gestüt? So ein richtiges, mit ganz vielen Pferden und allem, wo ihr auch selber zureitet und sowas?“
    Ihr Vater hatte nur zwei Pferde besessen, und sie hatten noch zwei Esel und ein Maultier gehabt. Aber das war es gewesen mit ihren Reittieren zuhause in Tarraco. Und das war auch schon so ewig lange her, dass es Axilla fast wie ein Traum aus einer anderen Zeit vorkam, als wäre das nie echt gewesen.

    “Aus Alexandria? Bei den Parcen, das gibt’s nicht? Wirklich? Weißt du, es ist so, ich hab eine Farbmischerei. Also, ich glaub zwar nicht, dass du meine Farben nimmst, ist nur so eine ganz kleine Mischerei, weißt du? Und das macht für mich alles ein Verwalter, also mit dem Verkaufen und so, ich weiß gar nicht so genau, an wen ich da was verkaufe. Aber das wär doch wirklich ein riesiger Zufall.“
    Jetzt musste Axilla wirklich vollkommen perplex kurz lachen. Das war ja wirklich ein wahrhaft meisterlicher Zufall. Axilla glaubte zwar, dass ihre kleine Farbmischerei nur hier vor Ort verkaufte, aber allein der Gedanke wäre lustig. Ihre Farben fahren übers Meer nach Germania, um als bemalte Vase wieder zurückzufahren. Amüsanter Gedanke.
    Doch Axilla fiel auf, dass sie Nikolaos vor lauter Schwärmen und Träumen und jugendlichem Geplapper vollkommen vergessen hatte. Hoffentlich war er ihr nicht böse, aber manchmal vergaß sie einfach ihre Manieren. Außerdem hatte sie so selten jemanden in ihrem Alter zum reden! Da musste er ein wenig nachsichtig sein. Hoffentlich.
    Sie sah etwas betreten zu Boden, um ihm die Gelegenheit zu geben, auch wieder etwas zu sagen. Am besten nahm sie sich wirklich etwas mehr zurück.

    Er kletterte gerne auf Bäume? Kurz schaute Axilla Rufus an, wie ein Ertrinkender wohl ein Rettung verheißendes Segel am Horizont anschauen mochte. Er war der erste Mensch, den sie traf, der sagte, er klettere gerne auf Bäume. Am liebsten hätte Axilla ihn da gleich vor Übermut gefragt, ob es denn gute Kletterbäume in Germania gab, aber zum Glück rettete Nikolaos sie vor dieser überaus peinlichen Frage dadurch, dass er ihn nach seiner Handelstätigkeit fragte.
    Axilla schluckte kurz, schaute zu Boden und richtete sich wieder gerade auf. Sie wollte Rufus ja nicht anhimmeln, und ihre bisherige Körperhaltung könnte sowas implizieren. Aber sie war ja nun eine anständige, römische junge Dame, da sollte sie auf sowas achten und nicht einfach nur tun, was ihr in den Sinn kam, ohne darüber nachzudenken. Sie versuchte also, lieber zuzuhören, was er so erzählte. Freya Mercurioque… wo hatte sie das schon mal gehört?
    “Die Vasen!“ platzte es aus ihr heraus. Wieder einmal war ihr Mund schneller als ihr Verstand, und ganz verlegen schaute Axilla die beiden Männer an. “Oh, ich meine, also, mir ist grade eingefallen, woher ich den Namen des Handelskonsortiums kenne. Am Megas Limen ist ein Händler, der Vasen verkauft. Die haben einen Stempel am Boden, wo Freya Mercurioque drauf steht. Ich hab da ein paar zuhause, die sind hübsch.“
    Am liebsten wäre Axilla ein wenig unsichtbar geworden. An ihren guten Vorsätzen musste sie noch wirklich arbeiten.

    Ahja, neue Vorschriften. Leucos interessierte das eher peripher, verließ er doch nach Möglichkeiten nicht einmal das Haus. Was sollte er da außerhalb der Basileia? Aber für seine Herrinnen war das sicher wichtig.
    “Die ehrenwerte Iunia Urgulania ist in ihren Arbeitsräumen in der Stadt anzutreffen. Als Exegetes der Stadt hat sie ihr officium an der Agora. Die werte Iunia Axilla ist ebenfalls außer Haus. Doch der Maiordomus ist zugegen. Warte hier bitte, damit ich ihn holen kann.“


