Beiträge von Iunia Axilla

    Ah, dann war das also Seianas Bruder! Axilla hatte schon ganz vergessen, dass sie einen hatte. Wirklich geplaudert hatten sie ja auch nie, im Grunde ließen sich die beiden Frauen weitestgehend in Ruhe und redeten nur über Geschäftliches. Aber da war vor einiger Zeit mal ein Artikel gewesen über die Blemmyrer, wo Seiana etwas von einem Bruder gesagt hatte. Glaubte Axilla zumindest. “Oh, ich dachte, du wärst noch in Ägypten. Seiana hat gar nicht erzählt, dass du schon zurück in Rom bist“, meinte sie unbeschwert und merkte nichts von der plötzlichen Gemütsschwankung ihres Gegenübers.
    Ihr möglicher Wettpartner sagte nichts zu ihrem Vorschlag einer neuen Wette, und auch nichts dazu, dass sie den Kämpfer zuerst wählen wollte. Dafür sagte aber ein weiterer junger Mann etwas, und das ganz unvermittelt. Axilla drehte sich noch immer lächelnd zu dem Neuankömmling um und bekam so gerade noch mit, wie dieser verlegen etwas errötete. Ihr Lächeln bekam eine verlegene Note, da sie den Grund für die Reaktion ihres neuen Gesprächspartners nicht kannte, sich aber eine Möglichkeit in ihrem Bewusstsein dafür herauskristallisierte. “Ich glaube so langsam, ich wurde umzingelt. Wären wir Figuren beim Soldatenspiel, wär ich wohl geschlagen“, meinte sie keck auf die Vorstellung des jungen Decimus hin. Sie war ja wirklich schon umringt von seiner Gens. “Aber ich geb trotzdem nicht auf“, fügte sie noch kokett an und rückte etwas zu Malachi auf, damit der junge Mann sich auch irgendwohin setzen konnte. Und wenn er nicht bei einem seiner Verwandten auf dem Schoß sitzen wollte, blieben hier auf der engen Tribüne nicht mehr viele Möglichkeiten sonst. “Setz dich doch“, forderte sie ihn freundlich auf.


    Erst bei der folgenden Bemerkung von Serapio merkte Axilla, dass irgendwas anders war. Er stellte sie dem Neuankömmling nicht vor, wie sie es erwartet hätte – weshalb sie es nicht selber gemacht hatte – sondern nur den Soldaten der Classis. Überhaupt sah er gar nicht mehr zu ihr, obwohl sie sich so nett unterhalten hatten, und sagte auch nichts zu der Wette, die soeben mit dem Urteil von Salinator ganz hochoffiziell verloren ging.
    “Ich fürchte, du hättest lauter rufen müssen, der Praefectus Urbi scheint deinen Wunsch nicht gehört zu haben“, versuchte sie es dennoch scherzend bei dem jungen Tribun, während um sie herum die Menge geteilte Meinungsäußerungen ausstieß. Die einen waren hochzufrieden mit dem Urteil und jubelten dem Vescularier zu, die anderen hätten nur zu gerne Blut gesehen und machten enttäuscht, bisweilen sogar wütend ihrem Unmut laut.
    Und da ihr wohl nichts anderes übrig blieb und sie ja nicht einfach nur eine Namenlose für ihre neue Bekanntschaft bleiben konnte, übernahm sie die Vorstellung eben noch einmal selber. “Ich bin im Übrigen Iunia Axilla.“ Und noch ein Lächeln für den jungen Mann, der sich nun entweder neben sie setzen konnte oder weiter stehenbleiben musste.

    Einfach alle? Axilla kam kurz ins Stocken und grübelte. Sie konnten doch nicht einfach ganz Rom einladen, noch dazu Leute, die sie gar nicht kannte. Am liebsten würde sie ja gar niemanden einladen, auch wenn sie wusste, dass das nicht möglich war. Aber da würden so viele Augenpaare sein, die so viele Erwartungen an sie hatten... so viele Leute, denen sie etwas vorspielen musste. Irgendwie fühlte sie sich bei dem Gedanken daran schon sehr elend. Aber sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.
    “Naja, wir sollten da schon selektieren, meinst du nicht? Wir können ja nicht einfach wen einladen, den wir gar nicht kennen, oder am Ende kommt noch jemand, den du nicht magst...“ Oder um genauer zu sein, jemand, den Axilla nicht leiden mochte. Sie hatte keine Ahnung, ob Imperiosus irgendwelche Feinde hatte.


    Die Art und Weise, wie er diesen 'ersten Schritt' wiederholte, jagte Axilla einen leichten Schauer über den Rücken. Nicht unangenehm, aber aufgeregt. Wenn das der erste war, was war der nächste? Ihr Blick glitt kurz hinüber zum Bett, das hier im Raum stand, als ihr sehr deutlich bewusst wurde, was der nächste nach der Hochzeit wohl sein würde. Ihre Aufregung wurde größer.
    Sie schluckte kurz und plapperte einfach weiter, wie sie es immer tat, wenn sie sich ertappt fühlte oder einfach nur über eine bestimmte Situation nicht allzu sehr nachdenken wollte. “Also ich würde gern abseits von der Familie... und deinem Patron natürlich... die Consulare Purgitius und Tiberius einladen.“ Letzteren eher aus Pflichtbewusstsein, denn besonders geholfen bei ihrem Erbschaftsstreit wegen Archias hatte er nicht. Andererseits hatte er ihrem Architekten die Renovierung des Marstempels anvertraut, da konnte man schon einladen. “Und Flavius Gracchus. Und natürlich die Leute bei der Acta, also gerade die Decimer, wenn nichts dagegen spricht.“

    Also hatte er es noch nicht gesagt. “Oh“, machte Axilla zu dieser Information nur und setzte sich wieder sittlicher und gerader hin, wandte sich jetzt endgültig vom Fenster ab und ihrem Zukünftigen zu. Irgendwie war die Nervosität wieder zurück. Sie hätte gern gewusst, wie der Vescularier reagiert hatte, das hätte viele Dinge für sie vereinfacht. Oder auch nicht vereinfacht, aber sie wäre zumindest informiert gewesen.


    Den Scherz verstand Axilla im ersten Moment nicht, und als sie ihn verstanden hatte, war es zu spät für ein richtiges Lachen, so dass sie sich mit einem verlegenen Lächeln begnügte. “Ja, so viele stehen da wohl wirklich nicht drauf, wobei ich Silanus und auch Merula natürlich schreiben muss, auch wenn sie nicht kommen werden.“ Aber ihre beiden Vettern sollten zumindest wissen, dass sie heiratete.
    “Hmmm... wen willst du denn alles einladen?“ fragte Axilla einfach mal ganz unschuldig und stand von ihrem bequemen Platz auf, um zu Imperiosus hinüberzugehen. Sie konnte ja nicht die ganze Zeit im Fenster sitzenbleiben.

    Axilla hatte mit vielem gerechnet. Natürlich hatte sie nicht gedacht, dass Seneca einfach so das alles hinnehmen würde – auch wenn sie es sehr stark gehofft hatte. Sie hatte erwartet, dass er sie zur Rede stellen würde. Auch wenn sie nach wie vor nicht wusste, was sie falsches getan haben sollte. Dass er toben, sie vielleicht sogar anschreien würde. All das.
    Aber das, was er dann schließlich sagte, war doch sehr viel erschreckender und schrecklicher als alles, was sie sich ausgemalt hatte. Er warf ihr vor, die Familie in Gefahr gebracht zu haben! Und das war etwas, was Axilla persönlich nahm und was sie verletzte. “Was hab ich denn getan?! Du redest von Verschwörung und von Gefahr! Aber was hab ich denn getan? Ich bin LECTRIX bei der Acta. Mir wäre neu, dass das eine verbotene Straftat ist, wegen der man bei irgendwem Betteln muss! Ich LESE TEXTE! Das kann doch die ganze Welt wissen?!“ Axilla verstand wirklich kein Wort von dem, was Seneca da sagte. Aber sie verstand das Gefühl, das sie bei seinen Worten hatte.


