Beiträge von Flavia Domitilla

    | Acanthus


    Tag um Tag, Jahr um Jahr war der gute Acanthus nicht von seinem Platze gewichen. Selbst in den wirren Zeiten des Bürgerkrieges hatte er die Stellung gehalten. Nun, da wieder bessere Zeiten Einzug hielten und nach und nach wieder Leben in die Bude – ähm pardon Villa kam, sollte man annehmen, dass dies auch dem Gemüt des treuen Ianitors der Flavier zuträglich war. Doch wenn dem tatsächlich so war, verbarg er dieses geschickt zwischen seinem ewigwährenden Nachsinnen über den Sinn oder Unsinn der Welt.


    Als er nun ein Klopfen vernahm, tat er was in diesem Fall immer getan werden musste. Er öffnete die Porta und mit seiner für ihn ganz typischen schlechtgelaunten Art. „Wer bist du und was willst du?“ Ein wenig herablassend blickte er auf den Bittsteller herab, wobei ihm selbstredend der junge Herr im Hintergrund bereits in sein Blickfeld gerückt war.

    Domitilla hatte wieder die Augen geschlossen. Die Trauer über das, was geschehen war, lag wie ein riesiger Klotz auf ihrem Herzen. Dass Amalthea nun nicht mehr an ihrer Seite sein sollte, um auf sie aufzupassen, ihr zu sagen was gut und schlecht in dieser Welt war und sie auf ihr späteres Leben als Ehefrau und Mitglied der feinen Gesellschaft vorzubereiten, schmerzte sie sehr. Ihr eigenes Schicksal hatte sie vorerst ausgeblendet. Doch einige Tage, als sie sich mit der neuen Situation langsam abgefunden hatte, wurde ihr nach und nach bewusst, was Amaltheas Tod und der schreckliche Unfall für sie selbst bedeutete. Die Verwandten in Baiae mochten sich sicher Sorgen machen, weshalb ihr Wagen nicht angekommen war. Womöglich würde man nach ihr suchen. Ganz sicher würde man nach ihr suchen! Schließlich war sie ja nicht irgendwer! Und auch ihr Zukünftiger … Ach ja, die geplante Hochzeit! Domitilla hatte diesen Punkt immer wieder versucht auszublenden. Einen Mann ehelichen zu müssen, der bereits seine besten Jahre hinter sich hatte, war wahrlich kein lukrativer Gedanke! Wie gut, dass Amalthea tot war! Und nicht nur das! Wie gut, dass alle anderen Sklaven, die ihre Identität hätten bezeugen können, ebenfalls Opfer des Unfalls geworden waren! Die Götter mussten es trotz aller ihrer Verletzungen gut mit ihr gemeint haben, dachte sich Domitilla und lächelte zufrieden ob der Umstände in sich hinein. Äußerlich gab sie selbstredend das untröstliche Mädchen, das nun ganz allein auf der Welt war und sich nicht einmal mehr richtig an seinen Namen erinnern konnte.
    Was sich so in den nächsten Tagen im Hirn der Flavia zusammenspann, grenzte nahezu an Rebellion! Wenn sie sich weiterhin mit ihrer Identität zurückhielt, konnte sie niemand finden. Wenn sie niemand fand, war sie frei! Irgendwann, wenn sie wieder auf den Beinen war, würde sie ihre Wohltäter verlassen und sich dann zu ihrer Schwester nach Rom durchschlagen. Doch bis dahin sollten noch viele Tage vergehen! Zuerst mussten die Wunden und Knochenbrüche der Flavia heilen. Dennoch war für sie das Schmieden neuer Pläne eine gute Medizin.


