Beiträge von Iunia Serrana

    "Es tut mir wirklich leid, dass der Kaiser so krank ist." sagte Serrana mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. Komisch, dass auch weit über den übrigen Menschen stehende Persönlichkeiten früher oder später von den Schwächen ihres eigenen Körpers eingeholt wurden. Eigentlich sollte man doch annehmen, dass sie in dieser Hinsicht die besondere Gunst der Götter besaßen...


    "Vielleicht bekomme ich ihn ja auch irgendwann mal zu Gesicht, das wäre schön." überlegte sie laut, konnte sich auf Anhieb jedoch keine Gelegenheit vorstellen, bei der sich eine unwichtige kleine Priesterschülerin aus der Campania und der Kaiser des Römischen Reiches über den Weg laufen könnten. Aber man wusste ja schließlich nie, und ausserdem war das ja auch schon anderen gelungen.
    "Weißt du, meine Großmutter behauptet, sie habe vor Jahren mit eigenen Augen Kaiser Vespasian und seinen Sohn Titus gesehen, während dessen Triumphzug anlässlich der Beendigung des Jüdischen Krieges. Natürlich ist das schon so lange her, dass das keiner mehr überprüfen kann, aber irgendwie glaube ich, dass diese Geschichte wirklich wahr ist."


    So dunkel es auch in den Gassen war, durch die sie gerade liefen, war sich Serrana doch sicher einen kurzen Ausdruck von Missbilligung auf Valerians Gesicht zu sehen, als sie ihm von ihrer Flucht nach Rom berichtete. Kein Wunder, hätte man ihr diese Geschichte erzählt, wäre sie vermutlich auch schockiert gewesen.


    "Ehrlich gesagt hoffe ich, dass so schnell niemand mehr eine Ehe für mich arrangieren wird. Zur Zeit lebe ich ja ganz allein in der Casa Iunia, meine iunischen Verwandten leben alle furchtbar weit entfernt in Ägypten und Germanien. Und irgend ein Aussenstehender käme sicher nicht auf die Idee, schließlich bin ich ja keine besonders gute Partie." Die letzten Worte kamen ohne besondere Bitterkeit, denn Serrana war allemal lieber eine ledige Frau ohne Geld als die wohlhabende Gattin des widerlichen Gnaeus Balbus in Nola.


    "Wolltest du bislang eigentlich noch nie heiraten? Bevor du Calvena kennengelernt hast, meine ich?" Die Frage war so schnell rausgerutscht, dass es Serrana nicht mehr gelang, sie wieder zurückzunehmen oder so umzuformulieren, dass sie nicht mehr ganz so persönlich klang. Aber insgeheim war sie auch sehr gespannt auf die Antwort, denn Valerian war ja schließlich schon ein paar Jahre älter als Calvena und sie selbst.

    Es blieb ihr nicht allzuviel Zeit, über Cornelius Sisenna und dessen literarisches Schaffen nachzudenken, denn als sich Sedulus' Lippen plötzlich nicht mehr nur auf ihren Mund sondern auch auf ihrem Nacken wiederfanden, da rückte der Bundesgenossenkrieg für Serrana in derart weite Ferne, als hätte er niemals stattgefunden.
    Ihr entfuhr ein kleines unfreiwilliges Seufzen, und sie hatte doch einige Schwierigkeiten, diese neue körperliche Empfindung richtig einzuordnen.


    Mit Küssen, ganz gleich ob es nun vorsichtige und zärtliche oder auch etwas leidenschaftlichere waren, kannte Serrana sich mittlerweile ja ein bisschen aus und sie hatte große Freude daran. Aber das hier war noch anders und löste Empfindungen in ihrem Körper aus, von denen sie bislang nicht mal gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab.


    Ganz leicht und liebevoll fuhr Serrana mit dem Finger über seine Wange und blickte dann ein wenig unschlüssig zwischen Sedulus und der Tür hin und her. "Mö...möchtest du, dass ich sie abschließe?" fragte sie dann ein wenig zittrig und sah zum ihm hoch.

    Serrana gingen in diesem Augenblick alle möglichen Gedanken durch den Kopf, aber eine Schriftrolle war ganz sicher nicht dabei.
    Reichlich widerwillig löste sie sich wieder von ihm und sah Sedulus einen Moment lang verwirrt an, doch die Erwähnung seines gestrengen Onkels Avarus erfüllte ihren Zweck und wirkte dann doch ein wenig ernüchternd.


