Beiträge von Iunia Serrana

    Als Sedulus seinen Onkel erwähnte, drehte sich Serrana automatisch nach Germanicus Avarus um, der im Eingangsbereich stehengeblieben war. Seine Erscheinung war schon recht ehrfurchtgebietend, zumal man ihm überhaupt nicht ansehen konnte, was für Gedanken ihm wohl gerade durch den Kopf gehen mochten. Und wer war noch mal gleich Sedulus' Schwager? Sie überlegte einen kurzen Moment, dann fiel ihr ihr wieder ein, dass seine Schwester mit dem Bruder des Kaisers verheiratet war. Und den sollte sie kennenlernen? Serrana spürte, wie sie trotz Sedulus' beruhigender Worte eine kleine Panikwelle überrollte, riss sich dann jedoch mit aller Macht zusammen. Schließlich hatte sie sich ja fest vorgenommen, nicht mehr überall und jedem gegenüber wie ein verschrecktes Kaninchen aufzutreten, und Sedulus sollte sich ihrer in Gesellschaft nicht schämen müssen.
    Sie straffte sich ein bisschen und erwiderte dann sein Lächeln.


    "Ja gern, ich hoffe, sie finden mich nicht allzu schrecklich..."

    Es dauerte einen Moment lang, bis Serrana begriffen hatte, dass Calvenas Vergleich mit ihrer Großmutter nur ein Scherz sein sollte, aber die wenigen Sekunden reichten schon, um ihr wieder einige von Laevinas beliebten "Erziehungsmethoden" ins Gedächtnis zurückzurufen.
    Die Augen der Iunia verdunkelten sich kurz, als sie sich an die endlosen Schimpfkanonaden, die scheinbar allgegenwärtige Überwachung und Kritik und auch so manche Handgreiflichkeit während ihrer Kindheit erinnerte. Am Anfang hatte sie noch versucht, sich vor Laevina zu verstecken, aber die hatte sie grundsätzlich überall wieder aufgestöbert und sie dann an den Haaren aus ihrem Versteck gezerrt. Nein, so wollte Serrana niemals mit einem Kind umgehen, lieber fiel sie tot um.


    "Mach dir in dieser Hinsicht keine Sorgen." antwortete sie mit einem Lächeln, das noch ein bisschen bemüht ausfiel. "Ich werde vielleicht furchtbar viele Fehler machen, aber ganz sicher nicht die selben wie meine Großmutter. Obwohl die vermutlich immer noch davon überzeugt ist, dass sie mich ganz wundervoll erzogen hat..."


    Da war das Thema "eigener Nachwuchs" schon deutlich angenehmer, und Serrana beschloss, sich lieber damit zu beschäftigen. Calvena wirkte einen Moment lang ein bisschen nervös, und Serrana spürte instinktiv, woran ihre Freundin gerade dachte. Schließlich hatte sie sich selbst in der letzten Zeit auch vermehrt mit dem Gedanken an das intime Zusammensein von Mann und Frau beschäftigt, und wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte, auch wenn ihr das offene Gespräch mit Axilla einiges von ihrer Unsicherheit und Angst genommen hatte.
    Calvenas Beschreibung eines "typischen Germanicus" ließ Serrana dann doch ihre Augen aufreissen. Dickköpfig, vorlaut und frech? Na, das konnte ja heiter werden..."Ein bisschen was wird mein Kind ja hoffentlich von meiner Seite erben. Wobei ich natürlich hoffe, dass es nicht auch so ein verschrecktes Kaninchen wird. Dann lieber laut und frech, solche Kinder können sich wenigstens wehren..."


    "Das wirst du mit Sicherheit auch." gab sie schließlich aufrichtig, und ohne an ihren Worten zu zweifeln, das Kompliment ihrer Freundin zurück. "Und ihr werdet sicher wunderschöne Kinder haben, du und Valerian. Du möchtest doch sicher ganz viele Söhne für deinen Soldaten, oder nicht?"

