Serranas Augen verengten sich leicht, als Axila sich so nah vor ihr aufbaute, aber sie zuckte nicht zurück, denn dafür war sie zur Zeit viel zu wütend. Natürlich besaß ihre Cousine als die Ältere gewisse Rechte und in vielen Dingen auch den Vortritt, aber deshalb musste sie noch lange nicht so beleidigend werden!
Sie kam gar nicht dazu, diesen Punkt irgendwie zur Sprache zu bringen, denn Axilla sprach einfach weiter und gab tatsächlich zu, Fehler begangen zu haben! Serrana blinzelte überrascht, denn bei ihrem Gespräch im Garten vor einiger Zeit war ihre Cousine davon noch weit entfernt gewesen, oder zumindest hatte es auf sie diesen Eindruck gemacht. Wirkliche Genugtuung wollte sich bei Serrana jedoch nicht einstellen, zumal eine weitere Bemerkung im Wortschwall ihrer Cousine bei ihr sofort ein ungutes Gefühl auslöste. „Was meinst du damit, dass es besser wäre es sofort zu beenden? Und dass du es schon versucht hast?“ fragte sie mit immer stärker werdender Besorgnis. Noch hoffte sie, mit ihrer Vermutung falsch zu liegen, aber bei Axilla konnte man offenbar nie wirklich wissen, wie diese dachte und auf bestimmte Dinge reagierte. In dieser Hinsicht waren die beiden Mädchen ganz offensichtlich grundverschieden.
Viel Zeit darüber nachzudenken blieb Serrana ohnehin nicht, denn schon wechselte Axilla wieder das Thema, und erneut prasselten die Vorwürfe auf sie selbst nieder. Wieder kam die Sprache darauf, dass sie vergessen hatte Merula und Brutus einzuladen, und Serrana schämte sich über diesen durchaus gerechtfertigten Vorwurf so unendlich, dass Axillas Bemerkung über die beiden vermeintlichen Idioten, und vor allem wer damit gemeint war, völlig an ihr vorbeirauschte; ein Umstand, der für den weiteren Verlauf dieses Gesprächs nicht ganz unerheblich war.
Erst als ihre Cousine schon auf halbem Weg zur Tür war und Serrana die Wörter „perfekt“ und „fehlerfrei“ aufschnappte, sah sie ruckartig wieder hoch und sah Axilla fassungslos hinterher.
„Axilla, warte bitte!“ Ohne es überhaupt zu merken, war sie jetzt auch aufgestanden und ging um den Webstuhl herum einige Schritte auf ihre Cousine zu. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich für perfekt halte, oder?“ fragte sie immer noch ungläubig und schüttelte den Kopf. „Ich bin alles andere als perfekt, und das weiß ich auch nur zu genau! Mein ganzes Leben lang hab ich vor irgendetwas Angst gehabt, weil ich mich immer schon zu dumm oder unfähig gefühlt habe.“ Bei der Erinnerung an die demütigenden Auswirkungen, die Serranas chronische Minderwertigkeitsgefühle über all die Jahre mit sich gebracht hatten, stiegen ihr nun mit aller Macht die Tränen in die Augen, aber sie machte sich nicht die Mühe diese zurückzuhalten. „Und wenn du es genau wissen willst: ich habe entsetzliche Angst vor dieser Hochzeit, und allein schon bei der Vorstellung, mit wie vielen wichtigen Menschen ich an diesem Tag werde reden müssen, wird mir schon ganz schlecht. Alles, was mich dabei aufrecht hält und mich davon abhält schreiend davon zu rennen , ist, dass ich danach endlich mit Sedulus zusammen sein kann, und dass ich ihn nicht vor ganz Rom blamieren will.“ Serrana spürte genau, dass sie sich Axilla mit diesen Worten ein ganzes stückweit auslieferte, aber das war ihr in diesem Moment egal. Eigentlich konnte es ihr ja herzlich egal sein, was für ein Bild ihre Cousine von ihr hatte, aber komischerweise war es das aller Streitereien zum Trotz ganz und gar nicht. „Und ja, Sedulus ist in meinen Augen perfekt! Nicht, weil er keine Fehler hat, die hat er wie jeder andere Mensch ganz sicher. Aber er liebt mich so wie ich bin, mit allen Schwächen, die ich habe, und ich weiß, dass ich so etwas ganz sicher nicht noch einmal finden werde!“ Serrana schniefte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie mit hängenden Schultern einfach mitten im Cubiculum stehen blieb. „Und ich fürchte, mit der Größe der Casa hast du recht.“ fuhr sie leise fort. „Ich war wohl so damit beschäftig, bei den Einladungen alles richtig zu machen, dass ich darüber nicht richtig nachgedacht habe. Du siehst also: von Perfektion kann überhaupt keine Rede sein, denn offenbar bin ich nicht mal dazu in der Lage, meine eigene Hochzeit halbwegs vernünftig zu planen.“ Plötzlich fühlte sie sich wie eine aufgepumpte Blase, aus der nach und nach alle Luft entwich und eine leere und nutzlose Hülle zurückließ. Mit ein paar unsicheren Schritten ging Serrana zu dem Stuhl hinüber, aus dem Axilla aufgestanden war, ließ sich darauf nieder und vergrub den Kopf in beiden Händen. Sollte ihre Cousine ihr ruhig weitere Vorwürfe machen, viel elender als jetzt konnte sie sich danach auch nicht mehr fühlen.