Eginhard nickte und übergab zunächst die Lanze. Dann schnallte er sich den Schwertgürtel ab und übergab auch diesen mitsamt dem daran befestigten Schwert. Das vermied Missverständnisse. Den Helm hatte er an der Lanze festgebunden gelassen, immerhin brauchte er ihn im Moment nicht. "So, das waren die Langwaffen. Und jetzt noch den Dolch." Er zog aus seinem rechten Stiefelschaft vorsichtig einen Dolch hervor, den er mit dem Griff voran übergab. "Bekomme ich noch eine Quittung?" fragte er noch mit einem höflichen Lächeln, weil er sich mit der römischen Bürokratie nicht ganz sicher war.
Beiträge von Eginhard
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Eginhard hatte sich dazu entschlossen, nicht am Ianusbogen zu warten. Er würde sich besser nicht in die Politik einmischen. Gleichzeitig hatte er das Problem, dass ihm das Geld ausging. Zurück nach Germanien wollte er aber auch nicht. Sein Vater hatte zu viele Fehlentscheidungen getroffen. Er wollte ein neues Leben. Und ein Leben auf See. da gab es nicht viele Möglichkeiten. So hatte er sich auf den Weg nach Misenum gemacht. Sein Pferd hatte er unterwegs verkaufen müssen, weil er es nicht mehr versorgen konnte. Außerdem waren Herbergen auch nicht kostenlos zu haben.
So ging er nun auf das Tor zu, in seiner germanischen Kleidung mit Hosen und Stiefeln, ein Kettenhemd über der Tunica und sein Schwert am Gürtel baumelnd, während der Helm an seiner Lanze baumelte. Er wandte sich an einen Wachposten. "Salve. Ich würde mich gerne zum Dienst in der Classis verpflichten."
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Unglücklicherweise war momentan keine Stelle frei, zu der Eginhard passen würde, deshalb machte er sich wieder auf den Weg zu seinem Gastgeber.
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Eginhard dachte einen Moment nach, dann vergewisserte er sich, dass niemand auf der Straße in Hörweite war. Leise antwortete er. "Sollte der Hausherr noch nicht zum Opfer der Proskriptionen geworden sein und es auch nicht werden wollen. Und sollte er keine bessere Möglichkeit finden, so richte ihm aus, dass ich ihn oder seine Angehörigen an einen Ort bringen kann, wo keine Proskriptionsliste existiert und seine Feinde nicht einmal Spitzel haben. Falls Interesse besteht, möge er jemanden zum Ianusbogen schicken. Ich werde dort die nächsten fünf Tage zur hora sexta anzutreffen sein."
Dann ging er, ohne den Sklaven weiter zu beachten. Die Zukunft würde zeigen, was geschehen sollte.
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Eginhard las den Text aufmerksam. Staatsfeinde, drei an der Zahl. Und jeder war 2000 Sesterzen wert. Das war eine ganze Menge Geld, die man damit machen konnte. Die Frage war nur, ob er sich dazu herablassen würde, als Kopfgeldjäger zu arbeiten. Aber die Summe war schon sehr verlockend. Dann las er sich die Namen durch. Sextus Aurelius Lupus. War das nicht der Römer, der ihn so beleidigt hatte? Wenn ja, würde Eginhard ihn mit Freuden töten. Die Belohnung war da nur das Sahnehäubchen. Appius Cornelius Palma. Mit dem Namen konnte er nichts anfangen. Er hegte keinen Groll gegen ihn, also würde er ihn auch nicht jagen. Manius Flavius Gracchus. An ihn erinnerte er sich. Der Patrizier hatte ihn gut behandelt. Und an das, was ihm dessen Sklave übergeben hatte, erinnerte sich Eginhard auch noch. Ihm würde er helfen, wenn es in seiner Macht stand. Vielleicht war er aber auch der Schlüssel, um diesen Lupus zu finden. Wer wusste das schon? Doch zunächst hatte jede Suche einen Anfang, und Eginhard wusste auch, wo dieser war.