    Nachdem der letzte Tropfen Blut versickert war, wurde der kleine schlaffe Körper des Lamms umgedreht und aufgeschnitten, damit die Vitalia entnommen und untersucht werden konnten. Während dieser Überprüfung spürte Serrana, wie die ursprüngliche Nervosität wieder ein wenig zurück kam. Perfekt war ihr Opfer schließlich nicht gewesen, ob die Göttin ihr wohl gnädig sein und es annehmen würde?


    "Bitte, große Göttin, nimm dieses Opfer an, bitte, bitte..., ich möchte so gern Priesterin sein..." flehte Serrana innerlich und hielt den Blick unverwandt auf die Patera mit den Vitalia gerichtet. Als dann das Wort "Litatio" ertönte, ließ die Spannung in ihrem Körper mit einem Mal nach und die Iunia spürte, wie ihr vor Erleichterung die Knie weich wurden. Hatte sie es wirklich wirklich geschafft? Nachdem die Vitalia für die Göttin erst gekocht und dann, mit mola salsa bestrichen, von ihr verbrannt wurden um sie in die Welt der Götter zu überführen, wartete sie ein wenig ungeduldig, bis auch das in einem separaten Kessel gekochte Opferfleisch für die übrigen Teilnehmer fertig war und ging dann mit den in zwei Körbchen abgefüllten Anteilen für den Pontifex und ihren alten Lehrer zu den beiden hinüber. Fast hätte sie ihren eigenen Anteil vor Aufregung zurückgelassen, erinnerte sich jedoch auf halbem Weg daran und ließ sich auch noch ein drittes Körbchen überreichen.

    Serrana ergriff dankbar Calvenas Hand, die ihr zumindest symbolisch Halt gab, denn ganz so zuversichtlich wie sie sich gerade gab, war sie beim besten Willen nicht. Am besten dachte sie einfach nicht zuviel darüber nach, den Problemen konnte sie sich immer noch stellen, wenn es mal soweit war.


    "Ich danke dir, dass du so zu mir hältst und mich unterstützt." sagte sie warm und erwiderte Calvenas Händedruck. "Ich kann zwar nicht allzu viele beeindruckende Eigenschaften für mich in Anspruch nehmen aber geduldig bin ich tatsächlich. Und auf den kleinen Marcus bin ich auch sehr gespannt, für ihn muss es doch auch sehr schwer sein, so ganz allein in einer neuen Familie.."


    Bei Calvenas nächster Bemerkung sah Serrana automatisch an sich herunter und legte kurz ihre freie Hand auf ihren flachen Bauch, bevor sie kichern musste und wieder zu ihrer Freundin hochsah.


    "Das kann ich mir irgendwie noch gar nicht richtig vorstellen, du etwa?" fragte sie und fuhr mit den Fingern ein wenig hin und her, als könne sie bereits jetzt unter dem Stoff ihres Kleides irgendetwas erspüren. "Dabei wünsche ich mir wirklich möglichst bald ein Kind, so ein kleiner Sedulus wäre doch niedlich, meinst du nicht?"

    Ja, ganz offenbar konnte man einen germanischen "Unfreien" nicht mit einem römischen "Sklaven" vergleichen, der in den Augen seiner Herrschaft oft nicht mehr Wert besaß als irgendein Einrichtungsgegenstand und dessen Gefühle und Empfindungen für seine Besitzer auch ohne jeden Belang waren. Natürlich gab es auch unter den Römern Ausnahmen, Serrana selbst war ihre Leibsklavin zum Beispiel längst ans Herz gewachsen, aber die Regel war das vermutlich nicht.


    Die beiden Frauen waren gerade dabei das halbkreisförmige Nymphaeum zu betreten, als Venusia erwähnte, von ihrem Mann ein eigenes Mosaik geschenkt bekommen zu haben und Serrana blieb sofort beeindruckt stehen und sah die Duccierin mit offenem Mund an.


    "Er hat dir ein Mosaik geschenkt? Das ist ja etwas ganz besonderes und so furchtbar romantisch! Was war denn das Motiv?"


    Inzwischen hatten sie sich wieder in Gang gesetzt und die ersten Schritte in die künstliche Grotte gemacht. Die Iunia ließ den Blick andächtig zwischen den einzelnen Nischen und Wasserbecken hin und herschweifen und lauschte auf das beruhigende Geplätscher des Wassers.


