Beiträge von Iunia Axilla

    Ich würde sagen, ihr setzt die Postings alle einfach mal. Bei dem kann man dann halt nicht vorbildlich einen Link aufs Profil setzen, sondern nur den Namen hinschreiben. Einen nonexistenten Account zu rekonstruieren fällt zwar in der Tat ein wenig schwerer, aber da fällt uns dann schon was ein. Lasst euch davon dann nicht aufhalten.


    Und es ist wirklich super, wie viel ihr schon rekonstruiert habt

    Damit das mit den Editiervorschlägen nciht über Kreuz geht, fang ich hier schonmal an, Veränderungen bei Charakteren und innerhalb von Gentes zu sammeln.


    Spurius Iunius Silanus muss ins Exil. (Anfang Januar war das)
    Lucius Iunius Silanus hatte sich aus dem Exil zurückgemeldet (ich würd ihn aber da noch lassen, bis der Spieler sich zurückmeldet, sicher ist sicher)


    Titus Pompeius Atticus muss aus dem Exil geholt werden. (Da hat der Spieler sich gemeldet)
    In den Stammbaum der Pompeier und Iunier noch den NSC Cossus Pompeius Largus als Sohn von Gaius Pompeius Imperiosus und Iunia Axilla eintragen.


    Und weil's mir grad einfällt, alle ID's von Titus Aurelius Ursus hatten sich auch kurz vor Weihnachten ins Exil gemeldet.

    Die Spur war kaum zu übersehen. Die vom winterlichen Regen schlammig gewordene Erde war auf breiter Ebene von den Füßen, Hufen und Wagenrädern vieler tausend Männer zerwühlt, die Grasnarbe der Straße zertrampelt. Die Kälte der Nacht hatte die Spuren gefrieren lassen. Pfützen in Hufform standen hier und dort, zu Eis erstarrt und festgefroren.
    Sie folgten der Spur jetzt schon den zweiten Tag. Als sie sie das erste Mal entdeckt hatten, war Axillas Herz beinahe stehen geblieben. Es sah nach so vielen aus. So viele Männer, die sich gegen Palma wenden würden. So viele Soldaten. So viele Männer, von denen sie beten musste, dass sie nicht nach Hause zu ihren Kindern zurückkehren würden, nur damit sie vielleicht die Chance hatte, mit Cornelius Palma zu reden und dann ganz vielleicht wieder zurück zu ihren eigenen Kindern zu kehren. Vielleicht. Mit etwas Glück.
    Dich je länger sie dieser Spur folgten, je realer es wurde, der Krieg, die Männer, die darin kämpften, die ganzen Ausmaße der Rebellion, umso sicherer war Axilla, dass diese Aufgabe letzten Endes ihr Leben verlangen würde. Oh, sie hatte keine Angst, zu sterben. Das war es nicht. Sie war schon zwei Mal so weit gewesen, sogar sterben zu wollen, hatte lediglich nicht den Mut gehabt, es selbst zu tun. Aber mittlerweile hatte sie sogar zwei Söhne, die das Andenken von Axillas Vater auch weitertragen würden. Es war nicht ihr eigenes, kleines Leben, um das sie sich ernsthaft sorgte und Gedanken machte. Sie würde den Tod empfangen wie einen alten Freund, wenn es sein musste und sie auf die andere Seite zu gehen hatte. Sie hatte nur Angst, es vergebens zu tun, ihre Kinder nicht damit retten zu können. Dass sie nicht stark, nicht tapfer, nicht klug genug war, um alles zu einem guten Abschluss zu kriegen. Und ein ganz klein bisschen hatte sie Angst, dass sie nicht die Kraft hatte, würdig und aufrecht zu sterben, dass sie schwach und gebrochen wirken mochte. Aber der Akt selbst, den fürchtete sie nicht.


    Je näher sie in Richtung Capua vorrückten, umso aufgeregter wurde Axilla. Wenn das Gelände anstieg zu einem Hügel, ließ sie Malachi vorsichtig vorreiten und wartete selbst noch etwas abseits. Sie hatte Angst, schreckliche Angst, hinter dem nächsten Hügel auf das Schlachtfeld zu treffen, das ihre Hoffnungen zunichte machen würde. Im Grunde war es albern, der Himmel war klar und frei von den vielen Vögeln, die die ständigen Begleiter einer Schlacht gewesen wären. Wenn sie tatsächlich noch die Schlacht finden sollten, dann würde sich diese schon von weitem bemerkbar machen. Außerdem waren die Spuren hier mehrere Tage alt. Es war also wahrscheinlicher, dass ihnen eine Armee einfach wieder entgegenkäme, als dass sie wirklich auf ein Feld von Leichen hätte sehen können. Sofern diese nicht einen anderen Rückweg gemeinsam mit der Classis nahmen, weil sie den Cornelier besiegt hatten.


    Aber auch nach zwei weiteren Tagen hatten sie noch nicht die Schlacht gefunden, noch die Männer, die diese Spuren hier hinterlassen hatten. Axilla war nur froh, dass die Spuren sie von den großen Städten fernhielten und sie so leicht zu finden war, dass sie Dörfer leicht umgehen konnten, ohne die Spur hernach verloren zu haben. Allerdings wollte sie nicht so kurz vor dem erhofften Ziel noch in einer Stadt aufgehalten und aufgegriffen werden, so dass sie stattdessen den inzwischen allgegenwärtigen Hunger und die Kälte ertrug.
    Jeden Abend betete sie zu ihren Ahnen. Nicht um Hilfe. Nicht um Wärme. Nicht um ihr Leben. Sie bat sie nur um die Stärke, dieses Unterfangen bis zum Ende würdig durchzustehen, und keinen zu jämmerlichen Eindruck zu machen, auf wen auch immer sie treffen würde. Und immer danach strich ihre Hand, kurz vor dem Einschlafen, noch einmal über den Ledertornister, auf dessen Inhalt sie ihre ganzen Hoffnungen setzte.

    Das Wetter blieb kalt, bisweilen fiel sogar etwas Schnee, der aber selten länger als über Nacht liegen blieb. Dennoch war Axilla fürchterlich durchgefroren und ihre Lippen hatten eine leicht bläuliche Färbung angenommen. Hatte sie anfangs geglaubt, ihr Körper würde sich an die Temperatur schon gewöhnen und sie würde mit der Zeit weniger frieren, war sie sich jetzt sicher, dass ihr nie wieder warm werden würde. Sie trug alle Tuniken, die sie mitgenommen hatte, übereinander, im kläglichen versuch, so etwas mehr Wärme zu gewinnen. Allerdings kroch diese vor allem beim Reiten ihre nackten Beine hinauf bis unter die Tuniken, so dass Axilla es sogar häufig vorzog, selbst zu laufen und das Pferd am Zügel zu führen. Die Bewegung wärmte wenigstens ein kleines bisschen, auch wenn es doch sehr anstrengend war bei dem beißenden Wind.
    Den Pferden ging es wohl auch nicht so besonders. Trotz der warmen Decken und ihren Nachtplätzen in windgeschützten Senken oder kleinen Wäldchen kuschelten sie sich nachts dicht aneinander und froren trotz des dicken, zottigen Felles sichtbar. Wenn sie nachts ein kleines Feuer machten, überwanden die Tiere sogar ihre Scheu vor der Glut und standen relativ nahe mit dabei, um etwas Wärme so abzubekommen. Gerne hätte Axilla sie sich in einem Stall aufwärmen lassen. Gerne hätte sie sich selbst in einem Stall aufgewärmt. Es musste noch nicht einmal ein richtiges Haus sein oder gar eine Therme mit heißem Wasser, ein Stall erschien ihr schon als königliche Unterkunft verglichen mit der harten, gefrorenen Erde.


    Beständig ging es in südliche Richtung. Meistens ritt Malachi allein schnell in ein Dorf. Sie hatten kaum noch Geld dabei und ncihts zu tauschen. Axilla hatte völlig unterschätzt, wie teuer es werden würde, Cornelius Palma zu finden, wo sie so gar keinen Anhaltspunkt hatte, wo er sich aufhielt. Einzig “südlich“, was keine allzu verlässliche Richtungsangabe war.
    Sie waren so an den albanischen Bergen bereits vorbei und schon fast bei Capua, als Malachi mit weit definitiveren Nachrichten vorbei kam. Die Classis war von Ostia abgesegelt und offensichtlich bei Misenum an Land gegangen. Und weiter im Osten waren noch Landtruppen nach Süden vorgedrungen. Axilla wusste genau so wenig wie die Bewohner Capuas, was das genau bedeutete, aber ein Schluss war naheliegend: Salinator hatte seine Truppen zweigeteilt, die Landtruppen im Osten südlich geschickt und die Classis von Misenum aus dann nach Westen, so dass sie Cornelius Palma, der irgendwo wohl dazwischen hockte, in die Zange nehmen würden. Axilla betete zu allen Göttern, dass der Cornelier nicht in diese Falle geraten war oder trotzdem gesiegt hatte. Ansonsten war das hier alles, die Reise, die Entbehrungen, die Kälte, alles war umsonst gewesen und sie hatte keinen Papierschild mehr, den sie vor ihre Familie zum Schutz noch stellen konnte. Denn den Feldherren der nördlichen Truppen kannte Axilla nicht im mindesten, und ihm hatte sie auch nicht das geringste anzubieten, außer ihrem Leben. Und das besaß für ihn vermutlich keinen effektiven Tauschwert.