    "Oh, ähm, ja..., natürlich." murmelte sie ein wenig verlegen und sah sich dann suchend in dem kleinen Raum um. "Leg sie doch einfach dort auf den Tisch, da kann ihr nichts passieren." Ihr Blick glitt wieder zurück zu der Rolle in seiner Hand und ihre Augen blitzten neugierig auf. "Ist das die Abhandlung von Cornelius Sisenna? Oder hast du etwas anderes mitgebracht?"

    "Sabina, wenn du magst, kannst du die Tiere ruhig alle anfassen und sie dir ein bisschen genauer anschauen. Sie sind zwar klein, aber sie halten eine ganze Menge aus. Ich hab die Ziege hier mal versehentlich im Balneum liegen lassen, und meine Großmutter ist mit nackten Füßen draufgetreten. Sie hatte danach ein kleines Loch im Fuß, aber der Ziege ist nichts passiert." Serrana unterdrückte bei der Erinnerung an diese lang vergangene Episode nur mit Mühe ein Kichern, auch wenn sie damals eine Heidenangst vor der wie ein Rohrspatz schimpfenden Laevina gehabt hatte und nur mit Mühe die Ziege aus dem Herdfeuer in der Küche hatte retten können.
    Die Vorstelllung von einem schnitzenden Sedulus hatte natürlich auch was, und ihr Lächeln verbreitete sich endgültig, als sie sich ihren Verlobten mit einem Stück Holz und einem Messer im Garten sitzend vorstellte.


    "Ja, vermutlich hast du Recht." antwortete sie dann nachdenklich. So traurig das auch war, Serrana konnnte sich nicht mehr bewusst daran erinnern, womit ihr Vater den Lebensunterhalt für seine kleine Familie verdient hatte. Und in späteren Zeiten hatte sie von ihren Großeltern auf entsprechende Fragen hin immer nur die Antwort "Tunichtgut" erhalten.


    "Ich glaube, mein Vater hat immer davon geträumt zur Armee zu gehen. Aber das ging erst nachdem...." Serrana sah Sabina an und stockte. Nein, dieses Thema sollten sie am heutigen Tag wohl lieber aussparen.

    Als Paar? Ja, das stimmte wohl, auch wenn Serrana nach wie vor manchmal Schwierigkeiten damit hatte, das in seiner ganzen Konsequenz zu realisieren. Aber im Grunde war ihr das in diesem Moment auch alles ganz gleichgültig. Alles was zählte, war dass sie jetzt endlich wieder allein miteinander sein konnten, ja sogar durften, und Serrana hatte nicht die geringste Lust, auch nur eine Minute dieser kostbaren Zeit zu verschwenden. Sedulus brauchte sie kaum zu ziehen, wie von selbst glitt sie in seine Arme, zog seinen Kopf ein wenig zu sich hinunter und erwiderte mit für sie noch recht ungewohnter Zielstrebigkeit seinen Kuss. War das letzte Mal wirklich bei ihrem gemeinsamen Spaziergang an der Naumachia gewesen? Das war ja schon endlos lange her!

    Serrana hob nicht den Kopf, um Axilla nachzusehen und nahm nur noch aus den Augenwinkeln wahr, wie diese den Garten verließ und wieder ins Haus zurückkehrte. Ob sie sie überhaupt hätte aufhalten können, wenn sie es versucht hätte? Vermutlich nicht, aber sie spürte auch nicht das geringste Bedürfnis es zu versuchen. Serrana hatte keine Lust mehr, über Axilla, deren Kind oder geheimnisvollen Liebhaber nachzudenken, alles was sie im Moment fühlte war Einsamkeit und die ernüchternde Erkenntnis, dass sie sich in ihrer naiven Sehnsucht nach einer intakten und halbwegs harmonischen Familie völlig überzogene Hoffnungen und Illusionen in bezug auf ihre iunischen Verwandten gemacht hatte. Blutsverwandtschaft war kein Garant für Vertrautheit oder gegenseitiges Verständnis, diese späte Erkenntnis war zwar schmerzhaft, aber irgendwie war sie für Serrana auch ganz heilsam. Vielleicht würde später einmal ein geeigneter Zeitpunkt kommen, um sich mit Axilla auszusprechen, doch im Moment schienen auf beiden Seiten die Türen zugeschlagen zu sein.


