„Dann kennt ihr beide euch ja schon richtig lange.“
So langsam begannen sich ein paar Verse in Axillas Kopf zu entwickeln. Sie schlug gleich mal das Buch mit den Liebesgedichten vor ihr auf und blätterte ein bisschen nebenher, um sich Inspiration zu holen. Das schöne daran, eine Frau zu sein, war ja, mehrere Sachen gleichzeitig mit der gleichen Aufmerksamkeit hinzubekommen.
„Das mit ihrem Onkel ist natürlich doof. Aber meinst du nicht, dass er seine Meinung vielleicht auch geändert haben könnte? Ich meine… naja, du bist ein Aelier.“
Axilla gab ja eigentlich nicht besonders viel darauf, aus wessen Familie nun genau jemand stammte. Für sie war viel wichtiger, dass sie denjenigen leiden mochte. Sie hatte sich auch schon Stunden mit Sklaven unterhalten, die einfach nur etwas bei ihr zuhause abgegeben hatten, und ihnen in der Küche etwas zu Essen dabei ausgegeben. Und andere wiederum waren vermutlich eigentlich eine perfekte Partie, aber so langweilig, dass Axilla keine 3 Sätze mit ihnen wechselte. Von daher konnte sie Archias mehr als nur gut verstehen, was er meinte.
„Aber ich will auch niemanden heiraten, den ich nicht zumindest vorher ein bisschen mag. Immerhin hat man dann ja vor, ziemlich lange zusammen zu sein.“
Jaja, wenn sie sich vorstellte, sie und Silanus könnten… Sie musste kurz verträumt lächeln und nahm dann eine neue Wachstafel zur Hand. Ihr war der perfekte Anfang eingefallen! Das musste sie gleich niederschreiben.
Beiträge von Iunia Axilla
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Ein herrlicher Tag! Die Sonne schien – nungut, das machte sie hier immer. Die Vögel sangen – nungut, auch das taten sie immer. Und am Morgen hatte Axilla sogar einen Schmetterling an ihrem Fenster entdeckt. Einen richtig großen, bunten, wie sie noch nie einen gesehen hatte. Nur mit dem Fangen hatte es nicht ganz geklappt, aber das machte auch nichts. Frei fliegend waren sie ohnehin viel schöner.
Gut gelaunt spazierte die junge Iunerin also über den Markt. Sie brauchte neue Schuhe. Oder naja, was man so brauchen nannte, wenn man schon drei Paar besaß. Aber für ihr neues Kleid hatte sie noch keine, von denen sie sagte, dass sie dazu passen würden. Sie war sich zwar noch immer nicht ganz sicher, ob sie tatsächlich das Kleid anziehen sollte, aber wenn, wollte sie gerüstet sein.
Axilla schlenderte schon eine ganze Weile, fand aber nicht wirklich etwas, was ihr sofort ins Auge sprang. Sie handelte zwar mal hier, mal dort ein wenig, aber wirklich kaufen tat sie nichts. Die meisten Händler veranlasste das zu heimlichen Augenrollen, aber Axilla machte das heute nichts aus. Heute Nacht hatte sie einen schönen Traum gehabt, von zuhause in Tarraco und ihrem Vater und den wilden Ponys, die vorm Haus entlang gerannt waren, heute würde sie sich durch nichts runterkriegen lassen. Zumindest hatte sie sich das fest vorgenommen.
So wie es aussah, würde es wohl ein etwas längerer Tag werden. Und wenn Axilla hier schon eines gelernt hatte, dann, dass man ausreichend trinken sollte. Und noch etwas zweites: Bei ihr sollte dieses Etwas möglichst keinen Alkohol enthalten. Also suchte sie einen der Stände, bei dem man süßen Saft kaufen konnte. Sie liebte ja dieses süße Zeug, je süßer, desto besser. -
„Mhm, mhm, mhm“, machte Axilla nur und schrieb sich ein bisschen was auf einem Stückchen Wachstafel mit, die sie eigentlich für ihre Recherche gedacht hatte. Aber das hier war ja auch sowas ähnliches wie eine Recherche, wenn auch auf einem völlig anderen Themengebiet.
