Beiträge von Iunia Axilla

    “Ich sag Malachi bescheid und er wird sich dann bei dir melden und einen Trainingsplan machen. Mit Titus hat er jeden Tag trainiert, aber... naja, vielleicht erst einmal langsam anfangen.“ Atticus hatte sein ganzes Leben als Vorbereitung auf den Ritterstand gehabt und daher schon sehr früh angefangen, zu trainieren. Ihr Sohn war nicht nur einen Kopf größer als Proximus, sondern auch sehr viel muskulöser. Bis Proximus ein auch nur halb so guter Kämpfer wäre, würde es sicherlich dauern. Wahrscheinlich würde er nie so gut werden, aber man musste es ja wenigstens versuchen. Irgend jemand musste ja mal einen ganzen Kerl aus dem Jungen machen.


    Dass Proximus da bislang auch keinerlei Erfahrungen mit der Wirtschaft hatte, passte geradezu ins Bild. Gut, er war auch wirklich noch jung, aber jetzt war er ja nach Rom gekommen, um zu lernen. “Gut, dann lernst du jetzt ein wenig mehr. Ich habe vor, dir ein wenig Geld zu überschreiben und ein paar Sklaven und dergleichen, damit du auch wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen kannst. Also, später. Anfangs greif ich dir natürlich etwas unter die Arme, aber früher oder später solltest du dann damit dein eigenes Geld verdienen. Du weißt ja, dass man für den Ritterstand auch einen gewissen Census erfüllen muss, was den eigenen Wohlstand angeht.“

    Wann er anfangen würde? “Naja, zunächst einmal sollte ich Torquatus doch fragen, nicht wahr? Ich bin mir zwar sicher, dass er etwas finden wird, aber fragen muss ich ihn ja dennoch.“ Es würde sicherlich vieles vereinfachen, wenn Axilla selbst solche Vorgänge in der Kanzlei anleiern könnte, aber als Frau beschränkte sie sich da doch eher auf die Hintergrundtätigkeiten. Die hatten bislang schließlich auch noch jedes Mal ausgereicht.


    Bei der zweiten Frage schien Proximus aber ein bisschen weniger enthusiastisch. Aber Axilla war sich dafür umso sicherer, dass der Junge ein wenig Kondition brauchen würde, damit er nicht wieder im entscheidenden Moment dann umkippte. So ein Schwächeanfall im falschen Moment konnte eine Karriere nachhaltig zerstören. Auch Silanus war von seiner Krankheit um Jahre zurückgeworfen worden. Wenn nun Proximus in ähnlicher Weise desöfteren zusammenklappte, wäre das Gerede über ihre Familie groß und sie würden einiges an Ansehen in der Gesellschaft verlieren, welches sie so hart erkämpft hatte.
    “Ja, ich denke schon, dass dir ein wenig Training nicht schaden kann. Und Malachi hat ja auch Erfahrung als Lehrer wegen Titus.“


    Wenn das geschafft war, war dann natürlich schon einmal der Karriereweg geebnet. Wegen eines Patrones würde sie sich noch ein paar Gedanken machen und vielleicht auch Silanus fragen. Wobei... in letzter Zeit glänzte der ja nicht unbedingt durch logisches Denken. Vielleicht fragte sie ihn da besser nicht.
    Blieb also nur noch eine Sache übrig. “Sag mal, Proximus, hattest du denn bislang in deinem Leben mal etwas mit Betriebsführung zu tun?“

    “Ach, so lange musst du da denke ich gar nicht warten. Titus – also, mein Ältester – ist jetzt auch erst sechzehn und hat sein Tribunat. Allerdings habe ich das auch länger vorbereitet. Aber ich denke, in zwei, drei Jahren spätestens ist es bei dir auch so weit. Ein paar Kontakte knüpfen, für dich einen vernünftigen Patron suchen, dann sollte dem Ganzen nichts im Wege stehen.“ Gedanklich ging Axilla schon einmal die Liste möglicher Patrone durch. Natürlich könnte sie Proximus auch wieder einfach zu Purgitius Macer schicken. Aufgrund der bestehenden Verbindungen sollte das das geringste Problem sein. Aber auch Silanus' Patron wäre interessant. Nur war der gerade in Germania, so dass er weder seinen Einfluss in Rom geltend machen könnte, noch überhaupt etwas dazu sagen könnte. Aurelius Lupus wäre auch eine gute Wahl, allerdings war hierbei fraglich, ob er sich auch für Ritter einsetzen würde, oder sich auf Senatoren beschränkte. Wenn Proximus auch ins Militär wollte, wäre vielleicht auch Claudius Menecrates interessant. Der hatte zumindest schon ein paar Legionen befehligt.