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Nachdem er sich dazu entschlossen hatte, in Rom zu bleiben, musste Eginhard irgendwie zu Geld kommen. Da illegale Aktivitäten für ihn nicht in Frage kamen, musste er eine Arbeit finden. Die aktuelle Situation war zwar sicher nicht optimal, immerhin befand sich das Imperium in einem Interregnum, aber einen Versuch war es wert. Vielleicht war es aber auch ein günstiger Zeitpunkt. Da war sich Eginhard nicht sicher. Er klopfte an die Tür eines Magistraten. "Salve. Bin ich hier richtig, um mich als Agrimensor zu bewerben?"
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Während Eginhard mit packen beschäftigt war, betrat Edzard das Zimmer.
"Du urteilst also nur wegen einer Sache. Dachte immer, du betrachtest alles. Hab mich wohl geirrt," eröffnete Edzard ruhig das Gespräch.
Eginhard sah ihn fragend an. "Ich verstehe nicht."
"Von ein paar hohen Herren lässte dich verärgern und verurteilst ganz Rom."
"Die 'hohen Herren', mein lieber Edzard, sind Rom."
"Blödsinn! Die einfachen Leute sind Rom! Die Handwerker! Die Bauern! Leute wie Ucko! Oder biste so stolz darauf, Sohn vom Fürst zu sein, dassde nur die hohen Herren wichtig findest? Nu? Isset so?"
Eginhard war erstaunt. So viel sprach Edzard eigentlich nie. Und außerdem hatte nie zuvor jemand so mit Eginhard gesprochen. Mit Ausnahme seines Lehrers. Das Schlimmste aber war: Edzard hatte recht. Eginhard legte seine Sachen beiseite und sah eine Weile aus dem Fenster, dann wandte er sich wieder seinem Begleiter zu. "Nun gut, dann bleibe ich halt. Aber ich werde vorsichtiger sein. Du allerdings wirst zurückreiten und Bericht erstatten." Er kramte noch die Reisekasse hervor und gab Edzard genügend Geld mit, um bis Friesland reisen zu können. Dann ging er wieder zum Fenster und betrachtete den Innenhof des Hauses und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
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Eginhard nickte Luca anerkennend zu. Leibwächter war seiner Meinung nach eine höchst ehrenhafte Aufgabe, unabhängig davon, ob man nun frei war oder unfrei.
"Beruflich? Fürstensohn," antwortete er Vera lachend. "Also alles und nichts. Zu Hause bin ich Krieger, Rechtsprecher, manchmal auch Anführer und Verhandlungsführer. Könnte man auf meiner Heimatinsel so etwas gebrauchen, wäre ich wohl Kartograph, Konstrukteur oder Kundschafter. Aber hier bin ich nur ein Reisender, der die Welt kennenlernen will." Er machte eine kurze Pause, um seine Gedanken zu sammeln. "Es wäre mir eine Ehre, dich zu begleiten, Duccia Vera. Wie sieht es bei dir aus, Luca? Ich hätte nur eine Frage: Was sind lukullische Würstchen?"
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Wenige Tage später, in denen die beiden Gäste aus der Ferne die Gastfreundschaft des Arius genossen hatten, saßen alle beim Abendessen. Sie sprachen friesisch, wenngleich Arius' Frau Römerin war und so nichts von dem Gesagten verstehen konnte. Edzard hingegen sprach kein Latein, so dass Eginhard diese Variante für die sinnvollste hielt.
"Ucko, ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Du hast uns wirklich eine große Ehre erwiesen und wir danken dir dafür." begann Eginhard das Gespräch.
Arius sah ihn fragend an. "Das klingt ja fast so, als wolltest abreisen."
"Das will ich auch."
"Warum? Ich dachte, du wolltest hier etwas über Rom lernen?" fragte Arius, während Edzard zwar ab und zu von seinem Essen aufblickte, jedoch wenig von dem Gespräch mizubekommen schien. Eginhard wusste aber, dass dem nicht so war.
"Nun, ich denke, dass ich die wichtigste Lektion über Rom bereits gelernt habe. Oder über Römer." Eginhard dachte dabei an die Worte, die er von Aurelius Lupus gehört hatte.
"Heißt was?"
"Heißt, dass ich jetzt weiß, was ich wissen muss. Also kann ich wieder zurück nach Hause." Eginhard hob seine Hand, um einer weiteren Frage des Arius einhalt zu gebieten. Dieser schloss seinen Mund wieder und schüttelte den Kopf.
