Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla kaute ein klein wenig auf ihrer Unterlippe herum. Diese schlechte Eigenschaft hatte sie immer, wenn sie sich unsicher fühlte, und so dachte sie auch jetzt nicht wirklich darüber nach. Wahrscheinlich sollte sie jetzt etwas sagen. Aber was?
    Nunja, zunächst einmal wollte sie die Sache mit dem Carcer klarstellen.
    Ich werde nichts verraten. Schon gar nicht euch. Es war… mein Fehler… glaube ich…
    Aber da müsst ihr euch keine Gedanken machen. Ich werde nichts verraten. Ich schwör es.

    Das per iovem lapidem verkniff sie sich. Es erschien ihr Unrecht, den Gott in die ganze Geschichte mit hinein zu ziehen. Außerdem waren die vier hier Griechen.
    Aber ich weiß nicht, was ich Urgulania sagen soll, falls sie mich fragt, wo ich war. Sie ist grade die einzige bei mir noch zuhause, und auch nicht immer da. Aber wenn sie mich fragt… ich weiß nicht, was ich dann sagen soll…
    Ja, jetzt saß sie ganz schön in der Klemme. Wie sollte sie ihr Wegbleiben über Nacht erklären? Und da sie jetzt schon vorschnell geschworen hatte, die drei nicht zu verraten, konnten sie sie auch einfach mit diesem Problem allein lassen. Aber Axilla hoffte, dass sie da vielleicht wenigstens ein bisschen Rückendeckung nun erhielt.

    Ein schwieriger Moment. Axilla war sich nicht sicher, was sie machen sollte. Sie, die sonst ein Mundwerk hatte, das nur so vor sich hinplapperte ohne zu überlegen, wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie stocherte ein wenig in ihrem Gemüse herum und überlegte, was sie sagen sollte. Es war aber auch nicht einfach!
    Am besten, sie überlegte nicht mehr. Wenn sie zuviel überlegte, kam dabei nur noch schlimmeres Chaos heraus als ohne zu überlegen – wobei dann das Chaos schon schlimm war. Aber noch viel schlimmer konnte es ohnehin nicht werden.
    Schnell beugte sie sich zu Timos herüber. Ihre Hand hielt sie so neben ihren Mund, dass ein Trichter zu seinem Ohr entstand und seine Verwandten ihre Lippenbewegungen nicht sehen konnten. Sie dachte nicht darüber nach, sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken.
    “Ich möchte mit dir nachher unter vier Augen gerne sprechen. Es ist mir wichtig.“
    Und schwupps saß sie auch schon wieder richtig da und stocherte weiter in ihrem Gemüse herum. Nur kurz sah sie aus den Augenwinkeln zu Timos herüber, um seine Reaktion zu sehen.

    Timos kam herein! Als sie das Geräusch von der Tür gehört hatte, hatte sich Axillas Blick sofort gehoben und in die Richtung geschaut. Er sah ein wenig unsicher aus. Ganz genau so, wie Axilla sich fühlte. Und jetzt, wo sie ihn so ausführlich ansehen konnte, ließ sie ihren Blick auch einmal über ihn schweifen. Er sah gut aus. Er war etwas älter als sie und hatte markantes Gesicht, aber er gefiel Axilla wohl. Und seine Augen konnten den Blick gefangen nehmen.
    Erst die Worte seines kleinen Bruders rissen sie aus ihrer Betrachtung und ein wenig verschämt senkte sie kurz den Blick. Penelope stand auf und machte dabei kurz ein seltsames Gesicht. Axilla fragte sich, was mit ihr wohl los war. Eine weitere Schale mit Gemüse wurde auf den Tisch gestellt, auf den Platz neben Axilla. Es war auch der einzige, der noch frei war. Bevor sich Timos noch nicht traute, neben ihr Platz zu nehmen, sah sie kurz zu ihm hoch und ihre Mundwinkel zuckten kurz zu einem entschuldigenden Lächeln. Mit einem Blick versuchte sie ihm stumm mitzuteilen, dass er sich ruhig neben sie setzen konnte.
    Das wäre ohnehin das Beste, denn so konnte sie ihm auch zuflüstern, dass sie noch mit ihm sprechen wollte. Sie musste unbedingt wissen, was in der Zeit passiert war, für die sie keine Erinnerung hatte. Und das hatte nichts mit bloßer Neugierde zu tun, obwohl die selbstverständlich auch groß war. Aber sie wollte einfach wissen, was sie dazu bewogen hatte, sich ihm so anzuvertrauen. Skioura, so hatte er sie genannt. Sie musste es einfach wissen.

