Beiträge von Iunia Serrana

    Bereits seit einigen Minuten stand sie jetzt vor der Porta, hatte mehrfach den Sitz ihrer Frisur, ihrer Palla und sogar ihrer Sandalen überprüft, um sicherzugehen, dass alles akkurat an Ort und Stelle saß und in keinster Weise irgendein Auge an diesem geheiligten Ort beleidigen konnte.
    Allein der Gedanke, in wenigen Augenblicken vielleicht das Atrium Vestae zu betreten, machte Serrana schon mehr als nervös. Unter normalen Umständen hätte sie sich das vermutlich niemals getraut, aber normal waren die Umstände zur Zeit beim besten Willen nicht.
    Zum einen hatte sie Calvena versprochen, ihre gemeinsame Freundin Claudia Romana nach der übereilten Abreise der Germanica und ihres Mannes zu besuchen und ihr alles zu erklären. Und dann war da ja auch noch diese andere Sache...
    Bislang war es ihr halbwegs geglückt, jeden Gedanken an dieses Thema so weit wie möglich wegzuschieben, doch mittlerweile hatte die seit einigen Tagen stets in ihr präsente Angst ein Ausmaß angenommen, dass Serrana das Gefühl hatte, daran ersticken zu müssen. Es half alles nichts, sie würde mit jemandem darüber sprechen müssen, wenn sie nicht verrückt werden wollte. Sedulus kam in diesem speziellen Fall natürlich nicht in Frage, Calvena und Septima waren weit weg, und vor ihrer Cousine Axilla wollte sie sich diese Blöße auf keinen Fall geben, auch wenn die ihr Problem aufgrund eigener Erfahrungen vielleicht sogar am ehesten würde nachvollziehen können. Aber glücklicherweise war da ja noch Romana, die Serrana immer schon wie ein Fels in der Brandung erschienen war. Und vielleicht, ja, vielleicht würde ein wenig von deren beneidenswerter äußerer und vor allem innerer Sicherheit und Souveränität auch auf sie abfärben.
    Ein letztes unruhiges Zupfen an ihrer Kleidung, dann raffte Serrana sich endgültig auf und klopfte an die Tür. Mehr als wegschicken konnte man sie ja nicht.

    Natürlich gehörte es zum guten Ton, der Ehefrau des Gastgebers ein paar Nettigkeiten zu sagen, trotzdem freute sich Serrana über das Kompliment des Decimers und erwiderte sein Lächeln. Als Juwel hatte sie nun wirklich noch nie jemand bezeichnet...Und auch das Lob ihres Ehemanns ging ihr runter wie Öl und ließ Serrana gleich viel selbstbewusster auftreten.


    "Du erweist mir zuviel der Ehre, Decimus Verus. Aber sag mir: wie geht es deinem kleinen Hund? Ich hoffe, er ist immer noch bei dir." sagte sie an Verus gewandt, nachdem sie Sedulus ganz leicht mit dem Finger über den Unterarm gestrichen hatte. Dann machte sie es sich bequem und beschloss, das Gespräch fürs erste den Männern zu überlassen, schließlich ging es allmählich in Richtung Politik.

    "Verheiratet?" Serrana brauchte einen Moment, um dem Gedankengang ihrer Cousine zu folgen, dann schüttelte sie den Kopf.
    "Nein, das meine ich nicht, die beiden sind wirklich weg, also weg aus Rom. Septima ist mit ihrem Mann nach Mantua gegangen, Aurelius Ursus ist ja jetzt Legat der Legio I. Und Calvena und Valerian sind auf dem Weg nach Mogontiacum. Stell dir vor, er ist völlig überraschend zur Legio II versetzt worden, und das wahrscheinlich nur, weil er sich auf unserer Hochzeit mit Vescularius Salinator angelegt hat." Bislang war Serranas Einstellung zum Praefectus Urbi weitgehend neutral gewesen, zumal sie sich nie allzu sehr für Politik interessiert hatte. Aber den zumindest zeitweiligen Verlust ihrer besten Freundin nahm sie ihm schon sehr übel, zumal der Grund dafür vermutlich nichts anderes als gekränkte Eitelkeit gewesen war.
    Allzulang konnte sie diesem betrüblichen Gedanken jedoch nicht nachgehen, denn Axilla ließ sich Serranas zugegebenermaßen recht stümperhaften Bemühungen zum Trotz nicht von ihrem Anliegen ablenken. Seufzend ließ sie sich wieder zurück auf die Bank sinken, von der sie sich bereits halb erhoben hatte und der verwirrte Ausdruck blieb noch eine ganze Weile auf ihrem Gesicht, bis er sich schließlich zunächst in ungläubiges Erstaunen wandelte.