    Dass alle Leute immer etwas von abwesenden Personen wollten. Aber woher sollte dieser Legionär auch wissen, dass die Iunischen Damen gerne arbeitstätig waren?
    Er schloss also die Tür und suchte den Maiordomus, dem er alles erzählte.
    Also öffnete sich keine fünf Minuten später dem Legionär erneut die Türe, als der Maiordomus persönlich hintrat und den Legionär erwartungsvoll anschaute.
    “Leucos berichtete, du möchtest über die geänderten Regeln für den Zugang zum Königsviertel sprechen?“

    Seit der Herr Silanus abgereist war, war Leucos irgendwie die Hälfte der Zeit zum Ianitor avanciert. Wie der alte Grieche zu dieser Ehre kam, wusste er selber nicht. Aber meistens machten entweder er oder dieser Riese von einem Nubier namens Psammitichus diese Türe auf. So auch an diesem Tag, als es klopfte und Leucos gerade in der Nähe der Türe des Domus Iunia war.
    Der griechische Sklave öffnete und betrachtete den Legionarius, der angeklopft hatte. Ihm war immer eingeschärft worden, sich vor Legionären besonders respektvoll zu verhalten, also war er hier nun für seine Verhältnisse besonders freundlich.
    “Was kann ich für dich tun?“

    Fast schon andächtig lauschte Axilla der Beschreibung. Zwei pedes voll mit Schnee? Sie erinnerte sich nur ganz vage an den Schnee, der mal in Tarraco gefallen war, als er wirklich sehr kalt im Winter geworden war. Das waren fast eine Hand hoch Flocken gewesen, aber die waren nach einigen tagen wieder weggeschmolzen gewesen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie das sein musste, wirklich Schnee so weit das Auge blickte und mehrere Schritt hoch. Sie versuchte, es sich vorzustellen, allerdings klappte das nicht so wirklich.
    Auch wenn das Essen wirklich lecker aussah, nahm Axilla nichts davon. Auch keinen Wein, der stieg ihr zum Schluss doch nur wieder in den Kopf. Es war eine Schande, als Römerin keinen Wein zu vertragen, aber auch bei verdünntem Wein wurden ihre Wangen rot und ihre Stimmung gelöster. Bacchus mochte sie entweder sehr gerne oder überhaupt gar nicht, dass er sie für Wein so empfänglich machte. Aber Axilla wollte hier nicht gelöster Stimmung oder gar schlimmeres sein, also hielt sie sich lieber bei allem zurück. Hunger hatte sie ohnehin keinen.
    Die Wälder hingegen, die Rufus beschrieb, die konnte sie sich sehr gut vorstellen. Ihr Blick wurde geradezu sehnsüchtig, als die dunklen Bäume und das satte Grün vor ihrem geistigen Auge erschien. Axilla liebte Bäume. Axilla vermisste Bäume hier in Alexandria. Richtige, große Bäume mit ausladenden Ästen, in denen man wie ein Eichhörnchen klettern konnte. Eichhörnchen gab es hier aber auch nicht.
    “Das würde ich gerne mal sehen…“, meinte sie ganz verträumt und wehmütig leise kurz, ehe sie merkte, dass es ihr herausgerutscht war. Schnell versuchte sie, diese Peinlichkeit zu überdecken, indem sie so tat, als wäre nichts gewesen und als wäre ihr das gar nicht peinlich. Sie erzählte einfach schnell weiter.
    “Dann müsste dir Alexandria eigentlich auch gefallen. Das hat Alexander geplant, und auch hier sind die Straßen gerade. Oh, wenn du länger hier bist, musst du unbedingt mal zum Alexanderplatz gehen. Ist ein großer, rechteckiger Platz, wo sich die Hauptstraßen kreuzen. Da kannst du in jede Richtung kerzengerade schauen. Naja, wenn keine Menschen da sind, also… eigentlich nicht, aber du kannst es dir da richtig gut vorstellen. Oh, oder noch besser, du steigst auf das Paneion! Das ist das große Hügeldingens, das du vielleicht gesehen hast. Da kann man wirklich wunderbar runterschauen und in alle Richtungen die Stand bewundern. Da ist auch ein kleiner Tempel für Faunus… ähm, Pan, oben drauf. Wirklich wunderschön da.“
    Auch wenn Axilla im allgemeinen die Götter am liebsten ignorierte und die Sinnhaftigkeit des Opferns anzweifelte, war Faunus der einzige Gott, den sie wirklich liebte und an den sie nach wie vor glaubte. Daher fielen ihr die schwärmerischen Worte sehr leicht. Auch wenn sie immer daran denken mussten, dass die Götter hier alle ein wenig anders hießen.
    “Und du gehst da in den Wäldern jagen mit deinem Hund? Doch nicht auf Bären, oder?“
    Er hatte ja vorhin noch erzählt, dass diese Hunde für die Bärenjagd eingesetzt wurden. Aber das er schien ihr doch sehr gefährlich, wenn sie daran auch nur dachte.