    Jetzt musste Axilla lachen.
    Ach Urgulania, jetzt übertreibst du aber. So alt bist du doch gar nicht. Ich frage mich sowieso, warum du nicht verheiratet bist. Du bist doch so schön.
    Als es raus war, biss sich Axilla auf die Unterlippe. Da war es wieder, ihr loses Mundwerk, das schneller war als ihr Verstand.
    Ähm, ich meine, du hättest doch sicher viel Gelegenheit gehabt. Und eigentlich geht mich das ja auch gar nichts an.
    Sie sagte besser nichts mehr, ehe sie es noch mehr verschlimmbesserte.

    Eigentlich hatte Axilla heute nicht gestört werden wollen. Sie war in ihrem Zimmer gewesen und hatte sich um die Rüstung ihres Vaters gekümmert. Das ließ sie keinen Sklaven machen, sie pflegte den alten Harnisch selbst und behandelte das Gladius gerade mit etwas Öl, als doch eine Sklavin hereinkam. Erst war Axilla wütend, als die Sklavin ihr dann aber stotternd verkündete, dass ein Gast eingetroffen sei und Urgulania nach ihr gefragt habe, legte sich das auch gleich. Sie ließ die Stücke für Später einfach auf ihrem Bett liegen und wusch sich noch gründlich die Hände.
    Danach begab sie sich ins Tablinum. Sie staunte nicht schlecht, als sie sah, wer der Besucher war.
    Marcus Achilleos? Dich hätte ich als letztes erwartet. Welch freudige Überraschung! Ich dachte, du wärst schon längst auf dem Weg nach Athen.
    Das ehrliche Strahlen, das über ihr Gesicht ging, zeigte deutlich ihre Freude. Sie lächelte offen und trat näher zu Marcus heran. Ein bisschen verwirrt war sie schon, aber die Freude überwog ganz klar. Sie mochte den Griechen, auch oder vielleicht gerade wegen seines exotischen Auftretens. Sie lächelte auch zu Urgulania herüber. Sie war ihrer Cousine so dankbar, dass sie sie gleich hatte rufen lassen. Sie hätte es sich wohl nie verziehen, wenn sie im Haus gerade gewesen wäre und Marcus noch nicht einmal begrüßt hätte.

    Und das tat Axilla auch sogleich. Gut gelaunt machte sie sich mit Seiana auf den Weg über den Markt, und fing dabei auch gleich an zu plauschen. Eigentlich war sie ja gar nicht so geschwätzig, aber sie war immer noch ein wenig nervös wegen dem Saftfleck, und überhaupt war heute ein viel zu schöner Tag, um sich Gedanken zu machen, was man sagte oder besser nicht.
    Er ist da hinten, zumindest war er da vor drei Tagen noch. Die Stände hier ändern sich ja leider ständig.
    Es ist übrigens schön, mal eine Römerin zu treffen. In dieser Stadt ist das ja ziemlich selten. Also, nicht, dass ich was gegen die Griechen hätte, sie sind alle sehr nett und… sagen wir mal farbenfroh. Aber mein Koine ist so furchtbar, dass ich immer hoffe, dass ich auch das gesagt habe, was ich sagen wollte.
    Bist du denn schon lange hier?

    Oh, das war vielleicht doch ein bisschen wasserfallartig hervorgekommen. Entschuldigend lächelte Axilla Seiana an. „Tut mir leid, wenn ich zu viel rede. Ich bin heute nur irgendwie ziemlich gut drauf.

    Das werd ich. Oh, Urgulania, du hast wirklich meinen Tag gerettet. Ich glaube, ich muss dich öfter mal einfach so überfallen.
    Ja, der Tag heute schien wirklich gerettet. Noch vor einer halben Stunde war sie betrübt gewesen, und jetzt war ihr nach Tanzen zumute.