    "Willst du damit vorschlagen, dass unser Sohn ein Iunius werden soll und kein Germanicus? Ich würde wirklich gern etwas für meinen Vater tun, aber Quintus hat selbst noch keinen Sohn, wie stellst du dir das denn vor?" Bei dem Gedanken, dass sie selbst diesen noch imaginären Sohn zur Welt würde bringen müssen, wurde Serrana direkt wieder flau im Magen und sie trank schnell noch einen Schluck Wein, bevor sie sich von einer Sklavin nachschenken ließ. Keine Panik, versuchte sie sich selbst wieder zu beruhigen, sie hat IRGENDWANN gesagt. Nicht heute und nicht morgen und nicht einigen Monaten sondern irgendwannmal...


    "Warum fragst du mich das überhaupt?" gab sie den Ball dann mit leicht zittriger Stimme zurück. "Wirst du das denn auch so machen? Du hast doch schließlich auch keinen Bruder... Was sagt Archias denn dazu?"

    "Meinst du wirklich. Irgendwie kann ich mir das noch nicht so richtig vorstellen...Ich hab mich noch nie wirklich wichtig gefühlt, aber vielleicht lerne ich das ja jetzt." Aus Serranas Seufzer war der Zweifel deutlich herauszuhören, aber dann kam ihr ein Gedanke, der sie direkt wieder aufheiterte. "Weißt du, was mir gerade auffällt? Das ich jetzt einen Ehemann habe, der politisch gesehen wichtiger ist als Großmutters Männer zusammen. Das muss ich ihr bei Zeiten wirklich mal unter die Nase reiben. Spätestens, wenn sie wieder irgendetwas an mir auszusetzen hat..."
    Diese Erkenntnis in Kombination mit der Tatsache, dass Sedulus tatsächlich mit ihr einen weiteren Besuch im Tempel angehen wollte, trugen noch zusätzlich zu Serranas guter Laune bei, die an diesem ersten Morgen ihrer Ehe ohnehin vermutlich kaum zu trüben war.
    Und sie tröstete sie auch ein wenig darüber hinweg, dass Sedulus die lauschige Bibliothek direkt schon wieder verlassen wollte. Dabei hatten sie doch noch gar nicht richtig angefangen!
    Ob sich in diesem Haus noch ein ähnlich reizvoller Raum finden ließ?


    "Hm, ich weiß nicht. Gibt es hier noch mehr Zimmer mit Schriftrollen?"

    Ja, Serrana betrachtete die bevorstehende Reise nach Germanien tatsächlich mit einer gehörigen Portion Naivität, was jedoch nicht unerheblich zum Erhalt ihres Seelenfriedens beitrug, der dieser Tage bereits spürbar ins Wackeln geraten war. Dabei spielte zum einen der Umstand eine Rolle, dass sie, was längere Fahrten anging, gänzlich unerfahren war und daher nicht annähernd realistisch einschätzen konnte, was in den nächsten Wochen auf sie zukommen würde. Aber selbst wenn sie es geahnt hätte, hätte sie das vermutlich nicht wirklich abgehalten. Schließlich war diese Reise Sedulus' Wunsch, und Serrana, immer noch im Rausch der ersten großen und bedingungslosen Liebe, war zur Zeit derartig in ihren Mann verknallt, dass sie auch zu Fuß Richtung Alpen laufen würde, wenn er so etwas von ihr verlangen würde.
    Das ihr auf diese Weise ein möglicher Unterricht durch den griechischen Sklaven entgehen würde, war natürlich schade, aber vielleicht ließ sich der ja später, nach ihrer Rückkehr, noch nachholen.


    Serrana nickte, als Axilla von den beruflichen Verpflichtungen ihres Mannes berichtete und gleich noch ein zweites Mal, als die Sprache auf ihre neugewonnenen Freundschaften kam, diesmal jedoch mit deutlich unglücklicherem Gesichtsausdruck.
    "Ja, das kann ich verstehen. Ich weiß gar nicht, wie ich es aushalten soll, jetzt wo Calvena weg ist und Septima auch. Wer weiß, wann die beiden wieder in Rom sein werden..." Sie biss sich auf die Unterlippe und schaffte es zu ihrer Erleichterung, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Nein, solange es sich irgendwie vermeiden ließ, würde sie sich ihrer Cousine nicht noch einmal als heulendes Elend präsentieren, das war beim letzten Mal schon demütigend genug gewesen. Mit einiger Erleichterung nahm sie daher den erneuten Themenwechsel zu Kenntnis, doch die Freude wich schnell einem Gefühl der Verwirrung. Warum fing Axilla denn jetzt von Serranas Vater an? Und was hatte das mit Sedulus zu tun?


