Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla kam sich ziemlich verfressen vor, nachdem die beiden Frauen gesagt hatten, was sie wollten. Sie überlegte sich, ob sie vielleicht besser auch nur einen Saft nahm, um der guten Sitten willen, aber sie hatte Hunger. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Allerdings machte es ihr die Karte nicht gerade leicht. Die Hälfte der Sachen, die darauf standen, kannte sie gar nicht. Wie sollte sie da eine Auswahl treffen?
    Sie wollte doch einfach ein bisschen Fleisch mit Soße und Brot. Aber das fand sie nicht auf der Karte. Da stand was von Flamingo und Strauß und noch ein paar Tiere, von denen sie noch nie im Leben was gehört hatte.
    Also machte es Axilla auf die einfache und naive Art. Als jemand kam, um ihre Bestellung aufzunehmen, schaute sich Axilla einfach auf den Nachbartischen um und erspähte etwas, das lecker aussah. Also bestellte sie einfach „Sowas, aber bitte eine kleinere Portion.“ Ganz verfressen wollte sie schließlich doch nicht sein.


    Während sie also auf ihre Bestellungen warteten, fühlte sich Axilla mit einem Mal ein bisschen beobachtet. Vielleicht lag das einfach daran, dass sie die jüngste am Tisch war. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie heute nicht irgendwie außergewöhnlich aussah und an ihr auch alles sauber war, also daran konnte es nicht liegen. Aber vielleicht war es auch nur Einbildung. In Begleitung von Erwachsenen fühlten sich die meisten Jugendlichen früher oder später mal unwohl. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und hoffte, dass vielleicht ein interessantes Tischgespräch aufkommen würde. Ihr selber fiel nichts kluges ein.

    Wie war sein Name in der Fremde? Zischi de Jischi? Wer sollte das denn ohne Grinsen aussprechen? Axilla jedenfalls fand den Namen sehr lustig, bemühte sich aber, nicht allzu amüsiert auszusehen.
    Oh, ja, sie ist meine Cousine. Oder nicht ganz Cousine, sie… - wie war das gleich? – ist die Cousine von meinem Großvater. Glaube ich.
    Das war nicht unbedingt ein Bild von Selbstsicherheit, das Axilla da ablieferte. Nicht einmal sicher zu wissen, wie man nun mit einem anderen Familienmitglied verwandt war, war ja schon beinahe peinlich zu nennen. Also versuchte sie, schnell davon abzulenken und ihre Unsicherheit zu überspielen.
    Kennt ihr euch, oder fragst du nur aus Neugier, weil sie grade oben neben dem Gymnasiarchos steht?

    Sechzehn Jahre? So alt sah der Grieche noch gar nicht aus, als ob der sechzehn Jahre irgendwo auf Reisen gewesen wäre. Dann war er ja so lange weg gewesen, wie Axilla überhaupt erst lebte. Das war eeeewig, zumindest aus der Sicht einer Sechzehnjährigen. Dann musste er ja schon fast vierzig sein! Uralt, ebenfalls aus Sicht einer Sechzehnjährigen.
    Iason, also mein Lehrer, meinte immer, er dürfe mich nie mit in seine Heimat nach Milet nehmen, weil er nicht riskieren könne, dass sich eine ganze Stadt totlacht, wenn ich Homer vorlese.
    Ja, ihr Lehrer hatte schon einen sehr direkten Humor. Aber er durfte das. Er hatte sie ihr ganzes Leben begleitet, jedes aufgeschürfte Knie verarztet, jedes Gedicht mit ihr einstudiert, er durfte so was sagen. Natürlich nur, wenn Mutter grade nicht im Raum war.
    Wir sind einander noch gar nicht vorgestellt worden, oder? Ich bin Iunia Axilla.
    Sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Name sie nicht kannte, war irgendwie seltsam für sie. Von daher gedachte sie, das gleich mal zu ändern.

    Einen Moment stutzte Axilla, dann erkannte auch sie den Griechen wieder. Ihr erstaunter Gesichtsausdruck wandelte sich in ein erfreutes Lächeln.
    Stimmt, auch da war ein Gedränge auf einem Markt. Und auch damals ist jemand einem anderen auf den Fuß getreten, wenn es auch nicht unsere Füße waren. Scheint so, als ob Fortuna Sinn für Humor hat.
    Sie ließ ihren Blick kurz über ihn schweifen. Das letzte Mal war ihr seine Kleidung nicht so wirklich aufgefallen, aber jetzt, wo sie mehr Zeit hatte und nicht abgelenkt war, bemerkte sie, dass sie irgendwie anders war. War das nun die neueste Mode bei Männern, oder nur hier in Alexandria? Wobei, sonst hatte niemand so etwas an, vielleicht war es auch eine alte Mode. Oder eine aus der Heimat des Mannes.
    Ich hatte damals schon Angst, dass du mich nicht verstehst. Es ist lange her, seit ich ionisch gesprochen habe, und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das hier in Alexandria wirklich verstanden wird.

