Beiträge von Iunia Serrana

    Als sich der Pontifex wieder in seinem Stuhl anlehnte, schien sich die Stimmung wieder etwas zu entspannen, und auch Serrana atmete innerlich auf. Wirklich wohl fühlte sie sich in ihrer Haut immer noch nicht, aber an der Freundlichkeit des Aureliers war nichts auszusetzen, und er konnte schließlich nicht ahnen, dass sie zur Zeit über jedes andere Thema lieber nachdachte oder gar sprach als über ihre Schwangerschaft.


    "Nun, ich werde sicherlich jemanden finden, der erfahren genug ist, um diesem jungen Patrizier auch die praktischen Dinge beizubringen." nickte sie nach einem kurzen Räuspern und schüttelte dann den Kopf. "Im Moment habe ich keine weiteren Fragen, danke schön. Dontas werde ich dann eine Nachricht schicken, dass er sich wegen seiner Aufnahme in den Cultus Deorum hier bei dir melden soll." Serrana lächelte ein wenig verlegen und ging davon aus, dass das Gespräch damit fürs erste beendet war, denn ein Mann in Aurelius Corvinus' Position hatte sicher noch eine Menge anderer Verpflichtungen und Termine.

    Sechzehn Jahre waren allerdings eine lange Zeit, um genau zu sein ihr gesamtes bisheriges Leben...Trotzdem war das letzte Jahr erstaunlich schnell vorüber gegangen, vielleicht änderte sich die Wahrnehmung, wenn man eine Aufgabe hatte, die einen ausfüllte.


    "Ich drücke dir die Daumen, dass du genauso viel Glück bei der Suche hast wie ich." lächelte Serrana und stellte dann zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass sie froh war, dass Seneca in Rom bleiben und nicht zur Armee gehen würde, wo er deutlich größeren Gefahren ausgesetzt sein würde, wie man an so vielen anderen Verwandten gesehen hatte. Sie kannte ihn im Grunde zwar kaum, aber das würde sich ja vielleicht noch ändern.


    Kurz darauf betrat Sedulus das Atrium, und Serrana sah ihm erfreut entgegen.


    "Quintus, wie schön, dass du so schnell kommen konntest. Darf ich dir Iunius Seneca, meinen Cousin aus Tarraco vorstellen? Er ist erst vor kurzem in Rom eingetroffen und möchte zu den Cohortes Urbanae."

    "Ja, ich hatte wohl wirklich Glück, dass wir uns zur richtigen Zeit über den Weg gelaufen sind." nickte Serrana mit unübersehbaren Strahlen im Gesicht, denn verliebt in ihren Mann war sie nach wie vor, auch wenn sie wegen ihrer Schwangerschaft häufig noch grübelte und ihre diesbezüglichen Ängste immer noch nicht ganz verschwunden waren. "Am Anfang hatte ich ein wenig Sorge, weil er immerhin Senator ist und ich in ganz anderen Kreisen aufgewachsen bin, aber bislang klappt es, den Göttern sei Dank, eigentlich sehr gut." Serranas Blick ging wieder Richung Tür, und siehe da, "rein zufällig" drückte Quadrata, die Sklavin ihrer Großmutter sich dort herum. "Quadrata, wenn du schon einmal hier bist: geh doch bitte hinüber zum Officium meines Mannes und frag ihn, ob er einen Moment Zeit für meinen Cousin und mich hat." Sie wartete, bis die alte Sklavin verschwunden war und wandte sich dann wieder Seneca zu. "Du wirst bestimmt Centurio, schließlich bist du noch jung und scheinst dir auch sicher zu sein, in welche Richtung der Weg gehen soll. Ist denn nicht ein seltsames Gefühl, sich für so viele Jahre verpflichten zu müssen?" hakte sie dann neugierig nach, denn diese Frage hatte sie sich schon häufiger gestellt. Am liebsten hätte Serrana ja nach Senecas lang vergangener Liebe nachgebohrt, aber sie war nicht sicher, ob er wirklich darüber sprechen wollte, und ließ das Thema deshalb lieber unter den Tisch fallen.