    Sie waren die letzten Tage vorsichtig, aber doch beständig nach Süden geritten. Etliche Male hatten sie die Straße verlassen, um quer über irgendwelche winterleeren Felder oder durch kleine Wäldchen zu reiten. Axilla hatte die meiste Zeit keine Ahnung, wo sie eigentlich waren, sie hielt sich einfach in Richtung Süden und hoffte auf das Beste. Ihr selber ging es bei der Anstrengung nicht so gut. Sie erinnerte sich an frühere Zeiten, als sie den ganzen Tag laufen konnte, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, den Wildpferden hinterhergejagt war, die in der Nähe des Landguts ihres Vaters spielten, oder in die Wälder verschwunden war, um den ganzen Tag auf einem einsamen Baum zu sitzen, ehe sie abends mit verharzten Händen und verfilzten Haaren nach Hause gekommen war, todmüde, aber ausgeglichen. Aber das war wohl lange her. Im Moment tat ihr einfach nur alles im Leib weh und ihre Muskeln fühlten sich geschunden und überanstrengt an. Bei jedem Flüstern im Wind und jeder Gestalt, der sie begegneten, raste ihr Herz, bis es schmerzte, und die Kälte drang so tief unter ihre Haut, dass sie schon glaubte, dass ihr nie wieder warm sein würde. Auch das Bärenfell, in das sie sich nachts kuschelte, hielt den eisigen Wind und die frostigen Finger, die durch die Erde nach ihr griffen, nur notdürftig ab.
    Aber sie hielt durch. Sie wusste, sie würde es überleben. Sie musste auch, sie hatte da gar keine Wahl. Sie tat es für ihre Kinder, und für die war sie auch bereit, noch weit mehr zu ertragen als das hier. Und wenn sie durch einen Wald kamen, gab es sogar Momente, wenn auch nur kurze Augenblicke dann und wann, da meinte sie, wieder die Nymphen lachen zu hören in den Bäumen, wie damals bei dem ausritt mit ihrem Vater vor so vielen Jahren. Und in diesen Momenten fühlte sie sich beinahe frei.
    Malachi ging es da deutlich schlechter. Der Gladiator war Reiten nicht gewohnt und am ersten Tag mehrere Male von seinem Pferd gefallen. Am Abend hatte Axilla eine Leinentunika, die sie zum Wechseln und gegen die Kälte mitgenommen hatte, geopfert, um seine blutigen Schenkel zu verbinden. Er zuckte zwar nicht einmal und jammerte nicht eine Sekunde, war so ruhig und stoisch, wie man es von einem Gladiator nur erwarten konnte. Trotzdem wusste Axilla, dass es große Schmerzen sein mussten, die er für sie erduldete. Sie hoffte nur, dass sie ihm seine Hilfe eines Tages angemessen vergelten konnte.
    Weil es so kalt war, schliefen sie nachts eng beieinander. Die erste Nacht hatte Axilla deshalb kein Auge zutun können. Sie war seit Jahren keinem Mann außer dem ihren so nahe gekommen wie diesem Sklaven, und die letzte Begegnung mit ihrem Mann auch schon eine längere Zeit her. Ihr Körper reagierte in einer Art und Weise auf den Geruch und das Gefühl der Sklavenhaut, die Axilla absolut nicht wollte. Und so hatte sie mit starrem Blick und klopfendem Herzen einfach dagelegen und es ignoriert. Malachi hingegen hatte wohl nur eine Weile gewartet, ob von ihr ein Befehl zu körperlicher Nähe kommen würde, als aber keiner kam, war er ruhig und tief eingeschlafen.
    In der zweiten Nacht war Axilla dann vor Erschöpfung eingeschlafen, noch ehe sie etwas auch nur gegessen hatte.


    Sie hörten sich um in den Dörfern, in denen sie vorbeikamen. Axilla sagte nichts, saß mit tief in die Stirn gezogener Kapuze auf dem Pferd und hoffte, niemand würde merken, dass sie nur eine Frau war und kein junger Knabe. Malachi übernahm das Reden, kaufte hier und da Wein, der sie aufwärmte, oder etwas zu essen. Aber keiner wusste, wo genau Cornelius Palma denn nun steckte. Die einen schickten sie in die eine Richtung, die anderen in eine andere, und die dritten meinten, er sei schon tot und besiegt. Axilla betete, dass dem nicht so war.
    Allerdings wussten sie auch nicht so genau, wo sie waren, von daher war es vielleicht nicht das schlimmste, nicht zu wissen, wo ihr Ziel lag. So kamen sie immer voran, jeden Tag ein wenig, jeden Tag vorsichtig, jeden Tag erschöpfter.


    Am heutigen Tage aber mussten sie eine Pause machen. Es waren Parentalia, Axilla wusste es genau. Sie waren schon an einigen Menschen vorbeigekommen, die die Geister der Toten beschwichtigten, Salz ausstreuten, Dinkelküchlein zu Gräbern trugen. Es passte zur Jahreszeit und zur Stimmung, die ebenfalls dunkel war.
    Malachi hatte mit einer Schlinge ein Kaninchen gefangen und zog es gerade ab. Es stank fürchterlich, aber Axilla hatte Hunger, und sie hatten nur noch wenige Vorräte dabei und nicht allzu viel Geld. Außerdem traute Axilla sich nicht, in die nächste Stadt zu gehen, nachdem in Sie in der letzten beinahe festgesetzt worden wären. Axilla hatte den Grund nicht wirklich verstanden, aber sie wollte es auch nicht wirklich herausfinden. Zumindest hatten sie auch konkretere Angaben, wo der Cornelier wohl sein mochte.
    Axilla saß auf dem Bärenfell, die Knie angezogen, und bibberte. Heute war es besonders kalt, ihr Atem stieg als Dampfblasen vor ihr auf. Ihre Finger waren leicht blau. Und sie fühlte sich elend. Nicht wegen dem Gestank. Nicht wegen der Angst. Nicht wegen der Anstrengung. Noch nicht einmal wegen der Kälte und ihrer blauen Finger. Nein, sie fühlte sich elend, weil Parentalia waren, und sie war nicht am Grab ihres Vaters, um ihm zu opfern. Sie hatte noch nicht einmal ihre Laren mitgenommen, um diesen stellvertretend zu opfern. Dennoch wollte sie opfern, damit ihre Ahnen wussten, was sie tat, und ihren Schutz ihren Söhnen angedeihen lassen würden.