    "Ist das nicht wunderschön hier?" fragte sie mit leuchtenden Augen und sah sich weiter um, damit ihr auch ja kein noch so kleines Detail entging. "Hier drin kommt man sich fast vor wie in einer anderen Welt, als würde es die dreckigen und lauten Straßen draussen gar nicht mehr geben..."


    Von den verschiedenen Wasserspielen einmal abgesehen, war das große Wandmosaik, das sich über eine Länge von acht Metern erstreckte, sicher das beeindruckenste in diesem Nymphentempel. Es war durchgängig in Türkis-, Gold- und Blautönen gehalten und zeigte auf einer hellgelben Säule einen grüngetönten Wolfskopf und an einer anderen Stelle den Liebesgott Amor, der als pummeliger Cupido auf einem Delfin ritt.
    Serrana schritt ganz langsam die Wand ab und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, nicht mit den Fingern die kleinen Mosaiksteine entlangzufahren.

    "Ja? Meinst du wirklich?" fragte Serrana mit einer Hoffnung aus Zweifeln und Hoffnung nach. "Ich weiß ja, wie schrecklich es ist, wenn man so früh seine Mutter verliert und ich würde Sabina gern helfen, wenn ich es irgendwie kann." Aber was brachte es auch, sich jetzt schon darüber den Kopf zu zerbrechen, im Grunde konnte sie das Ganze ohnehin nur auf sich zukommen lassen.


    Serrana trank wieder einen Schluck Wein und ließ dann den Blick über den zur Zeit doch ziemlich kahlen Hortus der Casa Iunia schweifen.
    Bis sich wieder die ersten Blüten zeigten, würde wohl noch ein Weilchen vergehen.


    "Stell dir nur vor, wenn wir nächstes Jahr um diese Zeit wieder zusammen im Garten sitzen, dann werden wir wahrscheinlich beide schon verheiratet und auf dem besten Wege sein, ehrwürdige römische Matronen zu werden. Ist das nicht eine komische Vorstellung?" In Momenten wie diesem fühlte sich Serrana tatsächlich wirklich noch sehr jung und konnte sich kaum vorstellen, ihre unbeschwerten Mädchenjahre bald endgültig hinter sich zu lassen.

    "Es wundert mich nicht, dass Romana so hilfsbereit ist. Sie ist einer der nettesten Menschen, die ich bislang in Rom kennengelernt habe." sagte Serrana und lächelte bei dem Gedanke an die riesige Vestalin automatisch.


    Plötzlich fiel ihr wieder ein, warum sie sich mit Calvena eigentlich verabredet hatte und bei dem Gedanken an den morgigen Tag stieg allmählich wieder eine ziemliche Unruhe in ihr hoch.


    "Ich werde jetzt mal zum Mercatus weitergehen. Bevor ich kein geeignetes Lamm für mein Opfer morgen gefunden habe, kann ich mich ohnehin nicht in Ruhe auf etwas anderes konzentrieren, daher werde ich mich lieber auf die Suche machen."


    "Es hat mich gefreut dich kennenzulernen, Decimus Flavus." sagte sie mit einem offenen und freundlichen Lächeln an den jungen Decimer gewandt und nahm ihre Freundin dann kurz in den Arm. "Ich wünsche dir alles erdenklich Gute für deine Prüfung morgen. Mein Opfer ist ja schon zwei Stunden früher angesetzt, was hältst du davon, wenn ich danach zum Tempel des Vertumnus rüberkomme, um dir die Daumen zu drücken?"

    Serrana sah ihre Freundin für einen Moment lang entsetzt an, als die ihr von Sabinas ablehnender Haltung der Hochzeit und ihr selbst gegenüber erzählte. Irgendwie hatte sie bei dem Gedanken an Sedulus' Tochter schon seit einigen Tage ein ungutes Gefühl gehabt, was sich jetzt ganz offensichtlich bestätigte. Für einen kurzen Moment fühlte sie neue Panik in sich aufsteigen, aber dann riss Serrana sich kurzentschlossen zusammen und straffte dabei auch automatisch ihren Körper.