Die Gruppe beendete ihr Essen schweigend, dann ging Eginhard auf sein Gästezimmer und packte sein Sachen.
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Nachdem der Karren aus dem Weg war und die Frau für ihre Panik entschädigt wurde, wandte sich Eginhard an die Blondine. War sie nun Römerin oder Germanin? Vom Aussehen her wohl eher Germanin, doch mit Sicherheit vermochte er dies nicht zu sagen. "Kein Grund, sich zu entschuldigen. Die Situation war... kompliziert und zu schnell, in der Tat." Er lächelte Vera höflich an. "Den Gesprächsfaden haben wir, denke ich, nicht verloren. Doch zunächst, las mich der Höflichkeit genüge tun und uns vorstellen. Ich bin Eginhard, und dies," er deutete auf Luca, "ist Luca."
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Eginhard bemerkte, dass sich Gracchus' Stimme kraftlos anhörte. Vermutlich war das Gezänk, an dem Eginhard, sich seine eigene Unzulänglichkeit eingestehend, nicht frei von Schuld war, doch zu viel gewesen. So erwiderte er auf die Aufforderung, zu gehen, welche als Erlaubnis formuliert war, nur eine kurze Verneigung und ein "Danke, hoher Herr." Dann folgte er dem Sklaven bis zum Ausgang.
Die Aufforderung, kurz zu warten, überraschte ihn dann doch. War das eine Falle, um ihn verschwinden zu lassen? Zutrauen würde er es zwar nicht Gracchus, wohl aber seiner Verwandten und insbesondere deren Ehemann. Doch dann kehrte der Sklave mit einem Beutel zurück. Ohne sich dessen Inhalt zu betrachten, nahm er ihn an sich. "Richte deinem Herrn meinen Dank aus. Richte ihm außerdem aus, dass ich bedaure, meinem Stolz nachgegeben zu haben und gleichsam meine Selbstbeherrschung verloren zu haben. Ich hoffe, damit nicht die Würde des Toten beschmutzt zu haben. Auch sage ihm, dass ich ihm danke für die gute Behandlung meiner Person. Das werde ich nicht vergessen. Auch wenn ich in Kürze Rom verlassen werde." Dann verließ er die Villa.
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Zitat
Original von Sextus Aurelius Lupus
“Peregrinus!“ Sextus spie das Wort aus wie die Beleidigung, die es in seinen Augen darstellte. “Es ist mir gleichgültig, ob dein Vater der Besitzer des größten Misthaufens jenseits des Limes ist. Du bist hier in Rom, nicht im Barbaricum! Hier bist du ein rechtloses Nichts, das nur aufgrund der Großzügigkeit unseres Imperators auch nur einen Fuß auf kultivierten Boden setzen darf! Du hast keine freie stimme, du hast kein Anrecht auf Ämter, du bist wertloser als der Dreck, der sich in der Subura sammelt, aber dennoch Bürger Roms ist. Als Friese bist du bestenfalls noch Löwenfutter, nachdem sich eine römische Standarte tief in diesen abartigen Sumpf, den ihr Heimat nennt, gebohrt hat! Und es ist mir scheißegal, ob dein Lehrer dich ein paar hübsche Worte gelehrt hat oder nicht.
Das da ist Flavia Nigrina, aus derselben Ahnenreihe wie Titus Flavius Vespasianus, Titus Flavius Vespasianus und Titus Flavius Domitianus. Kaiser Roms! Das ist meine Frau und die Schwester des verstorbenen Senator Roms, und du wirst ihr den ihr schuldigen Respekt erweisen, oder ich schwöre beim Stein des Iuppiter, ich werde mit deinem Blut mein Schlafzimmer streichen und mir aus deiner Haut einen Mantel machen, haben wir uns verstanden?“ Und er klang bei keiner einzelnen Silbe auch nur annähernd so, als würde er sie nicht vollkommen ernst meinen.
