Männer! Axilla verdrehte theatralisch die Augen und schüttelte den Kopf. Warum nur hatten die meisten Kerle keinen Sinn für Poesie? Schaltete sich beim ersten Schlag auf den Kopf bei ihnen jegliche Phantasie unwiederbringlich aus? Dass sie alles immer so genau nehmen mussten! Schlimm sowas.
„Ist es denn nicht so, wenn du sie ansiehst? Abgesehen davon musst du das ja nicht so interpretieren. Und ich hab doch gesagt, du dürftest nicht ganz so dick auftragen, weil du kein Dichter bist.“
Einen Moment lang überlegte Axilla, ob sie sich nicht doch besser einen Hund suchen und ihm das Schreiben beibringen sollte. Wie konnte jemand mit soviel Scharfsinn und Witz nur sowenig Sinn für Poesie haben?
„Tja, das Vorrecht der Frauen ist es, Zeit für Gedichte zu haben. Und weil wir nicht in irgendwelchen Räumen sitzen und Papierkram erledigen oder durch die Gegend marschieren und Krieg führen, lesen wir eben viele Gedichte. Das Problem ist nur, dass die Männer, von denen wir solche Gedichte wollen, solche nie schreiben.“
Axilla verlor ihren strengen Gesichtsausdruck und blickte ganz milde, beinahe schon nachsichtig zu Archias. Sie wollte ihm gerne helfen, etwas romantischer zu werden.
„Vielleicht kannst du dir ja das Buch mal durchlesen. Zumindest ein paar Gedichte. Die sind wirklich alle sehr hübsch, ein paar ein bisschen gewagt, nungut, aber… Frauen mögen sowas. Wirklich.
Und ansonsten kannst du ja immer noch das Picknick planen, oder auf der Reise zu den Pyramiden fällt dir sicher was ein, wo du ihr es einfach in einem romantischen Moment sagen kannst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich jemand nicht mag.“
Archias war ja wirklich ein netter Kerl, noch dazu aus der Familie des Kaisers, jung und gutaussehend. Welche Frau würde ihn denn schon von der Bettkante schubbsen?
Beiträge von Iunia Axilla
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Silanus überzeugen? Das könnt schwierig werden. Axillas Freude erhielt allein bei dem Gedanken einen derben Dämpfer. Aber vielleicht konnte sie es ja anders anstellen und Urgulania stattdessen fragen? Ja, das war gut, Silanus einfach gar nicht selber zu fragen sondern Urgulania vorzuschicken, das war sehr gut. Dann kam sie schon nicht auf dumme Ideen, wenn sie ihren Vetter sah. Ja, so würde sie das machen, bestimmt.
Als Archias anfing zu dichten, musste Axilla kichern. Das war ja schrecklich! Das war ja sogar schlimmer als nur schrecklich! „krrrmpf… nein, lieber nicht sowas krchkrch… du solltest vielleicht mal ein bisschen lesen… krmpf.. bevor du weiter reimst.“
Es tat Axilla ja furchtbar leid, dass sie sich nicht beherrschen konnte, aber seine Dichterei war wirklich zum Totlachen. Sie winkte einem Sklaven und schickte ihn los, Catull oder Ovid oder etwas Vergleichbares zu bringen. Wenig später war dieser auch mit ein paar von Catulls carmina zurück. Axilla kannte diese Gedichte und Lieder fast alle auswendig, also brauchte sie nicht lange, ihm ein schönes herauszusuchen und vorzulegen.
„(Catullus carm. 51, 1-12)Ille mi par esse deo videtur
ille, si fas est, superare divos
qui sedens adversus identidem te
spectat et auditdulce ridentem misero quod omnis
eripit sensus mihi. nam simul te,
Lesbia, aspexi, nihil est super mi
vocis in ore,lingua sed torpet, tenuis sub artus
flamma demanat, sonitu suopte
tintinant aures, gemina teguntur
lumina nocte.“Der scheint mir einem Gott gewachsen, der scheint mir, mit Verlaub, den Göttern noch überlegen, der dir gegenüber sitzt und immer wieder dich anschaut und hört,
wie du süß lachst – mir Armem hat das alle Sinne geraubt. Denn sobald ich dich, Lesbia, ansehe, bleibt mir keine Stimme mehr im Munde, sondern die Zunge ist erstarrt, eine feine Flamme fährt mir tief in die Glieder, vom eigenen Schalle klingen die Ohren, die Augen decken sich mit doppelter Nacht.Sie musste nicht mal auf das Papier schauen, um es zu rezitieren. Sie liebte diese Art von Gedichten, stundenlang könnte sie solch süße Worte lesen. In dieser Beziehung war sie heillos romantisch.
„Sowas meinte ich. Vielleicht nicht ganz so dick aufgetragen, du bist immerhin kein Dichter. Die dürfen ja so übertreiben.“ -
Sun, Wu… die Namen dort waren wohl wirklich alle sehr kurz. Und wenn das eine lehrreiche Geschichte war, dann war sie nicht besonders schön verpackt. Axilla bevorzugte davon mal abgesehen eigentlich ohnehin eher Liebesgeschichten mit viel Herzschmerz, aber auch die normalen Legenden, die sie kannte, waren wenigstens etwas schöner verpackt. Komisches Land, dieses Han.