    Sie hatte Angst. Wie eine kalte Hand legte sie sich um Axillas Herz und drückte immer weiter und weiter zu, je länger Seneca redete. Jeder, der du liebst, geht weg oder stirbt. Jeder verlässt dich, hallte eine gehässige Stimme durch Axillas Geist. Und auch jetzt konnte sie sehen, wie Seneca es tat. Wie er sich von ihr abwandte, sie nicht ansah.
    Was sie dann aber zum ersten Mal wirklich traf, tief wie ein Speer in ihre Eingeweide, waren seine folgenden Worte. "Du hast mich belogen Axilla, du die mir von allen am meisten bedeutest, hast mich in eine Lage gebracht die mich in den Abgrund hätte reißen können. Ich habe auf Messersschneide balancieren müssen während du mich scheinbar als deinen Feind betrachtet hast."
    Sie stand an einer der Säulen, die die Decke hielten, und taumelte wie getroffan einen Schritt zurück dagegen. Wäre die Säule nicht dagestanden, vermutlich wäre sie gestürzt, als ihre Knie zu zittern anfingen und sie nicht mehr tragen wollten. “Ich hab dich nicht belogen“, kam es hilflos und leise über ihre Lippen, als sie sich immer mehr nach hinten an dem kalten Stein abstützen musste, um nicht zu fallen. Siehst du, er verlässt dich, meinte die Stimme besserwisserisch und trieb Axilla damit die Tränen in die Augen. Ihre Kehle schnürte sich zu, und einen Moment meinte sie, nicht mehr atmen zu können. Eine Hand legte sich um ihren Brustkorb, der mit einem Mal ganz schrecklich zu schmerzen begann. “Ich... du bist nicht mein Feind. Ich liebe dich doch... ich... Die Tränen tropften jetzt, rannen dick aus ihren Augen, und doch merkte Axilla es gar nicht so richtig. Sie verstand nicht, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte doch nichts getan! Sie hatte Seneca doch nie etwas getan, nicht ein Wort gegen ihn. Ihr wäre nie eingefallen, ihre Hand gegen ihn zu erheben.
    In ihrem Kopf drehte sich alles, und vor lauter Schwindelgefühl wurde ihr furchtbar schlecht. Am liebsten wollte sie sich übergeben. Und doch konnte sie jetzt nicht weg. Sie wollte nicht, dass Seneca ging. Sie verstand das hier nicht. “Bitte...“, bettelte sie, und wusste nicht einmal, worum sie bettelte. Sie wollte doch nur, dass alles gut war. Sie hatte doch nichts Falsches getan!

    Axilla wusste noch nichtmal was von aufkommenden Gerüchten. Allerdings besuchte sie auch lieber das heimische Balneum als die städtische Thermen, eben weil dort so viele Gerüchte rumschwirrten, die sie nicht noch befeuern musste. Axilla mochte dieses weibische Geschnatter einfach nicht. Trotzdem würde es sie wundern, wenn darüber irgendwer spekulieren würde, weil es wusste ja niemand etwas. Zumindest nicht von ihr.


    “Gut, prima. Dann... öhm...“ Wo fing man denn an beim Planen einer Hochzeit? Ihre letzte fand sehr spontan bei einem Wagenrennen oder kurz danach statt, ohne Feier oder ähnliches. Nur ein paar Zeugen und ein Verrückter als Ehemann.
    “Hast du es deinem Patron schon gesagt?“ fragte sie also, weil es sie von allen Dingen am meisten beschäftigte. Nicht wegen der Gästeliste, auf der Vescularius Salinator wohl oder übel draufstehen musste, sondern eher, weil sie insgeheim hoffte, etwas über dessen Reaktion zu erfahren. Vielleicht hatte der Praefectus Urbi sie ja tatsächlich vergessen. Er hatte sie jetzt schon ewige Zeiten nicht angesprochen, da war zu hoffen, dass er sie einfach aus seinem Gedächtnis verloren hatte.

    Es dauerte länger, als Axilla erwartet hätte, bis Seneca schließlich in der Casa Iunia aufschlug. Wortwörtlich beinahe. Die Iunia hatte sich eben ein wenig hingelegt gehabt, um auszuruhen, als sie vom Brüllen ihres Namens wieder aufwachte. Sie ließ sich von einer Sklavin nur kurz aufhelfen und wusch sich den Schlaf aus den Augen, ehe sie ins Atrium ging.


    Seneca lief beinahe Furchen in den Boden, wie einer der Löwen in den Käfigen des Paneion von Alexandria, und aus unerfindlichem Grund tropfte er ein wenig. Sie hatte sich ja schon gedacht, dass er noch böse auf sie sein würde, aber das traf hier nicht wirklich zu. Er war vielmehr stinksauer.
    “Ich bin ja da! Hör auf, rumzubrüllen, du machst ihnen Angst“, meinte Axilla sehr viel ruhiger und deutete vage auf die Sklaven, die sich bemühten, möglichst unsichtbar zu sein. Die Wahrheit wäre gewesen, dass Seneca auch Axilla Angst machte, allerdings würde sie das nie zugeben.

    Als Axilla hörte, dass Piso tatsächlich nicht kommen würde, beschloss sie aus lauter Erleichterung spontan, nachher vor dem Nachhausegehen noch ein paar Dinkelkekse für Mars zu kaufen und zu opfern – auch wenn es wohl ein sehr improvisiertes und schnelles Opfer sein würde ohne große Gesten und Worte. Manchmal sagte ein kleines „Danke“ auch mehr als eine ganze Litanei an Lobeshymnen.
    In jedem Fall war Axilla sehr erleichtert über die Neuigkeit und schaffte es nur ungenügend, das zu verbergen. Sie lächelte doch wieder und stand etwas gerader, als noch gerade eben, wobei sie dennoch etwas nervös nach wie vor war. Immerhin entschied sich gleich, ob sie oder genauer gesagt Kephalos sich in Rom wohl einen Namen machen mochten. Wenn das hier gut lief, vielleicht kamen dann noch mehr Aufträge? Es gab in Rom schließlich eine Unmenge an Tempeln, Schreinen und sonstigen heiligen Stätten, die die ein oder andere Ausbesserungsarbeit dann und wann bräuchten. Da konnte man schon mal nervös sein.


    “Gut, ich... warte dann so lange hier draußen.“ Axilla wusste nicht, ob sie so durch den Tempel spazieren durfte. Sie war noch nie in irgendeinem Kultraum gewesen. Meistens opferte sie an ihrem Hausaltar oder dann und wann an einem kleinen Schrein. Bis auf für Pluto hatte sie noch nie so richtig in einem Tempel geopfert oder viel sich in einem aufgehalten. Aber ihr war dennoch klar, dass sie da nicht einfach so überall rumspazieren durfte. Der Tiberius und der Flavius waren Pontifices, die durften. Kephalos musste alles erklären und musste also mit. Aber sie? Sie war keine Priesterin, schon gar nicht für Mars – hatte der sowas überhaupt? - und darüber hinaus eine Frau. Da wartete sie lieber hier, wo sie ganz sicher niemanden sauer machte.