    "Ja, das bin ich wirklich. Vielen Dank." Das schlechte Gewissen kam ganz plötzlich und Serrana bis sich auf die Lippe, bevor sie erneut einen großen Schluck aus ihrem Becher nahm und diesen dann dem Sklaven zum auffüllen hinhielt. Sie hatte wirklich alles, was man sich nur wünschen konnte, um glücklich zu sein: einen liebevollen Mann aus guter Familie und von beeindruckendem Stand, den sie sich selbst hatte aussuchen können, ein riesiges luxuriöses Haus, ein Beruf, der wirklich Berufung für sie war....Und trotzdem jammerte sie herum und ängstigte sich wegen eines Schattens, von dem sie nicht einmal sicher sein konnte, dass er wirklich über ihr hing. Aber mit etwas Glück würde sie das noch irgendwie in den Griff bekommen. Serrana lächelte ein wenig verlegen und warf einen Blick auf Senecas Becher. "Möchtest du vielleicht noch etwas anderes trinken? Ich kann auch etwas zu essen kommen lassen, wenn du magst."

    "Ja, vielleicht." beeilte Serrana sich, Seneca zuzustimmen, obwohl ihr eine mögliche Versöhnung mit Axilla in ihren Augen derzeit unwahrscheinlicher schien als je zuvor. Aber ein Teil von ihr wünschte sich immer noch, dass er Recht hatte, und vielleicht würde seine Ankunft, und damit die eines unvoreingenommenen Verwandten, sogar ein wenig dazu beitragen können. "Immerhin sind wir Iunier jetzt zu dritt in Rom vertreten, das ist doch auch schon was." Serrana spürte Senecas Bemühen, die angeschlagene Stimmung wieder etwas aufzuhellen und lächelte ihn dankbar an. Und da er, statt weiter nachzubohren, jetzt ein deutlich angenehmeres Thema anschnitt, entspannte sie sich zusehends und ihre Augen leuchteten aufrichtig erfreut aus. "Oh, Sedulus und ich haben uns bei den Ludi Romani kennengelernt." begann sie, während ein Sklave herbeieilte, um den Becher des jungen Herrn wieder aufzufüllen. "Meine beste Freundin ist seine Nichte, weißt du, wir sind gemeinsam dem Cultus Deorum beigetreten. Sie hat letztes Jahr anlässlich der Fontinalia ein Fest gegeben, und dabei haben wir....sind wir...ähm uns näher gekommen." Serrana spürte, wie sie nach langer Zeit wieder einmal richtig rot wurde und verbarg ihr Gesicht schnell in ihrem eigenen Becher, den sie mit einigen Zügen leer trank. "Mein Mann war früher auch bei den Cohortes Urbanae, er wird dir sicher viel darüber erzählen können." fiel ihr dann ein, und ihr Blick ging automatisch in die Richtung des Hauses, in der sich Sedulus' Officium befand. "Wenn du magst, stelle ich ihn dir später noch vor." Während sie ihren Cousin abwartend ansah, kam Serrana ein anderer Gedanke, und erneut huschte eine leichte Röte über ihr Gesicht. "Ich hoffe, diese Frage ist nicht zu indiskret, aber ich nehme mal an, dass es in deinem Leben im Moment niemanden gibt, oder? Die Angehörigen der Cohortes Urbanae dürfen doch nicht heiraten, soweit ich weiß."

    Serrana verfolgte mit einigem Interesse die Unterhaltung der Männer hinsichtlich der beruflichen Zukunft von Umbricius und Decimus Verus. Bislang hatte sie sich nie allzuviele Gedanken über dieses Thema machen müssen, da sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Rom in genau dem Bereich untergekommen war, zu dem sie sich immer schon hingezogen gefühlt hatte. Trotzdem konnte sie nachvollziehen, wie ungewollte Untätigkeit an einem Menschen nagen musste, vor allem, wenn dieser, wie der Decimer, bereits eine langjährige Laufbahn hinter sich hatte.


    "Vielleicht gibt es ja auch noch andere Möglichkeiten." begann sie vorsichtig. "Ein eigener Betrieb vielleicht oder die Arbeit im Cultus Deorum. Und dann gibt es noch die Schola oder die Acta Diurna. Ich glaube, die suchen immer fähige Mitarbeiter."

