Beiträge von Chiomara Minor

    "Es schmeckt?" Chio (Lucilla) war überrascht und dann doch ein wenig stolz, dass die Beurteilung ihrer ersten Backversuche so unerwartet gut ausfiel. Früher musste sie nie kochen oder backen und wußte daher auch nicht, ob sie alles richtig gemacht hatte. Das Rezept war von einer Nachbarin und darauf musste sie sich verlassen. Vielleicht war sie ein Naturtalent?

    Ihr stolzes Lächeln ging über in ein glückliches Strahlen, als Aretas auf sie zukam. Bereitwillig ließ sie sich den Korb abnehmen und fiel ihm glücklich in die Arme. Es war wirklich schon viel zu lange her und sie schloss die Augen, um jede Sekunde seiner Nähe auszukosten. Viel zu schnell war der Moment vorüber. "Mir gehts gut, und dir?" Sie steckte den Sold ein und hob den Korb wieder auf. "Hier, ich hab dir etwas mitgebracht." Sie hielt ihm das Gebäck hin, nahm es dann aber noch einmal weg. "Aber ich will deine ehrliche Meinung." Erst dann durfte er ihn nehmen.

    "Danke." Nur die Frauen der Offiziere? Dann behielt sie lieber für sich, dass sie schon einmal dort drinnen war. Während ihr Gegenüber sich dem Soldaten zuwandte, nutzte sie ihrerseits die Gelegenheit, ihn ausgiebig zu mustern. Hübsch.. und diese Uniform. Männer wie er kamen sicher gut bei den Frauen an. Vielleicht war das ja der Grund, dass man 20 Jahre seines Lebens für diesen Dienst opferte. Oder sogar sein Leben, wenn man Pech hatte. Aber diese Uniformen... Aretas besaß auch eine. Chio geriet immer weiter ins Träumen, bis sie seine Frage aus ihren abschweifenden Gedanken riss.


    Verwandt? "Nein, nicht direkt." Vielleicht in 20 Jahren. Chio hätte fast gelacht. "Möchtest du eins probieren?" Sie hielt ihm den Korb erneut unter die Nase. Ob die hier anständige Köche hatten? Wieder einmal merkte Chio, dass sie vom Leben eines Soldaten nicht die geringste Ahnung hatte.

    Darauf war sie nun doch nicht vorbereitet. Die letzten Male, die sie hierherkam, war Aretas zumindest irgendwo in der Nähe. Sie war schon fast enttäuscht. Doch der Mann lächelte sie so freundlich an, was sollte also passieren? "Ich möchte zu Servius Obsidius Antias. Er ist... " Ja, was war er eigentlich? "Er wohnt hier." Kaum ausgesprochen, biss sie sich schon auf die Zunge. Er wohnt hier... etwas Dämlicheres hätte ihr kaum einfallen können. "Keine Waffen, nur das hier." Schnell hob sie den Korb, den sie über dem Arm trug. Mit einem Tuch bedeckt, befand sich darin einiges an Gebäck. Ihre ersten Versuche, nicht alles sah besonders appetitlich aus.

    Wenn sie könnte, würde sie jeden Tag hierherkommen. Die Zeit hätte sie, er leider nicht. Nicht einmal nach ihrem Besuch beim centurio war er ihr über den Weg gelaufen. Sie hätte ihm gerne erklärt, wieso sie in dessen Büro bestellt war. Andererseits, vielleicht war das besser so. Er würde sich nur unnötig Sorgen machen.


    Allerdings war sie nach dem Besuch guter Dinge, was ihre Treffen hier anging. Deshalb lief sie diesmal entschlossen auf das Tor zu. Keine Angst mehr, kein Verstecken. Von weitem erkannte sie die Wachen, aber keine Gesichter. Wäre schön, wäre Aretas unter ihnen. Weniger schön, dass er dann keine Zeit für sie hätte.

    Dass ihm das Ganze noch zu schaffen machte, konnte sie deutlich sehen, was auch ihr das Lächeln aus dem Gesicht wischte. Dabei dachte sie vor allem an die beiden Toten, die sicher auch Soldaten waren und vielleicht sogar seine Freunde. Auf den Gedanken an die Verluste durch die Seuche kam sie in dem Moment nicht. Man könnte ihrem Gesichtsausdruck zufolge aber durchaus meinen, dass sie dabei an die ehemanligen Bewohner ihrer Casa dachte, die durch die Seuche den Tod fanden. Eine Familie, komplett ausgelöscht. Offiziell die Familie des Onkels. "Ja, wir hatten Glück. Und ich, dass es Männer wie dich gibt. Ich kann dir gar nicht genug danken."