    Auch Corinna blieb dies nicht ganz verborgen. Jeden Morgen sah sie nach ihrer Patientin, die sich nicht an ihren Namen erinnern konnte. Ein Lächeln umschmeichelte den Mund der jungen Frau, selbst dann noch, als sie ihren Verband wechselte und sich ihre geschienten Beine ansah.
    "Wie ich sehe, geht es dir heute schon besser! Du lächelst wieder. Das ist gut!", sagte Corinna. "Ich hatte heute Nacht kaum Schmerzen – Dank deiner Medizin!", erwiderte Domitilla. Was tatsächlich in ihr vorging, behielt sie für sich. Als Corinna fertig war, holte sie einen Weidenkorb hervor, den sie neben sich abgestellt hatte. "Mein Sohn hat etwas abseits der Unfallstelle einige Sachen gefunden. Er meinte, sie gehören vielleicht dir." Sie zog einige Kleidungsstücke hervor, die sie zuvor gewaschen und ordentlich in dem Korb verstaut hatte. Domitilla besah sich die Kleider, die sie als ihr Eigentum wiedererkannte und strich mit ihrem Finger darüber. "Ja, ich glaube schon, das sind meine. Hat dein Sohn noch mehr gefunden?", fragte sie vorsichtig. Corinnas Augen wandten sich nicht von Domitilla ab, als sie ein weiteres Stück Stoff aus dem Korb nahm. "Das hier noch. Ich wusste nicht genau, was es ist. Der Stoff ist sehr edel. Und sieh nur dieses Zeichen! Mit goldenen Fäden darauf gestickt. Weißt du, was das zu bedeuten hat. Der Dorfälteste meinte, es wäre vielleicht das Zeichen von einer reichen Familie. Deiner Familie!" Domitillas Augen weiteten sich etwas, als sie das rote Tuch erblickte, das einmal den flavischen Wagen, mit dem sie gereist war, geziert hatte. Ihre Finger strichen über die raue Stelle, auf der das flavische Wappen mit dem goldenen Caduceus gestickt war. "Ich… ich kann mich nicht erinnern!" begann die Flavia zu stottern und wirkte plötzlich ganz verstört.

    Als die Flavia wieder ihre Augen vorsichtig aufschlug, fand sie sich an einem halbdunklen Ort wieder. 'Ist es so, wenn man tot ist?', fragte sie sich selbst. Doch diese Frage konnte sie sich schon recht bald selbst beantworten. In dem Moment, als der latente Schmerz, den sie bereits nach dem Unfall empfunden hatte, wieder in ihre Glieder zurückkehrte, wurde ihr bewusst, dass sie noch immer unter den Lebenden weilte.
    Der Versuch sich zu bewegen, endete mit einem qualvollen Seufzer. Eine Welle heftigen Schmerzes übermannte sie, der nur ganz langsam wieder abebben wollte. So vermied sie jegliche Bewegung.
    Allmählich realisierte sie, dass sie auf etwas hartem lag, welches sich nicht gerade angenehm auf der Haut anfühlte. Ihre Nase nahm Gerüche war, die ihr fremd waren und die sie auch gar nicht richtig einordnen konnte.
    Dann war ihr, als höre sie Stimmen. Die Tatsache, dass sie jemand gefunden haben mochte und dass sie nun unter Fremden war, bescherte ihr ein ungutes Gefühl. So wie die Dinge sich gestalteten, war sie diesen Leuten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, ganz gleich, was sie mit ihr im Schilde führten. So nahm sie all ihren Mut zusammen und rief: "Hallo, ist da wer?"
    Einige Zeit später öffnete sich eine Tür. In einem, für Domitillas Augen grell erscheinendem Licht getaucht, erschien eine Gestalt, die näher trat und sich schließlich zu ihr hinab beugte. Eine Hand legte sich auf ihre Stirn. "Du bist endlich wach. Das ist gut. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht.", sagte eine gütige Stimme.
    "Wer ist wir? Wer bist du und wo bin ich?", fragte die Flavierin mit zittriger Stimme. "Keine Angst, du bist in Sicherheit. Ich bin Corinna. Mein Sohn hat dich vor fünf Tagen gefunden und in unser Dorf gebracht."
    Domitllas Augen hatten sich inzwischen an das Licht gewöhnt. Nun konnte sie in das Gesicht einer Frau blicken, die im Alter ihrer Mutter war. Nur sahen ihre Augen viel müder aus. Ihre Haut schien von der Sonne gegerbt zu sein und ihre Kleidung war einfach. Viel einfacher, als die ihrer Sklaven.
    "Vor fünf Tagen? War ich solange… Und was ist mit den anderen? Was ist mit Amalthea?" Domitillas Stimme begann zu beben. Doch in ihrem Inneren konnte sie schon ahnen, dass es die alte griechische Kinderfrau nicht geschafft. Aufblitzende Bilder, Erinnerungsfetzen an den Tag des Unfalls sagten ihr, das Amalthea tot war. So war Corinnas Kopfschütteln nur noch einmal eine Bestätigung dessen, was sie eh schon gewusst hatte. "Mein Sohn sagte, dass er mit seinem Hund nur noch Tote gefunden hat. Wir haben die Toten verbrannt und ihre Asche beigesetzt, wenn dich dass etwas trösten kann." Corinna strich der Flavia tröstend über ihre Wange und ihre Finger, die von der vielen Arbeit mit der Zeit rau geworden waren, spürten ihre Tränen. "Weine ruhig, mein Kind!"