    "Ähm nein, hatte er nicht." Ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können, schweiften Serranas Gedanken in die Vergangenheit und vor ihrem inneren Auge tauchte das blutige und bläuliche Etwas auf, das ihr Bruder hätte werden sollen, wenn es seine Geburt überlebt hätte.
    Schnell trank sie noch einen Schluck Wein. Hoffentlich ging das Gespräch ganz schnell wieder in eine andere Richtung, dieses Thema war nämlich überhaupt nicht nach ihrem Geschmack.


    "Möchtest du noch etwas Wein? Oder vielleicht eine Kleinigkeit zu essen? Ich könnte dir auch das Haus zeigen..."

    Am hellichtenTag? Einen kleinen Einblick in die intimen Aspekte des Ehelebens hatte Serrana ja bereits gewinnen können, aber das hörte sich in ihren immer noch reichlich prüden Ohren doch ein wenig gewagt und verrucht an, so dass sie auf diese Frage sicherheitshalber nicht antwortete und nur ein verlegenes Kichern hören ließ.


    Serrana schob sich noch ein bisschen näher an Sedulus heran und drückte ihr Gesicht sanft gegen seine Brust, wie sie es von Anfang an instinktiv immer wieder getan hatte, während sie ihre Arme um seine Hüften schlang. "Hm ja, daran, dass ich von jetzt auf den Straßen als erwürdige Senatorengattin herumlaufen werde, muss ich mich erst noch ein wenig gewöhnen." murmelte sie, nach wie vor an den Stoff seiner Tunika gedrückt und hob erst den Kopf, als sie das Wörtchen Tempel hörte.


    "Oh, heisst das, du möchtest nochmal mit mir in einen Tempel gehen?" fragte sie mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Hoffnung. "Wir könnten ja zum Tempel der Iuno gehen, um uns für ihren Segen zu bedanken, oder zu Diana oder...." Sedulus' Kuss schnitt ihre weiteren Überlegungen ab, sonst hätte sich Serrana vermutlich durch die komplette Götterfamilie gearbeitet. Mit diesem Thema konnte man sie immer in Begeisterung versetzen, doch dieses lauschige Beisammensein in der Bibliotheca hatte zugegebenermaßen auch seine Reize...Serrana löste ihre Arme von der Hüfte ihres Mannes und schlang sie stattdessen um seinen Hals, bevor sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellte, um ihn besser küssen zu können.

    Fasziniert und mit einer gehörigen Portion Neid stellte Serrana wieder einmal fest, mit welcher Freimut und Unbeschwertheit Septima über Dinge sprach, die ihr selbst nach wie vor die Schamesröte ins Gesicht trieben. Ob sich das bei auch ändern würde, wenn sie erst einmal verheiratet war und all diese DINGE selbst getan hatte? Im Moment konnte sie sich das eigentlich nicht vorstellen, aber vielleicht geschah ja ein Wunder.
    Serrana lauschte aufmerksam den auch weiterhin sehr anschaulichen Erklärungen ihrer Freundin und schüttelte auf deren Frage hin dann vehement den Kopf.


    "Oh, ähm nein, alles in Ordnung, ich bin nicht verwirrt." log sie einigermaßen souverän. "Und ich glaube, ich hab auch erstmal keine Fragen mehr. Aber vielleicht darf ich dich ja nochmal darauf ansprechen, wenn ich die... äh...einfachen Sachen schonmal gemacht habe."

    Seltsam, wie schnell sich manche Dinge verändern konnten. Die selben Worte, die ihr noch vor wenigen Tagen, ja, vermutlich sogar gestern noch, die Schamesröte ins Gesicht getrieben und ihr einen Heidenschreck eingejagt hätten, lösten bei Serrana jetzt ein höchst angenehmes Kribbeln und eine diffuse Vorfreude aus.