    Eigentlich hatte Axilla keine Lust gehabt, nach draußen zu gehen. Aber sie wusste, dass ihre Cousine Urgulania zu diesem Fest gehen musste, da sie gewählt worden war. Und da konnte sie natürlich auf die Unterstützung der Familia zählen. Also hatte sich Axilla für dieses Fest sogar richtig hübsch gemacht.
    Ihr Kleid war aus einem feinen, zartgrünen Stoff gefertigt, die dazugehörige, etwas dunklere Stola war so dünn gewebt, dass man fast hindurchschauen konnte. Auf eine Palla verzichtete Axilla, statt dessen waren in ihr hochgestecktes Haar ein paar Elfenbeinklammern in Form von Halbmonden und Münzen – beides Symbole der Fortuna – kunstvoll gesteckt worden. Auf die griechische Unsitte, sich mit Farbe zu bemalen, verzichtete sie aber. Nicht, weil sie es hässlich fände, sondern weil sie immer das Gefühl hatte, unter solcher Bemalung gleich doppelt so sehr zu schwitzen.


    Sie selbst hatte nur zwei Sklaven dabei, die ein wenig auf sie acht geben sollten. Das Gedränge auf der Agora war groß, und Axilla konnte kaum etwas sehen. Schließlich hatte sie sich doch fast zu der Tribüne vorgekämpft, auf der sie ihre Cousine ausgemacht hatte. Mit einem Lächeln winkte sie ihr zu und rief kurz ihren Namen, aber sie war sich nicht sicher, ob Urgulania sie gesehen oder gehört hatte.
    Denn gleichzeitig brach etwas hinter ihr ein Tumult los, bei dem wohl ein dicker Mann auch zu Boden ging. Drei Wächter bahnten sich einen Weg durch die Menge, und sie wurde dadurch zur Seite geschoben und stieg ihrem Nachbarn daher versehentlich auf den Fuß. „Oh, entschuldige bitte“, meinte sie sogleich. Es waren aber auch wirklich viele Personen hier auf diesem Fest!



    Sim-Off:

    Falls sich jemand getreten fühlen möchte, darf er das gerne


    Weinend lag Axilla auf ihrem Bett. Schließlich hatte sie doch die Bücher in der Bibliotheke gelesen. Sie hatte gelesen, wie Kaiser Augustus seine Tochter Iulia auf die Insel Pandateria verbannt hatte, wo sie schließlich verhungert war. Ihre Liebhaber wurden ebenfalls verbannt, Iullus Antonius und Sempronius Gracchus gingen ihretwegen sogar in den Tod.
    Sie hatte gelesen, dass Eheschließungen bis zum sechsten Verwandschaftsgrad ebenso wie Ehebruch bestraft wurden. Sie und Silanus waren im fünften miteinander verwandt. Wurde man Rom in flagranti beim Inzest erwischt, konnte man sogar direkt zum tarpejischen Felsen gezerrt und dort zu Tode gestürzt werden, um die Götter wieder zu beruhigen. Neben der Verbannung gab es noch weitere Strafen, je nach Schwere des Vergehens. Man konnte verbrannt, lebendig begraben, ersäuft werden. Wenn man Glück hatte, durfte man sich ehrenvoll selbst umbringen. Es soll sogar Blendungen gegeben haben.


    Bleich wie ein Geist war Axilla nach ihrer Lektüre heimgekommen und direkt in ihrem Zimmer verschwunden. Vor Angst wie erstarrt saß sie erst nur auf ihrem Bett, unfähig etwas zu tun. Sie starrte einfach nur vor sich hin, bis ihre Sklavin Angst bekam und sie vorsichtig an der Schulter berührte. Wie von Sinnen schlug Axilla nach der armen Sklavin, jagte sie schimpfend aus dem Zimmer und verriegelte ihre Tür. Danach warf sie sich aufs Bett, weinte, schluchzte, bis keine Tränen mehr da waren. Sie hielt sich den Bauch, weil er schmerzte, und lag zusammengekrümmt und zitternd da. Sie wollte niemanden mehr sehen.
    Sie hatte einfach nur Angst. Nicht um sich, aber um Silanus. Er konnte nichts für ihre Liebe, ihren Wahn. Sie durfte ihm das nicht antun. Sie wollte nicht, dass er für sie in die Verbannung ging, oder gar in den Tod. Sein Blut an ihren Händen wäre mehr, als sie ertragen könnte. Sie liebte ihn so unendlich, wie man seine erste Liebe nur lieben konnte. Und weil sie ihn so liebte, musste sie sich unbedingt von ihm fernhalten. Es zerriss sie bei dem Gedanken, aber noch viel mehr fürchtete sie um sein Leben. Sie hatte nicht das Recht, ihm das anzutun. Das konnte sie nicht.
    Axilla wusste nicht, was sie tun sollte. Sie beschloss, sich erstmal in ihrem Zimmer einzusperren, bis ihr etwas eingefallen wäre.