    "Ja, natürlich, daran hatte ich nicht gedacht." nickte Serrana, als Seneca sie daran erinnerte, dass Angehörige der Cohortes Urbanae normalerweise in der Castra logierten. "Aber die Sklaven wird es sicher freuen, wenn du häufiger in der Casa Iunia vorbeikommst." Und Axilla vermutlich auch, fügte sie in Gedanken noch leicht verbittert hinzu, vielleicht war dieser Neuankömmling ja eher ein Iunier nach dem Geschmack ihrer Cousine. Serranas hatte eigentlich gehofft, dass Seneca in dieser Hinsicht nicht weiter nachbohren würde, und ihr Gesicht verdüsterte sich für einen Moment unübersehbar, bevor sie sich wieder im Griff hatte. "Da hast du recht, Axilla und ich verstehen uns nicht sonderlich gut." Sie überlegte fieberhaft, wie sie für Seneca ein wenig Licht in die Sache bringen konnte, ohne ihn in diese scheinbar endlose Spirale aus gegenseitigen Vorwürfen und Ärgernissen hineinzuziehen. "Sie und ich, wir....wir haben in vielen Dingen unterschiedliche Ansichten." sagte sie schließlich und fuhr dabei mit dem Finger das Muster ihres Bechers entlang. "Dinge, die unsere Familie betreffen aber auch die meines Mannes." Von Serranas derzeitigen Ängsten ganz zu schweigen, aber darüber würde sie mit keiner Menschenseele mehr reden. Mittlerweile sah sie ein, dass Axilla in einem Punkt recht gehabt hatte: Serrana war weder mutig noch selbstbewusst genug und ließ sich viel zu sehr von ihren Ängsten leiten, woran nur sie selbst etwas würde ändern können. Immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber nichtsdestotrotz war sie es leid, von ihrer Cousine ständig als Iunia zweiter Klasse abqualifiziert zu werden. Und dass Axilla ein Versprechen, das ihr selbst (zumindest aus Serranas Sicht) wenig abverlangt hätte und an dem Serrana viel gelegen hätte, rundum abgelehnt hatte, würde sie ihr vermutlich noch sehr lange übel nehmen. Als sie schließlich merkte, dass sie mit gerunzelter Stirn immer noch ihren Becher anstarrte, hob Serrana ein wenig schuldbewusst den Blick und zwang ein unbekümmertes Lächeln zurück auf ihr Gesicht. "Aber darüber solltest du dir nicht zuviele Gedanken machen. Es hat ja nichts mit dir zu tun, und ich bin mir sicher, dass sich Axilla genauso über ein neues Familienmitglied hier in Rom freut wie ich."

    "Danke, das ist mir sehr wichtig." sagte Serrana und nickte dann, obwohl sie nicht sicher war, dass Sedulus diese Bewegung auch wahr nahm. Sie selbst war nicht wirklich sicher, ob sie wirklich würde schlafen können, dafür war ihr Körper schon viel zu sehr an den regelmäßigen Konsum des Beruhigungstranks gewöhnt und würde sich erst wieder umstellen müssen. Aber selbst wenn sie noch eine Weile wach blieb, so ließ sich das in dieser wärmenden und schützenden Umarmung aushalten, denn das so quälende Angstgefühl war zumindest fürs erste gebannt und hatte sogar ein bisschen Raum für etwas mehr Entschlossenheit und gute Vorsätze geschaffen. Serrana legte wieder ihren Kopf auf Sedulus' Brust und umarmte ihn ihrerseits, bevor sie die Augen schloss und deutlich ruhiger da lag als noch vor wenigen Minuten.

    Er lachte nicht. Er lachte nicht, er nannte sie nicht verrückt und so wie es aussah, war er auch nicht verärgert. Serrana fiel ein riesiger Stein vom Herzen und ihr entfuhr ein ziemlich zittriger Seuzfer der Erleichterung. "Das ist gut...." sagte sie leise und es war ihr völlig ernst damit. Er würde es nicht zulassen...Natürlich war das ein Satz, mit dem man auch verängstigte Kinder beruhigte, die Angst vor irgendetwas hatten, aber genauso ging es Serrana ja zur Zeit. Sie wusste, dass Sedulus diesen Satz nicht einfach nur so daher gesagt hatte, und für sie würde er in den nächsten Wochen und Monaten eine Art Mantra sein, an dem sie sich festhalten und in dessen Bannkreis sie neue Energien und Zuversicht schöpfen konnte . Serrana richtete sich halb auf und sah ihren Mann jetzt doch an, so gut das in der Dunkelheit möglich war. "Meinst du, du...könntest in meiner Nähe sein, wenn es soweit ist? Wenn das Kind kommt, meine ich?"