    Da sie tatsächlich keine Fragen mehr hatte, stand sie auf. "Ich erwarte dann also deine Nachricht. " Ansonsten war alles gesagt. Blieb ihr nur noch, sich zu verabschieden, dann ging sie zur Tür, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ sein Büro.

    Seine Entschlossenheit nahm auch ihr für den Moment jeden Zweifel daran, dass der Kerl seine gerechte Strafe bekam. Wenn er überhaupt wieder zu Bewußtsein kam und am Leben blieb. Chio wußte nicht, was ihr lieber wäre. Wohl eher, dass er sich nicht so einfach davonstehlen würde und sich ganz bewußt den Konsequenzen stellen musste. Licinus Bestimmtheit, seine Überzeugung, Chio (Lucilla) bewunderte diesen Mann dafür. Und es nahm ihr für den Moment auch jegliche Angst. Für den Moment...


    "Danke, das beruhigt mich. Was das Feuer angeht, da kann ich den Göttern nur danken. Und den fleissigen Soldaten natürlich. Es ist schon schlimm, dass die Seuche so viele Leben genommen hat, das Feuer hätte uns auch das Dach über dem Kopf nehmen können." Was es teilweise auch hat, wenn man an das Dach der culina dachte. Lucilla sah ihr Gegenüber lächelnd an. "Ich sollte dir nicht deine Zeit stehlen. Aber ich bin doch froh, nicht weiter Gerüchten glauben zu müssen." Abwartend blieb sie sitzen, ob er noch weitere Fragen an sie hatte.

    Die meisten kommen auch durch? Da war sie wieder, ihre eigentliche Angst. Aber davon wollte sie sich hier bei ihm nichts anmerken lassen und nickte deshalb nur wieder. Dass es einmal Krieg geben konnte, daran glaubte Aretas zu keiner Sekunde seiner Entscheidung, oder wollte es nicht glauben. Oder wollte er sie nur beruhigen?


    Was den eigentlichen Grund ihres Besuchs betraf, nun wurde ihr klar, was Licinus meinte. Es war nicht der fehlende Name, es war, dass sie eine Fremde war. Er war höchstwahrscheinlich römischer Bürger und damit stand er über ihr. Hätte sie sich doch nur einen Gensnamen ausgedacht. Nun ärgerte sie sich, dass sie nicht besser vorbereitet war. Da half auch nicht, dass Licinus versuchte, sie zu beruhigen. Ihr Glück war viellleicht, dass auch der centurio von dem Kerl attakiert worden war. "Das hoffe ich. Ich kann mir vorstellen, was er mit mir vorhatte. Das sollte er keiner Frau mehr antun dürfen." Mit Schaudern erinnerte sie sich an das Gesäusel, als er da plötzlich hinter ihr stand und unmissverständlich klar machte, was er von ihr wollte.


    Chio schüttelte sich und wurde gleich mit der nächsten unangenehmen Geschichte konfrontiert. Eine Mordbande. Und sie war entkommen. "Das ist ja furchtbar. Und man hat sie nie gefasst? Sind sie denn noch in der Gegend?" Eine schreckliche Vorstellung, wenn sie zurückkommen würden. Immerhin lebte sie alleine in der Casa. Sie sollte mit Aretas sprechen. "Aber das Feuer... wieso hat es nicht mehr angerichtet?" Chio erinnerte sich dunkel an ein solches Feuer, konnte den Gedanken aber nicht lange genug fassen. Wenigstens wußte sie nun genau, wie es sich damals zutrug.

    "Danke." Wirklich glücklich sah sie dabei nicht aus. Ihr neues Leben hatte sie sich etwas anders vorgestellt. Mit dem unbeschwerten Leben, das sie führte, war es schon lange vorbei. Auch wenn es das Leben einer Sklavin war, es war ein gutes Leben. Sie wäre nie von selbst auf die Idee gekommen, daran etwas zu ändern. Faustina war wie eine Schwester, eine Freundin, wenn man von ein paar Macken absah, auf die Chio hätte verzichten können. Vielleicht war sie auch einfach noch zu jung.