    Hätte sie noch ein wenig weiter gelesen und sich nicht von den alten Texten einschüchtern lassen, hätte sie keine Angst haben brauchen. Claudius ließ vom Senat das betreffende Gesetz abändern, so dass es Eheschließungen ab dem dritten Grad der Verwandtschaft erlaubte, um seine Nichte Agrippina zu heiraten. Außer gesellschaftlicher Missachtung hätte sie keine Strafe zu fürchten brauchen.

    Axilla grinste Archias frech an. Es war sehr befreiend, dass er einem anscheinend nichts übel nahm. Endlich mal jemand, mit dem sie wirklich so reden konnte, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Das war neu. Ansonsten hieß es immer „Axilla, eine Dame sagt so etwas nicht“, oder „Axilla, solche Gedanken schicken sich nicht“, oder „Axilla, beschäftige dich lieber mit etwas sinnvollem, wie Wolle spinnen“. Wobei sie ehrlicherweise diese Sätze nicht mehr gehört hatte, seit sie in Alexandria war. Vielleicht stimmte es ja wirklich, und die südlichen Provinzen waren etwas freier im Umgang miteinander.
    Als er das Diplom wieder zusammenfaltete, zog Axilla ihre Augenbrauen skeptisch nach oben. „Vor dem Aufhängen würd ich es aber von einem Sklaven noch mal glätten lassen.
    Vielleicht waren ja irgendwann mal dekorative Knicke und Knitter ganz modern, aber momentan glaubte Axilla nicht, dass er das Diplom so jedem vorzeigen konnte. Allerdings, wenn er es sich übers Bett hängte, würden es wohl ohnehin weniger Menschen sehen, und die wären dann vielleicht noch abgelenkt.


    Ja, trocken, öde… meine Güte, ist das viel zu lesen…“ Etwas lustlos schlug Axilla die Abhandlung über Augustus auf und blätterte ein wenig darin herum. Sie wollte ja wirklich, wirklich, wirklich wissen, was sie und Silanus erwartete, aber sie hatte nicht geahnt, dass das unter Umständen soviel Arbeit wäre, es herauszufinden. Aber fragen konnte sie auch niemanden.
    Sie sah noch ein wenig Mitleid erheischend zu Archias hoch. Wenn er da war, konnte sie ohnehin nicht wirklich loslesen, und vielleicht fiel ihm ja noch etwas ein, um sie abzulenken? Sie wäre wirklich alles andere als böse, wenn sie sich noch nicht gleich an die Arbeit machen könne.

    Axilla hatte keine Ahnung, was ein Procurator a libellis denn so machte und wie schwierig das nun war oder auch nicht. Politik interessierte sie nicht besonders. Aber das mit dem Kaiserhof klang wirklich beeindruckend. Bei dem Spaziergang mit Silanus vor einiger Zeit war sie ja schon ganz aus dem Häuschen, der Regia Praefecti so nahe kommen zu dürfen. Wenn sie sich nur vorstellte, in Rom am Kaiserhof vorbeizuspazieren! Vielleicht sogar den Imperator höchstpersönlich treffen! Das war für ein junges Mädchen aus der hispanischen Provinz und als Tochter zweier völlig unberühmter Eltern mehr, als sie erträumen konnte.
    Allerdings war die Vorstellung des Gegenteils von Archias nicht unbedingt ebenso berauschend. Was wollte er damit sagen? Dass sein Verwandter klein, hässlich, dick und dumm war? Nein, bestimmt hatte er das als Scherz gemeint. Trotzdem war Axilla ein bisschen vorsichtiger nun mit ihren Äußerungen in diese Richtung.


