Beiträge von Tolimedes

    Er lag vorne.
    Keiner war besser gestartet.
    Auf der ersten Gerade war sein Vorsprung weiter gewachsen.
    Die erste Kurve hatte er gut genommen.
    Casetorix lag knapp hinter ihm. Casetorix war sein Stallgefährte.


    Er sollte ihm den Rücken freihalten, hatte ihr Trainer Dareios ihm befohlen. Aber Casetorix hatte sich noch nicht ganz damit abgefunden, nur die Nummer III der Veneta zu sein. Würde er sich wirklich an die Vorgabe des alten Champions halten? Casetorix hatte Angst vor Dareios, dass wusste Tolimedes. Aber dennoch... würde er ihn nicht doch überholen, wenn er die Gelegenheit dazu hatte?


    Tolimedes wischte die Gedanken beiseite. Er musste sich konzentrieren. Er musste eins mit den Pferden sein. Er musste die Bahn nicht nur sehen, sondern sie auch spüren und dabei ihre Eigenarten entdecken. Er war noch niemals zuvor im Circus Flaminius gefahren.
    Da war die Linie. Eine Runde war vorbei. Noch immer lag er vorne und Casetorix hinter ihm. Es war ideal. Es war wundervoll.


    Er hörte den Jubel der Zuschauer. Die Veneta-Anhänger feuerten ihn an und riefen seinen Namen.
    Mit der Euphorie des Führenden jagte er auf die nächste Kurve zu...

    Tolimedes sah sich noch einmal die Fußgelenke seiner Pferde an. Jedes einzelne betastete er kurz, denn ein lahmendes Pferd bedeutete unweigerlich das Aus.
    Er hatte sich für vier relativ kleine Tiere entschieden, weil er sich auf der engen und kurzen Bahn des Circus Flaminius einen Vorteil davon versprach. Dabei hoffte er, dass sie nicht von den kräftigeren Pferden einiger Konkurrenten beiseite gedrängt wurden. Es war ein Risiko.
    Das Führungspferd war nicht sein üblicher Favorit 'Fulmen', sondern ein drahtiger Rotfuchs, der auf den sehr passenden Namen 'Vulpecula', also 'Füchslein' hörte.


    Der Start rückte näher. Tolimedes machte sich bereit, ließ sich in geübter Routine von einem Stallknecht der Veneta die Binden an Knien und Schenkeln straffen und stieg dann steifbeinig auf den leichten, zweirädrigen Wagen. Die Zügel wurden um seine Taille gewickelt und das blaue Trikot straff gezogen. Die sica, dass sichelförmige Messer, steckte in seinem Gürtel, der ledernen Helm war auf seinem Kopf; es konnte los gehen.

    Tolimedes war nicht zufrieden.


    “Sehr ordentlich, Jungs. Habt euch gut verkauft und seid sauber durchgefahren.“, hatte Dareios Mehaf und ihm zwar zugerufen, als sie langsam ausgerollt waren.


    Aber Tolimedes ahnte, dass der alte Champion ihnen vor allem Mut zusprechen wollte. Denn es war ihrer beider erstes Finale hier in Rom und im circus Maximus gewesen. Den leichten Schatten der Enttäuschung konnte allerdings auch Dareios nicht ganz überspielen.
    Natürlich war es bereits ein Erfolg gewesen, dass sie beide überhaupt in den Endlauf gekommen waren. Sie hatten keinen Sturz verursacht, keinen Unfall gebaut und sich nicht blamiert. Aber Tolimedes hatte nach der ersten Runde auf dem zweiten Platz gelegen und danach auch noch lange auf dem vierten. Da war der siebente und vorletzte am Ende zu wenig, um seinen brennenden Ehrgeiz zu befriedigen. Gut, er war vor Mehaf ins Ziel gekommen, dem härtesten Konkurrenten im eigenen Rennstall. Dieser Alexandros von der Praesina jedoch – und der war auch noch sehr jung und unerfahren – hatte ein glanzvolles Rennen abgeliefert und war dritter geworden.
    Von Alexandros würden die Menschen in den nächsten Wochen reden und ihm eine große Zukunft prognostizieren. Nicht aber von ihm, von Tolimedes, und das ärgerte ihn.


    Seine Laune besserte sich kaum, als er Mehaf über den Weg lief und der ihn rüde anrempelte.