    Axilla war also ganz in ihren Planungsgedanken, als Proximus sie daran erinnerte, dass er noch anwesend war. “Was du als Primicerius zu tun hättest?“ fragte sie etwas verwirrt nach. “Naja, als Primicerius arbeitest du einem Procurator zu. Also hauptsächlich eingehende Post nach Dringlichkeit sortieren und ausgehende Post diktieren, Schreiber und Boten anweisen und alles vernünftig protokollieren und archivieren. Aber genaueres kann dir sicherlich Torquatus sagen. Ich werde ihn dann mal bitten, für dich einen freien Platz in der Kanzlei zu finden.


    Und... also, Titus hatte als Vorbereitung fürs Militär Unterricht bei Malachi. Das ist mein Sklave. Er ist... war... ist Gladiator.“ Bei diesem Satz fiel Axilla einmal mehr auf, dass sie Malachi endlich freilassen sollte. Sie wusste selber nicht so genau, was sie davon abhielt. Aber sie war sich sicher, dass sie ihn nicht mehr in der Arena sehen wollte, und die einzig wirkliche Möglichkeit, das sicher und für immer zu verhindern, war es, ihn endlich freizulassen. Sie scheuchte den Gedanken fort. “Er könnte dich auch trainieren, damit du nicht nur dekorativ auf einem Pferd herumsitzen kannst, sondern auch weißt, wie man kämpft. Einen besseren Lehrer als einen Gladiator gibt es hierfür ja nicht.“

    “Nein, nein, du störst nicht“, bekräftigte Axilla noch einmal, als der Junge hereinkam und ein wenig unsicher wirkte. Aber gut, Axillas Tisch war auch ein anschauliches Beispiel für das Haufenprinzip: Auf diversen Stapeln türmten sich Wachstafeln, hier und da lagen Schriftrollen und dazwischen irgendwo ein Stylus und vermutlich auch eine Gänsefeder.


    Axilla schob also einen dieser Haufen etwas auf die Seite, um wirklich zu veranschaulichen, dass sie gerade Zeit hatte, während Proximus sich ihr gegenüber setzte. Und mit seiner Frage ein Lächeln auf Axillas Gesicht zauberte. “Oh, natürlich werde ich dir helfen. Ich gebe zu, ich habe mir auch schon den ein oder anderen Gedanken gemacht. Immerhin bist du ja auch ein Spross aus einer großen Ritter-Gens, da wäre es ja nur richtig, wenn du auch früher oder später Ritter würdest. Nicht nur einfacher Legionär, nein, nein. Das wäre doch lustig, wenn du in ein paar Jahren als Kommandeur einer eigenen Einheit zurück nach Germania kehren würdest und den Männern dann Befehle geben könntest, anstatt sie nur dumpf auszuführen, nicht?
    Aber naja, erst einmal sollten wir klein anfangen. Wie du vielleicht weißt, ist mein Verlobter ja Procurator a memoria. Es wäre für ihn sicherlich kein Problem, dich in der kaiserlichen Kanzlei unterzubringen. Was hältst du davon?“

    Dass ihre Frage sich auf mehrere Teile ihrer Aussage beziehen konnte, fiel Axilla noch nicht einmal auf. Sie war ganz und ganz im Planungsrausch. Vermutlich wäre es auch gut, wenn Proximus ebenso wie ihr Sohn zuvor Unterricht bei Malachi nehmen würde, um ihn körperlich etwas fitter zu machen.

    Zufälligerweise war Axilla gerade in ihrem Officium. Wie so oft grübelte sie über ihrer Korrespondenz. Die anstehende Hochzeit machte es nicht leichter, sich aufs Geschäftliche zu konzentrieren, und dass sie schon zweimal verschoben werden musste, auch nicht. Es waren noch nicht einmal die Einladungen herausgeschickt bislang! Das Haus ihres Angebeteten war auch noch nicht einmal ansatzweise einzugsbereit – gut, das war zu verschmerzen, am liebsten würde Axilla sowieso hier in der Domus Iunia bleiben wollen – und überhaupt ärgerte sie gerade so manches, kleines Kinkerlitzchen. Sie hatte sich endlich für einen fünften Betrieb entschieden, war sich allerdings alles andere als sicher, die richtige Wahl damit getroffen zu haben.