    Bei seinen ersten Worten musste Axilla etwas stutzen. Sie wollte jetzt nichts falsches sagen, auch nicht in Anwesenheit von Nikolaos, aber das konnte sie so eigentlich nicht wirklich ganz verstehen. Auch wenn sie wusste, dass es wohl vielen Griechen so ging. Aber Rufus war doch auch Römer?
    “Hmmm, findest du? Naja, weißt du, in meinem Zweig der Familie waren alle Männer bei der Legion, also…“
    Nein, da konnte sie wirklich nicht mitreden. Alle ihre Onkel und vor allem ihr Vater hatten bei der Legion ihr Leben gelassen. Sie verband also mit Soldaten nichts schlimmes oder bedrohliches, sie verband damit auch immer ihre Familie und diejenigen, die sie geliebt und verloren hatte. Aber das war ihr ohnehin ein unangenehmes Thema, und sie fuhr sich kurz über den Unterarm, der seltsamerweise fröstelte. Und das, obwohl es, wie Rufus richtig bemerkt hatte, sehr warm war.
    Doch Axilla ließ sich von diesen Gedanken nicht ablenken und setzte daher ein Lächeln auf. Damit konnte sie sich selbst auch immer gut von der Traurigkeit ablenken, als meine der Körper, wenn sie lachte müsste er auch fröhlich sein. Und außerdem überspielte es immer sehr gut das, was in ihr wirklich vorging.
    “Oh, ja, es wird noch sehr viel wärmer. Es ist fast schon wieder kalt. Aber wenn du etwas länger bleibst, gewöhnst du dich daran. Ich glaube, als ich angekommen war – also, das war im Sommer – hab ich eine Woche lang gemeint, ich zerfließe. Vor allem, da nie auch nur ein klitzekleines Wölkchen am Himmel war. Aber danach war es, als hätt ich es gar nie anders gekannt. Wahrscheinlich würd ich in Tarraco schon wieder frieren, selbst im Sommer. Aber jetzt wird es erstmal noch ein Weilchen viel regnen, da bleibt es so kühl. Hab ich mir sagen lassen. Aber Nikolaos kann dir das sicher besser bestätigen.“
    Sie hatte ja keine Ahnung, wie lange Rufus denn bleiben würde. Von daher war für ihn der Sommer hier in Alexandria vielleicht auch gar nicht relevant. Und sie wollte jetzt nicht zuviel reden, immerhin war Nikolaos der Gastgeber und nahm es ihr am Ende noch krumm, wenn sie sich so viel mit Rufus unterhielt, ohne ihn mit einzubeziehen. Auch wenn sie wirklich gerne viel mehr reden würde, sie hatte so selten jemand gleichaltrigen, mit dem sie vernünftig plaudern konnte. Da war sie halt auch nur ein Mädchen und gesprächig, wenn sich die Gelegenheit anbot.