    Tolimedes verpasste die nächste Wende. Er musste abstoppen, die Pferde herum führen und dann erneut antreiben. Alles dauerte so quälend lange, das in der Zwischenzeit der Fahrer von der Aurata und auch der von der Praesina vorbei gingen.
    Tolimedes fluchte.
    Endlich nahm sein Gespann wieder Fahrt auf. Gerade noch rechtzeitig, so dass er wenigstens den Besseren der beiden Roten und seinen Mannschaftskameraden Mehaf hinter sich halten konnte.

    Tolimedes war bereit, dass Gatter hinter ihm schon geschlossen und er konzentriert auf das Tor vor ihm, das über einen Seilmechanismus hoch gehen würde, sobald der Start freigegeben war.
    Seine Pferde schnaubten unruhig. Sie waren ungeduldig. Es waren Tiere, die den schnellen Lauf und den Wettkampf liebten. Danach hatte man sie schon als Fohlen ausgewählt. Darauf waren sie gedrillt.
    Ein letztes mal überprüfte Tolimedes die freie Führung der Zügel.
    Es war heiß in der engen Startbox. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    'Fulmen', sein Führungspferd, scharrte mit den Hufen.

    “Die V ist also noch frei?“, fragte Tolimedes nach, der mit seinen Gegnern im Halbkreis um die Los-Urne herum stand.
    Als der Helfer dies bejahte, sagte er so laut er sich traute, damit man es auch auf den Zuschauerrängen hören konnte: “Dann nehme ich die V!“

    “Was hast du dir dabei gedacht? Willst du mir die Pferde kaputt machen? Wie ein Henker bist du gefahren! Kannst froh sein, dass du wenigstens dritter geworden bist! Sonst hättest du aber was erleben können, Bursche!“


    Tolimedes hatte Lob von Dareios erwartet, aber nicht, von ihm derart abgekanzelt zu werden. Zuvor hatte der alte Champion, der jetzt die jungen aurigae der Veneta anleitete, seinen Mannschaftskameraden Mehaf für seine besonnene Fahrt gelobt und ihm herzlich zu seinem Sieg im Vorlauf gratuliert. Dann hatte er Casetorix seine raue, große Hand auf die Schulter gelegt und ihn väterlich getröstet, weil er es nicht geschafft hatte.


    Aber Tolimedes war weiter gekommen. Obwohl er wusste, wie knapp es gewesen war und das er der Schicksalsgöttin Tyche, oder ihrer römische Entsprechung Fortuna dafür danken musste, hatte auch er einige wohlwollende Worte des Altmeisters erwartet. Doch stattdessen musste er sich diese Standpauke anhören.
    Ohnehin von Natur aus eher schweigsam, wagte er Dareios nicht zu widersprechen. Er wollte nicht noch mehr Ärger provozieren. Also sah er betreten zu Boden und sagte nichts.


    “Naja“, unterbrach Dareios endlich das Schweigen: “so schlecht war's ja nicht. Bist schließlich noch nie auf einer so großen Bahn gefahren. Aber das du mir im Finale die Tiere am Leben lässt, hörst du! Da geht’s für dich nicht ums Gewinnen. Erfahrung sollst du sammeln. Schau also, dass du gut und sauber durch kommst, und keine Gewaltaktionen, dass schreib dir hinter die Ohren.“



    “Ja. Ich hab' schon verstanden.“, antwortete Tolimedes leise.


    Dann musste er auch schon wieder gehen, denn die Startplätze für den Endlauf wurden ausgelost.

    An der vorletzten Wende ließ Tolimedes die Zügel locker. Seine quadriga wurde nach außen getragen, kam aber mit Schwung auf die Gerade.
    Der Grüne ist schon zu weit weg, schoss es ihm durch den Kopf.
    Aber was war mit dem Gelben und seinem Mannschaftskameraden Casetorix? Sie waren Brüder, hatte ihm Casetorix erzählt und Tolimedes hatte gespürt, dass Casetorix dem jüngeren Bruder dessen Erfolge neidete.