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    Kephalos nickte seiner Brötchengeberin kurz zu und machte sich dann daran, die beiden Pontifices durch den Tempel zu führen. “Das ist richtig, Pontifex Tiberius. Es wird mir eine Ehre sein, euch alles zu zeigen.“
    Also betrat er den Tempel und wartete darauf, dass die Männer ihm folgten. “Das Innere des Haupttempels musste nicht saniert werden. Die nötigen Messungen ergaben keine Verschiebungen bei den Wänden oder Säulen, weder lot- noch fluchtrecht. Lediglich eine gründliche Säuberung nach den Bauarbeiten, begleitet von einer Säuberung der Kapitelle der Säulen, sind hier erfolgt. Die Hauptarbeiten beschränkten sich auf die Tempelküche im hinteren Teil und das Dach“, dozierte der Grieche mit tiefer Bassstimme gleichmäßig, während er gemessenen Schrittes und in nötiger Ehrfurcht vor dem Gott durch den Tempel zu eben jenen Bereichen schritt.

    Oh, die beiden waren also Decimer! Im ersten Moment strahlte Axilla noch ein wenig mehr, ehe sie sich im nächsten doch etwas blöd vorkam. Ihre Familie war mit den Decimern immer befreundet gewesen, Silanus war ein Klient von Senator Decimus Livianus. Allerdings war das vor der Sache mit Archias gewesen, die das gute Verhältnis doch etwas angespannt hatte. Letzteres war aber nicht der Grund für Axillas Verlegenheit, sondern eher, dass sie vorhin den Triumphzug von Meridius angesprochen hatte, ohne zu wissen, dass hier ein Decimer vor ihr saß. Aber vielleicht waren die beiden auch gar nicht mit diesen Decimern verwandt. Wobei es wohl sehr wenige Ritter dieses Namens gab, die nicht genau zu dieser Gens gehörten, sondern nur den selben Namen teilten.
    “Oh, ich sehe schon, ihr beide wollt mich ausrauben. Ich hab euch durchschaut!“ scherzte sie dennoch leichtherzig weiter, als Serapio meinte, er würde nicht mitwetten, Massa hingegen auch einhundert Sesterzen setzen wollte. “Aber nichts desto trotz“, fuhr sie betont übertrieben fort und musste dabei über beide Wangen grinsen. Egal, ob sie nun mit Decimus Livianus und damit Decima Seiana verwandt waren oder nicht, die beiden waren eine lustige Gesellschaft, und viel mehr verlangte Axilla ohnehin nicht. “...bin ich gewillt, herauszufinden, wieviel Wahrheit hinter der Behauptung steckt, du wärst ein Glückskind.“ Axilla konnte man nach allem, was ihr bisher widerfahren war, getrost als Pechvogel bezeichnen. Aber das würde sie den beiden sicher nicht sagen. Vielleicht hatte sie ja doch einmal Glück. “Auch wenn es mir sehr leid tun wird, einem Optio den Sold abzuknöpfen. Noch dazu einem aus der Deiotariana. Oder ehemaligen.“ Das letzte war sogar ehrlich, auch wenn es dennoch Teil des Scherzes war. Silanus war seinerzeit Tribun bei eben jener Legio gewesen, als sie in Alexandria angekommen war. Und sie hatte sich damals so in ihn verliebt, wie er dagestanden hatte in seiner glänzenden Rüstung... wie albern sie damals doch war, wie kindisch. So unschuldig und unwissend... Axilla vermisste das Gefühl von damals, die Unsicherheit und Unkenntnis von der Welt. Sehr sogar.
    Allerdings verscheuchte sie die wehmütigen Gedanken, die sich hier einfach so ungefragt einschlichen, indem sie einfach weiterredete. “Aber ich darf mir den Kämpfer als erstes aussuchen!“ bestimmte sie einfach grinsend und wartete noch darauf, dass der Kampf unten in der Arena sein endgültiges Ende durch ein Urteil fand. Wie dieses ausfiel, war ihr relativ gleichgültig. Der Grund, dass der Hoplomachus aus lauter Dämlichkeit durch die nichtgenutzte Chance den Kampf und damit ihre Wette verloren hatte, reichte nicht, um ihren Zorn zu wecken, als dass sie seinen Tod hätte wollen können. Aber sie kannte ihn auch nicht, so dass sein Leben ihr etwas bedeutet hätte.


    Nachdem die beiden sich richtig vorgestellt hatten, musste sie das aber doch in Erinnerung an ein Grundpensum an guten Manieren wohl auch machen. Auch wenn ihr Verhältnis zu Seiana sicher nicht einfach war, so meinte Axilla doch, dass die Decima das Vorgefallene zwar nicht vergessen, aber doch irgendwie vergeben hatte. Zumindest arbeiteten sie gut zusammen, es gab keine bösen Worte, vielleicht nur etwas Distanz. Von daher nahm Axilla einfach an, dass die Gens Decima ihr als ganzes auch nicht den Kopf abreißen würde. Abgesehen davon war sie viel zu stolz, eine Iunia zu sein, als dass sie in der Beziehung je gelogen hätte.
    “Ich bin übrigens Iunia Axilla. Eine Cousine von Iunius Silanus.“ Vielleicht sagte das einem der beiden was. Axilla hatte ja keine Ahnung, wie lange Massa bei der XXII. Gewesen war, und ob er ihren Vetter da vielleicht noch kannte. Er war ja recht lange dort. Vielleicht kannte er sogar noch ihren Onkel Marcus Iunius Varus? Der war dort schließlich gestorben. Wobei das schon länger her war. Andererseits war so eine Dienstzeit bei der Legio ja auch lang.
    “Ich hoffe nur, Decima Seiana beklagt sich morgen bei der Acta nicht bei mir, weil ich ihre Verwandten zum Wetten überredet habe“, fügte sie noch schelmisch an und brachte damit die unausgesprochene Frage gleich an, ob die beiden denn überhaupt mit ihr verwandt waren.

    Flavius Gracchus? Axilla bemühte gerade ihr nicht besonders zuverlässiges Namensgedächtnis und hatte schon eine dunkle Ahnung, wer das war, als besagter Mann sie auch schon oben auf der Treppe angekommen mit Namen grüßte. Ein wenig ertappt drehte sie sich zu ihm um, und einen kurzen Moment lang war all die Wehmut jenes einen Frühlingstages wieder greifbar und nah, der zarte Hauch von versprochener Wärme mit all den Blumendüften, die damals noch in der kalten Erde der Horti Luculliani schlummerten, und all die Gedanken, gefangen zwischen Traum und Wirklichkeit. Doch dieser Moment dauerte nur kurz und wurde weggeschwemmt von echter und aufrichtigster Wiedersehensfreude, mit der Axilla das ihr entgegengebrachte Lächeln erwiderte. Sie hätte nicht gedacht, den Flavier wirklich wiederzusehen, schon gar nicht hier, trotz der unschuldigen Vertrautheit zwischen ihnen an diesem einen Tag im Februar und seinem Angebot, von dem Axilla glaubte, dass er es ehrlich gemeint hatte. Und so lächelte sie den Pontifex wohl in einer Art und Weise an, die vermutlich missverständlich gedeutet hätte werden können, und definitiv wohl als unschicklich in einer die Ruhe und Gelassenheit predigenden Gesellschaft galt. Aber sie freute sich nun einmal wirklich, auch, dass er ihren Namen noch wusste.
    Erst einen Augenblick später fiel ihr wieder ein, wo sie sich denn befand und in Gesellschaft von wem, und leicht errötend schaute sie beiseite, das Lächeln wieder unterdrückend. Doch der Tiberier schien es gar nicht so wahrgenommen zu haben, immerhin stellte er ihr den Pontifex sogar noch namentlich vor, obwohl dieser ja schon mit der Nennung ihres Namens gezeigt hatte, dass sie einander kannten. Allerdings lag es Axilla fern, da jetzt darauf herumzureiten und den Pontifex am Ende noch in Schwierigkeiten zu bringen. Zum Schluss kamen noch Gerüchte auf, sie wäre seine Geliebte, oder etwas vergleichbar rufschädigendes – auch wenn das ihrem Ruf wohl abträglicher wäre als dem seinen.