    Einen Moment lang blieb sie noch sitzen, dann stand sie auf und ging ebenfalls ins Haus zurück. Sie hatte sich bereits einige Tage vor dem Weben ihrer Tunica recta für die Hochzeit gedrückt, aber damit war jetzt Schluss. Es war an der Zeit.

    Kaum war das Gespräch mit Silanus beendet und der Hausherr verabschiedet, als Serrana auch schon Sedulus' Hand ergriff und ihn hinter sich her in die Bibliothek zog. Da die beiden jetzt offiziell miteinander verlobt waren, hätten sie sich genauso gut, wenn auch nicht in Serranas Cubiculum, so doch zumindest in jeden anderen für alle zugänglichen Raum der Casa Iunia begeben können. Aber aus irgendeinem Grund zog es sie wieder in die kleine aber gemütliche Bibliotheca.


    Serrana öffnete die Tür, ließ ihn zuerst den Raum betreten, schlüpfte hinterher und schloss sie dann wieder hinter sich.


    "Da sind wir wieder." sagte sie mit von den Aufregungen des Tages leicht geröteten Wangen und lächelte Sedulus an.

    "Ja, meinst du? Das wäre schön" sagte Serrana hoffnungsvoll und ließ die Lehne für einen Augenblick Lehne sein. "Am besten schicke ich gleich morgen einen Brief zur Villa Aurelia, um sie danach zu fragen." Bei Calvenas nächster Frage vertiefte sich ihre Röte noch ein wenig, denn selbst in Gegenwart ihrer besten Freundin fiel es der Iunia schwer, über so intime Dinge zu sprechen.


    "Ach, ich weiß nicht. Es gibt so vieles, was mich nervös macht." murmelte sie jetzt deutlich leiser, und ihre Finger gingen erneut auf dem Holz des Stuhlrahmens auf Wanderschaft. "Ich frag mich natürlich, wie es sein wird, mit einem Mann zu.....du weißt schon. Und wie ich mich am besten verhalten soll, wenn wir dort ganz allein sind, also im Cubiculum, meine ich." Götter, war ihr dieses Gespräch peinlich...Zumal sie es ja auch noch mit Calvena führte, und die war immerhin Sedulus' Nichte. Serrana sah wieder hoch und blickte ihre Freundin ein wenig neidisch an. Auch in dieser Situation wirkte die Germanica viel ruhiger und selbstbewusster als sie selbst, warum konnte sie denn nur nicht auch so sein?


    Das Thema "Brautmutter" schien ganz geeignet zu sein, um die Unterhaltung wieder in etwas unverfänglichere Bahnen zu lenken und Serrana griff es dankbar auf.


    "Ich hab auch schon darüber nachgedacht und überlegt, ob ich vielleicht Großmutter um ihre Hilfe bitten soll. Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht immer noch böse auf mich ist, aber immerhin ist sie ja die Mutter meiner Mutter, und daher würde das doch Sinn machen, findest du nicht?"

    "Du wolltest mit Valerian wirklich durchbrennen? Oh..." Serrana sah ihre Freundin mit weit aufgerissenen Augen an, war aber nicht ganz so schockiert, wie sie es vielleicht noch vor einem halben Jahr gewesen wäre.
    Heimlich durchzubrennen war natürlich furchtbar unanständig, aber wenn sie so richtig darüber nachdachte auch sehr romantisch. In ihrem Fall kam es natürlich überhaupt nicht in Frage, schließlich war Sedulus ein respektiertes Mitglied des römischen Senats und so etwas würde seinem Ansehen ungeheuer schaden.


    Bei Calvenas nächsten Worten lief Serrana übergangslos rot an, denn im Gegensatz zu ihrer Freundin machte sie das Thema eheliche Intimität nach wie vor ziemlich verlegen und sie war sich nicht ganz so sicher, ob sie sich auf den ersten gemeinsamen Moment im Cubiculum wirklich freuen sollte. "Sag mal, meinst du Septima würde auch meine Pronuba sein?" fragte sie und zog die Muster auf der Armlehne ihres Sessels nach, um Calvena nicht ansehen zu müssen. "Ich mache mir noch über ziemlich viele Dinge Gedanken, und vielleicht könnte sie mir dabei helfen." Natürlich gab es da auch noch Axilla, die ihre Cousine bereits von einem Großteil ihrer Unwissenheit auf diesem Gebiet befreit hatte. Aber das konnte Serrana kaum zugeben, ohne Axilla in Verlegenheit zu bringen und eine offizielle Pronuba würde sie ohnehin brauchen.