    Nachdem das Kaninchen gehäutet, ausgenommen und über einem kleinen Feuer geröstet worden war – alles von Malachi, Axilla konnte nach wie vor weniger kochen als er – stand Axilla auf. Sie zog die Schuhe aus und stellte sich auf den gefrorenen Boden. Es war fürchterlich kalt. Sie hatte den Blick zum Himmel gerichtet und keine Ahnung, wie sie das hier anfangen sollte.
    “Winde“, fing sie bibbernd und zitternd leise an. Immerhin waren diese sicher übermächtige Wesen, die hier vertreten waren. Von den Göttern und Geistern wusste Axilla es nicht. “ich bitte euch, tragt meine Worte zum Grab meiner Ahnen, damit sie hören, um was ich sie bitten will.
    Oh Ahnen der Iunii, edle Vorfahren. Ihr habt so viel geleistet und erbracht im Namen des römischen Volkes. Es ist ein Name, auf den ich stolz sein kann, dank eurer Leistungen und Gaben. Oh meine Ahnen, Vater und Väter meines Vaters. Ich hoffe, ihr seht, dass ich nicht eurem grab fern bin, weil ich euch vergessen hätte. Im Gegenteil, euer großes Beispiel zwingt mich dazu, jetzt hier so fern zu sein. Denn so wie ihr eure Familien gerettet habt durch die Jahrhunderte, muss ich jetzt meine retten versuchen. Ich bitte euch, ich flehe euch an, teilt mit mir mein Essen. Sollte ich nach Rom zurückkehren, schwöre ich euch, euch eine Ziege zur Sühne zu opfern und Salz und Kuchen, wie es euch gebührt. Und sollte ich nicht zurückkehren, bitte ich euch, mich gnädig unter euch aufzunehmen, damit ich mich einreihen kann in dieses edle Geschlecht.
    Vorväter, ich flehe euch an, seid meinen Kindern ein Schutz. Auch wenn sie nicht den edlen Namen der Gens Iunia tragen, flehe ich euch an, haltet eure schützenden Hände über sie. Vertreibt alle Mächte, die nach ihnen greifen könnten und lasst ihnen eure Weisheit und euren Schutz zuteil werden, wie ihr auch mich stets begleitet und beschützt habt.
    Und verleiht ihnen die Stärke, die unseren Namen so berühmt gemacht hat, stets aufzustehen und zu wagen, das richtige zu tun. Und gebt mir die Kraft, bei dem, was ich tue, nicht zu wanken oder zurückzuweichen. Gebt mir eure Stärke und die Zuversicht. Und lasst mich mein Ziel finden.“
    Axilla schaute in den Himmel. Sie hatte keine Ahnung, ob die Winde ihre Worte weitertragen würden. Ob ihre ahnen sie hören würden. Ob sie sie erhören würden. Sie hoffte es einfach.
    Sie nahm den letzten Weinschlauch, den sie hatten, und schüttete eine großzügig bemessene Portion auf die Erde. Danach gab sie ihn an Malachi weiter. Irgendwie hatte sie doch weder Hunger noch Durst jetzt. Nach der obligatorischen, leichten Rechtswendung setzte sie sich wieder auf ihr Fell und zog ihre Schuhe an. Ihr war so fürchterlich kalt. Die paar Häppchen des mageren Hasens, die sie doch aß, wärmten sie nicht wirklich auf. Ihre Gedanken waren viele Meilen im Norden bei ihren Kindern.

    Noch einmal streichelte Axilla über die Wange ihres Sohnes. “Mein tapferer, kleiner Soldat. Mein starker Mann“, redete sie mit sanfter Stimme. Ihr Sohn war wirklich einfach nur perfekt. Sie gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange, und einen längeren auf die Stirn, als sie Aufstand. Malachi kam auch gerade zur Tür herein und blieb im Türrahmen stehen. Axilla sah zu ihm fragend auf, aber wie immer tat er ihr nicht den Gefallen, stumm zu antworten und sah nur absolut ausdruckslos zurück.
    Das Gefühl, nicht gehen zu wollen, nicht gehen zu können, drängte sich langsam aber sicher auf. Wie konnte sie ihre Kinder nur allein lassen? Was für eine Mutter tat sowas? Konnte sie wirklich jetzt gehen und riskieren, tot im Straßengraben irgendwo zu verrotten, während ihre Familie sie brauchte? Aber auf der anderen Seite: was passierte, wenn sie blieb? Wenn die Häscher der Rebellen kommen würden? Würden sie, nach all diesem Kämpfen und Töten, wirklich so verständnisvoll sein und zwei Kinder verschonen, die zu Feinden heranwachsen konnten? Was sie mit Axilla machen würden, war dabei fast nebensächlich. Das würde sie ertragen können. Sie hatte es von Salinator auch ertragen, auch wenn er nicht wirklich gewalttätig geworden war und es auf dem Gebiet bestimmt noch Steigerungsmöglichkeiten gab, die Axilla nicht erfahren wollte. Aber wirklich wichtig waren ihr nur ihre Kinder. Und sie musste einfach alles versucht haben, um sie zu retten.
    Sie wusste nicht so recht, was sie ihrem Sohn noch sagen sollte, also wandte sie sich an Pulchra. Sie nahm den Brief, den sie zuvor geschrieben hatte, und drückte ihn ihr fest in die Hand. “Für Consular Purgitius, falls es dazu kommt“, flüsterte sie und sah der Frau noch einmal fest in die Augen. Diese nickte und steckte den Brief sicher in die Falte ihres Überkleides. Dann ging sie zu dem geschnürten Bündel, zog die Paenula über und nahm ihr Reisegepäck auf. “Malachi, geh doch noch bitte in den Vorratsraum und nimm Brot, Käse und etwas Schinken mit. Und einen Schlauch Essig.“
    Der Gladiator tat, wie ihm geheißen, und Axilla hatte noch einen kurzen Moment mit ihrem Sohn. Aber sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. Also log sie. “Es sind nur ein paar Tage, du musst dir keine Sorgen machen. Dein Vater kommt sicher auch bald, und dann gehen wir wieder nach Rom.“ Es war eine schlechte Lüge, und Axilla wusste es. Aber ihr fiel auch nichts besseres ein.
    Zum Glück brauchte Malachi nicht lange und kam mit einem weiteren, gepackten Bündel an. Axilla nickte nur kurz zu ihm und gab ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Stirn. “Sei brav. Und denk daran, wie sehr dein Vater und ich dich lieben.“ Axilla hatte das nicht sagen wollen, aber sie musste es sagen.
    Bevor ihr Sohn doch noch weinen würde und damit ihren Willen, zu gehen, brechen würde, verließ sie fast hektisch das Haus. Erst, als sie die Treppe hinunter war und vor den Pferden – zwei braunen, kleinen, zottigen Tieren – stehen blieb, traute sie sich, auch nur umzuhören, ob Malachi auch nachkam. Was er tat. Er kam langsamer als sie die Treppe herunter und blieb hinter ihr stehen.
    “Mache ich das richtige?“ fragte Axilla, nicht einmal wirklich ihn, aber er war der einzige, der da war. Sie drehte sich zu ihm um und sah fragend auf. Er sah ein wenig ratlos zurück.
    “Was tun wir denn, Domina?“ fragte er nur einfach zurück.
    Sie sah einen Augenblick zu ihm auf und wusste es selbst nicht so genau. Was tat sie hier eigentlich? “Wir führen die Pferde am Zügel, bis wir aus der Stadt hinaus sind. Zieh eine Paenula an und sie zu, dass man deine Tätowierung nicht sieht. Du wirst mich nun Dominus nennen, nicht mehr Domina, und ich werde die Kapuze aufbehalten.“ In der einfachen und nur knielangen Tunika, mit der sie reiten würde können, würde es unter der Paenula hoffentlich nicht auffallen, dass sie eine Frau war und kein Mann. Zumindest auf ein wenig Entfernung sollte es gehen und damit das Risiko eines Überfalls ein wenig reduzieren. Axilla wusste, dass das keine Antwort auf die frage war, weder auf seine, noch auf ihre. Aber mehr fiel ihr nicht ein.
    Und Malachi antwortete dankbarerweise auch wieder nur mit einem “Ja, Dominus.“

    Atticus war so ein tapferer, kleiner Soldat. Axilla liebte ihren Sohn so sehr. Er war so perfekt. Sie sah zwar, dass er nicht so lächeln konnte, wie er wollte, aber er war sonst ganz ruhig und so furchtlos. Ein braver, perfekter Soldat. Sein Großvater wäre so stolz auf ihn!
    Axilla lächelte noch einmal etwas mehr und prägte sich sein Gesicht ganz genau ein, wie er jetzt dastand und so ruhig und gefasst das Schicksal akzeptierte, ohne zu weinen, ohne zu klagen. Ohne nach Gründen zu fragen. Sie hätte sich keinen besseren Sohn erdenken können. “Du musst mir etwas versprechen, Titus. Versprich mir bitte, dass du gut auf alle aufpasst. Und dass du brav auf Pulchra hören wirst, während ich weg bin. Versprichst du mir das, ja? Dass du brav auf dich und deinen Bruder aufpasst und auf Pulchra hören wirst?“ Es war eigentlich überflüssig, aber Axilla musste es hören. Sie musste die Worte hören und wissen, dass alles geregelt war, dass ihre Familie in Sicherheit war, zumindest, so gut sie dafür sorgen konnte. Alles weitere würde in den Händen der Götter liegen.

