Beiträge von Manius Flavius Sabinus

    Das Faktum, das ich den Jahrzehnten zuvor ausgebrochen war aus dem Leben, welches mir als Patrizier bevorgestanden hatte und dass ich es gewagt hatte, gegen die Norm zu schwimmen irritierte den jungen Piso ein wenig. Doch ich stand dazu, wofür ich mich damals entschieden hatte und was ich getan hatte. Keinen einzigen Tag meines Lebens wollte ich missen, auch wenn nicht jeder dieser Tage rosig gewesen war. Und nun stand ich an einem weiteren Beginn eines Kapitels in meinem Leben. Vermutlich war es sogar das letzte Kapitel. In einem guten Buch jedoch waren meistens die letzten Kapitel die spannendsten. Gerade aus diesen Grund haderte ich nun nicht meinem Schicksal, dass es nun zwangsläufig dem Ende zugehen musste. Jeder wurde schließlich einmal alt. Mein Freund Severus hatte dafür gesorgt, dass mir noch einige schöne Tage blieben und vielleicht war es nun einfach an der Zeit, dass ich mich in besagtem letzten Kapitel wieder meiner Familie zuwendete und mich mit ihr versöhnte.
    "Mhm, klingt gut!", kommentierte ich Pisos bisherigen Werdegang. Er hatte mir etwas voraus, was ich aller Voraussicht nach nie wieder würde einholen können. "Jeder hat einmal klein angefangen." Andere, so wie ich, hatten noch nicht einmal das. Es stand außer Frage, dass ich mit meinem Alter und mit den Gebrechen, die mich verfolgten, noch in die Politik ging. Das wäre auch gar nicht mit meinen Überzeugungen konform gegangen. Nicht umsonst war ich damals vor den Zwängen dieser Gesellschaft geflohen und auch was den Dienst an den Göttern anging, so konnte ich behaupten, ich hatte schon viele Gottheiten kennengelernt. Die eine war interessanter als die andere. Besonders kurios dabei fand ich dabei die monotheistische Religion der Juden. Ein Gott für alles, das konnte doch nur schief gehen! Und tatsächlich, einer meiner Verwandten hatte schließlich den Tempel dieses Gottes zerstört.
    Doch soviel ich auch umher reiste, keine Gottheit hatte mich jemals wirklich überzeugt, so dass ich mich hätte dazu bereit erklären können, ihr bedingungslos dienen zu können.
    "Ach weißt du, mein Junge. Meine Tage sind gezählt. Die vergangen Tage haben mir einmal wieder gezeigt, wo meine Grenzen sind. Ich hatte gehofft, einige Zeit bei euch bleiben zu können, bis ich wieder ganz auf der Höhe bin."
    Ich gab mich immer noch der Illusion hin, eines Tages wieder in den Bergen herumzuklettern, wie vor zwanzig Jahren, was natürlich völlig absurd gewesen war.

    Mit einer gewissen Erleichterung stellte ich fest, dass nun mein frischgebackener Neffe eine Sklavin herbei rief, der er den Auftrag gab, ein Zimmer für mich herrichten zu lassen. Es ließ sich einfach nicht verschweigen, die Strapazen der letzten Tage hatten an mir gezehrt. Doch nun war ich in die sichere Obhut meiner Familie zurückgekehrt und mich beschlich ein Gefühl, wie ich es zuletzt in Kindertagen erfahren durfte, das Gefühl der Geborgenheit. Nach all der langen Zeit in der Fremde war ich nach mehr als vierzig Jahren endlich wieder nach Hause gekehrt, in die Arme meiner Familie. Inwieweit diese Rückkehr vom Rest der Familie begrüßt werden würde, sollte sich noch zeigen. Piso, mein Neffe hatte sich als freundlich gesinnt entpuppt, obwohl er Aetius´ Sohn war. Den Göttern sei Dank, nicht alle seine schlechten Eigenschaften hatte er an seinen Nachkommen weitergegeben.
    Und das sich nun auch mein Freund bereit erklärt hatte, noch einige Tage zu bleiben, machte es mir leichter, mich von meinem alten Leben zu verabschieden.
    "Ja, ich habe in den letzten Jahren von der Schafzucht gelebt, und natürlich muss man sie dann auch hüten.", sagte ich mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte es nichts anderes im Leben eines Patriziers geben können. "Und wie steht es mit dir, mein Junge? In welche Fußstapfen gedenkst du zu treten?" Hoffentlich nicht in die seines Vaters. Zu wünschen wäre es gewesen, wenn er seinen eigenen Weg ging und sich weniger von der Dekadenz der Oberen dieser Stadt anstecken ließ.

    Im Laufe meines Lebens hatte ich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun gehabt. Das war ausreichend, um behaupten zu können, ein wenig Menschenkenntnis zu besitzen. Den jungen Piso mochte etwas beschäftigen, das sah man ihm an. Und selbst, wenn er sich noch so viel Mühe gab, konnte er dies keinesfalls vor mir verbergen. Wären mir die näheren Umstände bekannt gewesen, so wäre dies keine Frage gewesen. So konnte ich nur mutmaßen.
    Doch der Junge fing sich bald wieder und ich glaubte, eine gewisse Herzlichkeit in seinen Worten wiederzufinden. Seine Freude, von der er sprach schien echt zu sein. Anderenfalls hätte er ein brillanter Schauspieler sein müssen. "Danke, mein Junge! Ja, um ein Haar hätte es mich erwischt!", begann ich nun und lenkte gleich meine Aufmerksamkeit auf meinen guten alten Freund, dem es sichtlich unangenehm war. Severus, der nun wirklich ein gestandener Mann war und den im Leben nichts so leicht erschüttern konnte, lächelte verlegen und winkte nur ab. Selbstverständlich hätte ich das Gleiche für ihn getan, das stand ganz außer Frage. Doch nun da er persönlich angesprochen worden war, musste er sich doch in irgendeiner Weise äußern. Jedoch schien er damit völlig überfordert zu sein oder war er sich dessen gar nicht bewusst gewesen?
    "Severus, der Junge hat dich gefragt, ob du für ein paar Tage hier bleiben möchtest, bevor du wieder zurück fährst," übersetzte ich. Langsam rührte sich etwas in Severus, der erst eine ablehnende Geste machte aber sich dann doch eines Besseren besann. "Mhhm, ein oder zwei Tage vielleicht, wenn´s recht ist. Aber dann muss ich wieder nach Hause!", fügte er noch schnell an, um sicher zu stellen, dass er nicht für den Rest seine Lebens hier bleiben musste.
    Mit einem erleichternden Blick schaute ich in an, da ich dem guten Freund erst in einigen Tagen Lebewohl sagen musste. Doch dann wandte ich mich wieder Piso zu, der nur darauf wartete, meine Geschichte zu hören.
    "Nein, mein Junge, ich bin vor einigen Jahren in den Apenninen sesshaft geworden. Einige meiner Schafe waren in der Nacht ausgebüxt, als er sehr stürmisch war. Ich bin dann am nächsten Morgen gleich losgegangen, um sie wieder zu finden, bevor es die Wölfe taten. Nach einigen Stunden hatte ich sie tatsächlich auch wieder gefunden. Sie grasten auf einem Felsvorsprung. Wahrscheinlich war das aufgeweichte Erdreich, vom Regen in der Nacht davor der Grund, weshalb ich abgestürzt bin. Mein Glück war es, dass mein Freund vorbei kam und mich dann rettete." Meine ganze Anerkennung lag nun auf meinem Freund ohne auch nur einen Moment lang darüber nachzudenken, dass ich mich soeben vor meinem patrizischen Verwandten als gewöhnlicher Schafhirt zu erkennen gegeben hatte. Damit hatte wohl ich die wenigsten Probleme. Blieb nur die Frage, wie Piso darüber dachte.

