Beiträge von Marcus Decimus Livianus

    Kurz nach Magnus kündigte ein Soldat vor dem Eingang den nächsten Besucher an. Laut hallte der Name durch die Gänge der Regia.


    “Legtus Legionis Decimus Livianus!“


    Kurz darauf betrat Livianus den Saal und zog die Blicke der bereits Anwesenden auf sich. Im Unterschied zu den anderen Offizieren, war er nicht in seiner Rüstung erschienen, sondern trug eine pechschwarze Toga, die er sich wie eine Kapuze über den Kopf, tief ins Gesicht gezogen hatte. Er schritt auf Meridius und seinen Bruder Magnus zu und stülpte dabei seine Toga nach hinten, um seinen Kopf frei zu machen. Sein Gesicht war gezeichnet von Schmerz und Trauer und ohne ein Wort zu sagen, sah er die beiden mit versteinerter Mine an.

    „Natürlich Maximus! Des Weiteren hat die Classis um Unterstützung der Legio im Kampf gegen einige britannische Piraten gebeten. Ich habe Iulius Seneca mit dem Kommando über unsere Abordnung beauftragt und er hat sich vor wenigen Tagen mit einigen Kohorten auf den Weg gemacht.“

    Livianus nickte. Das erste Thema war für ihn abgehackt.


    „Die Legion hat sich in der Zwischenzeit recht gut auf den Kommandowechsel eingestellt. Ich habe Seneca zum Praefectus Castrorum ernannt und er ist mir eine überaus große Hilfe bei der Führung der IXten. Ich denke es war gut diesen Posten mit einem Mann zu besetzen, der mich noch von früher kennt. Ich habe versucht nahtlos an deine Projekte anzuknüpfen und die vorhandenen und aufgebauten Ressourcen nun zum Einsatz zu bringen. Zum einen habe ich Germanica Aelia meine Hilfe angeboten, sofern es in der Regio irgendwelche Bauarbeiten gibt und zum anderen wird die enge Zusammenarbeit mit der Classis auch weiterhin gefördert.“


    Er machte eine Pause und wartete ab, ob Meridius bis hier her einmal Fragen hatte.

    Livianus zeigte jedoch keine Reaktion auf die Worte seines Sklaven. Völlig geistesabwesend setzte er seinen Weg zum Eingang fort, ohne ihn auch nur anzusehen. Seine blauen Lippen und sein ganzer Körper zitterte vor Kälte und langsam verschränkte er seine Arme vor der Brust.

    Livianus ließ sein Pferd direkt vor dem Eingang halten und rutschte ziemlich fertig und am Ende seiner Kräfte von dessen Rücken. Als seine Beine den Boden berührten, gaben seine Knie etwas nach, doch er konnte sich noch im letzten Moment erfangen und ging mit gesenktem Kopf auf den Eingang zu.

    In diesem Moment hörte man das langsame und gleichmäßige Klappern von Hufen über den Vorplatz hallen. Mit gesenktem Kopf, völlig durchnässt und verdreckt ritt Livianus auf seinem Pferd ein. Er musste einen schrecklichen Anblick abgeben. Zitternd und abwesend steuerte er das Pferd in Richtung Eingang.

    Es waren bestimmt zwei Stunden vergangen, in denen Livianus einfach nur ins Leere gestarrt und seine Gedanken sortiert hatte. Der Regen hatte bereits ausgesetzt und nur die dicken, dunklen Wolken waren über geblieben. Erst als er merkte wie stark er in seinen völlig durchnässten Kleidern fror und zitterte, kam er wieder zur Besinnung und rappelte sich auf. Langsam trottete er zu seinem Pferd, das immer noch friedlich und ruhig an der Stelle stand, an der er es zurückgelassen hatte. Mit einem großen Satz schwang er sich hinauf, nahm die Zügel zur Hand und ritt langsam und föllig erschöpft wieder zurück in Richtung Castellum.

    Livianus drehte sich um und sah in die Richtung, aus der er angesprochen wurde. Überrascht begann er zu lächeln, als er seine Klientin sah.