    Axilla bestaunte das Diplom, auch wenn es etwas zerknittert aussah. Irgendwie hatte sie es sich… pompöser vorgestellt. Aber das waren sicherlich nur die Knitter, versuchte sie sich einzureden. Seine Bemerkung über das Aufhängen entlockte ihr ein neckisches Lächeln.
    Und was machst du dann mit dem Spiegel?
    Als der Satz raus war, bemerkte sie erst, was sie da gesagt hatte, und erschrocken hielt sie sich den Mund zu und schaute Archias an wie ein Pferdegespann. Verlegen nuschelte sie zwischen ihren Fingern hindurch. „’Tschuldige, das is’ mir so rausgerutscht.
    Schnell versuchte sie, noch ein wenig abzulenken und griff sein Thema mit den Kursen noch einmal auf.
    Dir fällt doch sicher was ein. Zum Beispiel „Gefahren beim Postverkehr – wie wimmele ich Verrückte ab“ oder „Culinarischer Führer durch Alexandria – inklusive Übersetzungshandbuch“? Und zu aller Not kannst du ja noch eine Vorlesung über freche Römerinnen halten.

    Puh, den Göttern sei dank sprach dieser Mensch auch Latein, und zwar wesentlich besser als Axilla griechisch. Axilla nickte eifrig und deutete selber noch einmal mit der Hand. „Genau. Also quasi gleich da hinten um die Ecke.


    Durch den Griechen abgelenkt bekam Axilla nicht ganz mit, ob die beiden Frauen nun auf Archias Einladung eingingen oder nicht. Aber als sie dann gemeinsam aufbrachen, war Axilla irgendwie froh. Noch ein paar Römer hier kennen zu lernen hatte etwas erhebendes, da fühlte man sich nicht ganz so allein. Und es hatte nicht so den Anschein von Rendezvous, wenn sie mit noch zwei weiteren Frauen mit Archias an einem Tisch saß.
    Der Krumme Ibis war auch schnell erreicht, und sie suchten sich einen schönen Tisch im Schatten aus. Die beiden älteren Frauen teilten sich eine Karte, sie bekam die andere. Sie schaute sie sich an, schaute noch einmal, und runzelte die Stirn. Vielleicht hielt sie sie verkehrt herum? Also Karte umgedreht. Nein, das war auch weder Latein noch Griechisch. Das waren Bildchen !
    Sie zeigte Archias die Karte und lächelte ihn schelmisch an. „Hmm, ich weiß nicht, was ich nehmen soll. Storch-Storch-Schildkröte, oder doch lieber Haus-Frosch-Löwe?
    Abgesehen davon, dass Axilla auch so absolut keine Ahnung von ägyptischer Küche hatte, und fast genauso wenig von griechischer, konnte sie das nicht lesen. Hoffentlich gab es hier irgendwas, was sie kannte, oder Archias kannte sich soweit aus, dass er für sie mitbestellen konnte. Notfalls war dann immer noch er schuld, wenn es doch nicht schmeckte. Aber Axilla war ohnehin so hungrig, dass sie vermutlich alles gegessen hätte, was gut roch.

    Hmm, wenn er dir ähnlich ist, kann ichs mir ja vielleicht mal überlegen.
    Das würde Axilla zwar höchstwahrscheinlich nicht tun, aber wann hatte man schon mal die Möglichkeit, mit einem Aelier verkuppelt zu werden? Rein vom politischen Standpunkt aus wäre das bestimmt ein Aufstieg für die Iunier, und auch wenn das von Archias bestimmt nur ein Scherz war, durfte Axilla so etwas nicht von Anfang an ausschließen. Auch wenn sie sicher war, dass ihr Herz immer und ewig einzig Silanus gehören würde.


    Bei der Sache mit den Kursen musste Axilla ein wenig die Stirn runzeln.
    Nein, ich hab noch an keinem Kurs teilgenommen. Vielleicht wäre ja einer über Eherecht gar nicht schlecht, dann müsste ich das alles nicht selber lesen.
    Aber dann sah sie ihn wieder an und ihr Gesicht hellte sich auf. „Und du hast eine Auszeichnung erhalten? Wirklich? Ich hab noch nie für irgendwas eine Auszeichnung erhalten. Wenn ich etwas Neues gelernt habe, haben meine Lehrer immer erstmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und die Götter um Erbarmen angefleht.
    Hast du sie zufällig dabei?

    Axilla hatte noch nie eine Auszeichnung gesehen. Und natürlich war sie da neugierig.