    Axilla atmete einmal tief durch und ließ Pulchra endgültig los. Ihr Sohn räumte noch artig seine Schuhe weg und fragte, warum sie ihn heim gerufen hatte. Ein wenig tat es Axilla leid, dass sie ihn aus seinem Nachmittag gerissen hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn spielen zu lassen, ihn ganz im Unklaren zu lassen und einfach zu gehen, ohne Abschied. Vielleicht wäre es leichter gewesen. Er würde es nicht verstehen. Und Axilla würde es auch gar nicht erst versuchen, zu erklären. Sie verstand es ja selbst gar nicht.
    Sie lächelte, versteckte ihre Sorgen dahinter, wie sie es in vielen Jahren gelernt hatte. Lügen war dann leichter, die Menschen glaubten einem, wenn man nur unbekümmert lächelte. Niemand wollte Sorgen sehen. Und ihr Sohn sollte sie auch gar nicht sehen.
    “Titus. Es ist nichts. Es ist nur...“
    Axilla ging zu ihrem Sohn herüber, ging vor ihm auf die Knie, so dass sie sogar etwas kleiner war als er. Sanft strich sie durch seine wunderbaren, blonden Haare. Sie hatte so einen schönen Jungen. Jede Mutter sagte das von ihrem Sohn, aber Atticus war wirklich schön. Er hatte so ein sanftes Gesicht. Sie streichelte leicht über seine Wange und schließlich einmal über die Bulla um seinen Hals. Manchmal musste die Plakette mit seinem Namen darauf sie daran erinnern, dass er trotz allem kein kleiner Mann, sondern ein Kind war. Sie sollte ihn Kind sein lassen. “Ich muss euch für ein paar Tage verlassen. Ich mache... eine kleine Reise, sie dauert nicht lange.“
    Axilla sah kurz in seine Augen, ob sie ihn würde trösten müssen. Er war kein Kind, das leicht weinte. Er war so stark und so klug. Aber dennoch wusste sie nicht, wie er reagieren würde. Sie waren noch nie länger als einen Tag getrennt gewesen.

    Das Packen ging auf der einen Seite schnell, auf der anderen Seite erschreckend langsam. Axilla hatte nichts, was sie wirklich mitnehmen konnte, alle ihre Kleider waren eigentlich nicht für Reisen ausgelegt, sondern darauf, schön auszusehen. Auch wenn das ein oder andere jetzt einen wüsten Tintenfleck bekam, als sie mit ihren Händen grob durch ihre Truhe wühlte und die feinen Stoffe unbedarft einfach ins Zimmer warf, auf der Suche nach geeigneter Kleidung. Wirklich viel brauchbares kam nicht zum Vorschein, außer einer groben Wolltunika. Nach weiterem Wühlen in den Sachen der Sklaven kam noch eine brauchbare Paenula zum Vorschein. Eine ärmliche Ausbeute, aber es musste reichen. Axilla hatte keine Wahl, sie konnte jetzt nicht noch erst einkaufen gehen. Das, was sie kaufen musste, war schon viel genug.
    “Malachi? Kannst du reiten?“ Zwangsweise hatte der große Jude ihr helfen müssen bei ihren Vorbereitungen. Sie musste ihn mitnehmen. Sie konnte nicht allein reisen. Überhaupt konnte sie nicht als Frau reisen. Sie hatte noch keine Ahnung, wohin überhaupt sie gehen musste, und was sie dazu brauchte.
    “Nein, Herrin.“ Malachi antwortete wie immer knapp. Axilla hatte sich daran inzwischen gewöhnt. Sie brauchte nicht seine Gesprächigkeit, sie brauchte seine Hilfe und seinen Schutz.
    “Dann wirst du es lernen müssen. Nimm Midas mit auf den Pferdemarkt und lass ihn zwei Tiere aussuchen. Sie müssen nicht hübsch sein, nur robust. Nehmt das Geld aus der Truhe und beeilt euch.“
    “Domina“, gehorchte er sofort wie immer und ging los, den anderen Sklaven zu suchen und Pferde zu kaufen. Es würde teuer sein, aber das war etwas, das Axilla kaufen musste.
    Sie packte ein Bündel zusammen: Nur ein Kleid, noch eine Tunika aus der Truhen der Sklaven, eingewickelt in ein Bärenfell. Archias hatte es ihr geschenkt, als sie ihm nicht geglaubt hatte, dass er in Germania zurecht käme, als es kurz zur Debatte stand, dass er sich dort hinversetzen lassen wollte. Lustig, dass Axilla ausgerechnet jetzt daran denken musste. Aber es war egal, es würde sie in der Nacht wohl warm halten und war groß genug, dass sie sich zweimal darin einwickeln konnte. Auch wenn es ein wenig müffte.


    Als alles zusammengeschnürt war, kam auch gerade Pulchra herein. “Die Jungs kommen gleich nach“, verkündete sie und sah besorgt aus. Noch besorgter, als sie das Bündel sah und wie hektisch Axilla herumwuselte.
    Diese nutzte auch gleich die Chance und zog die Amme ihres ältesten Sohnes mit sich weiter in den Raum, in dem sie schlief, hinein. “Pulchra! Es ist... ich kann es dir nicht erklären, was ich tun werde. Je weniger ihr alle wisst, umso besser ist es. Aber, du musst mir etwas schwören. Beim Leben deines Sohnes, beim Leben unserer beider Söhne, musst du schwören!“ Eindringlich sah Axilla die Frau an, die sie nun schon so lange kannte und der sie vertraute. Vertrauen musste. Und die auch dankbarerweise nicht nachfragte und nur kurz zögerte, ehe sie Axilla mit einem “Ich schwöre“ erlöste.
    Axilla atmete einmal durch, sah noch einmal an der Frau dabei, ob auch niemand lauschte. Aber die Sklaven waren noch nicht alle zurück und die Jungs ebenso wenig. Axilla wollte ihren Sohn nicht beunruhigen. “Ich werde eine Reise machen müssen. Ich muss versuchen, meine Familie zu retten. Wenn es... wenn Rom fällt und die Rebellen gewinne, schwöre mir, dass du meinen Sohn beschützt, als wäre es dein eigener. Lass nicht zu, dass ihm ein Leid geschieht. Ich habe hier einen Brief für Consular Purgitius. Wenn ihr hier fliehen müsst, versuche, zu ihm zu gelangen. Ich hab versucht, alles zu erklären. Versprich mir, dass du meinen Sohn dann sicher zu ihm bringst. Bitte.“
    Die Salvia zögerte und wurde unruhig. “Iunia, ich...“ “Bitte!“ Axilla bettelte eigentlich nie. Aber im Moment legte sie all ihre Verzweiflung in ihre Stimme. Sie musste sicher sein, dass ihre Kinder in Sicherheit wären. Pulchra zögerte noch einmal, konnte dem Blick Axillas aber nicht standhalten. “Ich schwöre es. Ich werde ihn hinbringen, wenn wir fliehen müssen, und ich werde ihn beschützen. Aber sag mir, wohin...?“ “Nein! Nein, ich kann, nicht, das geht nicht. Ich...“ Die Wohnungstür ging wieder auf, und Axilla verstummte. Atticus sollte ihre Unsicherheit nicht mitbekommen. Sie musste stark sein, für ihren Sohn.

    Es war ein seltsames Gefühl, das zu schreiben. Auf der anderen Seite gab jede Zeile, die Axilla verfasste, ihr etwas mehr Ruhe. Sollte ihr etwas passieren, so war sichergestellt, dass es Atticus und Cossus gut gehen würde. Zumindest, sofern Palma kein Schlächter war, der sich an kleinen Kindern vergriff. Aber wenn die Götter wenigstens ein bisschen Gnade kannten, würden sie Axilla dieses winzige Stückchen Sicherheit nicht auch verwehren, wenn alles andere sich gegen sie wenden sollte.



    TESTAMENTUM IUNIAE AXILLAE


    Im Falle meines Todes verfüge ich, Iunia Axilla, Tochter von Atticus Iunius Cassiodor, Ehefrau des Gaius Pompeius Imperiosus, dass mein Vermögen wie folgt verteilt werden soll:


    Soweit im folgenden nicht anders verfügt wird, soll alles, was ich an Erbe zu vergeben habe, an meinen erstgeborenen Sohn, Titus Pompeius Atticus, gehen.