„Was wir daraus lernen? Das es wohl einen Grund hat, warum beim Militär nur Männer sind und keine Frauen. Und das man als General ein bisschen lebensmüde wohl sein muss. Die Lieblingskonkubine des Imperators zu töten, da hätte sein Kopf ganz schnell hinterher rollen können.“ Und in einem vernünftigen Land auch müssen, setzte sie in Gedanken dazu. Man tötete doch nicht einfach so eine Frau, weil sie kicherte? Frauen waren schließlich keine Soldaten, Frauen waren Frauen.
Nachdem Axilla im ersten Schock unüberlegt so ihre Gedanken dahergeplappert hatte, machte sie sich aber doch mal kurz die Mühe, über diese seltsame Geschichte nachzudenken, und noch einen tieferen Sinn zu finden.
„Hmmm, dieser General dachte wohl ein wenig wie Imperator Caligula. Oderint dum metuant*, soll er ja gesagt haben. Als Politiker muss man wohl bereit sein, auch unliebsame Entscheidungen zu treffen, um sich dadurch den nötigen Respekt zu verschaffen. Angst schafft schnell Respekt.
Ich persönlich finde aber Überzeugung trotzdem besser. Wenn man jeden gleich umbringt, weil er nicht macht, was man will, lernt der ja nie was.“Sim-Off: *Sollen sie mich hassen, solange sie mich fürchten
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„Naja, der letzte Baum ist zwar schon drei Jahre her, aber eigentlich kann ich ziemlich gut klettern. Das andere musst du wohl selbst rausfinden.“
Auch Axilla fiel in das ansteckende Lachen mit ein.
Seine zweite Bemerkung aber ließ sie kurz stocken. Flirtete er mit ihr, oder was war das für eine Bemerkung? Sie warf ihm kurz einen schüchternen Blick zu und wandte sich dann mit ihrer üblichen Fröhlichkeit wieder dem Tisch zu. Nicht, dass er noch auf dumme Gedanken kam.
„Sehr viel Ernst für so ein kleines Wort wie Harmonie, oder so ein kurzes wie Dao. Hmmm, gibt es auch andere Schriften dort? Ich meine, Gedichte oder Heldengeschichten oder sowas.“
Axilla liebte ja Gedichte über alles. Zumindest, solange sie nicht zu schwermütig daherkamen oder zugunsten des Hexameters allzu schwulstig formuliert waren. Ganz besonders hatte es ihr Ovid angetan, wenn sie das aber nie öffentlich zugeben würde. -
Milde oder nicht Milde, das war hier die Frage. Axilla sah durchaus ein, dass es für einige Dinge sehr schwere Strafen gab, für andere Dinge konnte sie Strafen nicht nachvollziehen. Deshalb war ihr Verhältnis zu Härte und Milde bei Gesetzen recht ambivalent.
„Hmmm…. Hmmmmm…..“ Sie wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Dieses Land Han war komisch. Wenn dort die Menschen nicht nett zueinander waren, weil das jeder gleich als Schwäche auslegte, wollte sie lieber nicht dorthin reisen. Höflichkeit war zwar ganz gut, angemessenes Behandeln auch, aber manchmal brauchte man doch auch herzliche, ausgelassene Freundschaftlichkeit, um sich richtig zuhause zu fühlen. Sonst war das Leben doch kalt?Axilla rettete sich in ein fröhliches Lachen. „Ich glaube, mein Lehrer hatte Recht. Ich bin nicht ernst genug für Philosophie. Er meinte immer, dass Faunus mich eines Tages noch in ein Eichhörnchen verwandeln würde, damit ich meiner wahren Natur näher wäre.“
Eigentlich hatte Iason das gemeint, weil sie als Kind andauernd auf irgendwelche Bäume geklettert war und sich mehr als nur eine Schramme dabei geholt hatte. Aber in Bezug auf Philosophie passte sein Gleichnis wohl auch, fand Axilla.
„Und sind alle Schriften von Lao so ernst?“ -
Irgendetwas an seiner Aussage kratzte an Axillas Nationalempfinden, aber es war nicht so schlimm, als dass sie sich davon die gute Laune verderben lassen würde. Und wenn die Prüfung schwer war, durfte Marcus sich ja auch freuen. Auch wenn Axilla nach wie vor der Meinung war, dass das römische System das bessere war. Aber das würde sie ihm so nicht sagen.
„Das ist ja sehr kompliziert, wenn dort ein Beamter alles können muss. Und dann noch auswendig. Ich schätze, ich wäre wohl nichtmal als Scriba dort zu gebrauchen.“Axilla suchte sich wieder eines von den Schriftstücken mit griechischen Buchstaben, und las es sich durch. Da ihr griechisch nicht allzu sicher war, murmelte sie dabei die Worte vor sich hin.
„ Himmel und Erde sind nicht gütig.
Ihnen sind die Menschen wie Opferhunde aus Stroh.
Der Berufene ist nicht gütig.
Ihm sind die Menschen wie Opferhunde aus Stroh.
Der Raum zwischen Himmel und Erde ist wie eine Flöte, leer und fällt doch nicht zusammen; bewegt kommt immer mehr daraus hervor.
Aber viele Worte erschöpfen sich daran.
Besser ist es, das Innere zu bewahren.
Kommentar:
Die Menschen sind für den Kosmos unbedeutend wie Opferhunde aus Stroh. Denn was ist der Mensch schon gegen den Kosmos? Durch Güte kann man keine Ordnung herstellen.