    "So etwas in der Art hatte ich schon befürchtet." sagte sie dann und erwiderte Calvenas Lächeln, obwohl ihr Moment nicht wirklich danach zumute war.
    "Aber wenn es nun mal so ist, dann muss ich mich da eben irgendwie durchkämpfen. Denn so sicher, wie ich wusste, dass die Hochzeit daheim in der Campania ein entsetzlicher Fehler gewesen wäre, so sicher bin ich mir auch darin, dass ich Sedulus heiraten will. Und wenn das nur mit Problemen und Schwierigkeiten geht, dann soll es halt so sein. Das ist es mir auf alle Fälle wert." Komisch, nachdem sie das ausgesprochen hatte, ging es Serrana wieder besser und das flaue Gefühl hatte sich für's erste in Luft aufgelöst. Langsam atmete sie einmal ein und aus und sah dann ein wenig verlegen zu Calvena nüber, die solch entschiedene Stellungnahmen von ihrer Freundin vermutlich eher nicht gewöhnt war.


    "Und auf deine beiden neuen Verwandten bin ich schon sehr gespannt. Vielleicht kann ich sie ja bald mal kennenlernen."

    Auf diese Antwort hätte sie mit ein wenig Nachdenken natürlich auch kommen können, und so ärgerte sich Serrana mal wieder über ihre immer noch recht ausgeprägte Naivität, die sie zu dieser Frage verleitet hatte.


    "Ja natürlich, ich fürchte meine Frage war ziemlich dumm." sagte sie mit einem leicht verlegenen Lächeln. "Mich würde es auf jeden Fall freuen, wenn du länger in Rom bleiben würdest, schließlich hatten wir bislang kaum Gelegenheit einander etwas besser kennenzulernen." Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. "Natürlich kannst du das nicht allein bestimmen, aber hast du schon bestimmte Vorstellungen, wie es mit deiner Laufbahn weitergehen soll?"
    Mit seiner Frage trat Silanus bei Serrana natürlich offene Türen ein. "Oh doch, das hätte ich ganz bestimmt." sagte sie eifrig und mit leuchtenden Augen. "Ich würde sehr gern mal andere Länder sehen, bislang kenne ich all die fremden Kulturen nur aus Schriftrollen. Das ist natürlich auch interessant und spannend, aber doch nicht das selbe, als wenn man es mit eigenen Augen sehen kann. Axilla hatte mir ja angeboten, mich mit nach Ägypten zu nehmen, wenn sie im Frühling zurückreist, aber daraus wird wohl nichts mehr werden, jetzt wo Urgulania tot ist." Serrana hielt einen Moment inne und sah Silanus ein wenig unsicher an, da sie keine Ahnung hatte, ob er ebenso um diese ihr selbst unbekannte Verwandte trauerte wie Axilla.
    Und dann war da natürlich die Reise nach Germanien, auf die Sedulus sie in ein paar Monaten mitnehmen wollte...
    Ob das eine günstige Gelegenheit war, um Silanus über ihre Beziehung zu informieren? Serrana biss sich auf die Unterlippe, und überlegte fieberhaft, wie sie das Ganze am besten formulieren konnte. Silanus war ja wirklich nett und zugänglich, aber irgendwie war ihr doch zu peinlich, über ein derart persönliches Thema mit ihm zu sprechen, obwohl er einen Anspruch hatte, darüber Bescheid zu wissen. Andererseits wollte Sedulus doch ohnehin bei Silanus vorsprechen, vielleicht war es da besser dieses offizielle Gespräch abzuwarten. Serrana seufzte unentschlossen auf und entschied dann, noch ein wenig den weiteren Verlauf ihrer Unterhaltung abzuwarten.

    "Nun, so wie es aussieht, bin ich wohl das einzige Familienmitglied, das noch nie in einem anderen Land gewesen ist." sagte Serrana mit einem leicht wehmütigen Lächeln, nachdem sie Silanus' Erzählung aufmerksam zugehört hatte. Streng genommen kannte sie ja nur Nola und Rom, aber mittlerweile machte ihr das nicht mehr ganz so viel aus, schließlich war sie ja noch jung und würde sicher noch die einer oder andere Gelegenheit zum Reisen bekommen.
    Und auch wenn sie sich mit miltärischen Rängen und Posten nicht allzu gut auskannte, hörte sich die bisherige Laufbahn ihres Verwandten nach einer ziemlichen Bilderbuchkarriere an.


