„Oh Fortuna! Du Herrin des Schicksals, du Stifterin des Glücks, erhabene Göttin. Vor zwei Jahren war es dein Wille, mich an diesem Ort stranden zu lassen. Du, Königin des Zufalls hast dafür gesorgt, dass mich kein Unheil traf.Dafür bedanke ich mich, deine bescheidene Dienerin, oh erhabene Göttin. Auch heute bringe ich dir wieder meine bescheidenen Gaben dar und bitte dich inständig auch in Zukunft deine beschützenden Hände über mir zu halten.“ Weihrauch, Blumen und Kekse hatte sie als Gaben die Göttin mitgebracht, die sie nun hervorholte und vor dem Abbild Fortunas ablegte.
„Oh Fortuna, Göttin des Glücks, ich bitte dich, leite mich stets, damit ich den richtigen Weg einschlage. Führe mich, wohin es dir beliebt, auf dass ich die Meinen wieder finde. Darum bitte ich dich, du Lenkerin der Geschicke.Wenn du mir gewogen bist, gute Göttin so gelobe ich, dir zu deinen Ehren ein großes Opfer darzubringen, in deinem Heiligtum in Rom.“
Noch eine Weile innehaltend erhob sich die Flavia und wandte sich nach rechts um. Leichten Schrittes und guten Mutes verließ das kleine Heiligtum, welches ein ganzes Stück außerhalb des Dorfes gelegen war, das in den letzen zwei Jahren zu ihrem Refugium und Zufluchtsort geworden war.
„Warum lächelst du so, kleine Schwester?“ Laenas, Corinnas ältester Sohn, hatte draußen auf sie gewartet. „Es ist immer eine Wohltat, wenn ich hierher komme, um Fortuna zu danken,“ entgegnete sie lachend.
Nachdem Domitilla in dem kleinen Dörfchen im Apennin gestrandet war, wurde das Mädchen, dessen Erinnerung verloren gegangen war und dass nicht wusste, wer seine richtige Familie war, kurzerhand herzlich in die Gemeinschaft der Bewohner aufgenommen und Corinnas Familie wurde ihre Familie. So war es ihr die ganze Zeit gut ergangen. Selbst als das Reich von einem Bürgerkrieg heimgesucht wurde, waren nur Gerüchte hinauf in das Dorf gelangt, die jedoch die junge Flavia kaum tangierten. Gewiss, Domitilla spielte ihre Rolle gut, denn auf diese Weise war sie nicht nur ihrem hartherzigen Vater entkommen, nein auch dem unseligen Bräutigam, der sie in Baiae erwartet hatte, konnte sie so hinter sich lassen. Und wenn es stimmte, was man sich so erzählte, war es für eine junge Dame ihres Standes ein Segen, ein solch sicheres Versteck in den Zeiten von Salinators Regentschaft zu haben. Letztendlich hätte ihr Leben weiter so verlaufen können, fernab von familiären Verpflichtungen aber auch weit weg von jeglichem Luxus, welcher Domitilla von jung auf gewohnt war. Aber im Umfeld der jungen Flavia bahnte sich noch etwas anderes an…
„Du bist so wunderschön wenn du lachst. Wie eine Blume…“ Laenas umschloss sie mit seinen Armen und drückte sie leicht an sich heran. Seit geraumer Zeit war das, was er für Domitilla empfand, mehr geworden und in jeder kleinen Geste versuchte er es ihr zu beweisen und hoffte darauf, dass auch ihre Gefühle für ihn gewachsen waren. Sachte versuchte er sie zu küssen. Es war kein Kuss, der ein Bruder seiner Schwester gab, nein, es war mehr. Er wollte mehr. „Nein, bitte! Hör auf damit! Laenas!“ Domitilla wehrte sich gegen seinen Versuch und bereite sich schnell aus seinen Armen. „Aber was hast du? Ich liebe dich doch Domitilla!“ Fast schon vorwurfsvollentgegnete er ihren abwehrenden Blicken. Sie war doch wie für ihn geschaffen, hübsch, klug und fleißig. Wie musste eine Frau denn noch beschaffen sein?
„Ich kann dich nicht heiraten, Laenas!“ Ihr süßes Lächeln war nun Vergangenheit, herzzerbrechend wirkte ihre Stimme auf ihn. Er verstand die Welt nicht mehr. Laenas hatte einen Plan, er wusste, dass sie beide zusammengehörten. Seit dem Tag, an dem er sie gerettet hatte. „Aber… warum?!“ Seine Stimme klang wie die eines jammernden Kindes, dem man alle Annehmlichkeiten seines Spiels genommen hatte. „Ich bin… ich muss hier weg!“ Fluchtartig verließ sie ihn und rannte davon, so schnell sie nur konnte.