Wie eine plötzliche Regenwolke schon sich ein Schatten über ihre beiden Gestalten, und Axilla sah den Begleiter des Senators kurz flüchtig gegen die blitzende Sonne an, ehe sie ihre Betrachtung wieder dem Garten widmete. Das war er, der Punkt, an dem der Traum nun gänzlich wieder verblasste und die Wirklichkeit so unbekümmert von den Hoffnungen und Gedanken der darin lebenden Wesen ihren Platz zurückeroberte und über Axilla hereinbrach wie ein plötzlicher Regenschauer. Der Flavier erhob sich und entschuldigte sich, dass er nun wieder weiter musste. Es war nicht wirklich eine Flucht von ihm, und es war ohnehin erstaunlich, dass er nicht schon eher geflohen war, bedachte man ihr Betragen. Aber nein, er ging ganz gemächlich und mit aufrechtem Bedauern.
Axilla wünschte, sie hätte die passende Worte zum Abschied, eine leere Floskel der Wirklichkeit, die von Anstand und Erziehung kündete und dem ganzen Gespräch, gleich wessen Inhalts es gewesen sein mochte, einen positiven Nachklang gab, den Schein von Leichtigkeit und Frohsinn. Doch kannte sie solche Worte nicht und verlief sich in einem gestammelten “Vale, Flavius“, unfähig, ihrer eigenen Beklommenheit zu entkommen, wie sie es noch vor einigen Momenten völlig ungeachtet der Konsequenzen getan hatte.
Und dann, gerade als Axilla sich damit abfinden wollte, dass der Moment vergangen und der Zauber verflogen, das alles nur eine vage Erinnerung sein würde, bei der sie nicht wusste, ob sie sich dessen schämen oder diesen Augenblick mit Sehnsucht rekapitulieren wollte, just da drehte sich der Flavier noch einmal um, erhob noch einmal das Wort, und am liebsten wäre Axilla ihm noch einmal um den Hals gefallen. Einfach so. Einfach, weil ihr ohnehin die passenden Worte fehlten, um das auszudrücken, was sie ihn gerne hätte wissen lassen.
“Du hast mich um nichts gebracht, Flavius. Vielleicht habe ich nicht das bekommen, was ich beim Eintreten in diesen Garten gesucht habe, aber ich fühle mich dennoch reicher, wenn ich ihn wieder verlasse. Dein Angebot ist sehr großzügig. Und ich danke dir aufrichtig dafür.“ Mit dem letzten Satz meinte sie nicht nur sein Angebot, sondern die gesamte Situation.
Meistens gaben die Götter einem nicht das, was man wollte. Diese Lektion hatte Axilla sehr hart gelernt, als ihr Vater gestorben war. Noch einmal, als ihre Mutter gestorben war. Oder Urgulania. Leander. Als sie ihr Kind erst nicht verloren hatte, als sie es versucht hatte, und dann doch verloren hatte, als sie sich mit dem Gedanken, es zu bekommen, gerade angefreundet hatte. Als sie Pluto angefleht hatte, den Tod Urgulanias zu rächen und Terentius Cyprianus erst in Verzweiflung zu stürzen und dann zu töten. Nie hörten die Götter zu, sie machten sich nichts aus den Wünschen der Menschen und schon gar nichts aus denen einer junger Frau. Aber manchmal, in ganz seltenen Augenblicken, da bekam man zwar nicht das, was man wollte, aber das, was man brauchte. Und Axilla war sich durchaus bewusst, dass das hier ein solcher kleiner und kostbarer Moment war, wenngleich er wie die meisten solcher Momente mit Schmerz und Verlust einherging.
Sie wartete noch, bis der Pontifex aus ihrem Blickfeld verschwunden war, ehe sie dann doch die Wachstafel aufnahm. Das Träumen war vorüber, die Wirklichkeit war hier und präsent, und sie sollte einfach versuchen, das beste daraus zu machen. Was diesen Artikel mit einschloss, der wie ein Damoklesschwert noch über ihr hing, bis sie ihn geschrieben hätte. Sie seufzte wieder, diesmal aber weniger resignierend, und nahm den Stylus zur Hand. Ein bisschen was musste ihr doch einfallen, was sie schreiben konnte. Und so schrieb sie.