Am liebsten wäre Axilla bei dem süffisanten Unterton irgendwo im Erdboden versunken. Aber sie konnte ihrem Wettpartner hier nicht einfach so das Feld überlassen, immerhin war ihr Wortgefecht auch so etwas wie eine kleine Schlacht. Und ein Soldat weicht nicht zurück! “Wohl eher für Waffenkunst und Taktik, die ich hier beide etwas vermisse“, gab sie zurück und konnte nur hoffen, dass das Wärmegefühl an ihren Wangen von der Sonne herrührte und sie nicht errötet war. Auch wenn es wohl unwahrscheinlich war, dass die Sonne gerade jetzt wärmer war als noch vor einer halben Stunde.
Allerdings gab ihr die Tatsache ein klein wenig Sicherheit, dass ihre persönliche Verwirrungstaktik aufgegangen war, und der junge Mann ihren unbedarften Ausrutscher nicht auch zu einem beschämenden Kommentar nutzte, sondern stattdessen lieber von dem Axilla unbekannten Gladiator erzählte. Mit zwanzig Siegen in Folge war dieser Mactator wohl sehr gut gewesen. Das schafften nicht viele, überhaupt so viele Siege für sich zu verbuchen. Bestimmt war ihm da schon mehrfach die Freiheit angeboten worden. Die meisten Gladiatoren erlangten diese schon nach einem dutzend Siege. Bedachte man die Tatsache, dass ein Gladiator meistens nur drei oder vier Mal im Jahr kämpfte und viele auch ihren Wunden erlagen, hieß so eine Serie ja schon einiges!
“Ich dachte, Licinius wär bei Artaxata nur auf Tigranes getroffen...“, murmelte sie halblaut mehr zu sich selber, aber im Grunde war es auch egal. In der Arena nahm man es da ohnehin nicht so genau, es ging mehr um das große Ganze. Und es war ja auch der größte Teil der Leute weniger an den geschichtlichen Schlachten und deren einzelner Aspekte interessiert – oder wusste auch nur etwas davon – sondern viel eher am reinen Kampf und dem Blut. Es hatte schon einen Grund, warum die meisten der Plätze für diejenigen ohne Stand reserviert waren, auch wenn diese Plätze in den oberen Rängen waren, wo man weniger sah als auf den Rängen für den Ordo Senatorius oder den Equestris, auf dem auch sie Platz genommen hatte. Aber die Karten an sich waren ja umsonst, man musste nur rechtzeitig eine holen.
Der Sklave kam zurück und gab ihr ein paar Datteln und Feigen. Axilla nahm sie mit einem Lächeln an, auch wenn ihr fast noch etwas noch süßeres vorgeschwebt hätte. Irgendwas mit Honig vielleicht. Aber vielleicht hatte der Verkäufer damit nichts, und Datteln und Feigen waren auch lecker. Sie bedankte sich leise und behielt die Früchte erst einmal in der Hand.
Sie hörte dem jungen Mann weiter zu, wie er von dem Kampf zwischen den beiden Gladiatoren erzählte. Es hatte etwas von einer griechischen Tragödie, dass ein Freund den anderen tötete. Vielleicht wie in Aischylos' Werk Sieben gegen Theben, wo sich die Zwillingsbrüder Eteokles und Polyneikes im Streit um das Erbe des Ödipus schließlich gegenseitig töteten. Oder noch eine Spur grausamer und tragischer.
“Das ist sehr beklagenswert. Ein Freund sollte den anderen nicht töten müssen. Fides ist nicht nur eine Tugend gegenüber dem Befehlshaber, sondern auch gegenüber einem Freund. Und pietas ebenso.“ Axilla war ehrlich betroffen, was wohl auch an der lebhaften Erzählweise ihres Gegenübers liegen mochte. Aber sie meinte es auch ehrlich. Ein Freund sollte den anderen nicht aus Pflichterfüllung töten müssen. Das war tragisch, wenn es doch geschah.
In Gedanken einen Moment ganz weit weg kam die Frage nach Tarraco für Axilla etwas plötzlich. Sie blinzelte kurz, und in Gedanken noch nicht wieder ganz bei der Sache war sie wohl ehrlicher, als sie es üblicherweise einem Fremden gegenüber gewesen wäre.
“Ja, mein Vater war Tribun der Legio in Hispania. Und er hatte ein Stück Land, etwa einen Tag mit dem Pferd von Tarraco entfernt, zwei Tage zu Fuß, wenn man der Straße nach Nordwesten folgt, und dann nach Westen abbiegt.“ Ihr Blick wurde etwas glasig, als sie sich daran erinnerte. “Eine villa rustica, nichts besonderes. Ein bisschen Getreide, ein wenig Wein, Schafe, Ziegen. Viel Wald. Und ein Bach.“ Axilla lächelte verträumt und traurig, und versuchte dann, die Erinnerung wegzublinzeln. “Ich lebte da, bis ich fünfzehn war. Und du? Aus deinem 'auch' schließe ich, du kommst auch aus Hispania?“ Der einfachste Weg, von sich selbst abzulenken, war, etwas zu fragen. Also fragte Axilla.