    Hmmm, Freunde bleiben? Mein armes Herz wird zwar schmerzen, aber wenn es unerträglich wird, kann ich mich ja immer noch ins Meer stürzen.“ Bei ihren Worten legte Axilla eine übertriebene Gestik an den Tag. Sie legte erst theatralisch ihre Hand auf ihr Herz, um sie dann, als würde sie ohnmächtig, gegen die Stirn zu halten. Doch dann musste sie auch lachen.
    Der Mann vom Nachbartisch war wohl sehr angenervt von den Beiden, denn er stand auf und schnappte sich seine Schriftrolle in einer geradezu herrischen Geste. Mit einem bitterbösen Blick und mit hocherhobener Nase ging er demonstrativ bis zum anderen Ende des Raumes. Axilla sah ihm einen Augenblick treudoof hinterher, und musste dann erst recht lachen.
    Bei seiner Frage mit den Priestern musste sie selbst einen Moment überlegen. „ Ja…. Hasi. :D Das hier ist doch eigentlich ein Tempel für die Musen Apollos? So zumindest hab ich das verstanden, aber weißt ja, wenn man einer Frau etwas erzählt…“ Neckisch zwinkerte sie ihm zu.
    Schnuckelchen… was er nur wieder dachte? Aber Axilla mochte Archias. Und wenn sie sein Schnucki war, war er eben ihr Hasi.


    Axilla konnte sich nicht ganz dazu durchringen, das erste Buch aufzuschlagen. Es sah schon so abschreckend dick aus. Und darin kam bestimmt kein schmachtendes Liebesdrama vor. Also nahm sie Archias Aussage mit dem Kurs als willkommene Ablenkung.
    Kurs? Was denn für einer?

    Huh, er hatte ihre Ausrede wohl gefressen. Gut, Axilla war erleichtert. Jetzt konnte sie sich auch wieder entspannter hinsetzen und die Bücher erstmal etwas weniger prekär anordnen. Auch wenn die Wälzer ganz schön schwer waren und sie ganz schön dabei ächzte.
    Bei Archias Zwinkern sah sie ihn herausfordernd an. Verführerisch schlug sie die Augen in seine Richtung auf. „Vielleicht.
    Sie ließ die ganze schwere dieses Wortes einen Moment auf ihn wirken, ohne etwas an ihrem Blick zu ändern oder auch nur mit der Wimper zu zucken. Erst, als sie meinte, so was wie Zweifel in seinem Blick zu sehen, hielt sie es nicht mehr aus und musste grinsen. Ein Lachen schwerlich unterdrückend änderte sie ihre Haltung und ließ sich zurück in den Stuhl sinken.
    Vielleicht bin ich ein bisschen in jemanden verliebt. Aber er nicht in mich, glaube ich. Aber das ist ein Geheimnis, also erzähl’s nicht, ja? Aber so ein bisschen träumen und schauen, was ginge… Jetzt müssten diese Wälzer nur noch interessant sein. Wer kann denn ahnen, dass es so viele Gesetze dafür gibt?
    Die Idee, sich wirklich zu informieren, erschien Axilla mit einem Mal gar nicht mehr so gut. Oh, sie las gerne, wirklich gerne. Gedichte, Prosa, Epen. Aber Gesetzestexte und Abhandlungen über tote Kaiser waren nicht unbedingt auf ihrer Beliebtheitsskala ganz oben.
    Was machst du eigentlich hier? Willst du dem Oberpriester hier deinen Vorschlag mit den Massagen im Garten unterbreiten?

    Vielleicht hätte Axilla den Sklaven schicken sollen, ihr eine Abhandlung über das Thema „Wie verscheuche ich einen Mann“ zu bringen. Wobei sie auch nicht sicher war, ob ihr das weiter geholfen hätte. Verlegen kratzte sie sich am Nacken, als sie überlegte, wie sie sein Angebot jetzt am Geschicktesten ablehnen konnte, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen.
    Nein, nein, ich wollte mich nur ein wenig informieren. Über Gesetze, du weißt schon.
    Natürlich wusste er nicht, wie könnte er? Und gab es irgendein kosmisches Gesetz, das Dinge genau dann passieren ließ, wenn man sie am wenigsten wollte? Das war so wie mit Regen an dem Wochenende, das man Wochen im Voraus geplant hatte und wo man mit Freunden im Garten essen wollte. Oder der Wache, die natürlich nie da war, wenn man gerade beklaut wurde, aber grundsätzlich dann da war, wenn man mit seiner Kutsche „ganz leicht“ den nächstbesten Marktstand gestreift hatte.
    Und diesem Gesetz folgend kam natürlich genau jetzt der Sklave zurück und legte das Lex Iulia de adulteriis coercendis natürlich ganz oben auf. Axilla lief rot an und sank ein wenig in ihrem Sessel zusammen. Der Sklave meldete aber pflichtbewusst auf griechisch. „Das ius civile, das Lex Iulia et Papia, eine Abhandlung über die Gesetzgebung und das Wirken von Augustus und die Lex Iulia de adulteriis coercendis. Wenn du weitere Bücher brauchst, wende dich gerne an einen von uns.
    Axilla bedachte ihn mit einem gequälten Lächeln und versank noch ein wenig tiefer, während der Sklave sich um den nächsten Besucher zu kümmern begann. Ihr gequältes Lächeln kam dann auch weiter zu Archias, dem sie nun wohl eine Erklärung schuldig war. Gut, dass sie im Ausreden erfinden einige Übung hatte.
    Ja, weißt du, ich bin ja schon sechzehn, und meine Freundinnen sind schon alle verheiratet. Und da wollte ich wissen, was so alles auf mich zukommt…