    [Blockierte Grafik: http://i839.photobucket.com/albums/zz312/Inpa67/brian1.jpg]
    _______
    Artanes




    Artanes, der amtierende rex nemorensis, stand an seinem gewohnten Platz neben der geweihten Eiche und ließ seinen Blick prüfend über die stetig anwachsende Schar von Gläubigen gleiten, welche den nemus Aricinum, den heiligen Hain, an diesem Feiertag zu Ehren der Diana aufgesucht hatten. Auf den ersten Blick schien alles reibungslos von statten zu gehen, alle Anwesenden hatten sich einem bestimmten Ritual folgend die Haare gewaschen, und diese anschließend mit Blumen geschmückt. An der Seite der zahlreichen Jäger schritten Jagdhunde, die an diesem Tag als besonderes Zeichen der Ehre ebenfalls mit Blütenschmuck ausgestattet worden waren. Nach aussen hin wirkte der riesige Priester vollkommen entspannt. Seine Gesichtszüge, zum Teil von einem dichten Bart verborgen, waren unbewegt, und nur die zahlreichen Narben auf den muskelbepackten und unbedeckten Armen gaben ein Zeugnis davon ab, dass er schon sehr häufig um sein Amt und damit auch um sein nacktes Leben hatte kämpfen müssen. Es war Artanes voll und ganz bewusst, dass er früher oder später seiner riesigen Statur und seiner unglaublichen Körperkraft zum Trotz gegen einen Gegner den kürzeren ziehen würde. Dieser musste nur genauso verzweifelt und entschlossen sein wie er selbst einige Jahre zuvor und ebenso skrupellos kämpfen. Die Bereitschaft dazu war bei den meisten entlaufenen Sklaven, denen im besten Fall eine lebenslange Verstümmelung und im schlechtesten das Kreuz drohte, in jedem Fall gegeben. Bislang hatte sich Artanes dank seiner schieren körperlichen Überlegenheit am Ruder halten können, doch früher oder später würde es einem Anderen gelingen, einen Ast von der heiligen Eiche abzubrechen und ihn zu erschlagen. Doch gleichgültig, wie wenig Lebenszeit ihm noch verbleiben und welcher Tod ihm auch bevorstehen würde, einer Fortsetzung seines elenden Daseins in den Minen war es allemal vorzuziehen.
    Der Rex Nemorensis schob die Gedanken an Gewalt und Tod beiseite und konzentrierte sich wieder auf die anwesenden Besucher des Hains, deren Zahl beständig anwuchs. Die meisten von ihnen waren Sklaven, die an diesem besonderen Tag allen anderen gleichgestellt waren und sich von ihren sonstigen Pflichten ausruhen konnten. Aber es kamen auch viele freigeborene und vielfach auch wohlhabende Frauen, die die Göttin um bislang ausgebliebenen Nachwuchs bitten wollten.
    Niemand kam mit leeren Händen in den heiligen Hain. Einige trugen aus Ton oder Brot nachgeformte Körperteile, um deren Genesung sie bitten wollten, andere kleine Mutter und Kind-Statuen. Und an zahlreichen Ästen und Zweigen um Artanes herum hingen bereits kleine Stoffbänder, mit den unterschiedlichsten Bitten und Gebeten für die Göttin. Ein paar Minuten würde er noch warten, dann würde auch der Rex Nemorensis, der „König von Nemi“ mit seinem Opfer beginnen.


    Sim-Off:

    Alle sind herzlich eingeladen, an diesem Fest teilzunehmen. Die Nemoralia bedeuten einen freien Tag für Sklaven und Frauen, die von ihren sonstigen Pflichten befreit sind.

    [Blockierte Grafik: http://i839.photobucket.com/albums/zz312/Inpa67/220px-Nemi_034_Tempio_di_Diana.jpg]




    Inmitten der Albaner Berge, bequem über die Via Appia zu erreichen, lag ruhig und friedlich das Dianae Speculum, der Spiegel der Diana, ein ruhiger See von nicht einmal einer Meile Durchmesser. An sein Ufer schmiegten sich nicht nur der Mons Cavus und mehrere Städte, die einst in latinischer Zeit große Bedeutung besessen hatten, sondern auch das Nemus Aricinum, der Hain der Diana. Seit uralter Zeit verehrte man hier die Diana Nemorensis als Schutzherrin der Wälder.