    “Ah! Artoria Medeia! Welch eine Freude dich hier zu treffen! Obwohl….. ich hätte es mir denken können, dass du den Kaiser auf seiner Reise begleitest. Wie geht es dir?“

    „Da du mein Vorgesetzter bist muss ich es akzeptieren, aber verstehen kann ich es nicht. Ich habe über 5000 Mann unter meinem Kommando und man traut mir nicht zu, selbst zu entscheiden, wann meine Anwesenheit im Castellum erforderlich ist und wann ich eine kurze Reise planen kann? Muss ich dich in Zukunft über all meine Schritte informieren und vorher um Erlaubnis fragen, wenn sie mich über die Grenzen der Regio bringen?“


    Livianus seufzte.


    „Und dass mit Lucilla musst du mit ihr selbst klären Maximus! Ich habe mich vor meiner Abreise nicht über eure Zu- oder Absagen erkundigt - dazu war auch keine Zeit mehr, da ich ihr zuerst selbst abgesagt hatte. Als ich merkte, dass sich eine kurze Reise doch zeitlich ausging, habe ich mich kurzfristig umentschieden und bin so schnell es ging nach Rom gereist. Wenn du deinen Pflichten als Bruder nicht nachkommen kannst oder willst, dann solltest du nicht auch noch andere mit hineinziehen…. Und rede dich jetzt ja nicht auf deinen Posten aus… du hättest ihr zumindest schreiben können.“

    So kauerte er da, im strömenden Regen und jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Es war schwer zu sagen, wie lange er dort wirklich ohne jegliche Bewegung ausharrte, aber ihm kam es wie Tage vor. Der tiefe Schmerz wollte einfach kein Ende mehr nehmen. Er fühlte sich alleine, zurückgelassen, von den Göttern um sein Glück betrogen. Alles hätte er dafür gegeben, nur um Aemilia wieder in seine Arme schließen zu können. Was nutzten ihm nun all die Würden und Ehren, all die Reichtümer und Privilegien? Er konnte sie jetzt mit niemand mehr teilen. Seit Aemilia nach Britannien gegangen war fühlte er sich einsam… und nun…. war er sein restliches Leben einsam? Livianus konnte regelrecht spüren, wie seine bisher so fröhliche und glückliche Lebensart aus seinem Herzen wich und nur noch Schmerz und Trauer zurückblieben.


    Nach einiger Zeit rappelte er sich wieder langsam auf und brauchte etwas, um sich zu orientieren und wahrzunehmen wo er sich befand. Seine Rüstung war völlig verdreckt und sein durchnässtes Untergewand hing wie schweres Metall an seinem Körper. Langsam stand er auf und ging wieder auf sein Pferd zu, dass immer noch friedliche einige Schritte weiter stand und mittlerweile seinen Hunger an dem nassen und saftigen Gras stillte. Zärtlich strich er am Hals des Pferdes entlang, fast als wolle er sich für den Höllenritt entschuldigen, jedoch ohne etwas dabei zu sagen.


    Dann ließ er das Pferd weiter in Ruhe grasen und ging weiter zu einem großen Baum, der in der nähe Stand. Dort lies er sich wieder nieder und starrte in den Himmel.

    Die Gedanken kreisten wie wild durch seinen Kopf. Wie konnte das nur geschehen? Warum hatte sein bisher so glückliches Leben eine so dramatische Wendung genommen? Hatte sie die Götter gegen ihn verschworen? Konnte es wirklich sein, das er seine geliebte Aemilia nun nie wieder sehen würde?


    Wie ein harter Schlag ins Gesicht traf ihn letztendlich wieder die schreckliche Realität. Er hatte sie verloren! Das liebste und wertvollste, dass er jemals in seinem Leben hatte wurde ihm mit einem Schlag entrissen und er konnte nichts dagegen tun.


    Er sah Aemilia vor sich… wie sie alleine auf dem Sterbebett lag und seinen Namen rief. Doch er war nicht da. Er hatte sie in der Stunde ihrer größten Angst und Verzweiflung alleine gelassen um in Germanien dem Reich zu dienen. Das würde er sich niemals verzeihen. Warum hatte er sie überhaupt gehen lassen? Warum war er nicht mit ihr gegangen?