    Der Sklave kam nicht sofort wieder, dafür aber jemand anderes. Als Archias so auf sie zukam, freute sich Axilla im ersten Moment. Ein bekanntes Gesicht zu sehen war immer schön, vor allem, wenn man sich so verloren vorkam wie zwischen diesen ganzen Büchern. Aber im nächsten Moment wäre sie am liebsten im Boden versunken. Was sollte sie gleich machen, wenn der Sklave mit den ganzen Büchern kam? Hoffentlich bemerkte Archias nicht, worüber sie sich da alles informierte. Dann kam er nur auf falsche Gedanken. Oder, was noch schlimmer wäre, auf richtige Gedanken.


    Oh, ja, ich glaube. Ich meine, ich weiß es nicht, ich meine… salve!
    Der Mann vom Nachbartisch schaute böse zu ihr herüber, da sie wohl ein wenig fiepsig geklungen hatte. Mit einem bitterbösen Blick, den selbst die Furien nicht böser hinbekommen hätten, starrte sie ihn nieder, und als er wieder in seiner Schrift versank, wandte sie sich wieder an Archias zurück.
    Entschuldige bitte, ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden zu treffen, den ich kenne. Ich bin ein bisschen überrascht.
    Hoffentlich ließ sich der Sklave viiiiiiel Zeit mit dem heraussuchen der Texte.

    Hatte sie vor ein paar Tagen noch einen Griechen zum Museion gewiesen, war Axilla nun selbst zum ersten Mal da. Das Gebäude machte von außen mehr den Eindruck eines Tempels als einer Bücherhalle. Mit ihrem Sklaven im Schlepp betrat Axilla leise wie ein Mäuschen die Halle und fragte sich mit beinahe ehrfurchterfüllter Stimme zur Bibliotheke durch.
    In der großen Halle blieb Axilla erst einmal einen Moment verloren stehen und war wie erschlagen von der bloßen Menge an Büchern. Ihre eigene Sammlung in Tarraco, die dreißig verschiedene Werke umfasst hatte, hatte sie schon für ansehnlich gehalten, aber verglichen hiermit war das nur ein Staubkorn. Hier mussten hunderte, achwas Tausende von Schriften stehen! Und überall wuselten Menschen hin und her, Sklaven brachten nach hierhin und dorthin in würdevollem Schritt Schriftrollen und Bücher.
    Es dauerte eine Weile, bis jemand Axilla bemerkte, wie sie da einfach so stand und nicht wusste, wohin sie nun eigentlich sollte.
    Chaire. Kann ich dir helfen?“ Der Mann, ein Sklave von vielleicht zwanzig Jahren, sprach sie auf griechisch an, und Axilla stotterte ihm in ihrem ionischen Akzent zurück. „Nein. Das heißt, ja, doch. Ich suche Schriften von römischen Gesetzen. Ich wollte sie gerne lesen.
    Der Sklave war gut erzogen, denn er zuckte nicht mit einer Wimper, als er sie bat, ihm zu folgen, und sie an einem der Tische platzierte. Dort fragte er noch einmal genauer, was sie denn suchte, und während Axilla sich setzte, gab sie ihm Antwort. „Hauptsächlich Ehegesetze. Und … hmmm. Welche Strafen es da gibt, wenn man den falschen heiratet. Hmmm, vielleicht gibt’s da auch ein paar geschichtliche Sachen dazu?
    Sachen? Ich werde schauen, was ich dir bringen kann.“ Und damit verschwand er irgendwo zwischen ein paar Bücherregalen und Axilla saß da und wartete.