    Leider werde ich wohl auch die nächsten Wochen nur mit Abwesenheit glänzen können. Die nächsten zwei Wochen habens noch mal in sich und dann bin ich zwei Wochen in Urlaub.....


    Ab 22.7. wieder im Ländle!

    Die junge Flavia wurde Stunde um Stunde schwächer. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das letzte Fünkchen Leben endgültig aus ihr gewichen war. Benommen nahm sie lediglich noch peripher wahr, wie auf die Nacht ein neuer Tag gefolgt war und wie der Lauf der Sonne den Zenit erreicht hatte.
    Wenn doch endlich der Tod käme, sie würde ihn wie einen Freund in die Arme schließen und sein Kommen wie ein Geschenk feiern. Doch als wollten sich die Götter an ihrem Elend ergötzen, führten sie sie nicht zu den Gestaden des Styx.
    Stattdessen ließen sie es geschehen, dass ein junger Ziegenhirte in Begleitung seiner Tiere und seines Hundes in der Nähe der Unfallstelle vorbei kam. Das Unwetter hatte auch in seinem Dorf große Schäden angerichtet. Drum war er wenig überrascht, als er das Ausmaß der Schlammlawine auf der Straße sah. Auf den ersten Blick war von den Trümmern des flavischen Wagens nichts zu sehen. Nur als sein Hund sich den inzwischen getrockneten Schlammablagerungen und dem abgegangenen Geröll näherte und Interesse bekundete, beschloss auch der Junge, sich umzusehen. Eigentlich hatte er den Hund zurückholen wollen. Doch der schien alle Anweisungen seines Herrn zu überhören. Laut bellend begann das Tier auf etwas aufmerksam zu machen. Der Junge, näherte sich mit seinem Stock drohend dem Hund, um ihn zum weitergehen zu bewegen. Da entdeckte auch er einige Trümmerteile des Wagens. Und dort, wo sich sein Hund befand, schien noch etwas anderes zu liegen. Sein Ärger wich einer regen Neugier.


    Das Gebell des Hundes schien aus anderen Tagen herzurühren. Besseren Tagen, zu Hause bei ihrer Mutter in Aquilea, als sie noch ein Kind gewesen war. Domitilla machte sich nicht mehr die Mühe, die Augen aufzuschlagen, denn dass was sie zu sehen bekam waren nur die Trümmer, der Staub und der Dreck, die ihr Leben in einigen Stunden beschließen würden. Außerdem würde sie die erbarmungslose Sonne, die auf ihr Gesicht niederbrannte und ihren Körper austrocknete, nur blenden. Was hätte sie nur für ein paar Tropfen Wasser gegeben, die ihr Leid etwas milderten!


    Etwas Raues, Feuchtes strich durch ihr Gesicht. Eines von Amaltheas feuchten Leintüchern, mit denen sie ihr früher die Schweißperlen von der Stirn gewischt hatte, wenn sie krank war und fieberte. Eine beruhigende schöne Vorstellung, die ihr ein wenig die Angst nahm, vor dem, was noch vor ihr lag. Vielleicht war das schon das Ende. Domitillas Augen öffneten sich einen Spalt. Das wohlige Gefühl wich sofort, als sie die Bestie über sich sah. Die hechelnde Zunge, die spitzen weißen Zähne und der üble Geruch. Für einen kurzen Moment kehrten noch einmal ihre Lebensgeister zurück, die sich gegen dieses Tier wehren wollten und die durch die Anspannung sofort wieder durch den pochenden Schmerz ihrer eingeklemmten Glieder gehemmt wurden. "Nein, nein!" , hauchte sie mir letzter Kraft. "Geh weg!" Die Vorstellung, bei lebendigem Leib gefressen zu werden, mobilisierte ihre allerletzten Kräfte und ließ sie hysterisch werden. Selbst dann, als der Junge seinen Hund zur Seite schob und damit begann, die junge Frau zu befreien. Letztendlich verlor sie wieder die Besinnung. Kraftlos ließ sie sich einfach in ungeahnte Tiefen abgleiten, um bestenfalls nie wieder empor steigen zu müssen.