    Was sie nun beunruhigte, war, wie Licinus darauf reagierte, dass sie eine Peregrina war. Dass das zu einem Problem werden könnte, kam ihr nicht in den Sinn. "Ja, Peregrina. Was ist? Macht das einen Unterschied?" Lucilla war ein wenig irritiert, musterte ihn mit einem Blick, als wollte sie versuchen, hinter seine Gedanken zu kommen. Alles Mögliche ging ihr durch den Kopf, nur das entscheidende Detail blieb im Dunkeln. Wenigstens ihre kleine Casa schien er zu kennen, was ihr nun doch ein stolzes Lächeln entlockte, während sie nickte. "Als wir hier ankamen, war ein Teil des Hauses überhaupt nicht bewohnbar. Das Dach war durch das Feuer beschädigt, ist später sogar eingestürzt. Mittlerweile ist nichts davon mehr zu sehen. Was genau ist damals denn passiert?" Unter den Nachbarn kursierten die wildesten Gerüchte.

    Lucilla wurde rot, wirklich rot, sie fühlte sich ertappt. Wobei es eigentlich nichts gab, dessen sie sich schämen müsste. Verheiratet? Nein. War sie nicht. Noch nicht. Und so schnell würde sich daran nichts ändern. Moment, der centurio dachte doch wohl nicht... Du meine Güte. "Nein, ich bin nicht verheiratet. Und er ist auch kein Liebhaber. Er... " Ja, wie sollte sie das erklären? Richtig verlobt waren sie nicht. Nur einmal meinte er, sie würden heiraten, aber erst nach seiner Dienstzeit. "Wir sind verlobt." meinte sie schließlich bestimmt. Niemand kannte sie hier, und was war schon eine Lüge mehr. Ihr Blick fiel auf den geschnitzten Armreif an ihrem Handgelenk. Nein, es war keine Lüge, es war ihre Wahrheit.


    Was den Gensnamen anging, das war schon eher ein Grund, rot zu werden, sich ertappt zu fühlen. Von ihrer eigentlichen Vergangenheit wußte sie nicht viel. Sich in der Kürze der Zeit einen Namen auszudenken, war sie nicht kreativ genug. Und lange überlegen würde sie verdächtig machen. "Einen Gensnamen gibt es nicht, ich bin nur Lucilla." Das musste reichen. Unterdessen hörte sie ihm zu, was alles auf den Verbrecher zukam und vielleicht auch auf sie selbst. Bei dem Gedanken, dem Kerl vielleicht irgendwann erneut gegenüberstehen zu müssen, wurde sie wieder bleich um die Nasenspitze. Noch ein Schluck aus dem Becher und sie fühlte sich gleich wieder ins Hier und Jetzt versetzt. Sein Angebot war da auch hilfreich. "Meine Adresse? Ich wohne in einer kleinen Casa, ist ein ganzes Stück von hier." Lucilla diktierte ihm die genaue Adresse, damit sich auch kein Fehler einschlich. Lesen und schreiben konnte sie ja zum Glück. "Das wäre wirklich nett, wenn du das tun würdest. Dann wüsste ich, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muß." Für den Fall natürlich, der Kerl würde das Ganze nicht überleben.

    Die Frage, mit der er nachhakte, umging sie schnell, indem sie seine zweite beantwortete. "Mein Name ist Lucilla." Sich selbst ebenfalls vorzustellen, hatte er wohl in der Aufregung vergessen. Wahrscheinlicher war, es war IHRE Aufregung, die ihn ablenkte, und auch wenn es ein eher unbeholfener Versuch war, sie zu beruhigen, er zeigte Wirkung. Vielleicht waren es aber auch seine zuversichtlichen Worte, die ihr versicherten, sie würde in Zukunft keine Angst mehr vor diesem Kerl haben müssen. Chio konnte nur hoffen, der centurio hatte recht. Wenn sie an dessen Stelle wäre, sie würde versuchen, sich zu rächen.