    Entsprechend bildete auch eine uralte Eiche den Mittelpunkt des Heiligtums. Bereits Aeneas hatte angeblich hier den Zweig gebrochen, den er mit sich in die Unterwelt genommen hatte und der mythenhafte Orestes sollte hier die Kultstätte begründet haben (was allerdings durchaus umstritten war). Sicher war eines: In der Eiche stand eine hölzerne Kultstatue mit drei weiblichen Gottheiten, eine davon Diana Nemorensis, und daneben befand sich ein prächtiges Heiligtum etruskischer Bauart, das Kaiser Caligula zuletzt ausgebaut hatte.


    Ursprünglich hatte er auch ein gewaltiges Schiff mit einem weiteren Tempel aus Marmor und Gold in den Nemisee gesetzt. Doch offenbar hatte es den Göttern missfallen, dass er auch sich selbst ein ähnliches Schiff gebaut hatte, das sogar über eine funktionierende Thermenanlage verfügt hatte. So waren die beiden Boote kurz nach dem Tod des Kaisers am Grund des Sees versunken und die Römer und Latiner mussten sich wieder an die Kultstätte auf festem Boden wenden.


    Und heute nun feierte man das ehrwürdige und beliebte Fest der Nemoralia, ein Feiertag für Sklaven, aber auch Frauen mit Kinderwunsch, die das ganze Jahr über nach Nemi pilgerten und um Fruchtbarkeit baten. Dass jedoch Sklaven beteiligt waren, lag daran, dass sie als Cervi, also Hirsche, den Schutz der Diana genossen. Selbst der Priester des Heiligtums, der Rex Nemorensis, war stets ein entlaufener Sklave! Sein Amt erlangte er jedoch auf blutige Weise: Nur, wenn es ihm gelang, einen goldenen Zweig von der heiligen Eiche zu brechen und anschließend den amtierenden Rex Nemorensis im Zweikampf tötete, musste er sich nicht mehr vor seinem Herrn fürchten und konnte als geehrter Oberpriester die Bewachung des Haines übernehmen - natürlich stets mit einem Schwert bewaffnet, um etwaige Konkurrenten niederzustrecken.


    Heute allerdings waren derartige Kämpfe untersagt, ebenso wie jede Jagd. Im Mondschein der Nacht machte man sich von Rom aus in einer riesigen Prozession auf zum Heiligtum: Sklaven transportierten die Opfergaben auf einem langen, mit Wollfäden geschmückten Gitter. Geleitet wurden sie von mit Blumen bekränzten Frauen, die brennende Fackeln hielten und Gebete zu Diana sprachen. Ihre Lichter spiegelten sich im klaren Wasser des Sees und ergänzten so die leuchtenden Sterne am Firmament.


    MTD

    [Blockierte Grafik: http://img503.imageshack.us/img503/1383/adula.jpg]
    __________
    Adula



    Adula, die ihre Herrin nicht mehr gesehen hatte, seit diese am gestrigen Abend mit ihrem Ehemann in dessen Cubiculum verschwunden war, hatte sich mittlerweile auf die Suche gemacht und fand Sedulus schließlich mit der wie ein kleines Kind schlummernden Serrana auf dem Schoß im Garten. Ihre Herrin sah derart entspannt und friedlich aus, dass es sogar der eher brummigen Adula ein kleines Lächeln entlockte.


    "Wenn du möchtest, dann trage ich sie hinein, dominus." sagte sie, und ihr Blick ging von der jungen Frau in seinen Armen hinüber zum Eingang zur Casa.

    Serrana nickte und es wurde ihr wieder einmal bewusst, wie wenig sie im Vergleich zu ihren Verwandten bislang doch von der großen weiten Welt gesehen hatte. Nicht einmal aus der geplanten Sommerreise nach Germania war etwas geworden, und ob sich noch einmal die Möglichkeit dazu ergeben würde, wussten nur die Götter.