    Auch in der jungen Flavia stieg unaufhörlich die Furcht, als der Wagen wie wild über das Pflaster der Straße polterte, die Regentropfen bedrohlich laut gegen den Wagen schlugen und das Gefährt von den heftigen Windböen hin und her gezerrt wurde. Dann das laute Zischen des Donners, das die Frauen erzittern ließ und die gleißend hellen Blitze. Eine der Sklavinnen stimmte ein von Angst getriebenes Klagen an und beschwor die Götter, sie mögen ihnen helfen. Domitilla jedoch vermied es, ihr Gehör zu schenken. Ihre Sinne erfassten nur das Wüten des Unwetters und die Erschütterungen des Wagens. Es schien so, als wäre das Gewitter nun direkt über ihnen.
    Und dann war da plötzlich dieses grollende Geräusch, welches allerdings nicht vom Donner herrührte. Leicht hätte man es damit verwechseln können. Doch dieses Grollen war wesentlich intensiver, tiefgründiger, dass es sogar die Erde erzittern ließ. Bevor Domitilla noch einen Blick hinauswerfen konnte, wurden sie und die anderen Frauen von ihren Sitzplätzen gerissen. Nun begannen beide Sklavinnen hysterisch zu schreien, als sie urplötzlich nach hinten und dann zur Seite gerissen wurden. Die alte Kinderfrau stöhnte vor Schmerzen, denn ihr Kopf war sehr unsanft gegen die Wageninnenwand geschleudert worden. Die Flavia selbst hatte Glück gehabt, denn ihr Aufprall wurde durch die Körper der beiden Sklavinnen abgemildert. Doch was dann geschah, übertraf bis dahin alles Vorstellbare: Der Wagen begann zur Seite zu kippen. Wild schreiend, als hätten sie dadurch doch noch ihr armseliges Leben retten können, wurden die vier Insassen durcheinander geschleudert, bis schließlich der Wagen mit aller Wucht gegen einen Felsen prallte und zerbarst. Die Frauen wurden herausgeschleudert und zum Teil von den Trümmern des Wagens verletzt.
    Eine dickflüssige schlammige Masse, die sich über die Trümmer ergoss, riss alles mit fort, was nicht durch den Felsen oder von den großen sperrigen Trümmerteilen zurückgehalten wurde.

    Von den beiden Sklavinnen war nichts mehr zu sehen. Wenn sie nicht schon durch den Aufprall erschlagen worden waren, dann waren sie spätestens jetzt in den Schlammmassen umgekommen. Ebenso waren die begleitenden Reiter und der Kutscher einfach von den Fluten mitgerissen und davon geschwemmt worden.
    Amalthea, die alte Kinderfrau war direkt gegen die Felswand gedrückt worden und schließlich von einigen Trümmern des Wagens getroffen worden. Sie war auf der Stelle tot.
    Die junge Flavia war zwischen einigen größeren Trümmerteilen gelandet, halb begraben durch den Schlamm und größere Gesteinsbrocken. Sie hatte Verletzungen an Kopf, Armen und Beinen davongetragen. Es grenzte fast an ein Wunder, denn sie atmete noch schwach!


    Der Regen ließ in der Nacht nach. Die ersten Sonnenstrahlen des neuanbrechenden Tages begannen dem Boden rasch das überschüssige Wasser zu entziehen. Gegen Mittag hatte sich auf dem Schlamm bereits eine trockene Kruste gebildet.
    Domitillas Kopf pochte vor Schmerzen. Sie war im Laufe des Tages immer wieder kurzzeitig zu sich gekommen, war dann aber wieder in ihre Ohnmacht abgetaucht. Jegliche Versuche, sich zu bewegen waren gescheitert. Sie endeten immer damit, dass sie furchtbare Schmerzen verursachten. Also blieb Domitilla regungslos liegen und hoffte auf einen baldigen Tod.


    Als die Nacht hereinbrach, befiel sie die plötzliche Angst vor wilden Tieren, die es hier in der Wildnis zweifellos gab, angelockt von dem Geruch toten Fleisches. Dies war die übelste Art, zu sterben. Und der Gedanke daran war schlimmer als alle Schmerzen zusammen. Zuerst wimmerte sie nur leise. Aus dem Wimmern wurden ein Klagen und aus dem Klagen ein erbärmlicher Schrei.

    Wir erinnern uns, nach Domitillas unrühmlichen Verhalten auf der tiberisch-aurelischen Sponsalia, hatte ihr Vater Cnaeus Flavius Aetius sie von Rom nach Ravenna zurückbeordert. Dort sollte sie fortan, gänzlich zurückgezogen, ihre Tage fristen. Ihrer vertrauten Sklaven beraubt, den Kontakt zu ihrer Mutter verwehrt und ständig unter dem wachsamen Auge ihres Vaters, brach eine schwere Zeit für das verwöhnte Mädchen an. Lediglich Amalthea, ihre alte Kinderfrau war ihr geblieben, die auch ihre einzige Vertraute bleiben sollte, in den Jahren, die anbrachen.