    Irgendwann also an diesem nicht gerade ruhmreichen Vormittag klopfte es etwas zaghaft an ihrer Tür. Folglich war es keines der Kinder, die vergaßen sowas nämlich andauernd. “Ja bitte?“ fragte sie und gab damit implizit die Erlaubnis, die Tür zu öffnen. Proximus stand auf der anderen Seite. “Ah, Proximus. Komm rein und setz dich. Was gibt es denn? Haben du und deine Schwester euch inzwischen eingewöhnt?“ winkte sie den Jungen gleich näher.

    Jetzt hätte Axilla beinahe ihren Posca verschüttet. Bei allen Olympiern und Pan selbst, hatte der Iulier ihre Bemerkung jetzt so ernst genommen? Ja, natürlich konnte man eine weibliche Sklavin nicht allein lassen, um auch nur den Verdacht eines solchen Vorwurfes auszuschließen, aber sie hatte doch nicht ernsthaft angenommen, er würde hier jetzt gleich ihre Sklavin bespringen.
    Axilla drehte sich noch einmal um und sah Iulius Licinus nicht minder verwirrt an. “Natürlich hab ich das nicht angenommen. Aber das hier ist Rom, Iulius. Und deine tadellose Ehre liegt mir genauso am Herzen, wie die meiner Sklaven. Und in Rom wird getuschelt“, zwinkerte sie ihm zu.
    Eigentlich lag ihr ja nur die Ehre ihrer Familie und die der Sklaven am Herzen, aber in diesem konkreten Fall profitierte er eben auch davon. Anscheinend aber war der Iulius noch nicht allzu lange in Rom, oder aber, er hatte noch nichts davon mitbekommen, dass in Rom das getuschelte Wort fast genauso schwer wog wie jede Tatsache.

    War Axilla denn allen ernstes die einzige in der gesamten Familie, die nicht mit absolutem Größenwahn geschlagen war und daher meinte, mal eben über dem Gesetz zu stehen? Als Silanus hier gerade eben ganz fröhlich verkündete, dass er noch nicht einmal ansatzweise vorhatte, sich an die Gesetze des römischen Reiches zu halten, blieb ihr doch ernsthaft der Mund offen stehen.
    “Hast du jetzt komplett den Verstand verloren? Du wirst dich gefälligst an die Gesetze halten! Reicht es nicht schon, dass du diese ganze Familie gefährdest, indem du zum Tode verurteilte Amazonen hier herbringst? Ich weiß, bei den Prätorianern grassiert desöfteren die Illusion, dass man über dem Gesetz stehen würde, aber ernsthaft, Silanus, ich habe dich bislang doch für zumindest ein wenig integer gehalten. Und jetzt stellst du dich tatsächlich mit einem 'Gesetz hin oder her' vor mich hin?“
    Axilla konnte gar nicht in Worte fassen, wie entsetzt sie jetzt gerade von ihrem eigenen Vetter war. Der Mann war vollkommen durchgeknallt. Hatte der denn überhaupt gar keine persönliche Ehre mehr? Wenn er unbedingt in seinen Ruin rennen wollte, bitte, da konnte sie ihn wohl kaum aufhalten. Aber sie würde garantiert nicht zulassen, dass er da die ganze Familie mit hineinzog, nur weil er eben dachte, einen tollen Fang zu machen, der sich aber als recht vergifteter Fisch herausstellte.
    “Dann um Himels willen lern sie kennen. Aber stell gefälligst klar, dass das Familienvermögen der Iunii das Familienvermögen der Iunii bleibt und die Tiberii daran nicht den geringsten Anteil haben werden. Wenn sie dann immer noch gewillt sind, die Verbindung einzugehen, dann will ich der Frau eine Chance geben. Ich werd aber nicht zulassen, dass du dieses Haus hier in Verruf und in Gefahr bringst für eine Frau, die du nicht einmal ansatzweise kennst.“