Sextus war nicht nur wütend, er hatte Mord im Blick. Er bemerkte noch nicht einmal, dass er Flavius Gracchus mit seinen Worten ins Wort gefallen war, was wohl ebenfalls eine grobe Unhöflichkeit gegen den Hausherrn war, dem es eigentlich oblag, im Sinne der Flavier zu sprechen. Doch Sextus hasste diesen peregrinen Emporkömmling im Moment zu sehr, um sich davon aufhalten zu lassen.Prinzipiell wäre diese Beleidigung seitens des Patriziers eine Herausforderung zum Zweikampf wert gewesen. Einen kurzen Moment, weniger als einen Wimpernschlag dachte Eginhard darüber nach. Angenommen, er würde den Patrizier zum Duell fordern, dann würde dieser mit dem Finger schnippen und dessen Klienten würden Eginhard in Stücke reißen. Doch selbst, wenn sich dieser aufs Duell einlassen würde, wäre das Resultat eindeutig. Würde Eginhard verlieren, so wäre er tot. Würde er gewinnen, so wäre er ebenfalls tot, weil er Patrizier verletzt hatte. Außerdem würde es die Würde des Toten verletzen, wenn vor ihm gekämpft wurde. Also war die Forderung zum Zweikampf keine Option. Darüber hinaus, und das wog schwer für Eginhard, handelte es sich bei der Frau um die Schwester des Toten und beide waren, was besonders schwer wog, von kaiserlichem Blut. Vor einigen Generationen hatten seine Vorfahren mit Drusus ein Freundschaftsabkommen geschlossen. Dieses hatten sie bis heute gehalten. Drusus war ein Verwandter des damaligen Kaisers, also galt die Freundschaft auch für Nachfahren von römischen Kaisern.
Im Sinne des alten Abkommens wollte sich Eginhard damit in Diplomatie versuchen. Er ignorierte seinen verletzten Stolz und versuchte, die Situation irgendwie zu retten. Zunächst wandte er sich an Aurelius Lupus. "Hoher Herr, ich danke dir für deine Belehrung." In seiner Stimme und Mimik war Dankbarkeit zu erkennen. Er verstand es durchaus, Dankbarkeit überzeugend zu mimen, und hier legte er seine gesamte Überzeugungskraft hinein. Er beendete seinen Satz mit einem anerkennenden Nicken und wandte sich an Flavia Nigrina. Immerhin kannte er nun ihren Namen. "Hohe Dame, es war mir nicht bewusst, dass du von kaiserlichem Geblüt bist. Hätte ich dies auch nur geahnt, ich hätte niemals auch nur daran gedacht, dir eine wie auch immer geartete Erwiderung zu geben." Er verneigte sich. Nun war es Reue, die er zeigte, und die war sogar echt. "Ich bitte nicht um Verzeihung, denn diese kann ich nicht erlangen, doch um Nachsicht. Ich bin nur ein unwissender, ungebildeter Barbar, woher sollte ich jemals kaiserlichen Geblüts angesichtig geworden sein und solches erkennen?" Eine erneute Verneigung. "Clementia ist alles, worum ich bitten kann." Eine letzte, tiefe Verbeugung, in der er verharrte, bis ihn jemand ansprach. -
Zitat
Mit einem Ruck stand sie auf und trat einige Schritte zu Gracchus und dem Fremden. Was hatte der noch gleich gesagt wo er herkam? Im Grunde egal. Es war irgendein Peregrinus, der unter irgendeinem Busch hervor gekrochen gekommen war. „Ein wirklich außerordentliche Beobachtungsgabe kannst du dein eigen nennen.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme war zu scharf, als dass sie ihn hätte verbergen können – aber es war tatsächlich erstaunlich, welche Details der Mann gesehen hatte, obwohl er bei einer zusammenstürzenden Insula doch recht weit hatte weg sein müssen, damit er selbst unbeschadet davon hatte kommen können. Sie glaubte eher, dass er das ein oder andere Detail dazu gedichtet hatte, damit er eben nicht eingestehen musste, dass er deutlich weniger gesehen hatte... und dass er sich zudem vermutlich auch nicht mehr an alles so exakt erinnern konnte. Der kleine Bericht wirkte außerdem wie einstudiert, was der Fremde wohl auf dem Weg hierher getan hatte. Und das alles ließ Nigrina widerborstig werden... aber im Grunde war es egal, was der Fremde wie erzählte. In diesem Moment hätte wohl so ziemlich alles dazu geführt, dass sie Konfrontation bevorzugte. „Behauptest du also allen Ernstes, dass ein Senator Roms, ein Pontifex, zu Fuß durch die Subura gegangen ist? Ohne weitere Begleitung?“Eginhards Beobachtungsgabe war in der Tat nicht schlecht, doch zeigte der Sarkasmus in der Stimme der Römerin, dass die Aussage nicht als Kompliment gemeint war. Viele, die Eginhard kannte, wären ob dieses Sarkasmus beleidigt gewesen und hätten entsprechend geantwortet. Auch Eginhard fühlte sich angegriffen, doch ließ er sich davon, bis auf ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen, nichts anmerken. Er blieb nach außen emotionslos. Auch die folgende Frage, genauer die Art, wie sie gestellt wurde, war als beleidigend zu deuten, doch hier konnte er sogar ein Aufblitzen von verletztem Stolz in seinen Augen unterdrücken. Er wusste, dass manche Menschen mit Beleidigungen des Überbringers schlechter Nachrichten reagierten. Eginhard ließ es über sich ergehen.