Archias war ja richtig verliebt! Sie bemerkte das an der Art, wie er sprach und seine Hände anfing, zu kneten. Richtig süß. Ganz spitzbübsich musste Axilla leicht grinsen, während sie ihm zuhörte und schon ein paar Sätze aufschrieb, die ihrer Meinung nach gut klingen würden und passten.
„Wie, wie ich das finden würde? Also… wenn ich denjenigen auch mag, wär mir das glaub ich sogar egal. Der Wille zählt ja.“
Noch ein Satz wurde ins Wachs gekritzelt.„Und wie lange kennt ihr euch schon? Warst du von Anfang an in sie verliebt, oder kam das erst später?“
Archias ließ sich ja alles aus der Nase ziehen! Wie sollte man da ein Gedicht schreiben? -
Axilla hob ganz leicht den Kopf bei der neuen Berührung. Da war ein griechisches Mädchen, vielleicht ein bisschen älter als sie, vor ihr in der Hocke. Ganz leise sprach sie mit ihr. Kurz wallte Zorn dabei in Axilla hoch. Sie war doch kein Kind! Man konnte mit ihr ruhig ganz normal sprechen!
Aber der Moment war nur kurz. Sie hatte heute schon genug Wut gehabt, und Penelope wollte vermutlich nur nett sein. Auch sie hatte graue Augen, wie Axilla feststellte.
„Axilla“, sagte sie nur halblaut und schaute auch einmal kurz zu den beiden anderen Griechen. Jetzt hatten wenigstens alle Namen, und sie wusste, dass die drei Brüder waren und keine Verbrecherbande. Das gab ihr schon mal ein Stückweit mehr Sicherheit als noch vor ein paar Minuten. Ihre Schultern strafften sich auch gleich ein bisschen, so dass sie nicht mehr ganz so zusammengesunken da saß. Über Timos Arm in ihrem Rücken war sie trotzdem irgendwie froh. -
Bei der Berührung seiner Hand ließ Axilla wieder leicht den Kopf sinken. Sie musste nachdenken und da war diese Berührung nicht sehr hilfreich. Vor allem, wenn sie noch böse auf ihn war – was sie noch nicht entschieden hatte. Noch ein Punkt auf der Liste – durfte er sie gar nicht trösten.
Ihre Gedanken wirbelten alle so wild durcheinander. Konnte sie ihm glauben? Oder versuchte er nur, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Wenn er sie wirklich gern hatte, dann wäre sie hier nicht mehr so allein. Nungut, er war Grieche, und damit durften sie sich zumindest nicht auf die eine Art „gern“ haben. Aber es wäre schön, jemanden zu haben, der sie wirklich gern hatte. Auch auf diese Weise. Aber wenn er sie jetzt anlog? Konnte sie ihm denn glauben? Sie war sich so unsicher. -
”Wirklich?”
Sie sah ihm in die Augen und er schaute so durchdringend zurück. Die Frage stand zwar noch im Raum, aber sein Blick beantwortete es Axilla. Sie sah keine Lüge in seinen Augen, und sie wollte ihm ja auch so gerne glauben. Aber warum war sie etwas Besonderes für ihn? Sie fühlte sich im Moment nicht irgendwie besonders. Höchstens besonders dämlich und besonders verweint. Besonders schwach vielleicht auch noch.
„Und du sagst das nicht nur, weil du Angst vor Urgulania hast?“
Vergessen hatte sie die Worte des Großen sicherlich nicht. Wenn er tatsächlich für Urgulania arbeitete, dann war Timos nun zweifach in der Klemme. Zum einen konnte er wirklich schlimm bestraft werden, eine Römerin verführt zu haben – denn wie sollte er beweisen, dass Axilla keine Jungfrau mehr war? Silanus würde sicher nicht zu seinen Gunsten eingestehen, dass er der erste war. Und zum anderen konnte ein böses Wort von Axilla dafür sorgen, das er ganz schnell nicht mehr bei Urgulania arbeitete.