    Die Erwägung ihrer Freundin, ihr das Opfer bei der Heiratszeremonie zu überlassen, erfüllte sie mit Stolz und Freude, aber im Grunde ihres Herzens war Serrana ganz froh darüber, dass Durmius Verus letzten Endes den Zuschlag bekommen würde. Ein klein wenig nervös war sie bei öffentlichen Opfern nach wie vor, und in Anwesenheit von all diesen wichtigen Mitgliedern der römischen Gesellschaft würde sich das sicher noch verstärken.


    "Ja, das ist eine gute Entscheidung." kommentierte sie Calvenas Überlegung mit einem aufrichtigen Lächeln. " Er hat uns soviel beigebracht und er wird das Opfer sicher gern durchführen." Plötzlich kam Serrana noch ein Gedanke und sie runzelte die Stirn. "Du wirst auch noch jemanden brauchen, der die Rolle der Brautmutter vor der Entführung spielt. Hast du da schon eine Idee, wen du fragen willst?"

    Obwohl sie wusste, dass es sich bei der ganzen Sache nur um ein bürokratisches Versäumnis handelte, fühlte Serrana einen Stich und biss sich kurz auf die Unterlippe um sich nichts davon anmerken zu lassen. Natürlich war es Unsinn, aber für einen Moment war sie sicher, dass der Beamte jeden Moment aufstehen und sie mit den Worten "Entschuldigung, aber du bist hier überflüssig. Dein Verlobter ist bereits verheiratet." wieder aus dem Büro werfen würde. Betont desinteressiert am aktuellen Gesprächsthema sah sie sich in dem kleinen Raum um und hoffte, dass Germanica Paulina nicht mehr allzulange Gegenstand der Unterhaltung sein würde. Konnte man denn wirklich eifersüchtig auf eine Tote sein?

    Dass sie die Tür einen Spalt offen gelassen hatte, war Serrana gar nicht aufgefallen, da sie sich so sehr beeilt hatte, wieder zurück in den Oecus zu kommen. Auf Calvenas Frage hin nahm sie die Gästeliste und las halblaut all die Namen, die darauf zu finden waren. "Du liebe Güte, die Hälfte von den Leuten hier kenne ich gar nicht. Aber wenn sie nur halb so wichtig sind wie die anderen, dann wird deine Hochzeit wirklich ein gesellschaftlich beeindruckendes Ereignis."


    Gut, dass sie mittlerweile ein wenig selbstsicherer geworden war, sonst hätte sie eine solche Ansammlung von Senatoren direkt wieder nervös gemacht. Aber Serrana vergaß auch gern immer wieder, dass ihr eigener Bräutigam einer war und sie sich daher in Zukunft an die bislang noch ziemlich einschüchternde Gesellschaft seiner Kollegen und deren Frauen würde gewöhnen müssen.


    "Willst du nicht auch Arvinias Verlobten einladen? Sie würde doch sicher gern mit ihm zusammen kommen, und vielleicht sind die beiden bis dahin sogar schon verheiratet. Schließlich sind sie bereits eine ganze Weile länger verlobt als Valerian und du."

    Serrana fuhr entsetzt zurück, als Axilla sich plötzlich umdrehte und ihr wie eine Furie fast ins Gesicht sprang. Dass ihr hilfloses Gekicher nicht gut ankommen würde, hatte sie ja bereits befürchtet aber in ihrer moralischen Entrüstung war ihr gar nicht bewusst, wie selbstgerecht ihre Ansprache auf die ohnehin schon wütende Cousine wirken musste.


    Schlagartig von ihrer Heiterkeit und auch so mancher naiven Illusion befreit, rückte sie noch ein paar weitere Schritte von Axilla ab und rieb sich die schmerzende Hand. Axillas laut geschriene Worte waren ungemein verletzend, aber sie machten Serrana auch Angst.