Der Raum zwischen Himmel und Erde ist erfüllt vom Dao, so wie alles. Deshalb kann er nicht zusammenfallen und gibt der Welt, was sie benötigt. Doch soll man nicht versuchen, mit Worten zu beschreiben, was man nur im Innersten erfahren kann.“
Ein wenig grübelnd saß Axilla über der Schrift und schaute dann zu Marcus hoch. Sie verstand den Text auf eine Art und auf eine andere wieder nicht. Irgendwie war dieser Text sehr verwirrend. Und sie dachte, nach Sokrates könne sie nichts mehr verwirren! Wie sehr sie sich getäuscht hatte.
„Das ist aber eine sehr grausame Lehre, oder? Alle anderen predigen immer davon, lieb und nett zueinander zu sein.“ -
Wissbegierig sah Axilla auf das Papier, und musste grinsen. Das war vielleicht eine komische Sprache! Da waren ja gar keine vernünftigen Buchstaben, aber es waren auch keine richtigen Bildchen, wenn einiges doch stark an Häuser erinnerte. Und irgendwie schienen die Zeichen alle verkehrt zu stehen, zumindest erkannte sie nicht, wo ein Wort aufhörte und das nächste anfing.
„Bist du sicher, dass du es richtig übersetzt? Hier sind viel weniger Buchstaben drauf, oder sind die Worte aus Han alle so kurz wie Dao?“Da sie es nicht lesen konnte, verlor sich bald ihr Interesse an dem Papier. Zwar interessierte sie durchaus, was darin stand, aber da unterhielt sie sich lieber mit Marcus und fragte ihn darüber aus. Gelesen hatte sie heute ohnehin schon genug, so konnte sie ein wenig die Augen schonen und einfach fröhlich dahinplappern.
„Wie kommt es, dass du dort Beamter warst? Peregrini werden doch nicht Beamte?“
Dass nicht jedes Reich wie das Römische organisiert war und es durchaus auch hier Ränge für Nicht-Römer gab, daran dachte Axilla gar nicht. Für sie war die Beamtenlaufbahn etwas, das von alten, langweiligen Männern beschritten wurde und irgendwann im Senat endete. So genau hatte sie sich nie damit befasst, hatte sie bislang doch genug anderes zu tun. Eine kranke Mutter zu pflegen erschien ihr früher sinnvoller, auch wenn sich das jetzt langsam auch rächte. -
„Mir wär aber grade nach hüpfen. Hüpfen ist toll, hüpfen ist beschwingt. Schade, dass alle Sachen, die Spaß machen, immer mit einem Hauch von Verbot daherkommen.“
Nichts desto trotz setzte sich Axilla auf den angebotenen Hocker, ohne aber auch nur einen Hauch ihrer Beschwingtheit einzubüßen. Fast könnte man meinen, sie würde auf dem Stuhl sitzend gleich anfangen zu tanzen. Selbst das Kompliment, das eine sanfte Röte auf ihre Wangen zauberte, bremste sie nicht. Im Moment fühlte sie sich frei wie ein Vogel. Sie wünschte sich die Flügel des Ikarus, damit sie auch fliegen könne.
Neugierig sah sie auf die ausgebreiteten Zettel. Ihr Auge überflog ein wenig von dem Geschriebenen – was gar nicht so einfach war, war es doch auf Griechisch geschrieben und stand von ihrer Sicht aus auf dem Kopf. Während sie versuchte, es zu lesen und zu begreifen, wurde sie auch wieder etwas ruhiger. Wobei sie vermutlich immer noch so sprunghaft wie ein Eichhörnchen erscheinen mochte.
„Danke, ich habe unser Gespräch auch sehr genossen. Was sind das für Texte, die kenne ich noch gar nicht?“
Natürlich maßte sich Axilla nicht an, alle griechischen Philosophen zu kennen, aber sie hatte doch eine ziemlich breit gefächerte Bildung erhalten. Aber was da stand, kam ihr absolut und gänzlich unbekannt vor. „Was ist ein …“ Sie nahm das oberste Pergament und drehte es zu sich herum, um dieses komische Wort richtig zu lesen. Es bestand nur aus drei Buchstaben, aber Axilla kannte es nicht. „…Dao… dieses Wort kenn ich gar nicht. Ist wohl kein sehr gebräuchliches griechisches Wort, oder?“ -
Man musste sich seinen Ängsten stellen. Harmonie hin oder her, Marcus Achilleos hatte recht gehabt mit seinen Worten. Und so waren kaum drei Tage vergangen seit dem Fest des Alexanders, dass Axilla wieder im Museion war. Diesmal hatte sie sich fest vorgenommen, alles zu lesen, egal wie schrecklich es war. Sie würde ihre Angst nicht bezwingen, wenn sie sich nie wieder traute, Gesetzbücher zu lesen. Sie musste wissen, woran sie war, und ob es wirklich alles so schlimm war. Sie konnte sich nicht immer hinter Ausreden verstecken.
Und so saß sie seit dem frühen Morgen in der Bibliotheke und studierte die Bücher. Nachdem sie den Sklaven nicht immer nerven wollte, nach diesem und jenem zu suchen, ging sie selbst sogar mit ihm mit und schaute die Regale durch. Vollbepackt mit Büchern, die sie überflog, war sie dann wieder an ihrem Tisch und las quer. Die uninteressanten Stellen überging ihr Auge und blieb immer nur an einzelnen Worten hängen, wo sie dann intensiver las. Und schließlich fand sie das, was sie gefunden hatte.