    Da mein Sohn zu dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, noch nicht geschäftsfähig ist und da ich annehme, dass er einen Tutor für seine Handlungen und sein Vermögen benötigen wird, bitte ich den Prätor, der hierüber verfügt, den ehrenwerten Consular und Senator Spurius Purgitius Macer zu betrauen, in dessen Person sicher kein Fehler zu finden sein wird, der ihn von dieser Aufgabe ausschließt. Er soll das Vermögen meines Sohnes gut verwalten und mehren, ebenso bitte ich ihn, sich um die Erziehung und Ausbildung meiner beiden Söhne, Titus Pompeius Atticus und Cossus Pompeius Largus, zu kümmern und ihnen seine Fürsorge angedeihen zu lassen im Gedenken an die freundschaftlichen Gespräche und die Gefallen, die wir einander einst erwiesen.
    Wenn er die Zeit dazu findet und es als angemessen betrachtet, würde ich ihn bitten, meinen Sohn dem Kult des Silvanus bekannt zu machen. Ebenso möchte ich ihn bitten, dass zu den Totentagen, insbesondere der Parentalia, er meinen Sohn anhalten möge, am Grab der Iunii zu opfern und auch seines Großvaters, Atticus Iunius Cassiodor, zu gedenken, und vielleicht auch seiner Mutter. Desweiteren möchte ich ihn bitten, wenn es ihm angemessen erscheint, meinem Sohn die Laufbahn eines ritterlichen Tribunen zu ermöglichen.
    Als Dank für seine Tätigkeit und alle anderen gefallen soll er bis zur Volljährigkeit meines Sohnes die Hälfte der Erträge aus meinen Ländereien für sich beanspruchen und nach seinem Gutdünken verwalten. Ebenso soll er die Erträge aus Honig von meinen Ländereien bei Ravenna gänzlich und unentgeltlich für sich in Anspruch nehmen können, sofern er sie benötigt.


    Meinen Sklaven in Ägypten sei mit meinem Tod die Freiheit geschenkt. Sie sollen von dem Vermögen aus meiner Farbmischerei jeder einen Aureus zusätzlich zu ihrem angesparten Vermögen dazu erhalten und können gehen oder im Haus der Iunii als Diener wohnen bleiben, wie es ihnen gefällt.
    Mein Sklave Malachi soll als Schützer meines Sohnes in seinen Besitz übergehen und mit der Volljährigkeit meines Sohnes seine Freiheit erlangen. Als Lohn für seinen langen Dienst soll ihm die Menge von 30 Aurei mitgegeben werden, und er soll sich das Leben damit aufbauen, welches er haben möchte.


    Meine Geschäftspartner, insbesondere die Duccii, sollen von meinem Tod Nachricht erhalten. Mein Farbmischer soll nach Germania alles an Farben und Tinte zu Händen der Freya Mercurioque verschicken und es ihnen als Dank für die langjährigen Geschäftsbeziehungen schenken.


    Titus Duccius Vala sei der versiegelte Brief, der diesem Testament beiliegt, bei meinem Tode zu übergeben, sofern er noch lebt. Sollte er tot sein, ist der Brief den heiligen Flammen der Vesta zu übergeben.


    Mein Sohn möge sich stets daran erinnern, dass die Besitzungen, die er hat, der Familie der Iunii entstammen,und so möge er stets und immer dafür sorge tragen, dass sie im Sinne der Iunii genutzt werden und der Familie, die sie erworben hat, den Stand sichert, den sie verdient.



    Der zweite Brief war schon etwas schwieriger zu schreiben gewesen. Aber auch das war nötig gewesen, und Axilla hoffte und betete, dass dieses Stückchen Papier ihren Sohn im Zweifel soweit schützen würde und ihm einen Freund an die Seite stellen würde, der nicht zuließ, dass ihm ein Leid geschah. Es war das wenigste, was sie tun konnte, und sie musste wirklich alles versuchen. Sie hatte darin keine wirkliche Wahl.
    Wann beides zugestellt werden konnte - an das Atrium vestae und an Vala, wenn es denn zum Äußersten kam - war fraglich. Aber zumindest hatte Axilla es versucht und niedergeschrieben.

    Noch nie hatte Axilla so Angst gehabt wie in diesem Moment, als sie zur Tür der kleinen Wohnung hereingekommen war. Die Nachrichten, die sie überall auf den Straßen zu hören bekam, waren schrecklich. Nun, eigentlich nicht schrecklich, aber... SCHRECKLICH.
    Axilla hatte den Göttern mehr als ein Mal am Hausaltar ein Opfer dargebracht, um Salinators Sturz gebeten und darum, dass der wahre Kaiser, Cornelius Palma, die Macht erringen möge und damit den Geist von Valerianus endlich zur Ruhe betten konnte. Aber dennoch hieß das nicht, dass sie jetzt, da die Truppen aus Germania über jene der Prätorianer und aus dem Osten gesiegt hatten und nach Rom marschiert waren, keine Angst hatte. Sie hatte sogar ganz entsetzliche Angst.
    Mit rasendem Herzen schloss sie hinter sich die Türe und zog den Riegel vor. Die Sklaven vor ihr blickten sie verwundert an, und Axilla scheuchte sie erst einmal weg. Sie konnte jetzt nicht reden, konnte es nicht erklären. Sie brauchte Zeit, um nachzudenken. Was konnte sie tun?


    Wenn die Gerüchte stimmten – und es gab wenig Anlass für Zweifel oder Skepsis – dann waren die Legionen aus dem Norden deutlich schneller in Rom angekommen, als Axilla sich das auch nur je erträumt hätte. Und es war absolut kein schöner Traum, dass sie dies bewerkstelligt hatten. Sie hatten die Stadt abgeriegelt und sich rings herum aufgestellt. Es war unmöglich, eine Botschaft nach Rom zu bekommen, die von ihnen wohl nicht bemerkt werden würde. Noch dazu, wo die Tore des Pomeriums sicherlich geschlossen worden waren und wohl kaum jemand einen Sklaven mit einer Botschaft für ihren Mann einfach so durchlassen würde, nur weil der mit einer Schriftrolle winkte.
    Axilla war allein. Ihr Mann war nicht da, ihr zu helfen. Auch die Männer, die sie um Hilfe hätte bitten können, waren alle in Rom, und sie hatte keine Möglichkeit mehr, bei diesen Zuflucht zu finden. Dennoch war sie im Moment mehr denn je überzeugt, dass es richtig war, dass ihre Kinder im Moment nicht in Rom waren. Hier in Ostia waren sie, obwohl weniger geschützt, doch sicherer dank der Anonymität, mit der sie hier aufwachsen durften.


    Atticus und Manius waren noch draußen. Sie wussten von nichts und würden auch von nichts wissen. Aber Axilla hatte keine Zeit, die beiden zu suchen und ihnen alles zu erklären. Vor allen Dingen nicht die Sachen, die jetzt folgen würden. Folgen mussten. Dennoch wollte Axilla, dass beide möglichst sofort nach Hause kamen. Sie wollte ihren Sohn bei sich wissen, wenigstens heute noch einmal, ihn in die Arme nehmen. Auch wenn sie ihm nicht sagen durfte und konnte, was sie tun musste. Er würde es nicht verstehen. Auch wenn ihr Sohn weit mehr verstand, als man einem Jungen seines Alters wohl zutrauen mochte. Atticus war manchmal so ein erstes Kind, so nachdenklich und grübelnd. Viel klüger als seine Altersgenossen, aber dadurch auch viel ernster. Manchmal fragte Axilla sich, ob er wirklich ein Kind war, oder doch ein kleiner Erwachsener. Zumindest manchmal.
    Aber jetzt sollte er erst einmal nach Hause, und zwar gleich. Außerdem brauchte Axilla ein wenig Zeit für sich, um die Dinge vorzubereiten, die sie tun musste. Es mussten Vorkehrungen getroffen werden. Also ließ sie sich Feder, Tinte und Pergament bringen. Was sie vorhatte, hielt man besser so fest, nicht einfach auswischbar wie auf Wachs. Es war gewichtig und wichtig für sie, da konnte man teures Pergament verwenden. Danach schickte sie alle sklaven außer Malachi los, nach ihrem Sohn und seinem Milchbruder zu suchen.


    Als alle gegangen waren, ging Axilla zu der Truhe mit der Rüstung ihres Vaters. Vorsichtig steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Sie musste kräftig ziehen, um den Riegel zu verschieben, das Messing schien etwas angelaufen zu sein. Vielleicht musste sie es einmal vernünftig fetten. Vielleicht... Axilla wollte nicht so weit in die Zukunft denken.
    Ganz vorsichtig nahm sie das Schwert ihres Vaters heraus, seinen Brustpanzer, um darunter die Lederrolle zu finden, die sie dort schon so lange versteckt hatte. Ganz vorsichtig nahm sie das Schriftstück heraus, öffnete den Tornister und zog ganz behutsam das Pergament hervor. Das kaiserliche Siegel wog schwer und prangte groß darauf. Ganz vorsichtig strich Axilla über die geschriebenen Worte. Das Testament des Kaisers. Sie hatte es so lange versteckt gehalten. Ihr Mann hätte es bestimmt vernichtet, ganz sicher hatte er den Auftrag dazu. Für Axilla war es eine Pflicht gewesen, es zu bewahren, und eine schreckliche Bürde. Und jetzt war es ein Schild. Der einzige, den sie hatte. Und sie musste sich einen weiteren schaffen.
    Sie nahm auch dieses Schriftstück mit zu dem Tisch und atmete noch einmal tief durch, versuchte Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Ihre Hand zitterte, als sie einen frischen Federkiel ansetzte.