    "Axilla, was redest du denn da?" fragte sie tonlos und alles andere als sicher, ob ihre Cousine sie in ihrer Rage überhaupt hören konnte oder wollte. "Sprich doch nicht so über die Götter, ich bitte dich. Wer weiß, wie sie reagieren werden, wenn du sie derartig beleidigst. Es muss dir doch klar sein, dass sie dir noch viel mehr antun können als ein uneheliches Kind..."


    Immer noch fassungslos beobachtete sie Axillas Wutmarsch durch den Garten und zuckte bei ihrem Schlag gegen den Holzpfeiler zusammen. Das hatte wirklich schmerzhaft ausgesehen, aber Serrana machte keine Anstalten, noch einmal zu Axilla hinüberzulaufen. Auch wenn sie es sich nicht eingestand, so hatte ihr Stolz doch gerade einen ordentlichen Schlag abbekommen und davon musste sie sich erstmal wieder erholen.
    Wieder verschränkte sie die Arme vor ihrem Körper, auch wenn die Bewegung diesmal etwas Schützendes hatte, und setzte sich zurück auf die Bank.


    "Natürlich brauchst du meine Erlaubnis nicht." sagte sie immer noch leise und spürte plötzlich nur noch Müdigkeit. "Ich war nur so dumm anzunehmen, dass meine Meinung irgendeine Bedeutung für dich hat. Aber keine Sorge. So schnell werde ich sie dir nicht wieder aufdrängen, genauso wenig wie meine Hilfe, auf die du ja offensichtlich noch weniger Wert legst." Dass sie sich jetzt vermutlich anhörte wie ein beleidigtes Kind, war Serrana herzlich egal, schließlich hatte Axilla sie gerade auch genauso abqualifiziert. "Und ich denke nicht, dass ich alles darüber weiß, ganz im Gegenteil. Aber ich weiß, dass du einen Fehler gemacht hast, und im Grunde weißt du das selbst auch."

    Na immerhin in einem Punkt waren sie mal einer Meinung...Serrana hatte Zeit ihres Lebens einen derartigen Respekt vor den Göttern gehabt, dass ihr im Nachhinein sogar ihre eigene Bemerkung fast frevelhaft erschien und sie ein wenig über die Heftigkeit ihrer Reaktion erschrocken war. Aber irgendwie schien es Axilla zu gelingen, ihre Cousine mit ihren Anmerkungen aus der Reserve zu locken, das war bei ihrem ersten wirklich persönlichen Gespräch im Dezember auch nicht anders gewesen.
    Als Axilla ihr dann auch noch den Rücken zudrehte, war Serrana kurz davor, aufzustehen und wieder ins Haus zu gehen, doch dann murmelte ihre Cousine etwas vor sich hin, und Serrana blieb mit offenem Mund sitzen.


    "Was hast du gesagt? Es ist noch da? Was ist noch da?"schoss sie eine Frage nach der anderen ab, obwohl sie im Grunde sicher war, Axillas Bemerkung richtig verstanden zu haben und es nur nicht wahrhaben wollte.


    "Du sprichst von deinem Kind, oder?" hakte sie überflüssigerweise noch einmal nach, und spürte zu ihrem eigenen Entsetzen weder Erleichterung und Freude noch Empörung und moralische Entrüstung angesichts dieser Enthüllung sondern nur einen schier übermenschlichen Drang zu lachen. Einen kurzen Moment lang gelang es ihr noch sich zu beherrschen, aber dann konnte sie gegen das hysterische Kichern nichts mehr unternehmen und es brach einfach aus ihr heraus.


    Was für eine absurde Situation! Axilla war bei dem Versuch, ihre ungewollte Schwangerschaft zu beenden, nur um Haaresbreite einem elenden Tod entgangen und war nach wie vor nicht völlig wiederhergestellt und sie selbst litt seit jener Nacht unter Albträumen und Angstzuständen. Aber das Kind ihrer Cousine lebte immer noch...


    "Bitte glaub nicht, dass ich mich über dich lustig machen will, aber die Überraschung ist dir wirklich gelungen" stieß sie während zweier nur schlecht unterdrückter Kiekser hervor und beruhigte sich nur ganz allmählich wieder. "Aber ein deutlicheres Zeichen kannst du kaum erwarten. Dein Kind hängt ganz offensichtlich an seinem Leben, sonst hätte es diese Nacht bestimmt nicht überstanden. Und wenn es wirklich so zäh ist, wie es den Anschein hat, dann hat Fortuna vielleicht noch großes mit ihm vor."