    Schade, dann musste sie wirklich doch auch ins Gymnasion, wenn Nikolaos noch mal kommen würde. Wäre ja aber auch zu schön gewesen, einen Nachmittag faul daheim zu verbringen. Axilla wollte ja wirklich arbeiten, aber nach nun fast zwei Wochen hätte sie auch nichts gegen ein bisschen Ausschlafen einzuwenden gehabt, oder einen freien, faulen Nachmittag. Aber sie wollte sich gar nicht beschweren, und das nächste aNgebot von Nikolaos machte sie ohnehin etwas verlegen.
    “Das ist wirklich sehr nett von dir. Hätte ich vorhin am Hafen nicht schon was gegessen, wäre es mir eine Ehre. Aber ich fürchte, ich würde wohl platzen, wenn ich mehr esse als vielleicht drei Oliven.“
    Das war zwar übertrieben, aber Axilla konnte wirklich nichts essen. Sie war ein wenig nervös und aufgeregt, weil sie zum ersten Mal in Nikolaos’ Haus war und er doch ihr Chef war. Und wie immer, wenn sie nervös war, hatte sie absolut gar kein Hungergefühl mehr. Allein der Gedanke an Essen erschien ihr fast schon widernatürlich. Aber da war die ausrede mit der Garküche am Megas Limen ihr grade recht.
    Viel weiter hätte sie auch gar nicht argumentieren können, denn da kam schon Rufus zurück. Er sah gut aus in seinen anderen Sachen, sehr viel römischer. Nicht, dass Axilla was gegen seine doch sehr germanischen Sachen gehabt hätte, aber so war es ihr einfach vertrauter. Wobei man selbst das hier in Alexandria mit den hundert Farben und Formen an Kleidung nicht sagen konnte. Trotzdem fand sie, er sah gut aus.
    Dass er dann aber auf sie zukam und sie direkt ansprach, überraschte sie dann doch und entlockte ihr kurz ein verlegenes Lächeln. Ein ganz klein wenig fühlte sie sich wegen ihrer Gedanken ertappt und kurz fragte sie sich, ob das mit dem Gast nicht vielleicht doch etwas war, was gute, anständige, römische Mädchen nicht hätten tun sollen. Aber nun war es zum einen ohnehin zu spät, und zum anderen tat es ihr ja auch, wenn sie ehrlich war, überhaupt gar nicht leid.
    “Doch, doch, bestimmt hätten sie dich auch durchgelassen. Aber dann hättest du eine Eskorte mitgekriegt, die dich bis zur Haustüre begleitet hätte und gewartet hätte, dass Duccia Venusia bestätigt, dass du ihr Gast bist. Und dann wärst du jetzt nicht sauber gebadet und umgezogen und wir drei hätten nicht hierher kommen können. Und ich glaub ja nicht, dass du irgendwas anstell… ähm…“
    Logisches Denken sollte vor dem Sprechen erfolgen, nicht wie bei Axilla mitten drin einsetzen. Sie merkte grade noch, was sie da so salopp zu sagen gedachte, und fing sich in einem sehr unrhetorisch klingenden Laut. Die Feinheiten der nach Sokrates aufgestellten höheren Formen der Rede würde sie wohl nie erlernen, das war wohl überdeutlich, als sie versuchte, sich zu retten.
    “Ähm, also, ich meine, ich dachte, das sei unnötig. Und ich hab dich auch gar nicht als meinen Gast ausgegeben. Ich hab das schon auch so gemeint. Also, wenn es dir nichts ausmacht, dass du jetzt solange mein Gast bist, bis du bei deiner Cousine bist, dann bist du natürlich ihr Gast. Wobei wir beide ja grade hier Gast sind.“
    So langsam wurde Axilla richtig hektisch. Sie war Meisterin der Verschlimmbesserung, und grade merkte sie es wieder. Vielleicht sollte sie am besten einfach ihren Mund halten. Oder gleich zunähen, damit er in Zukunft keinen Unfug mehr anstellen konnte.