    Axilla musste wieder lachen, als Cassius seinen Charme spielen ließ und weiter recht ungeniert mit ihr flirtete. Es war fast gemein, dass sie das so sehr genoss, obwohl sie ganz sicher nicht vorhatte, seine Versuche zu einem Erfolg werden zu lassen. Fast. So beschwipst war Axilla dann doch nicht, dass sie glauben würde, er hätte wirklich tiefergehende Gefühle für sie und wäre dadurch ernsthaft verletzt, wenn sie ihn abweisen würde. Und sie war auch nicht betrunken genug, um zu vergessen, dass sie gerade ein Kind von dem Mann erwartete, den zu lieben sie gelernt hatte. So charmant war der Cassier dann doch wieder nicht, auch wenn Axilla seine Komplimente wirklich sehr genoss.


    “Oh, der Abend war ganz bezaubernd. Ich muss mich herzlichst für die Einladung bedanken“, schmeichelte Axilla glattzüngig, während sie sich dank ihres Babybauches etwas schwerfällig aus dem Korbsessel erhob.
    “Und ich wäre geradezu beleidigt, wenn du mich nicht zur Tür begleiten würdest“, flirtete sie noch ein wenig mit Cassius, bei dem sie sich auch gleich ungefragt einhakte.
    Während sie sich dann in Richtung der Tür begaben – recht langsam, denn so ein Babybauch verhinderte recht effizient ausladende Schritte – ging Axilla dann auch auf das andere Gesagte ein. “Nun, Ostia ist eine hübsche Stadt. Allerdings eben nicht Alexandria. Und auch, wenn der ein oder andere Einwohner wirklich sehr interessant ist“, und wie zufällig sah sie dem Cassier dabei doch recht tief in die Augen, “So kannst du dir das Treiben auf dem Fremdenmarkt nicht einmal vorstellen, ohne es erlebt zu haben. Allein die Einheimischen sprechen so viele verschiedene Sprachen und Dialekte, dass man die Hälfte davon nicht versteht. Koine, Attisch, Dorisch, Reisende aus dem Osten auch Ionisch, phönizische Dialekte, demotische Dialekte... dazu noch die ganzen Reisenden... ich sage dir, ich habe noch nie so viel über Sprache und Verständigung gelernt, wie beim ganz normalen Einkauf dort.“ Axilla kannte noch ein paar Beschimpfungen in Sprachen, die sie nicht verstand – und von denen sie die genaue Bedeutung auch gar nicht wusste, die sich aber wirklich gefährlich anhörten und beim Feilschen auf den Märkten damals immer passend waren. “Aber auch, wenn Ostia wohl nicht so exotisch ist, hat es dennoch seine reizenden und angenehmen Seiten, wie ich bemerkt habe“, schmeichelte sie noch ein bisschen, um Cassius nicht am Ende das Gefühl zu geben, sie würde Ostia nicht mögen. Sie mochte Ostia ja, so wie man eine Stadt eben mögen konnte, an der das Herz nicht wirklich hing.

    Sim-Off:

    Es wäre höflicher, mich auf offensichtliche Vertipper anders aufmerksam zu machen, zum Beispiel via PN.


    “Dann sollte ich vielleicht ein gutes Wort bei meinem Mann bezüglich deiner weiteren Karriere einlegen. Wenn du gerne reisen magst, finden sich sicher im Imperium der ein oder andere Posten für dich.“ Axilla meinte das Angebot ehrlich. Es gab nicht nur einen Beamten, der sich quer durchs halbe Imperium versetzen ließ, um seine Karriere voran zu treiben. Natürlich aber brauchte man dazu Kontakte auf den richtigen Stellen, um zu wissen, wo denn jemand gebraucht wurde. Und die entsprechende Fürsprache, eben jenen Posten zu bekommen. Wobei auch nicht alle Männer so opferungsbereit waren, ihre Heimat für die Karriere aufzugeben. “Wobei ich ja eigentlich kaum verantworten kann, dich der hiesigen Gemeinde zu entreißen. Tausende Frauen würden sich tagelang die Augen ausweinen.“ Sie lächelte charmant und überließ damit ihm die Wahl, ob er denn wirklich seine Karriere auch außerhalb der Grenzen Ostias vorantreiben wollte oder nicht. Immerhin war das keine einfache Entscheidung, schon gar nicht eine, die man bei einem Gastmahl treffen sollte, nachdem man Wein getrunken hatte. So hatte er aber jede Möglichkeit, sich zu entscheiden und bei Gelegenheit darauf zurückzukommen. Das Angebot stand. Was er daraus machte, war seine Sache. Auch ein ehrenhafter Rückzug war spielend einfach möglich.


    Dann sprach er sie auf Alexandria an, und Axillas Lächeln verbreiterte sich noch einmal. Sie liebte diese Stadt. Wenn es eine Zeit nach dem Tod ihres Vaters gegeben hatte, in der sie unbeschwert und glücklich gewesen war, dann hatte sie die dort verlebt.
    Allerdings kam sie nicht zum Antworten, als der Iulius wieder dazwischenredete und sie etwas vollkommen abstruses fragte. “Verwandt? Nein. Mein Vetter heißt natürlich Iunius Silanus.“ Nuschelte sie bereits? Das mochte sein. So viel Wein hatte sie eigentlich nicht getrunken, aber wer wusste schon, wie stark der eigentlich war und wie gut verdünnt? Trotzdem wäre es arg absurd, wenn sie als Iunia zu einem Iulius gegangen wäre. Jedermann wusste schließlich, dass man über die mütterliche Linie nie richtig verwandt war, da man stets nur zu den Ahnen der VorVÄTER betete und ihnen opferte. “Und mir wäre nicht bekannt, dass irgend jemand meiner Familie einen Iulius geehelicht hätte.“ Vor allem, da diese erst in den letzten zehn Jahren wirklich salonfähig geworden waren, als Iulius Centho zum Senator ernannt worden war. Nun waren sie zumindest homines novi und keine Unterschicht mehr.
    Verwirrt schüttelte Axilla den Kopf und achtete dann nicht weiter darauf, widmete sich lieber dem weitaus erfreulicheren Thema Alexandrias zu. “Die Villa meines Vetters Iunius Silanus steht in Basileia, dem Königsviertel. Dort, wo früher auch die Ptolemäer residiert haben, nicht weit vom Palast und vom Isistempel. Direkten Blick zum Hafen hatten wir dort den Göttern sei dank nicht. Du kannst dir das Treiben dort nicht vorstellen. Die halbe Welt liegt dort vor Anker. Selbst der Hafen Ostias erscheint mir fast klein im Vergleich zu den drei Häfen Alexandrias.
    Allerdings kann man den Leuchtturm fast von überall sehen. Der Pharos ist ein gigantischer Bau und zurecht eines der Weltwunder. Er überragt selbst den Palast an Größe, und seine Bauart ist einzigartig. Sein Sockel ist ein gewaltiger Quader aus Marmor, darauf ein Oktaeder, gewaltig und beeindruckend, und als wäre es nicht genug, darauf noch das runde, von weißen Säulen umgebene Leuchtfeuer, das weit in das Meer hineinscheint. Man muss den Leuchtturm wirklich gesehen haben, edler Cassius, um zu verstehen, warum er in einem Atemzug mit den Pyramiden oder dem Artemision genannt wird. Und dennoch ist er nicht halb so beeindruckend wie die Bibliothek, die Gärten des Museions und des Paneions oder die Tempel.“

    Ja, Axilla liebte Alexandria wirklich. Es gab keine Stadt, die auch nur annähernd ihre Schönheit besaß. Selbst Rom konnte da nicht mithalten. Vor allem Rom konnte da nicht mithalten. Axilla atmete einmal tief und fast ein wenig verträumt durch, ehe ihr Blick sich auf dem Tisch wieder aufklarte. Im Grunde war das Essen vorüber, schon eine Weile, und Axilla wusste auch keine wirklichen, neuen Themen mehr. Der Iulius war langweilig und doch auch anstrengend, allerdings Gastgeber. Cassius war ein hervorragender Gesprächspartner, aber eben nicht der Gastgeber. Axilla hatte keine Ahnung, wie lange sie sich noch nur auf ihn konzentrieren konnte, ohne dass es wirklich unhöflich wurde. Vielleicht war es wirklich besser, die Verabschiedung einzuleiten.
    Scheinbar zufällig gähnte sie leicht, hielt eine Hand dabei vor den Mund und lächelte anschließend etwas verlegen. “Ich fürchte, meine Herren, so schön der Abend auch war, so anstrengend ist er doch für eine Schwangere.“ Das sollte genug Vorschuss sein, um einem der beiden Herrn zu ermöglichen, charmanter Held der Situation zu sein und die Verabschiedung einzuleiten.