Imperator Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus – der nun zu ihrem persönlichen Lieblingsimperator avancierte – ließ vom Senat das Gesetz über Inzest abändern, so dass jede Verbindung ab dem dritten Grad kein Inzest mehr war. Er wollte seine Nichte Aggripina die Jüngere heiraten und musste daher das Gesetz zuvor abändern lassen.Axilla saß über dem Buch und war so erleichtert, dass sie sich nicht einmal richtig freuen konnte. Sie uns Silanus würden von keinem Felsen geschmissen und im Meer ersäuft werden, auch nicht verbannt. Natürlich war es immer noch unehrenhaft, was sie getan hatten, da sie nicht verheiratet waren, keine Frage. Noch dazu, da er ihr Vormund war, und wahrscheinlich würden es weder ihre Verwandten noch seine Vorgesetzten auch nur ansatzweise verstehen. Aber sie würden leben dürfen, selbst wenn es eines Tages ans Licht käme.
Je mehr diese Erkenntnis sich gesetzt hatte, umso mehr freute sich Axilla. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, das schließlich fast bis zu den Ohren reichte. Ihr war nach heulen und lachen gleichzeitig zumute. Und nach tanzen, singen, hüpfen, jubeln… selbst an den Bacchanalien hätte man wohl keinen gefunden, der sich so ausgiebig gefreut hätte, wie sie es am liebsten wollte. Sie versuchte, sich zu beherrschen, und räumte noch eben die Bücher wieder zurück. Aber auf ihrem Weg Richtung Ausgang hielt sie es nicht mehr aus, hüpfte mit einem kleinen Freudenschrei einmal im Kreis und tanzte sogar kurz mit dem Sklaven, der ihr das Buch gebracht hatte. Die meisten Besucher der Bibliotheke schauten sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Naja, wahrscheinlich hatte sie das auch im Moment.Sie wollte gerade nach draußen gehen, als sie es sich anders überlegte. Marcus Achilleos hatte nicht unwesentlichen Anteil an ihrer Freude, und sie wollte ihm danken. Sie fragte also den noch immer völlig verdutzten Sklaven nach ihm und ließ sich die Richtung weisen. Beschwingt begab sie sich also in die Ecke, in der er saß. Schon zwanzig Schritte vorher erspähte sie ihn, wie er über verschiedenen Papieren gebeugt saß und etwas schrieb. Schnell kam sie zu ihm herüber und blieb aufgeregt und noch immer freudestrahlend neben ihm stehen.
„Salve!“ begrüßte sie ihn und ihre Stimme überschlug sich beinahe, wollte sie doch jauchzen und jubeln und singen. Damit er sie nicht auch noch für vollkommen übergeschnappt hielt, gab sie ihm noch eine Erklärung für ihre Freude. „Du hattest recht, die Ratte ist weg.“ -
Das mit der Harmonie verstand Axilla nicht richtig. Sie hatte bisher erst einen Moment kennen gelernt, in dem alles egal war und es keine Gegensätze mehr gegeben hatte, aber das konnte Marcus unmöglich meinen! Bei ihm klang es nach etwas viel reinerem, was man bei jeder Tat erreichen konnte.
Als er sie dann so komisch ansah und von Gesetzen redete, wurde Axilla ganz anders. Wußte er was? Ahnte er was? Hatte sie sich verraten? War ihr Besuch im Museion zu auffällig gewesen? War vielleicht über die Bücher, die sie gelesen hatte, irgendwo ein Schriftstück entstanden? Sie spannte sich innerlich an und log, um ihren Kopf aus der vermeintlichen Schlinge zu ziehen.
„Ratten. Weißt du, wir haben eine große, dicke, haarige Ratte bei uns in der Speisekammer, selbst die Katzen trauen sich an das Vieh nicht heran. Die ist wirklich widerlich.“
Hoffentlich wurde bald das Opfer für Fortuna dargebracht, das würde etwas ablenken. Axilla hatte gerade ziemliche Panik, versuchte aber, möglichst ruhig zu wirken. Sie wusste, dass er es nicht wissen konnte. Jetzt durfte sie sich nicht noch verraten.
Das sein Tipp, dass sie vielleicht doch mal nach neueren Gesetzen und Gesetzesänderungen suchen sollte, eigentlich ganz gut war, nahm sie in diesem Moment gar nicht wirklich wahr. -
„Und was genau ist dann Harmonie?“
Die Frage klang vielleicht etwas dumm, aber vielleicht verstand er ja etwas anderes darunter als sie. Für sie war Harmonie schlicht und ergreifend ein vollkommener Moment des glücklich Seins, der aber durchaus vergänglich war, auch wenn man sich wünschte, er würde ewig halten. Aber so wie er davon sprach, war Harmonie als Endzustand anzustreben, und das nicht erst in elysischen Gefilden.
Aber vielleicht hatte dieser Meister Lao ja auch recht. Axilla hatte sehr viel Angst und machte sich deshalb andauernd Gedanken. Vor allem hatte sie im Moment Angst, sich irgendwie zu verraten und damit sich selbst und vor allem Silanus zu schaden. Das würde sie sich nie verzeihen. Deshalb fühlte sie sich schon seit Tagen ziemlich schlecht, von so kurzen Ablenkungen wie diesem Fest einmal abgesehen. Aber sie konnte nicht einfach aufhören, Angst zu haben. Wie sollte sie das anstellen?