Axilla wollte einfach gerne wissen, warum er sie für besonders hielt, bevor sie sich dazu entschied, ob sie ihm verzeihen wollte oder nicht. Und wo sich ihr Verstand langsam wieder einschaltete und die Kontrolle übernahm, versiegten auch nach und nach die Tränen. -
Axilla ließ sich den Arm auflegen, ohne sich zu wehren. Sie zuckte zwar ein wenig zusammen, aber mehr, weil es sie überraschte. Sie fühlte sich grade so dreckig und widerlich und schlichtweg nicht umarmenswert, dass sie damit nicht gerechnet hatte.
Timos war ganz nahe bei ihr und flüsterte etwas ganz leise in ihr Ohr. Zunächst verstand sie es nicht richtig. Sie musste sich verhört haben. Woher wusste er davon? Hatte sie ihm das gestern erzählt? Wenn sie sich ihm wirklich soweit anvertraut hatte, musste sie ihn schon sehr gerne gehabt haben. Dieser Name war etwas, dass ihr mehr das Gefühl von Heimat und Geborgenheit gab, als alles andere, und wenn sie ihm das anvertraut hatte, musste sie ihn wirklich gern gehabt haben. Nur konnte sie sich leider nicht daran erinnern.
Ganz verstohlen und vorsichtig sah sie aus den Augenwinkeln zu Timos hoch. Sie bemerkte noch eine Frau, die sich ihr von der anderen Seite leise und vorsichtig näherte, aber ihre Aufmerksamkeit war erst einmal bei Timos. Die Tränen rannen zwar noch, aber langsamer als eben, und sie sah ganz vorsichtig zu ihm hoch und suchte seine Augen. Grau waren sie, wie sie jetzt wieder bemerkte. Graue Sturmwolken.
“Ich bin keine lupa.“
Ganz leise flüsterte sie es ihm zu, so dass nur er es hören konnte. Es war ihr irgendwie wichtig, dass er das wusste. Sie wollte, dass er wusste, dass sie das nicht immer so machte. Was immer sie auch getan hatte. Er kannte ihren Namen, da war es ihr einfach wichtig. -
Sie nahm die Tunika mit einem Ruck entgegen und hielt sie erstmal nur an sich. Ihre nackten Fußsohlen waren irgendwie auf die Sitzfläche des Stuhls gewandert, so dass sie mit angewinkelten Knien ganz klein nun dasaß und ihre grüne Tunika wie eine Decke über ihre Beine fiel. Sie zitterte noch immer.
Gegen einen Angriff auf sie konnte sie sich wehren, aber gegen einen Angriff auf ihre Ehre war sie machtlos. Und wahrscheinlich hatten die beiden ja auch recht. Sie war keine Jungfrau mehr gewesen, und auch, wenn sie sich nicht erinnern konnte, glaubte sie zumindest, dass es durchaus so gewesen sein könnte, dass sie freiwillig mit Timos mitgegangen war und in sein Bett gestiegen war. Vielleicht war sie ja wirklich nicht besser als eine lupa vom Straßenrand. Vielleicht war sie auch deshalb jetzt allein.
Sie war gestern losgezogen, um ein Amulett gegen Liebeskummer zu kaufen, das wusste sie noch. Aber eigentlich wollte sie sich nur nicht mehr so allein fühlen. Alle waren sie gegangen, alle hatten sie allein gelassen. Jeder, den sie liebte, war auf die ein oder andere weise aus ihrem Leben wieder verschwunden.
Sie fühlte sich ganz furchtbar allein, und jetzt noch mehr als sonst. Wenn sie mit Timos mitgegangen war, musste sie ihn gemocht haben. Aber so, wie er redete, war sie für ihn definitiv nur eine lupa.
Sie schluchzte.
Silanus war gegangen, ohne auch nur ein liebes Wort noch zu sagen. Er hatte sich an dem Tag in ihrem Zimmer nur noch umgedreht, und war gegangen. Er hatte noch nichtmal gesagt, er würde sie vermissen, er hatte den Satz abgebrochen. Aber wer würde sie auch schon vermissen? Sie war vorlaut und nicht besonders tugendhaft. Ja, sie war hübsch, aber welche sonstigen weiblichen Tugenden konnte sie schon für sich verbuchen?