    "Planst du denn jetzt länger in Rom zu bleiben, oder möchtest du lieber wieder in einer der Provinzen zurückkehren?" Eigentlich war Silanus ja durchaus in einem Alter, in dem man sesshaft werden und eine Familie gründen konnte, aber wusste Serrana nicht genau, inwieweit er von dem allgemeinen Heiratsverbot für Soldaten betroffen war.

    Auch Serrana beglückwünschte Paulina herzlich zur Geburt ihrer beiden Kinder, schweifte dann jedoch mit ihren Gedanken wieder zu den Fontinalia ab. Erst als Axilla auf die Bemerkungen der Aelia und der Decima ausgesprochen scharf reagierte, schreckte sie aus ihren rosaroten Tagträumen hoch und sah ihre Cousine erschrocken an. So wütend hatte sie Axilla noch nie erlebt, was war denn nur plötzlich mit ihr los? Natürlich waren die Äusserungen von Valeria und vor allem Paulina unbedacht gewesen, und und angesichts der ständigen Opfer und Entbehrungen all der kämpfenden Truppen des Reiches sicherlich unangebracht. Serrana nickte daher unbewusst, während Axilla ihre Argumente vorbrachte, dennoch wäre es ihr lieber gewesen, wenn ihre Cousine ein wenig diplomatischer vorgegangen wäre, denn schließlich hatten die beiden Frauen kaum irgend jemandes Verdienste absichtlich schmälern wollen. Ob es wohl Absicht oder Zufall gewesen war, dass Axilla bei der Aufzählung ihrer heldenhaften Onkel ihren, Serranas, Vater ausgelassen hatte? Schließlich war der auch im Dienst umgekommen, wenn auch "nur" bei den Cohortes Urbanae. Oder zählten die etwa nicht? Oder erwartete Axilla, dass Serrana selbst für ihn und seine Ehre in die Bresche springen sollte? Die Iunia öffnete kurz den Mund und schloss ihn dann wieder, ohne etwas dazu zu sagen. Sie spürte irgendwie, dass Axilla nach wie vor sehr unter dem gewaltsamen Tod ihres Vaters litt und daher auch viel empfindlicher auf dieses unbeabsichtigte Provokation reagierte, als es vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn er noch leben würde. Sie selbst hatte ihren Vater im Grunde lange bevor dieser gestorben war verloren, so dass sie den genauen Umständen seines Todes keine besondere Bedeutung zumaß. Für sie war er ohnehin nicht mehr erreichbar, was nützte es ihr da also noch, ob er ein Held gewesen war oder nicht?
    Da sie dieses doch sehr private Thema nicht vor all den zum Teil ziemlich fremden Frauen diskutieren wollte, rückte Serrana nur zu der mittlerweile schweigenden Axilla hinüber und legte ihr unter Wasser leicht die Hand auf den Unterarm, während nun auch Romana für die Ehre der römischen Soldaten in die Bresche sprang und Calvena mit einem Vermittlungsversuch scheiterte.
    "Ich denke, Axilla und Romana haben mit dem, was sie über unsere Soldaten gesagt haben, recht, trotzdem sollten wir einander wegen einer Meinungsverschiedenheit nicht so an die Gurgel gehen, denn das wird uns die Menschen, die wir vielleicht durch das Schwert verloren haben, auch nicht zurückbringen."


    Es bestand natürlich durchaus die Gefahr, dass Axilla ihr diese Bemerkung übel nehmen würde, aber schließlich hatte sich zumindest die Aelia erst auf Serranas Aufforderung hin zu ihrer Gruppe gesellt, so dass sich diese auch für deren Behandlung verantwortlich fühlte und sie trotz ihrer unbedachten Äusserung nicht auf diese Weise vergraulen wollte.


