Es war absolut schrecklich. Das einzige Wort, das auch nur annähernd diese Situation zu greifen im Stande war, war absolut unmissverständlich und in jeder Beziehung schrecklich! Axilla versuchte, sich zu fangen. Sie versuchte, aufzuhören, zu weinen. Sie versucht, stark zu sein. Wenn sie es gleich geschafft hätte, wieder aufzuhören, hätte sie es noch damit abtun können, dass sie sich irgendwo gestoßen hätte. Nun, vielleicht nicht unbedingt glaubhaft, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen. Wenn sie aufgehört hätte, als sie die Beine nachgezogen hatte, wäre es peinlich gewesen, aber sie hätte das mit einem Moment der Schwäche abtun können. Sie hätte es mit einem lächeln überspielen können, ein paar Worte wechseln und den Senator dann aus der peinlichen Begegnung entlassen können. Wenn sie aufgehört hätte, ehe er sie berührt hatte, hätte sie ihm diesen Moment ersparen können, die Distanz waren können und irgendwie flüchten können.
Aber sie konnte nicht aufhören.
Sie merkte, wie der Flavier in seiner Bewegung bei ihr stockte, und sie fühlte sich noch elender als ohnehin schon. Sie wusste schon, was er dachte: Dass sie wie ein schlecht erzogenes Kind weinte, in aller Öffentlichkeit. Dass sie nur eine schwache Frau war, von Gefühlen übermannt. Dass sie sich unmöglich benahm und keinen Anstand hatte. Schwach, schwach, schwach! Und dennoch konnte Axilla nicht aufhören. Sie bemühte sich, aber es ging nicht. Die Tränen kamen vom Grunde ihrer Seele herauf, so lange eingeschlossen und weggesperrt, mit jedem neuen Tod um sie herum tiefer vergraben. Da waren noch die Tränen für Archias, die für Leander. Die für Urgulania. Für sie alle hatte Axilla geweint, und doch kamen all diese Tränen gerade noch ein weiteres Mal, gruben tiefer, bis sie zu denen für ihren Vater in ihrer Seele gelangt waren, die sie so viele, viele Nächte in sich verschlossen hatte. Und jetzt war es, als hätte jemand den Felsen des Dammes, den sie davor gesetzt hatte, gesprengt, und sie konnte nichts gegen die hereinbrechende Flut unternehmen.
Sie hörte den Flavier neben sich fast gar nicht, als dieser sie doch endlich berührte und versuchte, sie zu trösten. Sie bemerkte, dass er etwas sagte, ruhig und tröstend, doch der Sinn seiner Worte verschwamm unter dem Schleier aus Tränen. Das einzige, was sie wirklich mitbekam, war seine Hand auf ihrem zitternden Rücken, wie sie da lag, groß und schwer, und sie doch kaum berührte, als sei sie zerbrechlich. Nun, vielleicht war sie zerbrechlich. Vielleicht war sie auch gerade eben zerbrochen. Sie wusste es selbst nicht.
Und es war ihr in diesem Moment der Schwäche dann auch egal. Wie ein Kind fiel sie dem Fremden neben sich einfach um den Hals, vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Da die Position nichts anderes zuließ, kippten ihre Knie zur Seite weg, über seine Beine, so dass es fast aussah, als flüchte sie auf seinen Schoß. Und sie weinte, still und bebend, ohne zu schluchzen oder zu schreien, weinte und hielt sich an ihm fest.
Ihr war in diesem einen kurzen Moment egal, ob das schicklich war oder was die Konsequenzen wären. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Ihr war auch egal, ob sie jemand sehen könnte. Sie brauchte einfach nur jemanden, der sie in diesem Moment, in dem ihre ganze Welt über ihr einstürzte und ihr die Bedeutung von Verlust und Schmerz vor Augen führte jemanden, an dem sie sich festhalten konnte, auf dass sie nicht ins Chaos stürzte. Und es war die einfache, traurige Wahrheit, dass aus dem Fremden neben ihr niemand anderes da war, der sie in diesem Moment hätte auffangen können.
Axilla wusste nicht, wie lange sie so da saß, ihn so bedrängte. Irgendwann aber war der Moment vorbei, in dem sie nur Gefühl war, und ihr Verstand sagte ihr, sie musste loslassen. Ihre Tränen waren irgendwo auf dem Weg zwischen dort und hier versiegt, und nur das Zittern ihres Körpers war geblieben wie ein stetiger Begleiter. So ließ sie zittrig die teure Toga, die sie durch ihren Überfall wohl furchtbar verknittert hatte, los, und sah beschämt zu Boden. “Tut mir leid“ flüsterte sie stimmlos. Ein Teil von ihr weigerte sich, ihn wieder los zu lassen, aber sie wusste, dass sie das musste. Also ließ sie ihn gänzlich los, um von ihm abzurücken und ihm die Möglichkeit zur Flucht einzuräumen. “Ich wollte dich nicht kompromittieren“, fand sie dann doch einen Teil ihrer Stimme wieder.
Sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken, was sie soeben getan hatte. Vor Scham würde sie tot umfallen. Sie schob die Gedanken beiseite. Morgen würde dafür genug Zeit sein.