    Mit einem zustimmenden Nicken vertrieb sie diesen Gedanken wieder und den kurz vor ihrem inneren Auge auftauchendem Moment, in dem das Messer vor ihr aufblitzte. Sie wollte sich nicht erinnern und schon gar nicht in die Psyche eines Verbrechers hineinversetzen. Eher wollte sie dem centurio helfen. "Was passiert jetzt? Was kann ich tun, dass er seine Strafe bekommt. Muß ich noch einmal irgendwo aussagen? Erfahre ich, was mit ihm passiert?" Über solche Dinge wußte Chio kein bisschen bescheid. Hoffentlich mußte sie dem Kerl nicht noch einmal gegenüberstehen.

    Dankbar nahm sie den Becher, trank ein paar kleine Schlucke. So schlecht war seine Idee nicht, es ging ihr gleich ein bisschen besser. Mit der Frage hatte er natürlich recht. Sich mit einem centurio anzulegen war glatter Selbstmord. Trotzdem war der Kerl noch am Leben. Ohnmächtig, aber am Leben. Sicher würde er bald wieder aufwachen. Bei dem Gedanken lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken.

    "Es ging alles so schnell. Ich war an der Rennbahn, weil ich meinen... die Läufer sehen wollte."
    Chio versuchte, sich an den Moment zu erinnern, als der Kerl plötzlich neben ihr stand. Den Gestank, der ihr entgegenwehte, als er sie ansprach, würde sie so schnell nicht wieder vergessen. "Er stand plötzlich hinter mir, hat mich begrapscht. Ich dachte, mit einer Ohrfeige und einer Zurechtweisung wäre die Angelegenheit erledigt. War es aber nicht. Er hat mich gepackt, mir gedroht. Dann war da dieses Messer... " Sie fing an zu zittern, mußte erst tief Luft holen, um weiterzusprechen. "Ich habe trotzdem versucht, von ihm loszukommen. Er war so stark. Niemand hat geholfen, dafür hat er gesorgt." Chio war den Tränen nahe. "Er hat mich Lupa genannt..." meinte sie leise. "Wenn du nicht gewesen wärst, er hätte... er... " Chio wollte es nicht aussprechen. Mit tränenfeuchten Augen sah sie den centurio an. In dem Moment wurde ihr etwas bewußt. "Du hast mir das Leben gerettet."

    "Danke." Chio blieb vor der Tür, beobachtete Aretas, wie er Meldung machte. In seiner Uniform sah er echt schick aus, dass er allerdings ohne Murren Befehle entgegennahm, das konnte sie bis heute nicht verstehen. Chio nickte Aretas kurz zu und schenkte ihm ein dankbares Lächeln, bevor sie den Raum betrat. Um sich dort umzusehen, war sie noch viel zu aufgeregt. Einzig, dass der Centurio seinen Arm in einer Schlinge trug, fiel ihr ins Auge. Dankend nahm sie auf einem der Stühle Platz und war gespannt, weshalb er sie hierher zitiert hatte. Dass es nur für seinen Bericht war, beruhigte sie ein wenig. "Sich umbringen? Dann doch wohl eher mich." So ausgesprochen, wurde ihr erst richtig bewußt, was alles hätte passieren können, wäre der centurio nicht auf sie aufmerksam geworden. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht und ihr wurde schlecht. Chio (Lucilla) holte tief Luft, schluckte schwer, bevor sie allmählich ihre Fassung wiederbekam. "Wer ist der Kerl und was wird nun mit ihm?" Chio konnte nur hoffen, dass er nie wieder die Gelegenheit haben würde, ihr über den Weg zu laufen.

    Chio war nun doch froh, dass sie ein paar Minuten mit Aretas alleine hatte. Auch wenn ihr die Situation unangenehm war, mit ihm fühlte sie sich gleich sicherer in der ungewohnten Umgebung. "Keine Ahnung, was er von mir will. Ich habe nichts angestellt... glaube ich zumindest. Gestern, bei den Wettkämpfen..." Chio sprach nicht weiter. Sie wollte ihn nicht beunruhigen, er sollte sich keine Sorgen machen müssen, solange er hier nicht wegkonnte. "Eine lange Geschichte." Chio winkte ab, als wäre es nichts wichtiges. "Ich erzähle sie dir, wenn du nach Hause kommst. Sag mir lieber, wie gehts dir? Wann darfst du hier raus? Du fehlst mir!" Viel zu wenig Zeit blieb ihnen für eine anständige Unterhaltung.