    Wie kam er denn jetzt auf Valerianus? Hatte sie sich versprochen? Axilla war sich nicht so ganz sicher. In ihrem Kopf hatte ihr gesagtes alles Sinn ergeben. Allerdings lebten ihre Gesprächspartner nunmal hier draußen und nicht in ihrem Kopf. Und wie weit außerhalb ihres Kopfes er wohnte, bezeugte der Iulius gleich mal durch eine sehr verwirrende Rede, was er gemeint hatte, von der Axilla nicht einmal die Hälfte glaubte. Das hatte er ganz sicher nicht gemeint, dass er sich nur wunderte, warum Valerianus den Vescularier nicht adoptiert hatte. Zum Glück hatte er das nicht! Das wäre in Axillas Vorstellung absolut grauenhaft, so ein Charakterschwein als wirkliches Mitglied der kaiserlichen Familie sehen zu müssen.
    “Wahrscheinlich hat er den Menschen in seiner Nähe einfach vertraut und nicht daran gedacht, dass einer von ihnen ihm Gift unters Essen rühren würde. Er war ein sehr vertrauensvoller Mensch, vielleicht zu vertrauensvoll für einen Kaiser. Du wirst es wahrscheinlich nicht wissen, aber als ich mit Aelius Archias verheiratet war, habe ich auch auf dem Palatin gewohnt.“ Gut, den Kaiser hatte sie nun persönlich nicht kennengelernt. Und seinen Bruder nicht so wirklich. Nachdem sie versehentlich in seinem Bett gelandet war anstatt in dem ihres Mannes – was hatte der Palast auch so dermaßen viele Räume? - und nur noch so grade eben hatte flüchten können, ohne dass Aelius Quarto bemerkt hatte, wer sie denn war – hatte sie um den Bruder des Kaisers einen Bogen gemacht, was bei der Größe des Palastes und seiner begrenzten Anwesenheit in selbigen aber auch nicht allzu schwer gewesen war.
    So oder so, von allen Erzählungen der vielen Menschen dort wusste sie, dass Valerianus ein sehr umgänglicher Mensch gewesen war. Nett geradezu. Und bestimmt viel zu nett, um zu denken, dass wirklich jemand anderes als sein Sohn ihm nachfolgen würde. “Und von dem, was ich über Valerianus weiß, war er ein großer Mann, aber niemand, der unbedingt Ränke in seiner Nähe erkennen konnte. Mich zumindest wundert es wenig, dass er niemanden adoptiert hat für den Fall, dass sein Sohn stirbt. Ich bin eher verwundert, dass er überhaupt Vorsorge für diesen Fall getroffen hat.“


    Cassius schien aber das Thema nicht weiter vertiefen zu wollen und lenkte ab. Sogar so offensichtlich, dass Axilla es mitbekam. Allerdings konnte sie kaum so unhöflich sein, und ihm nicht antworten. Vor allem, da er ja wirklich, wirklich nett gewesen war. Und sehr charmant. Und überhaupt sehr angenehm. Da wäre es richtig undankbar, wenn sie sich weiterhin verbal mit dem Iulius fetzen würde, wenn er hier so nett zu schlichten versuchte. Auch wenn er sie eben als alt und welk bezeichnet hatte, und als Blume. Wenn Axilla eine Pflanze war, dann eher irgendwas mit reichlich Dornen dran.


    “Ja, ich stamme aus Tarraco. Nachdem allerdings dann meine Mutter vor einigen Jahren ebenfalls verschieden war, bin ich zu meinem nächsten Verwandten gereist, Iulius Silanus. Seinerzeit war er Tribun in Alexandria und hatte in der Stadt eine ansehnliche Villa erstanden, so dass ich dort einige Jahre gelebt habe und die Vorzüge der dortigen Möglichkeiten erleben durfte.“ Silanus, ihre erste, große Liebe. Der Mann, dem sie ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte, und den sie beinahe geheiratet hätte, wäre nicht doch das Leben dazwischen gekommen und der Verstand, der ihr gesagt hatte, welchen Schaden das für ihre Familie bedeutet hätte. “So war ich auch persönliche Schreiberin des Leiters des Museions, der auch gleichzeitig das höchste politische Amt innehatte. Eine Möglichkeit, die man als Frau sonst wohl nur selten bekommt. Neben den vielen Bildungsangeboten, die es dort ohnehin schon gibt.“ Auch Nikolaos war inzwischen tot, doch dachte Axilla gern an den kleinen, schrulligen Griechen, der ihr so viel beigebracht hatte. Er und Urgulania waren wohl die Menschen gewesen, die in ihrem jungen Leben den größten Einfluss auf sie gehabt hatten. Und es waren durchweg positive Erinnerungen, die sie mit den beiden verband. Und tiefe Traurigkeit, dass diese beiden viel zu früh in die Unterwelt eingegangen waren.
    “Erst vor einigen Jahren, kurz vor meiner ersten Hochzeit, bin ich nach Rom gekommen, um einen Mann von stand zu finden. Das ist etwas, das in Alexandria doch etwas schwieriger ist für jemanden aus meinem Stand. Mein Vetter war da immerhin auch schon Procurator. Mein Mann folgte ihm auf den Posten, ebenso wie mein zweiter Mann nun.
    Wie du siehst, bin ich also weiter gereist als die meisten Menschen.“

    Serapio? Als der Iulius den Cognomen benutzte, ohne irgendwas drumherum, horchte Axilla dann doch etwas mehr auf. Dann war die Bezeichnung für den Decimer von vorhin wohl doch sehr in Richtung 'Freund' gegangen, ansonsten hätte der Iulius ganz sicher jetzt nicht so vertraulich gesprochen. Und wie er gleich in die Bresche sprang, als nur der Hauch von Kritik aufkam an dem feinen Decimus! Oh, Axillas Meinung war bei weitem nicht so rosig. Der Kerl war ein ungehobelter, ungebildeter, idiotischer Geck, der nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze schauen konnte, nur übertroffen von der Arroganz und Selbstverliebtheit seiner schreckschraubenhaften Schwester. Der Iulius sank ein paar digiti in ihrer Achtung, als er sich auch nach dem Beschwichtigungsversuch des Cassiers noch zu so Dümmlichkeiten hinreißen ließ, dass die Prätorianer das alles schon ermitteln würden. Auch wenn Axillas Vetter Seneca bei den Schwarzröcken war und sie ihm glaubte, dass er nichts davon gewusst hatte, war sie mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass es sehr wahrscheinlich war, dass einige der Prätorianer sehr wohl ihre Finger im Spiel gehabt hatten. Immerhin waren die die einzigen gewesen, die Zugang zum Kaiser gehabt hatten.
    “Nun, das Testament sagt aber genau das aus. Zumindest das, dass Vescularius dem Senat hat vorlesen lassen.“ Dass es noch ein anderes gab, davon konnte der Iulius schließlich nicht das geringste wissen. Es war schon ein Wunder, dass Axilla es überhaupt wusste, und im Gegensatz zu ihrem Gastgeber wusste sie ganz sicher, dass Valerianus einen Mann eingesetzt hat, den er für würdig gehalten hatte, auch wenn der außerhalb der eigenen Familie gewesen war. Und auch nur, falls sein Sohn nicht regieren konnte. “Oder willst du etwa sagen, dass Valerianus nicht rechtmäßig Kaiser ist? In Zusammenhang auch noch mit dem Giftmord an Valerianus?“ Arg viel anders konnte man seine Worte wohl kaum verstehen. Im Grunde genommen hatte der Iulius genau das gesagt. Axilla sah den Iulius fragend an und mühte sich ernsthaft, nicht verschlagen dabei auszusehen, sondern möglichst naiv und harmlos. Immerhin könnte der Iulius ihr mit einer Antwort auf die Frage, die sie aber einfach stellen musste nach dieser Einlassung, nicht nur ein Messer, sondern eine ganze Batterie Scorpiones, geschraubt auf Ballisten und bestückt mit Gladii an die Hand, wenn sie ihm Übles wollte.