    "Ja, das stimmt." bestätigte sie seine ein wenig wage klingende Vermutung. "Nola liegt ein Stück hinter Capua, wenn man der Straße Richtung Südosten folgt. Eine hübsche kleine Stadt, aber natürlich kein Vergleich zu Rom." Als Seneca von den Erlebnissen bei seiner Ankunft berichtete, sah sie ihn einen Augenblick in einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen an, musste dann jedoch wider Willen schmunzeln. Ihre eigene Anreise war schließlich auch alles andere als glanzvoll gewesen, vielleicht hatten sie in dieser Hinsicht tatsächlich ähnlich unerfreuliche Erfahrungen gemacht. "Oh, und ich dachte immer, mein erster Tag hier wäre schlimm gewesen." Serrana konnte sich noch sehr gut an das Gefühl der Nervosität und Hilflosigkeit erinnern, als sie vor einem Jahr vor der Porta der Casa Iunia gestanden hatte, und Senecas Geschichte hörte sich nicht wirklich schöner an. "Weißt du, an dem Tag hatte es in der Küche der Casa Iunia einen Unfall gegeben, und es hat endlos lange gedauert, bis mir jemand die Tür geöffnet hat. Ich hab damals wirklich gedacht, man würde mich niemals reinlassen. Aber zum Glück hab ich mich geirrrt, und die Sklaven im Haus haben danach ganz wunderbar für mich gesorgt. Sie sind wirklich alle sehr fleissig und nett, du wirst schon sehen. Du wirst doch sicher dort wohnen, nicht wahr?" Bei einem Familienmitglied eine eigentlich vollkommen logische Schlussfolgerung, aber ob das einem Mitglied der Cohortes Urbanae überhaupt möglich sein würde... Seltsam, wie sich manche Dinge wiederholten, vermutlich war ihr Vater sogar ungefähr in Senecas Alter gewesen, als er dort eingetreten war. Serrana ignorierte den winzigen Stich, den ihr dieser Gedanke verschaffte und nickte ihrem Cousin aufmunternd zu. "Oh, dann wünsche ich dir dafür alles Gute und dass sich alles so entwickelt, wie du es dir wünscht." "Warum sollte es auch nicht so sein, irgendwann musste die scheinbar ewige Todesspirale der Iunier doch auch einmal zuende gehen. Und dass Seneca aufgrund der von ihm angestrebten Laufbahn vermutlich auf längere Zeit in der Stadt bleiben würde, freute Serrana auch. "Natürlich darfst du das." Ihre Gesichtszüge erhellten sich, wie immer, wenn Serrana von ihrem Beruf sprechen konnte. "Ich bin Aeditua im Cultus Deorum. Genauer gesagt bin ich Tempelverwalterin im Heiligtum der Minerva auf dem Forum Nervae."

    "Oh, das tut mir leid." sagte Serrana mit aufrichtigem Bedauern und musste plötzlich unsinnigerweise an das "parthische Huhn" denken, das die erfindungsreiche Köchin der Germanici vor einigen Tagen zum Abendessen serviert hatte, und das bei ihrem Mann aufgrund seines Namens einiges an Missfallen erregt hatte. Was für ein Glück, dass Seneca bei jener Cena nicht anwesend gewesen war...


    "In Tarraco? Oh, dann hätten Axilla und du euch ja schon viel früher kennenlernen können." Seltsam, wie das Schicksal manchmal spielte, aber schließlich hatte sie die ersten anderen Iunier ihres Lebens auch erst im Alter von fünfzehn Jahren kennengelernt. "Ich weiß leider nur sehr wenig über Hispania, dabei soll es so ein schönes Land sein." Serrana zuckte bedauernd die Schultern, dann schüttelte sie den Kopf. "Ich? Oh nein. Ich bin auch erst seit einem Jahr hier in Rom, ziemlich genau seit einem Jahr, wenn ich richtig darüber nachdenke." Diese besagten zwölf Monate waren unglaublich schnell vergangen, trotzdem schien ihr früheres Leben mittlerweile unglaublich weit weg zu sein. "Ich bin in der Campania aufgewachsen, in der Nähe von Nola. Nach dem Tod meiner Mutter hat mich mein Vater zu deren Eltern gebracht, und bei denen bin ich geblieben, bis mein Großvater gestorben ist." Serrana räusperte sich, um den Kloß loszuwerden, der sich wie so häufig, wenn es um dieses Thema ging, in ihrem Hals gebildet hatte. "Mein Vater ist dann nach Rom zu den Cohortes Urbanae gegangen und wurde vor einigen Jahren im Dienst getötet." Nach wie vor schmerzte sie der Verlust ihres geliebten Großvaters deutlich mehr als der ihres Vaters, den sie im Grunde kaum gekannt hatte, aber das würde man ihr von aussen vermutlich nicht ansehen können. "Naja, und jetzt bin ich auch hier." schloss sie schließlich und griff seine letzte Anmerkung dankbar auf, um wieder zu einem etwas erfreulicheren Thema wechseln zu können. "Und dass Rom dir groß erscheint, das glaub ich dir gern." grinste sie und trankt einen weiteren Schluck Wasser. "Ich hab mich hier direkt an meinem ersten Tag ganz furchtbar verlaufen, und ehrlich gesagt passiert mir auch jetzt noch ab und zu. Hast du denn schon irgendwelche Pläne für die nächste Zeit, oder willst du dir erstmal in Ruhe die Stadt ansehen?"