    “Salve, Flavius Gracchus“, grüßte sie also, bemüht, nicht zu verlegen zu erscheinen, und überließ die beiden Pontifices dann kurz ihrem Gespräch über Piso. Als der erwähnt wurde, fiel es Axilla nicht mehr schwer, nicht weiter zu lächeln. Seit sie ihm in seinem Officium eine reingehauen hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Oh bitte, bitte, Mars, lass ihn nicht herkommen, schickte sie ein stummes Gebet zu der Gottheit dieses Tempels, auch wenn der wohl nicht höchstpersönlich für das Erscheinen oder Nichterscheinen der Sterblichen bei seinem Tempel sorgte. Oder dafür zuständig war. Trotzdem konnte man es ja einfach mal versuchen. Denn Axilla wollte ausgerechnet diesen Flavier nicht unbedingt sehen.
    Kurz folgte ein Seitenblick auf Gracchus folgte dann aber noch, als sie sich fragte, ob der überhaupt davon wusste. Weder bei ihrem Treffen im Februar, noch jetzt schien er davon sonderlich beeinflusst zu sein. Und auch Flaccus hatte es ja nicht gewusst, bis Axilla es ihm dummerweise direkt auf die Nase gebunden hatte. Es bestand also durchaus die Chance, dass der Pontifex gar nichts von dieser ganzen Geschichte wusste, weil Piso schlicht niemandem etwas davon gesagt hatte – und keiner wegen dem Veilchen, das er sicherlich gehabt hatte, nachgefragt hatte. Ein kleiner Silberstreif am Horizont also. Jetzt durfte nur Piso nicht kommen und alles zunichte machen.

    Es dauerte nicht lange, da kam Axillas Wettpartner auch schon wieder zurück und hatte auch gleich einen Marinesoldaten im Schlepptau. Natürlich waren die für Axilla keine 'richtigen' Soldaten wie die bei der Legio, und dem Meer und vor allem Schiffen konnte sie nun wirklich nicht das geringste abgewinnen, nachdem sie sowohl bei der Überfahrt von Tarraco nach Alexandria als auch bei der Überfahrt von Alexandria nach Ostia beide Male fast die komplette Schiffsreise über sehr exzessiv die Fische gefüttert hatte. Aber trotzdem war er irgendwo Soldat, was dem jungen Mann mal gleich ein ehrlich freundliches Lächeln ihrerseits einbrachte und einen kleinen Sympathiebonus.
    Nur leider vergaß ihr Wettpartner, dass sie ja seinen Gensnamen nicht wusste und damit auch nicht den des Vetters, als dass sie ihn mit der nötigen Höflichkeit hätte begrüßen können. Andererseits, sie war ohne verwandtschaftliche Begleitung bei den Ludi und hatte dort mit einem Fremden gewettet, hatte mit ihm philosophiert und ihm mehrfach widersprochen... Viel unmatronenhafter konnte es nicht werden. Da konnte sie auch zu Massa so frech sein wie zu seinem namenlosen Vetter.
    “Freut mich, dich kennenzulernen, Vetter Massa“, meinte sie also fröhlich, als um sie herum plötzlich Jubel aufbrandete. Ein Blick in die Arena reichte, um zu sehen, dass das Elend ein Ende hatte. Axilla konnte nichtmal wirklich enttäuscht darüber sein, verloren zu haben, nachdem der Hoplomachus DIE Gelegenheit zum Sieg einfach so hergeschenkt hatte, nachdem der Murmillo sein Schild trotz darin steckender Hasta nicht hatte aufgeben wollen. Auch wenn der Murmillo den Sieg nach dieser Aktion auch nicht so ganz verdient hatte. So war es mehr ein Gefühl der Gleichgültigkeit, das sich in Axilla dabei breitmachte. Da schmerzten nichtmal die hundert Sesterzen so sehr, abgesehen von der Tatsache, wie viel es war.
    “Du hast wohl eine weniger mitleidige Natur“, stichelte sie kurz den Namenlosen mit einem frechen Grinsen und wartete, bis das erste Geschrei vorüber war, um sich diesem Massa noch vorzustellen. Nachdem sie seinen Cognomen wusste, war das nur fair.
    “Ich bin übrigens Axilla“, warf sie noch den letzten Rest von sittenstrengem Verhalten über Bord und wählte gleich die freundschaftliche Anrede. Aber ihr Wettpartner hatte ihr da ja keine große Wahl gelassen.
    “Und sofern du mir armer Witwe keine Chance gibst, beim nächsten Kampf alles zurückzugewinnen, musst du“, und dabei sah sie wieder ihren Wettpartner an "mir sagen, wo ich meine Schulden begleichen kann." Denn hundert Sesterzen hatte sie selbstverständlich nicht dabei. Kein Mensch mit dem Verstand einer Kohlmeise würde je mehr als fünf oder vielleicht zehn Sesterzen – was ja schon dem Monatslohn von so manchem Handwerker entsprach – an einen Ort mitnehmen, wo so viele Menschen auf einem Haufen waren und trotz der vielen Eingänge beim Einlass ein reges Gedränge herrschte. Mit ein paar Assen konnte man sich Leckereien kaufen, wofür brauchte man da viel Geld, wo der Eintritt ja ohnehin umsonst war und man nur die zuvor rechtzeitig abgeholte Tessera vorzeigen musste? Die Langfinger würden sich über so jemanden nur freuen.

    Mitfühlend? Irgendwas in Axilla wollte nach Luft schnappen, aber das sähe albern aus. Und sie wollte nicht noch kindischer wirken, erst recht nicht hier vor Publikum. Auch wenn sie hier nicht die Hauptattraktion war, die gerade unten in der Arena die Schlussphase des Kampfes einläutete.
    So also blieb sie sitzen und wartete auf den passenden Einstieg zur Erwiderung auf diese Unterstellung. Sie wollte ernst genommen werden, und nicht als mitfühlendes Frauchen einfach abgetan werden! Männer! Kaum sagte man was gegen sie, schon kamen sie an mit weiblicher Unlogik oder irgendwelchen Gefühlen, die man angeblich hatte. Mitgefühl! Also wirklich.
    “Ja, deswegen sag ich ja, dass man Legionäre und Gladiatoren gar nicht miteinander vergleichen kann!“ schoss es bei der ersten Gelegenheit auch schon direkt aus ihr heraus. Axilla wäre auch nie eingefallen, jemanden wie ihren Vater mit den Menschen da unten in der Arena zu vergleichen. Sicher, kämpfen taten sie alle, aber ein Mann der Legion, der kämpfte zur Verteidigung des Reiches, seines Heimes und der Menschen des Imperiums! Die Gladiatoren kämpften für nichts dergleichen, sondern nur zur Belustigung der Menge und zur Unterhaltung der Götter. “Und ich bezweifle auch, dass sich Mactator sehr gefreut haben dürfte, als er seinem Freund die tödlichen Wunden zugefügt hat. Auch wenn es sicherlich ein würdiger und aufrechter Tod für einen Gladiator war, und sowohl Mactator als auch Fulmineus einander Ehre gemacht haben, ist das dennoch finde ich kein freudiges Erlebnis. Und ich denke auch nicht, dass Mactator es trotz dieser Ehre so gesehen hat, ansonsten hätte er sicherlich weitergekämpft. Aber seine Treue und auch Liebe zu seinem Freund haben ihn ja ganz offensichtlich davon abgehalten.“ Hah! Axilla war durchaus zufrieden mit ihrer Argumentation. Gerne hätte sie sie auch mit einem hochtrabenden Zitat geschmückt, aber im Moment wollte ihr da so aber auch gar nichts passendes einfallen. Sicher hatte irgendein kluger Kopf mal irgendwas in die Richtung gesagt, dass jeder Sieg schweren Herzens sein müsse und man sich darüber nie freuen solle, weil es immer in irgendeiner Weise ein Verlust wäre oder sowas ähnliches. Nur hätte Axilla nicht sagen können, welcher dieser klugen Köpfe nun genau das gewesen sein sollte. Also musste es auch ohne Zitat reichen.