    Die Zeit ging nicht spurlos an der jungen Flavierin vorbei. Aus dem einst so lebensfrohen Kind wurde allmählich eine ansehnliche junge Frau, misstrauisch und rücksichtslos gegen all jene, die nicht mit ihr im Bunde waren. Immer öfter versuchte sie gegen ihren Vater aufzubegehren, was selbstredend nicht ohne Folgen bleiben konnte.
    Also beschloss Cnaeus Flavius Aetius kurzerhand seine Tochter an die liebe Verwandtschaft nach Baiae weiterzureichen. Dort sollte sie einige Zeit bleiben, bis alles für Notwendige für ihre Hochzeit mit einem alten Freund ihres Vaters geregelt war.
    Der Gedanke, das eheliche Bett mit einem Mann zu teilen, der so alt wie ihr Vater war, rief einen regelrechten Ekel in der jungen Flavia hervor. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken. Ganz im Gegenteil, sie begrüßte sogar die Bestrebungen ihres Vaters, sie so schnell wie möglich zu verheiraten. Sah sie doch darin die Möglichkeit, endlich der väterlichen Aufsicht entfliehen zu können.


    Der Tag der Abreise war für Domitilla ein innerliches Freudenfest. Die Tränen des Abschieds reine Maskerade! Begleitet von vier seiner besten custodes, zwei Sklavinnen, die für das Wohl der Flavia verantwortlich waren und der Kinderfrau Amalthea, entließ der alte Aetius seine Tochter aus seiner Obhut. Wohlweißlich hatte er ihre Reiseroute großzügig um die urbs aeterna gewählt. Die junge Flavia sollte nicht in Versuchung geführt werden, dem überschwänglichen Leben Roms zu erliegen.
    So rollte der Wagen Stunde um Stunde Tag um Tag gen Süden, vorbei an nichtssagenden Dörfen. Das ständig milde Lächeln Amalteas und die ausdruckslosen Gesichter der beiden Sklavinnen war alles, was Flavia Domitilla während der Reise zu Gesicht bekam. Gelangweilt schwirrte ihr Blick manchmal zu der Öffnung des Reisewagens, damit ihre Augen wenigstens ein klein wenig Abwechslung erhielten. Doch was sie da sahen war nur menschenleere Einöde.


    Gegen Nachmittag zogen am Himmel dunkel drohende Wolken auf. Aus der Ferne war bereits ein Donnergrollen zu vernehmen. Ein Unwetter nahte bereits. Die junge Flavia hatte inzwischen ein Gespür dafür entwickeln können, sobald sich die Fahrgeschwindigkeit des Wagens änderte. Diesmal, so glaubte sie, konnte sie sogar die Nervosität des Kutschers spüren, der die beiden Pferde mit allen Mitteln antrieb, damit der Wagen noch etwas schneller fuhr, um so die nächste rettende Herberge auf ihrem Weg noch rechtzeitig zu erreichen.
    Der Wind nahm zu und vereinzelt verirrten sich einige Tropfen Regen auf die Erde hinab. Im Grunde genommen war es bereits zu spät, als der Kutscher endlich der Tatsache gewahr wurde, dass er direkt auf das Unwetter zusteuerte.
    Als hätte sich Iupiter Höchstselbst gegen die Sterblichen verschworen, schickte er heftige Blitze zur Erde hinunter, die mit immer lauterwerdendem Donnergrollen einher gingen. Dicke Regentropfen begannen bedrohlich auf das Dach des Wagens zu trommeln. Nun wich sogar das immerwährende Lächeln aus dem Gesicht der Kinderfrau und selbst die beiden Sklavinnen , die bisher keinerlei Emotion gezeigt hatten, sahen sich nun angstvoll um.
    Indes forderte der Kutscher das Äußerste von den Pferden und auch die custodes, die die Kutsche zu Pferd begleiteten, waren längst in Galopp übergegangen.
    Als sich direkt über ihnen der unterspülte Hang löste und mit einem lauten Krachen herniederging, reagierte der Kutscher reflexartig. Unglücklicherweise steuerte er damit den Wagen dem Abgrund entgegen. Doch die Lawine aus Schlamm und Geröll war schneller und so verschluckte sie alles, was sich ihr auf ihrem Weg nach unten entgegenstellte. Wie Spielfiguren wurden die Reiter samt Pferden mit fortgerissen. Der Wagen überschlug sich mehrmals bevor er endgültig an einem Felsen zerschellte. Was davon übrig blieb, wurde unter dem Schlamm begraben oder mit ihm davon gerissen.