„Und wenn man vor etwas Angst hat, wie macht man dann, dass diese verschwindet und man wieder… harmonisch wird?“
Irgendwie war der Gedanke beunruhigend, dass sie gerade durch ihre Angst Silanus noch einen Schaden zufügen könnte. Aber Marcus hier war weit gereist, vielleicht gab es für ihre Angst ja wirklich eine einfache Lösung. -
Naja, ob ihre Familie wirklich so harmonisch war? Was verstand er unter Harmonie? Ihre Eltern waren tot, sie hatte mit dem Vetter ihres Vaters geschlafen, Urgulania war wegen dem neuen Amt viel unterwegs, ihren Onkel hatte sie noch nicht einmal gesehen und mit Varilla konnte Axilla beim besten Willen nichts anfangen, dafür waren sie zu verschieden. Irgendwie bezweifelte sie, dass dieser Zustand auch nur in irgendeiner Form als Harmonie bezeichnet werden könnte. Aber das würde sie Marcus bestimmt nicht so auf die Nase binden.
Bei seinen Worten zu Lao zog sie die Stirn ein wenig kraus. Ein wenig klang das wie die Kyniker, die auch propagierten, dass alle weltlichen, äußerlichen Dinge abgelegt werden sollten und die Natur schon alles richten und für alles sorgen würde. Axilla fand, dass diese Menschen herumlungernde Bettler waren und Armut absolut nichts Edles an sich hatte. Und auch diese neue, jüdische Sekte gab ähnliche Töne von sich, dass die Ärmsten eigentlich von den Göttern – oder besser ihrem Gott - am meisten geliebt wären. Axilla fand das alles ziemlichen Blödsinn.
Sie versuchte, ihre Gedankenwelt möglichst diplomatisch mitzuteilen, um Marcus nicht einfach so schweigend stehen zu lassen.
„Sein Schicksal so in Fortunas Hände zu legen halte ich nicht unbedingt für erstrebenswert. Wenn man etwas will, dann muss man auch etwas dafür tun. Du bist ja auch in den Osten gereist, um zu lernen, und hast nicht gewartet, bis der Osten zu dir kommt. Wenn man nur dasitzt und wartet, passiert doch nichts.“
Dieser Lao war schon ein sehr komischer Mann, wenn er sowas sagte. Aber vielleicht hatte sie es auch nur falsch verstanden? Aber nichtmal im goldenen Zeitalter, als es noch kein Leid und kein Übel auf der Welt gab, hätte Axilla einfach so dasitzen und warten können, damit das, was sie will, zu ihr kommt. Wahrscheinlich war genau das ihr Problem.Wo sie grade schon beim Thema waren, trat der Gymnasiarchos vor und hielt eine Rede über den göttlichen Alexander und Tyche, die ja Fortuna war. Auch ließ er den Praefectus bejubeln, und Axilla klatschte auch mit der Menge mit, wenn auch nicht so überschwänglich wie so mancher Jubler hier in der Menge. Natürlich achtete und verehrte sie den Praefectus, aber sie fand, die Griechen übertrieben immer so maßlos.
„Das ist auch wieder ein Teil von dem, was ich meine. Fortuna wird gnädig gestimmt durch ein Opfer, und es wird nicht nur darauf gehofft, dass sie auch so gnädig ist.
Hmmm, findet das eigentlich hier auf dem Platz statt?“
Zuzutrauen wär es den Griechen. Die kamen auf die lustigsten Einfälle, wenn man sie machen ließ, soviel hatte Axilla seit ihrer Ankunft hier schon gelernt. -
Zitat
Original von Marcus Achilleos
Harmonie in der Welt fördern? Das klang ja beinahe schon romantisch. Axilla lächelte ein wenig verträumt, als Marcus sie überraschte. Sie sollte zu ihm ins Museion kommen, wenn sie gerne so diskutierte? Verschlagen sah sie zu ihm hoch.
„Vielleicht schau ich mal vorbei“ kokettierte sie ein wenig. Diese Einladung war zwar bestimmt nicht so persönlich, um als unschicklich zu gelten, aber sie war zumindest ein bisschen ungewöhnlich. Nungut, ein Museion war ein öffentlicher Platz, also konnte Axilla auch bei größter Phantasie keine ungebührlichen Absichten unterstellen. Aber sie liebte es, ein wenig zu reizen, wenn auch nur scherzhaft.
Bevor ihr Gegenüber wirklich noch auf falsche Gedanken kam, was sie dachte, löste sie das ganze aber besser auf. Sie lachte herzlich und schaute sich noch einmal um, was hier denn noch weiter passierte. Auf der Bühne schien gerade etwas besprochen zu werden. Schade, das Axilla es nicht hören konnte, sie war doch so neugierig.
„Ich werde meine Verwandten mal fragen, ob es in Ordnung wäre. Ich muss sagen, dass es mir Spaß machen würde, mal wieder ein wenig über Philosophie zu lernen.“ -
Wieso wusste er nicht, was sie davon hielt, seine Zukünftige zu sein? So wie Archias Augen kurz geblitzt hatten war sich Axilla eigentlich sicher, dass das keine reine Vernunftehe wäre, aber so wie er jetzt sprach, klang es doch eher danach.