    An der letzten Wende lenkte Burolix, der Gelbe, viel zu spät ein. Casetorix blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls einen weiten Weg zu gehen, denn nach innen konnte er ja nicht.
    Tolimedes sah die Lücke, die sich da auf tat.
    Er legte sich in die Zügel und rief seinem Führungspferd 'Fulmen' etwas aufmunterndes zu. Der Wagen zog wieder nach innen.
    Es wurde eng. Burolix wollte ihm den Weg abschneiden. Aber mit seinem Geschwindigkeitsüberschuss war er schon fast neben ihm. Tolimedes' rechtes Pferd – ein bulliges und aggressives Tier – schnappte nach dem Leitpferd von Burolix. Das wich kurz zurück.
    Jetzt war der Weg frei. Wild feuerte er seine Pferde an und in rasender Fahrt ging es über die Ziellinie.


    Doch welchen Platz hatte er belegt? Tolimedes wusste es nicht. Mehaf hatte gesiegt, dass war klar. Der Grüne war wohl Zweiter geworden, glaubte er. Aber ob er selbst nun Dritter, Vierter oder Fünfter geworden war, dass wusste er nicht zu sagen.
    Erst als sein Stallknecht zu ihm lief und freudestrahlend rief, dass er es geschafft hätte, da wusste er, dass er im Finale stand.

    Der Mann von der Aurata wurde immer langsamer. Entsetzt sah Tolimedes, wie er nach innen zog und nun direkt vor ihm war.


    Rechts neben ihm lag sein Stallgefährte Casetorix und rechts von dem wiederum der Mann von der Praesina. Die hatten Platz zum Überholen. Aber er, Tolimdes, wohin sollte er?


    “Caso! Hey, Caso, mach mir Platz!“, rief er zu seinem factio-Kollegen hinüber.


    Aber die rasende Fahrt, das wilde Getrappel der Hufe und der Jubel der unzähligen Zuschauer verschluckten seine Worte. Oder wollte er ihn vielleicht auch gar nicht hören?
    Auf jeden Fall setzte er sich neben den Gelben und für Tolimedes gab es kein Durchkommen.


    Er lag auf dem vorletzten Platz und wenn es so bliebe, dann würde er ausscheiden.
    Das durfte nicht sein!
    Er musste da irgendwie vorbei! Viel Zeit hatte er nicht mehr. Er musste eine Lücke finden, schnell.
    Schon war die letzte Runde angebrochen...

    Tolimedes blieb auf der Innenbahn. Aber er sah, wie sich seine Pferde immer schwerer damit taten, die engsten Kurven zu gehen. Er hatte ihnen zu Beginn des Rennens viel zugemutet und er fürchtete, dass es zu viel gewesen war.
    Casetorix, sein factio-Kollege, lag direkt neben ihm. Bei den Wenden holte er auf, obwohl er den weiteren Weg gehen musste. Noch schneller war dieser Grüne, der die ganze Zeit außen blieb.
    Tolimedes sah sich in Bedrängnis.
    Ein Blick nach vorne. Dort ging Mehaf an dem Führenden mit dem goldgelben Trikot vorbei.


    “Fulmen flieeeeg! Hey! Hey!“, trieb er sein Führungspferd beherzt an.


    Jetzt galt es. Nur noch zwei Runden und er musste wenigstens Dritter werden...

    Der Gelbe war schnell. Aber Tolimedes gönnte ihm die Führung nicht, obwohl bei diesem Rennen doch auch der dritte Platz zum Weiterkommen reichte. Er wollte ein Zeichen setzen und schon bei seinem ersten Rennen hier im Circus zeigen, dass die Veneta mit ihm eine gute Wahl getroffen hatte. Er wollte siegen!


    Aber wie so oft, reicht das Wollen alleine nicht aus.
    Und Tolimdes wollte an der zweiten Wende der vierten Runde zu viel. Er war schnell. Zu schnell für die enge Kurve, die er, noch immer auf der Innenbahn liegend, fahren wollte.
    Er spürte genau, wie sein Wagen unter ihm zu schleudern begann, weg rutschte und die Pferde durch sein nach außen drängendes Gewicht aus dem Tritt brachte.
    Rasch lehnte er sich schwer nach hinten, um die Pferde wieder einzufangen und die Fahrt zu verlangsamen.
    Es war nur eine kurze Korrektur und nach der Wende beschleunigte seine quadriga wieder. Doch Mehaf war vorbei. Aus dem Augenwinkel hatte er das hämische Grinsen des Aegypters gesehen. Tolimedes machte sich nichts vor: er fuhr hier nicht nur gegen die aurigae der anderen factiones, er fuhr auch gegen die seines eigenen Rennstalls. Denn Casetorix und vor allem Mehaf wollten sich von ihm, dem Neuling, nicht verdrängen lassen.