    Sie hatte keine Ahnung, wo sie diesen Centurio finden sollte, mußte sich durchfragen. Ein Schock, als sie erkannte, wohin sie gehen sollte. Vielleicht hatte sie Glück. Er war bestimmt nicht am Tor. Je näher sie dem Lager kam, desto langsamer wurde ihr Gang. Es war nicht nur wegen Aretas. Nervös war sie, denn sie hatte keine Ahnung, was ihr bevorstand. Tausend wirre Gedanken. Wie versprochen, stand sie schließlich am Tor, ging zögernd auf die Wache zu. Ohnein.. Aretas. Er wußte doch von nichts. Für eine Umkehr war es allerdings zu spät, er hatte sie schon bemerkt. Einmal tief Luft geholt, legte sie die letzten Schritte zurück. "Servius!" Wie gerne wäre sie ihm trotz allem einfach um den Hals gefallen. Sie durften nicht. Verlegen brachte sie ihm also etwas zu förmlich ihr Anliegen vor. "Ich soll mich beim primus pilus melden." Die Röte stieg ihr ins Gesicht und umständlich versuchte sie, seinem Blick auszuweichen. Das schlechte Gewissen...

    Sie nahm erst dann ihre Hände vom Gesicht, als dieses Tier scheinbar reglos auf dem Centurio liegenblieb. Einen Moment geschah nichts, hielt die Menge den Atem an, dann schob sich der Centurio mühsam unter dem Kerl hervor. Chio blieb skeptisch. Vielleicht doch nur ein Trick? Keine Sekunde ließ sie die Augen von dem Betrunkenen. Kein Mucks von dem Kerl. Erst, als die anderen Soldaten eintrafen, machte sich die Erleichterung breit. Die Knie wollten nachgeben. Reiß dich zusammen...

    „DU! Morgen in meinem Büro! Frag nach dem primus pilus!“
    Chio erschrak, wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war. Wieso bestellte er sie in sein Büro? Sie war doch unschuldig. Dieser Mistkerl war der Übeltäter. Trotzdem nickte sie brav und wartete, bis die beiden Soldaten das Ungeheuer wegbrachten. Noch immer zitterte sie am ganzen Körper. Aretas... Servius... Chio wollte nur noch zu ihm. Als die Menge sich allmählich aufzulösen begann, ging auch sie zurück an ihren Platz.

    Chio hielt die Luft an. Die ungebremste Gewalt dieses betrunkenen Affen war tatsächlich ausreichend, den centurio zu Boden zu werfen. Mit der gleichen Wucht fiel der Kerl über ihn. Bitte, bitte, bitte... Chio hielt nicht inne, in Gedanken sämtliche Götter anzurufen. Einer musste sich doch erbarmen und dem Soldaten die Kraft geben, sich zu wehren, diesen miesen Kerl endlich zu überwältigen. Gebannt waren ihre Augen auf die beiden gerichtet, kein Gedanke mehr an Aretas, der sich irgendwo am Start auf das nächste Rennen vorbereitete und wahrscheinlich überhaupt nicht mitbekam, was hier vor sich ging. Das war sicher auch besser so. Chio kannte ihn, er würde bestimmt nicht ruhig bleiben und zusehen...

    Bei seinem kurzen Blick, als er sie in der Menge erkannt hatte, war ihr das Blut in den Adern gefroren. Und als er auf sie zukam, war sie zurückgewichen. Sie wollte hier weg, wollte zur Rennbahn zurück, zu Aretas. Doch als der Centurio auf diesen Wilden losging, war ihr Vorhaben nach hinten gerückt. Neugierig schob sie sich wieder näher an den Rand, verfolgte die Rangelei und hielt sich erschrocken die Hände vors Gesicht, als der Betrunkene schließlich auf Licinus anstürmte. Ein unterdrückter Aufschrei, ein Raunen, das durch die Menge ging. Chio betete zu ihrem Gott und zu allen Göttern der Römer und Griechen, dass der Centurio standhalten würde.