    Abgesehen davon war sie ja schon fast wieder versöhnt, als ihr Wettpartner die Eichenwälder erwähnte. Kaum hatte er das Wort gesagt, schlich sich ein ununterdrückbares Lächeln auf ihre Züge, das ihre Augen strahlen ließ. Axilla liebte diese Wälder, mehr als alles andere. Sie hatte sie schon geliebt, ehe sie überhaupt gewusst hatte, was das bedeutete, und egal, wie viele Wunder sie in Alexandria oder auch Rom gesehen hatte, sie würde diese Wälder immer lieben. Eine ihrer ältesten und schönsten Erinnerungen, von der sie bisweilen sogar träumte, war, wie sie mit ihrem Vater durch den nächtlichen Wald geritten war. Sie musste noch sehr klein gewesen sein, denn das wie und wann und warum verschwamm in ihren Gedanken. Aber das Lächeln ihres Vaters, wann immer sie zu ihm hochgeblickt hatte, und die Magie an diesem Ort, an die erinnerte sie sich lebhaft.


    Da war es ja schon fast eine Beleidigung, dass der junge Mann hier jetzt meinte, die Hispanier wären verbohrt und engstirnig und Rom ja aufregender. Gut, Axilla kannte Tarraco nicht und auf dem Hof ihres Vaters waren jetzt nicht so viele Menschen, und die hatten meist was wichtiges zu tun. Da stellte sich die Frage nach Verbohrtheit nicht so wirklich. Abgesehen davon, dass Axillas Mutter wohl ohnehin sehr streng gewesen war, ihr Einfluss aufgrund ihrer Krankheit auf Axilla aber wohl eher gering gewesen war.
    Und überhaupt konnte Axilla nicht zustimmen, dass Rom so viel unkomplizierter wäre. Zumindest nicht als Frau. Da hatte sie in Alexandria deutlich mehr Freiheiten genossen, und deutlich weniger Augenpaare auf sich gerichtet gesehen, die ihr ihre kleineren und größeren Fehltritte übelnahmen.
    Allerdings war sie jetzt nicht so streitlustig, dass sie ihm da ins Wort fallen wollte, abgesehen davon war sie auch schon versöhnt, als er sagte, er sei nach Mantua zur Legion gegangen. Und da er hier in den Rängen der Ritter saß, hieß das, dass er Tribun sein musste. Wie ihr Vater auch. Auch wenn er wohl jünger war als ihr Vater es gewesen war. Kurz wurde Axillas Lächeln etwas wehmütig, als ihr bewusst wurde, wie jung ihr Vater bei seinem Tod gewesen sein musste. Dennoch älter wohl als der junge Mann vor ihr.


    “Naja, fast“, stimmte sie ihm grinsend bei seiner Mutmaßung zu. Es war auch wirklich nicht schlecht geraten, bis auf die Tatsache, ihr Mann würde so viel Arbeiten. Und die Vorgeschichte war leicht anders, was Axilla ihm aber nicht auf die Nase binden musste. “Nachdem ich eine Weile in Alexandria bei meinen Verwandten gelebt habe, bin ich tatsächlich her nach Rom gekommen, um zu heiraten. Einen mittelalten Eques, sagen wir Procurator in der Kaiserlichen Kanzlei, der nun seit über einem Jahr verstorben ist.“ Axilla sagte es ohne rechte Trauer, auch wenn die angebracht gewesen wäre. Aber zum einen war es wirklich lange her, und zum anderen hatte ihr Archias' Tod so viel Ärger gemacht – wenn man es genau nahm, hatte auch sein Leben und die ganze Geschichte mit der Hochzeit und wie diese zustande gekommen war ihr jede Menge Ärger bereitet. Ihre Trauerphase hatte sie schon vor sehr langer Zeit abgeschlossen, und wann immer sie einen reumütigen Moment diesbezüglich erlebte, musste sie nur an ihre Begegnung mit dem PU denken, als sie das Erbe freibekommen wollte, und schon war dieser Moment vorbei. Was hast du dir nur dabei gedacht, Archias?


    Doch bevor Axilla nun weitersticheln konnte und nachfragen, wie also dieser fesche Tribun hier jetzt von Mantua wieder nach Roma gekommen war, wo es hier ja bekanntlich keine Legio gab – also im Grunde, ob er zu den Prätorianern oder den Vigiles oder Cohortes versetzt worden war, arg viele andere Möglichkeiten gab es ja nicht – da kam auch schon der andere Sklave mit dem griechischen Namen zurück und überbrachte eine sehr seltsame Nachricht.
    Adler mit kaputtem Flügel? Danach hielt er hier Ausschau? Und ihr Wettpartner wurde über diese Nachricht ganz aufgeregt und sprang sofort mit einer gehetzten Entschuldigung los, um zu dem Marinesoldat zu gelangen. Axilla war klar, dass die Worte irgendein Code waren. Nur hatte sie keine Ahnung für was, und erst recht nicht, warum der junge Mann jetzt wie von Hornissen getrieben lospreschte und dabei so ziemlich alle Leute in seiner Sitzreihe verärgerte. Das war's wohl mit der Unterhaltung...
    Axilla blieb nicht viel übrig, als verwirrt hinterherzuschauen. Dem Sklaven ging es anscheinend nicht viel besser, denn der schaute auch erst seinem Herrn hinterher, und dann fragend zu Axilla. Die konnte nur hilflos mit den Schultern zucken. “Du kennst ihn länger als ich“, meinte sie reichlich lapidar. Sie hatte keine Ahnung, warum er jetzt so plötzlich aufgebrochen war und damit den Ausgang seiner Wette zu verpassen drohte.


    Ich sah dich, und die milde Freude
    Floß aus dem süßen Blick auf mich;
    Ganz war mein Herz an deiner Seite
    Und jeder Atemzug für dich.
    Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
    Lag auf dem lieblichen Gesicht,
    Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!
    Ich hofft es, ich verdient es nicht!


    Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
    Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
    In deinen Küssen welche Liebe,
    O welche Wonne, welcher Schmerz!
    Du gingst, ich stund und sah zur Erden,
    Und sah dir nach mit nassem Blick:
    Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
    Und lieben, Götter, welch ein Glück!


    Johann Wolfgang von Goethe, Willkommen und Abschied


    Die Sonne tauchte das Zimmer in goldenes Licht. Es kitzelte an Axillas Nase, und erstmal zog sie ihre Decke über die Nasenspitze wieder hoch, um nicht aufstehen zu müssen. Die Decke roch noch nach Vala, und ein wohliges Seufzen entstieg der Iunia. Langsam öffnete sie die Augen und fuhr mit ihrer Hand über die Matratze weiter... und weiter... Erst, als ihr Arm schon fast gestreckt war und am Ende der Matratze fast angekommen sein musste, schlug sie die Decke doch zurück und sah sich um.