    Dass es dem Jungen ähnlich ergehen mochte, stand ganz außer Zweifel. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen, wie gerade Gnaeus, sein Vater, ihn vor mir gewarnt hatte während seiner Kindheit. Nicht so zu werden, wie sein vermaledeiter und tunichtguter Onkel Manius. Gnaeus´ Sohn war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das gleiche Aussehen, wie sein Vater vor ewigen Zeiten, die gleichen Gesten, war nur zu hoffen, dass es wenigstens in charakterlichen Dingen Unterschiede gab.
    Gnaeus und ich hatten uns nie gut verstanden. Seit dem ich denken konnte, hatten wir uns nur gestritten oder sogar geprügelt. Er war habsüchtig und stets nur auf seinen Vorteil bedacht. Die, die unter ihm standen, behandelte er wie den letzten Dreck, war es nun eines der Sklavenjungen, von denen es damals schon dutzende gab, oder die Jungen aus den niederen Schichten, die uns manchmal bei unseren Ausflügen in die Stadt begegnet waren.
    Besonders aus diesen Gründen heraus, war meine heraufsteigende Nervosität wohl am einfachsten zu erklären. Der junge Mann zögerte erst, ließ sich wahrlich Zeit, mir zu antworten, was ich aber im Nachhinein gut verstehen konnte. Was ich dann zu hören bekam, versetzte mich kaum in Erstaunen. Ein solcher Lebenslauf passte zu Gnaeus! Unser Vater wäre sicher stolz auf ihn gewesen. Ich jedoch sah mich in meiner damaligen Entscheidung wieder bestätigt, der Familie den Rücken gekehrt zu haben.
    "Aha, jaja, das hört sich nach meinem Bruder an!", meinte ich, ohne damit meine wahren Hintergedanken preiszugeben. Wäre Piso jedoch noch mit den verschwiegenen Feinheiten über seinen Vater ans Tageslicht gerückt, so hätte ich mich wahrscheinlich köstlich darüber amüsiert, was im schlimmsten Fall dazu geführt hätte, dass mein Herz versagt hätte, was angesichts der Umstände auch noch eine Option gewesen wäre.
    "Nein, mein junger Freund, ich bin nicht tot. Ich lebe und es geht mir gut! Nur mein Bein macht mir derzeit zu schaffen. Ich hatte einen Unfall! Mein Freund Severus hier, der mich hergebracht hat, war es auch, der mich gerettet hat. Jetzt, da ich so freundlich aufgenommen wurde, wäre es mir eine Freude vorerst einmal hier in Rom zu bleiben." Wenigstens so lange, bis mein Bein wieder gesund war. Mein Freund indes, hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Er war aus dem Staunen kaum mehr herausgekommen. Jetzt, da ich ihn erwähnte, war es ihm anzumerken, wie sehr ihn die Aufmerksamkeit auf seine Person missfiel.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Sabinus
    Ab der kommenden Woche werde ich aus beruflich bedingten Gründen meine Aktivität bis Ende des Monats erheblich reduzieren müssen. Daher können Antwortposts meinerseits durchaus etwas längere Zeit in Anspruch nehmen!


    Ich melde mich halbwegs wieder zurück und poste in den nächsten Tagen, wie es meine Zeit erlaubt! :)

    Ab der kommenden Woche werde ich aus beruflich bedingten Gründen meine Aktivität bis Ende des Monats erheblich reduzieren müssen. Daher können Antwortposts meinerseits durchaus etwas längere Zeit in Anspruch nehmen!

    Minuten der Ungewissheit vergingen. Würde mich der unfreundliche Sklave nun auf Veranlassung seines Herrn, als Scharlatan titulierend, mit Schimpf und Schade hinauswerfen? Corvinus´ Sohn machte den Eindruck, als wäre er soeben auf einen Geist gestoßen. Äußert unstandesgemäß stand er da und riss den Mund auf. Allzu lange konnte ich aber auch nicht in dieser unbequemen Position verharren, sonst verlor ich noch das Gleichgewicht! Doch damit war noch lange nicht das Optimum erreicht! Ungefähr im gleichen Augenblick vernahm ich einen schräg klingenden Singsang, der mich beinahe tatsächlich zu Fall gebracht hätte. Irritiert starrte ich zu der Quelle, die sich ungeniert und mit lauten Fußstapfen zu nähern drohte. Potzblitz! Genau, das war der richtige Ausdruck hierfür. Ich hatte nie an die Erscheinung von Geistergestalten geglaubt. Doch nun war mir, als würde ich eines besseren Belehrt werden! Wenn alle meine Brüder bereits tot waren, dann war dies eine Geistererscheinung! Der Mann, (oder sollte man ihn besser als Wesen bezeichnen) war kein anderer als Gnaeus, mein Bruder. Nur dieser alberne Gesang und der leicht homoerotisch anmutende Gang, wollten so gar nicht zu ihm passen. Gnaeus war immer die Steifheit in Person gewesen. Wenn andere vor Lachen bereits dem Exitus nahe waren, brachte er es höchstens zu einem müden Lächeln. Nun stand auch ich da mit offenem Mund und sah reichlich dümmlich aus. Das vermeintliche Geisterwesen stellte sich als Gnaeus Sohn heraus. So war auch dieses Mysterium gelüftet. Auch mein anderer frischgebackener Neffe rettete letztendlich für sich die Situation. Zu meiner Erleichterung verifizierte er mich als seinen Onkel Manius. Mich verwunderte es keineswegs, dass man ihm als Kind von mir berichtet hatte. Wahrscheinlich war das nichts Gutes gewesen! Schließlich war ich das beste Negativbeispiel, was aus einem viel versprechenden Mann aus gutem Hause nicht werden sollte.
    Blitzschnell quoll aus dem wortkarg anmutenden Marcus, ein übermächtiger Strom aus Worten und Gesten. Ich wusste gar nicht mehr, was ich darauf sagen sollte. So erwiderte ich gar nichts, ganz im Gegenteil. Ich machte eher den Eindruck eines senilen alten Mannes, der geistesabwesend mit offenem Mund dastand und zum Glück noch nicht sabberte!
    Mein Neffe entschwand, um wie er sagte, für mich einen medicus zu holen. Eine cena sollte es auch geben, was ich im Anbetracht meines leeren Magens sehr begrüßte. Der rustikalen Tätigkeit hatte ich mich hingegeben! Ja so konnte man es wohl am besten umschreiben, wenn man mich nicht als Tunichtgut, Faulenzer oder Herumtreiber bezeichnen wollte. Mein Freund Severus hatte all das mit angesehen und bedachte alle Protagonisten mit einem kritischen Blick.
    Unmerklich schloss sich mein Mund wieder. Ich stand nun Gnaeus´ Sohn allein gegenüber und musterte diesen ungläubig.
    "Ja, dann bin ich wohl auch dein Onkel! Onkel Manius!", stellte ich verdutzt fest. Um das Gespräch am Laufen zu halten, sann ich krampfhaft darüber nach, was ich sagen oder fragen konnte. Der Junge hatte mir auf seine ganz eigene Weise die Sprache verschlagen. "Dein Vater, was ist aus ihm geworden, mein Junge?"