    Bevor sich das ganz große Schweigen über ihr Becken legen konnte, riss Septima plötzlich in munterem Plauderton die Unterhaltung an sich, und Serrana sah die Tiberierin dankbar an.
    Die Feuertänzerin überging sie geflissentlich, diese perfekte Schönheit hatte ihr bereits am Abend des Festes für einige Minuten den Seelenfrieden geraubt. Und auch ihre Großmutter war nicht wirklich ein reizvolles Thema, trotzdem konnte sie sich eine letzte, kleine Bemerkung zu der Rettungsaktion nicht verkneifen. "Ja, ich fürchte das stimmt schon. Aber stellt euch nur mal vor, nicht meine Großmutter, sondern eine junge schöne Frau wäre gestürzt und von Mattiacus gerettet worden, das wäre doch furchtbar romantisch gewesen..."


    Serrana seufzte versonnen auf und lehnte sich wieder an den Beckenrand, Ehre und Tod waren für's erste wieder von angenehmeren Gedanken verdrängt worden.
    Als Septima ihr bei der Erwähnung des Forum Romanum in die Seite knuffte, zwinkerte sie dieser lächelnd zu, schließlich lag das zufällige Treffen der beiden jungen Frauen an diesem geschichtsträchtigen Ort noch nicht allzulang zurück und war sehr schön und unterhaltsam gewesen.


    "Zum Praefectus Urbi kann ich leider so gut wie nichts sagen, ich kenne ihn im Grunde gar nicht." sagte sie und versuchte mit recht geringem Erfolg, sich dessen Gesicht wieder in Erinnerung zu rufen. "Allerdings habe ich das eine oder andere über diesen Mann gehört, was ihn mir nicht allzu sympathisch macht." fügte sie dann noch mit einem kurzen Blick zu Calvena hinzu.


    Was das Thema "Männer" allgemein betraf, so war Serrana selbst erst vor recht kurzer Zeit auf den Geschmack gekommen, aber das änderte natürlich nichts daran, dass sie sich direkt gespannt nach vorn beugte.


    Flavius Furianus? Schade, den kannte sie nun leider gar nicht, und hatte daher auch keinerlei Kenntnis über dessen Gesundheitszustand.

    "Meinst du wirklich, dass ich mir zu viele Sorgen mache?" fragte Serrana nochmal nach, obwohl sie die Antwort im Grunde selbst kannte. "Vielleicht stimmt das ja, ich muss mir wohl endlich mal angewöhnen, mir auch etwas zuzutrauen. Und was Großmutter betrifft hast du Recht. Ich bin überglücklich, dass ihre sogenannte "Erziehungsarbeit" an mir mittlerweile abgeschlossen ist, aber in Sachen Haushaltsführung konnte ich wirklich einiges von ihr lernen. Wenn du in dieser Hinsicht Fragen haben solltest, geh ruhig zu ihr, sie wird dir sicher helfen, auch wenn sie erst wieder einen Vortag halten wird..."
    Als Calvena begann, von den übrigen Mitgliedern ihrer Gens zu erzählen, hörte die Iunia mit einer Mischung aus Neugier, Angst und Hoffnung zu und nickte nur ab und zu. Calvenas Großonkel Avarus hatte bei den Fontinalia eine ziemlich einschüchternde Wirkung auf sie gemacht, aber vielleicht war das ja nur ein erster Eindruck und sagte nichts über die wirkliche Person aus.


    "Ich wünschte, ich hätte Sabina schon früher mal kennenlernen können, als all das noch kein Thema war." sagte sie dann und drehte den bereits deutlich geleerten Becher in ihren Fingern hin und her. "Jetzt weiß ich gar nicht, was ich ihr sagen soll, wenn ich sie zum ersten Mal treffe..." Ja, so seltsam das auch sein mochte, irgendwie machte sie das Zusammentreffen mit diesem kleinen Mädchen nervöser als die Aussicht, ihre Großmutter künftig wieder häufiger zu sehen.
    Da bot die Nachricht von den beiden neuen Familienmitgliedern schon eine willkommene Abwechslung.


    "Oh, das hört sich aber spannend an. Wer sind die beiden denn und wo kommen sie her?" fragte Serrana neugierig und beugte sich gespannt vor, nachdem sie sich neuen Wein hatte nachgießen lassen.