    Silanus kam nicht, und Axilla hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Am nächsten Tag wichen sie sich beide ein wenig aus, wie es Axilla schien. Zumindest sah sie ihn am ganzen Tag nicht mehr als fünf Minuten, und auch da waren sie nicht allein. Ganz unrecht war es Axilla nicht, sie traute sich selbst noch nicht soweit wieder, dass sich dieser Vorfall nicht wiederholen würde.
    Aber er durfte sich nicht wiederholen. Das wusste sie, zumindest ihr Kopf wusste das. Ihr Herz schmerzte von Minute zu Minute mehr, auch wenn es nur ein Tag war, der sie jetzt trennte. Aber jede Sekunde, die sie sich zu beschäftigen suchte, dehnte sich wie eine Stunde, und jede Stunde war eine halbe Ewigkeit. Sie musste immer wieder an ihn denken, was er tat, wie er sich jetzt fühlte, ob er es bereute…
    Die nächste Nacht war unruhig, weil ihr soviel im Kopf herumging. Sie fing an, zu überlegen, wie man diese Situation ändern könnte. Was sie tun könnte, um wieder bei ihm sein zu können. Nicht einmal unbedingt auf diese Weise, sondern einfach nur in seiner Nähe. Diese Abgeschiedenheit tat ihr fast noch mehr weh wie die Erkenntnis um die Falschheit ihrer Tat. Wenn er sie nicht lieben konnte, damit konnte sie leben. Aber nicht damit, ihn deswegen jetzt nie wieder zu sehen.
    Sie überlegte, was passiert wäre, wenn man sie erwischt hätte. Sie wusste, dass schwere Strafen darauf standen, aber was genau, das wusste sie nicht. In ihrem elterlichen Haushalt gehörte so etwas nicht unbedingt zu den täglichen Gesprächen. Aber irgendwo musste es doch etwas geben, wo man sich darüber unauffällig informieren konnte? Es gab doch sicher Gesetze, die es ganz genau regelten?
    Axilla wälzte sich herum und überlegte. Einen der Sklaven fragen konnte sie nicht, das wäre zu auffällig. Vor allem, wie sollte sie ihn fragen? Nach einigen weiteren unruhigen Drehungen im Bett fiel ihr ein, dass es hier in Alexandria ja eine Bibliothek gab. Die hatte doch bestimmt auch römische Gesetzestexte. Eine gut sortierte Bibliothek in einer römischen Provinz musste einfach auch römische Gesetzestexte haben, egal wie griechisch die Stadt sonst war.
    Mit dem Plan, da gleich am nächsten Morgen hinzugehen, schlief Axilla schließlich doch irgendwann ein.

    Vom Bad zu ihrem Zimmer war es zwar ein ganzes Stück, aber Axilla flog geradezu durch die Gänge. Sie hatte das dringende Bedürfnis, schnell in ihr Zimmer zu kommen und niemanden mehr zu sehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, Lucius dieses letzte Angebot zu machen? War sie denn vollkommen wahnsinnig geworden? Hatte sie es nicht einfach so gut sein lassen können, wie es war?
    Sie stieß die Tür zu ihrem Zimmer auf und schlüpfte atemlos hinein. Eine Sklavin, die wohl die ganze Zeit auf sie gewartet hatte, wachte verschlafen in einem der Sessel auf. „Verzeihung, Domina, ich bin wohl eingeschlafen.
    Schon gut…“ Axilla fiel der Name mal wieder nicht ein. „Aber geh jetzt. Ich möchte allein sein.
    Die Sklavin guckte einmal kurz verwirrt, machte sich dann aber daran, das Cubiculum zu verlassen. Axilla schloss hinter ihr die Tür und war daran, den Riegel vorzuschieben. Aber irgendetwas ließ sie einhalten. Sie wusste, sie sollte ihr Zimmer hinter sich am besten abschließen, um jegliche Dummheit zu verhindern. Eine verschlossene Tür wirkte diesbezüglich Wunder. Aber sie wollte nicht ganz.
    Sie stand da, das Holz in der Hand, und nur eine kleine Handbewegung hätte ihr Zimmer geschlossen. Aber diese kleine Illusion, dass Silanus sie vielleicht doch liebte und das nicht nur ein einmaliges Abenteuer war, war einfach so tröstlich, dass Axilla es nicht fertig brachte. Wenn sie die Tür verschloss, dann war es wirklich falsch, was sie getan hatte, auch wenn es noch so schön war. Aber dann war es falsch, und sie gestand das ein.
    Langsam ging wie rückwärts von der Türe weg, bis sie schließlich so weit zurückgewichen war, dass sie den Riegel loslassen musste. Immernoch rückwärts ging sie weiter bis zu ihrem Bett und setzte sich darauf. Die einzelne Kerze in ihrem Cubiculum, die noch brannte, tauchte alles in unwirkliches Licht, und Axilla saß wie in Trance eine Weile einfach da. Schließlich ging ein Zittern durch ihren Körper, als sie das Geschehene Revue passieren ließ.
    Sie griff unter ihr Bett, wo sie ihre Kinderpuppe versteckt hatte. Es war kindisch, aber es war ein tröstliches Gefühl, nicht vollständig allein jetzt zu sein. Sie zog sich schnell aus und legte sich ins Bett, die Puppe unter ihren Arm geklemmt. Der Schlaf wollte sich nicht gleich einstellen, also lag sie noch eine ganze Weile wach. Aber irgendwann, als die Kerze heruntergebrannt war, war auch Axilla eingeschlafen.