    Meinem Freund gefiel es ganz und gar nicht, in welcher herablassenden Weise er von dem Sklaven behandelt wurde. Dies war auch einer der Gründe, weshalb er immer sehr schlecht über Rom und seine Bewohner sprach. Oftmals bezeichnete er sie als hochnäsige, blasierte Affen, die auf alles und jeden herablassenend blickten, was sich im Verhalten dieses Sklaven eindeutig widerspiegelte.
    Mit meinen Krücken humpelte ich auf ihn zu, um ihn zu beschwichtigen. Sonst würden wir beide noch im hohen Bogen auf der Straße landen und die Nacht unter einer Tiberbrücke verbringen müssen, was sicher nicht das schlechteste war.
    "Beruhige dich, Severus! Es geht schon, ich kann noch stehen."Ich biss die Zähne zusammen. Lage konnte es nicht mehr dauern, bis sich endlich jemand her bemühte, der mit etwas Glück uns gegenüber freundlicher gesonnen war. Ich fragte mich nur, wer das sein sollte, wenn alle meine Brüder bereits dem Fährmann begegnet waren und der kleine Felix gar nicht in Rom weilte.
    Während ich so grübelte, erschien ein stattlicher junger Mann, er erst etwas Abstand hielt, der aber nun zu uns trat und sich vorstellte. Das sollte Lucius´ Sohn sein? Was hatte ich denn erwartet? Es waren nun schon mehr als vierzig Jahre vergangen, seit dem Tag, an dem ich Rom verlassen hatte. Doch die Skepsis, die sich bei mir breit machte, war wohl unübersehbar. Aber je länger ich mir ihn betrachtete, erkannte ich die eine oder andere Ähnlichkeit mit meinem Bruder.
    "Lucius´ Sohn? Der alte Haudegen hat sich also noch einmal verheiratet?! Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut! Aber wo bleiben nur meine Manieren? Ich bin Manius Flavius Sabinus. Dein Vater ist, war mein Bruder. Also bin ich folglich dein Onkel, mein Junge!" Freundschaftlich streckte ich ihm meine Hand entgegen, was durch meine Verletznug bedingt ein echter Drahtseilakt war, da ich mich mit dem anderen Arm fest auf die Krücke stützen musste, um nicht umzufallen.

    Der Sklave hätte Argus alle Ehre bereitet, als er uns in die herrschaftlichen Hallen geleitete. Mein Freund kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Von einer solchen Pracht hatte er allenfalls nur einmal gehört, gesehen hatte er dergleichen selbstredend noch nie. Mir war dieses Interieur ganz und gar nicht fremd. Damit war ich aufgewachsen und als es mir zu viel geworden war, hatte ich davor Reis aus genommen. Vom Glanz der flavischen Kaiserdynastie und was es hieß, als Mitglied der kaiserlichen Familie zu leben, hatte ich daher nur wenig erfasst. Darüber war ich aber keinesfalls unglücklich gewesen, hatte ich doch gerade in dieser Zeit meine schönsten und erfülltesten Jahre erleben dürfen. Die Büsten meiner Vorfahren interessierten mir nicht sehr. Ich überflog sie allenfalls und nahm sie zur Kenntnis. Was allerdings nicht hieß, dass mir diese Herren gänzlich unbekannt waren. Sie stellten nur finster dreinblickende Männer dar, die vom Machthunger besessen gewesen waren, in ihrem Leben vielleicht viel erreicht hatten und jetzt einfach nur noch tot waren. Jetzt fristeten sie nur noch als Staubfänger ihr Dasein.


    Severus, mein Freund hingegen ließ sich einnehmen von all dem Glanz und Ruhm. Vor einer der Büsten blieb er ehrerbietig stehen, runzelte die Stirn, als wolle er angestrengt nachdenken und rief unerwartet erheitert aus : "He, den kenn ich! Das ist doch der äh, wie hieß er noch mal?"
    "Vespasian", kam ich ihm zur Hilfe. "Das ist Titus Flavius Vespasianus! Der erste, der flavischen Kaiser." Zwar war mir seine Bekanntschaft nie vergönnt gewesen, trotzdem erkannte ich ihn an seinem massigen Gesicht wieder.
    "Ja genau, der Vespasian!", erinnerte sich nun Severus wieder. "Meine Güte, das waren noch Zeiten, damals in Iudäa!" Bevor mein Freund nun seine Legionärsanekdoten zum Besten gab, warf ich ihm schnell einen leidenden Blick zu. Die Schmerzen in meinem Bein waren kaum mehr auszuhalten. Noch weniger waren sie mit Severus´ Geschichten auszuhalten. Der Freund hatte Erbarmen und versuchte mir noch besseren Halt zu geben. Auf kurz oder lang war es aber unanlässig, wenn ich die Möglickeit erhielt, mich zu setzen oder noch besser eine liegende Position einzunemhen. Selbst Severus, der einfache Bauer aus den Abruzzen, blieb dies nicht verborgen.
    "Habt ihr den hier keine Stühle?", wandte er sich zu guter Letzt recht mürrisch und vorwurfsvoll an den Sklaven und machte ihm dadurch richtig Konkurrenz.

    Mein gebrochenes Bein meldete sich wieder zurück und ermahnte mich wieder, eine etwas bequemere und entlastende Haltung einzunehmen. Doch die Sturheit des Sklaven wusste dies bislang erfolgreich zu verhindern. Was musste ich denn noch vorbringen, um endlich eingelassen zu werden! Da kam mir die Nachricht vom Tod meiner Brüder eher belanglos vor. Allerdings nur im ersten Augenblick, bis ich richtig begriff.
    "Tot, sagst du? Sie sind alle tot!" Nur du wieder nicht, hätte mein Vater treffend dazu gefügt, hätte ihm diese Möglichkeit noch offen gestanden.
    Das war ein herber Rückschlag, den man mir auch durchaus ansah. Ich war schon so weit, wieder den Rückzug anzutreten. Nicht etwa, weil ich darauf erpicht gewesen war, meine Brüder wieder zu sehen und mich von ihnen mit Vorwürfen und Beschuldigungen übergießen zu lassen. Wahrscheinlich hätten sie mich sogar im hohen Bogen wieder hinausgeworfen und mich als Nestbeschmutzer beschimpft. Also lag gerade in ihrem Tot meine Chance, doch noch einem ruhigen Lebensabend entgegenzusehen.
    "Was? Aus dem Jungen ist ein Senator geworden? Alle Achtung! Aber das war ja voraus zu sehen, bei dem Vater!" Aber was machte er nur auf Sardinien? Entweder hatte er sich ziemlichen Ärger eingehandelt oder er tat das einzig Richtige, dem stinkenden Moloch den Rücken zukehren! Wie gut, dass sein alter Herr bereits das zeitliche gesegnet hatte.


    Der Sklave, der einem bösen Hund durchaus das Wasser reichen konnte, kam endlich zur Vernunft. Mit einigem Gezeter und der Androhung von Prügel, ließ er mich und meinen Freund schließlich eintreten. Selbst vor einem Knüppel machte er nicht halt, den er demonstrativ in seiner Hand hielt und damit drohte. Spätestens jetzt wusste ich, dass ich einen wahren Komiker vor mir hatte.
    "Mein junger Freund! Was erwartest du denn von zwei alten Säcken, wie uns? Dass ich meine Krücken wegwerfe und wie ein junger Gott davon springe?" Zur Bekräftigung dessen schüttelte ich nur noch den Kopf. Gerne hätte ich ihm genauso demonstrativ meine Krücken entgegengestreckt, doch dann wäre ich meiner Standhaftigkeit verlustig gegangen. Das ließ ich also besser sein und folgte mit Hilfe meines Freundes diesem Abbild von Feinfühligkeit.