    Serrana wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, ging die paar Schritte zu ihrer Cousine hinüber, die immer noch wie ein Häufchen Elend auf der selben Stelle stand und legte ihr sanft von hinten die Hand auf die Schulter. "Axilla, ich kann deine Handlungsweise beim besten Willen weder verstehen noch gutheissen, aber ich werde dir helfen, das versprech ich dir. Schließlich sind wir immer noch eine Familie."

    Serrana folgte dem Brautpaar gemeinsam mit den Anderen hinüber ins Triclinium und sah ein wenig traurig hinter Sedulus her, als sich dort eine Damen- und eine Herrenrunde bildeten und sie sich schon wieder von ihm trennen musste. Mit einem kleinen Seufzer ließ sie sich auf einer der Klinen nieder und wollte gerade nach einem Weinkelch greifen, als Septima sie ansprach. Deren Frage war natürlich absehbar gewesen, denn schließlich hatte ausser Calvena ja noch keine ihrer Freundinnen etwas von ihrem Liebesglück geahnt.


    "Eigentlich schon seit den Fontinalia." erwiderte sie dann mit vor Verlegenheit rosigen Wangen und warf einen kurzen verliebten Blick hinüber zu der Herrenrunde. "Ich weiß auch nicht, wie es dazu gekommen ist, es ist einfach irgendwie passiert." Was für ein ungewohntes und wunderschönes Gefühl, sich den anderen gegen über nicht mehr verstellen zu müssen. Ein glückliches Strahlen breitete sich auf Serranas Gesicht aus, das jedoch in dem Moment einfror, als sie Romanas Ausdruck sah. Was war denn nur mit der Vestalin los? Die sah sie ja mit einem Blick an, der sogar einer extrem schlecht gelaunten Großmutter Laevina alle Ehre gemacht hätte. Serrana schluckte kurz und sah dann verwirrt erst Romana, dann Calvena und Septima an. Hatte sie vielleicht irgendetwas falsches gesagt?


    "Ähm ja, Romana, ich bin verliebt. Sehr sogar. Und Sedulus und ich werden bald heiraten, ist das nicht wundervoll?" Sicherlich hatte sie den Gesichtsausdruck der Vestalin nur missverstanden, oder diese hatte sich vielleicht Gedanken um die Tugend ihrer unverheirateten Freundin gemacht. Wenn sie jetzt von der geplanten Hochzeit hörte, würde sie sicher nicht mehr so misstrauisch und ärgerlich schauen.

    Das mit der langweiligen Lektüre hörte sich nach einem guten Tipp an, und Serrana nahm sich vor, sich eine lange und knochentrockene juristische Abhandlung aus der Bibliothek zu holen bevor sie an diesem Abend zu Bett ging.


    Mit den Worten "Ich beile mich" flitzte sie aus dem Oecus, eilte ein paar Korridore entlang und die Treppen ins obere Stockwerk hinauf und richtete in Calvenas Zimmer ihr vom vielen Weinen und wenigen Schlafen leicht aufgequollenes Gesicht wieder ein bisschen her. Dann nahm sie die Tabula von der Kommode und rannte genauso schnell zurück, so dass sie nur wenige Minuten später ein wenig ausser Atem wieder im Oecus bei ihrer Freundin ankam.


    "Hier hast du sie." sagte sie und streckte Calvena die Gästeliste entgegen, bevor sie sich wieder hinsetzte. Dann erst fiel ihr auf, dass sie vor lauter Aufregung ganz vergessen hatte, auch nur einen kleinen Blick darauf zu werfen und versuchte daher, ein paar von den auf dem Kopf stehenden Namen aus der Ferne zu entziffern.

    Ein wenig hatte Serrana schon gehofft, dass ihre alten Spielgefährten bei Sabina Anklang finden würden, daher atmete sie erleichtert auf, als die Kleine ihr mit offensichtlichem Interesse beim Aufstellen der kleinen Figuren half.