    Tolimdes sah das Unheil schon bei der Einfahrt in die Wende kommen. Sein rechter Gegner war zu dicht und er selbst hatte die ideale Linie verpasst. Ihre Pferde gerieten aneinander. Er riss an den Zügeln, um das Schlimmste zu vermeiden. Der Widersacher verschwand aus seinem Blickfeld. War er gestürzt oder nur nach außen getragen worden? Tolimdes hatte keine Zeit sich umzusehen. Denn urplötzlich war da ein anderer neben ihm und schon eine halbe Pferdelänge in Front. Tolimdes erkannte das goldgelbe Trikot des Mannes von der Aurata und stieß einen ärgerlichen Fluch aus.

    Das Ende der spina und damit die erste Wendemarke flog geradezu heran. Tolimedes legte sein ganzes Körpergewicht in die Zügel, um die Pferde in die enge Kurve zu zwingen. Aber sanft, damit sie nicht erschraken. Denn der Tylusier war dicht neben ihm und wenn sein eigener Wagen ausbrach, dann würden sie sich bestimmt berühren.

    Krachend öffnete sich das Starttor vor ihm und gab den Weg frei.
    Die Pferde machten, die offene Bahn vor sich erblickend, einen Satz nach vorne und zogen den Wagen mit einem Ruck an.
    Tolimedes ließ die Zügeln knallen und trieb sie mit lautem “Hey! Hey! Hossa! Hey!“ an.
    Sie schossen der vorgezeichneten Fahrweg entlang, ganz links außen und mit dem kürzesten Weg zur Innenbahn.
    Tolimedes wagte einen kurzen Blick nach rechts, zu seinen Konkurrenten. Er durfte sich auf keinen Fall den Weg abschneiden lassen und den guten Startplatz leichtfertig verspielen.

    Tolimedes war inzwischen bei seinem Gespann angekommen. Er spürte die Nervosität der Pferde. Als ob sie die Bedeutung des Anlasses kannten, dachte er bei sich.
    Jedem einzelnen strich er über die Nüstern, prüfte selbst den richtigen Sitz des Geschirrs und widmete sich vor allem 'Fulmen', seinem Führungspferd, das ganz links angespannt war und bei den Römern equus funalis genannt wurde. Auf dieses Pferd kam es vor allem an, hatte ihm Dareios immer wieder eingeschärft.
    'Fulmen', was 'Blitz' bedeutete, war ein ganz wundervolles Tier, fand Tolimedes. Ein so schönes und zugleich schnelles Pferd hatte er noch niemals zuvor in ein Rennen geführt. Er war glücklich gewesen, als Dareios es ihm für dieses Rennen angeboten hatte. Es bewies ihm, dass der große Seriensieger von einst viel von ihm hielt, aber auch viel von ihm erwartete.


    Tolimedes ließ sich von einem der Stallknechte der Veneta noch einmal die Binden an Knien und Schenkeln straffen, die ihn bei einem Unfall notdürftig schützen sollten. Dann bestieg er steifbeinig den leichten, zweirädrigen Wagen. Der Knecht wickelte ihm die Zügel um die Taille. Linker Hand führten sie paarweise zu den beiden links laufenden Pferden und rechter Hand zu den beiden rechten. Sie durften sich keinesfalls verheddern. Das wäre fatal.
    Der Knecht zog ihm sein pannus straff, dass blaue Trikot, welches ihn als Fahrer der Veneta kennzeichnete. Dann überprüfte Tolimedes, dass die sica, dass sichelförmige Messer, auch fest in seinem Gürtel saß, und setzte sich den ledernen Helm auf.


    Der Knecht führte sein Gespann in die Startbox. Die Pferde trippelten ungeduldig, als sich hinter ihnen das Gatter schloss.
    Würde er den besten Startplatz für einen guten Start nutzen können?
    Es war sein erstes großes Rennen hier in Rom. Er musste es schaffen. Er musste sich für das Finale qualifizieren. Er durfte Dareios nicht enttäuschen. Er musste den Verantwortlichen der Veneta beweisen, dass es richtig gewesen war, ihn zu verpflichten.