    Was hatte Axilla gegen die Tiberier? Nichts wirksames, wie es schien. Aber schon ihr erster Ehemann hatte es damals schon sehr, sehr treffend zusammengefasst: Alle Patrizier hatten einen an der Klatsche. Und die Tiberier bildeten da keine Ausnahme.
    “Wer sagt dir denn, dass es nur Klatsch ist? Was glaubst du denn, wo der Klatsch herkommt? Aus dem nichts? Und nur zu deiner Information, Tiberius Durus hat damals grandios meine Klage wegen des Erbes von Archias versemmelt, also kenne ich die Tiberier wohl schon ein bisschen und war auch ein bisschen in ihrem Haus.“
    Axilla ärgerte sich, dass Silanus alles, was möglicherweise negativ sein könnte und alle Bedenken so kategorisch als Unsinn wegwischen wollte, während er seine rosarote Sicht der Dinge als grandiose Wahrheit zu verkaufen gedachte. Dabei konnte er wohl genausowenig wie Axilla irgend etwas zu der Sache wirklich konkret beisteuern und nur sein Wunschdenken gegen den gängigen Klatsch anführen. Dass jenes aber nicht mehr Beweiskraft besaß als das andere, ließ er geflissentlich aus.


    Und auch das andere ergab wenig bis gar keinen Sinn. “Und ich weiß, du warst noch nie verheiratet und hast dich daher vielleicht noch nicht mit den betreffenden Gesetzen befasst, aber nach Lex Iulia et Papia sind Geschenke zwischen Eheleuten strikt verboten. Wenn die Tiberier so heruntergekommen sind, wie du denkst, wovon soll sie dann ihre Garderobe und ihren Schmuck und dergleichen zahlen, um dir eine angemessene Frau zu sein, hm? Die Tiberier können auf deinen Reichtum überhaupt nicht zugreifen, ohne dass sie eine gewaltige Klage riskieren. Und das werden die auch wissen.“
    Auf die Mitgift zu verzichten war da ja nur das Tüpfelchen auf dem i. Ein absoluter Wahnsinn, für beide Seiten. Nicht nur, dass es die ganze Ehe dem Spott der Gesellschaft aussetzen würde, hatte so weder Silanus einen Vorteil von dieser Ehe, noch konnte die betreffende Tiberia aus dieser Ehe jemals heraus, ohne beträchtlichen Schaden zu nehmen und buchstäblich vor dem nichts zu stehen.
    “Und auch, wenn dieser unsägliche Brutalo demnächst überschnappt und sie damit keinen Zugang mehr zu den Prätorianern haben sollten, stinkt das Ganze ganz gewaltig. Tut mir leid. Sowas ist nichts, was man auch nur annähernd logisch erklären kann. Und da musst du mir wirklich erlauben, dass ich da mehr als skeptisch bin, was das angeht.“

    Für jemanden, der von sich vorgab, hinter feindlichen Linien herumzuschnüffeln und dort Leute zu ermorden, gab sich Lea aber reichlich ertappt. Wieder ein Punkt, an dem Axilla Teile von ihrer Geschichte eher als jugendliche Übertreibung abtat. Aber ohnehin galt ihre Aufmerksamkeit mehr dem Iulius, dem es langsam aber sicher zu dämmern schien. Erst ganz langsam, dann aber doch zunehmend überzeugender ging er auf das kleine Spiel ein. Gut. Sehr gut. Axilla hoffte nur, dass der Mann wirklich so vertrauenswürdig war, wie er wohl für Silanus sein musste, so dass sie sich hier keine weiteren Gedanken zu machen brauchte. Sie wollte nur ein wenig Ruhe und Friede für ihre Familie, und selbstverständlich Sicherheit. Ein unkalkulierbares Risiko stand da nicht auf dem Wunschzettel.


    Als Iulius Licinus aber nun den Grund seiner Anwesenheit etwas besser erklärte, entspannte sich Axilla ein klein wenig. Rein private Neugier war ihr allemal lieber als eine dienstliche Ermittlung der Prätorianer im Haus!
    “Oh, unsere Lea hier ist sehr gebildet. Wenn jemand in diesem Haus etwas über dieses Volk weiß, dann gewiss sie.“ Axilla stand auf und nahm sich erst einen Becher Posca vom Tablett, den sie an Iulius Licinus weiterreichte, dann den anderen. Mit der freien Hand nahm sie Lea das Tablett ab und deutete dann Lea, sie solle sich doch zu Iulius Licinus sitzen. Für drei Leute war die Steinbank wohl doch etwas ungesellig. Abgesehen davon war sie selbst ja nun nicht unbedingt beteiligter Gesprächspartner dabei.
    “Unterhaltet euch also ruhig. Ich bleibe aber in der Nähe. Wir sind hier schließlich kein Lupanar.“ Ein fremder Mann allein mit einer der Sklavinnen des Hauses, das käme definitiv nicht in Frage. Auch, wenn es ja sonst keiner wissen würde, auch Sklaven untereinander tuschelten genug, und Axilla verteidigte die Ehre jeden Familienmitgliedes.