    Vala war nicht da. Ein kurzer Schmerz durchzuckte Axilla bei dieser Erkenntnis, gefolgt von einem leisen Zweifel. Hatte sie es vielleicht nur geträumt? Sie fasste sich an den Kopf, in das zerzauste Haar, und überlegte. Nein, das war kein Traum gewesen. Sie hatte sich das nicht eingebildet. Oder?
    Sie lauschte auf ihren Körper, auf den süßen, leichten Schmerz zwischen ihren Schenkeln, auf die vielen Stellen ihrer Haut, wo er sie liebkost, geküsst und festgehalten hatte. Nein, das hatte sie nicht geträumt. Sie hatte noch immer seinen Geschmack auf den Lippen. Das Bett roch noch immer nach ihm. Sie konnte das nicht geträumt haben.


    Langsam nahm sie die Hand wieder herunter. Das Zimmer war von Helligkeit durchflutet, sie saß mitten in den vormittäglichen Strahlen, die ihr die nackte Haut wärmten. Die Kissen waren etwas zerwühlter als sonst. Und ihr Kleid lag wohl noch im Garten, zumindest konnte sie es nirgends sehen. Ansonsten war alles wie immer. Die Rüstung ihres Vaters stand wie ein stummer Ankläger an ihrem Platz, auf dem kleinen Tisch lag noch die Schriftrolle, die sie gestern zu lesen angefangen hatte.
    Und doch war es alles so falsch, wie es nur hätte sein können. Axilla fing an, leicht zu zittern. Warum war er gegangen? Sie verstand es nicht. Es war so schön gewesen. Sie hatte gehofft... nicht zu hoffen gewagt, aber doch... sie wollte ihn doch noch so vieles fragen! Sie hatte so viel, was sie ihm sagen wollte. So viel, was in ihrem Herzen war. Und nach der letzten Nacht... sie hätte es ihm gern gesagt. Vielleicht nicht alles, aber wenigstens etwas. Sie wollte doch nur bei ihm sein.
    Aber er war weg. Gegangen. Und er würde noch viel weiter weg gehen, bis nach Ägypten. Wo sie ihn definitiv nicht mehr sehen konnte, bis er zurück kam. Kam er überhaupt zurück? Axilla wusste nicht einmal das, und es zerriss ihr beinahe das Herz. Sie schluchzte einmal, leise. Vermutlich war das die einzige Nacht, die sie mit Vala je haben würde, und sie war zuende. Unwiederbringlich vorbei. Und sie hatte ihr Ende einfach verschlafen. Ein Zittern ging durch ihren Körper, als sich ein paar Tränen ihren Weg nach oben kämpften.


    War es ein Fehler gewesen? Hätte sie ihn abweisen sollen, und standhaft bleiben sollen? Imperiosus, für den sie nicht diese tiefen Gefühle hegte, treu bleiben sollen? Hätte sie sich besser wie eine tugendhafte römische Frau verhalten sollen? Sie hätte nie gewusst, wie es wäre, ihn zu fühlen, zu riechen, zu schmecken. Sie hätte nie gewusst, wie es wäre, seine Haut auf ihrer zu fühlen, seine Berührung, die geraunten Worte in ihren Ohren. Sie wäre nie allein aufgewacht und würde nun weinend dasitzen.
    Und trotzdem, obwohl es wohl gnädiger gewesen wäre, Axilla konnte es nicht bereuen. Nicht wirklich. Wenn es so sein sollte, dass sie nur diese eine Nacht haben durfte, dann sollte es so sein. Und wenn es ihr das Herz zerriss, dass es nicht mehr sein konnte und durfte, sie wollte nicht auch nur einen Atemzug davon missen. Ihre Hand fischte nach einem Kissen, und sie zog es an sich. Es roch noch nach ihm, und sie schluchzte noch ein wenig mehr, während sie den Geruch wie eine Droge tief aufsaugte.


    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie da saß, ehe sie die zaghaften Geräusche vor der Tür mitbekam. Ihre Sklaven hätten sie normalerweise schon vor Stunden geweckt und für den Tag gerichtet, aber trauten sich wohl im Moment nicht. Axilla hatte seit Archias keinen Mann mehr empfangen. Das war alles so unendlich lange her. Die Sklaven trauten sich wohl nicht, ob dieser ungewöhnlichen Umstände das Zimmer zu betreten. Sicher hatten sie mitbekommen, wie der Germane gegangen war. Wahrscheinlich wussten sie nicht, wie Axilla darauf reagieren würde. Sie wusste es ja selbst noch nicht so recht, wie sie darauf reagierte.
    Aber sie wusste, dass sie nicht ewig hier sitzen konnte und weinen. Sie musste aufstehen. Sie musste weitermachen. Und sie musste Imperiosus fragen, wann sie heiraten wollten und würden. Denn egal, was gewesen war: Das Leben ging weiter. Sie konnte die Zeit nicht anhalten. Und sie konnte Vala nicht nachreisen. Das wusste sie.
    Eine neue Schauerwelle ging durch Axillas Körper, als sie tief durchatmete und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Sie zog das Kissen noch einmal zu ihrem Gesicht und sog den Geruch tief ein, gab ihm einen sanften Kuss, als würde sie Vala zum Abschied noch einmal küssen. Denn irgendwie war es ein Abschied. Musste einer sein.


    Sie stand auf und sah noch einmal zurück auf das Bett. Die zerwühlte Decken, das Durcheinander. Sie fragte sich noch einmal, ob es richtig war, und die Antwort war eindeutig: Nein, es war nicht richtig, und dennoch bereute sie es nicht. Auch wenn der Abschied umso schwerer fiel.

    “Herrin! Er ist eben an uns vorbeigelaufen“, meldete sich Levi durch die Vorhänge der Sänfte hindurch.
    “Wie, vorbeigelaufen?“ fragte Axilla, die sofort die Schriftrolle weglegte und irgendwo zwischen den Kissen sicher verstaute, um danach aus der Sänfte zu steigen.
    “Na, vorbeigelaufen halt, hoch zum Tempel.“ Während er seiner Herrin aus dem Gefährt half, deutete der junge Sklave schon mit einer Hand die Tempelstufen hoch. Na toll, dachte sich Axilla und verdrehte leicht die Augen. Am Ende dachte der Pontifex noch, sie hätten sich verspätet.


    Dennoch nahm sie sich kurz die Zeit, nochmal nach ihrer Frisur zu fühlen und sich sowohl von Kephalos als auch von Levi versichern zu lassen, dass sie annehmbar war – wobei Kephalos die Worte 'sehr schön' und Levi ein beflügelndes 'hinreißend' verwendeten – ehe sie noch einmal über die grüne Wolle fuhr und sich von dem Griechen zum Tempel hinauf begleiten ließ. Auch wenn sie mit feinen Seidenbändern im Haar und etwas Goldschmuck an den Armen schon sehr herrschaftlich herausgeputzt war, meinte sie, neben Kephalos eher unauffällig zu sein, auch wenn der von der Qualität und Güte der Stoffe ihren nachstand. Doch war er einen Kopf größer und sicher das doppelte an Masse von der Iunia, was dann jegliche Eindrücke relativieren mochte.