    Serrana machte einem der im Atrium bereitstehenden Sklaven ein Zeichen, ihrem Besucher das gewünschte Wasser zu servieren und ließ sich ebenfalls einen Becher füllen, nachdem sie sich neben Seneca niedergelassen hatte. Bei der Erwähnung seines Vaters runzelte sie kurz die Stirn und nickte dann etwas zögerlich. "Valentius....das war...ähm...ist der Bruder von Silanus, nicht wahr?" Ihres Wissens nach war besagter Verwandter mittlerweile verstorben, so wie der Großteil der restlichen Familie auch, aber vielleicht irrte sie sich ja auch und brachte Seneca dadurch in Verlegenheit, dass sie seinen Vater für tot hielt. Sie hielt sich in Gedanken noch einmal den ihr bekannten Teil des Familienstammbaums vor Augen und lächelte dann. "Wenn das so ist, dann waren unsere Großväter Brüder und wir sind Cousin und Cousine, ja." Die Verwandtschaft war nicht ganz so eng wie zwischen Axilla und ihr selbst, aber das bedeutete erwiesenermaßen ja herzlich wenig.


    "Natürlich war mir das recht, ich freue mich sehr, dass du hergekommen bist." Serranas bislang aufrichtiges Lächeln fror bei Senecas nächster Bemerkung ein wenig ein und sie trank schnell einen Schluck Wasser, um sich nichts von ihrem aufkeimenden Ärger anmerken zu lassen. Na wundervoll, Axilla brauchte scheinbar nicht einmal anwesend zu sein, damit sie selbst sich fühlte wie ein unartiges Kind. "Nun, wenn du das gehört hast, wird es wohl so sein." entgegnete sie in leicht spitzem Unterton, riss sich dann jedoch wieder am Riemen, schließlich hatte sie nichts davon, den noch unbekannten aber ihr dennoch bereits sympathischen Cousin in die bereits seit Monaten schwelenden Animositäten hineinzuziehen. "Wo hast du denn gelebt, bevor du nach Rom gekommen bist?"

    Ein Großteil ihrer Nervosität fiel automatisch von ihr ab, als sie ihn lächeln sah. Es war ein offenes und symphatisches Lächeln, und auch wenn Serrana nicht gerade über allzu viel Menschenkenntnis verfügte, war sie sich in diesem Fall doch relativ sicher, keinen Lügner vor sich zu haben.


    "Ja, du hast Recht, ich bin ziemlich überrascht, aber trotzdem freut es mich auch." Ihr eigenes Lächeln fiel jetzt schon deutlich größer aus, als sie die letzten Schritte zu ihm zurücklegte. Dass er Axilla bereits kennengelernt hatte, erstaunte sie weniger, schließlich war er vermutlich zuerst direkt zur Casa Iunia gegangen, wo ihre Cousine sich offenbar ständig aufhielt. Wie es sich für eine gute Iunia gehört, ging es Serrana mit leichter Bitterkeit durch den Kopf, doch dann schob sie diesen unerfreulichen Gedanken wieder beiseite. Ihr Verhältnis zu Axilla tat jetzt nichts zur Sache, und immerhin hatte diese den gemeinsamen Verwandten auch zur ihr geschickt, womit nach dem letzten Zusammenstoß ja nicht unbedingt zu rechnen gewesen war. Serrana betrachtete einen Moment neugierig Senecas Gesichtszüge, konnte jedoch auf den ersten Blick keine auffallende Ähnlichkeit mit einem der wenigen ihr persönlich bekannten Familienmitglieder erkennen, was allerdings wenig zu bedeuten hatte.