    Axilla hatte ja mit einigen Fragen gerechnet, aber jetzt nicht unbedingt mir dieser.
    “Ähm, natürlich, solange du am Altar nichts veränderst. Aber bitte unblutige Opfer, blutige vollbringen wir hier im Haus gemeinsam, oder eben im Tempel.“ Axilla hatte ja keine Ahnung, welchen Göttern Tuca huldigte und ob es dazu nötig wäre, auch deren Statuen aufzustellen. Für Römer war ein Götterbild zwar hilfreich, aber nicht zwingend notwendig, aber diverse andere Kulturen hatten da ihre eigenen Vorstellungen. Und Axilla wollte nicht ihre Götter durch die Anwesenheit anderer Gebräuche gestört wissen. Solange sich da aber kein Konflikt ergab, durften die Sklaven selbstverständlich auch hier am Altar ihre Gebete sprechen und unblutige Opfer darbringen.


    “Aber erst einmal sollten wir dich den Hausgöttern vorstellen. Zieh bitte... oh, du bist ja schon barfuß. Gut, dann muss nur ich...“
    Axilla schlüpfte also auch wieder aus ihren Hauspuschen und stellte sich nun vor den Hausaltar. Mit einem Wink bat sie Tuca direkt neben sich, so dass sie anfangen konnte. Wieder wurde ein Kohlestückchen an einer Lampe entzündet, auf die zugehörige Schale gelegt und angepustet, bis es glomm. Aus dem Beutelchen wurden erneut zwei Körnchen Weihrach hervorgeholt und mit geübter Bewegung auf die Kohle gegeben, bis sich die wohlduftenden, weißen Rauchfäden in die Luft schwangen. Axilla stellte sich in Gebetshaltung vor den Altar und intonierte das Gebet.
    “Ich rufe Ianus. Ich rufe Pan. Ich rufe Iuno. Ich rufe Isis. Ich rufe Vesta. Ich rufe die Lares und die Penates. Ich, Iunia Axilla, rufe die guten Geister meiner Vorfahren. Ich, Iunia Axilla, rufe die dies familiae herbei. Heute nehmen wir ein weiteres Mitglied in unser Heim und unsere Familia auf. Hier steht Tuca, eine Sklavin. Nehmt sie unter euren Schutz. Beschützt ihren Tritt, beschützt ihre Wege, beschützt ihren Geist. Lasst jeden bösen Zauber und jeden Fluch an ihr abperlen, solange sie der Familie treu ist. Lasst es ihr wohl ergehen alle ihre Tage, damit wir euch in diesem Hause weiterhin verehren können, wie es euch zusteht.“
    Und mit einer kleinen Drehung nach Rechts war auch das hier geschafft.

    Da hatte Silanus in seiner Erzählung wohl eine Kleinigkeit wie einen Zeugen vergessen. Axilla war kurz davor, durch halb Rom in die Cstra Praetoria zu stiefeln, nur um ihren Cousin an den Ohren rauszerren und übers Knie legen zu können. Wie konnte man einen Zeugen mal eben einfach so unter den Tisch fallen lassen? War der Mann vollkommen wahnsinnig geworden?
    Aber wahrscheinlich würde der Mann vor ihr etwas verdattert gucken, wenn sie ihn nun stehen ließ, um wutschnaubend loszustapfen und eben genau das zu tun. So blieb ihr nichts weiter übrig, als weiterhin freundlich zu lächeln und die Sache erst einmal selbst in die Hand zu nehmen. So wie immer halt. Männer!
    “Setzen wir uns doch“, wies Axilla also zunächst einmal mit der Hand auf eine nahe Steinbank und ließ sich auch gleich darauf nieder. Auch wenn sie kein Militärs war und bei weitem nicht schroff oder zackig agierte, ließ ihr Lächeln und ihr Blick aber ebenso erkennen, dass auch sie keine Ruhe geben würde, bis der Gast sich nicht zu ihr gesetzt hatte, um dort bequem zu reden.
    “CORINNA?“ rief Axilla einmal flötend in Richtung der Küche und wartete nur kurz auf das Tapsen von Schritten. “Such doch bitte Lea und sage ihr, sie soll für mich und meinen Gast hier etwas von dem hellen Posca mitbringen.“ Wein wäre vermutlich nervenberuhigender, aber Axilla musste einen klaren Kopf behalten.