    “Consular Tiberius!“, winkte Axilla dem alten Mann auf der Hälfte der Stufen schon zu und schloss dann zu ihm auf, um ihn richtig zu begrüßen. “Es freut mich, dich wieder zu sehen.“
    Auch Kephalos begrüßte den Tiberier knapp, aber höflich, während Axilla dann schon munter und fröhlich fortfuhr. “Kommen denn noch andere Mitglieder des ehrenwerten Collegium Pintificum, auf die wir dann selbstverständlich warten sollten, oder möchtest du gleich beginnen?“

    Während der Kampf unten in die entscheidende Phase ging, entwickelte sich zwischen Axilla und ihrem Wettpartner ein beinahe philosophischer Disput. Nunja, oder beinahe, bisher war er dafür ja ein wenig kurz. Dennoch war die Frage nun gestellt, ob es denn nun beklagenswert war oder nicht. Und Axilla erinnerte sich nicht schnell genug an den Teil ihrer Erziehung, an dem ihr beigebracht wurde, dass es sich für eine Frau nicht ziemte, bei so etwas ihre eigene Meinung einfach kundzutun, erst recht nicht, wenn sie damit einem Mann, noch dazu einem Fremden, widersprach. Bildung war eine feine Sache, aber die Philosophie war nunmal eine Männerdomäne.
    “Ich hab auch nicht gesagt, dass er die Schuld am Tod seines Freundes trägt. Vielleicht war es ihr Schicksal, einander so gegenüber zu stehen, damit einer den anderen tötet. Ebensowenig wie die Tantaliden könnten die beiden Gladiatoren wohl dem entfliehen, was für sie vorherbestimmt war. Aber dennoch kann es grausam sein, und beklagenswert.
    Und ich finde nicht, dass man das mit einem Soldaten und seinem Feind vergleichen kann. Das wäre eher so, als wenn ein Kommandant zwei seiner Soldaten befehlen würde, gegeneinander zu kämpfen, ohne dass der eine dem anderen Feind ist, und sich zu töten. Und wenn ein Feldherr das befehlen würde, würde ich auch sagen, dass er kein guter Legat ist. Die Männer innerhalb der Legio müssen aufeinander vertrauen und zählen können, und nicht sich gegenseitig ob ihrer Fähigkeiten fürchten.“

    Erst, als Axilla mit ihrer zugegebenermaßen schon fast hitzigen Ausführung fertig war, merkte sie, dass sie sich vermutlich im Ton vergriffen hatte Sie aß schnell eine Dattel, wie um sich dahinter zu verstecken, und schaute kurz wieder in die Arena. Da stürmte gerade der Murmillo mit einem lauten Brüllen auf den Hoplomachusein, und Axilla schaute einen Augenblick lang vor Schreck gebannt hin. Das hatte nichts mehr von Finesse, sondern nur noch von Kraft und Zuhauen. Dennoch war es irgendwie faszinierend, und das daraufhin fließende Blut hatte etwas Hypnotisierendes an sich.


    Die Erzählung über Tarraco riss sie aber wieder aus ihrer Betrachtung, und mit einem verwirrten Blinzeln widmete sie sich wieder dem Mann, dem sie wohl in wenigen Minuten hundert Sesterzen schulden würde.
    “Es muss bei deinen Großeltern sehr schön gewesen sein. Von unserem Haus aus konnte man nicht bis zur Stadt sehen, oder bis zum Meer. Nur die weite, trockene Erde mit den vielen Feldern und die Wälder... Ich hab die Stadt selber nur zwei... nein, drei Mal gesehen. Einmal bei dem Besuch, den ich vorhin erwähnt habe, einmal bei dem Triumph von Decimus Meridius, und einmal dann bei meiner Abreise mit dem Schiff.“ Insgesamt also konnte man wohl sagen, Axilla kannte die Stadt Tarraco selber gar nicht.
    Nachdem der junge Mann also seinen Sklaven wegen der Feigen weggeschickt hatte und dieser auch brav gegangen war, fuhr Axilla auch gleich fort. “Und du bist dann direkt nach Rom gekommen, um Mactator anzufeuern?“ Sie ließ es frech klingen und bot im gleichen Zug stumm dem Mann eine der Datteln an. Sie hatte schon lange keine mehr gegessen, die letzte in Ägypten damals. Und sie hatte sie irgendwie saftiger in Erinnerung, wobei sie alles von Alexandria bunter, größer und würziger in Erinnerung hatte. Aber dennoch waren die Datteln zumindest nicht wurmstichig.

    So ganz überzeugt war Axilla noch nicht, aber sie wollte sich auch gar nicht so wirklich erst groß überzeugen lassen müssen. Von daher nahm sie die Erklärung einfach so mit einem Lächeln hin und glaubte Imperiosus, weil sie ihm schlicht glauben wollte, und beließ es dabei.


    “Gut. Und was machen wir noch bis zum Essen? Willst du mir noch etwas zeigen, nachdem die Zimmersuche so schnell ging?“
    Axilla hatte ja keine Ahnung, was sie hier alles erst noch kennenlernen sollte. Und ob er ihr jetzt schon alles zeigen und erklären wollte, oder lieber einfach nur nett mit ihr plaudern. Oder auch schon die Hochzeit planen, damit die möglichst bald gefeiert werden konnte. Letzteres wäre für Axilla natürlich besonders gut, würde es doch den weiteren Weg gut bezeichnen. Und sie in Sicherheit vor Salinator bringen, auch wenn der kein Interesse mehr an ihr zu haben schien. Zumindest hatte er sich bei ihr bislang nicht wieder gemeldet.

    Im Grunde hatte Axilla keine Ahnung, wie lange die Senatssitzungen im Allgemeinen und die heutige im Besonderen zu gehen pflegten. Auch eine Nachfrage bei Bekannten, denen sie diesbezüglich eine hohe Kompetenz zutraute, brachte kein besseres Ergebnis. Da sie sich aber keinesfalls verspäten wollte und dadurch durch Unpünktlichkeit negativ auffallen wollte, und da einfach nicht herauszubekommen war, wie lange der Senat so im allgemeinen oder insbesondere heute tagte, blieb Axilla nicht viel anderes übrig, als eben zu warten.
    Also war sie schon am frühen nachmittag zum Tempel gekommen und hatte sich selber erstmal alles angesehen. Eigentlich wäre sie zu Fuß hergekommen, aber da sie nicht wusste, wie lange sie würde warten müssen, hatte sie doch die Sänfte genommen. Dort konnte sie sich besser zurückziehen und einfach hinlegen und etwas lesen. So auf dem offenen Platz ging das ansonsten natürlich nicht.
    Ihr Architekt Kephalos hatte es da natürlich schlechter, da dieser keine eigene Sänfte hatte, aber genauso warten musste wie sie. Axilla lud ihn zwar zu sich ein, damit er sich auch setzen konnte, aber er stand lieber. Die Iunia dachte, dass er irgendwas mit griechischem Stolz und der Tatsache, dass sie unverheiratet war, zu tun hatte. Aber im Grunde war das auch nebensächlich, änderte das doch nichts an der Entscheidung, und Axilla wollte sich da auch gar nicht einmischen.


    Und so verbrachte sie ihre Zeit mit Warten. Erst war sie noch in den Tempel gegangen, hatte sich alles, was sie ansehen durfte – immerhin war sie A eine Frau und B kein Priester – und hatte das Bauwerk bewundert. Sie hatte Mars auch etwas Weihrauch mitgebracht, den sie in einem kleinen Gebet ohne an den Gott gerichtete Bitte ihm opferte. Einfach so. Sie glaubte nicht, dass Götter die Bitten von Sterblichen erhörten. Sie hatte dem Aesculap brav geopfert, als ihre Mutter immer kränker geworden war, und dennoch war sie gestorben. Aber nur, weil sie nichts für die Menschen taten, konnte man ihnen ja dennoch opfern, damit sie nichts gegen die Menschen unternahmen.
    Außerdem war es bei Mars auch etwas anderes. Ihr Vater hatte dem großen Gott häufig geopfert, auch zuhause. Ihm und Silvanus – wobei Axilla an letzterem nicht teilnehmen durfte, da sein Kult für Frauen verboten war. Und auch, wenn ihr Vater letztendlich gefallen war, änderte das nichts an seiner Liebe und seinem Respekt für den Gott zu Lebzeiten. Also liebte und respektierte auch Axilla den Herrn der Felder – seien es Schlachtfelder oder solche, auf denen etwas wuchs – und also gebührte ihm selbstverständlich auch etwas freimütig geopferter Weihrauch.