    Mal wieder mit einer anderen Frau einkaufen gehen? Der Tag schien doch besser als eben noch erwartet zu werden. Axilla war schon ewig nicht mehr mit einer Freundin einkaufen. Auch wenn sie Seiana gerade erst kennen gelernt hatte und sie also kaum schon Freundinnen hätten sein können. Aber es kam dem doch schon sehr nahe.
    Oh, ja, das wäre wirklich sehr nett. Ich weiß auch schon den perfekten Stand, bei dem wir anfangen können.
    Das Axilla gleich Feuer und Flamme war, konnte man deutlich an ihrer Stimme hören. Für sich selber etwas einzukaufen war ja schön, aber für jemand anderen war das dann gleich noch mal um einiges schöner. Da konnte man schauen, probieren, Meinungen austauschen, diskutieren, und man musste nicht so viel mit dem Verkäufer reden, der sowieso alles ganz toll und wundervoll und göttlich an einem fand.
    Eine Freundin hätte Axilla jetzt einfach geschnappt und mit sich mit geführt, bei Decima Seiana unterließ sie diese Vertraulichkeit aber. Statt dessen lächelte sie ihr nur strahlend zu und wartete, dass sie sich ihr anschloss.

    Warmes Gemüse zum Frühstück, das war mal eine neue Erfahrung. Normalerweise gab es zum lentaculum frisches Brot mit Honig oder Käse, dazu etwas Milch und Obst. Griechen frühstückten dagegen wohl sehr deftig. Aber Axilla wollte nicht so sein, immerhin hatte sie ja wenigstens etwas von ihrer guten Erziehung behalten, und aß mit.
    Es schmeckte interessant. Nachdem Penelope etwas Salz und Öl auf das Gemüse gegeben hatte und Axilla es erstmal gedankenverloren umgerührt hatte, hatte sie ein Löffelchen voll probiert. Ánthimos hatte wohl recht und verstand nicht viel von Kochen, aber Axilla überspielte es mit einem Lächeln und aß langsam weiter. Sie war sich auch nicht sicher, ob es ihr wegen der Gedanken, die ihr im Kopf rumspukten, so seltsam schmeckte, und sie war zu höflich, da jetzt etwas zu sagen. Überhaupt sagte sie erst einmal nichts mehr, hatte sie doch eben schon sehr viel gesagt, was sie eigentlich so nicht hatte sagen wollen. Sie hoffte nur, dass sie bald noch mit Timos reden konnte.

    Wirklich?
    Hätte Urgulania vorhin nicht so erschrocken geschaut, als Axilla sie umarmt hatte, hätte sie wohl wieder eine stürmische Umarmung über sich ergehen lassen müssen. So aber quietschte Axilla nur vor Freude, sprang auf und wirbelte einmal im Kreis. Sie war sich bewusst, wie lächerlich es wirken musste, und bekam ziemlich rote Wangen, während sie entschuldigend lächelte.
    Tut mir leid, ich bin heute wohl etwas überschwänglich. Kann ich dann bei dir bei der Stege einfach vorbeikommen?

    Hm?“ schreckte sie ein wenig bei Anthis erstem Satz hoch. Sie musste wohl schon sehr zur Tür gestarrt haben und kam sich jetzt ein wenig dumm vor. Sie tat so als wäre nichts gewesen und überlegte stattdessen schnell, was er danach gesagt hatte.
    Der Versuch, jetzt schnell etwas zu sagen um damit den Blick zur Tür vergessen zu machen endete natürlich in schnellem Geplapper, über das sie gar nicht so wirklich nachdachte, bevor sie es aussprach.
    Ich weiß nicht, ich war noch nie über Nacht weg. Er kennt mich inzwischen zwar schon so gut, und wenn ich einfach mal so ohne Begleitung auf den Markt oder durch die Stadt gegangen bin, um mir etwas anzusehen, hat er eigentlich immer recht zuverlässig gesagt, dass ich entweder in Begleitung oder nur woanders im Haus sei. Ich meine, die Villa ist ja recht groß, und da läuft man sich nicht unbedingt über den Weg, wenn man nur zu zweit grade ist, und Urgulania arbeitet ja auch noch viel und manchmal auch abends. Wenn ich das auch nicht so ganz verstehen kann, sie könnte ja auch Arbeit mit Heim nehmen. Und von daher weiß ich ja auch gar nicht, ob mich jemand vermisst hat. Wahrscheinlich eher weniger…
    Jetzt driftete ihr Gerede in eine Richtung ab, die Axilla eigentlich nicht haben wollte. Sie wollte nicht daran denken, wie es jeden Tag so allein in der Villa war, so dass sie ja schon fast gezwungen war, in die Stadt zu gehen und sich abzulenken, weil zuhause ohnehin niemand war. Also wandte sie ihre liebste Taktik an: Themenwechsel.
    Und du kochst etwas? Ich muss ja zugeben, dass ich so ein klein wenig hungrig bin."