    Tolimedes schrak auf, als er seinen Namen als ersten hörte. Er hatte also die freie Wahl? Die Verwandte seines Princeps hatte seine Kugel als allererste gezogen? Tyche war auf seiner Seite!
    Natürlich erinnerte er sich an Dareios' Worte. Die Wahl war einfach. Er schluckte und sagte dann viel zu leise: “Sechs.“
    Er bemerkte die fragenden Blicke und wiederholte, diesmal lauter: “Die Sechs nehme ich!“

    Tolimedes war einer der aurigae, die da im Halbkreis standen und zusahen, wie die Kugeln in der Urne verschwanden, die dann anschließend gedreht wurde.


    Dareios, der alte Champion und nun sein Trainer bei der factio Veneta, hatte ihm das traditionelle Prozedere erklärt:
    Nacheinander würden die Kugeln jetzt gezogen werden. Man würde den Namen des Gezogenen ausrufen und dieser musste dann sagen, aus welcher Startbox er starten wollte. Der Letzte würde den Startplatz nehmen müssen, der am Schluss übrig geblieben war.
    Dareios hatte ihm auch gesagt wie er, Tolimedes, zu wählen hatte, wenn er an die Reihe kam. Bei diesem Lauf, mit sechs Teilnehmern, würden nur die Boxen I bis VI wählbar sein. Nummer VI war die beste Wahl, weil sie aus Sicht der Fahrer ganz links lag und damit auf geradem und kürzestem Weg zur bevorzugten Innenbahn. Dareios hatte ihm letztlich gesagt, wenn er an die Reihe käme, solle er einfach die höchste noch freie Zahl nennen, also so weit links wie möglich starten. Das war eine einfache Strategie, aber Tolimedes vermutete, dass seine Konkurrenten auch kompliziertere ausgeheckt hatten.


    Unsicher sah er auf die Zuschauerränge mit den vielen Menschen. Ihm war unbehaglich zumute. Es war sein ersten Rennen im Circus Maximus, der größten und berühmtesten Rennbahn der Welt.

    “Darüber reden wir noch. Bald. Denn euch dreien steht eine erste Bewährungsprobe bevor.“


    Bei diesen Worten Dareios' wurde nicht nur Tolimedes aufmerksam. Auch die anderen beiden waren ganz Ohr.


    “Wir richtet Rennen aus. Also, die Veneta richtet Rennen aus. Große Rennen, im Circus Maximus.“


    “Wann?“, wollte Casetorix wissen, der Ungeduldigste und vielleicht auch Neugierigste von ihnen.


    “Im Iulius, zu den Ludi Apollinares.“


    Da wurde Tolimedes ganz warm ums Herz. Das war sein Traum gewesen, der Traum, der ihn hierher nach Rom geführt hatte: im Circus Maximus, dem größten und berühmtesten Hippodrom der Welt Rennen zu bestreiten. Er hatte nicht geahnt, dass sie schon so bald Wirklichkeit werden sollte.
    Sogleich tuschelten Casetorix und Mehaf aufgeregt miteinander.


    “He, werdet mir nicht gleich übermütig. Ihr trefft da auf starke Gegner. Marsyas, Lupus und Plinius, Dominator spectatorum, Diokles und ich selbst, wir sind vielleicht nicht mehr dabei, aber es gibt andere. Denen von der Albata, und dem alten Patroklos von der Aurata, denen könnt ihr nicht das Wasser reichen. Noch nicht. Ihr werdet auch nicht gesetzt sein. Ihr müsst euch zuerst für das Finale qualifizieren. Das wird schwer genug. Aber wenn ich erleben muss, dass der Endlauf ohne einen einzigen von euch stattfindet...“


    Er ließ offen, welche schweren Konsequenzen das zur Folge hätte.


    “Also geht es vor allem um die Qualifikation?“, schloss Tolimedes.