    Wie schmal der Grat zwischen Resignation und neuer Hoffnung doch manchmal sein kann. Im ersten Moment glaubte Serrana, sich verhört zu haben, aber dann erhellte sich ihr Gesicht und sie sah Silanus aufgeregt an.


    "Oh, es wäre wundervoll, wenn es diese Briefe irgendwo geben würde. Vielleicht erfahre ich dann endlich ein bisschen mehr über ihn.."


    Während sie sich noch über die neue Möglichkeit freute, wurde Serrana wieder einmal bewusst, wie wenig sie doch im Grunde über ihren Verwandten und seine bisherigen Lebensumstände wusste.


    "Wo bist du eigentlich aufgewachsen? Hier in Rom?"fragte sie vorsichtig nach.

    Serrrana beobachtete aus den Augenwinkeln das Wippen der Opferhelfer und hätte sich ihnen am liebsten angeschlossen, da sie sich inzwischen auch wie ein Eisblock fühlte. Dabei war die äussere Kälte noch nicht einmal so schlimm, aber irgendwie fühlten sich jetzt sogar ihre Gedanken "kalt" an, und das machte Serrana ein wenig Angst.
    Normalerweise hatte sie bei blutigen Opfern immer noch ein wenig Mitleid mit dem Opfertier, aber heute atmete sie erleichtert auf, als der schwarze Ochse sein Blut verspritzend zu Boden stürzte und damit das Ende dieses Rituals in greifbare Nähe rückte.
    Wie bewundernswert ruhig Axilla doch blieb! Fast konnte man glauben, dass sie jeden Tag im Tempel verbrachte und den Göttern opferte. Serrana verstand die Zusammenhänge rund um den Tod ihrer unbekannten Verwandten Urgulania zwar immer noch nicht so richtig, aber dennoch hoffte sie für ihre Cousine, dass deren Mühen und Gebete von Dis Pater erhört werden würden.

    Die Iunia wartete einen Moment lang, aber als Flavus dann immer noch keine Anstalten machte, auf ihre Äusserungen zu reagieren, wandte sie sich wieder Calvena zu und legte dieser kurz die Hand auf den Unterarm.


    "Natürlich werde ich dir helfen, das ist doch selbstverständlich. Du kannst mir jederzeit eine Nachricht schicken und dann komme ich sofort vorbei. Habt ihr eigentlich schon einen Termin?"

    Mit der Bemerkung über ihre Großmutter hatte Calvena sicherlich Recht, aber irgendwie machte sie Serrana nur noch mehr nervös.


    "Ja, sicher, mehr als einen Senator kann sich ja nicht wünschen, aber genau das ist es ja.... es wird sicher schon ungewohnt genug sein, eine ganz normale Ehefrau zu sein, aber gleich die eines Senators.... Ich darf mir gar nicht vorstellen, was man da alles falsch machen kann". Serrana schüttelte den Kopf, rief sich dann jedoch selbst wieder zur Ordnung. "Aber das wird schon irgendwie werden, den Göttern sei Dank erwartet Sedulus am Anfang ja nicht allzuviel von mir..."


    Sie seufzte auf und trank noch einen Schluck Wein. Irgendwie half das warme und wohlschmeckende Getränk ganz gut gegen ihre innere Unruhe. Dann beugte sich Serrana ein Stück vor und sah Calvena mit einem etwas schiefen Lächeln an.


    "Weißt du, was auch komisch ist? Wenn wir geheiratet haben, dann werde ich in eurem Haus wohnen. Das kann ich mir auch noch gar nicht vorstellen, vor allem, weil du dann nicht mehr da sein wirst. Und ausser Sedulus und Großmutter kenne ich von deiner Familie ja noch niemanden, was ist, wenn die mich nicht mögen?"

    Serrana sah Flavus ein wenig irritiert an. Er war wirklich ein netter und durchaus attraktiver junger Mann, aber wie kam er nur auf die Idee, sich bei ihr nach dem Benehmen seines Vaters zu erkundigen? War es normalerweise nicht eher so, dass Väter sich über das Auftreten ihrer Kinder auf dem Laufenden hielten?


