Wir erinnern uns, nach Domitillas unrühmlichen Verhalten auf der tiberisch-aurelischen Sponsalia, hatte ihr Vater Cnaeus Flavius Aetius sie von Rom nach Ravenna zurückbeordert. Dort sollte sie fortan, gänzlich zurückgezogen, ihre Tage fristen. Ihrer vertrauten Sklaven beraubt, den Kontakt zu ihrer Mutter verwehrt und ständig unter dem wachsamen Auge ihres Vaters, brach eine schwere Zeit für das verwöhnte Mädchen an. Lediglich Amalthea, ihre alte Kinderfrau war ihr geblieben, die auch ihre einzige Vertraute bleiben sollte, in den Jahren, die anbrachen.
Die Zeit ging nicht spurlos an der jungen Flavierin vorbei. Aus dem einst so lebensfrohen Kind wurde allmählich eine ansehnliche junge Frau, misstrauisch und rücksichtslos gegen all jene, die nicht mit ihr im Bunde waren. Immer öfter versuchte sie gegen ihren Vater aufzubegehren, was selbstredend nicht ohne Folgen bleiben konnte.
Also beschloss Cnaeus Flavius Aetius kurzerhand seine Tochter an die liebe Verwandtschaft nach Baiae weiterzureichen. Dort sollte sie einige Zeit bleiben, bis alles für Notwendige für ihre Hochzeit mit einem alten Freund ihres Vaters geregelt war.
Der Gedanke, das eheliche Bett mit einem Mann zu teilen, der so alt wie ihr Vater war, rief einen regelrechten Ekel in der jungen Flavia hervor. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken. Ganz im Gegenteil, sie begrüßte sogar die Bestrebungen ihres Vaters, sie so schnell wie möglich zu verheiraten. Sah sie doch darin die Möglichkeit, endlich der väterlichen Aufsicht entfliehen zu können.
Der Tag der Abreise war für Domitilla ein innerliches Freudenfest. Die Tränen des Abschieds reine Maskerade! Begleitet von vier seiner besten custodes, zwei Sklavinnen, die für das Wohl der Flavia verantwortlich waren und der Kinderfrau Amalthea, entließ der alte Aetius seine Tochter aus seiner Obhut. Wohlweißlich hatte er ihre Reiseroute großzügig um die urbs aeterna gewählt. Die junge Flavia sollte nicht in Versuchung geführt werden, dem überschwänglichen Leben Roms zu erliegen.
So rollte der Wagen Stunde um Stunde Tag um Tag gen Süden, vorbei an nichtssagenden Dörfen. Das ständig milde Lächeln Amalteas und die ausdruckslosen Gesichter der beiden Sklavinnen war alles, was Flavia Domitilla während der Reise zu Gesicht bekam. Gelangweilt schwirrte ihr Blick manchmal zu der Öffnung des Reisewagens, damit ihre Augen wenigstens ein klein wenig Abwechslung erhielten. Doch was sie da sahen war nur menschenleere Einöde.
Gegen Nachmittag zogen am Himmel dunkel drohende Wolken auf. Aus der Ferne war bereits ein Donnergrollen zu vernehmen. Ein Unwetter nahte bereits. Die junge Flavia hatte inzwischen ein Gespür dafür entwickeln können, sobald sich die Fahrgeschwindigkeit des Wagens änderte. Diesmal, so glaubte sie, konnte sie sogar die Nervosität des Kutschers spüren, der die beiden Pferde mit allen Mitteln antrieb, damit der Wagen noch etwas schneller fuhr, um so die nächste rettende Herberge auf ihrem Weg noch rechtzeitig zu erreichen.
Der Wind nahm zu und vereinzelt verirrten sich einige Tropfen Regen auf die Erde hinab. Im Grunde genommen war es bereits zu spät, als der Kutscher endlich der Tatsache gewahr wurde, dass er direkt auf das Unwetter zusteuerte.
Als hätte sich Iupiter Höchstselbst gegen die Sterblichen verschworen, schickte er heftige Blitze zur Erde hinunter, die mit immer lauterwerdendem Donnergrollen einher gingen. Dicke Regentropfen begannen bedrohlich auf das Dach des Wagens zu trommeln. Nun wich sogar das immerwährende Lächeln aus dem Gesicht der Kinderfrau und selbst die beiden Sklavinnen , die bisher keinerlei Emotion gezeigt hatten, sahen sich nun angstvoll um.
Indes forderte der Kutscher das Äußerste von den Pferden und auch die custodes, die die Kutsche zu Pferd begleiteten, waren längst in Galopp übergegangen.
Als sich direkt über ihnen der unterspülte Hang löste und mit einem lauten Krachen herniederging, reagierte der Kutscher reflexartig. Unglücklicherweise steuerte er damit den Wagen dem Abgrund entgegen. Doch die Lawine aus Schlamm und Geröll war schneller und so verschluckte sie alles, was sich ihr auf ihrem Weg nach unten entgegenstellte. Wie Spielfiguren wurden die Reiter samt Pferden mit fortgerissen. Der Wagen überschlug sich mehrmals bevor er endgültig an einem Felsen zerschellte. Was davon übrig blieb, wurde unter dem Schlamm begraben oder mit ihm davon gerissen.
Es sollte noch die ganze Nacht kontinuierlich weiterregnen. Erst der Morgen versöhnte sich wieder mit der Sonne. Die grauen Wolken hatten sich längst schon aufgelöst. Die Luft war klar. Nichts deutete am Himmel mehr darauf hin, welches Unheil wenige Stunden zuvor hereingebrochen war. Dabei hatten sich bereits die ersten düsteren Schatten über die Geschicke des Imperiums gelegt und noch weitere, weitaus bedrohlichere sollten noch folgen.
Jedoch waren die Wunden, die das Unwetter in die Landschaft gerissen hatten, unübersehbar. Dort, wo noch gestern eine Straße verlief, türmte sich nun Geröll und trocknender Schlamm. Das Unwetter hatte eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich über der Unfallstelle ein immer penetranter werdender Geruch des Todes breitmachte, der Fliegen und anderes Ungeziefer anlockte.
Vielleicht zwei oder drei Tagewürde es dauern, bis man dem Verbleib des falvischen Wagens nachgehen würde. Früher oder später würde man unweigerlich an den Platz des Unglückes gelangen und feststellen, dass es keine Überlebenden vor Ort mehr gab. Doch die herannahenden Ereignisse im Reich würden den Flaviern kaum Zeit zur Trauer lassen.