    Die Worte des Sklaven erschütterten mich in meinen Grundfesten. Niemand hatte es bisher gewagt, mich als Dieb, Lügner oder Bettler zu betiteln, nachdem ich meine wahre Identität und den Ring meines Vaters zum Vorschein gebracht hatte. Ein Gefühl, welches ich sehr lange nicht empfunden hatte, stieg in mir hoch, unaufhaltsam und ohne Erbarmen. Selbst Severus schnaubte vor Wut, dem es alleine zu verdanken war, dass dieser unverschämte Kerl uns nicht die Türe vor der Nase zugeschlagen hatte.
    Mein Blick, den ich dem Sklaven zuwarf, verfinsterte sich. "Ich sage dir das! Und mein Vater könnte es dir sagen, Marcus Flavius Romulus! Wenn er noch leben würde!" Der Name meines Vaters, wie seltsam! Er hallte durch meinen Kopf. Seit Jahren hatte ich seinen Namen nicht mehr ausgesprochen. Er war wie das Relikt aus einer andren Zeit.
    "Also, was ist jetzt? Muss ich erst alle meine Brüder zusammentrommeln, um mir Eintritt zu verschaffen?" Einer oder vielleicht auch alle wohnten doch noch hier? Auch wenn der Name der Villa auf keinen meiner Brüder zutraf. Flavius Felix… ich dachte nach. Wer war denn Flavius Felix, verflixt nochmal?
    "Sag mal, Sklave, ist das etwa die Villa des kleinen Felix? Das Söhnchen von meinem Bruder Lucius Corvinus, dem alten Halunken?" Mittlerweile war aus dem Söhnchen wahrscheinlich ein stattlicher Mann geworden. Als ich aber Rom damals verließ, war er erst wenige Wochen alt gewesen.

    Es gab gewisse Konstanten im Leben, die immer so blieben, wie sie waren. Eine dieser Konstanten waren die flavische Türsklaven, gleich welche Namen sie auch tragen mochten, die unerbittlich jeden abwiesen, dessen Nase ihnen nicht gefiel.
    Severus hatte mich auf seinen Wagen gebettet, damit ich es so bequem hatte, wie es nur ging. Von dort aus lauschte ich dem Streitgespräch zwischen meinem Freund und dem Türsklaven. Ich hatte Severus noch gewarnt. Der aber hatte abgewinkt und gemeint, er wäre bisher noch mit jedem fertig geworden, der im dumm kam. Allerdings kannte er die er die flavischen Türsteher nicht.
    Mir blieb nichts anders übrig, als nach meinen Krücken zu greifen, die Zähne zusammen zu beißen und unter schrecklichen Schmerzen vom Wagen herunter zu steigen. Keuchend kam ich meinem Freund zu Hilfe. Durch ein lautes Räuspern versuchte ich mir Gehör zu verschaffen. Seit wir Rom betreten hatten, trug ich wieder den Siegelring meines Vaters an der rechten Hand. Diese hielt ich nun dem Sklaven entgegen. "Siehst du das hier? Ich bin Manius Flavius Sabinus und dies hier ist mein guter Freund, der mich hergebracht hat. Ich verlange, eingelassen zu werden in das Heim meiner Familie."
    Ich sah zwar nicht aus wie ein Flavier, geschweige denn roch ich wie einer, den Siegelring jedoch hatte ich in all den Jahren wie einen Schatz gehütet. Er sah noch fast wie neu aus.

    …was Serverus aber zu verhindern wusste. Bevor ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde, stellte er seinen Fuß in dieselbe. Serverus war zwar ein einfacher Mann, der weder schreiben noch lesen konnte, den allerdings das Leben mit allseinen Höhen und Tiefen geprägt hatte. Vor allen Dingen war er aber kein Taugenichts! Dementsprechend erzürnt schaute er den Türsteher an. "Wen nennst du hier einen Taugenichts, Bürschchen, he?"Er hatte ja schon viel gehört, von Rom und von den feinen Pinkeln die dort wohnten (und ganz offensichtlich war er an der Adresse eines solchen feinen Pinkels gelandet),aber das nun selbst die Sklaven so überheblich sein konnten, hätte er sich nicht träumen lassen. Aber er war Manns genug, um das zu regeln.
    "Ich habe da meinen Freund auf dem Wagen. Er ist verletzt. Sein Bein ist gebrochen und er sagt, seine Verwandten wohnen hier!" Das sollte hoffentlich genügen.

    Meine Schafe waren alle verkauft und das, was ich besessen hatte, reduzierte sich auf einen zerschlissenen Sack, in dem ich meine wenigen Habseligkeiten untergebracht hatte. Wie vor vielen Jahren, als ich nach Italia zurückgekehrt hatte, waren es wieder vier Dinge, die ich mitführte: eine Pfeife und das dazugehörige Säckchen mit Schlafmohnkügelchen, einige Samenkapseln, das Geld aus dem Erlös meiner Schafe und dem guten Rat meines Freundes, aus meinem Leben etwas zu machen.
    Severus hatte seine Pferde an seinen Wagen gespannt und war mit mir den langen Weg nach Rom gefahren. Anden Toren der Stadt wies man uns erst ab, da es verboten war, am Tage mit dem Wagen in die Stadt zu fahren. Darum warteten wir, bis die Nacht herein brach. In der Zwischenzeit konnte ich in Erfahrung bringen, wo meine Familie zu finden war.
    Polternd ratterte der Wagen über das Pflaster der Straßen und blieb irgendwann vor einem großen Gebäude stehen. Der kauzige Severus, den sonst nie etwas erschüttern konnte, drehte sich ungläubig zu mir um. "Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?" Es war zwar dunkel aber im Schein einer kleinen Öllampe sah ich noch einmal auf meine Notizen und nickte. "Ja, ich glaube schon!"
    Murmelnd stieg Severus vom Wagen und lief zur Eingangstür der riesigen Villa, um dort anzuklopfen.