    "Naja, nachts würde ich ja ins Cubiculum zurückkommen, oder aber du kommst einfach mit mir hier rein." Serrana zwinkerte ihrem Mann zu und warf dann noch einen weiteren sehnsüchtigen Blick auf all die vollgepackten Regale, bevor sie durch den Kuss für's erste abgelenkt wurde.
    "Wenn das ein Traum ist, dann geht er hoffentlich noch eine Weile so weiter." sagte sie schließlich ein wenig ausser Atem und ausgesprochen gut gelaunt. "Und stell dir vor: Zum ersten Mal ist es völlig wurscht, ob uns jemand hier zusammen findet oder nicht. Wir haben alles Recht der Welt, gemeinsam hier zu sein, daran muss ich mich erstmal gewöhnen." Ein wirklich schöner Gedanke, auch wenn die heimlichen Treffen vor ihrer Hochzeit zugegebenermaßen auch ihren ganz besonderen Reiz gehabt hatten.

    Vitales Gesicht spiegelte bei ihrem Vorschlag aufrichtiges Interesse wieder, und Serrana ging erfreut auf seine Nachfrage ein. "Ja, er ist hier. Nach der Hochzeit hat Adula, das ist meine Leibsklavin, Rigel in der Casa Iunia abgeholt und hierhergebracht. Natürlich wird es noch eine Weile dauern, bis ich auf ihm werde reiten können. Aber das ist gar nicht so wichtig, ich muss es ohnehin noch richtig lernen." Bei der Erwähnung der Kamele war Serrana kurz überrascht, bis ihr einfiel, dass diese Tiere in Mauretanien vermutlich ein alltäglicher Anblick waren.
    "Ich hab leider noch nie ein echtes Kamel gesehen, unterscheiden die sich sehr von Pferden? In ihrem Verhalten und dem, was sie brauchen, meine ich."


    Serrana freute sich allmählich aufrichtig, dass sie diese Tür geöffnet hatte. Vitale war ein netter und offener Mensch und in der kurzen Zeit hatte sie bereits einige neue Dinge gelernt. Nur seine Bemerkung über ihre Großmutter ließ sie kurz stutzen. Germanica Laevina und höflich? Sehr höflich sogar? Ob die alte Dame eine Doppelgängerin besaß? Aber egal, jedem war es nur zu gönnen, mit dieser gut auszukommen, daher verkniff sich die Iunia lieber jeden weiteren Kommentar und beantwortete lieber Vitales Frage.


    "Nun ja, Großmutter hat sehr traditionelle Vorstellungen von dem, was eine junge Frau der Gesellschaft können und wissen sollte. Ich habe von ihr spinnen, weben und nähen gelernt, und wie man einen Haushalt führt. Naja, solche praktischen Dinge halt. Aber ich muss zugeben, dass mir all das jetzt wirklich hilft, auch wenn Großmutter vermutlich nie erwartet hätte, dass ich einmal einen Senator heiraten und in einem so großen Haus wie der Casa Germanica leben würde."

    Es dauerte eine ganze Weile, bis Serrana das Kichern wieder unter Kontrolle hatte, und das, obwohl Archias jetzt so ärgerlich dreinsah, als hätte sie ihm auf dem Markt irgendwelche Leckereien vor der Nase weggekauft. Brei war es also gewesen, allerdings änderte dieses Detail auch nicht wirklich viel an der Geschichte.


    "Hm, ich sag ja gar nicht, dass du nichts machen durftest. Ich wundere mich nur ein wenig über...äh...die Methode." Serrana starrte angestrengt ihre Füße an, um nicht erneut loszuprusten und der Laune ihres Gastgebers endgültig den Todestoß zu versetzen. "Du hättest ihm ja auch eine reinhauen können, oder was man sonst so macht als Mann. Aber darüber hätte Septima sich sicher nicht gefreut." Ja, aus der Sicht der unbeteiligten Beobachterin ließ es sich leicht und angenehm spekulieren, wie man einen baumlangen und alles andere als schwächlichen Konkurrenten in seine Schranken weisen konnte.
    Dann kam ihr ein hoffentlich aufbauender Gedanke, und Serrana knuffte den schmollenden Aelier leicht in die Seite.


    "Mit dem Prestigeobjekt hast ja vielleicht recht, aber das kann dir doch von jetzt an vollkommen wurscht sein. Schließlich heiratet Axilla dich und nicht Vala, und du bist ein Verwandter des Kaisers und er nur ein Germane." Zufrieden lächelnd sah Serrana zu ihm hinüber und stellte fest, dass er sie gerade musterte. Hatte sie noch irgendetwas übersehen oder überhört? Vielleicht wurde ihm auch nur ihr Besuch allmählich lästig, schließlich war sie unangemeldet aufgetaucht und hatte bereits deutlich mehr Zeit hier verbracht, als sie ursprünglich vorgehabt hatte.