    Es sollte noch die ganze Nacht kontinuierlich weiterregnen. Erst der Morgen versöhnte sich wieder mit der Sonne. Die grauen Wolken hatten sich längst schon aufgelöst. Die Luft war klar. Nichts deutete am Himmel mehr darauf hin, welches Unheil wenige Stunden zuvor hereingebrochen war. Dabei hatten sich bereits die ersten düsteren Schatten über die Geschicke des Imperiums gelegt und noch weitere, weitaus bedrohlichere sollten noch folgen.
    Jedoch waren die Wunden, die das Unwetter in die Landschaft gerissen hatten, unübersehbar. Dort, wo noch gestern eine Straße verlief, türmte sich nun Geröll und trocknender Schlamm. Das Unwetter hatte eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich über der Unfallstelle ein immer penetranter werdender Geruch des Todes breitmachte, der Fliegen und anderes Ungeziefer anlockte.
    Vielleicht zwei oder drei Tagewürde es dauern, bis man dem Verbleib des falvischen Wagens nachgehen würde. Früher oder später würde man unweigerlich an den Platz des Unglückes gelangen und feststellen, dass es keine Überlebenden vor Ort mehr gab. Doch die herannahenden Ereignisse im Reich würden den Flaviern kaum Zeit zur Trauer lassen.

    O Fortuna
    velut luna
    statu variabilis,
    semper crescis
    aut decrescis;
    vita detestabilis
    nunc obdurat
    et tunc curat
    ludo mentis aciem,
    egestatem,
    potestatem
    dissolvit ut glaciem.


    Sors immanis
    et inanis,
    rota tu volubilis,
    status malus,
    vana salus
    semper dissolubilis,
    obumbrata
    et velata
    michi quoque niteris;
    nunc per ludum
    dorsum nudum
    fero tui sceleris.


    Sors salutis
    et virtutis
    michi nunc contraria,
    est affectus
    et defectus
    semper in angaria.
    Hac in hora
    sine mora
    corde pulsum tangite;
    quod per sortem
    sternit fortem,
    mecum omnes plangite!



    Kein Sterblicher wird jemals Fortunas Pläne ergründen können. Jenem, dem sie gestern noch hold war, kann sich heute schon zerschellt am Boden wiederfinden. Obschon es ihm morgen erneut gelingen mag, eneut nach den Sternen zu greifen. So sind wir doch alle nur Figuren in einem Spiel, welches ewig zwischen Glück und Pech, gut und böse, hin und her pendelt. Daher ist kaum vorhersehbar, was der nächste Tag dir bringen könnte. Ist es der Ruhm oder gar der Tod, der dich erwartet? Die Götter spielen mit uns, ganz wie es ihnen beliebt. Seien wir nun von niederer Herkunft oder einer großen und mächtigen Familie entsprungen. Am Ende werden wir nur zu Staub.


    So sei zunächst dem geneigten Leser ein kurzer Einblick in das Leben der jungen Flavia Domitilla gewährt, mit deren Schicksal sich die Götter just einen Spaß erlauben, um sich so etwas Kurzweil zu verschaffen.
    Gestern noch hatte sie glaubt, die Welt läge ihr zu Füssen. Doch falsch gedacht! Gleich am nächsten Tag sollte sie sich in einem Gefängnis wiederfinden. Was Fortuna ihr wohl morgen bescheren wird?

    Hallo, liebe Leute,


    mir hat es hier in diesem Forum immer sehr viel Spaß gemacht, mich einzubringen. Fast vier Jahre lang habe ich hier spannende Momente, tragische Begebenheiten, schöne und nicht so schöne Augenblicke miterleben dürfen. Ich bin allen, die mit mir gepostet haben sehr dankbar für diese erlebnisreiche Zeit. Doch nun scheint für mich die Zeit gekommen zu sein, denn schon seit geraumer Zeit fehlt mir der Antrieb, zu schreiben. Wer hier schon eine Weile dabei ist, weiß dass solche Motivationstiefe immer einmal kommen und dann auch wieder gehen. Bei mir jedoch scheint es so, als habe ich längst den Zenit überschritten.
    Meine berufliche Umorientierung zu altbewährtem nehme ich daher nun zum Anlass, mich aus dem IR zurückzuziehen. Die kommenden Wochen und Monate möchte ich dazu nutzen, um wieder gut in meinem alten Beruf anzukommen. Daher werde ich es einfach zeitlich nicht mehr schaffen, mich auch noch genügend im IR einbringen zu können.
    Wer weiß, vielleicht führt mich eines Tages wieder ein Weg nach Rom, denn dorthin führen ja bekanntlich viele Wege hin.
    Um es mit den Worten von Douglas Adams zu sagen: Macht's gut und danke für den Fisch! :)



    PS: Domitilla wird, nach ihrem skandalösem Auftritt auf der Sonsalia-Feier von Aurelia Flora und Manius Tiberius Durus von ihrem Vater nach Ravenna beordert, wo sie von nun an ihre Tage fristet. Ihre Sklaven bleiben in Rom und unterstehen von nun an ihrem Bruder, Aulus Flavius Piso, der über sie voll und ganz verfügen kann. Sofern es gewünscht wird, können sie auch veräußert werden.