    "Es freut mich, dass sie dir gefallen." sagte sie mit einem Lächeln zu Sabina und sah sich für einen Moment selbst umringt von all den Tieren im großelterlichen Hortus sitzen und spielen. "Weißt du, welches Tier immer mein besonderer Liebling war? Der hier." Sie nahm die Figur die Esels hoch und zeigte ihn Sabina. "Eins seiner Beine ist ein wenig zu kurz geraten, deshalb kann er nicht besonders gut stehen und fällt leicht um. Mein Vater wollte mir deshalb einen neuen machen, aber das wollte ich nicht. Ich hab einfach beschlossen, dass die dicke Kuh hier die Freundin vom Esel wird und ihm beim Laufen hilft. Siehst du?" Serrana postierte den etwas wackligen Esel neben der bombenfest stehenden Kuh, so dass er von dieser gestützt wurde und nicht mehr umfallen konnte. Dann warf sie über den Kopf des Kindes hinweg einen Blick zu Sedulus hinüber und lächelte íhn dankbar an. "Danke, dass du das sagst. Mein Vater hätte sich über dieses Lob sicher sehr gefreut. Aber ich finde diese Tiere auch nach wie vor sehr schön, es ist fast schade, dass ich mittlerweile schon zu alt bin, um noch damit zu spielen."

    Serrana sah ihre Cousine an, während diese sich aufregte und empfand zunehmend Ratlosigkeit.In den Wochen seit Axillas Ankunft in Rom hatte Serrana sich eingebildet, ihre Cousine ein wenig kennengelernt zu haben und sich ihr zunehmend verbunden gefühlt. Mit einem nicht unerheblichen Maß an Naivität war sie davon ausgegangen, dass das Vertrauen, das sie Axilla entgegenbrachte, auf Gegenseitigkeit beruhte und dass sie beide, wenn schon nicht die gleichen, dann doch immerhin ähnliche Wertvorstellungen besaßen. Dieses schön gezeichnete Bild begann jetzt jedoch nach und nach auseinanderzufallen, und Serrana hatte plötzlich das Gefühl, ihr Gegenüber gar nicht wirklich zu kennen und auch dessen Gedankengänge nicht nachvollziehen zu können.


    "Was redest du denn da nur für ein dummes Zeug?" fragte sie mit ungewohnter Heftigkeit. "Was hat denn deine Schwangerschaft mit einem Dachziegel oder einem einstürzenden Haus zu tun? Das sind schließlich Dinge, die uns Menschen einfach passieren, und auf die wir keinerlei Einfluss haben. Und das wird bei der Entstehung deines Kindes ja wohl nicht der Fall gewesen sein, oder willst du mir vielleicht erzählen, dass irgendein Gott im Schlaf über dich gekommen und ist und dieses Kind gezeugt hat?" Serrana schüttelte fassungslos den Kopf und war versucht, sich die Haare zu raufen, bevor sie weiterredete. "Wenn du nicht willst, dann brauchst du mir nicht zu erzählen, wer der Vater deines Kindes war, aber du solltest dir lieber nicht einbilden, dass ein späterer Ehemann ebenso erfreut über deine "Großzügigkeit" in diesen Belangen sein wird, wie dein sogenannter "Freund". Und ob du noch Kinder bekommen kannst oder nicht, wirst du wohl so schnell nicht erfahren, es sei denn, du hast vor, es gleich wieder darauf ankommen zu lassen." Mit verschränkten Armen und einem finsteren Seitenblick auf Axilla ließ Serrana sich wieder auf der Steinbank nieder. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal derart über einen anderen Menschen aufgeregt hatte.

    Mittlerweile schien nun auch Axilla wütend zu sein, aber Serrana war selbst so aufgebracht und voll von "heiligem Zorn", dass ihr die heftige Reaktion ihrer Cousine, die ihr normalerweise jeglichen Wind aus den Segeln genommen und sie verschreckt hätte zurückweichen lassen,in diesem Fall tatsächlich egal war.


    "Ich habe doch nie behauptet, dass du mit jedem x-beliebigen Mann schläfst." entgegnete sie ärgerlich und sah Axilla wütend an. So etwas wäre aber auch gar nicht notwendig gewesen, um Serranas strikte "schwarz-weiß-Sicht" in Tugendfragen aus der Bahn zu werfen. Für sie galt nach wie vor und unumstößlich die Formel Verlobung-Heiraten-Sex-Kinder und das Ganze selbstverständlich in genau dieser Reihenfolge. Schon Axillas ominöses Geständnis, ihre Jungfräulichkeit in Ägypten an irgendeinen mysteriösen Soldaten verloren zu haben, hatte Serranas Toleranz in diesen Dingen stark strapaziert, aber irgendwie hatte sie das noch unter jugendlicher Naivität und bösartiger Verführung auf Seiten des Mannes abhaken können. Aber das Ganze ein zweites Mal? Ob ihre Cousine in der Zwischenzeit nun mit nur einen oder auch mehreren anderen Männern geschlafen hatte, war für Serrana eigentlich fast schon egal, es war so oder so in ihren Augen einfach nur entsetzlich unanständig.