Aber sie hatte gar nicht lange Zeit, darüber nachzudenken, denn bei seinen nächsten Worten fiel sie beinahe vom Stuhl. Sie dürfte mit zu den Pyramiden?! Meinte er das ernst? Einen Moment saß Axilla nur mit weit aufgerissenen Augen da, völlig perplex und sprachlos. Doch dann konnte sie gar nicht anders als so breit übers ganze Gesicht zu grinsen und beim sprechen hoch wie eine Maus zu fiepsen vor Glück. „Du meinst, du würdest mich mitnehmen? Zu den Pyramiden? Wirklich?, Wirklich wirklich?“
Ein Fiepslaut, der noch mindestens eine Oltave höher anzusiedeln war, kündete von reinem, puren Glück. Einige der Besucher des Museion sahen sich belustigt um, während Axilla auf ihrem Stuhl herumhibbelte und sich freute. Als ihr dann aber einfiel, dass sie ja wirklich noch jemanden fragen musste, bekam ihre Freude kurz einen kleinen Dämpfer. Sie würde einfach Urgulania fragen und nicht Silanus. Das war vermutlich besser. Ach, sie musste es nur gut verkaufen.Vor lauter Freude bekam sie seine zweite Frage gar nicht so richtig mit. Erst, als sie sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, fiel es ihr wieder ein. Ein bisschen verwirrt schaute sie Archias an – natürlich überstrahlt von dem immer noch breiten Grinsen. Manchmal verstand Axilla die Männer nicht. Archias war gutaussehend, aus der richtigen Familie und witzig, was machte er sich da Gedanken? Selbst wenn diese Seiana nicht in heißer Liebe zu ihm entflammt sein sollte, würde sie sich wahrscheinlich geehrt fühlen, dass er so für sie empfand. Da konnte man es wahrlich schlimmer treffen.
Aber nach diesem tollen Angebot wollte sie ihren neuen Lieblingsfreund natürlich nicht hängen lassen. Allerdings hatte Axilla ein recht romantisch verklärtes Bild von der Liebe, zumal sie selbst gerade frisch verliebt war.
„Nun, da kannst du vieles machen. Ein Gedicht schreiben, zum Beispiel. Aber nicht irgendeinen billigen Reim, schon was richtiges. Oder… gibt es etwas, dass sie sich wünscht? Das könntest du ihr schenken – natürlich nicht selbst, sondern als Paket von einem heimlichen Verehrer. Oder… hmm, Picknick bei Sternenschein, wobei das vielleicht einen Hauch zu kitschig ist. Oder… du kannst es ihr natürlich auch im passenden Moment einfach sagen. Ich kenn sie ja nicht, ich weiß ja nicht, wie romantisch sie ist.“ -
Axilla wäre schon sehr gespannt gewesen auf „Das da mit Granaten“, aber jetzt bekam sie wohl doch nur das, was so lecker ausgesehen hatte. Den Göttern sei Dank war Archias nicht nur witzig, sondern auch wortgewandt und forcierte so ein Tischgespräch. Wären sie weiter nur schweigend dagesessen, hätte sich Axilla bestimmt bald richtig unwohl gefühlt, aber so ließ sie sich von den Geschichten ablenken.
Germania, das klang ja schon wild. Axilla hatte die wildesten Geschichten gehört. Nicht zuletzt, da ihr Lehrer viel für die Varusschlacht übrig hatte. Aber das war ja auch schon hundert Jahre her, und inzwischen waren die Beziehungen ja auch weit besser. Sonst würde eine germanische Familie ja wohl kaum einen römischen Namen führen. So zumindest dachte es sich Axilla.
Und Germanica Aelia war vor Alexandria in Germania und Rom. Axilla war tief beeindruckt. So tief, dass es einen Moment brauchte, bis sie wirklich begriff, wer das vor ihr war. Als der Groschen gefallen war, schaute sie erst einen Moment lang ungläubig, und dann strahlte sie. Sie, ein kleines Mädchen aus der hispanischen Provinz, saß an einem Tisch mit einer waschechten Germanin, einem Verwandten des Imperators und der Frau des Praefectus! Sie! Das glaubte ihr zuhause doch kein Mensch!
Doch plötzlich kam die Gegenfrage von Aelia, und irgendwie schauten die beiden Frauen zu ihr, so dass sie wohl den Anfang machen sollte. Dabei strahlte Axilla dann nicht mehr so sehr, denn sie vermisste ihre Mutter noch immer schrecklich, ebenso wie das Haus und die ganzen Menschen in Tarraco.
„Also, ich bin erst seit ein paar Wochen hier in Alexandria. Davor lebte ich in der Nähe von Tarraco, aber meine Eltern sind jetzt beide gestorben, und naja, hier wohnen meine nächsten Verwandten. Heute ist eigentlich das erste Mal, dass ich so wirklich ganz alleine unterwegs bin.“
Da fiel ihr ein: Wo hatte sie denn den Sklaven gelassen, mit dem sie am morgen aufgebrochen war? Owei, der arme Kerl stand vermutlich noch immer vor dem Cursus Publicus herum und wartete darauf, dass sie zurückkäme. Den durfte sie nachher auf keinen Fall vergessen. Nicht zuletzt, damit er nicht an Urgulania oder Silanus verpetzte, dass sie völlig ohne Begleitung losgezogen war und ihn vergessen hatte. -
„Dafür, dass ich kein Mann bin und noch sehr jung, habe ich ja auch einen guten Lehrer gefunden“, meinte Axilla halb scherzhaft auf das Kompliment. Natürlich machte es sie stolz, gelobt zu werden, aber sie wollte nicht überheblich wirken. Und es stimmte ja auch, nicht jeder Mann würde sich so mit einem Mädchen unterhalten.