Tränen flossen.
Ihre Eltern waren tot, und der einzige Mensch, von dem sie glaubte, dass er sie noch liebte, war ihr Lehrer. Und dieser war tausend Meilen weit weg bei seiner Familie und begann dort vermutlich schon, sie zu vergessen. Er hatte dort ja auch ein schönes Leben, nachdem sie ihm die Freiheit und das restliche Geld, das vom Hauskauf übrig war, geschenkt hatte. Warum sollte er sich da an die vorlaute, kleine Axilla erinnern, die ihn mit ihrer Unaufmerksamkeit und ihrem ständigen Abhauen-und-auf-Bäume-klettern-oder-sonstigen-Blödsinn-anstellen geärgert hatte?
Sie war allein. Definitiv allein. Es gab keinen Menschen, der sie auch nur annähernd liebte. Ihr Herz brach fast bei dem Gedanken. Und jetzt saß sie hier in der Küche von drei Griechen, die sie so angefahren hatte, dass zumindest zwei von ihnen genauso elendig dreinschauten wie sie. Und sie heulte auch noch! Als wäre ersteres nicht schon schlimm genug. Wahrscheinlich hatte sie es nicht anders verdient, als allein zu sein. Sie war wirklich eine furchtbare Person, wahrscheinlich verdiente sie diese Behandlung.
Axilla verbarg den Kopf hinter ihren Knien, damit die drei ihre Tränen nicht sehen konnten. Sie fühlte sich ja so schrecklich einsam und verlassen. -
„Wie bitte…?“ Axilla wurde bei den Worten des Jüngsten der drei so wütend, dass ihre Stimme ganz gefährlich leise wurde. Ihr ganzer Körper spannte sich an wie bei einer Katze kurz vor dem Sprung. Dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt, merkte sie erst, als ihr die Knöchel vor Anspannung wehzutun anfingen. Sie war einen Herzschlag davon entfernt, loszustürmen und dieser letzten Beleidigung mit einem ordentlichen Kinnhaken – denn auch wenn man es ihr nicht zutraute, Axilla schlug eine fiese Rechte – zu begegnen, als der Große losbrüllte.
Das Geräusch des scheppernden Topfes ließ sie so unvermittelt zusammenzucken, dass sie nur noch zitternd dastand. Noch nie in ihrem ganzen Leben war sie so beleidigt worden wie in den letzten fünf Minuten. Nicht einmal Silanus hatte es geschafft, dass sie sich so maßlos wütend fühlte. Und das einzige, was sie im Moment zurückhielt, laut zu schreien, war ihre Angst vor dem größten der drei. Sein Wutausbruch hatte sie eingeschüchtert, wurde ihr doch bewusst, dass er um einiges größer und stärker als sie war. Auch wenn sie sonst nicht ängstlich war und eigentlich immer ein viel zu loses Mundwerk hatte, im Moment wusste sie gar nichts zu sagen.
Timos entschuldigte sich, und auch der Große, und ihr wurde ein Platz angeboten. Sie stand nur da wie ein verwundetes Tier, die Hände immer noch zu Fäusten gebannt, den ganzen Körper angespannt und die Augen vor Schreck leicht geweitet. Ihre Kehle fühlte sich so unendlich trocken an.
„Fass mich nicht an“ zischte sie wütend, als auch nur die Andeutung einer Bewegung in ihre Richtung ging. Sie zitterte noch immer, als sie sich schließlich setzte – in gebührendem Sicherheitsabstand und mit einem Blick, bei dem jeder Hund winselnd davongerannt wäre. „Ich will meine Tunika“, brachte sie schließlich noch heraus. So halbnackt hier herumzusitzen war jetzt definitiv nicht nach ihrem Geschmack. -
Axilla erschrak sich erstmal gehörig, als noch ein dritter Grieche plötzlich sich aufrappelte und schlaftrunken erstmal Ruhe und keine zehn Sekunden später Essen haben wollte. Da stand sie nun, an einem Ort, den sie nicht kannte, in einer zu großen, sie kaum anständig bekleidenden Tunika, mit einem angezogenen Timos, einem halbnackten Unbekannten ihres Alters und einem fast nackten Hünen, die in sehr erregtem Ton miteinander sprachen. Und jetzt sollte sie dazu was sagen? Sie verstand nur Pferdewechselstation.