    Severus´ Sohn versorgte die Schafe, die zurück geblieben waren und sperrte die Ausreißer wieder ein. Sein Vater kümmerte sich derweil um mich in meiner bescheidenen Hütte. Er wusch mich, schiente mein gebrochenes Bein und bereitete mir etwas zu essen. Dann setzte er sich zu mir und sah mir zu, wie ich eifrig meinen Puls hinunterschlang. Ich wusste genau, was in seinem Kopf vorging, denn auch mir hatten sich bereits diese Gedanken aufgedrängt. Ich war nicht mehr der Jüngste und auf Dauer war das kein Leben hier draußen für einen alten Mann wie mich, der in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
    "Manius, hast du schon mal daran gedacht, das alles hier hinter dir zu lassen?" Severus war mein Freund. Ich kannte ihn schon seit vielen Jahren. Auch wenn seine Direktheit manchmal verletzend sein konnte, so waren seine Einwände doch immer berechtigt. Ich schluckte den letzten Rest Puls hinunter und starrte ihn völlig entgeistert an.
    "Was meinst du? Bist du irre? Das hier ist mein Leben, hierin stecken alle meine Erinnerungen! Das ist alles, was ich habe! Und das soll ich aufgeben? Wegen so was?" Ich deutete auf mein geschientes Bein, das mir auch jetzt noch einige Schmerzen bereitete. Im Grunde hatte er ja recht und das wusste ich auch. Nur wollte ich es mir noch nicht eingestehen.
    "Das verstehe ich ja, Manius. Aber wer glaubst du, wird dich hier täglich versorgen, he? Und damit meine ich nicht nur deine Schafe. So ein Beinbruch kann langwierig sein, wenn er nicht richtig versorgt wird. Du brauchst jemanden, der nach dir sieht und der sich um dich kümmert, Manius!"
    Bei jedem seiner Worte ließ ich meinen Kopf tiefer sinken, denn ich wusste, es gab niemanden. Die Zeit in Creta hatte ich längst hinter mir gelassen. Agapi, meine Frau und unsere kleine Tochter, waren an einem schlimmen Fieber gestorben und daraufhin hatte ich die Insel fluchtartig verlassen. Die Götter waren mir nicht mehr gewogen und selbst denen, die sich mit mir abgaben, drohte Gefahr. Denn auf kurz oder lang waren sie verdammt und gingen jämmerlich zu Grunde. Das war mit Taaraa so und mit Agapi und Eleni war es nicht anders. Als ich damals zur größten Enttäuschung meines Vaters wurde, hatte ich den Zorn der Götter heraufbeschworen. Damals war ich noch einige Jahre heimatlos umhergezogen, hatte mich auf verschiedenen Schiffen verdingt und lebte zwischenzeitlich auch in einigen Häfen. Jeden Abend vertrank ich das wenige Geld, das ich am Tage verdient hatte, um dem Schmerz damit zu lindern.
    Eines Tages hatte ein Gewürzhändler, der auf dem gleichen Schiff mitfuhr, auf dem ich grade arbeitete, Mitleid mit mir. Er gab mir vier Dinge mit: eine Pfeife, die mit Kügelchen aus Schlafmohn bestückt war, einige Samenkapseln der Drogenpflanze, ein Beutel mit Sesterzen und den guten Rat, etwas aus meinem Leben zu machen. Der nächste Hafen, den wir anliefen, war Brundisium. Ich war schon ewige Zeiten nicht mehr in Italia gewesen. Dort ging ich von Bord und folgte der Via Appia nach Capua. Dort hatte ich noch den Entschluss, nach Rom weiter zu reisen, um in der ewigen Stadt, unter falschem Namen versteht sich, ein neues Leben zu beginnen. Doch einige Tage, bevor ich Rom erreichen sollte, zerfraßen mich meine Bedenken und ich änderte meine Pläne. Ich verließ die die Straße nach Rom und wanderte hinauf in die Berge. Großzügig umging ich die Stadt und landete schließlich in den Abruzzen. Hier, so hatte ich beschlossen, wollte ich Wurzeln schlagen. Ich baute eine Hütte, pflanzte die Samen des Schlafmohnes an, dessen Droge mir ein hervorragender Ersatz für den Alkohol geworden war und lernte auch bald meine weit verstreuten Nachbarn kennen. Die eine oder andere Liebschaft hatte ich auch über die Jahre. Aber den Mut, mich wieder richtig zu binden, fand ich nicht mehr. Es schien, als hätte ich endlich meinen Frieden gefunden.

    Ich starrte eine Weile ins Leere und richtete dann meinen Blick wieder auf Severus. "Du hast ja recht, alter Freund! Meine Zeit hier ist vorbei. Ich bin alt und dieser verdammte Beinbruch wird mich auch nicht jünger machen. Das Dumme ist nur, ich habe niemanden, der sich um mich kümmern könnte", gab ich schmerzlich lächelnd zu. Severus aber wollte nicht locker lassen. Er dachte nach, wie er mir helfen konnte.
    "Hast du keine Verwandten mehr, die dich aufnehmen könnten? Du musst doch noch Familie haben, Manius! Denk nach! Gibt es niemanden mehr?"
    Mein Lächeln wich, so schnell wie es gekommen war. Ich wusste, es gab Verwandte und den Ring meines Vaters hatte ich auch all die Jahre gut verwahrt. Aber konnte ich wirklich den Mut aufbringen, mich meiner Vergangenheit zu stellen, nach so vielen Jahren? Mein Vater war mit Sicherheit schon lange tot. Was aus meinen Brüdern geworden war, konnte ich nicht sagen. Von ihnen hatte ich all die Jahre nichts mehr gehört. Allerdings hatte ich auch keinen gesteigerten Wert darauf gelegt, von ihnen zu hören.
    "Es gibt noch jemanden. Ich habe noch Familie in Rom. Allerdings weiß ich nicht, ob sie mich noch als Familie betrachten. Das alles ist zu lange her."
    Lange sahen wir uns an, Severus und ich. Er wusste, welche Überwindung es mich kosten würde, nach Rom zu gehen und wie ein Bettler um Almosen zu bitten.
    "Wenn es dir hilft, Manius, werde ich dich begleiten. Ich helfe dir mit den Schafen und deiner Habe und werde dich auch sicher nach Rom bringen. Was hältst du davon?"
    Das war ein großzügiges Angebot, wie es nur ein sehr guter Freund machen konnte. Und es war das vernünftigste, was ich tun konnte.
    "Gut! Dann also Rom!", entgegnete ich ihm nickend und beendete damit wieder einen Abschnitt meines Lebens um dann den wohl letzten damit einzuläuten.

    Der junge Ziegenhirte, ein etwa zehnjähriger Junge, blieb konsterniert stehen, sah auf mich herab, sah die Schafe, die bei mir waren und betrachtete sich die Beschaffenheit des Felsens, den er hätte hinunterklettern müssen. Dann, ganz plötzlich war er verschwunden!
    "He, Junge! Bleib hier! Hilf mir doch!" rief ich verzweifelt, musste aber bald feststellen, wie sinnlos mein Rufen war. Tss, die Jugend von heute, dachte ich verächtlich bei mir. Wir waren da damals ganz anders! Wir packten auch einmal an, wenn es mal nötig wurde! So wie damals, auf Creta:


    Der ungeliebte Siegelring meines Vaters hatte mich vor einem großen Unglück bewahrt und durch ihn genoss ich für eine kurze Zeit wieder die Annehmlichkeiten des Lebens, wie ich sie früher schon aus meiner Jugend gekannt hatte. Zweifelsohne hatte meine Familie an Ruhm und Ehre gewonnen, wovon selbst ich, das schwärzeste Schaf der Familie, profitieren konnte. So reiste ich mit einem komfortablen Schiff und nicht mit einer alten Schaluppe über das mare nostrum nach Creta. In Hieraptyna ging ich an Land. Meine eifrigen Begleiter wollten mich dazu nötigen, mit ihnen weiter nach Gotyna zu reisen, damit ich den dort ansässigen Proconsul der Provinz kennenlernen konnte.
    Allerdings konnte ich sie davon überzeugen, die erste Nacht in der kleinen Hafenstadt zu verbringen und dann erst am nächsten Tag in die Provinzhauptstadt weiter zu reisen. In einer gut ausgestatteten Herberge fanden wir Unterkunft und beschlossen dort den Tag mit einem rauschenden Festmahl. Währendessen meine Begleiter an diesem Abend Bacchus frönten, zog ich es vor, mich mit dem Alkohol weitestgehend zurückzuhalten, denn ich hatte meine Entscheidung längst getroffen. Keinesfalls wollte ich wieder in das Leben zurück, vor dem ich vor Jahren geflohen war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine "Freunde" völlig besoffen auf ihren Klinen lagen und ihren Rausch ausschliefen. Ich hingegen sah zu, dass ich verschwand. Bis auf einige Kleider, den Siegelring meines Vaters und ein wenig Proviant, ließ ich alles zurück.
    Noch in derselben Nacht verließ ich Hieraptyna und bewegte mich ins bergige Landesinnere vor. Ich wollte so weit wie möglich kommen, wenn man meine Flucht am nächsten Tag bemerkte. Hier draußen würde mich niemand finden.
    In der rauen Landschaft der Berge, die nur von spärlichen Wäldchen gesäumt waren, wollte ich mir einen Unterschlupf suchen. Als der Morgen anbrach und die Sonne aufging, sah ich zurück, hinunter auf die Hafenstadt. Hinter ihr lag das tiefblaue Band des Meeres, das schier endlos schien. In der Luft lag der würzige Duft von Kräutern, für die die Insel so berühmt war. Wenn ich genau hinsah, bemerkte ich, dass ich nicht weit suchen musste. Die Kräuter, für die man in Rom teuer bezahlte, wuchsen wild am Wegesrand. Thymian, Salbei, Rosmarin, Lavendel, Oregano und Diktamos. Letzters sollte mir noch oft gute Dienste leisten, wenn ich mich einmal verletzte.
    Für manch anderen war diese Umgebung lebensfeindlich, für mich war es wie ein Paradies. Es dauerte fast zwei Tage, bis ich auf den ersten Menschen traf. Das war auch gut so, denn meine Vorräte waren zu Ende gegangen. Mit meinem Griechisch versuchte ich mich zu verständigen. Der cretische Dialekt der Einheimischen machte mir anfangs noch etwas zu schaffen. Aber es gelang mir, den Mann zu überzeugen, mir zu helfen. Er nahm mich mit zu seiner Hütte, wo er mit seiner Frau und etlichen Kindern, sowie einer kleinen Herde von Ziegen hauste. Die Gastfreundschaft dieser einfachen Leute war grandios. Obwohl sie kaum mehr hatten, als sie selbst zum überleben brauchten, nahmen sie mich freundlich auf, gaben mir zu Essen, zu Trinken und ein Dach über dem Kopf. Am nächsten Tag, bot ich mich an, dem Mann zu helfen. Ich packte überall dort an, wo Hilfe nötig war. Auch wenn die Arbeit und das Leben hart waren, fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem wieder richtig wohl. Nach und nach nahm ich die Angewohnheiten dieser Leute an, sprach wie sie, ernährte mich wie sie, sah aus wie sie, lebte wie sie. Von Rom, meiner Familie oder das was in der Weltgeschichte so vor sich ging, bekam ich nichts, absolut gar nichts mit. Das war auch gut so. Trotzdem verließ ich meine neue Familie nach über einem Jahr, um selbst eine zu gründen. Sie hieß Agapi und war von Anfang an meine cretische Wildblume, als ich sie zum ersten Mal erblicken durfte. Sie war die Tochter eines Freundes meines Freundes. Vor unserer Vermählung hatte ich für uns eine Hütte gebaut. Zur Hochzeit erhielten wir einige Ziegen und auch Agapi brachte einige Tiere mit in die Ehe. Das sollte unser Grundstock für unser gemeinsames Glück werden. Ich sehe sie noch genau vor mir, in ihrem schönen Kleid, ihre dunkeln Augen und ihr tiefschwarzes, lockiges Haar. Ich hatte sie geliebt, sehr sogar und neun Monate später schenkte sie mir unser erstes Kind. Es war ein Mädchen. Wir nannten sie Eleni, die Leuchtende.


    Meine Augen waren feucht geworden, als ich an Agapi und Eleni dachte. Was hätte ich dafür gegeben, dass diese glückselige Zeit niemals geendet hätte? Damals hatte ich meinen Platz gefunden, an dem ich hätte glücklich werden können.


    "Manius?!" rief plötzlich eine Stimme. "Manius? Bist du da unten?" Dann erkannte ich ein Gesicht, welches auf mich herunter blickte, genau dort, wo vor etwa einer Stunde der Ziegenhirte gestanden hatte. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Es war mein alter Freund Severus, der ganz und gar nicht ernst war, aber auf den man immer zählen konnte.
    Mein alter Freund kam hinunter geklettert und rettete mich und meine Schafe. Sein Sohn, der junge Ziegenhirte, half ihm dabei. Die beiden brachten mich zurück zu meiner Hütte und versorgten mein Bein.

    Der Schmerz wollte einfach nicht abebben. Vorsichtig versuchte ich, mein Bein zu bewegen. Ich ließ aber gleich wieder davon ab, denn mein Vorhaben bescherte mir höllische Schmerzen. Da half es auch nicht, einfach die Zähne zusammenzubeißen. In einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es mir, mein Bein wenigstens in eine gerade Lage zu bringen. Ich schwitzte Blut und Wasser, musste aber bald erkennen, dass es zwecklos war. Ich saß hier auf diesem Felsvorsprung mitten in einer menschenleeren Einöde, nur mit meinen dummen Schafen fest. Mein Schicksal schien besiegelt, so wie damals, vor einer halben Ewigkeit, irgendwo in der Weite der nabataeischen Wüste:


    Den Mut weiter zu Leben, hatte ich verloren, so wie ich auch alles andere verloren hatte, was mir bis dato wichtig gewesen war. Ich wartete nur noch darauf, bis die erbarmungslose Sonne meinem Körper das letzte Bisschen Leben entzog und nur noch meine weißgebleichten Gebeine übrig lassen würde. Stunde um Stunde wurde es heißer und heißer. Ich rief die Götter an, die ich in den letzten Monaten so schändlich vernachlässigt hatte, sie mögen mir ein schnelles Ende bereiten. Aber diesen Gefallen wollten sie mir nicht erweisen. Als die Sonne am höchsten Stand, begann mir mein Geist etwas vorzugaukeln, so glaubte ich jedenfalls. Ich hörte auf einmal Stimmen und Geräusche von sich nähernden Kamelen. Das musste das Ende sein! Ich war mir gewiss, der Fährmann wartete bereits auf mich. Drum überraschte es mich nicht, als ich auf meiner Zunge einige Tropfen des kühlen Nass spürte. Es fühlte sich so real an, fast als wäre es echt. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie lange es gedauert hatte, bis ich endlich begriff, dass dies nicht das Ende war. Eine Karawane hatte mich gefunden. Einer der Männer, der mir zu trinken gegeben hatte, wickelte mich in ein Stück Tuch und packte mich, einem Warengut gleich, auf sein Kamel. Ich schwankte zwischen Traum und Wirklichkeit, bis man sich mir am Abend wieder annahm. Mein Retter begann auf mich in einer fremden Sprache einzureden und flößte mir noch mehr Flüssigkeit ein, eine stärkende Suppe, wenn ich mich recht entsinne.
    Nach einigen Tagen war ich wieder einigermaßen zu Kräften gekommen. Ich hätte selbst auf dem Kamel reiten können. Doch das wiederum traute man mir nicht zu. Am Abend kamen einige der Männer, darunter mein Retter und derjenige, der das Sagen hatte, zu mir und beäugten mich. Ohne mir größere Beachtung zu schenken, unterhielten sie sich in ihrem Kauderwelsch. Worum es dabei ging, war kaum zu übersehen. Ich war der Gesprächsstoff! Das Ganze war mir sehr suspekt. Ehe ich mich versah, fand ich mich in Fesseln wieder. Das bequeme Kamel, auf dem ich die letzten Tage mit reiten durfte, musste ich gegen eine Eisenkette eintauschen, die an meinem Hals befestigt wurde. Ich war an eine Sklavenkarawane geraten, die sich auf dem direkten Weg nach Damaskus befand. Eigentlich hatte ich mir meine Rückkehr ins Imperium etwas anders vorgestellt. Vielleicht konnte mir dort der verhasste Ring meines Vaters aus dem Schlamassel wieder heraushelfen. Ich trug ihn verborgen an meinem Körper.
    In Damaskus wurden die bemitleidenswerten Kreaturen, deren Schicksal ich nun auch teilen sollte, verkauft. Mein helles Haar war für die Menschen dort etwas Sensationelles und erwartungsgemäß erzielte ich einen guten Preis. Eine fette alte Dame hatte den Zuschlag bekommen. Sie nahm mich gleich mit nach Hause. Ich hätte ein wahrhaft schönes Leben bei ihr haben können, wenn ich denn eine Schwäche für ältere Damen mit Mundgeruch gehabt hätte. Leider war dem nicht so. Ich zog meine Freiheit vor. Als sich eine Gelegenheit bot, sprach ich auf dem Forum einen Landsmann an. Ich gab mich als Flavius zu erkennen und erzählte ihm die Geschichte, hundsgemeine Parther hätten mich entführt und an eine nabataeische Sklavenkarawane verhökert. Als Beweis diente der Ring meines Vaters. Wie ich so nebenbei erfuhr, hatte es doch tatsächlich ein Abkömmling meiner Familie geschafft, die Kaiserwürde an sich zu reisen. Ein gewisser Titus Flavius Vespasianus, der im Jahr zuvor zum Kaiser ausgerufen worden war und nun in Judaea den Juden das Fürchten lehrte, trug dazu bei, dass ich ganz schnell wieder die Ketten der Sklaverei abschütteln konnte. Doch stattdessen nun wieder in den bequemen Schoß der Familie nach Rom zurückzukehren, zog es mich ans Meer. Ich reiste nach Tyrus und von dort nahm ich ein Schiff, das mich an die Gestade Cretas bringen sollte.


    Ich war eingenickt. Die raue Zunge eines meiner Schafe weckte mich wieder. Augenscheinlich hatte es sich schuldig gefühlt und wollte auf diese Weise wieder etwas gutmachen. Das war mein Glück, denn dadurch hörte ich das Pfeifen des Jungen, der mich retten sollte. Voller Inbrunst rief ich nach Hilfe, so laut ich nur konnte. Kurz darauf erschien das Gesicht des jungen Ziegenhirten, der sich über den Rand des Abgrundes gebeugt hatte und nun zu mir herunter schaute.
    "Bitte, hilf mir! Ich bin runter gefallen und habe mir den Fuß gebrochen!"

    Endlich! Im Boden vor mir entdeckte ich noch ganz frische Spuren, die von meinen Schafen stammen konnten. Meine Stimmung hob sich wieder, denn ich hatte nicht mehr damit gerechnet, meine Tiere wieder zu finden. Ich folgte den Spuren. Meine Schritte wurden größer, trotz des Anstiegs meines Weges. Der Spuren führte auf eine Anhöhe, vorbei an zerklüfteten Felswänden. Leider hatte ich nur wenig Muse für die überwältigende Aussicht die sich mir bot. Ich hatte meine Schafe zu finden, denn sie waren die Grundlage für mein Überleben. In der Ferne hörte ich ein Blöken. Das mussten sie sein! Ich beeilte mich noch mehr. Als ich die Anhöhe schließlich erklommen hatte, tat sich direkt vor mir ein Abgrund auf. Auf einem mit Gras bewachsenen Felsvorsprung entdeckte ich drei meiner Schafe. Mein erster Gedanke war, ich musste dort hinunter um die Tiere zu holen! Jedoch war mein Vorhaben nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussah. Die Erde war immer noch feucht und der Fels glitschig. Mein Ehrgeiz aber war es, der mich voran trieb, die Tiere zu retten. Derselbe Ehrgeiz, der mich auch damals, vor vielen Jahren beseelte, als ich mich anschickte, die Wüste zu erobern:


    Ich hatte meine Entscheidung nicht bereut, mich der parthischen Handelskarawane anzuschließen. Die Wüste, die ich bis dahin als lebensfeindliche Umgebung wahrgenommen hatte, zeigte mir immer wieder, welche Überraschungen sich doch in ihr verbargen und wo überall Leben möglich war. Und auch die Beziehung zu dem parthischen Händler, Farid war sein Name, festigte sich und wandelte sich allmählich zu einer freundschaftlichen. Er ging sogar soweit und nahm mich mit zu seiner Familie, die mir alle Annehmlichkeiten der Gastfreundschaft zuteilwerden ließ. Doch da war noch Taaraa, Farids wunderschöne Tochter, deren Anblick mich jedes Mal verzückte, wenn sie mir begegnete. Auch wenn sie ihr Antlitz unter einem seidenen Schleider verbarg, so vermochte ich so viel zu sehen, dass mein Herz regelmäßig dahin schmelzen wollte. Mein größter Wunsch war es, ihr Herz zu besitzen. Eines Tages fasste ich mein Herz und redete mit ihrem Vater. Farid, der mir immer zugetan war, seit er mich kannte, war alles andere begeistert. Er erklärte mir, er habe seine Tochter bereits einem reichen Kaufmann in Hatra versprochen. Für mich bracheine Welt zusammen. Noch am gleichen Abend schlich ich mich zu Taaraa und gestand ihr meine Liebe. Auch sie empfand etwas für mich. Ich überredete sie, mit mir zu fliehen. Ich packte das notwendigste zusammen, nahm mir eines der Kamele und verließ zusammen mit meiner Geliebten das Nachtlager der Karawane.
    Wir ritten hinaus in die Wüste. Die Nacht bot uns eine Möglichkeit, unseren Vorsprung auszubauen. Mir war klar, ich hatte Farids Zorn auf mich gezogen und er würde nicht eher ruhen, bis er seine Tochter wieder bekam. Was er dann mit mir tat, konnte ich mir sehr gut vorstellen.
    Als dann am nächsten Morgen die Sonne aufging, hatten wir schon ein ganzes Stück geschafft. Ich wollte versuchen, die Grenze nach Syrien zu erreichen. In einer römischen Provinz, so hoffte ich, konnte mir Farid und seine Männer nicht so viel anhaben. Aber der Weg bis dorthin war noch weit und die Sonne konnte unerbittlich sein. Als unser Wasser knapp wurde, lernte ich die Wüste von einer anderen Seite kennen. Nach einigen Tagen wurde mir klar, wir waren die ganze Zeit im Kreis geritten. Dann schickten die Götter uns auch noch einen Sandsturm…
    Unsere Flucht hatte unter keinem guten Stern gestanden. Unser Kamel verendete im Sandsturm und als dann das Wasser zu Ende ging, starb meine Geliebte. Sie war schon zu geschwächt. Mit letzter Kraft verscharrte ich ihren Leichnam im Sand. Halbtot schleppte ich mich weiter, bis ich schließlich im Sand erschöpft zusammen brach.