    Sein Brustkorb hob sich unter der schweren Rüstung und gleich darauf hallte ein ohrenbetäubender Schrei über die Lichtung, der im Umkreis von einigen Meilen jedes Tier vertreiben musste und die Vögel selbst bei diesem Regen zum aufsteigen brachte. Livianus brüllte sich für einen kurzen Moment allen Kummer und Schmerz von der Seele, bevor sein Schrei wieder verhallte und er mit seinem Oberkörper erschöpft zu Boden sank.

    Livianus trieb sein Pferd an als ob Dämonen der Unterwelt hinter ihm her wären. Immer schneller und schneller galoppierte sie durch die dichten Wälder Germaniens und der Regen prasselte unaufhörlich auf seine aufglänzende Legatenrüstung. Der völlig durchnässte Offiziersmantel bäumte sich immer wieder im Wind auf und klatschte auf den Rücken des Pferdes.


    Wie in Trance und mit starr nach vorn gerichtetem Blick holte Livianus unbewusst das Letzte aus seinem Pferd. Ohne jegliche Rücksicht auf seine Umgebung galoppierte er über den nassen Erdboden, sprang über das Unterholz und lies weder sich noch dem Pferd eine Chance wieder zur Ruhe zu kommen. Die lauten Schreie, mit denen er das Pferd antrieb, hallten durch den Wald. Bittere Tränen flossen dabei über seine Wangen und vermischten sich mit dem kalten Regenwasser, dass von seiner Stirn herabtropfte.


    Irgendwann erreichten sie eine Lichtung und das Pferd wurde langsamer. Es war am Ende seiner Kräfte angekommen. Schaum stand ihm vor dem Maul und seine Nüstern blähten sich immer wieder auf um nach frischer Luft zu ringen. Völlig erschöpft lies auf Livianus die Zügel los, lies sich zuerst nach vorne sinken und glitt dann vom Rücken des Pferdes hinunter auf den Boden. Das Pferd blieb einige Schritte weiter stehen und versuchte sich wieder zu beruhigen.


    Livianus hingegen sank sofort auf die Knie als seinen Beine den Boden berührten und lies seinen Gefühlen nun freien Lauf. Alles was sich in der letzten Zeit aufgestaut hatte musste nun aus ihm heraus. Mit völlig schmerzverzehrtem Blick sah er zum Himmel und lies die kalten Regentropfen in sein Gesicht prasseln. Er war völlig außer Atem und sein Herzschlag pulsierte durch seinen ganzen Körper.

    Livianus sah den Sklaven verwundert an. Er hatte nicht so schnell mit einem weiteren Brief von Aemilia gerechnet, freute sich aber dennoch, dass sie ihm schon wieder geschrieben hatte. Da der Regen nun etwas heftiger einsetzte, ging er einige Schritte zurück, um unter dem überdachten und trockenen Vorbau des Hauses zu stehen. Gespannt öffnete er den Brief und merkte bereits auf den ersten Blick, dass es nicht die Handschrift seiner Ehefrau war, mit der dieser verfasst wurde. Noch ehe er zu lesen begann, kam ein ungutes und beklemmendes Gefühl in ihm auf und er merkte, dass ihm das Atmen plötzlich wesentlich schwerer viel und seine Hände zu zittern begannen.


    „Lieber Schwiegersohn…..“


    Während seine Augen von Zeile zu Zeile sprangen wurde sein Blick immer leerer und man konnte erkennen, wie Tränen in seine Augen traten. Als er beim Schlusswort angekommen war, sah er völlig abwesend und mit starrem Blick auf. Das Schreiben glitt ihm aus der zittrigen Hand und viel zu Boden, während er ohne ein weiteres Wort hinaus in den Regen ging und auf sein Pferd aufstieg. Völlig in Gedanken versunken und ohne die restliche Umgebung weiter wahr zu nehmen trieb er sein Pferd an und galoppierte in Richtung Haupttor.

    Es war ein grauer und verregneter Morgen. Livianus war fest in seinen Offiziersumhang gewickelt und verlies gerade das Pomerium. Auf dem Vorplatz stand bereits ein Legionär, der sein Pferd aufgesattelt hatte und es festhielt. Der Legat nickte den Wachen am Eingang zu und trat nach draußen.