    Ruckartig wurde sie weitergezogen, bis er sie im Fall plötzlich losließ. Chio konnte sich gerade noch so abfangen, dem Kerl gelang das nicht. Der Länge nach lag er plötzlich vor ihr. Nur einen kurzen Moment blieb sie überrascht stehen, nutzte dann die Gelegenheit, ihre vielleicht einzige Chance. So schnell sie konnte, drückte sie sich in die Menge. Nur weg von hier. Hinter sich hörte sie diesen Mistkerl brüllen. Seine Worte ließen sie erzittern. Sie wollte weglaufen, sich in Sicherheit bringen, doch die Neugier hielt sie unter den Schaulustigen. Ein wenig hinter der vordersten Reihe versteckt, duckte sie sich, um ihm nicht sofort ins Auge zu fallen. "Das Messer runter, oder ICH bringe DICH um!" Diese energische Stimme von vorhin, da war sie wieder, machte ihr Mut. Für einen Moment vergaß sie sogar die Bedrohung. Neugierig und zitternd vor Angst lugte sie etwas wagemutiger zwischen zwei Frauen hindurch auf den Platz, war gespannt, ob der Kerl sein Messer tatsächlich ablegen würde. Dass er vielleicht schneller bei ihr sein könnte, als der Mann, der ihn zur Strecke bringen wollte, daran dachte sie in diesem Moment nicht.

    Beim Druck seiner Hand ging sie unwillkürlich in die Knie, stöhnte. "Du.. " presste sie zwischen den Zähnen hervor, atmete tief ein und wollte eben ausholen, ihm das Knie in die Weichteile rammen, da fiel ihr Blick auf das Messer. Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, während er ihr drohte. Lupa... sie konnte sich denken, was er mit ihr vorhatte. Während er im Begriff war, sie hinter sich herzuziehen, versuchte sie, ihm ihre Hand zu entwinden. Sein Griff wurde stärker, sie hatte nicht die geringste Chance. Hilfesuchend blickte sie sich um, sah nur in ängstliche Augen oder solche, die nicht wußten, wem sie glauben sollten. Einige waren auch darunter, die sie mit Verachtung straften.


    Aretas... ein Blick zurück, sie konnte ihn in dem kurzen Moment in der Menge nicht finden. Entmutigt und hilflos sah sie sich dem Kerl ausgeliefert, malte sich die schlimmsten Szenen aus, während sie weitergezerrt wurde. Chio wollte noch nicht aufgeben, stemmte sich dagegen, so gut sie konnte. "Lass mich los. Ich gehe nicht mit dir mit. Hilft mir denn keiner?" Dann endlich.. eine Stimme. Chio blickte sich suchend um, schrie in die Richtung, von der sie meinte, dass sie käme. "Hilfe, helft mir!!" Dann nahm sie all ihren Mut und ihre Kraft zusammen und trat dem betrunkenen Kerl, der sie unbeirrt weiterzog, von hinten in die Beine.

    Chios Aufmerksamkeit war ganz auf Aretas gerichtet. Sie folgte ihm mit ihrem Blick bis zum Start. Schade, er war wohl so damit beschäftigt, sich auf das nächste Rennen zu konzentrieren, dass er sich nicht mehr nach ihr umsah. In der Zwischenzeit wurde sie dann auch von den Ringern im Inneren abgelenkt. Dort ging es mittlerweile heftig zur Sache und auch, wenn sie dem wenig abgewinnen konnte... irgendwie steckten die Rufe der Zuschauer an, so dass auch sie nicht mehr ruhig bleiben konnte und lautstark ihren Favoriten anfeuerte.


    Was ihr dabei entging, war der Kerl, der immer näher kam. Ein übler Geruch stieg ihr in die Nase, der ihr mit seiner Frage ins Gesicht wehte. Dann die Hand auf ihrem Hintern. Für lange Überlegungen blieb keine Zeit. Chio schnellte herum und keine fünf Sekunden später prangte der Abdruck ihrer Hand auf seiner Wange. Wütend funkelte sie ihn an. Vergessen war das Rennen.. Aretas. Ihr Zeigefinger tippte gegen die Brust des Betrunkenen. "Fass mich nochmal an und du wirst es bitter bereuen!!" zischte sie ihm entgegen und wich dabei keinen Schritt zurück. Aufrecht und stark... auch wenn ihr Herz vor Angst wie wild gegen ihre Brust hämmerte.