    Gerne nahm Axilla das angebotene Handtuch an und ließ es sich von Silanus um die Schultern legen, nachdem sie aus dem Wasser gestiegen war. Sie trocknete sich so gut es ging ab und ging dann zu der Steinbank, auf der sie ihr Kleid vermutete. Nach einigem Tasten fand sie den Stoff und zog es sich schnell noch einmal über. Sie wollte nicht nur mit einem Badetuch bekleidet durchs Haus huschen.
    Als sie soweit fertig war, sah sie zu Silanus hinüber. Auch er schien bereit zu sein, das Balneum zu verlassen. Aber Axilla zögerte noch. Jetzt einfach ohne irgend etwas zu sagen auseinander zu gehen schien ihr falsch. Aber sie wusste gar nicht so genau, was sie ihm sagen wollte.
    Hmm, Lucius? Ich… ich meine…“ Verlegen biss sie sich wieder auf die Unterlippe. Irgendwie klang alles, was ihr in den Sinn kam, wahnsinnig platt und abgedroschen. „Ich wollte noch sagen… ich meine… es war sehr schön.
    Meine Güte, wie dumm klang das denn? schoss ihr durch den Kopf. Sie sah wieder zu Boden und wandte sich dem Ausgang zu. Aber dann blieb sie noch einmal stehen und wandte sich noch einmal Silanus zu.
    Ich geh dann ins Bett. Vielleicht… möchtest du ja mit?“ Kaum war es ausgesprochen, tat es ihr schon wieder leid. Sie wusste ja um all die Gefahren und bestimmt war Silanus auch nicht so leichtsinnig. Und überhaupt, was stellte sie sich denn vor, was weiter passieren würde mit ihnen beiden? Sie sollte aufhören, zu träumen.
    Vergiss es, es tut mir leid. Es war nur… es war eine dumme Idee, vergiss es bitte. Ich sollte erst meinen Kopf benutzen und dann meinen Mund. Ich… gute Nacht.
    Ihr unüberlegter Vorstoß war ihr unendlich peinlich. Der Abend war so schön gewesen, und durch ihre unüberlegte Art hatte Axilla sie beide nicht nur in Gefahr gebracht, sondern auch weitere Gefahr beinahe heraufbeschworen. Schnell wandte sie sich dem Ausgang zu.

    Ihr Rücken war noch immer ganz empfindlich und immer wieder zuckte sie kichernd zusammen, weil es kitzelte. Immer wieder sah sie liebevoll zurück über ihre Schulter. Axilla genoss diese kleine Zärtlichkeit und hielt so gut es ging still, bis ihr ganzer Rücken kribbelte. Erst dann drehte sie sich um und nahm Silanus den Lappen aus der Hand.
    Dreh dich um“, forderte sie ihn mit einem Lächeln und blitzenden Augen auf. Als er tat, wie geheißen, begann sie nun ihm den Rücken zu waschen, wie er es eben bei ihr getan hatte. Immer wieder tauchte sie den Lappen ins Wasser und ließ kleine Bäche Wasser über seine Schulter laufen, während sie mit sanften Bewegungen über seinen Rücken streichelte.
    Immer mehr Kerzen waren heruntergebrannt, so dass es immer dunkler wurde. Als Axilla meinte, dass es Zeit war, hörte sie auf und umarmte Silanus einmal von hinten. Ihre Hände hielten sich sanft an seiner Brust fest, während sie sich an seinen Rücken schmiegte. Sie drückte ihn noch einmal, um ihn all die Liebe spüren zu lassen, die sie noch immer empfand, und gab ihm einen kleinen Kuss zwischen die Schulterblätter, ehe sie von ihm abließ.
    Gleich ist die letzte Kerze auch noch heruntergebrannt. Ich glaube, ich sollte in mein Cubiculum gehen. Es ist schon spät.
    Sie sah noch einmal kurz zu ihm hoch, als wolle sie etwas noch anfügen, aber sie traute sich nicht. Das wäre wirklich zuviel gewesen, und sie hatten Fortuna ohnehin schon mehr als nur ein wenig herausgefordert. Also versuchte sie ihr Kleid auszumachen, dass nun in einer völlig dunklen Ecke des Balneums auf einer der Bänke lag.