    Axilla sah einen Augenblick nachdenklich zu der Tür. Sie hoffte, Timos würde wiederkommen. Sie wollte ja noch mit ihm reden. Sie wollte wissen, was gestern genau passiert war – unter vier Augen, versteht sich – und er war der einzige, der es ihr beantworten konnte. Und ein klein wenig fühlte sie sich komisch, mit drei Menschen, mit denen sie eigentlich sonst nichts zu tun hatte, nun zu frühstücken.
    Aber sie setzte sich erst einmal hin und überlegte. Ánthimos hatte recht, dass sie hier über Nacht geblieben war, war sicher nicht richtig gewesen und es konnte eine Menge Ärger bedeuten. Sowohl für sie als auch für diese griechische Familia.
    Nun, also… zuhause ist momentan nur Urgulania. Meine anderen Cousinen sind gerade in der Provinz unterwegs und…“ Sie stockte kurz, ehe sie fortfuhr. „…mein Vormund ist auf dem Weg nach Rom. Wenn Leander, also, er ist mein Sklave..“ Wieder zögerte sie kurz beim Sprechen, als ihr einfiel, dass Leander ja auch Grieche war und das vielleicht hier nicht so gut ankam. Auch wenn sie ihn mehr als Freund denn als Sklave behandelte, aber das war ja egal. „… also wenn er mitgedacht hat, dann hat er Urgulania nicht gesagt, dass ich nicht daheim war. Ansonsten… ja, ich weiß nicht… ich könnte…
    Axilla überlegte. Aber ihr fiel so auf Anhieb nichts wirklich ein. Vor allem, da ihr Blick immer wieder zur Tür wanderte in der Hoffnung, Timos würde hereinkommen. Das Gespräch mit ihm war ihr momentan fast wichtiger. Wenn sie schon Strafe bekommen würde, wollte sie wenigstens wissen, wofür.

    Nachdem die „Vorhut“ sicher vorangegangen war, folgte Axilla. Bevor sie aus dem Raum hinaus trat, holte sie noch einmal tief Luft und straffte ihre Schultern. Sie wollte nicht wieder so schwach und klein aussehen wie eben. Jetzt hatte sie ihre Sachen an und alles war soweit in Ordnung, zumindest wollte sie diesen Eindruck vermitteln.
    Sie kam gerade, als Ánthimos sich seinen Chiton überstreifte und blickte solange noch in eine andere Richtung, bis er fertig war. Was er mit dem Gemüse veranstaltet hatte, sah sie gar nicht. Abgesehen davon dass sie ohnehin keinerlei Ahnung vom Kochen hatte und daher auch nicht wusste, wie es richtig hätte aussehen müssen.
    Als sie sich dann einen Platz angeboten bekam, drehte sie sich wieder zurück und sah sich noch einmal genauer um. Erst fiel es ihr nicht so auf, weil sie ohnehin nervös war, aber dann merkte sie schließlich doch, dass etwas essentielles gerade fehlte.
    Wo ist denn Timos?

    Puh, Glück gehabt, die angerempelte Frau fing nicht an, Zeter und Mordeo zu brüllen und schimpfte auch nicht. Offenbar nahm sie das ganze eher gelassen. Axilla war schon mal erleichtert. Natürlich hatte sie noch immer ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen dem ganzen, aber der Tag war so wenigstens noch nicht ganz im Eimer.
    Ich bin Iunia Axilla.
    Der Name sagte ihr irgendwas, aber Axilla kam im Moment nicht drauf. Sie war auch viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie sie es wieder gut machen könnte.
    Das ist bestimmt gleich trocken, heute ist es ja schon wieder so warm. Aber der Fleck… ich meine, bei den Griechen gibt es schon die verrücktesten Moden aber… wenn du magst, würd ich dir gern eine neue Tunika kaufen. Also, als Entschuldigung. Wiedergutmachung. Einfach so, egal.
    Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, fügte Axilla in Gedanken hinzu.