    Wenn dieser Iulius Licinus also Zeuge der Versklavung war, dann lag nahe, dass auch er Praetorianer war. Das würde auch gleich die Verbindung zwischen ihm und Silanus erklären.
    “Um deine Verwirrung zu erklären... Nun...“ Axilla überlegte ihre Worte sorgfältig. Dass Silanus den Mann hergeschickt hatte, hieß, dass er prinzipiell wohl vertrauenswürdig in dieser Sache war. Wobei ihr Cousin in der letzten Zeit nicht unbedingt wohlüberlegte Entscheidungen getroffen hatte. Aber Axilla wollte einmal annehmen,d ass sie es mit einem intelligenten Mann zu tun hatte, der ein Geheimnis bewahren konnte. Und wenn nicht... nunja, sie hatte schon einen Praetorianerpraefecten ruiniert und ins Exil getrieben.
    “Natürlich wohnt in diesem Haus keine zum Tode verurteilte Amazone. Diese Hiera, die du suchst, die ist natürlich gestorben.“ Axilla beobachtete sehr genau das Gesicht des Iuliers, um zu sehen, ob er auch wirklich verstand. “Allerdings hat mein Cousin ungefähr zur selben Zeit eine Sklavin auf dem Markt gekauft namens Lea, die einige interessante Geschichten zu erzählen hat. Ich bin mir sicher, dass sich dieses... Missverständnis gänzlich aufklären wird, wenn du dich mit ihr unterhältst.“
    Jetzt blieb nur zu hoffen, dass der Mann wirklich so intelligent war, wie Axilla ihn eingeschätzt hatte. Aber sie konnte ja wohl kaum irgendwo oder irgendwann zu irgendwem sagen, dass sie hier im Haus zum Tode verurteilte Amazonen beherbergten!

    Na, wenigstens war es kein Fehlkauf, auch wenn Axilla das Silanus nur sehr geringfügig anrechnen wollte.
    “Ich lebte auch einige Jahre in Alexandria. Vielleicht können wir irgendwann einmal Erinnerungen austauschen“, meinte sie nun etwas besänftigter zu der jungen Sklavin. Trotzdem gab es einige Dinge, die Silanus unter Garantie zu erwähnen vergessen hatte. Schon allein, dass Lea meinte, Tuca solle als Silanus Cubicularia dienen... War man denn unter die Patrizier gegangen, wo jeder einzelne einen eigenen Hofstaat mit sich herumführte? Sie würde ihrem Cousin da noch ganz gehörig den Kopf waschen müssen, um ihn mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuführen.
    “Bestimmt hat mein verehrter Cousin einige Dinge nicht erwähnt, deshalb möchte ich das jetzt klar stellen. Zunächst einmal: Die Einteilung der Sklaven allgemein übernimmt Araros. Das ist unser Ianitor, der schon seit Jahrzehnten diesem Haus dient. Und er darf alle Sklaven des Hauses einteilen, egal, wem sie gehören.“ In der Tat hatte Axilla schon mehrfach angeboten, ihn freizulassen, aber der alte Sturkopf wollte nicht. “Wenn er gerade nicht aufzufinden ist, kannst du dich mit allen Fragen an Agnodice wenden. Sie ist ein wenig schroff, weiß aber, wie alles hier funktioniert und darf ebenso Arbeiten einteilen. Ansonsten halte dich an Corinna, die hat in etwa dieselben Fähigkeiten wie du, ihr werdet also vermutlich am meisten zusammen arbeiten.
    Jeder Sklave hat einen Tag in der Woche frei, die Einteilung dazu übernimmt auch Araros. Es sei denn, es kommen wichtige Feste oder ähnliches dazwischen, dann kann es sich schon einmal verschieben. Du erhältst ein Peculium, das Araros entweder an dich auszahlt oder das du aufsparen kannst, um dir deine Freiheit zu erkaufen.