„Was?“ Ihre Stimme war leise und schrecklich hoch. Sie versuchte die Informationen zusammenzutragen. Timos arbeitete für ihre Cousine? Blieb ja nur Urgulania bei der großen Auswahl übrig. Und er hatte sie abgefüllt und dann hier mit ihr geschlafen? Wenigstens hatte sie in einem Punkt nun Klarheit. Aber ihre Familie würde nicht nur ihn vierteilen, sondern sie wahrscheinlich gleich mit!
Bei Timos’ letzten Worten aber blitzte es ziemlich wütend in ihren grünen Augen. „Da war wohl jemand schneller“? BITTE? Sie starrte ihn an, als wolle sie ihn gleich anspringen und würgen. -
Nach den Worten des Großen am Herd zu urteilen, kannten sie beide sich wirklich. Aber nicht so, und Axilla war schon mal ein Stück weit beruhigt. Ihr fiel sogar wieder ein, woher sie den großen Griechen kannte! So einen großen Mann vergaß man nicht so leicht, auch wenn er nur im Profil zu sehen war. Er hatte ihr ein Schreiben für Urgulania gegeben.
Aber Timos zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie war sich nicht sicher, was genau zwischen ihnen beiden vorgefallen war, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Sie hatte keine Schmerzen, also hatte sie wohl alles auch freiwillig mitgemacht. Schlecht sah er ja auch nicht aus, und vielleicht war ja alles auch viel harmloser, als sie es sich dachte.
„Ich habe mir deine Tunika ausgeliehen. Meine war nicht im Zimmer.“
Das klang zwar bescheuert, aber irgendwas musste sie ja sagen. -
So, jetzt war sie angezogen, die Haare waren einigermaßen in Ordnung und sie hatte auch keinen Dreck unter den Fingernägeln. Wenn sie demnächst nicht noch damit anfangen wollte, nachzuschauen, ob auch ihre Zähne in Ordnung waren, musste sie sich langsam ihrem Problem stellen. Sie konnte nicht ewig winzig kleine Schritte machen, jetzt war der Abgrund da und sie musste springen oder abstürzen, etwas anderes gab es nicht.
Sie stellte sich vor die Türe. Die Hände zu Fäusten geballt. Sie konnte nicht einfach hier sitzen und warten, bis jemand zu ihr hereinkommen würde. Sie war doch kein Feigling.
„Nur Mut, kleines Eichhörnchen, nur Mut.“
Wenn ihr Vater diesen Satz gesagt hatte, wirkte er besser, aber zumindest ein klein wenig mutiger fühlte sie sich. Sie atmete noch einmal tief durch, fast, als wolle sie sich einem Boxkampf stellen, und öffnete die Tür.
Selbstsicher wie eine Göttin trat sie aus dem Raum und sah sich um, als wäre nichts. In der kurzen Männertunika, die ihr halb von der Schulter rutschte, musste man das erstmal hinbekommen. Als ihr Blick auf die beiden Griechen am Tisch fiel, änderte sich das aber ein wenig. Der eine war der Grieche, den sie gestern am Markt kennen gelernt hatte, das erinnerte sie sich. Timos, hatte er sich vorgestellt. Aber der andere kam ihr auch bekannt vor. Sie hatte doch wohl nicht mit beiden…? -
Es war hell. Axilla grummelte etwas vor sich hin und zog sich die Decke über den Kopf. Sie wollte noch nicht aufstehen. Warum war es überhaupt so hell, und warum hörte sie niemanden schon in ihrem Zimmer geschäftig herumwühlen? Sonst hatten die Sklaven ja auch kein Problem damit, sie zu wecken?