    Bevor ich zu dem Felsvorsprung hinunterkletterte, hielt ich kurz ein. Nach all den Jahren dachte ich immer noch an sie, meine große Liebe, die mir von der Wüste genommen wurde. Meine Augen wurden leicht feucht, aber ich erinnerte mich schnell wieder daran, was ich zu tun hatte. Vorsichtig begann ich, nach unten zu klettern. Der Felsvorsprung war schon fast zum greifen nah. Da geschah es. Ich verlor meinen Halt und stürzte hinab, zu meinen Schafen. Ich hatte Glück gehabt, denn ich hatte mich nicht schlimm verletzt. Mein Bein schmerzte etwas. Vorerst blieb ich liegen und wollte mich ausruhen. Meine Schafe glotzten mich fragend an und ich musste lachen. Das Lachen verging mir allerdings bald. Nämlich als ich versuchen wollte aufzustehen. Mein Bein versagte mir. Im schlimmsten Fall war es gebrochen.

    Ich war schon ein ganzes Stück weit in das unwegsame Gelände vorgedrungen. Der Boden war noch matschig von den mächtigen Regenergüssen der letzten Nacht. Das machte mein Fortkommen umso schwieriger. Doch die schlechte Bodenbeschaffenheit hatte auch einen Vorteil. Ich konnte den Spuren der entflohenen Tiere besser folgen. Danach waren die vier Ausreißer im Verband entwischt. Das machte die Sache etwas einfacher. Doch noch hatte ich sie nicht gefunden. Wenn das Glück mir nicht Hold war, dann hatte sie bereits ein Wolf oder ein Bär gerissen. Dies waren Tiere, die in der Einsamkeit der Berge sehr oft vorkamen. In manchen Winternächten hatte ich oft schon das Geheule der Wölfe hören können, wenn sie sich aus der Not heraus bis fast zu den menschlichen Ansiedlungen vorwagten, um dort Nahrung zu finden. Manchmal rissen sie eines der Schafe. Anfangs hatten mich diese Übergriffe nicht kalt gelassen und ich wollte Rache für meinen Verlust nehmen. Doch dann erkannte ich, dass das Leben hier draußen ein Geben und Nehmen war. Schließlich war ich derjenige, der sich in ihr Terrain vorgewagt hatte, um dort zu leben.
    Danach hatte ich nur noch eine einzige bedrohliche Begegnung mit canis lupus italicus, deren tödlicher Ausgang in letzter Minute abgewendet werden konnte. Ansonsten gingen wir uns erfolgreich aus dem Weg. Ich hatte gelernt, die Natur zu respektieren. Nur so konnte ich im Einklang leben und so hatte ich auch die letzten Jahre überlebt.
    Aber wo war ich mit meiner Geschichte stehen geblieben? Ach ja, Ägypten!


    Unser Schiff lief in den Hafen von Alexandria ein. Ich hatte schon viel von dieser prächtigen Stadt und ihren Reichtümern gehört. Aber die Reichtümer interessierten mich nicht. Mit meinen Kameraden begab ich mich auf Landgang. Sie wollten die Stadt unsicher machen, wie sie großspurig behaupteten. Nach den Tagen auf See war diese Stadt eine willkommene Abwechslung. Mich jedoch zog es nicht in die Tavernen und Lupanare der Stadt. Der Fremdenmarkt schien mir weitaus interessanter zu sein. Die Ägypter an sich waren schon fremdartig. Doch was auf ihren Märkten angeboten wurde, war noch um ein Vielfaches exotischer. Ich kann mich noch erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Die vielen unterschiedlichen Düfte die auf mich einwirkten, Tiere und Früchte die ich niemals zuvor gesehen hatte, fremdartige Menschen, teils mit tiefschwarzer Haut und ungewöhnlichen Gewändern bekleidet. Aber ich erinnere mich auch noch gut an das Sprachengewirr, welches dort herrschte. Vorrangig war das Griechisch zu hören, was man überall sprach und dessen ich auch mächtig war. Die Fremden jedoch sprachen in vielen verschiedenen Sprachen miteinander. Sprachen die in meinen Ohren so fremd klangen, so dass ich gar nicht herausfinden vermochte, mit welchen Sprachen ich es zu tun hatte.
    Ich traf dort auf einen parthischen Händler, der mit allerhand Gewürzen handelte. Durch Zudfall verwickelte mich in ein Gespräch. An meinen damals noch dunkelblonden Haaren hatte er erkannt, dass ich nicht so recht zu diesem Land passte, was ja auch den Tatsachen entsprach.
    Am Anfang stand noch die Absicht, etwas verkaufen zu wollen im Vordergrund, weshalb er sich so lange mit mir abgab. Doch da ich mich als sehr wissbegieriger Zuhörer entpuppte, lud er mich ein. Zuerst auf einen kleinen Imbiss an seinem Verkaufsstand und am Abend zu sich in seine Herberge. Mir kam das gerade recht, denn eine Unterkunft hatte ich noch nicht gefunden. Außerdem erschien mir ein richtiges Bett gegenüber meiner Hängematte auf dem Schiff die weitaus angenehmere Wahl.
    Der Händler, mir ist leider sein Name entfallen, residierte fast schon fürstlich in einer ganz ansehnlichen Herberge. Sie war komplett für ihn und seine Begleiter in Beschlag genommen worden. Eine ganze Handelskarawane, die einige Tage in Alexandria blieb, um dann weiter zu ziehen.
    Einer seiner Untergebenen wies mir ein freies Zimmer zu und versorgte mich mit sauberer Kleidung. Es war eine Wohltat, nachdem ich frisch gewaschen und rasiert die neuen Kleider überstreifte. Die parthische Kleidung war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Jedoch fühlte ich mich spätestens dann darin wohl, als man mich zum Abendmahl bat.
    Üppige Speisen und Getränke warteten auf mich. Ganz neue Geschacksaromen lernte ich an diesem Abend kennen. Der Höhepunkt des Abends war jedoch die Anmut und Schönheit einer jungen Frau, deren Gesicht durch einen transparenten Schleier geschützt war. Allerdings waren ihre Reize offensichtlich. Taaraa hieß sie und sie war bis dahin das Schönste, was meine Augenerblicken durften. Ihr Name bedeutete Stern und genauso waren ihre Augen. Zwei leuchtende Sterne, die mein Herz zum erleuchten brachten.
    Ich konnte kaum meine Blicke von ihr lassen. Auch sie war von meinem hellen Haar fasziniert. Ihrem Vater durfte wohl mein Interesse für seine Tochter nicht entgangen sein. Nach dem Essen zogen sich die Männer (und ich mit ihnen) zurück in einen Nebenraum, der ganz mit Kissen und Teppichen ausgelegt war. Ich ließ mich neben dem Händler nieder. Wir setzten unsere Unterhaltung fort, während Sklaven uns Pfeifen reichten. Einige spärlich bekleidete Mädchen kamen hinzu und begannen zu musizieren. Eine Andere tanzte dazu. Mein Gesprächspartner beschwor die fernen Länder, die er in regelmäßigen Abständen besuchte und wo er Handel trieb. Er nannte Namen, die mir völlig fremd waren. Langsam regte sich in mir die Sehnsucht nach der Ferne. Der Rauch der Pfeife tat sein Übriges und zeigte schon bald seine Wirkung. Daran war ich nicht gewöhnt.
    Ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was an jenem Abend noch alles geschah. Am nächsten Morgen jedoch war ich mir sicher, wohin mich mein weiterer Weg führen sollte: In die Weite der Wüste und hin zu fernen Ländern.