    Denkt nicht nach, bevor er etwas sagt…. Ja, dieses Phänomen kannte sie nur zu gut. Aber sie war zumindest mal beruhigt, dass ihre Menschenkenntnis sie nicht vollkommen im Stich gelassen hatte, selbst betrunken. Wenn er hübsch und nett war, war es nicht mehr ganz so schlimm wie noch nach dem aufwachen, als sie noch nicht einmal sich getraut hatte, daran zu denken. Natürlich war es immer noch verwerflich, aber bei weitem nicht mehr so schlimm wie eben noch. Sie hätte sich vermutlich nie verziehen, mit einem Widerling das gemacht zu haben, auch wenn sie betrunken war.
    Wenn sie sich nur erinnern könnte!
    Vielleicht konnte sie nachher in Ruhe mit Timos allein reden, wenn niemand daneben stand? In vertraulichen Gesprächen war Axilla besser als in großen Runden. Da fühlte sie sich dann immer verpflichtet, das Richtige zu tun und musste soviel nachdenken. Wenn sie vertraulich mit jemandem sprach, konnte sie einfach reden und musste nicht soviel denken, das war meistens besser.
    Aber ein Schritt nach dem anderen, wenn sie da wieder raus wollte, musste sie zunächst ordentlich angezogen sein.
    Ich zieh mich wohl besser erstmal richtig an.
    Sie streifte sich die geborgte Tunika wieder ab und schlüpfte in ihre grüne. Diese war zwar am Saum noch etwas klamm, und das trotz der hohen Temperaturen, aber ansonsten angenehm und sauber. Und sie fühlte sich in ihrer Kleidung bei weitem sicherer. Jetzt musste sie nur ihre Schuhe und die Palla wieder finden und schon war sie wieder komplett. Und sie brauchte wohl noch eine Ausrede, falls Leander nicht mitgedacht und sie gedeckt hatte. Aber sie konnte Urgulania unmöglich die Wahrheit sagen.
    Bewußt hatte sie sich vielleicht noch nicht entschieden, Timos zu verzeihen, aber unterbewußt hatte sie das schon. Sie würde ihn nicht verpetzen, und nicht nur, um sich selbst aus Schwierigkeiten herauszuhalten.
    Meinst du, wir können da wieder reingehen, oder brauchen die noch?
    Axilla war sich durchaus im Klaren, dass Penelope mit ihr deshalb hier herein gegangen war, damit die drei Brüder draußen auch unter sich sein konnten.

    Ich hab wirklich mit ihm geschlafen, oder?
    Das war das erste, was Axilla sagte, nachdem sie und Penelope in dem Raum angekommen waren und sie sich erstmal das Gesicht gründlich dank einer Waschschüssel geschrubbt hatte. Sie sah einen etwas hilflosen Blick von Penelope, und setzte sich daraufhin erstmal aufs Bett. Dass sie sich umziehen wollte, war vergessen. Ihre Gedanken blieben irgendwie an dieser Sache hängen.
    Warum nur konnte sie sich gar nicht daran erinnern? Das war ihr noch nie passiert. Und nun steckte sie in Schwierigkeiten wegen einer Sache, an die sie sich mal absolut und überhaupt gar nicht erinnern konnte. Das ärgerte sie noch mit am meisten. Wenn sie wenigstens wüsste, was genau passiert war, dann wüsste sie auch, inwieweit ihr Zorn angemessen war oder auch nicht. Aber sie konnte sich nur an den Hafen und das Essen und dunkel an einen Gemüseladen erinnern, und an ein Gefühl, mit Timos eine schöne Zeit verbracht zu haben. Das war aber auch verflixt!
    Penelope stand immer noch komisch da. Überhaupt bewegte sie sich ein wenig seltsam.
    Magst du dich nicht auch setzen? Ich beiß auch nicht.
    Axilla kam sich ein wenig doof vor, hier auf einem fremden Bett zu sitzen, während ihr Gegenüber stand.
    Ich kann mich an gestern fast gar nicht erinnern. Timos, du kennst ihn doch, oder? Wie ist er so?
    Sie brauchte eindeutig mehr Information, ehe sie etwas entscheiden konnte.