    "Nun ähm..." ein kurzes Räuspern und Zupfen an ihrer Palla folgten, "ich denke, ich sollte mich jetzt mal wieder auf den Heimweg machen. Ich hab dich schon viel zu lange aufgehalten, du möchtest sicher noch ein wenig an deiner Wiege weiterarbeiten." Und die hatte es wahrlich nötig, wie ein weiterer Blick in Richtung des blauen Bettchens deutlich ans Licht brachte.

    Serrana sparte sich jede weitere Antwort, ergriff einfach Sedulus' Hand und zog ihn zielsicher Richtung Bibliothek. Diesen Raum hätte sie vermutlich im Schlaf wiedergefunden, und das, obwohl sie sich beim Rest des Hauses teilweise immer noch ziemlich schwer tat.
    In dem weitläufigen Zimmer angekommen, drehte sie sich erstmal im Kreis und sah sich mit leuchtenden Augen um.


    "Ich hatte schon fast vergessen, wieviele Schriftrollen ihr hier drin habt. Unglaublich! Ich glaub, wenn ich einmal angefangen habe zu lesen, dann komme ich aus diesem Raum so schnell nicht wieder raus."


    Serrana drehte sich wieder zu ihrem Mann um und drückte sich an ihn. "Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, seit wir zum letzten Mal hier drin waren, und trotzdem ist in der Zwischenzeit so viel passiert. Auf den Fontinalia hätte ich mir das jedenfalls nicht träumen lassen..."

    Ja, Sedulus irrte sich tatsächlich. Serrana langweilte sich keineswegs, aber in diesen Tagen war sie dankbar für jede Ablenkung, die sie auf andere Gedanken brachte, und darüber hinaus hielt sie es auch für ihre Pflicht, den Gast ihres Mannes zu begrüßen.
    Nachdem Quadrata ihr Bescheid gegeben hatte, hatte sie sich noch kurz zurecht gemacht und eilte dann hinunter in den Oecus.
    Während sie auf die beiden Männer zuging, schoss Serrana kurz der Gedanke durch den Kopf, dass sie gerade zum ersten Mal offiziell als Ehefrau UND Gastgeberin auftrat, was sie vermutlich ziemlich nervös gemacht hätte, wenn ihr Sedulus' Gast nicht schon seit den Fontinalia bekannt gewesen wäre.


    "Salve, Senator Vinicius, wie nett, dass du uns mit deinem Besuch ehrst." begrüßte sie zunächst den Gast und lächelte dann auch ihren Mann an. "Quadrata hat mich gerade erst informiert, Quintus. Ich hoffe, ich komme nicht zu spät."

    "Oh, das nehme ich doch an. Er wird ja auch sicher einen Vetreter
    haben."
    vermutete Serrana, die sich mit den inneren Abläufen der Schola in keinster Weise auskannte, aber auch dies nicht zugeben wollte.
    Dann kam das Gespräch auf Germanien, und ihr Körper straffte sich unwillkürlich bei dem Gedanken an die nun bald bevorstehende Reise ins Unbekannte.


    "Doch, Quintus und ich werden auf jeden Fall dabei sein. Und Sabina natürlich, seine Tochter. Quintus und sein Onkel haben ihr schon vor etlichen Monaten ein eigenes Pony versprochen, und das darf sie sich dort auf dem Gestüt der Familie aussuchen." Bei dem Gedanken an die lange Fahrt wurde Serrana doch ein wenig flau im Magen und sie trank schnell noch einen Schluck Wein. "Ich in Germanien, stell dir das nur mal vor! Dabei hab ich es bis jetzt gerade mal von der Campania hier her geschafft. Wahrscheinlich findest du es albern, dass ich so aufgeregt bin, aber du bist ja auch in Hispania aufgewachsen und hast jahrelang in Ägypten gelebt." Ein winziger neidischer Seitenblick und ein weiterer, deutlich größerer Schluck folgten. "Keine Ahnung, ob Großmutter auch mitkommen wird. Vor einigen Tagen ist hier nämlich ein Enkel von ihr aufgetaucht, den sie seit Jahren nicht gesehen hat." Nach dem nächsten Schluck hatte Serrana das Gefühl, dass sich von ihrem Magen ausgehend allmählich ein warmes und beruhigendes Tuch über ihre zur Zeit ziemlich überreizten Nerven legte und seufzte leise auf, bevor sie weitersprach.


    "Was ist eigentlich mit dir? Hast du vor, nochmal nach Ägypten zu reisen, oder bleibst du von jetzt an hier in Rom?"