Axilla öffnete die Augen und bemerkte als erstes, dass sie eine sehr komische Decke hatte. Was war das denn? Sie blinzelte verschlafen und merkte ein leises Pochen in ihrem Kopf. Irgendwas passte nicht. Sie zog sich die Decke vorsichtig vom Gesicht, und hätte vor Schreck beinahe geschrien.Wo war sie?
Sie kannte diesen Raum nicht. Er gehörte aber ganz sicher nicht zu ihrer Villa. Sie lag in einem einfachen Bett in einem karg eingerichteten Zimmer. Durch das Fenster drangen ganz entfernte Geräusche von Menschen, aber auch diese Geräusche klangen unbekannt.
Und noch eine weitere Frage drängte sich auf:Warum war sie nackt? Und wo war ihre Kleidung?
Axilla sah sich im Raum um. Da war zwar eine Truhe, aber das da drin war eindeutig nicht ihre Kleidung. Sie wickelte sich die Decke um und kletterte ganz vorsichtig aus dem Bett. Sie hatte irgendwie ein seltsames Gefühl im Unterleib, wollte sich darüber aber jetzt keine Gedanken machen. Der Raum war nicht besonders groß, und wenn sie aus dem Fenster sah, kam ihr der Anblick nicht gerade bekannt vor. Es war Alexandria, aber WO in Alexandria?
Von hinter der Tür hörte sie Geräusche. Gedämpftes Reden. Und ein Geruch von Essen hing in der Luft.
Axilla überlegte fieberhaft, was sie machen sollte. Wie spät es wohl war? War sie entführt worden? Sie versuchte, sich an den vergangenen Tag zu erinnern. Sie wusste noch, dass sie einen Griechen getroffen hatte und mit ihm ein wenig umhergezogen war, aber dann… Irgendwo war da ein großes, schwarzes Loch in ihrem Kopf. Verschwommen mischten sich ein paar Erinnerungen an ihren Vater und den Kletterbaum in Tarraco darunter, aber wie sie hier her gekommen war, hatte sie keine Ahnung. War sie mit dem Griechen mit nach Hause gegangen? Und wenn es schon nächster Tag war, wie würde Urgulania darauf wohl reagieren? Hoffentlich hatte Leander mitgedacht und gesagt, sie würde schon schlafen, falls nach ihr gefragt worden war. Eigentlich war der Sklave ja sehr zuverlässig. Aber man wusste ja nie.Axilla lauschte an der Tür und vermeinte, zwei Männerstimmen auszumachen. Aber was sollte sie mit dieser Information jetzt anfangen? Sie überlegte, aber sie hatte keine Ahnung. Und das dumpfe Pochen in ihrem Kopf war nicht gerade hilfreich.
Und sie musste mal! Zum Glück war wenigstens dafür gesorgt.
Nachdem sie sich erleichtert hatte, war sie mit ihren Überlegungen aber keinen Schritt weiter.
„In Ordnung. Du weißt nicht, wo du bist, du weißt nicht, wie spät es ist und du weißt nicht, wie du hierher gekommen bist. Aber eins nach dem anderen. Als erstes Mal brauch ich was zum Anziehen.“
Die Sachen in der Truhe waren Männerkleidung. Und noch nichtmal besonders vornehme. Aber sie hatte die Wahl, Bettdecke oder Männersachen. Die Kleidung hatte nach einer Überlegungszeit von 0,5 Sekunden gewonnen. Also zog sie sich leise so gut es eben ging an. Auch, wenn es ihr hoffnungslos zu groß war und grade mal bis über die Knie ging. -
„Also passt du auf, dass alle bei den Getreidespeichern ihre Arbeit richtig machen und nichts klauen?“
Besonders abenteuerlich klang das ja nicht. Wobei, die Ägypter waren schon ein verschlagenes Volk, vielleicht gab es da ja geheime Bündnisse, die das Korn heimlich selbst verkaufen wollten. Dann würde Rom hungern müssen! Na, vielleicht war das ja doch ganz spannend.
„Und was machst du, wenn doch mal was fehlt?“ Axilla konnte sich Urgulania auf der Jagd nach einem Dieb gar nicht so wirklich vorstellen. -
Axilla genoss seine Wärme und Nähe, und nach einer Weile war alles vergessen, auch der Grund, warum sie geweint hatte. Zurück blieb nur die sanfte Entspannung und die unglaubliche Müdigkeit und ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Ihre Augen wurden schwer, und nach wenigen Momenten war sie ganz friedlich eingeschlafen.