    Jetzt musste Axilla doch nochmal lachen, wenn auch nicht zu laut, um den kleinen Cossus – wie war ihr Mann auf den Namen gekommen? Axilla musste sich daran wohl gewöhnen – nicht zu wecken. “Das gibt doch so häßliche Striemen“, scherzte sie mit halb bedauerndem Tonfall weiter, der aber so gar nicht zu dem Strahlen in ihrem Gesicht passen wollte. Sie genoss die Nähe zu Imperiosus, seinen Kuss, das Gefühl, als er sie an sich presste und schmiegte sich ganz dicht an ihn. Nur ganz kurz bedauerte sie ein wenig, dass gewisse Zuneigungsbekundungen nicht möglich sein würden so kurz nach der Geburt. Erst musste sich in ihrem Unterleib alles ausreichend erholen und regenerieren, was nach einer Woche nicht gegeben war.
    Sie gab ihm noch ein Küsschen auf die Wange. Dann eins auf die Nase. Und schließlich noch einen Kuss auf den Mund. Es war kindisch und albern, aber auch, wenn diese Ehe unter rein logischen Gesichtspunkten angefangen hatte und Axilla es nie für möglich gehalten hätte, sie hatte gelernt, Imperiosus wirklich zu lieben. Nicht so heiß und unvernünftig, wie sie sich zuvor schon verliebt hatte, nicht so berauschend und betäubend, aber beständig, tief und aufrichtig. Und Axilla war nunmal kindisch und albern. Zumindest manchmal noch, wenn sie nicht von dem Gefühl beinahe erdrückt wurde, erwachsen, vorsichtig und vernünftig sein zu müssen.
    [color=blue“Wann erwarten sie dich denn in der Curia? Heute noch, oder erst morgen?“[/color] Zwei Tage war ja so lange auch wieder nicht, als dass es da viel Zeit gab. Vor allem, da Axilla ja vom Iulius schon wusste – oder sich zu erinnern glaubte – dass Imperiosus da die Finanzen prüfen sollte. Und das konnte auch länger als einen Tag dauern oder Rückfragen erforderlich machen.

    Zwei Tage! Und damit auch zwei Nächte. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf Axillas Gesicht. Dass ihr Mann zwischendurch auch einmal bei der Curia vorbeischauen würde, war zwar bedauerlich, aber sie kannte das ja schon. Imperiosus arbeitete einfach immer. Jeden Tag. Es war Träumerei, zu denken, er käme hierher, ohne irgendeine Arbeit sonst noch damit zu verbinden. Aber dennoch war er hier, bei ihr, zumindest eine Weile, und es war einfach schön so. Allein die Vorstellung, in seinen Armen heute Nacht einschlafen zu können, gab ihr ein warmes und sicheres Gefühl.
    “Sei nicht allzu streng mit ihnen. Der Iulius hat mich vor einigen Wochen zum Essen eingeladen. Er ist furchtbar langweilig und steif“, Axilla winkte fast schon mit gelangweilter Geste ab, als sie an der Stelle der Erzählung war. Der Iulius war wirklich nicht unbedingt ihr beliebtester Gesprächspartner für die nächste Zukunft. “...aber sein Collega Cassius war ausgesprochen nett. Also sei nicht zu streng mit den beiden und ärger sie nur ein bisschen.“

    Jetzt überraschte der Iulius Axilla dann schließlich doch. Hatte sie sowas gesagt? Vielleicht hätte sie doch ein bisschen weniger Wein trinken sollen, sie erinnerte sich nicht gut genug an ihre Worte, um diese Interpretation eben jener auszuschließen, aber ihr war nicht bewusst, dass sie sich so ausgedruckt hatte. Und so blieb ihr nur, erstmal etwas perplex dreinzuschauen, als der Iulier sie fragte, ob sie glaubte, die Claudier hätten den jetzigen Kaiser ermordet – denn nichts anderes implizierte seine Frage ja.
    “Um die Wahrheit zu sagen, ich kenne keinen einzigen Claudier näher. Zumindest nicht, dass ich wüsste oder mich an eine formelle Vorstellung erinnern würde.“ Von den Tiberiern kannte Axilla ein paar, von den Aureliern sogar die meisten. Da war sie auf zwei Hochzeiten als Gast eingeladen gewesen. Flavier kannte sie auch einige. Einen hatte sie umarmt und an seiner Schulter geweint. Einem anderen hatte sie ein Veilchen gehauen. Aber Claudier? Soweit sie wusste, war sie da nie einem über den Weg gelaufen. “Ich weiß also nicht, ob diese nun den Kaiser ermordet haben oder nicht oder aus welchen Gründen sie proskribiert wurden. Offiziell ja wohl genau deswegen.“ Axilla zuckte etwas hilflos mit den Schultern. Sie konnte wohl kaum offen sagen, dass sie nicht glaubte, dass irgendwer auf dieser Liste auch nur irgendwas gemacht hätte. Es waren zu auffällig viele Leute darauf, die Gegner Salinators waren und zu viele Patrizier, die er so offenkundig nie leiden konnte. Und außerdem wusste Axilla ja ganz sicher, dass Salinator den Kaiser hatte umbringen lassen und sich selbst auf seinen Platz gesetzt hatte, indem er das Testament des Kaisers gefälscht hatte.


    Als Cassius dann die Decimer ansprach, entkam Axilla ein sehr gequältes Lächeln. “Ich denke, da hast du einen sehr wahren Punkt angesprochen, Cassius. Solange die Familie diese Posten stellt, wird denke ich wenig verlautbart werden. Schon gar nicht gegen den Willen des Kaisers, oder was Kritik an ihm äußern könnte.“ Und das sagte immerhin sie als Lectrix! Anfangs war es ja noch so gewesen, dass es durchaus kritische Stimmen gegeben hatte. Aber nachdem sich die Decimer dem Vescularier so dermaßen angebiedert und in seinen engeren Kreis eingeheiratet hatten, war damit auch Schluss.
    Kurz überlegte sie, ob es denn taktisch so klug war, dass ihr das doch so offen rausgerutscht war, nachdem der Iulius vorhin noch gemeint hatte, der Präfekt der Prätorianer zähle zu seinen... wie hatte er sich ausgedrückt? Freunde hatte er wohl nicht gesagt, aber sowas ähnliches. Axilla wusste es nicht mehr so genau. War ja auch schon eine Weile her. Vermutlich würde ihm daher wohl nicht passen, wenn sie und Cassius sich da einig waren, dass die Decimer nicht gerade dazu beitrugen, dass die Wahrheit über den Mord unbedingt ans Licht kam.

    Ganz vorsichtig nahm Axilla ihren Sohn wieder in die Arme, immer darauf bedacht, das Köpfchen auch ausreichend zu stützen. Cossus – Axilla musste sich an den Namen noch gewöhnen – weinte noch immer ein wenig vor sich hin, ließ sich aber mit ein wenig wiegen und wippen in den Armen zu einem leise jammernden Wimmern runterberuhigen.
    “Nein, Pulchra hat schon lange keine Milch mehr. Er hat eine eigene Amme.“ Atticus war zu groß, um noch gesäugt zu werden, und seine Amme hatte nach Manius kein weiteres Kind mehr bekommen. Ihr Mann war seit Jahren nicht heimgekommen, und jetzt kämpfte er vermutlich irgendwo im Norden. Vielleicht war er auch schon tot. So oder so hatte die gute Frau schon lange keine Milch mehr, der Abstand zwischen Axillas Kindern war da doch zu groß.
    Allerdings war die Vereinbarung zwischen Axilla und Pulchra ja unabhängig vom Stillen weiterer Kinder gewesen. Pulchra und ihr Sohn würden so lange zu Axillas Haushalt gehören, bis es für Atticus an der Zeit war, außerhalb des eigenen Heimes zu lernen. Wenn er alt genug war, sollte er auch mehr lernen, sollte mehr Menschen kennen lernen, sollte eigenständiger werden, wie es sich für einen jungen Mann gehörte. Vielleicht konnte er ein Tirocinium Fori bei einem von Axillas Geschäftspartnern machen. Da konnte Manius selbstverständlich nicht mitkommen. Aber bis zu diesem Zeitpunkt erlebte der Sohn der Amme die Vorzüge einer gehobenen Erziehung, was für Pulchra ein unbezahlbarer Vorteil war und über die Jahre nicht nur ihre Loyalität, sondern auch ihre Dankbarkeit und Freundschaft gesichert hatte.
    “Wie lange wirst du bleiben?“ fragte Axilla schließlich leise, als ihr Sohn sich wieder so weit beruhigt hatte, dass sie ihn zum Schlafen wieder zurück in sein Bettchen legen konnte.