    "Oh, du erinnerst dich ja wirklich noch." Eigentlich ja keine große Sache, doch Serranas Freude wäre vermutlich auch nicht größer gewesen, wenn Sedulus ihr in diesem Moment irgendein kostspieliges Geschenk in die Hand gedrückt hätte.


    "Nun, wenn wir Zeit genug haben, dann würde ich wirklich nochmal gern einen kleinen Blick hinein werfen." sagte sie dann und warf bereits einen sehnsüchtigen Blick in die entsprechende Richtung. Bibliotheken hatten Serrana immer schon magisch angezogen, und die in der Casa Germanica übte noch aus einem zusätzlichen Grund einen besonderen Reiz auf sie aus.

    Serrana drückte in Ermangelung weiterer Worte einfach Sedulus' Hand und versuchte ihm so eine Zuversicht zu vermitteln, die sie im Grunde selbst kaum empfand. Bislang war zwischen ihr und ihrer Stieftochter alles glimpflich verlaufen, aber wer wusste schon, ob das auch so bleiben würde.
    Bei der Aufzählung der im oberen Stockwerk noch fehlenden Räume leuchteten dann jedoch ihre Augen auf.


    "Oh, die Bibliothek....kannst du dich noch erinnern, wie wir bei den Fontinalia dort drin waren? Da hast du zum ersten Mal meine Hand genommen und ich hab vor Nervosität keinen Ton mehr rausbekommen.Wie furchtbar dumm..."

    "Ehm ja, das ist er, glaub ich." Serrana rief sich kurz Avarus' ehrfurchtsgebietende und auch ein wenig einschüchternde Erscheinung vor Augen und zuckte dann mit den Schultern. "Keine Ahnung, was er mittlerweile von mir denkt. Ich hab ihn nach der Hochzeit nur noch ab und zu beim Essen gesehen, und jetzt ist er auf dem Weg nach Germanien." Ein Umstand, der ihr persönlich nicht ganz unlieb war, denn auf diese Weise gab es einen Menschen weniger im Haus, dessen Ansprüchen sie gerecht werden musste. Tief in ihrem Innern befürchtete Serrana, dass auch Sedulus sich im Grunde herzlich wenig für die historische Bedeutung der Gens Iunia interessierte, schließlich hatte sie selbst bereits das eine oder andere Mal mit höchst mäßigem Erfolg versucht, ihm ein Gefühl dafür zu vermitteln. Das Axilla gegenüber zu erwähnen, erschien ihr dann aber doch nicht allzu klug und so schwieg sie sich zu diesem Punkt lieber aus. Der Tag, an dem ihr Mann einmal über eins der höchsten Ämter nachdenken konnte, lag zur Zeit ja auch noch in weiter Ferne, und ihr persönlich reichte es auch schon voll und ganz, die Frau eines Senators zu sein.


    Wie überaus günstig, dass es Sklaven gab, über die konnte man wenigstens sprechen, ohne allzuviel nachdenken zu müssen und auf irgendwelche Empfindlichkeiten zu achten. Dachte sie zumindest, bis Axilla mit der nächsten Bemerkung herauskam. Serrana, die bereits instinktiv den Mund geöffnet hatte, um anzukündigen, dass sie Sedulus noch fragen müsste, klappte diesen schnell wieder zu, weil sie sich ihrer Cousine gegenüber nicht als unselbständiges Hausmütterchen präsentieren wollte, auch wenn es ihr häufig ganz lieb und angenehm war, unliebsame und unbequeme Entscheidungen anderen Leuten zu überlassen. Aber wer gab das schon gern zu.


    "Oh, äh, nein....natürlich nicht." sagte sie schnell und schüttelte den Kopf."Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Quintus etwas dagegen hätte, wobei..." Serrana warf einen Blick zum Haus hinüber und dann wieder zu Axilla. "Es kann sein, dass ein Teil der Familie bald für eine Weile nach Germanien reisen wird, und es wäre dir doch sicher nicht recht, wenn dein Sklave Rom verlassen würde, oder?"

    "Mich freut es auch." Valerians Schwester machte einen sehr netten Eindruck, vielleicht lag diese Freundlichkeit ja in der Familie. Serrana lächelte ihr noch einmal zu und winkte dann verlegen in Valerians Richtung ab. "Aber nein, das ist doch selbstverständlich. Und ich hoffe auch, dass wir uns bald wiedersehen werden." Jetzt wurde es aber wirklich Zeit zu gehen, denn schon drängten ihr wieder mit Gewalt die Tränen in die Augen. Daher ließ sich Serrana gern von Calvena Richtung Porta ziehen und hielt ihre Freundin dort in der Umarmung ganz besonders fest, als könnte sie auf diese Weise deren baldige Abreise noch ein kleines wenig herauszögern.