    "Nun, "kennen" ist sicher zuviel gesagt." sagte sie nachdenklich dann und zählte innerlich die wenigen Zusammentreffen mit Senator Livianus ab. "Ich hab ihn bislang erst zwei oder dreimal getroffen und auch nicht allzuviel mit ihm gesprochen, aber bei diesen Gelegenheiten war er immer sehr nett und freundlich zu mir, du brauchst dir also keinerlei Gedanken zu machen."


    Dass die Familien der Decimer und Iunier relativ enge Beziehungen unterhielten war natürlich auch Serrana bekannt.


    "Ja, das stimmt wohl. Mein Verwandter Silanus ist ein Klient deines Vaters und er hält große Stück auf ihn. Aber ich muss zugeben, dass ich bislang noch nicht allzuviel über deine Familie weiß."
    Als Calvena bemerkte, dass ihre Hochzeit vermutlich das nächste Fest sein würde, lächelte Serrana und zwinkerte ihrer Freundin dann zu.


    "Das könnte schon hinkommen, und dieses Fest wird dann sicher noch schöner als die Fontinalia. Zumindest würde ich dir das wünschen."

    "Oh, das kannst du gern machen, schließlich habe ich vor dir keine Geheimnisse und werde dir alles erzählen, was du wissen möchtest" antwortete die Iunia mit einem liebevollem Blick auf ihre Freundin.


    Wie sicher Calvena im Vergleich zu ihr doch wirkte! Sie war doch bestimmt genauso aufgeregt wie sie selbst und dennoch war sie nach wie vor unglaublich selbstbewusst und zuversichtlich, was sich ja auch in ihren Worten widerspiegelte.


    "Ja, meinst du?" fragte sie ein wenig zweifelnd, nickte dann aber, um sich auf diese Weise auch selbst ein wenig von ihrer Unsicherheit zu befreien. "Du hast sicher Recht. Und es war auf auf jeden Fall ein Geschenk der Götter, dass sie mich vor diesem Widerling daheim in Nola bewahrt haben. Ich hoffe wirklich, dass ich ihn nie in meinem Leben wiedersehen muss. Aber meine Großmutter bringt es fertig, und lädt ihn zur Hochzeit ein...." Serrana schauderte bei der Erinnerung und trank schnell noch einen Schluck Wein, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.


    "Findest du die Vorstellung denn nicht komisch, dass du bald in einem anderen Haus leben wirst und mit ganz anderen Leuten?" fragte sie dann und sah Calvena gespannt an.

    Serrana hatte Silanus bei seiner Antwort erwartungsvoll angesehen, aber das kleine bisschen Hoffnung in ihren Augen erlosch sehr schnell wieder.


    "Schade." sagte sie leise und schaute auf ihre in ihrem Schoß liegenden Hände, damit man ihrem Gesicht die Enttäuschung nicht allzu deutlich ansah.


    Damit war eine der letzten Möglichkeiten, doch noch etwas über ihren Vater in Erfahrung zu bringen, ausgeschieden. So, wie es aussah, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als das Thema endgültig abzuhaken und darauf zu hoffen, dass es ihren eigenen Kindern später einmal nicht genauso gehen würde.

    "Es ist sehr nett von dir, das zu sagen." antwortete Serrana mit einem etwas verlegenen Lächeln. "Aber ich weiß gar nicht, ob das wirklich so mutig ist. Im Grunde bleibt mir dir doch kaum eine andere Wahl, schließlich würde ich mich nur noch mehr lächerlich machen, wenn ich die Wahrheit verschweigen und diese trotzdem ans Licht kommen würde.."
    Nein, da zog es die Iunia bei weitem vor, aufrichtig zu sein und die Blamage in überschaubaren Grenzen zu halten.


    "Und was meinst du mit den guten Gründen?" hakte sie neugierig nach. Kaum zu glauben, dass sie gerade dabei war einen Centurio der Prätorianer Garde auszufragen. Aber andererseits war es genauso unglaublich, dass sie gerade von einem persönlich nach Hause begleitet wurde, also konnte sie die Gelegenheit auch ausnutzen. Zumal Valerian offenbar kein Problem damit zu haben schien, sich ernsthaft mit einem Mädchen vom Lande zu unterhalten, das von militärischen Belangen so gut wie keine Ahnung hatte.