    “Ja. Zumindest einer von euch muss sich da durchsetzen. Besser zwei. Das ihr alle drei es schafft, na, dass wage ich nicht zu hoffen. Strengt euch in den nächsten Tagen gut an. Übt fleißig. Ihr müsst bei diesen Rennen euer Bestes geben.“


    Tolimedes wurde in diesem Augenblick klar, dass diese Rennen eine Vorentscheidung bringen konnten. Es ging um die künftige Hackordnung innerhalb der Veneta. Es ging darum, wer von ihnen in Zukunft am meisten Aufmerksamkeit von Dareios erfahren würde und wer die besten Pferde bekäme. Von diesen Rennen, dass machten die Worte des alten Champions deutlich, hing ihre Zukunft im Stall der Blauen ab. Und Tolimedes war entschlossen, nicht als Fahrer Nummer Drei zu enden.

    Tolimedes sagte daraufhin nichts mehr. Er war ein stiller, in sich gekehrter Mann, wie vielleicht schon deutlich geworden ist.


    Also sprach Dareios weiter: “Casetorix hier, der bevorzugt thrakische und kappadokische Pferde. Die sind kräftig und ausdauernd. Mehaf hat hispanische lieber, vor allem Lusitanier. Die sind elegant, leichtfüßig und schnell. Aber darauf kommt es nicht an. Alle drei merkt euch: es kommt nur auf das Führungspferd an! Hier in Rom nennt man es equus funalis. Es ist das Pferd, dass ganz links läuft. Das wisst ihr natürlich schon.“


    “Aber kein Gespann kann schneller sein, als sein langsamstes Pferd.“, wagte Tolimedes jetzt doch zu bemerken.


    “Das stimmt, und ein lahmes Pferd vermasselt euch alles, genauso wie ein krankes. Aber trotzdem gilt: mit dem equus funalis steht und fällt euer Rennen. Es entscheidet über Sieg oder Niederlage. Alles andere muss auch passen, aber dann kommt es auf dieses Pferd an. Das sind die wertvollsten Tiere. Dich wichtigsten. Wenn wir für ein Rennen ein Gespann zusammenstellen, dann wird zuerst das Führungspferd ausgewählt. Die anderen drei müssen dazu passen. Es ist wie bei den Menschen. Es gibt Pferde, die können nicht miteinander. Wichtig ist auch das Wetter. Wichtig ist, wie tief der Boden ist, wie schwer das Geläuf, auf welcher Bahn gefahren wird und wer die Gegner sind. Aber die Basis ist immer das Führungspferd. Das wählen wir zuerst aus. Mit den anderen Pferden finden wir dann eine Feinabstimmung. Habt ihr das verstanden?“


    Mehaf und Casetorix nickten und auch Tolimedes beeilte sich ein “Ja.“ hervor zu pressen.

    Dareios tat so, als hätte er Mehafs Bemerkung überhört.


    “Was für Pferde hast du bisher gehabt?“, wollte er von Tolimedes wissen.


    “Ganz verschieden.“, antwortete er, aber er merkte, dass diese Antwort dem alten Champion keineswegs genügte.
    “Die man mir gegeben hat.“, fügte er deshalb hinzu und machte damit dann auch deutlich, dass er bisher nicht sehr viel Auswahl gehabt hatte.
    “Zuerst waren es die Pferde einiger vermögender Männer aus Prosymna und Umgebung. Später haben mir auch andere, von weiter weg, ihre Pferde gegeben, damit ich für sie fahre. Auf Empfehlung.“


    “Griechische Pferde? Ich meine, in Griechenland gezogene?“


    “Nicht alle, aber die meisten, ja.“


    Dareios verzog das Gesicht.
    “Die taugen nicht viel. Griechenland ist nicht gut, um Pferde aufzuziehen. Die Sommer sind zu heiß, die Wiesen zu trocken und oft zu steinig.“


    Tolimedes erinnerte sich indes an einige Tiere, die ihm sehr ans Herz gewachsen waren und deren Schnelligkeit, Kraft und Anmut er bewundert hatte. Widerspruch regte sich in ihm.
    “Einige waren sehr gut und ich habe Rennen mit ihnen gewonnen.“


    “Mein lieber Junge“, sagte Dareios daraufhin mit mildem Lächeln: “die Rennen, die du gefahren bist und die, die du gewonnen hast, die waren nur drittklassig. Das ist vorbei. 'Bist jetzt hier bei den Blauen. 'Wirst jetzt gegen die besten Aurigae der Welt fahren und dafür kriegst du auch die besten Pferde, die man für Geld kaufen kann. Keine griechischen Gäule.“


    Da verstummte Tolimedes beschämt, während Casetorix und Mehaf frech grinsten.