    Und danach hatte sie es sich in ihrer Sänfte bequem gemacht, zusammen mit einer Schriftrolle von Ciceros „de fato“. Ein bisschen philosophische Bildung konnte nicht schaden, und das Grübeln über den Text lenkte ganz definitiv vom Warten ab.

    So ganz sicher, ob Imperiosus da grade die Wahrheit sagte oder sie nicht doch anschwindelte, war Axilla jetzt nicht. Immerhin hatte besagter Cousin doch vor nicht einmal einer Stunde noch explizit nach der Cena gefragt gehabt. Warum also sollte er jetzt in seinem Zimmer essen?
    Auf der anderen Seite gab Imperiosus sich so viel Mühe, sie jetzt hier zum bleiben einzuladen, dass auch deutlich war, dass er lieber mit ihr essen wollen würde, als mit seinem Vetter. Kurzum: Irgend einen von den beiden musste sie quasi vor den Kopf stoßen. Jetzt war nur die Frage, ob sie lieber ihren Zukünftigen kränken sollte, indem sie ihm absagte, oder doch lieber seinen Vetter, indem sie zusagte.


    Axilla hasste Zwickmühlen. Wirklich. Sie wollte es sich doch am liebsten mit keinem der beiden verscherzen. Allerdings, nach kurzem überlegen, war ihr der läuselose Mann dann doch ein bisschen wichtiger als der juckreizerzeugende Vetter desselben, den sie etwas merkwürdig fand.
    “Naja, ich weiß nicht recht... Aber nur, wenn es wirklich keine Umstände macht, besonders deinem Vetter“, meinte sie schließlich und hatte den Anstand, dabei etwas zerknirscht aus der Wäsche zu schauen.

    Nicht einmal sein Lachen oder sein Kommentar konnten Axilla jetzt noch groß irritieren. Sie bemerkte noch nicht einmal die Ironie, die seinen Worten anhaftete. Für sie zählte nur noch, dass er jetzt und hier bei ihr war, und all das war, was sie sich von ihm wünschte, zu sein. Alles andere sah und hörte sie nicht.


    Als er ihr endlich nach langer, süßer Qual gewährte, wonach sie sich schon so lange gesehnt hatte, ging auch das letzte bisschen logischen Denkens im Strudel aus Emotion und Bewegung unter. Es zählte nur noch ihr Verlangen nach diesem Mann, das mit jeder Bewegung, jedem Stöhnen und jedem Atemzug nur umso heftiger brannte. Axilla ließ sich von ihm erobern und eroberte gleichermaßen, bis sie nicht mehr wusste, wer wen hielt, wer wem was schenkte, bis sie sich so eins mit ihm fühlte wie noch nie zuvor. Küssend, ihn haltend, ihn an sich ziehend, sich ihm entgegen biegend. Bis sich all die Sehnsucht und all die Lust in einem lautstarken Crescendo vereinigten und sie sich von süßer Ekstase hinfort tragen ließ. Ein Moment des reinsten Glücks.


    Ermattet und zitternd schließlich hielt sie sich nur noch an Vala fest. Erst jetzt merkte sie, dass sie geweint hatte. Nicht viel, aber ein paar Tränen, die sich mit dem Salz auf ihrer Haut vermischten. Dem Salz auf Valas Haut. Sie küsste seine Schulter, sanft. Sie meinte sich zu erinnern, ihn vorhin dort gebissen zu haben, aber sie war sich nicht sicher. Sie war sich überhaupt über vieles nicht sicher, außer der einen Tatsache, dass sie jetzt und hier bei ihm glücklich war und es in keinster Weise bereute. Und dass sie bei ihm sein wollte.
    Sie fing an, ihn ein wenig zu streicheln, hatte Angst, das falsche zu sagen. Überhaupt kamen die Worte nur spärlich wieder zurück in ihr Bewusstsein, wo ein ertrunkener Verstand sich wohl ans Land gerettet hatte und erstmal ordentlich Wasser aus der See der Leidenschaften spuckte, ehe er sich äußern konnte.
    Es gab viel, was sie ihm sagen wollte und sich nicht traute. Der Moment war so perfekt, sie wollte nicht, dass er endete. Sie wollte ihn nicht mit etwas überfordern, was er ihr nicht geben konnte, oder etwas verlangen, was ihm nicht entsprechen würde. Sie liebte ihn, aber das musste er wissen. Die Worte würden nur einen Käfig um ihn herum errichten, und Axilla wollte ihn nicht einsperren. So sehr sie sich auch wünschte, er würde sich freiwillig in diese süße Gefangenschaft begeben.
    Schließlich, endlich, fand sie aber doch Worte, die sie ihm sagen wollte und musste. Sie wollte nicht, dass er ging. Nicht jetzt. “Bleib bei mir heute Nacht“ flüsterte sie ihm küssend zu. Nur heute Nacht. Sie wollte mit ihm einschlafen und mit ihm aufwachen. Vielleicht auch mehrmals. Er sollte nur bleiben.

    Ihr Körper lechzte nach mehr, je mehr Vala ihr gab. Schon bald waren seine Berührungen nur noch Folter für sie, und umso mehr sich der Germane Zeit ließ, sie zu erkunden, umso ungestümer loderte in ihr das Feuer, das sie zu verschlingen schien. Selbst wenn Axilla versucht hätte, die animalische Seite in sich noch weiter zurück zu halten, bei seinen beständigen Liebkosungen hätte sie es nicht einmal unter Aufbringung all ihrer Willenskraft geschafft. Und sie wollte sich jetzt nicht einmal mehr beherrschen! Nur allzu bereitwillig ließ sie Vala gewähren, ließ ihn jeden digitus ihrer Haut einzeln erobern, bis sie vor Lust zitterte, ihn immer wieder an sich zog, um ihm zu zeigen, dass sie bereit war, dass sie ihn wollte, und doch fuhr er mit seiner süßen Folter weiter fort.
    Vergessen war schon die Frage nach seinen Narben und nach denjenigen, die sie ihm zugefügt hatten. Es war nicht mehr wichtig. Es war nur wichtig, dass Vala hier bei ihr war, und sie seine Haut fühlen konnte, ihn riechen und schmecken konnte. Ihm gehören konnte.


    Dennoch entfuhr ihr ein tiefes, kehliges Stöhnen, als er ihr sagte, dass sie alle getötet waren. “Gut“, keuchte sie in die kühle Nachtluft und zog ihn an den Haaren etwas höher, um ihn zu küssen. Sie wollte ihn schmecken. Und sie wollte ihn endlich fühlen, endlich wirklich ihm gehören. “Ich hätte sie sonst eigenhändig umgebracht“, raunte sie noch zwischen zwei vor Verlangen beinahe berstenden Küssen. Und sie meinte es ehrlich. Sie würde jeden umbringen, wenn es sein musste mit eigener Hand, der selbige an ihn legte. Auch wenn sie es nicht musste, und sie fand diesen Gedanken noch erregender. Vala war ein Mann. Ein richtiger Mann. Der seine Feinde getötet hatte. Der sie beschützen konnte. Der keine Angst und keinen Zweifel kannte. Und sie liebte ihn dafür. Und das wollte sie ihm jetzt auch zeigen.