    Axillas glühende Verteidigungsrede zu Valas Gunsten war da allerdings schon etwas anderes und Serrana sah ihre Cousine überrascht an. "Wie jetzt? Vala war es gar nicht? Aber wer war es denn dann? Allmählich verstehe ich überhaupt nichts mehr..." Sie massierte sich kurz die mittlerweile schmerzenden Schläfen und sah ihre Cousine dann wieder verwirrt an. "Und was meinst du mit 'es ist jetzt sowieso egal'? Auch wenn das Kind weg ist, egal ist es bestimmt nicht, was in jener Nacht passiert ist. Was ist denn, fallls du jetzt für den Rest deinens Lebens keine Kinder mehr bekommen kannst? Sowas kann bei einer Abtreibung nämlich passieren, das habe ich vor kurzem erst gehört. Dann könnte dich dein späterer Ehemann ganz einfach wieder zurückschicken, das wäre doch schrecklich...."

    Von den vielen Fragen des Beamten ein wenig erschlagen sah Serrana einen Moment lang verwirrt zwischen den beiden Männern hin und her, riss sich dann jedoch zusammen, um auch ihren Teil zu dieser Registrierung beizutragen.


    "Ich..ähm...bin sui iuris, ich habe keinen Vormund." sagte sie dann schnell und sah wieder den Beamten an.

    Serrana begriff beim besten Willen nicht, wie Axilla derart ruhig bleiben konnte. Völlig entspannt saß sie auf der Steinbank und plauderte von ihrer Abtreibung, als hätte sie nur mal eben einen Kirschkern aus dem Fenster gespuckt. Natürlich war die Vorstellung, als unverheiratete Frau ein Kind zur Welt zu bringen, für die brave Serrana nahezu unvorstellbar, aber Axilla redete ja so unbekümmert daher, als machte ihr das Ganze rein gar nichts aus.


    "Nein, natürlich nicht einfach so." antwortete sie ärgerlich und mit wachsender Ungeduld. "Aber vielleicht hätte es ja auch ein andere Lösung gegeben, nicht so....so....radikal... Warum hast du nicht mit mir darüber geredet, gemeinsam wäre uns bestimmt etwas eingefallen."


    Serrana ließ sich wieder neben Axilla auf der Bank nieder, schüttelte den Kopf und vergrub ihn kurz in den Händen, bevor sie sich wieder aufrichtete und ihre Cousine eindringlich ansah, bevor sie weitersprach. "Nimm es mir bitte nicht übel, Axilla, aber ich begreife einfach nicht, wie du denkst. "Was heisst denn für dich, mit einem Mann befreundet zu sein? Dass man mit ihm schlafen muss? Meine Großmutter hat mal gesagt, Frauen, die solche Freundschaften mit Männern unterhalten sind Fl.... sind leichte Mädchen. Axilla, ich weiß ja, dass du das nicht bist, aber wenn du weiterhin solche Sachen machst, dann wird man dich in Rom früher oder später dafür halten." Bis zu diesem Tag hätte Serrana nie vermutet, dass sie derartige Dinge jemals einem anderen Menschen ins Gesicht sagen würde, noch dazu, wenn es sich dabei um ein liebgewonnenes Familienmitglied handelte. Aber in diesem Fall ging es einfach nicht anders, wenn sie ihrer Cousine heute nicht ins Gewissen redete, würde sie sich immer und ewig Vorwürfe machen. Mittlerweile hatte sie sich ganz schön in Rage geredet, aber Axillas Frage brachte sie dann doch aus dem Konzept und sie sah sie verwirrt an. "Wen ich meine? Wen soll ich schon meinen? Deinen Germanen natürlich, wen denn sonst? In den warst du doch vor ein paar Monaten noch unsterblich verliebt, oder etwa nicht?"