"Zunächst eine Anmerkung zu meiner Beobachtungsgabe, edle Dame," begann er seine, mit kalter Stimme vorgetragene, Antwort, "Ich muss, wie bereits gesagt, zugeben, den Tod des Senators nicht direkt observiert zu haben. Und auch Richtung und Geschwindigkeit des zu Boden fliegenden Giebelbalkens konnte ich nicht exakt bestimmen. Er hätte also auch den Senator verfehlen können. Dennoch mag es einleuchten, dass ich Observation durch Kombination zu substituieren im Stande war, nachdem ich die Lage des Balkens und die Verletzungen des Senators in Korrelation setzte. Dass dies in meinem Bericht in dieser Deutlichkeit nicht klar wurde, ist mein Verschulden. Ich bitte folglich um Verzeihung dieser Inexaktheit." Eginhard hatte durchaus Bildung erfahren. Das sollte ruhig jeder durch seine Wortwahl erfahren. "Doch nun zu deiner Frage. Ob möglicherweise Begleitpersonen vorhanden waren, vermag ich nicht zu sagen. Falls ja, so waren sie mindestens zwei Schritt vom Senator entfernt und in ortsübliche Kleidung gehüllt. In diesem Fall gehören sie entweder zu den unter dem Trümmerberg Begrabenen, oder sie haben sich aus dem Staub gemacht, nachdem das Gebäude zusammenstürzte. Was mehr als ehrlos ist. Doch gestatte mir eine Gegenfrage. Ist es so außergewöhnlich, dass ein Senator allein unterwegs ist? Sollte er nicht allein durch die Würde seines Sitzes im Senat und, wie du erwähntest, durch die Würde seines Amtes als Pontifex, vor jedwedem Angriff geschützt sein?" Die Frage war durchaus ernst gemeint. -
Eginhard neigte kurz seinen Kopf in Anerkennung des geäußerten Dankes. "Mein Name ist Eginhard, Sohn des Fürsten Eginhard der Frisii von der Insel Niederoog," stellte er sich vor. Dann rief er sich die Szene in den Sinn und berichtete. "Der Senator Flavius Piso war ging durch eine Straße der Subura und war etliche Schritt vor mir. Plötzlich gab es ein Rumpeln, zunächst ein leises Grollen, dann schnell lauter werdend und eine Insula brach in sich zusammen. Genauer gesagt brachen nur die obersten Geschosse zusammen. Durch den Staub, der mit diesem Kollaps einher ging konnte ich den Senator im Augenblick seines Todes nicht sehen, doch das, was ich einen Wimpernschlag zuvor sah, war der Giebelbalken der Insula. Dieser schoss, einem Wurfspeer gleich, auf den Senator zu. Ich bin dann zu dem Trümmerhaufen geeilt, um, falls möglich, zu helfen. Auch kamen recht schnell einige Schaulustige hinzu, die aber nicht halfen. Einer wollte den Senator durchsuchen, doch ich hielt ihn davon ab. Dann traf auch schon Montanus Tertius ein, der seine Toga für die Bergung zur Verfügung stellte und wir bargen Flavius Piso und brachten ihn hierher. Die restlichen Klienten stießen unterwges hinzu und eskortierten uns." Sein Bericht war ohne jede Hast vorgetragen und ohne jede Emotion. Ein Tatsachenbericht. Lediglich im letzten Satz schwang kaum merklich Verachtung mit, hatte doch niemand Anstalten gemacht, beim Tragen mitzuhelfen. "Auch wenn ich kein Medicus bin," fügte Eginhard dann noch an, "bin ich der Meinung, dass der Senator Flavius Piso tot war, bevor sein Körper auf den Boden auftraf. Die Wucht, mit der ihn der Balken traf, muss ihn sofort getötet haben." Eginhard versuchte, durch diese Worte etwas Trost zu spenden, was er auch durch seine Stimme und Gestik zu unterstützen suchte.