    "Mach dir keine Gedanken, ich werde mit Romana sprechen und es ihr erklären. Sie wird sicher verstehen, dass du bei einer so abrupten Abreise nicht mehr genug Zeit hattest, sie zu besuchen." Serrana rang sich ein bemüht fröhliches Lächeln ab, doch Calvenas nächste Bemerkung erwischte sie dann doch wie ein kalter Regenguss, und wenn sie wirklich bereits blass gewesen war, so trieb diese kleine harmlose Frage auch noch die letzte Farbe aus ihrem Gesicht.


    "Schwanger? Ich? Unsinn, wie kommst du denn nur auf so etwas?" Serranas Lachen fiel noch kläglicher aus als das Lächeln wenige Augenblicke zuvor. Und so sehr es sie an diesem Morgen auch in die Casa Quintilia gezogen hatte, so sehr trieb es sie jetzt auch wieder dort weg. Hektisch zupfte sie an ihrer Palla herum und warf einen Blick auf die Straße vor ihr. "Jetzt muss ich aber wirklich gehen, und schreib mir, so schnell du kannst. Ich werd dir auch alles erzählen, was in Rom passiert. Und vielleicht kommen wir ja auch schon bald nach..." Eine letzte schnelle Umarmung, dann wandte sich Serrana um und eilte, ohne sich noch einmal umzusehen die Straße entlang. Das Laufen tat gut, es hielt so manchen unangenehmen Gedanken davon ab, sich richtig festzusetzen. Laufen, einfach nur laufen, und daheim würde sie schon etwas anderes finden, mit dem sie sich ablenken konnte.

    Serrana fuhr unwillkührlich ein Stück zurück, als Axilla derart heftig aus der Haut fuhr und ärgerte sich schon eine Sekunde später, dass sie das Thema überhaupt angesprochen hatte. Schließlich wusste sie doch mittlerweile, wie empfindlich ihre Cousine auf alles reagierte, was mit dem Namen ihrer gemeinsamen Gens zu tun hatte...
    Erschrocken warf sie einen Blick in alle Richtungen, doch in ihrer Hörweite befand sich nur Adula, die vermutlich sogar dann unbeeindruckt und gleichgültig bleiben würde, wenn der Kaiser höchstpersönlich ein Rad vor ihnen schlagen würde.


    "Oh, Quintus hat das nicht gesagt, sondern sein Onkel Avarus." beeilte sie sich, zumindest dieses Missverständnis aus der Welt zu schaffen. "Und der hat auch nicht direkt was gegen die Iunier gesagt, sondern dass Quintus mit einer Senatorentochter besser bedient wäre. Ich glaube, die Germanicer interessieren sich generell mehr für Taten als für Namen, das ist bei meiner Großmutter genauso. Und Avarus hat ja schon eine Menge erreicht in seinem Leben. Trotzdem hab ich mich damals auch sehr geärgert." Komisch, dass die Erinnerung an das Gespräch bei Calliphanas Verlobungsfeier immer noch so weh tat, und das obwohl Sedulus ihr mehrfach versichert hatte, dass der politische Einfluss ihrer Familie unwichtig für ihn war. Serranas Stimme wurde jetzt ein wenig leiser. "Stell dir vor, Avarus hat auch gesagt, dass ich das alles durch viele Kinder wieder ausgleichen kann, aber ich bin doch keine Legehenne..."Nein, das war eindeutig das falsche Gesprächsthema, wie der sich wieder einmal in ihrem Magen zusammenballende Klumpen Angst deutlich zeigte. Schlimm genug, dass ihr seit Calvenas Abreise nach Germanien ständig ein höchst unangenehmer Gedanke durch den Kopf ging. Dann doch lieber eine entspannende Unterhaltung über Sklaven, die bot auch nicht so viele Stolperfallen...
    Serrana warf einen Blick auf den Weinkelch in Axillas Hand und ließ sich dann kurzerhand einen eigenen geben. Eigentlich war es ja noch ein wenig früh für Wein, aber der hatte bislang immer so eine herrlich entspannende Wirkung auf sie gehabt, und die konnte sie jetzt gut brauchen. Sie trank einen großen Schluck und versuchte, sich wieder auf das Thema zu konzentrieren.


    "Du würdest uns den Sklaven ausleihen? Oh, das ist aber eine nette Idee, vielleicht könnte ich von ihm ein wenig Griechisch lernen, ich spreche nämlich nur ein paar Brocken. Was sagt denn dein Mann dazu, der Sklave gehört doch ihm, oder?"