    Nanu! Huschte da etwa ein Grinsen über die flavischen Lippen, welches kurze Zeit später schon wieder verschwunden war und einem Ausdruck der Verwunderung Platz machte? In der Tat! Nun, die trug nicht sonderlich dazu bei, dass ich mich dadurch besser fühlte. Ganz im Gegenteil. Es irritierte mich, um genau zu sein.
    "Äh…"
    Was sagte ich jetzt? Die Wahrheit, dass ich die Geschichten viel lieber mögen würde, wenn ich nicht dazu gezwungen würde, sie zu lesen. Oder doch lieber das, was alle belesene Erwachsene hören wollen? Nämlich dass man Homer für einen Höhepunkt der griechischen Literatur hält und sich am liebsten mit nichts anderem beschäftigt, als ihn zu lesen, über das Gelesene zu diskutieren, und den Text zu analysieren.
    Die Entscheidung wurde mir buchstäblich abgenommen. Und zwar in Form einer streng blickenden und laut zeternden Griechin mit hochrotem Kopf, die direkt auf mich zu walzte. Allein ihr Anblick wirkte komisch, da ihre Tunika bei jeder ihrer hastigen Bewegungen in Wallung geriet. Zum Lachen aber war mir gewiss nicht. Ich hätte mich am liebsten versteckt, wo mich niemand in den nächsten paar Jahren hätte finden können. Doch diese Gelegenheit war vertan.
    "Flavia Domitilla! Was erdreistest du dich? Verschwindest einfach aus der Bibliothek! Vernachlässigst deine Studien! Wenn das deine Mutter wüsste! Aber keine Sorge! Sie wird es erfahren! Noch heute werde ich ihr Bericht erstatten! "
    Eigentlich war Amalthea ganz umgänglich. Eigentlich. Doch es gab gewisse Momente, da wollte man nicht in ihrer Nähe sein. Ein solcher Moment war genau jetzt. Die Griechin wendete ihr wutentbranntes Antlitz von mir, hin zu meinem Verwandten, den sie wohl jetzt erst wahrnahm. Doch seine Präsenz änderte absolut nichts an ihrem Verhalten. Letztendlich führte sie doch nur die Befehle meiner Mutter aus.
    "Entschuldige Dominus, ich muss diese kleine Ausreißerin wieder zu ihrem Unterricht bringen!", meinte sie nur. Mir hingegen warf sie einen auffordernden Blick zu, auf der Stelle wieder mit zu kommen, Was ich dann auch tat.
    "Entschuldige mich bitte, Flavius Flaccus. Vielleicht können wir unser Gespräch etwas später fortsetzen," sagte ich und meine Unglück war mir durchaus anzumerken. Doch dann folgte ich Amalthea.