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Nach und nach trafen die Verwandten des Toten ein. Eginhard konnte es anhand der Reaktionen zumindest vermuten. Er selbst jedoch verzog keine Miene, wozu auch. Doch dann erwachte der ohnmächtig gewordene wieder, und mit einer gewissen Bewunderung nahm der Friese zur Kenntnis, dass der Römer den Schock über den Tod seines Verwandten so weit überwunden hatte, dass er nun Anweisungen geben konnte.
Und dann kamen die beiden Fragen, die früher oder später gestellt werden mussten. Wer hat ihn hier her gebracht? und Wart ihr dabei als es geschah? Sofort beanspruchten einige der anwesenden Klienten dieses "Verdienst" für sich. In gewisser Hinsicht konnte man die Eskortierung des Toten auch so betrachten, doch es war schnell klar, dass sie, außer mitzulaufen, nichts getan hatten. Letzlich deutete einer der Männer auf den Römer, der zusammen mit Eginhard den Leichnam getragen hatte. Das Geplapper verstummte langsam, und der Römer begann zu sprechen, unterwürfig im Tonfall. "Ich habe den Senator Flavius Piso hierher getragen, mein Patron. Lucius Montanus Tertius. Dabei geholfen hat mir dieser Mann." Er deutete auf Eginhard. Dieser verneigte sich kaum sichtbar, doch einem geübten Politiker sollte diese Verneigung dennoch auffallen. "Er war vor mir am Unglücksort und kann vielleicht mehr zum Tod des ehrenwerten Senators Flavius Piso sagen."
Eginhard nickte. "Ich habe das Unglück gesehen. Doch zunächst, Flavius," da er den Namen des Manius Flavius Gracchus nicht kannte, blieb ihm nur, den seiner Meinung nach sicheren Namen des Fragenden zu verwenden, "möchte ich dir mein ehrliches Mitgefühl ausdrücken. Es ist niemals leicht, den Tod eines Verwandten in der Blüte seines Lebens zu ertragen." Dabei war er ein Bild der dignitas, wie es auch einem Römer gut zu Gesichte gestanden hätte. Mehr Informationen gab er zunächst nicht, da er nicht sicher war, ob er vor allen Anwesenden den Tod des Senators schildern sollte. Dazu war er zu wenig bewandert in der römischen Etikette.
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Eginhard war froh, als ihm die Last des Leichnams abgenommen wurde. Der Klient, der ebenfalls den Toten getragen hatte, schien ebenfalls erleichtert zu sein. Doch niemand sagte etwas. Betretene Stille herrschte. So nahm Eginhard auch nur wortlos die Seife und wusch seine Hände und sein verschwitztes Gesicht, denn Rom war ihm trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit zu warm für anstrengendere Arbeiten. Während er sich abtrocknete, betrat ein weiterer Römer das Atrium. Auf die Frage, was geschehen sei, gab niemand eine Antwort. Eginhard hielt es für die Aufgabe des Klienten, den Fragenden zu unterrichten, doch dieser tat es nicht. Noch bevor der Friese sich entscheiden konnte, selbst das Wort zu ergreifen, brachte der neu hinzugekommene Römer selbst in Erfahrung, was geschehen war. Oder zumindest, was das Resultat des Geschehens war. Womöglich hätte ihn jemand auf den Anblick vorbereiten sollen. Bei der Reaktion, die Eginhard nun beobachtete, war er sogar überzeugt davon, dass jemand den Römer hätte vorbereiten sollen. Doch so konnte er nur mit ansehen, wie dieser ohnmächtig wurde. Eginhard blieb weiter still und wartete.