    Im Durchschauen von Maskeraden und Heraushören von feinen Nuancen hatte es Serrana bislang noch nicht allzu weit gebracht, und so kam sie auch jetzt nicht auf die Idee, Axillas Bemerkungen zu ihrem neuen Leben irgendwie zu hinterfragen. Und warum auch, schließlich hatte ihre Cousine doch eine unglaubliche Partie gemacht, für die Laevina vermutlich sogar gemordet hätte... Und so sehr die in ihren moralischen Vorstellungen doch recht festgefahrene Serrana auch nach wie vor mit der etwas ungewöhnlichen Vorgeschichte zu kämpfen hatte, so war es selbst ihr spätestens nach dem Heiratsantrag beim Wagenrennen klar geworden, dass Axilla und Archias einander ernsthaft zugetan waren.


    "Ja, das kann ich mir vorstellen." Sie selbst war schon bei ihrem kurzem Besuch vor ihrer Hochzeit wie erschlagen von den unglaublichen Ausmaßen des kaiserlichen Palastes gewesen, und allein die Praetorianer vor dem Eingang hatten ihr schon mehr als genug Respekt eingeflößt. "Ich finde mich selbst in diesem Haus kaum zurecht, und das obwohl Quintus sich soviel Mühe gegeben hat und mich überall herumgeführt hat. Aber stell dir nur vor, dank dir ist unsere Familie jetzt mit der des Kaisers verwandt, das ist doch unglaublich! Und dabei hat Quintus' Onkel vor der Hochzeit noch zu mir gesagt, dass ich nicht gut genug für ihn bin, ha!" Mit einem zufriedenen Lächeln, das auch ein nicht geringes Maß an Stolz und Genugtuung widerspiegelte, sah Serrana ihre Cousine an; dass sie selbst herzlich wenig zu diesem gesellschaftlichen Quantensprung ihrer Gens beigetragen hatte, war ihr in diesem Augenblick egal.
    Inzwischen war der Sklave mit einem Tablett voller Getränke zurückgekommen und stellte dieses auf dem kleinen Tisch neben der Steinbank ab. "Was darf ich dir anbieten? Wein, Wasser oder etwas Saft vielleicht?" schaffte es Serrana gerade noch zu sagen, bevor Axilla auf den offensichtlichen Grund ihres Besuchs zu sprechen kam. "Der Grieche?" fragte sie für einen Augenblick etwas verwirrt, da diese Geschichte doch schon eine ganze Weile zurück lag, dann erhellten sich ihre Gesichtszüge wieder. "Ach der, die Sache hatte ich schon fast wieder vergessen. An dem Tag ist nämlich Sedulus' Tochter auf dem Sklavenmarkt verschwunden, und wir haben ewig nach ihr gesucht. Naja, eigentlich ist sie auch der Grund, warum wir diesen Sklaven ersteigern wollten. Er machte ja einen sehr gebildeteten Eindruck, und Sabina ist mittlerweile alt genug für Unterricht. Und da zur Zeit noch ein anderer Verwandter in ihrem Alter hier in der Casa Germanica lebt, haben wir gedacht, es würde sich lohnen, einen Hauslehrer zu erwerben. Wie macht sich der Grieche denn bei euch?"

    Sedulus war nicht der einzige mit einem flauen Gefühl im Magen, denn auch bei Serrana wurde diese Empfindung jetzt zunehmend stärker und die Versuchung, sich einfach irgendwie aus dieser Aufgabe herauszustehlen, war doch recht groß. Aber das kam nicht in Frage, schließlich hatte sie schon lange vor ihrer Hochzeit gewusst, dass ihr Ehemann bereits ein Kind hatte, das sie nicht einfach ignorieren konnte und wollte.


    "Es wird schon irgendwie gehen." sagte sie, sich selbst Mut zusprechend. "Dass Sabina noch um ihre Mutter trauert, ist schließlich normal. Bei mir hat es damals auch sehr lange gedauert." Dass ihre Großmutter nicht mehr Elan in die Aufgabe steckte, aus Sabina ein vorbildliches Mitglied der römischen Gesellschaft zu machen, überraschte Serrana ein wenig. Aber vermutlich fühlte sich die alte Germanica in diesem Fall nicht so verantwortlich wie bei ihr damals, als Laevinas Tochter und Serranas Mutter gestorben war.


    "Gibt es hier oben noch irgendetwas interessantes zu sehen, oder sollen wir jetzt ein Stockwerk tiefer gehen?"