Während er von den verschiedenen Lehren erzählte, hörte Axilla ihm aufmerksam und staunend zu. Sie hatte noch nie von so etwas gehört, aber es klang gut. Leben ist Leiden? Axilla wusste das wohl besser als so manch anderer. Der Vater gefallen, die Mutter nach langer Krankheit verstorben, unglücklich verliebt und irgendwie einsam, das war viel Leid für ein sechzehnjähriges Leben. Und sie hatte auch nicht das Gefühl, als ob es wirklich beständig besser würde, für sie war Glück momentan eher so etwas wie die kurze Verschnaufpause zwischen zwei wirklich schlimmen Katastrophen.
Aber das alles zu erleben und dann noch wiedergeboren zu werden, um es noch mal durchzumachen? Das war keine Lehre mehr, das war grausam. Da lobte sie sich die römischen Gottheiten, die die guten Menschen ins Elysium ließen, in diesen ewigen Garten des Sonnenscheins, wo es kein Leid mehr gab. Natürlich gab es auch den Tartarus, aber darüber dachte Axilla lieber nicht allzu viel nach.
„Also, ich würde lieber ins Elysium eingehen als wiedergeboren zu werden. Aber um zu lernen wäre es wohl wirklich ganz praktisch. Aber ich glaube nicht, dass man wirklich alles lernen kann. Denn wenn du diese Lehren begriffen hast, dann gibt es doch bestimmt noch andere, die man dann wieder lernen will und verstehen will, oder? Dann muss man ja schon wieder neu geboren werden, um das auch noch zu lernen.“
Axilla machte ein grübelndes Gesicht. Nicht einmal jeder Gott wusste immer alles, sonst könnten sie sich nicht gegenseitig überlisten. Wie könnte da ein normaler Mensch alles wissen? Das war irgendwie paradox. -
Allein beim Wort Vestalin brachte Axilla einen so entsetzten Blick zustande, dass klar war, für wie verrückt sie diese Idee hielt. Selbst wenn es ihr noch möglich gewesen wäre, den Vestalinnen beizutreten, hätte sie das nie getan. Dafür fand sie das andere Geschlecht viel zu interessant, und auch schon vor Silanus hatte sie sich schwärmerisch nach dem einen oder anderen umgedreht und zu träumen angefangen. Nein, sie war garantiert nicht als Vestalin geeignet.
Aber dann wechselte Archias so plötzlich das Thema, dass sie einen Moment stutzte. „Pyramiden? Seiana?“
Ihr stand der Mund eine Sekunde offen, bis sie ihre Gedanken geordnet hatte. „Ach, Seiana ist diejenige welche, nehme ich an? Nein, die hab ich noch nicht kennen gelernt. Kannst uns ja mal vorstellen.
Und aus Alexandria bin ich auch noch nicht herausgekommen. Aber ich habe gehört, die Pyramiden sind ein Weltwunder! Es wäre sicher sehr schön, sie mal anzuschauen. Aber meine Verwandten haben für so eine Reise sicher keine Zeit. Mein Onkel und Cousin sind bei der Legion, meine Tante hat sich eben erst wählen lassen – frag mich aber jetzt nicht, zu was sie gewählt wurde. Und die anderen… naja, eher nicht. Und alleine oder nur mit Sklaven darf ich glaube ich nicht verreisen.“
Das war richtig schade. Vielleicht wenn sie älter war konnte sie sich die Pyramiden noch anschauen. Aber jetzt, wo Archias davon sprach, hatte sie ein bisschen Sehnsucht danach, es gleich zu tun. -
Ihr Gegenüber hatte wohl vergessen, das Axilla eine junge Frau war. Sie versuchte ihr möglichstes, alles zu begreifen, aber gerade das ganze mit Krieg und Generälen war ihr irgendwie zu hoch. Natürlich verstand sie die Notwendigkeit von Disziplin und harten Strafen, aber für sie in ihrer Vorstellung gab es ohnehin niemand tapfereren als einen römischen Legionär. Ebenso wie es keine besseren Generäle gab oder bessere Taktiken. Und der Erfolg gab ihrer Logik ja auch Recht: Nie war das Imperium so groß gewesen, nie so sicher für seine Bewohner.
Aber irgendwie verstand sie nicht alles, was er ihr sagen wollte. Wäre sie ein Mann gewesen und hätte statt Wolle spinnen etwas über alte Schlachten gelernt, hätte sie es vielleicht eher verstanden, aber so sah sie ihn nach seinen Worten nur grübelnd an und versuchte, daraus schlau zu werden.
„Hmmm, aber die Frage ist dann doch, wie finde ich genau diese Sachen über meinen Gegner heraus? Ich meine, er wird mir ja nicht gerade auf die Nase binden, wo seine Schwachstelle ist? Und wenn ich ihn frage oder Interesse zeige, weiß er doch, was ich vorhabe, wenn er mich auch kennt?“
Irgendwie hatte sie es immer noch nicht ganz verstanden. Ging es nicht auch eher um Selbsterkenntnis? So hatte sie Marcus zumindest am Anfang verstanden, aber irgendwie waren sie weit davon abgekommen. Sie sah noch ein wenig grübelnd drein, ehe sie es bemerkte, und musste dann mädchenhaft lachen.
„Heute muss wirklich der Tag Fortunas sein. An solche Zufälle, wie dass wir uns zufällig treffen, um über Philosophie zu streiten, glaube ich normalerweise gar nicht.“
Sie lächelte ihn strahlend an. Sie hatte schon ewig kein solches Gespräch mehr gehabt, und bis eben war ihr auch gar nicht bewusst gewesen, dass ihr so etwas fehlen könnte. Die Lernstunden waren ihr früher eher wie eine lästige Pflicht vorgekommen, aber jetzt war es irgendwie mehr eine Chance, ihren Geist ein wenig wach zu halten.