    So, dann zu den lieben Männern: Ich dulde im Haus keine Vergewaltigungen, egal durch wen. Wenn dich also jemand anfasst – und das schließt auch die Iunii mit ein – und du das nicht willst, dann darfst du ganz ausdrücklich nein sagen und kommst danach zu mir. Du bekommst dann keine Strafe, ich regle das.“ Eigentlich wussten die Kerle das auch alle, aber bei so viel Testosteron wie derzeit im Haus war es vielleicht besser, das ganze noch einmal zu sagen. “Wenn du aber eine Beziehung mit einem der anderen Sklaven eingehen möchtest, dann steht dir das frei, aber dann solltet ihr beide das auch kommunizieren, damit alle Bescheid wissen. Unter Umständen kann man dann Betten tauschen, so dass ihr als Familie zusammen sein könnt.“
    Axilla holte einmal tief Luft und überlegte, ob sie noch etwas vergessen hatte. Aber sie glaubte, das war's. “Hast du noch Fragen?“

    Eigentlich hatte Axilla schon mehr als genug Kleider. Aber da es für einen guten Zweck sein würde und sie sich außerdem in der Gesellschaft der Damen keine Blöße geben wollte, ließ sie sich breitschlagen. “Na gut, ich biete dreihundert Sesterzen“, sagte sie also und wartete, ob sie überboten werden würde. Da die meisten Damen heute aber sehr zurückhaltend waren, rechnete sie eher weniger damit.

    Axilla musste sich wirklich bemühen, dass ihr nicht der Mund offen stehen blieb. Hatte irgend jemand ihren Cousin heimlich ausgetauscht, oder war es wirklich so, wie man sagte, und Männer wurden kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag von einer allumfassenden Panik erfasst, die sie allerlei unsinnige Dinge tun ließ? An und für sich war eine Heirat ja etwas erfreuliches, aber doch nicht so plötzlich und aus dem nichts!


    “Ja, und wenn ich mich richtig erinnere, hast du mir das Versprechen abgerungen, nichts zu überstürzen und mir mit alle dem schön viel Zeit zu lassen“, erinnerte sie ihn daher sicherheitshalber auch an den anderen Teil ihres Gespräches, den er eben galant vergessen hatte.


    “Ich kann wirklich verstehen, wenn du heiraten willst, Silanus, wirklich, und wenn du jemanden gefunden hättest oder hast, bei dem alles richtig ist, dann will ich mich ja auch für dich freuen. Aber... eine Tiberia? Ernsthaft?
    Weißt du denn irgend etwas von ihr, außer ihren Namen? Ich hatte in meinem Leben schon weit mehr mit Patriziern zu tun, und ich glaube ernsthaft nicht, dass auch nur ein einziger davon sich in diesen Haushalt einfügen und glücklich sein könnte. Weißt du, wie die allein ihre Sklaven behandeln? Wünscht du dir tatsächlich nach all den Jahren so eine Verhaltensweise in diesem Haus hier?“

    Nein, Axilla hatte ein ausgeprägtes Familienverständnis, das die Sklaven des Hauses explizit mit einschloss. Und wenn jemand daher käme und anfangen würde, diese zu schlagen, wäre es Axilla vollkommen egal, wer das wäre. Auch Silanus Frau würde sich in so einem Fall darauf gefasst machen können, Bekanntschaft mit Axillas Faust zu schließen.


    “Und du musst mir doch erlauben, da skeptisch zu sein. Im Geschäftsleben heißt es immer: Wenn etwas zu gut ist, um wahr zu sein, dann ist es nicht wahr. Und tut mir leid, das hier klingt danach.
    Die Patrizier haben ihre Macht im Senat und suchen auch dort ihre Bündnisse. Unsere Familie hatte nie auch nur ansatzweise einen Senator und wird das auch nicht haben. Selbst wenn du Praefectus Praetorio werden solltest, was nützt ihnen diese Verbindung? Als Senatoren hätten sie selbst Zugang zum Kaiser und der Nobilitas, und durch diesen unsäglichen Brutalo, der dir deinen Nacken im Tempel des Mars verstümmelt hat, haben sie doch selber schon jemanden bei den Prätorianern. Warum also sollten sie eine Tochter ihres Hauses an einen Plebeier ohne politischen Einfluss geben? Patrizier heiraten nicht in Ritterfamilien ein, eben aus diesem Grund. Warum also sollten sie eine Mitgift stellen und eine der ihren in eine ihr vollkommen ungewohnte Umgebung werfen, wo sie sich einfügen müsste und von der ihr gewohnten Gesellschaft abgeschnitten wäre?


    Da muss irgendwo ein Haken sein, sowas macht doch kein vernünftiger Mensch.“


    Axilla würde ihrem Cousin ja wirklich von Herzen eine liebevolle Ehefrau gönnen, die ihm einen ganzen Stall voller Kinder schenken würde. Aber das hier stank, und zwar gewaltig.