    Offenbar hatte sie sich zu früh gefreut, denn Nikolaos sprach sie noch einmal an. Ein wenig verunsichert drehte sie sich also noch einmal ihm zu, um ihm zu antworten. Sie hatte einfach angenommen, dass er mir Urgulania reden wollte. Sie war ja eigentlich nur sie, während Urgulania eben Urgulania war. Aber entweder war das nur die höfliche Fortsetzung des Gespräches, oder er hatte sich wirklich mit ihr unterhalten wollen. Dann wäre sie eben vielleicht etwas unhöflich gewesen. Sie versuchte, sich darum keinen Kopf zu machen, wenn das nach dem Kommentar ihrer Cousine, sie solle sich heute benehmen, nicht ganz einfach war.
    “Danke, Nikolaos. Ja, Silanus wollte gerne den Prätorianern beitreten und hat daher um Versetzung nach Rom gebeten. Ich nehme an, in den nächsten Wochen wird ein Brief von ihm eintreffen. Dann kann ich – oder Urgulania – ihm deine Grüße und deinen Dank ausrichten, wenn wir zurückschreiben.“
    Dass Silanus nicht in Rom war, sondern nach Confluentes ging, wusste Axilla ja nicht. Sie war der festen Überzeugung, er wäre nun in Rom bei den Cohortes Praetoriae und würde schreiben, sobald er Zeit dazu hatte. Zumindest hatte er das versprochen.
    Jetzt wandte sie sich aber auch wieder Scipio zu, den konnte sie ja jetzt auch nicht ignorieren. Es wäre viel einfacher, wenn Nikolaos ihr helfen würde, ihn auch ins Gespräch einzubinden, dann musste sie nicht die ganze Zeit so hin und herwechseln. Sie kam sich vor, als müsse sie sich zweiteilen, um beiden Gesprächen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Aber jetzt war erst einmal der Prudentier wieder dran.
    “Deplaziert? Nein, bestimmt nicht. Also, ich freue mich immer, jemand neues kennen zu lernen. Ich denke, das ist nur, weil du die Leute nicht so kennst. Als ich neu in Alexandria war – also, das ist jetzt über ein halbes Jahr her – hab ich mich auch immer etwas fehl am Platz gefühlt. Aber wenn man erstmal die Stadt kennen gelernt hat und die Leute, dann…“
    Sie war ins Plappern verfallen, merkte sie gerade. Und wie! Bestimmt hielt Scipio sie jetzt für ein dummes Huhn. Verlegen versuchte sie irgendwie, den Satz noch zu retten, damit er nicht so naiv und gleichzeitig belehrend klang, aber ihr fiel nichts vernünftiges ein. Aber wie ein deus ex machina tauchte in diesem Moment zum Glück die Braut auf.
    Axilla war sehr erleichtert und lauschte den Worten, die der alte Mann neben Penelope sprach. War das noch ein griechischer Brauch, dass die Braut entführt wurde, oder war das nur ein Scherz? Axilla hatte keine Ahnung von griechischen Hochzeiten, sie hatte ja schon kaum eine Ahnung von römischen. Und dann kam auch Ánthimos in den Garten, kaum zu übersehen. Axilla lächelte kurz in seine Richtung. Er sah ja ein wenig nervös aus, fand sie. Aber das war bei einer Hochzeit ja auch normal.
    “Also, wenn du die Braut noch nicht kennst, das da ist Penelope. Ich bin ja schon gespannt, wie die Griechen so eine Hochzeit feiern.“
    Axilla hatte sich leicht zu Scipio herübergebeugt, damit sie leise mit ihm flüstern konnte. Sie wollte den Auftritt der Braut ja schließlich nicht stören. Vor allem nicht, da Penelope sie eben vor einer Peinlichkeit gerettet hatte, ohne es auch nur zu ahnen.

    Dem Gespräch zwischen Nikolaos und seinem Sklaven – sie nahm einfach an, dass es ein solcher war – versuchte Axilla nicht allzu sehr mitzubekommen. Sie hatte keine Ahnung, ob Rufus davon überhaupt etwas verstand, das war ja immerhin auf griechisch gesagt worden. Und ein kleiner Teil von ihr fand es da ungerecht, wenn sie alles mitbekäme. Aber der neugierige Teil hörte halt doch zu.
    Sie betrat mit Nikolaos und Rufus das Haus und lächelte ihm noch zu, als Nikolaos ihm den Weg ins balneum erklärte. Sie selber ging mit Nikolaos mit und blieb da stehen, wo er es ihr gesagt hatte. Ein wenig neugierig schaute sie sich um. Das Haus war schön, wenn auch sehr anders als die villa, in der Urgulania und sie selbst wohnten. Und sehr viel griechischer. Aber lange hatte sie auch gar nicht, um sich alles anzuschauen, denn da kam Nikolaos auch schon wieder zurück. Er war zwar doch ein ganzes Weilchen weg gewesen, aber nicht solange, als dass Axilla sich wirklich getraut hätte, herumzustromern und sich etwas genauer anzusehen.
    Er drückte ihr einige Wachstafeln in die Hand, die sie nahm und versuchte, zu halten, ohne dass eine sich noch selbständig machte. Da hatte sie ja am Nachmittag dann noch ein wenig zu tun.
    “Gut, das werd ich dann machen und sie dann auch gleich losschicken. Kommst du heute Nachmittag dann noch einmal ins Gymnasion oder bleibst du dann gleich zuhause?“
    Das wäre interessant zu wissen. Wenn sie heute Nachmittag dann außer den Briefen nichts mehr hatte, käme ihr das natürlich nicht ungelegen. Dann würde sie die Briefe wohl zuhause schreiben und dann einen Sklaven damit losschicken, das wäre auch praktischer für sie.
    Außerdem wollte sie jetzt sowieso auf Rufus noch warten. Er war ja ihr Gast, und den konnte sie nicht allein dann zur Regia laufen lassen. Und auch, wenn sie Nikolaos wohl vertraute, dass er ihn wohl hinbringen würde, sie hatte für den germanischen Römer die Verantwortung übernommen.