„Wird im Osten viel über solche Themen debattiert?“
Sie hatte keine Ahnung, was östlich der Grenzen des Imperiums so alles lag, und auch keine Ahnung von den Menschen, die dort lebten. Die meisten waren Feinde und damit in ihrer einfachen, kleinen, schwarzweißen Welt schlechte Menschen und damit uninteressant. Aber wenn es dort auch solche Philosophen gab, war es einen kleinen Tagtraum wert. -
Oh, da würde Plato aber heftigst widersprechen! Axilla hatte zwar nicht allzu viel verstanden, wie sie zu ihrer Schande zugeben musste, aber man wusste Dinge eben nicht nur durch Vergleichen. Abgesehen davon, dass sie weder das eine noch das andere für vollständig wahr hielt, sondern für sich selbst so einen Mittelweg als gut befunden hatte.
„Das hättest du aber nicht meinen Lehrer hören lassen dürfen. Er war überzeugter Anhänger Platos und wollte mir das auch näher bringen. Und deshalb weiß ich, dass es auch Ideen gibt, die nicht des Vergleichs benötigen. Wir sehen zwei Stöcke und sehen, sie sind gleich, ohne sie vorher zu wiegen und zu messen, weil in uns die Idee der Gleichheit bereits vorher existiert. Wir müssen nicht erst lernen, was Gleichheit und was Unterschiedlichkeit ist. Und auch glaube ich, dass es Dinge gibt, die absolut böse sind, und dass dies auch jeder weiß, ohne vorher etwas Gutes erfahren zu haben.“
Jetzt klang sie fast schon wie ihr Lehrer. Sie lächelte entschuldigend, und ging auf den anderen Teil ein. „Ich finde, die Anschauung über eine Schlacht ist aber doch sehr grob. Da gibt es doch hunderte von Beteiligten, und die kann man doch gar nicht alle kennen. Was ist, wenn einer bei heranstürmenden Reitern Panik bekommt und wegläuft? Dann bricht eine Reihe auseinander, und schon ist die ganze schöne Planung kaputt.
Aber vielleicht seh ich das auch falsch, ich bin ja nur eine Frau. Meine Gedanken sind dem Chaos ohnehin näher als der Ordnung. Aber vielleicht kannst du mir es ja erklären, es klingt sehr interessant.“
Axilla hatte schon lange nichts Neues mehr gelernt. Und allein schon, dass es aus dem Land der lustigen Namen kam, machte es gleich doppelt interessant. Bestimmt war sie die einzige Römerin im ganzen Imperium, die sich sowas erklären ließ und es lernen wollte.
Das Fest und ihre Cousine hatte Axilla völlig vergessen. Sie machte sich auch keinerlei Gedanken darüber, ob es denn überhaupt schicklich war, wenn sie hier einfach einen Griechen bat, ihr etwas über fernöstliche Philosophie beizubringen. Aber selbst wenn, wäre es ihr vermutlich egal. Sie war einfach neugierig. -
„Ja, das Wort heißt Patrizier, und nein, sind wir nicht. Wir sind Plebejer. Es gab mal Iunier, die Patrizier waren, aber das ist eine lange Geschichte.“ Die ich nicht so gut kenne, fügte Axilla noch in Gedanken dazu.
Dort, wo nun die Wagen standen, gab es Bewegung und lauthals wurde verkündet, dass es dort jetzt wohl etwas zu essen und zu trinken gab. Axilla hatte eigentlich keinen Hunger, das Gespräch Marcus war viel interessanter. Aber sie hatte keine Ahnung, ob er etwas essen wollte, und wollte ihn dann nicht aufhalten. Wobei bei dem Gedränge an ein Durchkommen kaum zu denken war.
Eine Bemerkung von ihm machte sie ein bisschen stutzig. Es klang ja schon fast philosophisch, was er da über das kennen von sich und anderen Personen sagte. Sie überlegte einen kurzen Moment, ehe sie ihm antwortete. Axilla war zwar flatterhaft wie ein Schmetterling, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht auch für Philosophie begeistern konnte.
„Das ist eine gute Frage übrigens. Also wer sich selbst kennt, und die anderen. Das wäre vielleicht etwas für einen Philosophen. Die Frage ist ja auch, kann man andere kennen, ohne sich selbst zu kennen?“
Axilla merkte, sie schweifte ab. Mit Iason hatte sie gerne stundenlang debattiert und argumentiert, aber er war auch ihr Lehrer gewesen. Und eigentlich hätte sie die Lehren von Plato auswendig lernen sollen, und nicht ihre eigene Meinung dazu zum Besten geben sollen. Aber sie wusste nicht, ob sich ihr Gegenüber hier überhaupt für solche Themen interessierte. Nur, weil er Grieche war, musste er ja nicht zwangsweise auch Philosoph sein. Sie war ja auch nicht allen überlegen, nur weil sie Römerin war. Den meisten Menschen war sie sogar gnadenlos unterlegen.
„Verzeih, ich schweife gerne ab. Und ich möchte dich ja auch nicht davon abhalten, das Fest zu genießen.“
Axilla blieb zwar bei Marcus stehen, so dass er das Gespräch nicht beenden musste, wenn er sich gerne unterhalten wollte. Aber ihre Worte gaben ihm auch den nötigen Freiraum, sich zu entschuldigen, falls er sich nicht unbedingt mit einer jungen Römerin unterhalten wollte.