    Ein Bote brachte ein Antwortschreiben aus der Casa Iunia vorbei



    Iunia Axilla Dec. Claudio s.d.


    Bezüglich deiner Anfrage zu einem gewissen Aulus Iunius Fontinalis muss ich dir hiermit mitteilen, dass weder eine kognatische noch eine agnatische Verwandtschaft zu einem mir bekannten Iunier besteht. Einen Verwandtschaftsnachweis können wir somit nicht erbringen.


    Vale bene.


    Axilla war kurz vor'm fluchen. Natürlich konnten weder Lea noch Tuca etwas dafür und waren also auch nicht der richtige Adressat für ihre Schelte, aber manchmal mussten Digne einfach sofort raus. Axilla hatte zwar schon gehört, dass Männer kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag auf einmal zu spinnen anfingen und sich allerlei neue und vor allen Dingen eher der Jugend vorbehaltene Dinge kauften, um sich noch einmal wie zwanzig zu fühlen und zu beweisen, dass sie eben noch nicht alt waren, aber das hier hätte Axilla jetzt trotzdem nicht erwartet.
    Erst schleppte Silanus in einem Anfall von Mitgefühl die junge – und hübsche – Lea ins Haus, danach verkündete er ihr unvermittelt seine Verlobung, die er mal eben an einem Nachmittag geschlossen hatte, so wie andere Leute Brot einkauften, und jetzt holte er sich eine schwarze Cubicularia, die seine Tochter sein könnte! Naja, wenn sie nicht Nubierin wäre. Trotzdem! So langsam reichte es mit den Spinnereien! Das hielt doch die bravste Matrone nicht aus, und Axilla war weit entfernt davon, so eine zu sein.


    Enerviert hob sie die Hände in Gebetshaltung und blickte zu der kleinen Götterstatue der Isis. “Isis, große Mutter, wirf bitte Verstand vom Himmel!“ Oder Steine. Hauptsache, sie traf.


    “So, dein Name ist also Tuca. Du kannst doch unsere Sprache, oder?“ In seinem momentanen Zustand war Silanus alles zuzutrauen.

    Lea mochte mehrere Sprachen beherrschen, kämpfen und vermutlich auch reiten können und auch sonst so einiges, was man von ihrem Alter und ihrem Geschlecht nicht erwartete. Aber Umgangsformen... Umgangsformen! Axilla war doch kein Laufbursche, den man herzitierte, wenn man etwas brauchte! Sie war die verflixte Herrin des Hauses und hier in diesen vier Wänden mächtig wie Iuno persönlich!


    Trotzdem kam sie angestapft und erblickte da eine neue Sklavin. Nubierin, dem Anschein nach. “Mag mich noch jemand aufklären?“ formulierte Axilla ihre eigentliche Forderung dennoch zuerst als Frage. Seit ihr Cousin hier eingezogen war, herrschte in diesem Haus eine schlimmere Unordnung als bei den Kimbern auf Beutezug!

    “Äh...“


    Mehr brachte Axilla im ersten Moment nicht heraus, während ihr Cousin immer und immer weiter redete und erzählte. Sie hatte bei dem Wort Neuigkeiten mit vielem gerechnet, aber definitiv nicht damit, dass Silanus von jetzt auf gleich heiraten wollte. Noch dazu jemand völlig fremdes. Und obendrein noch eine Patricia.


    Als Silanus dann endlich einmal Luft holte, durfte er ein mehr als fragendes Gesicht seiner Cousine bestaunen, die immernoch versuchte, die passenden Worte dafür zu finden.
    “Hast du getrunken?“ waren dann zwar vielleicht nicht ganz die passenden Worte, aber die besten, die ihr dazu einfielen.


    “Hast du nicht vor ein paar Wochen noch erklärt, dass du dich erst verlieben willst und eine potentielle Braut erstmal richtig kennenlernen müsstest, bevor du ans Heiraten denken würdest? Hast du nicht deshalb auch darum gebeten, dass Torquatus und ich eine Heirat nicht überstürzen? Und jetzt nimmst du die erstbeste Braut, die man dir mal so eben anbietet?“ Axilla hatte noch immer ihre Probleme damit, das gesagte vernünftig zusammenzufassen. Dass sie so etwas machte, ja, gut, sie war impulsiv. Aber Silanus? Der romantische, verklärte, unpragmatische Silanus? Wollte nun ganz pragmatisch eine Braut heiraten, einfach so, weil es sich ergab?