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Der Transport der Leiche des Flavius Piso aus der Subura hatte dafür gesorgt, dass sich weitere Klienten der Flavier dem Tross angeschlossen hatten. Doch an den Trägern des Toten hatte sich nichts geändert. Schließlich kam der Tross an der Villa an und einer der Klienten klopfte an die Tür. "Wir bringen Flavius Piso! Ihm ist etwas zugestoßen!" Eginhard und der andere Träger standen inmitten der Schar und hielten die Toga fest, in die der Tote eingewickelt war. Hätte der Friese geahnt, dass er in dieser ohnehin viel zu warmen Stadt auch noch einen Hügel hoch musste, zusammen mit einem Toten und einem jammernden Römer und umgeben von lauter nervigen, schwatzenden Römern, die alle beanspruchten, dabei zu sein, damit die Flavier sehen würden, welch gute Klienten sie doch seien, er hätte die Subura gemieden. Aber nun war er hier, genervt vor allem von all jenen, die sie zwar begleiteten, aber ihnen keine Hilfe waren, den Toten zu tragen. Und er wartete.
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Eginhard war in der Subura unterwegs. Und hatte, wie nicht anders zu erwarten war, die Orientierung verloren. Glücklicherweise entdeckte er in der Straße vor ihm einen gut gekleideten Römer, der wohl eher nicht aus der Subura stammte. Der Römer war ein ganzes Stück vor ihm, so dass der Friese seine Schritte beschleunigen wollte, doch ein lautes Rumpeln hielt ihn davon ab. Er sah noch die Wokle aus Staub und Schutt und wie der Giebelbalken auf den Römer zuflog, dann stand er wie erstarrt da. Die Götter waren ihm gewogen, sonst hätte er wohl den Römer eingeholt und wäre auch verschüttet oder schlimmer.
Langsam ging er auf den Schutthaufen zu. Und hätte er auch nur geahnt, was ihm Kopf des sterbenden Römers vor sich ging, es hätte ihn wohl amüsiert. Doch von alledem ahnte er nichts. Als er bei den Trümmern ankam, war der Römer schon tot. Und noch ein paar andere Römer, aber die waren tief unter dem Schutt begraben. Es dauerte nicht lange, da kamen auch schon die ersten Schaulustigen.
"Schau mal, ein Senator!" bemerkte einer der Schaulustigen. "Der hat sicher Geld dabei!" meinte ein anderer und näherte sich dem Toten. "Finger weg, sonst breche ich sie dir!" sagte Eginhard bestimmt zu Letzterem. Der drehte sich zornig um, musterte den Friesen und entschied sich, besser nichts zu riskieren.
Mit zunehmender Zahl an Schaulustigen kam auch ein Klient der Gens Flavia hinzu. "Das ist der Senator Flavius Piso," sagte der Klient, dann gesellte er sich zu dem Eginhard. "Was stehst du hier so rum, Barbar? Willst wohl..." weiter kam er nicht, denn Eginhard packte ihn am Kragen "Beleidige mich noch einmal, und du leistest dem Senator Gesellschaft! Ansonsten kannst du mir gerne helfen, ihn zu bergen und zu seiner Familie zu bringen. Oder verschwinden." Der Römer sah ihn entsetzt an, dann nickte er. "Dann lass ihn uns bergen, Ba... äh... wasauchimmer. Ich bin Klient der Gens Flavia. Wage es nicht, mir oder dem Senator zu schaden!" "Nicht so viel reden, anpacken!" Eginhard versuchte, den Giebelbalken anzuheben, aber der war zu schwer. Auch zusammen mit dem Klienten der Flavier gelang es ihm nicht. Schließlich gab Letzterer einigen Schaulustigen Geld, um mit anzupacken. Mit vereinten Kräften wurde der Balken von Pisos Leichnam entfernt und offenbarte das volle Ausmaß der Verletzungen. Einigen wurde schlecht, andere waren so etwas scheinbar gewöhnt.
"Deine Toga, Klient der Flavier. "Was?!?" "Wenn wir ihn nach Hause bringen wollen, brauchen wir deine Toga, um ihn zu transportieren. Oder willst du, dass jeder seinen geschundenen Körper sieht?" erklärte Eginhard. Der Römer nickte, und Eginhard wickelte den Leichnam in die Toga. Dann packten beide an, der Klient am Kopfende und Eginhard am Fußende und trugen den Eingewickelten Richtung Villa Flavia.