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Sie war müde. Entspannt, glücklich, aber unglaublich müde. Seine wärmende Nähe war so schützend, seine Worte so sanft. Und dann sagte er sogar das Wort, ihren wahren Namen. Sie kuschelte sich ganz dich an ihn, vergrub ihren Kopf an seiner Brust, hielt sich an ihm fest. Ein paar Tränen flossen.
„Halt dich fest, mein Eichhörnchen“, hatte Vater gesagt, als er ihr das Reiten beigebracht hatte. Ganz plötzlich war diese Erinnerung da, Axilla hatte sie schon ganz vergessen, aber jetzt war sie da. Wie geborgen sie sich an diesem Tag gefühlt hatte. So sicher, so beschützt. „Mein Eichhörnchen. Skioura“, das war ihr wahrer Name. Das war ihre Seele, ihr Glück, ihr Leid, ihr ganzes Wesen. Skioura.
Sie schmiegte sich ganz dicht an Timos, der natürlich nichts von ihren Gedanken und Erinnerungen wissen konnte, und hielt sich einfach an ihm fest. Sie fühlte sich wieder so sicher, so geborgen, so glücklich. Sie wollte, dass er sie nicht wieder los ließ. Nie wieder. -
Sie gab sich ganz seiner sanften Führung hin. Zu etwas anderem wäre Axilla vermutlich auch nicht in der Lage gewesen, zu berauscht war sie immer noch von allem vorangegangenen, aber am meisten von Timos selbst. Ihr Körper bog sich seinem entgegen und sie ließ sich einfach fallen. Sie war nur noch Gefühl, nicht mehr Verstand. Sie wollte nur noch genießen, geborgen sein, Nähe spüren. Und sie wollte Timos schmecken, atmen, fühlen. In diesem Moment war alles andere unwichtig.
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Axilla wollte nicht so lange warten. Schon auf dem Weg fing sie damit an, Timos zu liebkosen und über seinen Körper zu fahren, sich dicht an ihn zu schmiegen. Als er sie auf das Bett setzte, zog sie ihn gleich mit sich herunter und zog ihn auf sich. Seine Haut fühlte sich warm an unter ihren Fingern und sie liebkoste jeden digitus, an den sie kam, mit Küssen.
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Ein liebes Wort, nur ein Wort! Nein, Axilla würde nicht wieder schwach werden. Sie sah stur gerade aus und nicht in Silanus Augen, damit er es nicht sehen konnte. Sie würde stark bleiben und sich nicht dazu erniedrigen, ihm irgendwas zu sagen. Sie würde ihn auch nicht vermissen. Gar nicht. Sie würde hier in Alexandria ihr Leben genießen und Feste feiern und alles tun, woran man sich als junger Mensch eben so erfreute. Sie hatte keinen Liebeskummer mehr, ganz bestimmt nicht, und erst recht nicht, wenn er in ihrer Nähe war. Und schon dreimal nicht, wenn er die Rüstung anhatte.
„Gut. Ich werde dir dann regelmäßig Schreiben, falls es länger dauern sollte mit deiner Rückkehr.“
Zur Sicherheit verschränkte Axilla ihre Arme vor der Brust, damit sie nicht doch noch schwach wurde. Was musste er auch die Rüstung tragen? -
Kurz bebte ihr Kinn und ihre Augen blitzten beleidigt, als sie zu Silanus hinüber sah, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
„Ja, ich möchte hierbleiben. Ich habe hier Freunde gefunden, und Urgulania macht sich die Mühe, eine angemessene Arbeitsstelle für mich ausfindig zu machen. Außerdem habe ich Aelius Archias schon zugesagt, ihn und seine Verlobte zu den Pyramiden zu begleiten.“Die Sätze, dass sie ihn in seinem Officium schon verstanden hatte und sie deshalb seine Nähe grade nicht haben wollte, verkniff sie sich.