    Wie schön, dass Nigrina genauso sah! Mit ihrer Hilfe, so hoffte ich, könnte ich bestimmt jemand kennenlernen oder wenigstens Kontakte knüpfen. Letztendlich war es doch recht nützlich, potentiell heiratswillige Kandidaten kennenzulernen, als am Ende eine böse Überraschung erleben zu müssen. Vorbeugen war immer besser, als das Nachsehen zu haben.
    Kaum hatte meine Schwester geendet, richteten sich meine Augen gen Tür, durch die ein recht attraktiver Mann hereinkam. Ohne Frage handelte es sich hierbei um meinen Schwager, den ich zwar bis dato noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, ihn aber als solches deutete. Er begrüßte mich freundlich, obwohl ich unangemeldet hereingeschneit war. Und Nigrina strahlte geradezu. Ob das Liebe war? Wenn man sich freut, wenn der Mann nach Hause kommt? Wie sie seinen Namen ausgerufen hatte! Als ob sie sich nach ihm gesehnt hatte, obgleich er nur für wenige Stunden fort gewesen war.
    Sie bot ihm an, sich zu uns zu setzen. Nachdem sie das getan hatte, wirkte sie gleich viel entspannter. Ich nahm an, das hing einfach mit seiner Gegenwart zusammen. Ob mir das auch dereinst widerfahren würde, dass ich so glücklich und zufrieden sein konnte, wenn mein Ehemann nach Hause kommt? Wenn Nigrina in allen Dingen mein Vorbild war, so hoffte ich doch von nun an, einmal einen Ehemann wie diesen Aurelier zu erhaschen. Die beiden schiene das ideale Paar zu sein, die sich gesucht und schließlich auch gefunden hatten. Dass es so etwas gab! Beeindruckend, sehr beeindruckend!
    Natürlich war auch ich war sehr erfreut, meinen Schwager endlich einmal kennenzulernen. Und dies war mir auch sehr deutlich anzusehen. Nigrina stellte uns einander vor. Ich lächelte aufgeregt dabei und himmelte meinen Schwager regelrecht an.
    "Es ist mir eine große Freude, dich endlich einmal kennenzulernen, lieber Schwager!", sprudelte es aus mir heraus. Doch gleich darauf bremste ich mich wieder um den Ärmsten nicht vollzuplappern. Kleine Mädchen, die ständig nur unnützes Zeug daherplapperten, beeindruckten den Aureliersicher nicht.

    Die Art und Weise, wie ihre Augenbrauen nach oben gingen, welches eine urflavische Geste der Überraschung und womöglich auch der Missbilligung war, begann ich wieder zu schwanken. War es der rechte Moment, über eine solch delikate Angelegenheit zu sprechen? Wenn nicht meine Schwester, mit wem hätte ich sonst darüber sprechen sollen? Selbst meine Mutter wäre für eine solche Thematik nicht empfänglich gewesen.
    Doch meine anfängliche Furcht stellte sich schnell als unbegründet heraus, denn Nigrina begann sogleich, mich mit praktischen Tipps zu überschütten. Das alles hörte sich so unglaublich einfach an. Doch wenn ich es mir recht überlegte, kamen mir doch berechtigte Zweifel, ob mir dies auf Anhieb gelang. Vielleicht sollte ich vorher einmal üben, bevor ich mich ans Werk machte. Irgendein Sklave müsste wohl dafür herhalten.
    Nigrina grinste, allerdings nur ganz kurz. Doch dieses Grinsen bewirkte, dass ich mich wieder verunsichert fühlte. Erst recht, als sie danach fragte, ob ich jemand kennengelernt hatte.
    "Ich? Nein! Aber in Anbetracht der bevorstehenden Feier… dachte ich…." Nun ich dachte an die vielen jungen Männer aus gutem Hause, die ebenfalls zur bevorstehenden tiberisch-aurelischen Sponsalia eingeladen waren. Das war doch die willkommene Gelegenheit, sich einmal …umzuschauen.

    War es nicht das größte Glück, welches mir zu Teil werden konnte, eine so nette und verständnisvolle Schwester zu haben. Ich hatte für mich schon schnell herausgefunden, dass ich, gleich was da kommen mochte, immer zu ihr kommen konnte. Sie würde stets ein offenes Ohr für mich haben und dabei kannten wir uns nun erst wenige Monate. Jedes Mal, wenn ich an meine Schwester dachte, wurde mir schmerzlich bewusst, was ich all die Jahre in meiner Kindheit zu entbehren hatte.
    Dabei konnte ich noch viel von ihr lernen. Ihren Tipp mit den Sklaven würde ich mir, wie alles andere auch, zu Herzen nehmen. Gerade wenn ich an meine Neuerwerbungen dachte, konnte ich noch viel experimentieren.
    Doch nun zuerst zu meiner Frage, die mir schon seit einigen Tagen auf der Zunge brannte. Meiner Kinderfrau hätte ich diese Frage niemals stellen können. Schon gar nicht meiner Mutter, da uns ja der physische Kontakt verwehrt war. Aber auch in einem Brief an sie, hätte ich sie nicht stellen können. Aber meiner Schwester! Sie würde verstehen und mir auch letztlich helfen können.
    "Ja also, äh… also versteh mich nicht falsch. Also ja, ähm… Nigrina, wie kann ich es anstellen… auf diskrete Weise, versteht sich…. dass ich die Aufmerksamkeit eines… eines Mann… äh… Jungen gewinne… ohne natürlich aufdringlich oder billig zu wirken?"
    Puh, das war schwerer, als ich gedacht hatte. Ich hatte meine Stimme gedämpft, damit keiner der anwesenden Sklaven etwas verstehen konnte. Mir war es einfach peinlich, über so etwas laut zu sprechen.