    "Es ist mir ein wenig peinlich, aber ehrlich gesagt habe ich deinen Namen vor wenigen Minuten zum ersten Mal gehört. Würde es dir etwas ausmachen, mir zu sagen, wie wir genau miteinander verwandt sind?" Die Frage war ihr selbst derartig unangenehm, dass sie ein paar Augenblicke brauchte, bis sie auch wieder an ihre Kinderstube und damit ihre Pflichten aus Gastgeberin dachte. "Und nimm doch bitte wieder Platz, möchtest du vielleicht etwas trinken?"

    Es lag ihr bereits auf der Zunge, dass dieses Beispiel nicht gerade sehr glücklich gewesen war, aber dann verkniff Serrana es sich doch. Im Augenblick war sie in einer viel zu friedlichen und entspannten Stimmung, als dass sie diese durch eine ganz offenbar auch noch unnötige Eifersuchtsszene hätte kaputtmachen wollen.


    "Ja, ich denke schon." brummte sie daher nur, um nur wenige Augenblicke laut aufzulachen. "Die Nase voll? Nein, ganz sicher nicht. Dafür fühle ich mich im Moment viel zu wohl." Serrana schloss erneut die Augen und ließ ihre Gedanken einfach treiben, während sie die Frühlingssonne auf ihrem Gesicht und den unbedeckten Armen sowie die gerade erst entdeckte Nähe zu ihrem Mann genoss. "Wenn es dir unbequem wird, musst du dich melden." murmelte sie leise und schon halb im Land der Träume, dann nickte sie endgültig ein.

    Auch Serrana war froh über die Dunkelheit im Zimmer, denn die Sorge, auf Sedulus' Gesicht im besten Fall Unverständnis und im schlimmsten Ablehnung oder Verachtung lesen zu können, war so groß, dass sie die nächsten Worte kaum über die Lippen brachte.


    "Es ist nicht wirklich das Kind an sich." sagte sie schließlich, und eine ihrer Hände glitt, wie so oft, hinunter zu ihrem Bauch, während die andere weiterhin auf Sedulus' Brust lag. "Natürlich ist es ungewohnt, bald eins zu haben, aber der Gedanke ist eigentlich ganz schön." Serrana seufzte und fuhr schließlich fort, nachdem sie ein paarmal tief ein und ausgeatmet hatte. "Ich....ich hab Angst vor der Geburt, weißt du...." So, jetzt war es heraus, und auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie Sedulus darauf reagieren würde, fühlte Serrana ein wenig Erleichterung darüber, dass sie es ihm gesagt hatte. "Ich weiß, dass sich das albern und vermutlich auch lächerlich anhört." fügte sie hastig hinzu, bevor er selbst etwas antworten konnte. "Aber meine Mutter ist damals im Kindbett gestorben, und irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass mit mir eines Tages das selbe geschehen wird."

    Im ersten Moment war Serrana sicher sich verhört zu haben. Ein Iunier hier in der Casa Germanica? Damit hätte sie ganz sicher nicht gerechnet, schließlich war der Großteil ihrer Familie längst tot. Ein weiter Iunier hier in Rom? Eigentlich zu schön, um wahr zu sein, schließlich hatte Serrana ihre Verwandten Brutus, Merula und Silanus nur sehr flüchtig kennenlernen können, bevor sie wieder abgereist. waren. Ansonsten gab es da nur noch Axilla, aber das gegenwärtige Verhältnis der beiden Cousinen konnte man selbst mit gutem Willen nicht als familiär oder gar freundschaftlich bezeichnen. Ob es jetzt wohl endlich die Möglichkeit gab, einen Verwandten wirklich kennenzulernen? Allein die Vorstellung freute Serrana schon sehr, aber leider bestand ja auch noch die Gefahr, dass es wieder bei einem einmaligen Besuch bleiben würde wie bei dem seltsamen Lucullus, der Anfang des Jahres kurz aufgetaucht war, sich Geld geliehen hatte und sich dann nie wieder hatte blicken lassen.
    Mit all diesen Gedanken im Kopf betrat Serrana das Atrium und ihr Blick blieb an dem dunkelhaarigen jungen Mann hängen, der dort offenbar auf sie wartete.


    "Aulus Iunius Seneca?" Salve, ich bin Iunia Serrana." begrüßte sie ihn mit einem etwas zaghaften Lächeln und machte dann einige Schritte auf seinen Sessel zu.