    Ah.
    Das war vielleicht nicht der scharfsinnigste Kommentar, aber das erste, was Axilla durch den Kopf schoss. Sie stützte sich mit ihren Armen an der Bank ein bisschen ab und wackelte kindlich mit den Füßen, während sie überlegte, wie sie Urgulania fragen könnte. Sie traute sich noch nicht so ganz und sicher würde sie nur stören. Aber dann platzte es doch ganz unumwunden aus ihr heraus.
    Vielleicht könnte ich dich ja mal ein bisschen begleiten und mir anschauen? Ich meine, dir ein bisschen über die Schulter schauen und lernen, wie das alles so funktioniert? Ich weiß noch so wenig über diese Stadt und ihren Aufbau, und da wäre es ja vielleicht ganz lehrreich. Also, wenn ich dich da nicht irgendwie störe…
    Ein bisschen schüchtern senkte sich ihr Kopf gen Boden, aber ihre Augen spitzelten verstohlen doch nach Urgulanias Reaktion auf ihre Worte.

    Jetzt ruckte Axillas Kopf doch hoch und sie vergaß den Vers, den sie grade aufschreiben wollte.
    Feige? Wie kommst du denn darauf? Ich find dich nicht feige.
    Männer! Die sollte mal ein vernünftiger Mensch verstehen. Es war doch süß, wenn er sich nicht richtig traute, Seiana seine Gefühle so offen darzulegen. Und es inspirierte sie gerade zu den wohl romantischsten Versen, die sie je geschrieben hatte. Nungut, das Versmaß war ein bisschen holperig, aber das machte ja nichts. Sie war ja schließlich kein Schriftsteller. Ein bisschen ließ Axilla auch ihre eigenen Gefühle einfließen, so ganz verhindern konnte sie das nicht. Aber das war auch gut, so kam das Gedicht auch ein bisschen von Herzen, und das sollte es ja.
    Jetzt fiel ihr auch der vergessene Vers wieder ein und geschäftig kritzelte sie ihn nieder.

    Was wollte sie nehmen? Axilla hatte noch keine Ahnung, was es denn hier überhaupt für Saft gab, Hauptsache, er war süß und klebrig. So mochte sie ihn am liebsten. Ganz in Gedanken schon fünf Schritte weiter, als sich die Frau vor ihr plötzlich umdrehte und sie beide fast zusammenstießen. Ihr Gegenüber schrak aber gerade noch rechtzeitig zurück, so dass Axilla nur ein paar Spritzer Saft abbekam. Die andere Frau allerdings…


    Oh… oh, das tut mir schrecklich leid. Das.. das ist meine Schuld, tut mir schrecklich leid. Ich hab wohl grade nicht aufgepasst und dann… es tut mir wirklich furchtbar leid.


    Da war er hin, der schöne Tag. Axilla sollte aber auch wirklich ihre Gedanken wenigstens ein Mal bei sich behalten! Das hatte ihr ihr Lehrer schon immer vorgehalten, dass sie einfach immer mit den Gedanken sonst wo war, aber nicht bei der Sache. Das hier war mal wieder das perfekte Beispiel dafür.

    Kurz überlegte Axilla. Ihr war durchaus klar, dass ihr Gegenüber vermutlich wollte, dass sie mit ihr erstmal mitkam, und es nicht so ganz ihre Entscheidung war. Aber Penelope hatte ja recht. Sie saß hier halbnackt unter Halbnackten, und sich richtig anzuziehen und das Gesicht zu waschen wäre vermutlich wirklich nicht verkehrt. Außerdem konnte sie dann ruhiger überlegen, was sie nun von Timos halten wollte und ob sie ihm verzieh. Seinem kleinen Bruder verzieh sie noch nicht so leicht, der hatte schließlich nicht die Wahrheit über sie gesagt und sie damit doppelt beleidigt. Auch wenn sie es sehr gut kannte, wie es war, wenn einem etwas rausrutschte. Aber erstmal einen Schritt nach dem anderen. Jetzt waren wieder kleine Schritte zu gehen, da konnte Axilla dann eines nach dem anderen entscheiden.
    Also nickte sie nach kurzem Grübeln Penelope zu und ließ ihre Füße wieder auf den Boden. Sie wartete noch, bis sämtliche Hände entfernt waren, und stand dann auf. Sie straffte die Schultern, wenn sie auch sonst noch nicht ganz stolz wieder dastand. Aber zumindest war sie kein Häuflein Elend mehr. Viel ging ihr im Kopf herum, über das sie auch erst einmal nachdenken musste. Und so folgte sie der Griechin schweigsam.